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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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da ist es sehr natürlich, daß ich den Men¬
schen bis auf einen gewissen Grad habe ken¬
nen lernen, ohne die Menschen im mindesten
zu verstehen und zu begreifen.

Gewiß, sagte Aurelie, ich hatte Sie An¬
fangs in Verdacht, als wollten Sie uns zum
Besten haben, da Sie von den Leuten, die
Sie meinem Bruder zugeschickt haben, so
manches Gutes sagten, wenn ich Ihre Briefe
mit den Verdiensten dieser Menschen zusam¬
men hielt.

Die Bemerkung Aureliens, so wahr sie
seyn mochte, und so gern ihr Freund diesen
Mangel bey sich gestand, führte doch etwas
Drückendes, ja sogar Beleidigendes mit sich,
daß er still ward, und sich zusammen nahm,
theils um keine Empfindlichkeit merken zu
lassen, theils in seinem Busen nach der Wahr¬
heit dieses Vorwurfs zu forschen.

Sie dürfen nicht darüber betreten seyn,

da iſt es ſehr natürlich, daß ich den Men¬
ſchen bis auf einen gewiſſen Grad habe ken¬
nen lernen, ohne die Menſchen im mindeſten
zu verſtehen und zu begreifen.

Gewiß, ſagte Aurelie, ich hatte Sie An¬
fangs in Verdacht, als wollten Sie uns zum
Beſten haben, da Sie von den Leuten, die
Sie meinem Bruder zugeſchickt haben, ſo
manches Gutes ſagten, wenn ich Ihre Briefe
mit den Verdienſten dieſer Menſchen zuſam¬
men hielt.

Die Bemerkung Aureliens, ſo wahr ſie
ſeyn mochte, und ſo gern ihr Freund dieſen
Mangel bey ſich geſtand, führte doch etwas
Drückendes, ja ſogar Beleidigendes mit ſich,
daß er ſtill ward, und ſich zuſammen nahm,
theils um keine Empfindlichkeit merken zu
laſſen, theils in ſeinem Buſen nach der Wahr¬
heit dieſes Vorwurfs zu forſchen.

Sie dürfen nicht darüber betreten ſeyn,

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[312/0321] da iſt es ſehr natürlich, daß ich den Men¬ ſchen bis auf einen gewiſſen Grad habe ken¬ nen lernen, ohne die Menſchen im mindeſten zu verſtehen und zu begreifen. Gewiß, ſagte Aurelie, ich hatte Sie An¬ fangs in Verdacht, als wollten Sie uns zum Beſten haben, da Sie von den Leuten, die Sie meinem Bruder zugeſchickt haben, ſo manches Gutes ſagten, wenn ich Ihre Briefe mit den Verdienſten dieſer Menſchen zuſam¬ men hielt. Die Bemerkung Aureliens, ſo wahr ſie ſeyn mochte, und ſo gern ihr Freund dieſen Mangel bey ſich geſtand, führte doch etwas Drückendes, ja ſogar Beleidigendes mit ſich, daß er ſtill ward, und ſich zuſammen nahm, theils um keine Empfindlichkeit merken zu laſſen, theils in ſeinem Buſen nach der Wahr¬ heit dieſes Vorwurfs zu forſchen. Sie dürfen nicht darüber betreten ſeyn,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/321>, abgerufen am 24.11.2024.