Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

stellen, alles Schmuckes und alles Nothwen¬
digen beraubt. Die nassen Koffer und Man¬
telsäcke wurden zu Sitzen gewählt, ein Theil
der müden Wanderer bequemten sich auf
dem Fußboden, Wilhelm hatte sich auf eini¬
ge Stufen gesetzt, Mignon lag auf seinen
Knieen; das Kind war unruhig, und auf
seine Frage was ihm fehlte? antwortete es:
mich hungert! Er fand nichts bey sich, um
das Verlangen des Kindes zu stillen, die
übrige Gesellschaft hatte sich auch aufgezehrt,
und er mußte die arme Kreatur ohne Er¬
quickung lassen. Er blieb bey dem ganzen
Vorfalle unthätig, still in sich gekehrt: denn
er war sehr verdrießlich und grimmig, daß
er nicht auf seinem Sinne bestanden und bey
dem Wirthshause abgestiegen sey; wenn er
auch auf dem obersten Boden hätte sein La¬
ger nehmen sollen.

Die übrigen gebährdeten sich jeder nach

ſtellen, alles Schmuckes und alles Nothwen¬
digen beraubt. Die naſſen Koffer und Man¬
telſäcke wurden zu Sitzen gewählt, ein Theil
der müden Wanderer bequemten ſich auf
dem Fußboden, Wilhelm hatte ſich auf eini¬
ge Stufen geſetzt, Mignon lag auf ſeinen
Knieen; das Kind war unruhig, und auf
ſeine Frage was ihm fehlte? antwortete es:
mich hungert! Er fand nichts bey ſich, um
das Verlangen des Kindes zu ſtillen, die
übrige Geſellſchaft hatte ſich auch aufgezehrt,
und er mußte die arme Kreatur ohne Er¬
quickung laſſen. Er blieb bey dem ganzen
Vorfalle unthätig, ſtill in ſich gekehrt: denn
er war ſehr verdrießlich und grimmig, daß
er nicht auf ſeinem Sinne beſtanden und bey
dem Wirthshauſe abgeſtiegen ſey; wenn er
auch auf dem oberſten Boden hätte ſein La¬
ger nehmen ſollen.

Die übrigen gebährdeten ſich jeder nach

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0054" n="46"/>
&#x017F;tellen, alles Schmuckes und alles Nothwen¬<lb/>
digen beraubt. Die na&#x017F;&#x017F;en Koffer und Man¬<lb/>
tel&#x017F;äcke wurden zu Sitzen gewählt, ein Theil<lb/>
der müden Wanderer bequemten &#x017F;ich auf<lb/>
dem Fußboden, Wilhelm hatte &#x017F;ich auf eini¬<lb/>
ge Stufen ge&#x017F;etzt, Mignon lag auf &#x017F;einen<lb/>
Knieen; das Kind war unruhig, und auf<lb/>
&#x017F;eine Frage was ihm fehlte? antwortete es:<lb/>
mich hungert! Er fand nichts bey &#x017F;ich, um<lb/>
das Verlangen des Kindes zu &#x017F;tillen, die<lb/>
übrige Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft hatte &#x017F;ich auch aufgezehrt,<lb/>
und er mußte die arme Kreatur ohne Er¬<lb/>
quickung la&#x017F;&#x017F;en. Er blieb bey dem ganzen<lb/>
Vorfalle unthätig, &#x017F;till in &#x017F;ich gekehrt: denn<lb/>
er war &#x017F;ehr verdrießlich und grimmig, daß<lb/>
er nicht auf &#x017F;einem Sinne be&#x017F;tanden und bey<lb/>
dem Wirthshau&#x017F;e abge&#x017F;tiegen &#x017F;ey; wenn er<lb/>
auch auf dem ober&#x017F;ten Boden hätte &#x017F;ein La¬<lb/>
ger nehmen &#x017F;ollen.</p><lb/>
            <p>Die übrigen gebährdeten &#x017F;ich jeder nach<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[46/0054] ſtellen, alles Schmuckes und alles Nothwen¬ digen beraubt. Die naſſen Koffer und Man¬ telſäcke wurden zu Sitzen gewählt, ein Theil der müden Wanderer bequemten ſich auf dem Fußboden, Wilhelm hatte ſich auf eini¬ ge Stufen geſetzt, Mignon lag auf ſeinen Knieen; das Kind war unruhig, und auf ſeine Frage was ihm fehlte? antwortete es: mich hungert! Er fand nichts bey ſich, um das Verlangen des Kindes zu ſtillen, die übrige Geſellſchaft hatte ſich auch aufgezehrt, und er mußte die arme Kreatur ohne Er¬ quickung laſſen. Er blieb bey dem ganzen Vorfalle unthätig, ſtill in ſich gekehrt: denn er war ſehr verdrießlich und grimmig, daß er nicht auf ſeinem Sinne beſtanden und bey dem Wirthshauſe abgeſtiegen ſey; wenn er auch auf dem oberſten Boden hätte ſein La¬ ger nehmen ſollen. Die übrigen gebährdeten ſich jeder nach

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/54
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/54>, abgerufen am 02.05.2024.