Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

Von den geselschaftlichen Verbindungen
Gepräge der algemeinen und heiligen Gesetze aufdrücken
können. Zu dieser Unzulänglichkeit hat sich noch ein un-
bestimtes Herkommen gesellet. Beyde zusammen, sowohl
das geschriebene, als ungeschriebene Gesetz, sind noch
unzusammenhängende und unvolkommne Theile eines
Ganzen, dem die Klarheit, Ordnung, der gehörige Um-
fang und das Ansehen fehlen. Man führet neue Regeln
und Gewohnheiten ein und deutet und wendet die alten
an, wie es eines ieglichen Macht, Gelegenheit und Wohl-
gefallen bequem ist. Die Zusätze, Ausdehnungen, Ein-
schränkungen, Ausnahmen, Verbesserungen verewigen
sich. Die neuen Erfindungen, vorleuchtenden Beispiele
der Mächtigsten, Vorfälle und Gebräuche gehen ins Un-
endliche, und setzen neue Rechte, bis diese wiederum durch
neuere verdrungen werden. Dennoch bleiben eine Menge
zweifelhafter und verstrickter Fälle zum Zankapfel der
Nachkommenden unausgemacht übrig. -- Die häufigen
Widersprüche und Streitigkeiten, die aus der Gelegenheit
dieses Rechts, in Ansehung dessen Verletzung, oder Aus-
legung, oder Erweiterung entsprossen sind, zeugen allein,
daß es ihm annoch an eigener Volkommenheit und frem-
der Achtung fehle." Diese Streitigkeiten können in dem
freien Zustande der Völker nicht anders als durch Ver-
träge beigelegt werden, welche iedoch nicht selten erst die
Frucht vieliähriger kostbarer und verherender Kriege zu seyn
pflegen. Bey diesem allen lehrt die Erfahrung, daß die
feierlichsten Verträge und Friedensinstrumente mit der
Zeit durchlöchert werden. Die zahlreichen neuen Tra-
ctaten [S. 118] die auf die alten gefolgt sind, zeugen
von der Unzulänglichkeit, Baufälligkeit, und kurzen
Epoche der letztern, die gleichwohl das Siegel der Ewig-
keit aufgedruckt hatten. -- Es mögen Uebereilung, Un-
aufmerksamkeit oder Metapher, oder die Ungewisheit der
Zukunft, oder die engen Grenzen der menschlichen Einsicht
und Sprache, oder ein heimlicher Vorsatz oder eine andere

Un-

Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
Gepraͤge der algemeinen und heiligen Geſetze aufdruͤcken
koͤnnen. Zu dieſer Unzulaͤnglichkeit hat ſich noch ein un-
beſtimtes Herkommen geſellet. Beyde zuſammen, ſowohl
das geſchriebene, als ungeſchriebene Geſetz, ſind noch
unzuſammenhaͤngende und unvolkommne Theile eines
Ganzen, dem die Klarheit, Ordnung, der gehoͤrige Um-
fang und das Anſehen fehlen. Man fuͤhret neue Regeln
und Gewohnheiten ein und deutet und wendet die alten
an, wie es eines ieglichen Macht, Gelegenheit und Wohl-
gefallen bequem iſt. Die Zuſaͤtze, Ausdehnungen, Ein-
ſchraͤnkungen, Ausnahmen, Verbeſſerungen verewigen
ſich. Die neuen Erfindungen, vorleuchtenden Beiſpiele
der Maͤchtigſten, Vorfaͤlle und Gebraͤuche gehen ins Un-
endliche, und ſetzen neue Rechte, bis dieſe wiederum durch
neuere verdrungen werden. Dennoch bleiben eine Menge
zweifelhafter und verſtrickter Faͤlle zum Zankapfel der
Nachkommenden unausgemacht uͤbrig. — Die haͤufigen
Widerſpruͤche und Streitigkeiten, die aus der Gelegenheit
dieſes Rechts, in Anſehung deſſen Verletzung, oder Aus-
legung, oder Erweiterung entſproſſen ſind, zeugen allein,
daß es ihm annoch an eigener Volkommenheit und frem-
der Achtung fehle.“ Dieſe Streitigkeiten koͤnnen in dem
freien Zuſtande der Voͤlker nicht anders als durch Ver-
traͤge beigelegt werden, welche iedoch nicht ſelten erſt die
Frucht vieliaͤhriger koſtbarer und verherender Kriege zu ſeyn
pflegen. Bey dieſem allen lehrt die Erfahrung, daß die
feierlichſten Vertraͤge und Friedensinſtrumente mit der
Zeit durchloͤchert werden. Die zahlreichen neuen Tra-
ctaten [S. 118] die auf die alten gefolgt ſind, zeugen
von der Unzulaͤnglichkeit, Baufaͤlligkeit, und kurzen
Epoche der letztern, die gleichwohl das Siegel der Ewig-
keit aufgedruckt hatten. — Es moͤgen Uebereilung, Un-
aufmerkſamkeit oder Metapher, oder die Ungewisheit der
Zukunft, oder die engen Grenzen der menſchlichen Einſicht
und Sprache, oder ein heimlicher Vorſatz oder eine andere

Un-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0216" n="190"/><fw place="top" type="header">Von den ge&#x017F;el&#x017F;chaftlichen Verbindungen</fw><lb/>
Gepra&#x0364;ge der algemeinen und heiligen Ge&#x017F;etze aufdru&#x0364;cken<lb/>
ko&#x0364;nnen. Zu die&#x017F;er Unzula&#x0364;nglichkeit hat &#x017F;ich noch ein un-<lb/>
be&#x017F;timtes Herkommen ge&#x017F;ellet. Beyde zu&#x017F;ammen, &#x017F;owohl<lb/>
das ge&#x017F;chriebene, als unge&#x017F;chriebene Ge&#x017F;etz, &#x017F;ind noch<lb/>
unzu&#x017F;ammenha&#x0364;ngende und unvolkommne Theile eines<lb/>
Ganzen, dem die Klarheit, Ordnung, der geho&#x0364;rige Um-<lb/>
fang und das An&#x017F;ehen fehlen. Man fu&#x0364;hret neue Regeln<lb/>
und Gewohnheiten ein und deutet und wendet die alten<lb/>
an, wie es eines ieglichen Macht, Gelegenheit und Wohl-<lb/>
gefallen bequem i&#x017F;t. Die Zu&#x017F;a&#x0364;tze, Ausdehnungen, Ein-<lb/>
&#x017F;chra&#x0364;nkungen, Ausnahmen, Verbe&#x017F;&#x017F;erungen verewigen<lb/>
&#x017F;ich. Die neuen Erfindungen, vorleuchtenden Bei&#x017F;piele<lb/>
der Ma&#x0364;chtig&#x017F;ten, Vorfa&#x0364;lle und Gebra&#x0364;uche gehen ins Un-<lb/>
endliche, und &#x017F;etzen neue Rechte, bis die&#x017F;e wiederum durch<lb/>
neuere verdrungen werden. Dennoch bleiben eine Menge<lb/>
zweifelhafter und ver&#x017F;trickter Fa&#x0364;lle zum Zankapfel der<lb/>
Nachkommenden unausgemacht u&#x0364;brig. &#x2014; Die ha&#x0364;ufigen<lb/>
Wider&#x017F;pru&#x0364;che und Streitigkeiten, die aus der Gelegenheit<lb/>
die&#x017F;es Rechts, in An&#x017F;ehung de&#x017F;&#x017F;en Verletzung, oder Aus-<lb/>
legung, oder Erweiterung ent&#x017F;pro&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ind, zeugen allein,<lb/>
daß es ihm annoch an eigener Volkommenheit und frem-<lb/>
der Achtung fehle.&#x201C; Die&#x017F;e Streitigkeiten ko&#x0364;nnen in dem<lb/>
freien Zu&#x017F;tande der Vo&#x0364;lker nicht anders als durch Ver-<lb/>
tra&#x0364;ge beigelegt werden, welche iedoch nicht &#x017F;elten er&#x017F;t die<lb/>
Frucht vielia&#x0364;hriger ko&#x017F;tbarer und verherender Kriege zu &#x017F;eyn<lb/>
pflegen. Bey die&#x017F;em allen lehrt die Erfahrung, daß die<lb/>
feierlich&#x017F;ten Vertra&#x0364;ge und Friedensin&#x017F;trumente mit der<lb/>
Zeit durchlo&#x0364;chert werden. Die zahlreichen neuen Tra-<lb/>
ctaten [S. 118] die auf die alten gefolgt &#x017F;ind, zeugen<lb/>
von der Unzula&#x0364;nglichkeit, Baufa&#x0364;lligkeit, und kurzen<lb/>
Epoche der letztern, die gleichwohl das Siegel der Ewig-<lb/>
keit aufgedruckt hatten. &#x2014; Es mo&#x0364;gen Uebereilung, Un-<lb/>
aufmerk&#x017F;amkeit oder Metapher, oder die Ungewisheit der<lb/>
Zukunft, oder die engen Grenzen der men&#x017F;chlichen Ein&#x017F;icht<lb/>
und Sprache, oder ein heimlicher Vor&#x017F;atz oder eine andere<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Un-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[190/0216] Von den geſelſchaftlichen Verbindungen Gepraͤge der algemeinen und heiligen Geſetze aufdruͤcken koͤnnen. Zu dieſer Unzulaͤnglichkeit hat ſich noch ein un- beſtimtes Herkommen geſellet. Beyde zuſammen, ſowohl das geſchriebene, als ungeſchriebene Geſetz, ſind noch unzuſammenhaͤngende und unvolkommne Theile eines Ganzen, dem die Klarheit, Ordnung, der gehoͤrige Um- fang und das Anſehen fehlen. Man fuͤhret neue Regeln und Gewohnheiten ein und deutet und wendet die alten an, wie es eines ieglichen Macht, Gelegenheit und Wohl- gefallen bequem iſt. Die Zuſaͤtze, Ausdehnungen, Ein- ſchraͤnkungen, Ausnahmen, Verbeſſerungen verewigen ſich. Die neuen Erfindungen, vorleuchtenden Beiſpiele der Maͤchtigſten, Vorfaͤlle und Gebraͤuche gehen ins Un- endliche, und ſetzen neue Rechte, bis dieſe wiederum durch neuere verdrungen werden. Dennoch bleiben eine Menge zweifelhafter und verſtrickter Faͤlle zum Zankapfel der Nachkommenden unausgemacht uͤbrig. — Die haͤufigen Widerſpruͤche und Streitigkeiten, die aus der Gelegenheit dieſes Rechts, in Anſehung deſſen Verletzung, oder Aus- legung, oder Erweiterung entſproſſen ſind, zeugen allein, daß es ihm annoch an eigener Volkommenheit und frem- der Achtung fehle.“ Dieſe Streitigkeiten koͤnnen in dem freien Zuſtande der Voͤlker nicht anders als durch Ver- traͤge beigelegt werden, welche iedoch nicht ſelten erſt die Frucht vieliaͤhriger koſtbarer und verherender Kriege zu ſeyn pflegen. Bey dieſem allen lehrt die Erfahrung, daß die feierlichſten Vertraͤge und Friedensinſtrumente mit der Zeit durchloͤchert werden. Die zahlreichen neuen Tra- ctaten [S. 118] die auf die alten gefolgt ſind, zeugen von der Unzulaͤnglichkeit, Baufaͤlligkeit, und kurzen Epoche der letztern, die gleichwohl das Siegel der Ewig- keit aufgedruckt hatten. — Es moͤgen Uebereilung, Un- aufmerkſamkeit oder Metapher, oder die Ungewisheit der Zukunft, oder die engen Grenzen der menſchlichen Einſicht und Sprache, oder ein heimlicher Vorſatz oder eine andere Un-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/216
Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/216>, abgerufen am 24.11.2024.