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Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.

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Elend ihr Anlass, wie auch die Markesaner ihre Kinder aus Hungersnoth tödteten und assen (Ellis 4, 328); allein das reicht weder für Polynesien noch für Südamerika aus. Meinicke meint nun (b, 59 bis 60), dass in Polynesien der Kindermord eingeführt sei, um die Reinheit des Blutes der Aristokratie zu erhalten. Er stützt diese Ansicht, für welche historische Gründe sich nicht aufstellen lassen, dadurch, dass, trotzdem der Kindermord bei allen Klassen der Bevölkerung vorkommt, er doch zu Tahiti zumeist von den Areois ausgeht, dass alle Kinder aus gemischten Ehen, die bei der förmlichen Berechtigung der Vornehmen zu jeglichem Lebensgenuss gar nicht zu vermeiden waren, getödtet wurden. "So mögen", fährt er S. 60 fort, "solche Kinder seit Jahrtausenden getödtet sein, ohne dass dies bei den körperlichen Vorzügen, die dergleichen Verbindungen mit Menschen niederen Standes nicht häufig gemacht haben werden und bei ihrer geringen Zahl grossen Einfluss gehabt haben wird. Aber mit der Zeit fing man an, Kinder auch zu tödten, um durch die Sorge, die sie erforderten, nicht an Ausschweifungen und Vergnügungen gehindert zu werden (wie es bei den Areois der Fall war), und endlich verbreitete sich die grauenvolle Sitte bloss durch den Einfluss der Mode, die auf den Südseeinseln so gut wie in anderen Erdtheilen die niederen Stände antreibt, Verkehrtheiten und selbst Laster der Vornehmen nachzuahmen, auch unter das Volk, wo sie in der Bequemlichkeit, Liederlichkeit, Armuth und den Beschwerden, die Kinder zu erziehen, mannigfache Unterstützung fand. Man sieht, dass der Kindermord so mit der Zeit stets zunehmen musste und wird hierin eine Hauptursache der erstaunlich raschen Abnahme der Bevölkerung zu suchen haben, wenn auch die Angaben der Missionäre über die Zahl der hingeopferten Kinder übertrieben sein sollten". Dies letztere ist nun zwar bei den mit bestimmten Zahlen angegebenen einzelnen Fällen und der genauen Uebereinstimmung der Angaben, welche die Missionäre machen, nicht wahrscheinlich*) wie denn Ellis ausdrücklich sagt, dass er Williams Angabe, 2/3 der Kinder seien getödtet, an Ort und Stelle geprüft und nicht übertrieben gefunden habe. Recht aber hat Meinicke darin, dass auch er diese Sitte für eine sehr alte ansieht.

Allein sonst ist seine Ansicht schwerlich richtig. Mag auch späterhin, und er hat es gewiss sehr reichlich gethan, der Unterschied zwischen Volk und Adel dem Kindermord weitere Ausdehnung verliehen haben; veranlasst hat er ihn gewiss nicht, wofür zunächst spricht, dass wir in Südamerika den Kindermord fast in ähnlicher Ausdehnung wie in Polynesien, jenen Standesunterschied aber nicht vorfanden. Aber auch für Polynesien allein wird es bedenklich, den letzteren als alleinige Ursache des ersteren anzusehen, wenn man

*) Obwohl auch Jarves 83 manche der Zahlen anzuzweifeln scheint.

Elend ihr Anlass, wie auch die Markesaner ihre Kinder aus Hungersnoth tödteten und assen (Ellis 4, 328); allein das reicht weder für Polynesien noch für Südamerika aus. Meinicke meint nun (b, 59 bis 60), dass in Polynesien der Kindermord eingeführt sei, um die Reinheit des Blutes der Aristokratie zu erhalten. Er stützt diese Ansicht, für welche historische Gründe sich nicht aufstellen lassen, dadurch, dass, trotzdem der Kindermord bei allen Klassen der Bevölkerung vorkommt, er doch zu Tahiti zumeist von den Areois ausgeht, dass alle Kinder aus gemischten Ehen, die bei der förmlichen Berechtigung der Vornehmen zu jeglichem Lebensgenuss gar nicht zu vermeiden waren, getödtet wurden. »So mögen«, fährt er S. 60 fort, »solche Kinder seit Jahrtausenden getödtet sein, ohne dass dies bei den körperlichen Vorzügen, die dergleichen Verbindungen mit Menschen niederen Standes nicht häufig gemacht haben werden und bei ihrer geringen Zahl grossen Einfluss gehabt haben wird. Aber mit der Zeit fing man an, Kinder auch zu tödten, um durch die Sorge, die sie erforderten, nicht an Ausschweifungen und Vergnügungen gehindert zu werden (wie es bei den Areois der Fall war), und endlich verbreitete sich die grauenvolle Sitte bloss durch den Einfluss der Mode, die auf den Südseeinseln so gut wie in anderen Erdtheilen die niederen Stände antreibt, Verkehrtheiten und selbst Laster der Vornehmen nachzuahmen, auch unter das Volk, wo sie in der Bequemlichkeit, Liederlichkeit, Armuth und den Beschwerden, die Kinder zu erziehen, mannigfache Unterstützung fand. Man sieht, dass der Kindermord so mit der Zeit stets zunehmen musste und wird hierin eine Hauptursache der erstaunlich raschen Abnahme der Bevölkerung zu suchen haben, wenn auch die Angaben der Missionäre über die Zahl der hingeopferten Kinder übertrieben sein sollten«. Dies letztere ist nun zwar bei den mit bestimmten Zahlen angegebenen einzelnen Fällen und der genauen Uebereinstimmung der Angaben, welche die Missionäre machen, nicht wahrscheinlich*) wie denn Ellis ausdrücklich sagt, dass er Williams Angabe, 2/3 der Kinder seien getödtet, an Ort und Stelle geprüft und nicht übertrieben gefunden habe. Recht aber hat Meinicke darin, dass auch er diese Sitte für eine sehr alte ansieht.

Allein sonst ist seine Ansicht schwerlich richtig. Mag auch späterhin, und er hat es gewiss sehr reichlich gethan, der Unterschied zwischen Volk und Adel dem Kindermord weitere Ausdehnung verliehen haben; veranlasst hat er ihn gewiss nicht, wofür zunächst spricht, dass wir in Südamerika den Kindermord fast in ähnlicher Ausdehnung wie in Polynesien, jenen Standesunterschied aber nicht vorfanden. Aber auch für Polynesien allein wird es bedenklich, den letzteren als alleinige Ursache des ersteren anzusehen, wenn man

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 Meinicke meint nun (b, 59 bis 60), dass in Polynesien der
 Kindermord eingeführt sei, um die Reinheit des Blutes der
 Aristokratie zu erhalten. Er stützt diese Ansicht, für
 welche historische Gründe sich nicht aufstellen lassen,
 dadurch, dass, trotzdem der Kindermord bei allen Klassen der
 Bevölkerung vorkommt, er doch zu Tahiti zumeist von den Areois
 ausgeht, dass alle Kinder aus gemischten Ehen, die bei der
 förmlichen Berechtigung der Vornehmen zu jeglichem
 Lebensgenuss gar nicht zu vermeiden waren, getödtet wurden.
 »So mögen«, fährt er S. 60 fort,
 »solche Kinder seit Jahrtausenden getödtet sein, ohne
 dass dies bei den körperlichen Vorzügen, die dergleichen
 Verbindungen mit Menschen niederen Standes nicht häufig
 gemacht haben werden und bei ihrer geringen Zahl grossen Einfluss
 gehabt haben wird. Aber mit der Zeit fing man an, Kinder auch zu
 tödten, um durch die Sorge, die sie erforderten, nicht an
 Ausschweifungen und Vergnügungen gehindert zu werden (wie es
 bei den Areois der Fall war), und endlich verbreitete sich die
 grauenvolle Sitte bloss durch den Einfluss der Mode, die auf den
 Südseeinseln so gut wie in anderen Erdtheilen die niederen
 Stände antreibt, Verkehrtheiten und selbst Laster der
 Vornehmen nachzuahmen, auch unter das Volk, wo sie in der
 Bequemlichkeit, Liederlichkeit, Armuth und den Beschwerden, die
 Kinder zu erziehen, mannigfache Unterstützung fand. Man sieht,
 dass der Kindermord so mit der Zeit stets zunehmen musste und wird
 hierin eine Hauptursache der erstaunlich raschen Abnahme der
 Bevölkerung zu suchen haben, wenn auch die Angaben der
 Missionäre über die Zahl der hingeopferten Kinder
 übertrieben sein sollten«. Dies letztere ist nun zwar
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 Kindermord fast in ähnlicher Ausdehnung wie in Polynesien,
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[0071] Elend ihr Anlass, wie auch die Markesaner ihre Kinder aus Hungersnoth tödteten und assen (Ellis 4, 328); allein das reicht weder für Polynesien noch für Südamerika aus. Meinicke meint nun (b, 59 bis 60), dass in Polynesien der Kindermord eingeführt sei, um die Reinheit des Blutes der Aristokratie zu erhalten. Er stützt diese Ansicht, für welche historische Gründe sich nicht aufstellen lassen, dadurch, dass, trotzdem der Kindermord bei allen Klassen der Bevölkerung vorkommt, er doch zu Tahiti zumeist von den Areois ausgeht, dass alle Kinder aus gemischten Ehen, die bei der förmlichen Berechtigung der Vornehmen zu jeglichem Lebensgenuss gar nicht zu vermeiden waren, getödtet wurden. »So mögen«, fährt er S. 60 fort, »solche Kinder seit Jahrtausenden getödtet sein, ohne dass dies bei den körperlichen Vorzügen, die dergleichen Verbindungen mit Menschen niederen Standes nicht häufig gemacht haben werden und bei ihrer geringen Zahl grossen Einfluss gehabt haben wird. Aber mit der Zeit fing man an, Kinder auch zu tödten, um durch die Sorge, die sie erforderten, nicht an Ausschweifungen und Vergnügungen gehindert zu werden (wie es bei den Areois der Fall war), und endlich verbreitete sich die grauenvolle Sitte bloss durch den Einfluss der Mode, die auf den Südseeinseln so gut wie in anderen Erdtheilen die niederen Stände antreibt, Verkehrtheiten und selbst Laster der Vornehmen nachzuahmen, auch unter das Volk, wo sie in der Bequemlichkeit, Liederlichkeit, Armuth und den Beschwerden, die Kinder zu erziehen, mannigfache Unterstützung fand. Man sieht, dass der Kindermord so mit der Zeit stets zunehmen musste und wird hierin eine Hauptursache der erstaunlich raschen Abnahme der Bevölkerung zu suchen haben, wenn auch die Angaben der Missionäre über die Zahl der hingeopferten Kinder übertrieben sein sollten«. Dies letztere ist nun zwar bei den mit bestimmten Zahlen angegebenen einzelnen Fällen und der genauen Uebereinstimmung der Angaben, welche die Missionäre machen, nicht wahrscheinlich *) wie denn Ellis ausdrücklich sagt, dass er Williams Angabe, 2/3 der Kinder seien getödtet, an Ort und Stelle geprüft und nicht übertrieben gefunden habe. Recht aber hat Meinicke darin, dass auch er diese Sitte für eine sehr alte ansieht. Allein sonst ist seine Ansicht schwerlich richtig. Mag auch späterhin, und er hat es gewiss sehr reichlich gethan, der Unterschied zwischen Volk und Adel dem Kindermord weitere Ausdehnung verliehen haben; veranlasst hat er ihn gewiss nicht, wofür zunächst spricht, dass wir in Südamerika den Kindermord fast in ähnlicher Ausdehnung wie in Polynesien, jenen Standesunterschied aber nicht vorfanden. Aber auch für Polynesien allein wird es bedenklich, den letzteren als alleinige Ursache des ersteren anzusehen, wenn man *) Obwohl auch Jarves 83 manche der Zahlen anzuzweifeln scheint.

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Zitationshilfe: Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/71>, abgerufen am 23.11.2024.