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Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 5. Leipzig, 1710.

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Begräbniß-Gedichte.
Sie mühte sich nur klein, nicht aber groß zu werden;
Sie floh durch den verstand den labyrinth der erden;
Sie liebt' ihr eh-gemahl, doch mehr den großen GOtt:
Mit Musen trieb sie schertz, doch auch zuweilen spott,
Wenn sie mit ihrer kunst nur an der wohllust hiengen,
Den rechten weg vorbey, mit winde schwanger giengen.
Jhr eignes säyten-spiel, das dich, Anacreon!
Jn vielem übertraff, verwandelte den thon
Jn einen lob-gesang, in buß- und trauer-lieder:
Und also gab sie GOtt, was GOtt ihr schenckte, wieder;
So gar, daß sie das brodt so feind' als freunden brach,
Und nichts für sich behielt, als kranckheit, angst und schmach;
Als einen bittern schmertz, der sie gantz ausgesogen;
Doch nur den leib zermalmt, den geist zu GOtt gezogen.
Lernt, blinde sterblichen! wie man hier klug und wohl
Kan leben: lernet auch, wie man recht sterben soll.
Du aber, Theurer Graf! der heute mehr verlohren,
Als in viel zeiten uns nicht wieder wird geboren,
Beweine deinen Schatz! Sie ist der thränen werth:
Wein' aber auch also, daß sie dich nicht verzehrt.
Was dich vergnügt, ist hin! Laß dich nun das vergnügen,
Was weder tod noch grab, noch hölle kan besiegen!
Schau! wie ihr Heyland sie zu seiner heerde führt!
Schau! wie der nachruff sie mit tausend lorbeern ziert!
Was ieder von ihr schreibt, und was man noch wird schreiben,
Dis laß, statt ihrer nun dein liebstes bildniß bleiben!
Betracht' es, wenn die nacht aus deiner kammer geht!
Betracht' es, wenn die nacht vor deinem bette steht!
Und darff ich, wie ihr geist, mich flehend zu dir wenden:
So gönn' uns noch einmal ein lied von deinen händen,
Und schreib auf römisch her, was wir nur halb gethan:
Schreib deine Gräfin selbst im buch der sternen an.


Auf
Begraͤbniß-Gedichte.
Sie muͤhte ſich nur klein, nicht aber groß zu werden;
Sie floh durch den verſtand den labyrinth der erden;
Sie liebt’ ihr eh-gemahl, doch mehr den großen GOtt:
Mit Muſen trieb ſie ſchertz, doch auch zuweilen ſpott,
Wenn ſie mit ihrer kunſt nur an der wohlluſt hiengen,
Den rechten weg vorbey, mit winde ſchwanger giengen.
Jhr eignes ſaͤyten-ſpiel, das dich, Anacreon!
Jn vielem uͤbertraff, verwandelte den thon
Jn einen lob-geſang, in buß- und trauer-lieder:
Und alſo gab ſie GOtt, was GOtt ihr ſchenckte, wieder;
So gar, daß ſie das brodt ſo feind’ als freunden brach,
Und nichts fuͤr ſich behielt, als kranckheit, angſt und ſchmach;
Als einen bittern ſchmertz, der ſie gantz ausgeſogen;
Doch nur den leib zermalmt, den geiſt zu GOtt gezogen.
Lernt, blinde ſterblichen! wie man hier klug und wohl
Kan leben: lernet auch, wie man recht ſterben ſoll.
Du aber, Theurer Graf! der heute mehr verlohren,
Als in viel zeiten uns nicht wieder wird geboren,
Beweine deinen Schatz! Sie iſt der thraͤnen werth:
Wein’ aber auch alſo, daß ſie dich nicht verzehrt.
Was dich vergnuͤgt, iſt hin! Laß dich nun das vergnuͤgen,
Was weder tod noch grab, noch hoͤlle kan beſiegen!
Schau! wie ihr Heyland ſie zu ſeiner heerde fuͤhrt!
Schau! wie der nachruff ſie mit tauſend lorbeern ziert!
Was ieder von ihr ſchreibt, und was man noch wird ſchreiben,
Dis laß, ſtatt ihrer nun dein liebſtes bildniß bleiben!
Betracht’ es, wenn die nacht aus deiner kammer geht!
Betracht’ es, wenn die nacht vor deinem bette ſteht!
Und darff ich, wie ihr geiſt, mich flehend zu dir wenden:
So goͤnn’ uns noch einmal ein lied von deinen haͤnden,
Und ſchreib auf roͤmiſch her, was wir nur halb gethan:
Schreib deine Graͤfin ſelbſt im buch der ſternen an.


Auf
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[152/0154] Begraͤbniß-Gedichte. Sie muͤhte ſich nur klein, nicht aber groß zu werden; Sie floh durch den verſtand den labyrinth der erden; Sie liebt’ ihr eh-gemahl, doch mehr den großen GOtt: Mit Muſen trieb ſie ſchertz, doch auch zuweilen ſpott, Wenn ſie mit ihrer kunſt nur an der wohlluſt hiengen, Den rechten weg vorbey, mit winde ſchwanger giengen. Jhr eignes ſaͤyten-ſpiel, das dich, Anacreon! Jn vielem uͤbertraff, verwandelte den thon Jn einen lob-geſang, in buß- und trauer-lieder: Und alſo gab ſie GOtt, was GOtt ihr ſchenckte, wieder; So gar, daß ſie das brodt ſo feind’ als freunden brach, Und nichts fuͤr ſich behielt, als kranckheit, angſt und ſchmach; Als einen bittern ſchmertz, der ſie gantz ausgeſogen; Doch nur den leib zermalmt, den geiſt zu GOtt gezogen. Lernt, blinde ſterblichen! wie man hier klug und wohl Kan leben: lernet auch, wie man recht ſterben ſoll. Du aber, Theurer Graf! der heute mehr verlohren, Als in viel zeiten uns nicht wieder wird geboren, Beweine deinen Schatz! Sie iſt der thraͤnen werth: Wein’ aber auch alſo, daß ſie dich nicht verzehrt. Was dich vergnuͤgt, iſt hin! Laß dich nun das vergnuͤgen, Was weder tod noch grab, noch hoͤlle kan beſiegen! Schau! wie ihr Heyland ſie zu ſeiner heerde fuͤhrt! Schau! wie der nachruff ſie mit tauſend lorbeern ziert! Was ieder von ihr ſchreibt, und was man noch wird ſchreiben, Dis laß, ſtatt ihrer nun dein liebſtes bildniß bleiben! Betracht’ es, wenn die nacht aus deiner kammer geht! Betracht’ es, wenn die nacht vor deinem bette ſteht! Und darff ich, wie ihr geiſt, mich flehend zu dir wenden: So goͤnn’ uns noch einmal ein lied von deinen haͤnden, Und ſchreib auf roͤmiſch her, was wir nur halb gethan: Schreib deine Graͤfin ſelbſt im buch der ſternen an. Auf

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Zitationshilfe: Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 5. Leipzig, 1710, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte05_1710/154>, abgerufen am 08.05.2024.