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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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Nun erst fühlt er sich recht gebeugt, nun
erst verwaist, und kein Glück der Welt kann
ihm wieder ersetzen, was er verloren hat.
Nicht traurig, nicht nachdenklich von Natur,
wird ihm Trauer und Nachdenken zur schwe¬
ren Bürde. So sehen wir ihn auftreten.
Ich glaube nicht, daß ich etwas in das Stück
hineinlege, oder einen Zug übertreibe.

Serlo sah seine Schwester an, und sagte:
habe ich dir ein falsches Bild von unserm
Freunde gemacht? Er fängt gut an, und
wird uns noch manches vorerzählen und viel
überreden. Wilhelm schwur hoch und theuer,
daß er nicht überreden, sondern überzeugen
wolle, und bat nur noch um einen Augen¬
blick Geduld.

Denken Sie sich, rief er aus, diesen Jüng¬
ling, diesen Fürstensohn recht lebhaft, verge¬
genwärtigen Sie sich seine Lage, und dann
beobachten Sie ihn, wenn er erfährt, die

Nun erſt fühlt er ſich recht gebeugt, nun
erſt verwaiſt, und kein Glück der Welt kann
ihm wieder erſetzen, was er verloren hat.
Nicht traurig, nicht nachdenklich von Natur,
wird ihm Trauer und Nachdenken zur ſchwe¬
ren Bürde. So ſehen wir ihn auftreten.
Ich glaube nicht, daß ich etwas in das Stück
hineinlege, oder einen Zug übertreibe.

Serlo ſah ſeine Schweſter an, und ſagte:
habe ich dir ein falſches Bild von unſerm
Freunde gemacht? Er fängt gut an, und
wird uns noch manches vorerzählen und viel
überreden. Wilhelm ſchwur hoch und theuer,
daß er nicht überreden, ſondern überzeugen
wolle, und bat nur noch um einen Augen¬
blick Geduld.

Denken Sie ſich, rief er aus, dieſen Jüng¬
ling, dieſen Fürſtenſohn recht lebhaft, verge¬
genwärtigen Sie ſich ſeine Lage, und dann
beobachten Sie ihn, wenn er erfährt, die

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[277/0286] Nun erſt fühlt er ſich recht gebeugt, nun erſt verwaiſt, und kein Glück der Welt kann ihm wieder erſetzen, was er verloren hat. Nicht traurig, nicht nachdenklich von Natur, wird ihm Trauer und Nachdenken zur ſchwe¬ ren Bürde. So ſehen wir ihn auftreten. Ich glaube nicht, daß ich etwas in das Stück hineinlege, oder einen Zug übertreibe. Serlo ſah ſeine Schweſter an, und ſagte: habe ich dir ein falſches Bild von unſerm Freunde gemacht? Er fängt gut an, und wird uns noch manches vorerzählen und viel überreden. Wilhelm ſchwur hoch und theuer, daß er nicht überreden, ſondern überzeugen wolle, und bat nur noch um einen Augen¬ blick Geduld. Denken Sie ſich, rief er aus, dieſen Jüng¬ ling, dieſen Fürſtenſohn recht lebhaft, verge¬ genwärtigen Sie ſich ſeine Lage, und dann beobachten Sie ihn, wenn er erfährt, die

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/286>, abgerufen am 17.05.2024.