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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

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der Nazionen.
die vereinigten Niederlande nebst der ganzen Jülich-
Clevischen Erbschaft, und die Lidgenossenschaft nebst
der Grafschaft Burgund, Elfaß, Tyrol und Trident,
ingleichen 2 aristokratische: Venedig nebst der Insel
Sicilien und Florenz wozu Genua, Mantua, Parma
und Modena, mit Beibehaltung ihrer besondern Regier-
ungsformen geschlagen werden solten. Aus den Abge-
ordneten dieser Staaten wäre ein Senat zusammenge-
setzt worden, der die gemeinschaftlichen Angelegenheiten
nach der Mehrheit der Stimmen besorgt und entschie-
den hätte. Jedoch lagen nicht sowohl die hieraus zu
hoffenden gemeinnützigen Folgen, als vielmehr die Ab-
sicht, die damalige Macht des Hauses Oesterreich zu
schwächen, zum Grunde a]. Heinrich hatte bereits alle
zu diesen Behuf dienliche Anstalten vorgekehrt und stand,
bey Gelegenheit des Jülichschen Successionsfalls, eben
im Begrif seine Kräfte zu versuchen, als durch dessen
Ermordung dies ganze Vorhaben vereitelt ward.

In der Folge haben verschiedene Privatschriftsteller,
besonders der berühmte Abt St. Pierre und neuerlich ein
Herr von Lilienfels, ein liefländischer Edelmann, wel-
cher der Verfasser des Neuen Staatsgebäudes etc. seyn
soll, ienen Plan wieder in Vorschlag gebracht und aus-
zubilden gesucht. Die Hauptsache beruhet, nach dem
Inhalt der letztern Schrift, ungefähr darauf: Die Ge-
setze, sagt man, wornach freie Völker ihre Handlungen
gegen einander einrichten sollen, sind meistens sehr
schwankend. "Was Grotius, Barbeyrac, Puffendorf,
Hobbes, Selden und die Neuern davon geschrieben ha-
ben, heißt es daselbst [1 Buch 3. Abth. §. 59. S. 130.]
ist zerstreut, abweichend und erschöpft nicht alles. Ihre
Meinungen sind keine Orakelsprüche. Sie sind nicht
durchgängig practisch und mit dem Bürgerrechte bekleidet.
Sie haben nicht alle Fälle bemerkt, auch die bemerkten
nicht gleich gründlich erörtert, den erörterten aber kein

Ge-

der Nazionen.
die vereinigten Niederlande nebſt der ganzen Juͤlich-
Cleviſchen Erbſchaft, und die Lidgenoſſenſchaft nebſt
der Grafſchaft Burgund, Elfaß, Tyrol und Trident,
ingleichen 2 ariſtokratiſche: Venedig nebſt der Inſel
Sicilien und Florenz wozu Genua, Mantua, Parma
und Modena, mit Beibehaltung ihrer beſondern Regier-
ungsformen geſchlagen werden ſolten. Aus den Abge-
ordneten dieſer Staaten waͤre ein Senat zuſammenge-
ſetzt worden, der die gemeinſchaftlichen Angelegenheiten
nach der Mehrheit der Stimmen beſorgt und entſchie-
den haͤtte. Jedoch lagen nicht ſowohl die hieraus zu
hoffenden gemeinnuͤtzigen Folgen, als vielmehr die Ab-
ſicht, die damalige Macht des Hauſes Oeſterreich zu
ſchwaͤchen, zum Grunde a]. Heinrich hatte bereits alle
zu dieſen Behuf dienliche Anſtalten vorgekehrt und ſtand,
bey Gelegenheit des Juͤlichſchen Succeſſionsfalls, eben
im Begrif ſeine Kraͤfte zu verſuchen, als durch deſſen
Ermordung dies ganze Vorhaben vereitelt ward.

In der Folge haben verſchiedene Privatſchriftſteller,
beſonders der beruͤhmte Abt St. Pierre und neuerlich ein
Herr von Lilienfels, ein lieflaͤndiſcher Edelmann, wel-
cher der Verfaſſer des Neuen Staatsgebaͤudes ꝛc. ſeyn
ſoll, ienen Plan wieder in Vorſchlag gebracht und aus-
zubilden geſucht. Die Hauptſache beruhet, nach dem
Inhalt der letztern Schrift, ungefaͤhr darauf: Die Ge-
ſetze, ſagt man, wornach freie Voͤlker ihre Handlungen
gegen einander einrichten ſollen, ſind meiſtens ſehr
ſchwankend. “Was Grotius, Barbeyrac, Puffendorf,
Hobbes, Selden und die Neuern davon geſchrieben ha-
ben, heißt es daſelbſt [1 Buch 3. Abth. §. 59. S. 130.]
iſt zerſtreut, abweichend und erſchoͤpft nicht alles. Ihre
Meinungen ſind keine Orakelſpruͤche. Sie ſind nicht
durchgaͤngig practiſch und mit dem Buͤrgerrechte bekleidet.
Sie haben nicht alle Faͤlle bemerkt, auch die bemerkten
nicht gleich gruͤndlich eroͤrtert, den eroͤrterten aber kein

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[189/0215] der Nazionen. die vereinigten Niederlande nebſt der ganzen Juͤlich- Cleviſchen Erbſchaft, und die Lidgenoſſenſchaft nebſt der Grafſchaft Burgund, Elfaß, Tyrol und Trident, ingleichen 2 ariſtokratiſche: Venedig nebſt der Inſel Sicilien und Florenz wozu Genua, Mantua, Parma und Modena, mit Beibehaltung ihrer beſondern Regier- ungsformen geſchlagen werden ſolten. Aus den Abge- ordneten dieſer Staaten waͤre ein Senat zuſammenge- ſetzt worden, der die gemeinſchaftlichen Angelegenheiten nach der Mehrheit der Stimmen beſorgt und entſchie- den haͤtte. Jedoch lagen nicht ſowohl die hieraus zu hoffenden gemeinnuͤtzigen Folgen, als vielmehr die Ab- ſicht, die damalige Macht des Hauſes Oeſterreich zu ſchwaͤchen, zum Grunde a]. Heinrich hatte bereits alle zu dieſen Behuf dienliche Anſtalten vorgekehrt und ſtand, bey Gelegenheit des Juͤlichſchen Succeſſionsfalls, eben im Begrif ſeine Kraͤfte zu verſuchen, als durch deſſen Ermordung dies ganze Vorhaben vereitelt ward. In der Folge haben verſchiedene Privatſchriftſteller, beſonders der beruͤhmte Abt St. Pierre und neuerlich ein Herr von Lilienfels, ein lieflaͤndiſcher Edelmann, wel- cher der Verfaſſer des Neuen Staatsgebaͤudes ꝛc. ſeyn ſoll, ienen Plan wieder in Vorſchlag gebracht und aus- zubilden geſucht. Die Hauptſache beruhet, nach dem Inhalt der letztern Schrift, ungefaͤhr darauf: Die Ge- ſetze, ſagt man, wornach freie Voͤlker ihre Handlungen gegen einander einrichten ſollen, ſind meiſtens ſehr ſchwankend. “Was Grotius, Barbeyrac, Puffendorf, Hobbes, Selden und die Neuern davon geſchrieben ha- ben, heißt es daſelbſt [1 Buch 3. Abth. §. 59. S. 130.] iſt zerſtreut, abweichend und erſchoͤpft nicht alles. Ihre Meinungen ſind keine Orakelſpruͤche. Sie ſind nicht durchgaͤngig practiſch und mit dem Buͤrgerrechte bekleidet. Sie haben nicht alle Faͤlle bemerkt, auch die bemerkten nicht gleich gruͤndlich eroͤrtert, den eroͤrterten aber kein Ge-

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/215>, abgerufen am 01.05.2024.