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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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fuhr Aurelie fort, zum Lichte des Verstandes
können wir immer gelangen; aber die Fülle
des Herzens kann uns niemand geben. Sind
Sie zum Künstler bestimmt; so können Sie
diese Dunkelheit und Unschuld nicht lange
genug bewahren; sie ist die schöne Hülle
über der jungen Knospe; Unglücks genug,
wenn wir zu früh herausgetrieben werden.
Gewiß es ist gut, wenn wir die nicht immer
kennen, für die wir arbeiten.

O! ich war auch einmal in diesem glück¬
lichen Zustande, als ich mit dem höchsten
Begrif von mir selbst und meiner Nation
die Bühne betrat. Was waren die Deut¬
schen nicht in meiner Einbildung, was konn¬
ten sie nicht seyn! Zu dieser Nation sprach
ich, über die mich ein kleines Gerüst erhob,
von welcher mich eine Reihe Lampen trennte,
deren Glanz und Dampf mich hinderte, die
Gegenstände vor mir genau zu unterscheiden.

fuhr Aurelie fort, zum Lichte des Verſtandes
können wir immer gelangen; aber die Fülle
des Herzens kann uns niemand geben. Sind
Sie zum Künſtler beſtimmt; ſo können Sie
dieſe Dunkelheit und Unſchuld nicht lange
genug bewahren; ſie iſt die ſchöne Hülle
über der jungen Knoſpe; Unglücks genug,
wenn wir zu früh herausgetrieben werden.
Gewiß es iſt gut, wenn wir die nicht immer
kennen, für die wir arbeiten.

O! ich war auch einmal in dieſem glück¬
lichen Zuſtande, als ich mit dem höchſten
Begrif von mir ſelbſt und meiner Nation
die Bühne betrat. Was waren die Deut¬
ſchen nicht in meiner Einbildung, was konn¬
ten ſie nicht ſeyn! Zu dieſer Nation ſprach
ich, über die mich ein kleines Gerüſt erhob,
von welcher mich eine Reihe Lampen trennte,
deren Glanz und Dampf mich hinderte, die
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[313/0322] fuhr Aurelie fort, zum Lichte des Verſtandes können wir immer gelangen; aber die Fülle des Herzens kann uns niemand geben. Sind Sie zum Künſtler beſtimmt; ſo können Sie dieſe Dunkelheit und Unſchuld nicht lange genug bewahren; ſie iſt die ſchöne Hülle über der jungen Knoſpe; Unglücks genug, wenn wir zu früh herausgetrieben werden. Gewiß es iſt gut, wenn wir die nicht immer kennen, für die wir arbeiten. O! ich war auch einmal in dieſem glück¬ lichen Zuſtande, als ich mit dem höchſten Begrif von mir ſelbſt und meiner Nation die Bühne betrat. Was waren die Deut¬ ſchen nicht in meiner Einbildung, was konn¬ ten ſie nicht ſeyn! Zu dieſer Nation ſprach ich, über die mich ein kleines Gerüſt erhob, von welcher mich eine Reihe Lampen trennte, deren Glanz und Dampf mich hinderte, die Gegenſtände vor mir genau zu unterſcheiden.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/322>, abgerufen am 24.11.2024.