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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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als in den Proben zu sudeln, und sich bey
der Vorstellung auf Laune und gut Glück zu
verlassen? Wir sollten unser größtes Glück
und Vergnügen darin setzen, mit einander
übereinzustimmen, um uns wechselsweise zu
gefallen, und auch nur in so fern den Bey¬
fall des Publikums zu schätzen, als wir ihn
uns gleichsam unter einander schon selbst ga¬
rantirt hätten. Warum ist der Kapellmeister
seines Orchesters gewisser, als der Director
seines Schauspiels? Weil dort jeder sich sei¬
nes Mißgriffs, der das äußere Ohr beleidigt,
schämen muß; aber wie selten hab' ich einen
Schauspieler verzeihliche und unverzeihliche
Mißgriffe, durch die das innere Ohr so
schnöde beleidigt wird, anerkennen und sich
ihrer schämen sehen! Ich wünschte nur, daß
das Theater so schmal wäre, als der Draht
eines Seiltänzers, damit sich kein Ungeschick¬
ter hinauf wagte, anstatt daß jetzo ein jeder

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als in den Proben zu ſudeln, und ſich bey
der Vorſtellung auf Laune und gut Glück zu
verlaſſen? Wir ſollten unſer größtes Glück
und Vergnügen darin ſetzen, mit einander
übereinzuſtimmen, um uns wechſelsweiſe zu
gefallen, und auch nur in ſo fern den Bey¬
fall des Publikums zu ſchätzen, als wir ihn
uns gleichſam unter einander ſchon ſelbſt ga¬
rantirt hätten. Warum iſt der Kapellmeiſter
ſeines Orcheſters gewiſſer, als der Director
ſeines Schauſpiels? Weil dort jeder ſich ſei¬
nes Mißgriffs, der das äußere Ohr beleidigt,
ſchämen muß; aber wie ſelten hab’ ich einen
Schauſpieler verzeihliche und unverzeihliche
Mißgriffe, durch die das innere Ohr ſo
ſchnöde beleidigt wird, anerkennen und ſich
ihrer ſchämen ſehen! Ich wünſchte nur, daß
das Theater ſo ſchmal wäre, als der Draht
eines Seiltänzers, damit ſich kein Ungeſchick¬
ter hinauf wagte, anſtatt daß jetzo ein jeder

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[195/0203] als in den Proben zu ſudeln, und ſich bey der Vorſtellung auf Laune und gut Glück zu verlaſſen? Wir ſollten unſer größtes Glück und Vergnügen darin ſetzen, mit einander übereinzuſtimmen, um uns wechſelsweiſe zu gefallen, und auch nur in ſo fern den Bey¬ fall des Publikums zu ſchätzen, als wir ihn uns gleichſam unter einander ſchon ſelbſt ga¬ rantirt hätten. Warum iſt der Kapellmeiſter ſeines Orcheſters gewiſſer, als der Director ſeines Schauſpiels? Weil dort jeder ſich ſei¬ nes Mißgriffs, der das äußere Ohr beleidigt, ſchämen muß; aber wie ſelten hab’ ich einen Schauſpieler verzeihliche und unverzeihliche Mißgriffe, durch die das innere Ohr ſo ſchnöde beleidigt wird, anerkennen und ſich ihrer ſchämen ſehen! Ich wünſchte nur, daß das Theater ſo ſchmal wäre, als der Draht eines Seiltänzers, damit ſich kein Ungeſchick¬ ter hinauf wagte, anſtatt daß jetzo ein jeder N2

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/203>, abgerufen am 22.11.2024.