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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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Lob verdienen die Tonkünstler, wie sehr er¬
götzen sie sich, wie genau sind sie nicht, wenn
sie gemeinschaftlich ihre Übungen vornehmen.
Wie sind sie bemüht, ihre Instrumente über¬
einzustimmen, wie genau halten sie Takt,
wie zart wissen sie die Stärke und Schwäche
des Tons auszudrücken! Keinem fällt es ein,
sich bey dem Solo eines andern durch ein
vorlautes Accompagniren Ehre zu machen.
Jeder sucht in dem Geist und Sinne des
Componisten zu spielen, und jeder das, was
ihm aufgetragen ist, es mag viel oder wenig
seyn, gut auszudrücken.

Sollten wir nicht eben so genau und eben
so geistreich zu Werke gehen, da wir eine
Kunst treiben, die noch viel zarter als jede
Art von Musik ist, da wir die gewöhnlich¬
sten und seltensten Äusserungen der Mensch¬
heit geschmackvoll und ergötzend darzustellen
berufen sind? Kann etwas abscheulicher seyn,

Lob verdienen die Tonkünſtler, wie ſehr er¬
götzen ſie ſich, wie genau ſind ſie nicht, wenn
ſie gemeinſchaftlich ihre Übungen vornehmen.
Wie ſind ſie bemüht, ihre Inſtrumente über¬
einzuſtimmen, wie genau halten ſie Takt,
wie zart wiſſen ſie die Stärke und Schwäche
des Tons auszudrücken! Keinem fällt es ein,
ſich bey dem Solo eines andern durch ein
vorlautes Accompagniren Ehre zu machen.
Jeder ſucht in dem Geiſt und Sinne des
Componiſten zu ſpielen, und jeder das, was
ihm aufgetragen iſt, es mag viel oder wenig
ſeyn, gut auszudrücken.

Sollten wir nicht eben ſo genau und eben
ſo geiſtreich zu Werke gehen, da wir eine
Kunſt treiben, die noch viel zarter als jede
Art von Muſik iſt, da wir die gewöhnlich¬
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heit geſchmackvoll und ergötzend darzuſtellen
berufen ſind? Kann etwas abſcheulicher ſeyn,

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[194/0202] Lob verdienen die Tonkünſtler, wie ſehr er¬ götzen ſie ſich, wie genau ſind ſie nicht, wenn ſie gemeinſchaftlich ihre Übungen vornehmen. Wie ſind ſie bemüht, ihre Inſtrumente über¬ einzuſtimmen, wie genau halten ſie Takt, wie zart wiſſen ſie die Stärke und Schwäche des Tons auszudrücken! Keinem fällt es ein, ſich bey dem Solo eines andern durch ein vorlautes Accompagniren Ehre zu machen. Jeder ſucht in dem Geiſt und Sinne des Componiſten zu ſpielen, und jeder das, was ihm aufgetragen iſt, es mag viel oder wenig ſeyn, gut auszudrücken. Sollten wir nicht eben ſo genau und eben ſo geiſtreich zu Werke gehen, da wir eine Kunſt treiben, die noch viel zarter als jede Art von Muſik iſt, da wir die gewöhnlich¬ ſten und ſeltenſten Äuſſerungen der Menſch¬ heit geſchmackvoll und ergötzend darzuſtellen berufen ſind? Kann etwas abſcheulicher ſeyn,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/202>, abgerufen am 04.05.2024.