ÜBER
DAS AUSSTERBEN
DER
NATURVÖLKER
VON
D R . GEORG GERLAND ,
LEHRER AM KLOSTER U. L. FR. ZU MAGDEBURG.
LEIPZIG ,
VERLAG VON FRIEDRICH FLEISCHER .
1868 .
SEINER EXCELLENZ
DEM
HERRN GEHEIMEN RATH
H. C. VON DER GABELENTZ .
Vorwort .
Die Frage nach dem Aussterben der Naturvölker ist bis jetzt
nur gelegentlich und nicht mit der Ausführlichkeit behandelt ,
welche die Wichtigkeit der Sache wohl verlangen kann . Am genauesten
ist Waitz auf sie eingegangen in seiner Anthropologie der
Naturvölker Bd. 1 , 158-186 ; aber da auch er sie nur
anhangsweise bespricht und in dem Zusammenhang seines Werkes nicht
mehr als nur die Hauptgesichtspunkte angeben konnte und wollte ; da
er ferner manches nur andeutet oder ganz übergeht , was von
grosser Wichtigkeit ist , so erscheint es durchaus nicht
überflüssig , die Gründe für dies
» räthselhafte « Hinschwinden selbständig und
möglichst genau von neuem zu erörtern . Namentlich die
psychologische Seite des Gegenstandes hat man bisher über die
Gebühr vernachlässigt ; sie wird deshalb in den folgenden
Blättern besonders betont werden müssen .
Das Material zur Beantwortung der Frage , die uns
beschäftigen soll , findet sich zerstreut in einer grossen
Menge von Reisebeschreibungen , ethnographischen und
anthropologischen Werken . Da es mir aber darauf ankam , einmal
— denn nur strengste Empirie kann uns bei unserer Frage
fördern — meine Sätze durch getreue Quellenangabe
zu stützen , und andererseits , dass die angeführten Citate
nicht allzuschwer zugänglich seien , um nachgeschlagen werden
zu können , so habe ich mich , wo es möglich war , auf Werke
gestützt , die weiter verbreitet sind , und den Quellennachweis
nur da weggelassen , wo das Gesagte in allen Reisewerken sich
gleichmässig findet . Dass
ich das schon erwähnte
ausgezeichnete Werk meines nur allzufrüh verstorbenen Lehrers
Waitz , die Anthropologie der Naturvölker , sehr reichlich
benutzt habe , wird man nicht tadeln ; man findet dort die oft sehr
schwer zugänglichen Quellen in kritischer Auswahl beisammen
— und wozu werden solche grundlegenden Werke geschrieben ,
wenn man nicht auf ihnen weiterbaut ?
Ich stelle hier der Uebersicht und des bequemeren Citirens wegen
die Werke zusammen , welche ich als Belege benutzt habe , ohne die
mit anzuführen , welche nicht öfters citirt sind . Einige ,
welche ich gern gehabt hätte , sind mir unzugänglich
geblieben .
Angas , Savage life in Australia and N. Zealand . London
1847 .
Australia felix . Berlin 1849 .
Azara , Reise nach Südamerika in den Jahren 1781-1801
( Magazin der merkw. neuen Reisen. Bd. 31. Berlin 1810 ) .
Bartram , Reisen durch Karolina , Georgien und Florida 1773 . ( eb.
10. Band ) . Berlin 1793 .
Beechey , Narrative of a voyage to the Pacific ( 1825-28 ) . London
1831 .
Behm , Geographisches Jahrbuch . 1. Theil 1866 . Gotha 1866 .
Bennett , Narr . of a whaling round the globe 1833-36. London
1840.
v. Bibra , Schilderung der Insel Vandiemensland bearbeitet v.
Röding . Hamburg 1823 .
Bougainville , Reise um die Welt 1766-69. Leipzig 1772 .
Bratring , Die Reisen der Spanier nach der Südsee . Berlin
1842 .
Breton Excursions in N. S. Wales , W. Australia and V.
Diemensland . London 1833 .
Browne , N. Zealand and its aborigines . London 1845 .
Carus , Ueber ungleiche Befähigung der verschiedenen
Menschheits-Stämme . Leipzig 1849 .
v. Chamisso , Bemerkungen und Ansichten auf einer
Entdeckungsreise ( 1815-18 ) . Weimar 1821 .
Cheyne , a description of islands in the Western Pacif . Ocean
etc. London 1852 .
Cook , 3te Entdeckungsreise in die Südsee und nach dem
Nordpol . 2. Bd. Berl. 1789 . — id. b , 1ste Entdeckungsreise
bei Schiller .
Darwin , Naturwissenschaftliche Reise , übersetzt von
Dieffenbach , Braunschw. 1844 .
Dieffenbach , Travels in N. Zealand . London 1843 .
Dillon , Narrative of a voyage in the South Sea . London
1839 .
Dumont d' Urville , a , Voyage de l' Astrolabe . Paris 1830 . id. b ,
Voy . au Pole Sud . Paris 1841 .
Ellis , Polynesian Researches . London 1831 .
Erskine , Journal of a cruise among the Islands of the Western
Pacific . London 1853 .
Finsch , N. Guinea und seine Bewohner . Bremen 1865 .
Freycinet , Voyage autour du monde ( 1817-20 ) . Paris 1827.
P. Mathias G*** , Lettres sur les îles Marquises . Pasis
1843 .
Gill , Gems from the Coral Islands . London 1855 .
le Gobien , Histoire des Isles Marianes . Paris 1701 .
Grey , Journals of two expedit . in NW and W. Australia
( 1837-39 ) . London 1841 .
Gulick , Micronesia , Nautical Magazin 1862 .
Hale , Ethnographie and Philol. ( Unit . States exploring
expedition ) . Philadelphia 1846 .
Hearne , Reise von der Hudsonsbay bis zum Eismeere ( 1769-1772 ) .
Magaz. v. Reisebeschreibungen . 14. Bd. Berlin 1797.
v. Hochstetter , Neuseeland . Stuttgart 1863 .
Howitt , Impressions of Australia felix . London 1845 . id. a ,
Abenteuer in Australien . Berlin 1856 .
A. v. Humboldt , a ) Versuch über den politischen Zustand
des Königreichs Neuspanien . Tübingen 1809 .
b ) Reise in die Aequinoktialgegenden des neuen Continentes ,
deutsch v. Hauff . Stuttgart 1861 .
c ) Ansichten der Natur . 3. Aufl. Stuttgart u. Augsburg
1859 .
Jarves , History of the Haw . or Sandw . Islands . London
1843 .
v. Kittlitz , Denkwürdigkeiten auf einer Reise nach d.
russ. Amerika , Mikronesien u. Kamtschatka ( 1826 etc. ) . Gotha
1858.
v. Kotzebue , Entdeckungsreise in die Südsee und nach der
Behringsstrasse ( 1815-18 ) . Weimar 1821 .
Krusenstern , Reise um die Welt ( 1803-6 ) . Berlin 1811 .
v. Langsdorff , Bemerkungen auf seiner Reise um die Welt
( 1803-7 ) . Frankfurt 1812 .
La Pérouse , Entdeckungsreise 1785 . Magazin von
Reisebeschr. Band 16. 17. Berlin 1799 f.
v. Lessep , Reise durch Kamtschatka und Sibirien , Magaz. v.
Reisebeschr. 4. Berlin 1791 .
Lichtenstein , Reise in Südafrika ( 1803-6 ) . Berlin
1812 .
Lutteroth , Geschichte der Insel Tahiti , deutsch v. Bruns.
Berlin 1843 ,
Mariner , Tonga Islands . London 1818 .
Meinicke , a ) Das Festland v. Australien . Prenzlau 1837 .
b ) Die Südseevölker u. das Christenthum . Prenzlau
1844 .
c ) Australien in Wappäus Handbuch der Geographie und
Statistik . 7. Aufl. 2. Bd. 2. Nachtr. Leipzig 1866 .
Melville , Vier Monate auf den Marquesas-Inseln . Leipzig 1847 .
Id. b , the present state of Australia . London 1851 .
Moerenhont , Voyage aux îles du grand Ocean . Paris
1837 .
Nieuw Guinea , ethnogr . en natuurk . onderzocht in 1858 door een
Nederl. Ind. Commiss. Amst. 1862 .
Nixon , The cruise of the Beacon . London 1857 .
Novara , Reise der österr. Fregatte ( 1857-59 ) . Wien
1861 .
Ohmstedt , Incidents of a whaling voyage. N. York 1841 .
Petermann , Mittheilungen u. s. w. a. d. Gesammtgebiet d.
Geographie .
Pöppig , Artikel Indier bei Ersch u. Gruber . 2. S. B. 17.
1840 .
Remy , Hist . de l' Arch. Hawaiien , texte et traduction . Paris et
Leipzig 1862 .
Salvado , Memorie storiche dell' Australia , part. della miss .
benedettina . Roma 1851 .
Schomburgk , Reisen in Britisch-Guiana 1840-44. Leipzig
1848 .
Sparmann , Reise nach d. Vorgebirge der guten Hoffn. 1772-76.
Berlin 1784 .
Stewart , Journal of a residence in the Sandwich isl. ( 1823-25 ) .
London 1828 .
Taylor , The Ika a Maui or N. Zealand and its inhabitants .
London 1855 .
Thomson , The story of N. Zealand . London 1859 .
Thunberg , Reisen in Afrika und Asien 1772-79 im Mag. d. Reis .
7. Bd. Berlin 1792.
v. Tschudi , Reisen durch Südamerika . Leipzig 1866 .
Turnbull , Reise um die Welt 1800-1804 , Magaz. v. Reisebeschr.
Bd. 27. Berlin 1806 .
Turner , Nineteen years in Polynesia . London 1861 .
Tyermann and Bennet , Journal of voy. in the S. Sea islands .
London 1831 .
Vankouver , Reisen nach d. nördl. Theile der Südsee
( 1790-95 ) . Magaz. v. Reisebeschr. Bd. 18. 19. Berlin 1799 f.
Virgin , Erdumsegelung der Fregatte Eugenie ( 1831-33 ) ,
übers. v. Etzel . Berlin 1856 .
Waitz , Anthropologie der Naturvölker. Leipzig 1859 f. id.
b , Die Indianer Nordamerikas . Leipzig 1865 .
Williams , a Narrat . of Missionary enterprises in the South Sea
Islands . London 1837 .
Williams and Calvert , Fiji and the Fijians ed. by Rowe. Lond.
1858 .
Wilson , Missionsreise ins südl. stille Meer 1796-98 ,
Magaz . von Reisebeschr. Bd. 21. Berlin 1800 .
Zeitschrift für allgemeine Erdkunde , neue Folge .
Inhalt .
Vorwort . Quellen V
§ 1.
Einleitung . Umfang des Aussterbens 1
§ 2. Empfänglichkeit der Naturvölker für
Miasmen . Krankheiten , welche spontan bei der Zusammenkunft der
Natur- und Kulturvölker entstehen 8
§ 3.
Direkt eingeschleppte Krankheiten 15
§
4. Behandlung der Kranken bei den Naturvölkern 20
§
5. Geringe Sorgfalt der Naturvölker für ihr leibliches
Wohl 24
§ 6. Charakter der
Naturvölker 36
§ 7.
Ausschweifungen der Naturvölker 39
§ 8.
Unfruchtbarkeit . Künstlicher Abortus . Kindermord 48
§ 9. Krieg und
Kannibalismus 61
§ 10.
Menschenopfer 73
§ 11. Verfassung und
Recht 79
§ 12.
Natureinflüsse 82
§ 13. Aeussere Einflüsse der höheren Kultur auf die
Naturvölker 84
§ 14.
Psychische Einwirkungen der Kultur 89
§ 15. Schwierigkeit für die Naturvölker , die moderne
Kultur sich anzueignen 95
§ 16. Behandlung der Naturvölker durch die Weissen .
Afrika . Amerika 98
§ 17.
Fortsetzung . Der stille Ozean 108
§ 18. Geographische Vertheilung der einzelnen Gründe
für das Aussterben der Naturvölker . Vergleichung dieser
Gründe in Bezug auf ihr Gewicht 115
§ 19. Vergleichung der Natur- und Kulturvölker in Bezug
auf ihre Lebenskraft 122
§
20. Aussterbende und ausdauernde Naturvölker 125
§ 21 . Die
afrikanischen Neger 132
§ 22. Folgerungen aus der Art , wie die Naturvölker von
den Kultur behandelt sind 134
§ 23.
Zukunft der Naturvölker ; Mittel sie zu heben 138
§ 24. Werth der Naturvölker für die Menschheit
und ihre Entwickelung . Schluss 142
§ 1. Einleitung . Umfang des Aussterbens .
Die Erscheinung , dass eine Reihe von Völkern vor unseren
Augen durch langsameres oder rascheres Hinschwinden ihrem Untergang
entgegengeht , ist eine überaus wichtige . Dass sie für die
Geschichtsforschung grosse Bedeutung hat , leuchtet ohne weiteres
ein ; dass sie für die Naturgeschichte des Menschen , die
Anthropologie entscheidend ist , ebenfalls . Und wenn es sich als
wahr bestätigt , dass , wie man behauptet hat , diese Völker
aus einer Lebensunfähigkeit , welche ihrer Natur anhaftet , dem
Aufhören entgegengehen ; so ist , da die nothwendige Folgerung
jener Behauptung dahin führt , dass man verschiedene Arten ,
höhere und niedere im Geschlecht Mensch annimmt , die
Beantwortung dieser Frage auch für die Philosophie massgebend .
Praktisch hat man sie von jeher in den Staaten betont , wo Weisse
mit Farbigen zusammenleben ; wie man eben die Theorie der geringeren
Lebensfähigkeit nicht weisser Raçen zuerst in diesen
Staaten aufgestellt hat .
Und allerdings ist es auffallend , dass nur farbige Raçen
dies Hinschwinden zeigen und am meisten es da zeigen , wo sie mit
der weissen in Berührung gekommen sind ; dass die Weissen ,
obwohl sie doch ihre Heimat , das gewohnte Klima u. s. w. aufgegeben
haben und in unmittelbarer Berührung mit denen leben , welche
in ihrem Vaterlande , scheinbar unter den alten Lebensbedingungen ,
verkommen , gänzlich davon verschont zu sein scheinen .
Während wir nun dies Hinschwinden hauptsächlich bei
den kulturlosen Raçen , bei den Naturvölkern , d. h. bei
den Völkern finden , welche dem Naturzustande des
Menschengeschlechtes noch verhältnissmässig nahe stehen
( Waitz 1 , 346 ) , oder bei welchen , um mit Steinthal zu reden , noch
keine bedeutende Entwickelung der logischen Fähigkeiten
stattgefunden hat : so sehen wir es doch ebenfalls auch da , wo
farbige Raçen sich zur Kultur und sogar zu einer gewissen
Höhe der Kultur emporgeschwungen haben , in Polynesien , in
Mexiko , in Peru , und man hat daher geschlossen , einmal dass diese
Kultur doch nur Halbkultur und wenig bedeutend gewesen sei , denn
wäre sie wahr und ganz gewesen , so würde sie
grössere Kraft verliehen haben :
oder aber , dass bestimmte
Raçen , auch wenn sie sich wirklich über das Niveau der
gewöhnlichen » Wilden « erhoben hätten , dennoch
einem frühen Tode entgegengingen , weil sie nun eben von der
Natur zum Aussterben bestimmt seien , weil es ihnen eben , in Folge
ihrer Raçeneigenthümlichkeit , an Lebensfähigkeit
fehle , welche keine Kultur ersetzen könne : vielmehr decke jede
Art von Kultur diesen Mangel nur um so mitleidsloser auf .
Allerdings gibt es auch farbige Raçen und Naturvölker ,
bei welchen an ein Aussterben nicht zu denken ist ; und andererseits
sind auch Theile von Kulturvölkern , indogermanische ,
semitische Stämme verschwunden und ausgestorben . Allein bei
letzteren redet man nicht von einer geringeren
Lebensfähigkeit , einmal wegen der Verwandtschaft dieser
Stämme mit den anerkannt lebensfähigsten Völkern der
Welt ; andererseits auch wegen der Art ihres Verschwindens . Denn der
Grund , warum sie aufgehört haben zu existiren , liegt klar auf
der Hand ; theils sind sie durch Krieg vernichtet , wie so viele
Völker , welche mit dem alten Rom kämpften , theils sind
sie mit anderen Kulturvölkern , die sie rings umgaben ,
verschmolzen , wie die Gothen , die Vandalen , theils trat beides
zugleich ein : die höhere Kulturstufe , welche sie besiegte ,
nahm die besiegten Reste in sich auf , wie die alten Preussen , die
Wenden und so viele slavische Völkerschaften durch und in
Deutschland , die Iberer , die Kelten durch und in das römische
Wesen verschwanden . So war auch zweifelsohne das Loos der
Völker , welche vor der Einwanderung der Indogermanen Europa
inne hatten . Anders aber ist das Hinschwinden der Naturvölker :
wo sie mit höherer Kultur zusammenkommen , auch da , wo diese
letztere sich friedlich gegen sie verhält , sehen wir sie von
Krankheiten ergriffen werden , ihr physisches und psychisches
Vermögen versiechen , und ihre Zahl , oft ausserordentlich
rasch , sich vermindern . Allerdings sind auch einzelne
Naturvölker aufgerieben oder doch stark vermindert durch ganz
äusserliche und leicht begreifliche Gründe : so namentlich
viele malaiische Stämme , welche durch nachrückende
verwandte Völker ins Gebirge zurückgedrängt und
dabei gewiss ebenso so stark vermindert worden sind , als durch ihr
gleiches Schicksal die Basken in Europa , während sie in ihren
Bergen sich in ziemlich gleichbleibender Anzahl halten ; so die
Bewohner der Warekauri-( Chatam- ) Inseln bei Neu-Seeland , die
Moreore . welche 1832-35 noch 1500 etwa betrugen , durch die
Neu-Seeländer aber , die in jenen Jahren einen Zug nach den
Warekauriinseln unternahmen , fast ganz ausgerottet sind , so dass
ihre Zahl jetzt nur noch 200 beträgt : und auch diese nehmen ,
durch Assimilation an die eingewanderten Maoris rasch ab ( Travers
bei Peterm . 1866 , 62 ) . Auch müssen wir hier die schwarze
Urbevölkerung Vorderindiens , die dekhanischen und
Vindhyavölker erwähnen , weil auch sie nach Lassen ( ind.
Alterthumskunde 1 , 390 ) allmählich abnehmen . Früher waren
sie weiter ausgebreitet und
einzelne Reste von ihnen scheinen sich
( Lassen a.a.O. 387 ff. ) in Himalaya , in Belutschistan , Tübet
und sonst erhalten zu haben . Sie wurden durch die
nachrückenden arischen Inder und gewiss nicht friedlich in die
Gebirge zurückgedrängt ( Lassen 366 ) , wo sie nun theils im
barbarischen Zustande weiter lebten , theils aber , und so namentlich
die südlicheren Dekhanvölker , in die indische Kultur
übergingen ( Lassen 364. 371 ) . Ein ähnliches Schicksal
hatten verschiedene amerikanische Stämme , die von anderen
mächtigeren Indianervölkern theils aufgerieben , theils
sich einverleibt wurden ; auch wird von einzelnen
Hottentottenvölkern eine ähnliche Vermischung mit
Kafferstämmen erwähnt ( Waitz 2 , 318 ) .
Doch scheinen auch manche Völker vermindert oder gar
verschwunden , ohne es in Wirklichkeit zu sein . Ein solcher Schein
ist hervorgerufen , wie Waitz 1 , 159-160 zeigt , theils durch
Umänderung von Namen , wo man nun fälschlich annahm , weil
der Name nicht mehr existire , so sei auch das Volk erloschen , oder
durch Irrthümer der Reisenden , indem sie manche Namen zu weit
ausdehnen , andere aber auf völligem Missverständniss
beruhen , oder durch falsche Schätzung der Volkszahl , wie man
sie oft sehr übertrieben , namentlich bei älteren
Reisenden , z. B. für Polynesien bei Cook , findet u. dergl .
Ehe wir nun aber die Gründe für jenes weniger leicht
zu erklärende Hinschwinden der Naturvölker aufsuchen ,
müssen wir den Umfang desselben betrachten , wobei wir ausser
Europa alle Welttheile zu berücksichtigen haben .
In Asien sterben aus oder sind schon ausgestorben die
Kamtschadalen und so rasch ging ihre Verminderung vor sich , das
Langsdorff ( 1803-4 , Krusensterns Begleiter ) Ortschaften , welche die
Cooksche Expedition und La Perouse noch wohl bevölkert sahen ,
völlig menschenleer fand . Wenn La Perouse 1787 auf der
Halbinsel im ganzen noch 4000 Bewohner fand ( 2,166 ) , so sind die
russischen Einwanderer in dieser Zahl , bei der trotzdem auf mehrere
Quadratmeilen kaum ein Mensch kommt , schon einbegriffen . Denn Cooks
Reisebegleiter ( 1780 ) fanden , nach den Mittheilungen eines dort
ansässigen Offiziers in Kamtschatka nur noch 3000 Einwohner ,
wobei die Kurilen schon mitgerechnet sind ; sie erzählen
selbst , wie sich die Eingeborenen immer mehr mit den einwandernden
Russen verbinden und ihre Zahl dadurch immer mehr abnimmt ( Cook 3.
R. 4 , 175 ) . La Perouses Reisegefährte Lessep ( 41 ) behauptet ,
dass nur noch ein Viertel der eigentlichen Kamtschadalen übrig
sei ; und er war noch nicht ein volles Jahrhundert nach der ersten
Unternehmung der Russen ( 1696 ) gegen Kamtschatka dort . Dasselbe
Schicksal haben ausser den Jakuten und Jukagiren in Sibirien Waitz ,
( 1 , 164 ) auch die Aleuten auf den Fuchsinseln und die ihnen
verwandten Stämme auf den nächsten Küsten von
Amerika , die wir
hier gleich erwähnen , weil auch sie wie die
Kamtschadalen unter demselben Drucke Russlands stehen . Langsdorff
fand auf den Fuchsinseln nur gegen 300 Männer , während er
für 1796 1300 und für 1783-87 gar 3000 und mehr angibt .
Das Steigen der Zahlen , welches wir im Anfang dieses Jahrhunderts
finden , ist keineswegs tröstlich . Denn wenn Chamisso ( 177 ,
zweite Note ) nach aktenmässigen Mittheilungen für 1806
die Aleuten der Fuchsinseln auf 1334 Männer und 570 Frauen ,
1817 dagegen auf 462 Männer und 584 Frauen angibt , so versieht
er erstlich diese allerdings auffallenden Zahlen selbst mit einem
Fragezeichen ; und zweitens , wenn sie auch richtig sind , Langsdorff
sich geirrt und die Volkszahl sich nicht durch russische
Einwanderer vermehrt hat : das Sinken der Bevölkerung von
1806-1817 ist gewiss eben so arg als wie wir es bei Langsdorff
geschildert finden . Der offizielle Bericht von 1860 bei Peterm .
1863 , 70 gibt 4645 Bewohner der Fuchsinseln an : allein hier sind
jedenfalls die Russen , welche jetzt auf den Inseln ansässig
sind , mitgezählt , obwohl die Mischlinge , 1896 Seelen , noch
besonders angegeben werden und diese Vermehrung , welche sich auf
Kamtschatka gleichmässig findet , ist nur eine scheinbare .
Bekannt ist das Aussterben der Ureinwohner Amerikas , deren Zahl
man in Nordamerika für die Zeit der Entdeckung etwa auf 16
Millionen , jetzt kaum noch 2 Millionen schätzt ( Waitz b , 16 ) .
1864 betrug die Zahl der Indianer in den Vereinigten Staaten etwa
275,000 ; 1860 zählte man noch 294,431 ; 1841 aber , auf
kleinerem Gebiete 342,058 Seelen , so dass sich also hier in 23
Jahren ein Verlust von nahezu 70,000 Menschen herausstellt ( eb.
18 ) . Noch geringere Zahlen gibt Behm ( 105 ff. ) an , nämlich
268,000 unabhängige Indianer für die Vereinigten Staaten ,
155,000 für britisch Nordamerika . Und während d' Orbigny
( 1838 ) für den von ihm bereisten grösseren Theil von
Südamerika 1,685,127 Indianer zählte ( Waitz b , 16 ) . so
stellt Behm auch hier geringere Zahlen auf : Brasilien hat nach ihm
( a.a.O. ) 500,000 unabhängige Indianer , die drei Guyanas 9770 ,
Venezuela 52,400 , Neu-Granada 126,000 , Ekuador 200,000 , Peru
400,000 , Bolivia 245,000 , Chile 10,000 , die Staaten der
argentinischen Republik 40,000 , Patagonien und Feuerland 30,000 ,
also zusammen 1,613,170 und zwar für ganz Südamerika . So
viel aber betrug allein die Bevölkerung von Chile zur Zeit der
Entdeckung ( Pöppig 385 Anmerkung ) nach einer der kleinsten
Annahmen . Mittelamerika hatte um 1800 zwei und eine halbe Million
unvermischter Ureinwohner und diese Zahl war im Wachsen ( Humboldt a
1 , 107 ) ; aber zur Zeit der Entdeckung betrug die Volkszahl in
Tenuchtitlan , der alten Hauptstadt von Mexiko und dem ihm nahe
gelegenen Tezkuko allein nach mittleren Angaben fast eine Million
und das Land war dicht bedeckt mit grossen und volkreichen
Städten . Behm nimmt als jetzige unabhängige
Urbevölkerung nur 6000 an ( a.a.O. ) , eine Zahl , welche gegen
Humboldts Angaben ausserordentlich gering ist : allein Behm
schätzt hier nur die Indianer ab , » welche sich den
Behörden vollständig entziehen « , während
Humboldt auch die Eingeborenen mitbegreift , welche sich am
europäischen Leben so gut wie die spanischen Mexikaner
betheiligen. Behm ( 114 ) schätzt diese auf 4,800,000 .
Natürlich geht dies Aussterben auch jetzt noch weiter ,
wofür v. Tschudi 2 , 216 ein Beispiel gibt : die Malalies , ein
araukanischer Stamm , 1787 noch über 500 Individuen stark ,
schmolzen in jener Zeit durch Kriege auf 26 Seelen zusammen . Obwohl
sie nun 70 Jahre lang ansässig sind und ungefährdet
gelebt haben , ist ihre Zahl doch nicht höher als auf einige
über dreissig gestiegen .
In Afrika sind es die Hottentotten zunächst , welche in den
Kreis unserer Betrachtung hineingehören . Während sie
früher sich weit hin in das Innere von Südafrika
ausdehnten und in eine zahlreiche Menge von einzelnen Stämmen
zerfielen , finden wir sie jetzt auf sehr viel kleinerem Gebiete und
aufgerieben bis auf 3 Stämme , die Korana , Namaqua und Griqua
( Waitz 2 , 317 ff. ) , deren Zahl fortwährend im Fallen ist . Auch
die Kaffern müssen hier erwähnt werden , denn im brittisch
Kafraria hat sich 1857 die Bevölkerung um mehr als die
Hälfte vermindert : sie betrug am Anfang des Jahres 104,721
Seelen und am Ende desselben nur noch 52,186 ( Peterm . 1859 S. 79
nach dem Population Return v. John Maclean Chief Commissioner ) :
nach Behm jedoch ( 100 ) 1861 74,648 Eingeborene .
Es bleibt uns nun noch Australien und Ozeanien zu betrachten
übrig , wo an vielen Orten die Bevölkerung rasch
hinschwindet , so namentlich in Neuholland . Doch ist es gerade
für dies Land schwer , ja ganz unmöglich , Zahlen
aufzustellen , weil die Stämme fortwährend hin- und
herziehen und daher alle Zahlangaben sehr wenig zuverlässig
sind ( Grey 2 , 246 ) . Die , welche Meinicke a 177 aufstellt , beweisen
dies zur Genüge , und selbst die bei Behm ( 72 ) sind nicht
sicherer . Nur von Südaustralien , Queensland und Viktoria hat
er bestimmte Zählungsergebnisse und so ist seine Gesammtziffer
55.000 nur eine sehr ungefähre . Alle Quellen aber berichten
einstimmig , dass die Bevölkerung wenigstens der Küsten
reissend abnimmt ; dass Stämme , welche früher nach
Hunderten zählten , jetzt vielfach bis auf ebenso viel Zehner
zusammengeschmolzen sind . Die Bevölkerung Tasmaniens betrug
1843 noch 54 Individuen , 1854 noch 16 ( Nixon 18 ) und ist jetzt wohl
ganz ausgestorben .
Wenn auch nicht so reissend , so vermindern sich doch auch die
Melanesier an verschiedenen Gegenden ihres Gebietes : so nach Reina
( Zeitschr. 4. , 360 ) , die Völker der kleinen Inseln in der
Nähe von Neuguinea : so nach D' Urville 5 , 213 die Bewohner von
Vanikoro , nach Turner 494 die Eingeborenen der neuen Hebriden , wie
z. B.
die Bevölkerung von Anneitum 1860 , welche Turner auf 3513
Seelen schätzt , 1100 Menschen durch eine Masernepidemie verlor
( Muray bei Behm 77 ) und die von Erromango 1842 durch eine
gefährliche Dysenterie um ein Drittel vermindert wurde ( Turner
a.a.O. ) ; und so finden sich noch verschiedene Angaben
zerstreut .
In Mikronesien ist die Bevölkerung der Marianen , welche bei
Ankunft der Spanier 1668 mindestens 78,000 Einwohner gehabt haben ,
für die aber auch 100,000 durchaus nicht zu hoch gegriffen ist
( Gulick 170 ) gänzlich ausgestorben . Schon um 1720 hatten die
Inseln ( und zwar nur noch die beiden südlichsten ) nicht mehr
als etwa 2000 Einwohner , und von diesen waren sehr viele von den
Philippinen her verpflanzte Tagalen. Ponapi ( Puynipet , Ostende der
Karolinen ) hatte nach Hale ( 82 ) 15.000 Bewohner , welche Annahme
vielleicht etwas , aber nicht viel zu hoch ist Hale sagt ausdrücklich , dass sie ihm nicht zu hoch schiene ; er hatte die Angabe von Punchard , einem Engländer , der mehrere Jahre auf der Insel gelebt hatte . ;
jetzt hat sie ( Gulick 358 ) noch 5000 , Kusaie ( Ualan ) hatte 1852
12-1300 , 1862 nur noch 700 Menschen ( Gulick 245 ) .
In Polynesien betrug auf Tahiti die Bevölkerung zu Cooks
Zeiten ( 1770 ) etwa 15-16,000 Seelen ( G. Forster nach einer
spanischen Beschreibung von Tahiti a. d. Jahre 1778 ges . Werke
4,211 , Bratring 104 , welcher derselben Quelle folgt oder wenigstens
einer nahe verwandten ) . Dieselbe Zahl fand Wilson noch im Jahre
1797 ; Turnbull ( 259 ) gibt nur 5000 an im Jahre 1803 , Waldegrave bei
Meinicke b , 113 6000 für 1830 und Ellis 1 , 102 für 1820
etwa 10,000 , welche Zahl Virgin auch für 1852 angibt ( 2 , 41 ) .
Mögen auch diese Zahlen unbestimmt und schwankend und
Turnbulls Angaben negativ übertrieben sein : so viel ist sehr
klar , dass seit der Entdeckung durch die Europäer die
Entvölkerung dieser Insel , welche indess nach den Aussagen der
Eingebornen ( Virgin 2 , 41 ) schon früher begonnen hatte , rasch
fortgeschritten ist ; bis unter die Hälfte der früheren
Kopfzahl sinken die Angaben . Auf den übrigen
Societätsinseln war das Verhältniss ( Meinicke a. a. O. )
ein ähnliches . Auch jetzt scheint das Aussterben , obwohl
langsamer , fortzugehen : der offizielle französische Bericht
für 1862 gibt für Tahiti 9086 Bewohner an ( Behm 81 ) .
Auf Laivavai , einer der Australinseln , betrug die
Bevölkerung 1822 mindestens 1200 , 1830 nur noch etwa 120 und
1834 kaum noch 100 Seelen ( Mörenhout 1 , 143 ) . Günstiger
ist Meinickes Schätzung , welcher auf der ganzen Gruppe Ende
1830 etwa 5000 Seelen , für 1840 nur noch 2000 annimmt ( a.a.O.
114 ) . Rapa schätzte Vankouver 1795 auf 1500 Einwohner ,
Mörenhout ( 1 , 139 ) 1834 nur noch auf 300 und diese waren in
stetem Abnehmen . Auch
die Herveygruppe , welcher Ellis 1 , 102
10-11,000 Bewohner gibt , ist jetzt viel minder zahlreich bewohnt ,
namentlich Rarotonga , welches durch eine furchtbare Seuche im
höchsten Grade gelitten hat ( Williams 281 ) .
Ganz ebenso schlimm ist es in Hawaii , wo nach Ohmstedt 262 , die
Bevölkerung in den Jahren 1832-36 von 130,000 auf 102,000
Seelen , also in 4 Jahren um 28,000 Seelen gesunken ist ! Mag
Ohmstedt nun auch Recht haben , dass die Bevölkerungsziffer
für 1836 zu gering ist , weil eine Menge Geburten nicht
angezeigt worden sind : so ist das Hinschwinden trotzdem ganz
ausserordentlich , zumal die Insel zu Cooks Zeiten , der 400,000
Einwohner angibt , wohl an 300,000 nach Jarves Berechnung ( 373 )
hatte . Die Zahlen bei Meinicke ( b , 115-16 nach der Sandwich Isl.
gazette ) sind zwar nicht genau dieselben , das Verhältniss der
Abnahme aber bleibt , auch wenn wir ihnen folgen , unverändert .
Nach Virgin 1 , 267 hatte die Hawaiigruppe 1823 etwa 142,000 Seelen ,
1832 noch 130,313 , 1836 108,579 und 1850 betrug die Zahl nur noch
84,165 ! also in 78 Jahren hat sich die Bevölkerung um ein
Drittel gemindert und die Zahl der Geburten verhielt sich zu den
Todesfällen wie 1:3 ! Auch jetzt noch schreitet die
Verminderung fort : die Zahl der Eingeborenen betrug nach dem Census
von 1860 nur 67,084 Seelen ( Behm 85 ) .
Auch auf dem Markesasarchipel , dessen Bevölkerung nach
Meinicke ( b , 115 ) 22,000 Menschen beträgt , ist ein
Hinschwinden bemerkt : so verlor Nukuhiva ( Rodriguet in Revue de 2
mondes 1859 2 , 638 ) von 1806-12 zwei Drittel seiner
Bevölkerung durch Hungersnoth . Auf Neu-Seeland beträgt
die Abnahme der Bevölkerung in den letzten 14 Jahren etwa
19-20 Percent ; 1770 betrug sie etwa 100,000 und 1859 noch 56,000
( Hochstetter 474 , nach Fenton ) . Nach offiziellen Berichten im
Athenäum ( Zeitschr. 9 , 325 ) , welche zu Hochstetters Angaben
nicht ganz stimmen , war die Zahl der Eingebornen 1858 87,766 , und
zwar , auffallend genug , 31,667 Männer und 56,099 Frauen .
Dagegen treffen die offiziellen Berichte von 1861 ( Meinicke c 557 )
mit Hochstetter überein : denn sie geben 55,336 Eingeborene an .
Letzteres ist wohl das richtigere . Nach Fenton ( Reise der Novara 3 ,
178 ) verhielten sich bis gegen 1830 die Sterbefälle und
Geburten zur Gesammtbevölkerung wie 1 : 33,04 und 1 : 67,12 .
Auf Samoa nimmt nach Erskine 104 die Bevölkerung , 37,000
Seelen , gleichfalls ab , und zwar soll die Abnahme nach den
Berichten der Missionäre in 10 Jahren auf einer Insel von 4000
bis zu 3700 oder 3600 vorgeschritten sein ( eb. 60 ) .
Auch die Pageh auf Engano , ein den Polynesiern ähnlicher
malaiischer Stamm auf einer kleinen Insel südlich von Sumatra
sterben aus nach Wallands Urtheil , der auf der Insel eine
äusserst geringe Kinderzahl vorfand — nur fünf im
Ganzen ( Zeitschr. 16 , 420 ) .
§ 2. Empfänglichkeit der Naturvölker für
Miasmen . Krankheiten , welche spontan bei der Zusammenkunft der
Natur- und Kulturvölker entstehen .
Indem wir uns nun anschicken , die Gründe für dies
Hinschwinden aufzusuchen , wollen wir zuerst vernehmen , wie man sich
über die Lebensunfähigkeit dieser Stämme
geäussert hat . Pöppig ( 386 ) sagt von Amerika : » Es
ist eine unbezweifelte Thatsache , dass der kupferfarbene Mensch die
Verbreitung europäischer Civilisation nicht in seiner
Nähe verträgt , sondern in ihrer Atmosphäre ohne
durch Trunk , epidemische Krankheiten oder Kriege ergriffen zu
werden , dennoch wie von einem giftigen Hauche berührt
ausstirbt . Die zahlreichen Versuche der Regierungen haben Sitte und
Bürgerthum unter jener Raçe nie einheimisch machen
können , denn ihr fehlt die nöthige Perfektibilität .
Dieser Mangel macht die durchdachten und menschenfreundlichen
Pläne der Erziehung zu nichte und rechtfertigt den Vergleich
jener Menschheit mit jener eine eigenthümliche Physiognomie
tragenden , aber niederen Vegetation , die das dem Meere entstiegene
Land zuerst in Besitz nimmt , aber in dem Masse wie höher
ausgebildete und kräftigere Pflanzen sich entwickeln , sich
vermindert und zuletzt auf immer verschwindet . Wie sehr das
menschliche Gefühl sich gegen eine solche Annahme
sträubt , so glauben wir doch in den Amerikanern einen von
der Natur selbst dem Untergang geweihten Zweig unseres
Geschlechtes zu sehen . In den leer gewordenen Raum tritt eine
geistig vorzüglichere , beweglichere , aus dem Osten
stammende grosse Familie . Wie diese ihrer Bestimmung zur
allgemeinsten Verbreitung gehorsam sich ausdehnt und die
entlegensten Wildnisse sich unterwirft , so legt die
Urbevölkerung sich zum Todesschlafe nieder und verschwindet
selbst aus dem Gedächtnisse des neuen Volkes . In weniger als
einem Jahrhundert wird vielleicht die Forschung über die
ersten Bewohner eines ganzen Welttheils dem Gebiete der
Archäologie überwiesen werden müssen , und dann erst
wird das Tragische und Räthselhafte ihres Schicksals begriffen
( ? ) und tief empfunden werden . «
So schrieb 1840 ein deutscher Gelehrter , der lange Reisen in
Amerika gemacht hatte . Auch Carus Phantastereien von Tag- , Nacht-
und Dämmerungsvölkern ( 17 ff. ) gehören hierher ;
seine westlichen Dämmerungsvölker , » sie , die
wirklich dem Untergange zugewendet sind und ihrem Verlöschen
mehr und mehr entgegengehen « , sind die Amerikaner ; seine
Nachtvölker , welche sich » über Afrika ausdehnen und
hinab gegen Süden über Australien ( ! ) , Van Diemensland
und einen Theil von Neuseeland ( als Papus !! ) erstrecken « ,
stehen noch tiefer in ihrer geistigen Entwickelung und
Fähigkeit . Ganz ähnlicher Ansicht über die
Neuholländer , wie Pöppig über die Amerikaner ,
scheint Meinicke zu sein , nur dass er sich verhüllter
ausdrückt ; doch nennt er sie einen » dem Untergang
geweihten « Volksstamm ( c 522 ) und spricht hier n. a 2 ,
215 von ihrer » gänzlichen Unbildsamkeit « . Viel
direkter hat man von der Unbildsamkeit , von dem nothwendigen
Untergang , von der geringen Lebensfähigkeit der
tieferstehenden und mangelhaft organisirten Raçen in Amerika
( Waitz 3 , 45 ) und den Kolonieen in Afrika , Neuholland und
Polynesien gesprochen ; da man denn sich auch weiter kein Gewissen
machte , den Untergang , welchem diese Raçen nun doch einmal
geweiht seien , damit auf ihren Trümmern sich das bessere Leben
höherstehender Raçen entwickeln könne , mit allen
Mitteln beschleunigen zu helfen .
Aber auch vorurtheilsfreie Forscher sehen in diesem Hinschwinden
etwas Räthselhaftes , so Waitz 1 , 173 , wenigstens in Beziehung
auf Australien und Polynesien , da hier eine Hauptursache der
Entvölkerung , welche in Amerika so wirksam war , der Druck
durch die Weissen , in Polynesien ganz wegfalle , in Australien
wenigstens nicht weitgreifend gewirkt habe . » Begreiflicher
Weise , fährt er jedoch fort , ist das Aussterben eines Volkes ,
das früher kräftig und gesund gewesen ist , nicht damit
erklärt , dass man ihm die Lebenskraft abspricht oder einen
ursprünglichen Mangel der Organisation zuschreibt , und es hat
an sich schon etwas sehr Unbefriedigendes für eine so seltene
und abnorme Erscheinung einen geheimnissvollen Zusammenhang
anzunehmen , dem sie ihre Entstehung verdanke ; man wird vielmehr
hier wie überall nach dem natürlichen Zusammenhange der
Sache zu suchen haben , wenn man sich auch schliesslich zu dem
Geständnisse genöthigt finden sollte , dass es bis jetzt
nicht gelingen will , denselben vollständig
aufzuklären . «
Wir wollen sehen , ob wir zu diesem Geständniss
genöthigt werden .
Auch Darwin ( 2 , 213 ) sieht bei diesem Aussterben , für
welches er viele natürliche Gründe anführt , auch
» noch irgend eine mehr räthselhafte Wirksamkeit «
thätig . » Die Menschenraçen , sagt er , scheinen auf
dieselbe Art aufeinander zu wirken , wie verschiedene Thierarten ,
von denen die stärkere die schwächere vertilgt . « Er
macht darauf aufmerksam , dass fast bei jeder Berührung der
Naturvölker und der Weissen , oft auch von Stämmen ein-
und desselben Volkes , welche in verschiedener Gegend wohnen ,
seuchenartige Krankheiten entstehen , oft bei völliger
Gesundheit der Schiffsmannschaft und der von ihr besuchten
Völkerschaft , » von denen alsdann vorzugsweise die
niedere von beiden Raçen oder die der Eingeborenen , welche
in ihrem Lande von Fremden aufgesucht werden , zu leiden hat «
( Waitz 1 , 162 ) . Und hierzu lassen sich die Beispiele allerdings
häufen . So sagt Humboldt ( a 4 , 392 ) , dass in Panama und Calao
der Anfang grosser
Epidemien des gelben Fiebers » am
häufigsten durch die Ankunft einiger Schiffe aus Chile
bezeichnet werde « , obwohl doch Chile selbst eines der
gesündesten Länder der Welt sei und das gelbe Fieber gar
nicht kenne ; aber die schädlichen Folgen der ausserordentlich
erhitzten und durch ein Gemisch von faulen Dünsten verdorbenen
Luft , an welche die Organe der Eingeborenen gewöhnt seien ,
wirkten mächtig auf Individuen aus einer kälteren Region .
Aehnlich verhält es sich mit dem Ausbrechen des gelben Fiebers
in Mittel- und Nordamerika , das eingeschleppt zu haben so
häufig die eine der genannten Gegenden Besuchern aus der
anderen vorwirft ( Humboldt a.a.O. 384 ) . Die » grausame
Epidemie « von 1794 , wo Verakruz ungewöhnlich heftig vom
gelben Fieber heimgesucht war , fing an mit der Ankunft dreier
Kriegsschiffe ( eb. 423 ) . Ebenso schreiben die Einwohner Egyptens
das Ausbrechen der Pest der Ankunft griechischer Schiffe zu und
umgekehrt die Bewohner Griechenlands und Konstantinopels
egyptischen ( eb. 384 ) , wobei keineswegs immer an eine Einschleppung
zu denken ist . Auf Rapa ( Australinseln ) traten tödtliche
Krankheiten nach dem Besuch von englischen Schiffen auf , welche die
Hälfte der Eingeborenen dahinrafften ( Mörenh. 1 , 139 ) ;
auf Tubuai ( Australinseln ) ward die Bevölkerung durch
Krankheiten , welche mit der Mission 1822 auftraten , auf die Zahl
von 150 heruntergebracht ( eb. 2 , 343 ) . Raivavai , welches 1822 noch
1200 Einwohner hatte , besass 1830 etwa noch 120 durch gleiches
Schicksal ( eb. 1 , 143 ) . Williams ( 283-84 ) spricht es als seine
eigene Erfahrung aus , dass die meisten der Seuchen , die er in der
Südsee erlebte , durch Schiffe , deren Mannschaft ganz gesund
sei und nur auf ganz erlaubtem , gewöhnlichem Wege mit den
Eingeborenen verkehrte , veranlasst wurden . Das erste
Zusammentreffen zwischen Europäern und Eingeborenen , sagt er ,
ist fast immer mit dem Fieber , mit Dysenterie u. dergl. bezeichnet ;
so starb auf Rapa die Hälfte der Eingeborenen aus ; so entstand
die furchtbare Seuche auf Rarotonga ( Herveyinseln ) , die er 282
schildert . Ganz dasselbe sagt Virgin 1 , 268 ; » Auch nur kurze
Besuche von Fahrzeugen haben auf den Inselgruppen der Südsee
Krankheiten von mehr oder minder verderblicher Natur verursacht ,
die sich sogar erst längere Zeit nachher gezeigt haben . Es hat
sich dies auch sogar zugetragen , ungeachtet die Besatzung der
Schiffe vollkommen gesund war und die Krankheiten sind nicht stets
solche gewesen , welche möglicherweise durch eigentliche
Ansteckung mitgetheilt werden konnten oder welche in Europa zu
denen gehören , deren Beschaffenheit in der Regel mehr oder
weniger tödtlich ist . « Von Tahiti erzählt Bratring
145 , dass 1775 bei der Anwesenheit der Spanier unter Boenechea ein
ansteckendes Katarrhalfieber ausbrach . Nach Cooks Besuch litt die
Insel unter Dysenterie ( Mörenh. 2 , 425 ) und die Tahitier
selbst schrieben schon um 1800 alle Krankheiten den
Berührungen mit fremden
Schiffen zu ( Turnbull 266 ) . Beechey 1 ,
94-95 berichtet Aehnliches von den Inseln Pitkairn . Bei regnichtem
Wetter und bei gelegentlichen Besuchen von Schiffen , sagt er ,
leiden die Eingeborenen ( eine Mischbevölkerung von Tahitiern
und Engländern ) stärker an Blutandrang ( plethora ) und
Schwären als sonst ; sie glauben ganz fest , dass diese
Krankheiten durch den Verkehr mit ihren Gästen , mögen
diese selbst auch ganz gesund sein , herrühren . Das eine Schiff
sollte ihnen Kopfschmerzen , ein anderes Scharbock , das dritte
Geschwüre u. s. w. gebracht haben , wie sie denn auch von
Beecheys Schiff , dessen Mannschaft ganz gesund war , ähnliches
erwarteten : ja sie fühlten schon Kopfweh und Schwindel .
Beechey erklärt diese Zufälle durch die Veränderung
ihrer Lebensweise während solcher Besuche , da sie gegen ihre
sonstige Gewohnheit dann viel Fleisch essen und reichlichere
Kleidung tragen . Von Melanesien ( Tanna ) erzählt Turner 91 nach
den Aussagen der Eingeborenen , welche alle Krankheiten , wie Fieber ,
Dysenterie , Husten u. dergl. » fremde Dinge « nennen ,
ganz Gleiches . Auch in Celebes ( Waitz 1 , 163 ) herrschte diese
Meinung und ebenso auch bei den alten Marianern , welche nach jedem
fremden ( europäischen ) Schiff von einer Seuche heimgesucht zu
werden behaupteten ; so brachte 1688 ein Schiff von Mexiko , welches
mit Verbrechern beladen an der Insel scheiterte , Rheuma , Fieber ,
Blutungen ( le Gobien 376 ) , und die Eingeborenen sahen alle
Krankheiten als durch die Spanier eingeschleppt an ( ebd. 140 ) . Die
Einwohner von St. Kilda ( westl. v. d. Hebriden bei Schottl. ) sind
der festen Ansicht , für die sie eine lange Erfahrung haben ,
dass der Besuch eines Fremden ihnen Schnupfen bringe ( Macculloch
bei Darwin 2 , 214 ) .
Nach dem medizinischen Theil der Novara Reise ( 1 , 225 ) glauben
die Eingeborenen der Nikobaren , dass die Kokosnüsse von den
Bäumen fielen , sobald ein Missionär die Insel
beträte . So mag denn auch diese weitverbreitete Ansicht der
Grund sein , weshalb in Ponapi , sobald ein Schiff in Sicht kommt ,
das Volk flieht und der Priester aufs Feierlichste die Götter
um Hülfe anruft ( Gulick 175 ) , wenn wir es hier nicht mit etwas
Religiösem zu thun haben . Jedenfalls ist wohl zu beachten ,
dass die Naturvölker vor der Bekanntschaft mit den
Europäern fast nichts von Krankheit wussten ; weder die
Marianer ( le Gobien 140 ) noch die übrigen Mikronesier
( Chamisso ) noch die Polynesier , von denen freilich die
Neu-Seeländer , obwohl der Gesundheitszustand auch ihrer Insel
im Allgemeinen trefflich war , von schweren Seuchen , die sie schon
vor Cook heimgesucht hätten , erzählten ( Dieffenbach 2 ,
12-14 ) , noch die Neu-Holländer , Hottentotten und Amerikaner
( Waitz 1 , 140-41 ) .
Für die Indianerstämme steigert sich die Wirkung
solcher Epidemien noch durch Folgendes , was v. Tschudi , einer der
ausgezeichnetsten Kenner der amerikanischen Völker , 2 , 216
sagt : » Es ist
eine höchst eigenthümliche
Erscheinung , dass Indianerstämme , die durch Krieg oder
Epidemien plötzlich sehr stark reducirt wurden , sich in der
Regel nie wieder erholen und nur noch als wenig zahlreiche Familien
gewöhnlich Jahrzehnte lang hinsiechen , bis sie endlich ganz
aussterben . Bei ihnen tritt nicht mehr die Vermehrungsprogression
ein , wie sie vor dem vernichtenden Schlage stattgefunden hatte , und
bei anderen unter den nämlichen physischen Bedingungen
lebenden Völkern beobachtet wird . Meines Wissens ist dieses
Verhältniss noch nirgends erörtert worden . Ich habe es
bei einem genauen Studium der Geschichte der nord- und
südamerikanischen Indianer als Regel gefunden . Sehr
verminderte Fruchtbarkeit des Weibes ist die Hauptursache : auf
welchen physiologischen Einwirkungen sie aber beruht , ist wohl
schwer zu ermitteln . « Waitz freilich ( 1 , 163 ) bringt
Beispiele vom Gegentheil : die Creeks ( nach Simpson ) , die Winibegs
( nach Schoolcraft ) , die Apachen ( Kendall ) u. s. w. haben sich nach
schweren Epidemien wieder erholt . Wir kommen hierauf
zurück .
Man hat nun diese auffallende Erscheinung , dass Krankheiten
durch Berührung gesunder , aber aus verschiedener Gegend oder
Raçe stammender Menschen entstehen , zu erklären
versucht . Darwin , der in Shropshire gehört , dass gesunde
Schafe , die aber auf Schiffen eingeführt wurden , in einem
Pferch zu anderen gebracht , diese krank machen , Darwin meint , dass
das Effluvium von Menschen — und wohl auch , nach dem letzten
Beispiel , von Thieren — die lange Zeit eingeschlossen gewesen
seien , giftig auf andere wirke , namentlich dann , wenn sie von
verschiedenen Raçen wären ( 2 , 214 ) ; eine Ansicht ,
welche indess weder von medizinischer Seite noch durch die
Erfahrung bestätigt wird .
Will man sich aber mit Waitz dabei begnügen zu sagen , dass
beim Zusammentreffen verschiedener Raçen , selbst bei
völliger Gesundheit beider , sich bisweilen Krankheiten
erzeugen , welche dann meist die niedere Raçe ergreifen , so
kommt einmal durch das Wort niedere Raçe leicht etwas
Missverständliches in den Ausdruck , und andererseits wird
nichts durch dies blosse Zusammenfassen der Erscheinung
erklärt . Dazu kommt , dass z. B. der Bericht Humboldts über
das gelbe Fieber in Panama und Callao sich ja auf gleiche
Raçen bezieht und eben so doch auch die Angabe Darwins von
den Schafen . Und wenn man ferner die Geschichte der kultivirten
Völker betrachtet , so findet man eine ähnliche
Erscheinung : eine neu auftretende Krankheitsform wüthet viel
allgemeiner und verheerender , als eine fortwährend
herrschende ; so die Pest , der schwarze Tod , die Pocken , die Cholera
u. s. w. , die dann oft nach und nach verlöschen . Die Pocken aber
hat man dadurch unschädlich gemacht , dass man eine verwandte ,
aber unschädlichere Krankheitsform einimpft . Es scheint also ,
als ob der menschliche Körper um so em-
pfänglicher
für ein Miasma oder einen Krankheitsstoff ist , je ferner und
freier von demselben er früher war . Ist er aber , wie bei der
Pockenimpfung geschieht , durch ein Minimum des Giftes affizirt und
dadurch anders disponirt worden , so dass er sich nun
allmählich an jenen feindlichen Stoff gewöhnt , ihn der
eignen Natur und die eigene Natur ihm einigermassen assimilirt hat :
so hat er dadurch Fähigkeit zum Widerstand gegen die Krankheit
gewonnen , da sie ja nun seiner Natur nicht mehr absolut feindlich
ist ; daher denn solche Seuchen nach und nach erlöschen , denn
die Ueberlebenden werden nach und nach durch das Einathmen der
miasmatischen Luft körperlich selbst immer fester . Keineswegs
hilft aber eine solche Gewöhnung für alle Zeit , wie ja
auch die Pocken nach bestimmten Zeiträumen von neuem
eingeimpft werden müssen . Merkwürdig , aber für uns
wichtig genug ist , was Humboldt a 1 , 92 über diese Krankheit
in Mexiko sagt : » die Pocken scheinen ihre Verwüstungen
nur alle 17 Jahre anzurichten . In den Aequinoktial-Gegenden «
— ob das aber nicht in allen Gegenden oder wenigstens bei
allen menschlichen Individuen auf gleiche Weise gilt ? —
» haben sie , wie das schwarze Erbrechen und mehrere andere
Krankheiten , ihre festen Perioden , an denen sie sich
regelmässig wieder einfinden : und man möchte glauben ,
dass sich in diesen Ländern die Anlage der Eingeborenen
für gewisse Miasmen nur in sehr weit von einander entfernten
Perioden erneuert ; indem die Pocken , deren Samen sehr oft von
europäischen Schiffen gebracht wird , nur in sehr ansehnlichen
Zwischenräumen epidemisch , aber auch dem Erwachsenen nur desto
gefährlicher werden . « Alles dies scheint sehr für
unsere obige Annahme zu sprechen . Der Europäer , der
Civilisirte kommt nun fortwährend mit unendlich mehr
Krankheitsstoffen und Miasmen , in den meisten Fällen ohne es
selbst zu merken , in Berührung , als der im Naturzustande und
der freien Natur lebende Mensch . Und nicht nur durch eigene
Gewöhnung von Kindheit an , sondern auch durch Vererbung der
Accommodation von Eltern und Grosseltern her hat er eine viel
grössere Widerstandsfähigkeit gegen solche
schädliche Einflüsse , als sie jemals früher Isolirte
und namentlich , wenn sie vielleicht schon erwachsen zuerst mit
diesen Einflüssen in Berührung kommen , sich erwerben
können . Hiergegen spricht nicht , wenn einzelne Individuen der
Naturvölker gesund etwa in Europa längere Zeit gelebt
haben . Denn in den meisten Fällen ist da eine Gewöhnung
von Jugend auf eingetreten und jedenfalls sind alle solche
Fälle wissenschaftlich nur dann zu verwerthen , wenn man die
Geschichte des Besuchers , seine Natur , die Natur seines Volkes
u. s. w. bis ins Einzelne verfolgen kann . Uebrigens gibt es auch
Beispiele genug , dass solche Besuche unglücklich abliefen :
Liholiho , der Sohn Tamehameha I. und seine Gemahlin starben bei
ihrem Aufenthalt in England , wo alle Sorgfalt ihnen zu Theil wurde ,
an den Masern bei raschem Verlauf der Krankheit ;
und der Prinz
Libu , welchen Wilson gegen Ende des vorigen Jahrhunderts von den
Palau-Inseln mit nach England genommen hatte und dort sehr
sorgfältig pflegte , an einer ähnlichen Krankheit , kurz
nach seiner Ankunft ( Keate die Pelewinseln , Schluss ) . Jetzt
beweisen solche Besuche um so weniger , als jetzt die meisten
Völker Bekanntschaft mit der weissen Raçe haben .
Nach alledem würde es kein Wunder , nichts Rätselhaftes
sein , wenn die Naturvölker gegen solche Miasmen , die auch von
ganz Gesunden ganz unbemerkt eingeschleppt werden können , um
so empfänglicher und empfindlicher sind , je weniger sie Schutz
durch irgend welche Gewöhnung haben ; daher denn solche
Krankheiten , welche scheinbar unerklärlich entstehen , mit
einer Heftigkeit wüthen , wie , vor Zeiten die Pest . So
erzählt Williams ( 280 ff. ) , dass bei jener Seuche auf
Rarotonga von mehreren tausend Einwohnern kaum ein einziger ganz
davon befreit blieb . — Die Krankheiten , welche am meisten so
ganz spontan dem Schein nach entstehen , sind Dysenterie , Influenza ,
Fieber , Blutungen , Geschwüre , Husten und Hautkrankheiten .
( Einige Belegstellen : Turner 91 ; Dieffenbach 2 , 12-14 ; le Gobien
376 ; Beechey 1 , 94-95. )
Dass auch Geschwüre genannt werden , könnte auffallen .
Die ausbrechenden Krankheiten richten sich jedenfalls theils nach
den Miasmen , durch welche sie hervorgerufen sind , theils und wohl
ganz besonders nach der Natur des Inficirten . Wie ja bei
herrschenden Epidemien oder in der Nähe gefüllter
Krankenhäuser jede Krankheit , jede oft unbedeutendste
Verwundung durch den giftigen Einfluss der Miasmen schlimmer
werden , ja bis zum Tode führen kann , auch ohne in die
herrschende Krankheitsform überzugehen : ebenso natürlich
ist es , dass sich solche eingeführten Miasmen gerade auf den
Theil des inficirten Organismus werfen , welcher schon zuvor , in den
meisten Fällen gewiss gleichfalls unbewusst , der
schwächste oder gerade bei der Einführung des Miasma
irgendwie erregt oder afficirt war . Auch erklärt es sich
hieraus , wie bei gleichen Miasmen — vorausgesetzt , dass sie
gleich sind ; denn eine Schiffsmannschaft kann leicht verschiedene
zugleich bringen — verschiedene Individuen , wie sich das gar
nicht selten zeigt ( z. B. bei Turner in Melanesien , bei le Gobien
auf den Marianen , bei Beechey auf Pitkairn ) verschiedene
Krankheiten bekommen können .
So erklärt sich das räthselhafte Faktum ( welches als
Faktum durch die sichersten und verschiedenartigsten Zeugnisse
feststeht ) , dass eine gesunde Schiffsmannschaft gesunden Menschen
Krankheiten bringen kann Auch die Beispiele , welche Darwin a.a.O. zur Erhärtung seiner Hypothese von dem schädlichen Effluvium lang eingeschlossener Menschen mittheilt , lassen sich aus Obigem , wie es scheint , erklären , ebenso das Erkranken der Shropshirer Schafe . Jenes Effluvium ist weiter nichts , als eben solche unbewusst mitgeschleppten Miasmen , an welche der , welcher sie mitbringt , seine Natur nach und nach accommodirt hat . . Dabei dürfen wir nicht
unerwähnt lassen , was
Humboldt an sich und seinen Begleitern
in Centralamerika beobachtete : » Es kommt häufig vor ,
sagt er b 6 , 142 , dass sich bei Reisenden die Folgen der Miasmen
erst dann äussern , wenn sie wieder in reinerer Luft sind und
sich zu erholen anfangen . Eine gewisse geistige Anspannung kann
eine Zeitlang die Wirkung krankmachender Ursachen
hinausschieben . « Denn aus diesem Satze erklären sich
manche Erscheinungen bei jenen spontanen Krankheiten der
Naturvölker — so darf man wohl , ohne Gefahr
missverstanden zu werden , die Krankheiten nennen , welche nach der
blossen Berührung mit den Kulturvölkern , ohne direkte
Einschleppung entstehen — Erscheinungen , welche sonst
auffallen müssten . So , dass diese Uebel während der
Anwesenheit der Europäer noch nicht verspürt werden , denn
jene Schwindel- und Kopfwehanfälle der Pitkairner noch
während Beecheys Besuch beruhten sicher , nach ächt
polynesischer Art , auf anticipirender und übertreibender
Einbildung ; dann , dass sie ungleich seltener bei feindlichem
Zusammenstoss zweier Raçen sich zeigen , welcher freilich
meist auch von kürzerer Dauer ist , als ein freundlicher
Besuch . Auch scheint es , als ob das Durchmachen einer
Epidemie gegen Miasmen verschiedener Art abhärte ; wiewohl es
gar nicht selten ist , dass ein und derselbe Volksstamm von
mancherlei Seuchen nach einander ( oder auch von derselben wieder )
heimgesucht wird . Doch ist dann fast immer der erste Anfall der
verheerendste .
Jedenfalls aber haben wir hier die erste Ursache für das
Aussterben der Naturvölker : ihre leichte Empfänglichkeit
für Miasmen , welche die Kulturvölker ohne Wissen und
Willen und bei eigener Gesundheit , zu ihnen bringen ; und die
geringe Widerstandsfähigkeit ihres Organismus gegen solche
durch jene Miasmen entstehende Krankheiten .
§ 3. Direkt eingeschleppte Krankheiten .
Zu diesen eben besprochenen Krankheiten kommen noch andere
hinzu , deren Mittheilung zwar auf demselben Grunde beruht , den wir
im vorigen Paragraphen betrachteten , die aber doch , da man sie als
direkt eingeschleppte allgemein betrachtet und nachweisen kann ,
für den Beobachter weit mindere Schwierigkeit bieten . Hierher
gehören aber gerade die furchtbarsten Seuchen , welche die
Naturvölker betroffen haben ; und kann man sich denken , wie
verheerend
sie auf die empfänglichen Naturen jener Völker
wirkten . Nicht bloss Weisse haben sie eingeschleppt : auch einzelne
Zweige desselben Stammes haben andere mit solchen Gaben bedacht . So
ward ein böser Aussatz von Polynesien aus Rapa nach Pitkairn
verschleppt und den Bewohnern dieser Insel gefährlich ; und
andere gleiche Beispiele finden sich . Schlimmer aber ist , was die
Weissen brachten , vor allen Syphilis und Blattern . Erstere Seuche
ist zwar überall bekannt genug , wo die Europäer
hinkommen , und so also auch von Alters her in Afrika und Amerika ,
wo sie eingeschleppt wurde ( in Californien nach Rollin , La Perouses
Schiffsarzt bei La Perouse 2 , 289 ; in Guyana nach Schomburgk 2 ,
336 ) . Gefährlicher aber ist sie vor allen für die
Polynesier geworden , denn hier begünstigte ihre Mittheilung
und Verbreitung die ausserordentliche Lüderlichkeit dieser
Völker gar sehr ; und da die Polynesier durch ihre Lüste
vielfach entnervt waren , so wurden hierdurch auch die Formen dieser
Krankheiten immer grauenvoller . Und so finden wir sie hier vom
äussersten Osten bis zum fernsten Westen . Auf Waihu
( Osterins. ) ist sie jetzt häufig eingeschleppt von
Europäern ( Mörenhout 1 , 26 ) . Auf Neu-Seeland findet sie
sich , namentlich an den Küsten , wo die Eingeborenen mit den
Europäern am meisten verkehren , und so schlimm , dass eine
Menge Verwachsungen u. dergl. durch sie entstehen ( Dieffenbach 2 ,
17-25 ) . Auf Tonga hatte sie Cooks Mannschaft , wie Cook selbst
erzählt dritte Reise 2 , 390 eingeschleppt ; doch kann sie hier
nicht allzu heftig gewirkt haben , denn Mariner ( 2 , 270 ) gibt an ,
dass durchaus nichts Syphilitisches sich auf der Gruppe finde und
dass ein Fall , welcher auf französischer Ansteckung beruhte ,
so rasch tödtlich verlief , dass er weiter keine Folgen hatte .
Allein ob nicht die Art von Gonorrhöe mit ardor urinae , die er
268 als in Tonga heimisch erwähnt , doch noch vielleicht von
Cooks Mannschaft herstammte ? Auch auf dem Gilbertarchipel und den
Ratakinseln — denselben Inseln , wo Chamisso Anfang dieses
Jahrhunderts so paradiesische Tage verlebte — ist die
Syphilis und andere Seuchen durch europäische Seeleute
eingeschleppt ( Meinicke Zeitschr. 398 ) , wie denn überhaupt
Mikronesien auch sonst sehr durch solche bösen Einwirkungen
gelitten hat ( Gulick 245 ) .
Aber am schlimmsten hat diese Seuche auf Tahiti und Hawaii
gewüthet . In Tahiti ist sie so allgemein , dass fast jede
Familie von ihr berührt ist ( Mörenhout 1 , 228-29 ) ; und
schon um 1790 waren zwei Fünftel der Insel venerisch ( eb. 2 ,
425 ) . Da nun diese entsetzliche Krankheit theils gar nicht , theils
schlecht geheilt und behandelt wurde , so ward sie ein Hauptmittel
für die Dezimirung der Eingeborenen ( eb. 2 , 405 ) . Vankouver
( 1790 ) spricht von den Verheerungen , die sie unter den tahitischen
Weibern angerichtet hatte ( 1 , 111 ) : sie musste also schon lange
verbreitet sein und ist zweifelsohne gleich von den ersten
Besuchern eingeschleppt , gleichviel ob
von Wallis ( Anfang 1767 )
oder Von Bougainville ( 1767 , 15. Apr. ) , genug , Cook fand sie vor .
Meinicke zwar ( b , 118 ) versucht zu beweisen , dass dies Uebel in der
Südsee schon heimisch war , vor der Berührung mit den
Europäern : allein sein Beweis ist ihm nicht gelungen und
seiner Hypothese stehen die gewichtigsten Autoritäten
entgegen , so Cook selbst für Tahiti ( dritte Reise 2 , 331 ) und
für Hawaii ( King ebendas. 4 , 379 ) , Turnbull ( 291 ) für
Tahiti und so noch andere . Auch thut Meinicke nicht recht , das
Zeugniss der Eingeborenen für so ganz nichtig zu halten ; um so
weniger , als die Tahitier nach Cook sehr bestimmt Bougainvilles
Schiff als das bezeichneten , welches die verhängnissvolle Gabe
brachte , sich also keineswegs in allgemeinen Behauptungen hielten .
Auch was Cook a.a.O. 390-91 über die Schwierigkeit , Ansteckung
zu verhüten , die Gesundheit der eigenen Mannschaft zu
ermitteln und die Leichtigkeit , mit der sich die Krankheit
ausbreitet , und gewiss sehr richtig auseinandersetzt , spricht gegen
Meinicke . Allerdings stützt dieser sich für die
Sandwichgruppe auf den Umstand , dass , obwohl Cook zuerst nur auf
Atuai und Onihiau landete , er gleichwohl schon neun Monate
später die Seuche auf Maui verbreitet fand — was auch La
Perouse mit mehreren anderen Gründen medizinischer Art , die
aber nicht ganz stichhaltig erscheinen ( 1 , 246 , 276 ) , als Grund
gegen die Einschleppung durch Cook anführt . Er schreibt die
erste Verbreitung dieser Seuche den Spaniern zu , welche im 16.
Jahrhundert öfters die Hawaiigruppe besucht haben . Wenn man
nun auch auf die rasche Verbreitung der Krankheit , wie sie bei der
Lüderlichkeit und dem fortwährenden Verkehr der
Eingeborenen nur zu möglich war , hinweisen könnte , so ist
uns das für unsere Zwecke gleichgültig ; genug die Seuche
ist jetzt überall verbreitet in Polynesien und Meinicke gibt
ja selbst zu , dass die Eingeborenen wenigstens die schwereren
Formen des Unheils den Europäern verdanken . Jedenfalls sind
die Verheerungen , welche gerade diese Krankheit in Polynesien
angerichtet hat , auch wenn es Meinicke nicht ganz zugeben will ,
entsetzlich genug , wie ältere und neuere Schriftsteller
einstimmig bezeugen . ( Vergl. über Hawaii noch Virgin 1 , 265 ;
Rollin bei La Perouse 2 , 271 ; über Tahiti Turnbull 291 ; Cook
dritte Reise 2 , 331 ) . Doch scheint es , als ob in Tahiti sich jetzt
( 1852 ) der Gesundheitszustand wieder gehoben habe ( Virgin 2 , 41 ) .
Auch werden von früher ( Cook a.a.O. 2 , 331 ) schon Beispiele
erwähnt , wo Infizirte , freilich selten genug , von selbst
genassen . Nur in Tonga scheint , bei dem keuscheren Leben der
Tonganer das Unheil wenigstens nach Mariners Bericht , nicht um sich
gegriffen oder doch leichtere Formen nach und nach angenommen zu
haben .
Die Seuche ist auch unter den Eingeborenen von Neu-Holland
verbreitet und auch hier will Meinicke ( a 2 , 179 ) die Annahme , sie
sei ihnen von den Europäern gebracht , als » äusserst
unwahrschein-
lich « dadurch beweisen , dass bei der
Gründung der Colonie von Sydney und auch neuerdings diese
Krankheit tief im Inneren des Continentes gefunden sei . Als ob das
bei dem Wanderleben dieser Stämme auffallen könnte ! als
ob sie nicht schon vor der Gründung der Colonie mit
Europäern und wahrlich nicht mit den reinsten in mannigfacher
Berührung gewesen wären ! Den Aleuten , bei denen es Cook
schon vorfand ( dritte Reise 3 , 265 ) , und den Kamtschadalen ist
dieses Unheil von den Russen , den Pelzhändlern , mitgetheilt .
Da nun aber die Kamtschadalen ebenfalls zu Ausschweifungen , sei es
im Trunk , sei es in der Liebe , geneigt waren , so sind auch hier
seine Folgen nicht ohne Gewicht für unsere Betrachtung .
Bei weitem schlimmer , aber und allgemeiner haben die Blattern
gewüthet , die schlimmste Geissel aller Naturvölker . Am
bekanntesten ist dies von Amerika , in dessen nördlicher
Hälfte sie zuerst um 1630 auftraten ( Waitz b , 15 ) . Neun
Zehntel von den Nordindianern rafften sie hin ; die Mandans starben
1837 fast ganz aus , die Schwarzfüsse schmolzen durch sie von
30-40,000 auf 1000 zusammen : ähnlich erging es anderen
nordamerikanischen Stämmen , den Krähenindianern ,
Minetarris , Cumanchen , Rikkaris ; von den Omahas und den
Eingeborenen des Oregongebietes erlagen ihnen zwei Drittel , von den
Californiern die Hälfte ( Waitz 1 , 161 ) . Aehnlich wütheten
sie unter den Völkern von Südamerika , den Indianern von
Paraguay und Gran Chako , den Puelchen , den Cariben , den Araukanern ,
in Peru , am Maranon , in Guyana , wo ganze Völkerstämme
durch sie aufgerieben sind . Nie aber sind sie , wie Humboldt b 4 ,
224 bezeugt , am oberen Orinoko aufgetreten , obwohl sie bei den
Völkern Brasiliens wieder ihre ganze Furchtbarkeit zeigten ,
bei den Chaymas , die 1730-36 von ihnen dezimirt wurden ( Humboldt
eb. 2 , 180 ) , bei den Chiquitas ( Waitz 3 , 533 ) , welche schwer von
ihnen zu leiden hatten . Nicht minder heftig aber traten sie bei den
kultivirten Stämmen Amerikas auf .
In Mexiko brachen , nach Torribio , die Pocken eingeschleppt durch
einen Negersklaven 1520 zuerst aus und rafften gleich damals die
Hälfte der Mexikaner hin ( Humboldt a 1 , 97 ) ; nach Herrera
traten sie schon 1518 auf ( Pöppig 373 ) und schon 1517 mit
denselben Verheerungen , ohne jedoch einen Europäer
hinzuraffen , auf den Antillen , zu deren Entvölkerung sie
wesentlich beigetragen haben . Ueberall , in ganz Amerika , waren die
Verwüstungen so arg , dass die Todten bisweilen unbeerdigt
blieben , weil es an Händen hierzu fehlte ( Waitz b , 15 ) . Man
begreift es , dass , wenn die Pocken ausbrachen , die Indianer im
äussersten Entsetzen vielfach ihre Hütten verbrannten ,
ihre Kinder tödteten und in die Einsamkeit flohen ( Humboldt b
4 , 224 ) ; oder dass z. B. die Chilesen die Hütte mit sammt den
in ihr liegenden Kranken verbrannten ( Waitz 1 , 161 ) . Waitz ist der
Ansicht und wir stimmen ihm bei , denn alle Quellen
sprechen
dafür , dass diese Krankheit zahlreichere Opfer forderte , als
Krieg und Branntwein zusammengenommen ; dass ihr gewiss die
Hälfte bis zwei Drittel der Urbevölkerung Amerikas
erlegen sind .
Allein nicht bloss auf Amerika beschränken sich die
Verheerungen der Pocken . 1767 brachen sie , eingeschleppt durch
einen russischen Soldaten , in Kamtschatka aus und wütheten wie
die Pest : nicht weniger als 20,000 Kamtschadalen , Kuriler und
Koriäken sollen ihnen erlegen sein . Ganze Dörfer starben
aus und Cooks Reisebegleiter fanden selbst noch eine Menge ganz
leer stehender Dörfer vor . Ein anderes , vor der Epidemie mit
360 Menschen bevölkert , hatte nachher noch 36 Seelen ( Cook 3.
Reise 4. 174-75 ) . Aehnliche , wenn auch minder starke Epidemien
traten 1800 und 1801 auf , welche gegen 5000 Kamtschadalen
dahinrafften und bei dem schon lange immer mehr um sich greifenden
Schwinden der Bevölkerung so verheerend wirkten , dass in den
Ostrogen ( kleinen Dörfern des Inneren ) , welche vorher meist
30-40 Einwohner hatten , nachher meistens nur 8-10 , in einigen
wenigen 15-20 Bewohner übrig blieben ( Krusenstern 3 , 49. 52.
2. Theil , 2. Abtheil. Cap. 8 ) .
Auf Neuholland brachen die Blattern zuerst 1789 aus und
verwüsteten ganz Cumberland ; 1830 verheerten sie , bis zur
Nordküste hin das Innere von Ostaustralien ( Meinicke a 2 ,
179 ) . Auch diese Seuche entstand nach Meinicke a.a.O. ohne
Einschleppung spontan unter den Eingeborenen . Von einer furchtbaren
Pockenepidemie auf Ponapi ( Puinipet , Banabe , Carolinen )
erzählt die Novarareise 2 , 395 : die Krankheit war durch einen
englischen Matrosen eingeschleppt und raffte 3000 Menschen hin ;
2000 blieben übrig . Auf der Hawaiigruppe starben 1853 an den
Pocken 5-6000 Menschen ( Waitz 1 , 176 ) .
Auch die Hottentotten , wenigstens in der Nähe der Capstadt ,
sind wesentlich durch die Pocken vermindert ( Waitz 2 , 346 ) .
Ausser dieser Krankheit haben dann die Masern und Rötheln
schlimm unter den Naturvölkern gehaust , so in Brasilien ,
Guyana , im Mosquitolande ( Waitz 1 , 162 ) , in Neuholland ( Darwin 2 ,
213 ) ; und noch gefährlicher verschiedene Fieber , welche z. B.
die Oregonindianer schwer heimsuchten , die oberen Tschinuks 1823
von 10,000 auf 500 zusammenschmolzen und zwar so schnell , dass die
Zahl der Ueberlebenden nicht hinreichte , die Todten zu begraben
( Wilkes und Haie bei Waitz 1 , 162 ) .
Doch sind wir durch diese Fieber bei den Seuchen angekommen ,
denen die Naturvölker vor dem Auftreten der Europäer
unterworfen waren . Epidemische Krankheiten sind zwar vorher selten ,
doch finden sie sich auch . So jene Seuche , welche vor Cook auf der
Ostküste von Neu-Seeland wüthete , und zwar so heftig und
rasch , dass auch hier nicht alle Todten begraben werden konnten
( Dieffen-
bach 2 , 12-14 ) ; so die Fieber , welche , wie es scheint ,
durch das Klima hervorgerufen am Orinoko epidemisch sind ( Humboldt
b 4 , 215 ) , so und vor allen jene berüchtigte mexikanische
Krankheit , Matlazahuatl von den Eingeborenen genannt , ein
furchtbares , dem gelben Fieber verwandtes Gallenfieber mit
Blutbrechen , das schon lange vor Cortes Ankunft in Mexiko , ja wohl
schon im 11. Jahrhundert unter den Tolteken , die damals noch in
Nordamerika waren , herrschte ( Humboldt a 4 , 379 ) , wie sich denn
überhaupt die Krankheit mit Leichtigkeit in die kalte Zone
verpflanzt und ihr » die kupferfarbige Raçe in beiden
amerikanischen Hälften seit undenklichen Zeiten unterworfen
ist « ( eb. 380 ) . Wie furchtbar aber diese Krankheit
wüthete , geht aus den Zahlen hervor , welche Torquemada
für die beiden Epidemien 1545 und 1576 angibt : 1545 sollen
800,000 , 1576 zwei Millionen Indianer gestorben sein ( Humboldt a 1 ,
97 ) . Mag auch Humboldt , obgleich er sich verwahrt , Torquemadas
Glaubwürdigkeit anzuzweifeln , Recht haben — und er hat
es gewiss — dass diese Zahlen nur auf ungefährer und
ungenauer , vielleicht übertriebener Schätzung beruhen :
auch wenn wir die Ziffern halbiren , welch furchtbarer Verlust an
Menschenleben bleibt immer noch ! Humboldt meint ( a.a.O. ) , dass auch
diese Krankheit sich alle hundert Jahre einmal zeige : da er aber 4 ,
379 die Jahre 1545 , 1576 , 1736 , 1761 und 1762 als Jahre , worin die
Krankheit wüthete , aufstellt , so ist , wenn anders die
Periodicität dieser Krankheit richtig ist , ihr Erscheinen in
den einzelnen Jahren dann auf Stämme und Landschaften
eingeschränkt , welche sie früher nicht hatten .
Einen Hauptgrund für die furchtbare Wirksamkeit solcher
eingeschleppter Krankheiten , auf den wir später
zurückkommen , führt Humboldt an , wenn er a 4 , 410-11
sagt : » Die Niedergeschlagenheit des Geistes und die Furcht
vermehren natürlich die Prädisposition der Organe , um die
Miasmen aufzunehmen ; daher es kein Wunder ist , wenn solche
Epidemien namentlich dann besonders heftig sind , wenn sie von
siegreichen Eroberern eingeschleppt werden . «
§ 4. Behandlung der Kranken bei den Naturvölkern .
Alle diese Krankheiten nun , welche den Naturvölkern durch
die eigene Natur derselben gefährlich genug waren , wurden es
noch mehr durch die ganz verkehrte Art , mit der jene Völker
Krankheiten behandelten . Die Syphilis ward dadurch so
gefährlich in Polynesien , dass man sich theils gar nicht um
sie kümmerte , theils aber , wenn man es that , das Uebel nur
vermehrte . So glaubte man in dem berauschenden Kavatrank , der aus
den Wurzeln des Piper
methysticum bereitet wird , ein Mittel gegen
sie gefunden zu haben , und es konnte doch nichts
Gefährlicheres angewendet werden , als bei dieser Krankheit
dieses Mittel , das denn auch nicht verfehlte , die Wirkungen der
Seuche erst recht schlimm zu machen ( Mörenhout 2 , 405 ) . In
Amerika wendete man gegen die Blattern vornehmlich Dampfbäder
mit unmittelbar folgenden kalten Abwaschungen an und in Neuholland
und Polynesien ausserdem noch andere und noch thörichtere
Mittel ; natürlich wurde schon durch diese Kuren die Krankheit
fast immer tödtlich . Dass sich aber diese Völker bei
neuen unerhörten Krankheiten nicht zu helfen wussten , wird uns
nicht Wunder nehmen , wenn wir sehen , wie sie sich Kranken
gegenüber für gewöhnlich zu benehmen pflegen .
Die Neuholländer haben für ihre Kranken nur eine
Ceremonie der Priester , welche den bösen Geist , der im Kranken
sitzt , oder den Zauber , der ihn krank macht , beschwört , indem
er unter allerlei Faxen einen Stein , meist ein glänzendes
Stück Quarz , aus dem Kranken zieht und damit ihn vom Zauber ,
der in jenen Stein eingeschlossen ist , befreit ( Grey 2 , 337 ) . Da
nun jede Krankheit auf Bezauberung beruht und zwar häufig auf
Entziehung der Seele , welche im Nierenfett ihren Sitz hat ( Howitt
189 ) , so wurde in einigen Gegenden der Kranke mit dem Nierenfett
dessen , den man für den versteckten Mörder hielt und dem
man es oft noch lebend ausschneidet ( Angas 1 , 123 ) , bestrichen :
oder man versucht die Krankheit aus dem betreffenden Glied
auszusaugen , durch Aderlass zu entfernen , den bösen Geist ,
indem man den Kranken knetet , schlägt , tritt und sonst
misshandelt , zu verjagen u. dergl. mehr. Geschickter sind die
Neuholländer im Behandeln äusserer Verletzungen ; auch
haben sie manche rationelle Mittel gegen den Biss giftiger
Schlangen ( Brehm Thierleben 5 , 262 ) .
So ziemlich dasselbe Bild wird nun von der Heilkunst aller
Naturvölker zu entwerfen sein . Auf den Fidschiinseln werden
schwer Kranke schon als todt betrachtet , aufgeputzt und ausgestellt
( Williams und Calvert 183 ) ; Rücksicht nimmt man auf sie
durchaus nicht , hat vielmehr , da man sie für böswillig
hält und glaubt , dass sie die Gesunden nur absichtlich
quälten , nicht das mindeste Mitleid mit ihnen ( eb. 188 ) .
Ebenso sonst in Melanesien . Sehr gewöhnlich werden Kranke ohne
weiteres erschlagen , oder ausgesetzt , z. B. auf der Fichteninsel
( Cheyne 88 ) . Auf Vate ( neue Hebriden ) tödtet man phantasirende
Kranke sogleich , damit sie nicht Andere anstecken können
( Turner 444 ) ; man begräbt sie und andere schwerer Erkrankte
lebendig ( 450 ) . Ebenso machen es die Ajetas der Philippinen , eine
Negritobevölkerung der Gebirge Luzons mit Schwerkranken ( de la
Gironière Aventures d'un gentilhomme Breton aux îles
Philippines 325 ) . In andern Gegenden Melanesiens ( auf den kleinen
Inseln bei Neu-Guinea ) setzen sich die Kranken
ans Meeresufer und
essen , was sie können , da nicht mehr essende Kranke sofort
getödtet werden . Kranke Glieder schnüren sie ein , um den
Dämon , der die Krankheit verursacht , zu fangen ( Reina in
Zeitschr. 4 , 360 ) . Denn auch hier gilt alle Krankheit für
Behexung ( Turner 18-19 ) , obwohl auch die Melanesier Aderlass und
derartige Mittel kennen ( eb. 92 ) . Auch in Mikronesien tödtete
man entweder die Kranken ( indem man sie in einem lecken Schiff ins
Meer stiess , Hale 80 ) oder man wandte , um sie zu curiren , Zauberei
an , so auch auf den Marianen ( le Gobien 47 ) .
Und nicht anders in Polynesien . Auch hier wurden sie oft
ermordet , oder doch ganz gleichgültig behandelt , wo denn jeder
Kranke für sich sorgte , so gut es ging , d.h. in den Wald oder
die Einsamkeit ging und entweder gesund oder gar nicht wieder
zurückkehrte . In Nukuhiva hielt man Schwerkranken Mund und
Nase zu , um den Geist festzuhalten ( Mathias G*** , 115 ) ;
ebenso in Südamerika bei den Moxos ( Waitz 3 , 538 ; b 151 ) . In
Tonga bestand die Behandlung der Kranken fast nur darin , dass man
sie von einem Tempel zum andern schleppte , um die Priester und
Götter für sie anzuflehen ; je kränker Jemand ist , je
weiter schleppt man ihn — und führt seinen Tod
natürlicherweise gerade dadurch herbei ( Mariner 1 , 110 ; 362
ff. u. sonst ) . Oder man opferte wie in Tahiti und sonst in
Polynesien , Kinder oder Sklaven , um das Leben eines Vornehmeren zu
erhalten . Doch waren die Tonganer als Chirurgen nicht ungeschickt
und sie wagten sich an gefährliche Operationen . Auch war
Skarifikation und der Gebrauch gewisser Pflanzensäfte in
Anwendung ( Mariner 2 , 267-270 ) . So wie bei ihnen , so gilt auch
sonst in Polynesien Krankheit als Bezauberung , oder als Rache und
Strafe der Götter : in Neu-Seeland ( Dieffenb. 2 , 59 ff. ) ; in
Tahiti ( Bratring 181-82 , Mörenh. 1 , 543 ) ; in Nukuhiva ( Math.
G. 228 ) ; und in Hawaii ( Tyermann u. Bennet 1 , 129 ) . Daher waren
auch hier die häufigsten Mittel Opfer und Gebete . Nur auf
Neu-Seeland scheint man etwas zweckmässiger verfahren zu
haben . Wenigstens kannten die Eingeborenen die Heilkraft ihrer
heissen Quellen und wendeten sie für kranke Kinder an
( Dieffenb. 1 , 246 ) , man gab den Kranken leichtere Kost , gebrauchte
Dämpfe von Pflanzenaufgüssen ( Pflanzenaufgüsse
kannten auch die Marianer nach le Gobien ) , Einreibungen mit warmen
Pflanzensäften u. dergl. ( Dieffenb. 2 , 41 ) . Dampfbäder
und darauf unmittelbar folgende kalte Abwaschungen waren
gleichfalls gebräuchlich ( Mörenhout 2 , 164 ) und Kneten
der Glieder überall verbreitet : in Nukuhiva , in Tahiti , Hawaii
u. s. w. In Tahiti hielt man jede Krankheit für Wirkung
göttlichen Zornes und es galt daher für sündlich ,
Arzeneien zu nehmen ( Turnbull 260 ) , gegen die sie auch einen
unüberwindlichen Abscheu haben ( 292 ) . Wird ein Eingeborener
dieser Insel krank , so wird er sofort von allen Angehörigen
und Landsleuten gemieden : er ist ganz hilflos und auf sich allein
angewiesen , ein Verfahren , welches sich bitter genug rächt :
denn die bei ihnen gewöhnlichsten Uebel sind solche , die schon
bei geringer Pflege leicht heilen , bei Vernachlässigung aber
tödtlich werden ( Turnbull 260 u. 292 ) . Als Chirurgen waren
auch sie wie alle Polynesier geschickt ( Mörenhout 1 , 161 ) .
In Amerika finden wir so ziemlich dasselbe . Denn auch die
Mexikaner , obwohl tüchtige Chirurgen und mit mancherlei
medizinischen Mitteln bekannt , setzten ihre festeste Hoffnung auf
abergläubische Mittel ( Waitz 4 , 165 , 174 ) . Die Californier
versuchten durch Anblasen und Aussaugen des kranken Gliedes oder
dadurch , dass sie andere opferten oder verstümmelten , die
Krankheit zu heben ( Waitz 4 , 250 ) . Aussaugen , Anblasen , Reiben galt
auch auf Haiti als Hauptmittel , so wie denn , merkwürdig genug ,
hier die Aerzte dieselbe Ceremonie anwandten , welche die
Neuholländer noch jetzt haben : sie zogen dem Kranken einen
Stein und mit ihm den Anlass aller Krankheiten aus dem Mund .
Schwerkranke wurden , wie in Mikronesien , ausgesetzt , oder , wie in
Nukuhiva erstickt ( Waitz 4 , 327 ) . Das Hervorziehen des Steines oder
Knochens aus dem Körper des Kranken fand sich auf dem
brasilianischen Festland unter den Payaguas ( Azara 269 ) . Auch in
Peru war das Heilverfahren , obwohl man einige Arzneipflanzen
kannte , purgirte und zur Ader liess , fast durchaus auf Zauberei
begründet ( Waitz 4 , 463 ) . In Nordamerika nun waren bei fast
allen den minder kultivirten Völkern die Aerzte ganz und gar
Zauberer , die Krankheit nur Besessenheit , der böse Geist ward
daher , zur Kur , ausgesaugt und ausgespieen , oder durch Blasen ,
Kneten , Schlagen und ähnliche Mittel entfernt ( Waitz 3 ,
213-14 ) . Auch in Südamerika ist Zauberei , Aussaugen Anblasen
u. s. w. Hauptmittel und fast überall der Arzt zugleich
Zauberer , nur bei den Botokuden nicht , welche nur natürliche
Mittel , Reiben , Kneten , Urtikation , auch , aber meist ohne Erfolg ,
innerliche Arzneien anwenden ( Tschudi 2 , 286-87 ) und als Chirurgen
nicht ungeschickt sind . Aber Zauberer waren die Aerzte bei den
Tupis , den Makusis , deren Heilverfahren , das neben vieler Zauberei
auch manche wirklich wirksame Mittel kannte , Schomburgk ( 2 , 333 )
schildert , ferner bei den Waraus ( eb. 1 , 170 ) , den Cariben ( 2 ,
427 ) , den Araukariern , welche indess neben den Zauberärzten
auch noch andere und tüchtigere Aerzte hatten ( Waitz 3 , 519 ) ,
den Feuerländern ( Bouqainville 130 ) u. s. w .
Dampfbäder sind sehr allgemein verbreitet und bei fast
allen Krankheiten angewendet ; so bei den Mexikanern und bei den
alten Tolteken ( Waitz 4 , 270 ) ; ebenso in Nordamerika ( 3 , 217 ) in
Südamerika bei den Makusi ( Schomburgk 2 , 333 ) und sonst .
Nicht anders war im grossen Ganzen , nach Langsdorff , das
Heilverfahren der Aleuten .
Auch die Hottentotten betrachteten alle Krankheiten als
Wir-
kungen von Zauberei und bösen Geistern , und behandeln sie
darnach , durch Beschwörung u. dergl. , doch wendet der Zauberer
oder die Zauberin dabei auch andere , innerliche und
äusserliche Heilmittel an . Wunderbarer Weise findet sich denn
auch hier , wie auf den Antillen , jener sonderbare
neuholländische Gebrauch wieder , einen Stein — hier
einen Knochen — unter mancherlei Ceremonien aus dem Leibe
( Mund , Ohr , Rücken u. s. w. ) des Kranken , der ihm eingehext und
der Sitz der Krankheit sei , hervorzuziehen , damit jener genese
( Sparmann 197-98 ) . Ihre Giftärzte sollen freilich sehr
ausgezeichnete Mittel gegen Schlangenbiss haben , und die Colonisten
haben , was sie von Heilpflanzen der südafrikanischen Flora
kennen , erst von den Eingeborenen gelernt ( Waitz 2 , 344 ) . Allein
Schwerkranke , Alte und Hülflose setzen die Hottentotten
häufig aus ( Sparmann 320 ) ; Sterbende schüttelt und
stösst man , gewiss um den Dämon der Krankheit zu
verscheuchen , überhäuft ihn mit Vorwürfen , dass er
die Verwandten durch seinen Tod betrübe , bittet ihn zu bleiben
u. s. w. ( Sparmann 273 ) .
Die Zauberer aber gerathen sehr häufig , wenn ihre Kur nicht
anschlägt , in Gefahr , von den erbitterten Angehörigen arg
gemisshandelt oder getödtet zu werden . Für Amerika bringt
Waitz und die angeführten Autoren eine Menge Beispiele bei :
für Afrika genüge eins , welches bei Sparmann 198
erwähnt wird : ein Fürst , der an schlimmen Augen litt und
von den Zauberern nicht geheilt werden konnte , liess diese alle
umbringen , weil er glaubte , dass einer von ihnen , der ihm feindlich
gesinnt sei , seine Heilung verhüte . Denn jeder
unglückliche Ausgang einer Krankheit gilt als bewirkt durch
stärkeren Zauber , hier und in Amerika und Polynesien .
§ 5. Geringe Sorgfalt der Naturvölker für ihr
leibliches Wohl .
Indess , da ja Krankheiten die Naturvölker in ihrem
gewöhnlichen Zustand nur wenig plagen , so möchte alles
dies Verkehrte , und wenn es manchem Kranken den Tod brachte , doch
nicht allzuviel für ihr Hinschwinden bewirkt haben ; viel
gefährlicher ist die geringe Sorge , welche fast alle
Naturvölker auf ihre leibliche Pflege verwenden und verwenden
können . Freilich sind sie abgehärtet gegen Vieles durch
eigene Gewöhnung und , wodurch diese erst in so hohem Grade
ermöglicht wird , durch Vererbung ; und so fühlen sich auch
noch die Feuerländer , nach Darwin die elendesten und
niedersten Menschen , in ihrem entsetzlichen Klima , ohne rechtes
Obdach , auf dem nassen Boden schlafend , nackt , nur kümmerliche
Nahrung
und diese nur mit Mühe findend , nach ihrer Art wohl
und begehren nichts Besseres ( Darwin 1 , 230 ) . Die Eskimos sind an
ihre Schneewüsten , die Neuholländer an ihre unfruchtbaren
Steppen , die ihre wandernde Lebensart bedingen , die
neuholländischen Weiber an ein Leben voll Last und Mühe ,
an die schrecklichste Behandlung gewöhnt , so weit menschliche
Natur sich gewöhnen kann . Trotz aller Gewöhnung aber
hängt es mit der Lebensart der Naturvölker zusammen , dass
sie , auch bei der ersten Bekanntschaft mit den Europäern ,
bisweilen selbst wenn sie schon eine gewisse Halbkultur erlangt
hatten , verhältnissmässig so geringe
Bevölkerungsziffern aufweisen ; sie leben eben so , dass die
menschliche Natur nicht anders als kümmerlich gedeiht —
wenn auch die einzelnen Individuen oft ganz besonders stark
erscheinen . Es ist ja aber gerade ein oft wiederholter Ausspruch ,
die Naturvölker seien deshalb körperlich so kräftig ,
weil alle schwächlichen Kinder ohne weiteres erlägen ; so
z. B. Humboldt b 2 , 189 .
Nicht bloss schwächliche Kinder erliegen indess ; und diese
Sterblichkeit der Kinder ist das erste , was wir hier zu betrachten
haben . Die Feuerländer , deren Wohnung nicht den geringsten
Schutz bietet ( Darwin 1 , 228 ) , setzen ihre Kinder nackt der Wuth
ihres Klimas aus ( eb. 229 ) . Fast alle Indianer in Nord- und
Südamerika führen jetzt ein elendes Wanderleben ; und
überall hin werden die Kinder von den Müttern
mitgeschleppt , auf den rauhesten und weitesten Märschen und
oft noch , während sie durch aufgelegte Bretter und andere
gewaltsame Mittel ( um ihrem Kopf eine eigenthümliche Gestalt
zu geben ) in der natürlichen Entwickelung gestört sind .
Schon bei der Geburt werden viele Kinder sterben . Denn überall
ist es Sitte , dass das Weib kurz vor der Geburt sich in den Wald
begiebt , dort allein gebiert , sich selbst die Nabelschnur
abschneidet und unterbindet , dann sich und das Kind sogleich in
kaltem Wasser badet und nun zurückkehrt , nicht etwa zur
Pflege , sondern zur erneuten Arbeit . Dies war der Fall bei den
Waraus in Guyana ( Schomburgk 1 , 166 ) , bei den Cariben und Makusi
( eb. 2 , 315 , 431 ) ; und in Nordamerika sehr vielfach ( Waitz b , 98 ) .
Die Nahrung aber , welche ein Kind nach und neben der Muttermilch
bekommt , ist oft schon an und für sich schädlich und
ungesund . Grosse Sterblichkeit herrscht noch unter den Kindern des
heutigen Mexiko in Folge verkehrter Diät ( Waiz 4 , 196 ) . Die
Nahrung wird ihnen auch noch beschränkt durch die
eigenthümliche Sitte , neben den Kindern Thiere , Affen ,
Beutelratten u. s. w. zu säugen , was die Makusi , die Waraus , die
Cariben und verschiedene andere Völker thun ( Schomburgk 2 ,
315. 1 , 167 ) . Von der schlechten Wartung der Kinder , wenn sie krank
sind , spricht Humboldt b. 4 , 224 und der Schmutz , in welchem sie
aufwachsen , und von denen Schomburgk aus Guyana Abschreckendes
erzählt , kann auch keinen guten Einfluss haben . Und doch
lieben
die Amerikaner in Nord- und Südamerika ihre Kinder aufs
innigste .
In Tahiti nehmen die Frauen unmittelbar nach der Geburt sofort
Dampfbäder mit kalten Abwaschungen ( Wilson 461 ) , in Neuseeland
gleichfalls , wo die Kinder , wie in Tahiti , ganz nackt bleiben und
eher schwimmen als laufen können ( Dieffenbach 2 , 24-25 , Ellis
1 , 261 und Mörenh. 2 , 61 ) ; und ebenso auf Nukuhiva ( Melville
2 , 191 ) . Hautkrankheiten , und zwar sehr bösartige der Kinder
( jaws , framboesia ) werden öfters erwähnt , z. B. in Tonga ,
wo die Kinder gut gepflegt und sonst sehr gesund sind ( Mariner 2 ,
179 ) und in Ponapi ( Cheyne 122 ) . Grosse Sterblichkeit herrscht aber
unter den Kindern wegen Mangel an Pflege und Wartung in Hawaii
( Virgin 1 , 268 ) und ebenso in Tahiti ( Bennett 1 , 148 ) . Ellis sagt ,
dass die tahitischen Kinder , obwohl dem Aussehen nach dick und
gesund , doch bis zu einem Alter etwa von 12 Monaten sehr zart und
hinfällig wären ( 1 , 260 ) . Formation des Schädels
durch Platt- und Hochdrücken war in Tahiti sehr häufig 1 ,
261 . Auch auf Mikronesien ist die Wartung der Kinder schlecht . Auf
Tobi ( Lord North , äusserstes Süd-Westende Mikronesiens )
erhalten die Kinder sofort nach der Geburt ganz gleiche Speise wie
die Erwachsenen ( Pickaring , Memoir of the Language and Inhabitants
of Lord Norths Isl. 1845 ; 228 ) , und ebenso auf Ratak Kokosmilch und
Pisang , den ihnen die Mutter vorkaut ; schädlicher aber als
diese Nahrung ist ihnen die Unregelmässigkeit , mit der sie
überhaupt etwas bekommen ( Gulick 180-181 ) , daher denn auch
hier die Sterblichkeit unter ihnen gross ist . Auch in Polynesien
säugen die Weiber gern Thiere auf neben den Kindern , wie z. B.
die Hawaierinnen nach Remy XLII Hunde und Schweine .
In Melanosien ist es nicht besser : die Kinder werden nicht
gepflegt und müssen von der Geburt an das Leben der Alten
mitmachen . In einigen Gegenden Neu-Guineas ( Finsch 103 ) wird der
Gebärenden fortwährend kaltes Wasser über den Kopf
gegossen , ist aber das Kind geboren , Mutter und Kind sofort kalt
gebadet und dann einer möglichst starken Hitze neben einem
lodernden Feuer ausgesetzt , und so abwechselnd weiter . Je heisser
und länger Mutter und Kind diese Höllenkur vertragen ,
für desto gesünder gelten beide . In einer anderen Gegend
hatte eine Frau ein unlängst erst geborenes Kind auf den
heissen Sand gelegt und arbeitete in der Nähe ; als Fremde
kamen , grub sie es ohne weiteres bis an den Hals in den Sand und
arbeitete fort ( eb. 63 ) .
Fast nirgends aber sterben mehr Kinder als in Neuholland : von
vieren wird kaum mehr als eins drei Jahre alt ( Turnbull 43 ) , was
sich aus der Behandlung , die ihnen zu Theil wird , und die nur
ausserordentlich starke Kinder überstehen , erklärt . Kaum
geboren wird das Kind in ein Opossumfell gewickelt , überall
mit hingeschleppt und meist im höchsten Grade nachlässig
behandelt , dem
Feuer zu nahe gelegt und dergl. ( Grey 2 , 250-251 ) .
Dies Wandern führt auch Darwin ( 2 , 213 ) als Grund der
Sterblichkeit unter den Kindern an , und es ist beachtenswerth , was
er zusetzt : » Wie die Schwierigkeit , sagt er , sich Nahrung zu
verschaffen , wächst , so wächst ihre wandernde Lebensweise
und darum wird die Bevölkerung ohne eigentlichen Hungerstod
auf eine so ausnehmend gewaltsame Weise zurückgehalten , im
Vergleich mit civilisirten Ländern , wo der Vater seine Arbeit
mehren kann , ohne den Sprössling zu vernichten « . Dazu
wird ihnen auch noch die Nahrung dadurch verkürzt , dass auch
hier die Weiber vielfach junge Thiere , Hunde , säugen ( Grey 2 ,
279 ) und gewiss oft nur aus Noth : denn ein Hund ist jetzt um so
mehr , als die Jagdthiere immer scheuer und seltener werden , ein
grosser Schatz für den jagenden Eingeborenen und die Nahrung
für die jungen Thiere ist gewiss oft genug selten .
Kurz aber mit allem Nachdruck müssen wir hier
erwähnen , dass auch das Tattuiren , was in ganz Polynesien
häufig betrieben wird , häufig den Tod nach sich zieht
( Ellis 1 , 266 ) ; und da man nur eben heranwachsende dieser Operation
unterwirft , so wird der Jugend auch durch sie ein nicht zu
unterschätzender Abbruch gethan .
Wichtiger freilich , weil eine Sache von grösstem Einfluss
auf das leibliche Gedeihen der Naturvölker , ist die oft
über alle Begriffe schlechte Behandlung der Weiber . So vor
allen Dingen in Neuholland . Die armen Weiber müssen , schwanger
oder nicht , mit allem Gepäck und oft noch mit 1-2 Kindern
beladen , dem Manne , der nur das Jagdgeräth trägt , folgen ;
sie müssen , kaum angekommen , alle Arbeit für den Haushalt
besorgen , die Hütte aufschlagen , Feuer machen , Wurzeln ,
Muscheln erst suchen , dann kochen , für den Mann , die Kinder
alles Nöthige bereiten , und dann , wenn sie bei alle dem oft
aufs brutalste behandelt sind , dem Manne Nachts geschlechtlich zu
Willen sein . Die beste Nahrung , die sie finden , ist für den
Mann und ihre Söhne ; sie dürfen erst essen , was diese
übrig lassen und wenn sie fertig sind . So ist ihr Loos Tag
für Tag : denn von dem , was sie noch ausser diesem
gewöhnlichen Elend besonderes Schlimmes trifft ( z. B. die Art ,
wie sie von den Männern zur Ehe geraubt werden ) , brauchen wir
hier nicht zu reden . Ein wichtiger Umstand ist ferner , dass ihre
Pubertät schon mit 11 oder 12 Jahren beginnt und sie schon mit
diesen Jahren verheirathet werden . Nimmt man zu alle dem nun noch
hinzu , dass sie ihre Kinder sehr lange säugen , oft bis 3 Jahre
( Grey 2 , 248-250 ) ja länger (4-6 Jahre nach Salvado 311 ) , so
wird man sich nicht wundern , dass die Lebensdauer dieser
Unglücklichen , die nichts desto weniger oft ganz fröhlich
sind und ihren Männern mit Liebe anhangen , nicht allzulang ist
und dass es weniger Weiber als Männer gibt , im
Verhältniss wie 1:3 nach Grey , nach anderen wie 2:3 —
ein Umstand indess , der wahrscheinlich mit be-
dingt ist durch die
Sitte , neugeborene Mädchen umzubringen , von der wir
später reden müssen .
Und in Amerika ist es nicht besser . » Entbehrung und
Leiden , sagt Humboldt b 2 , 192 , sind bei den Chaymas , wie bei allen
halbbarbarischen Völkern , das Loos des Weibes . Wenn wir die
Chaymas Abends aus ihren Gärten heimkommen sahen , trug der
Mann nichts als ein Messer , mit dem er sich einen Weg durchs
Gesträuch bahnt . Das Weib ging gebückt unter einer
gewaltigen Last Bananen und trug ein Kind auf dem Arm und zwei
andere sassen nicht selten oben auf dem Bündel « . Auch
die Botokudinnen müssen , wie ihre Leidensgenossinnen in
Neuholland , alle Arbeit thun , alles Gepäck schleppen und sich
dann noch von ihren Männern aufs roheste misshandeln lassen
( Tschudi 2 , 284 ) . Dasselbe erzählt Schomburgk von den
Bewohnern Guyanas ( 2 , 313 ; 1 , 122 ff. ) und mit einem schauderhaften
Beispiel von roher Misshandlung von den Cariben ( 2 , 428 ) . Noch
härter ist das Loos der Weiber in Nordamerika , wo sie auch die
Feldarbeit thun müssen ( Humboldt b 2 , 293 ) und noch roher
misshandelt werden ( Waitz b , 98 ) . Mrs. Eastmann , welche
längere Zeit selbst mit den Dakotas gelebt hat und daher diese
Völker genau kennt , hat wohl Recht , wenn sie ( bei Waitz b , 98 ;
3 , 100 ) sagt : » Die Arbeit des Weibes wird nie fertig . Sie
macht das Sommer- und Winterhaus . Für jenes schält sie im
Frühling die Rinde von den Bäumen , für dieses
näht sie die Rehfelle zusammen . Sie gerbt die Häute , aus
denen Röcke , Schuhe und Gamaschen für ihre Familie
gemacht werden und muss sie abschaben und zubereiten , während
noch andere Sorgen auf ihr lasten . Wenn ihr Kind geboren ist , kann
sie sich nicht ruhen und pflegen . Sie muss für ihren Mann das
Rudern des Kahnes übernehmen , Schmerz und Schwäche wollen
dabei vergessen sein . Immer ist sie gastlich . Geh zu ihr in ihr
Zelt , sie gibt dir gern , was du brauchst , wenn es nur in ihrer
Macht steht , und thut bereitwillig , was sie kann , um es dir bequem
zu machen . In ihrem Blick ist wenig Anziehendes . Die Zeit war es
nicht , die ihre Stirn gerunzelt und ihre Wange gefurcht hat .
Mangel , Leidenschaft , Sorgen und Thränen haben es gethan . Ihre
gebückte Gestalt war einst anmuthig , Mangel und Entbehrung
erhalten die Schönheit schlecht « . So kommt es vor , dass
Mädchen von ihren Eltern getödtet werden , um sie dem
elenden Loos , das ihrer wartet , zu entziehen ; und dass Weiber sich
selbst umbringen , weil sie die Bürde ihres Lebens und Leidens
nicht mehr zu tragen vermögen ( Waitz 3 , 103 ) . Nur bei einigen
wenigen Völkern war das Loos der Weiber etwas besser ( Waitz 3 ,
181 ) . Die Speisen des Mannes durften die Weiber nicht theilen , ja
oft nicht einmal mit den Männern zusammen essen ( Schomburgk 2 ,
428 ) , eine Sitte , die auch überall in Ozeanien herrscht und
ihren letzten Grund in religiösen Anschauungen hat . Doch waren
durch sie den Weibern meist die wirklich guten und nahr-
haften
Lebensmittel untersagt , was bei ihren schweren Arbeiten von
doppeltem Gewichte war . In Poly- und Mikronesien ( in Melanesien
herrschten Sitten , die den australischen näher kommen und
Fidschi steht zwischen beiden ) war die Stellung der Weiber nicht
schlecht ; allerdings waren sie meist von der Gesellschaft und den
Genüssen der Männer ausgeschlossen , doch empfanden sie
dies sowie die Prostitution , zu der sie verurtheilt waren , nicht ,
weil es die Sitte nun einmal mit sich brachte und man sie sonst als
Freudenspenderinnen ehrte . Wirklich schlecht scheinen sie nur in
der Paumotugruppe behandelt zu sein , von wo und zwar von Mangareva
Mörenhout 2 , 71 schreckliche Beispiele äusserster
Bedrückung und grausamster Misshandlung erzählt .
Während an den meisten Orten den Weibern so gut wie gar keine
oder nur weibliche Arbeit , Zeugbereiten und dergl. obliegt , wie in
Tonga , in Tahiti , in Nukuhiva ( Melville 2 , 147 ) ; so müssen sie
in andern Inseln fast alle Arbeit thun , wie in Neuseeland
( Dieffenb. 2 , 12 ) . Frühreife der Weiber ist in Polynesien sehr
gewöhnlich . Auf Neuseeland tritt die Pubertät früher
als bei uns , doch später als in Südeuropa ein ( Dieffenb.
2 , 33 ) nach Browne 38 sind sie schon mit dem 11. Jahre
heirathsfähig und früher coitus ist auf der ganzen Insel
gewöhnlich ( Dieffenb. 2 , 12 ) . Aehnlich fand es Cook auf Tahiti
( b , 126-127 ) . Dass sich 11jährige Mädchen den Fremden
anbieten , ist gar nicht selten ; es soll auch noch jüngere
geben , die es thun . Die Geschlechtsentwickelung auf den
Fidschiinseln fällt später : für die Mädchen ins
14. , für Knaben ins 17. oder 18. Jahr ( Wilkes bei Waitz 1 ,
126 ) . Auch in Amerika reifen die Weiber sehr früh ( Azara an
vielen Stellen ) . Schomburgk ( 1 , 123 ) sah unter den Waraus in Guyana
eine Frau von kaum 10 Jahren , die dennoch hochschwanger war .
Humboldt der b 2 , 188 sagt , dass die Chaymasweiber mit 11-12 Jahren
sich verheiratheten , erzählt dasselbe von den Eskimos der
Nordwestküste von Amerika , den Koriäken und den
Kamtschadalen ( 190 ) , bei denen häufig 10jährige
Mädchen Mütter sind . Er meint zwar , dass diese
frühzeitigen Heirathen der Bevölkerung nichts schadeten :
jedenfalls aber hängt das frühzeitige Verblühen der
Weiber ( Waitz b , 99 ; Tschudi 2 , 298 ; Schoinburgk sagt in Beziehung
auf Guyana dasselbe ) mit dieser Frühreife zusammen . Doch gibt
es Stämme in Nordamerika , wo die Geschlechtsreife viel
später eintritt ( Waitz 1 , 125 ) Thunberg sah bei den
Hottentotten hinwiederum Mädchen von 11-12 Jahren , welche
schon Kinder hatten ( 25-26 Diese Frühreife der Weiber ist wohl nicht , wie Humboldt b 2 , 190 will , Raçencharakter . Einmal widerspricht dieser Behauptung , dass sich mancherlei Beispiele von später Entwicklung auch unter den Amerikanerinnen findet ; und sodann , dass fast bei allen Naturvölkern die Mannbarkeit so früh eintritt . Wenn nun auch das Klima mannigfachen Einfluss hierauf hat ( Waitz 1 , 45 ) , so doch keineswegs einen überall gleich bleibenden und sicher nachzuweisenden . Denn bei den Eskimos , bei den Kamtschadalen und anderen Völkern in so hohen Breitengraden finden wir dieselbe Erscheinung und die Fidschis z. B. in der heissen Zone zeigen sie nicht . Waitz 1 , 125 führt die animalische Nahrung und die hohe Temperatur in den Hütten vieler dieser Völker als Grund an . Allein auch dies trifft nicht bei allen zu . Sollte nicht der Grund der frühen Mannbarkeit der sein , dass einmal bei der gänzlichen Schrankenlosigkeit der Naturvölker die Wünsche früher erregt und ferner die Mädchen zu frühe begehrt werden ? Das konnte und musste im Laufe der Generationen seine Wirkung zeigen . Die Gewöhnung vererbte sich immer mehr , setzte sich durch Vererbung immer fester , und so entwickeln sich die Geschlechtsfunktionen wirklich früher , als es der menschlichen Natur eigentlich normal ist . So würde sich diese Erscheinung bei allen Naturvölkern gleich gut erklären : und man lernt täglich Gewöhnung und Vererbung mehr in ihrer Bedeutung für die Geschichte der Menschheit schätzen . Dass Klima und sonstige Lebensweise mit gewirkt haben , soll damit nicht abgeläugnet werden ; nur sind sie bei den Naturvölkern von untergeordnetem Einfluss , und die Einwirkung von Gewöhnung und Vererbung ist gewiss die Hauptsache . Nirgends ist der Einfluss des Willens , der Wünsche und Gedanken so gross , als gerade im geschlechtlichen Verhältniss . ) .
Zu dieser frühen Entwickelung kommt nun ein sehr langes
Säugen . Wie in Neuholland die Weiber — und in Polynesien
ist es ebenso , nach Dieffenbach a.a.O. und anderen — so
säugen auch die Amerikanerinnen ihre Kinder öfters bis
ins 12. Jahr und dies Säugen wird , wenn die Mutter
mittlerweile durch ein 2. Kind beansprucht wird , von der
Grossmutter fortgesetzt ! Die Indianerinnen behaupten , im Besitz
eines Mittels zu sein , welches ihnen länger und
unerschöpflicher die Milch erhalte ( Schomburgk 2 , 239.
315 ) .
Muss eine solche Lebensart , welche auch bei den Hottentotten um
nichts besser und nur in Nebendingen anders ist , die Weiber
frühzeitig welken lassen und dahinraffen , so ist die
Lebensweise der Männer vielfach auch vollkommen aufreibend
durch das Uebermass von Anstrengungen , was sie mit sich bringt . Man
denke auch nur , was es heissen will , Tag für Tag , bei oft ganz
ungenügender oder durch ihre zu reichliche Fülle
schädlicher Nahrung , fortwährend umherzuziehen , über
endlose Strecken dem Wild nach , in den Anstrengungen der Jagd oder
des Krieges und dabei allen Unbilden des Klimas , des Wetters
ausgesetzt ! Daher finden wir nirgends in Neuholland oder dem
Feuerland oder unter den Wanderstämmen Amerikas ein so hohes
Alter unter den Einzelnen als es Chamisso auf den Ratakinseln und
San Vitores ( nach le Gobien 47 ) auf den Marianen fand , wo
100jährige Greise nicht selten waren , während Grey schon
70 Jahre als hohes Alter unter den Neuholländern betrachtet
( 2 , 247-248 ) , aber gleich hinzusetzt , dass bei der grossen
Sterblichkeit der Kinder , die mittlere Lebensdauer bei ihnen viel
geringer als in Europa ist . Nach Azara freilich erreichen die
brasilianischen
Stämme ein sehr hohes Alter : er will unter den
Payaguas mehrere Männer gesehen haben , die zum wenigsten 120
Jahre alt waren ( 270 ; vgl. 173 ) . Die Polynesier , überhaupt die
Bewohner kleiner und meist genügend fruchtbarer Inseln , so
bedenklich ein solcher Wohnort nach anderen Seiten sein mag , sind
in dieser Beziehung besser gestellt , da schon die Oertlichkeit
ihrer Heimath solche übermässige Anstrengung
verhütet ; die langen und dünnen Gliedmaassen , die
vorhängenden Bäuche , die verkommene Gestalt aber der
Neuholländer ist zweifelsohne nicht Raçencharakter ( an
einem anderen Ort gedenke ich den Nachweis zu führen , dass die
letzteren gleichfalls ein Zweig des malaiopolynesischen Stammes
sind ) , sondern durch die mühselige Lebensart , das ewige
Wandern , die Unregelmässigkeit der Nahrung hervorgebracht . Und
natürlich steigert sich alle diese Noth durch die Ausbreitung
der Europäer , durch welche die Jagdthiere der Naturvölker
sehr rasch zusammenschmelzen ; ja sie steigert sich durch sich
selbst und ihre eigene lange Dauer , da die Thiere , stets verfolgt ,
dadurch immer scheuer , die Jagd immer schwieriger wird , wie von
Tschudi 2 , 279 von Südamerika bezeugt . Auch werde , um nichts
zu übergehen , wenigstens beiläufig an das erinnert , was
Tschudi eb. 290 sagt , dass mangelnde Jagdbeute die Völker
nöthigt , ihre Jagdzüge weiter auszudehnen und das Gebiet
anderer Horden zu verletzen ; dass diese ihr Gebiet vertheidigen und
sich so oft sehr bedeutende Kämpfe um die Existenz entwickeln .
Auf beschränktem Terrain war Ausrottung der Jagdthiere
bisweilen nothwendige Folge auch der vorsichtigsten Jagd ; so in
Neuseeland , wo die grossen Jagdvögel , die Moas ( Dinornis ,
Apteryx ) , nach und nach ausgerottet sind von den Eingeborenen
selbst , die ersteren ganz , die letzteren wenigstens zum
grössten Theil , und zwar ohne Schuld der Maoris : die
Vögel vermehrten sich langsam und wurden bei ihrer
Unbehülflichkeit und dem nicht sehr günstigen Terrain
leicht die Beute der Jäger . So starben sie aus , ohne dass man
jenen ein blindes Wüthen gegen die Jagdthiere vorwerfen
dürfte .
Betraf dies nun ihre Lebensart im Allgemeinen , so müssen
wir nun noch von einzelnen Punkten speziell reden . Zunächst
die Nahrung , in deren Auswahl und Aufbewahrung fast alle
Naturvölker wenig Sorgfalt zeigen . Sie dürfen auch , da
die Natur von selbst , auch in den Tropen , nicht zu jeder Zeit und
nicht allzubereitwillig das Nöthige bildet , nicht allzu
wählerisch sein . So essen denn z. B. die Botokuden eigentlich
Alles , ausser geniessbaren Thieren auch Füchse , Aasgeier ,
Mäuse , Schlangen , Eidechsen , Kröten , Fledermäuse ,
Insektenlarven , Würmer , ungeputzte Eingeweide ( Tschudi 2 , 279.
298 ) und dergl . In Guyana graben die Kinder 18 Zoll lange
Skolopender aus der Erde und — fressen sie lebendig ( Voigt
Zoologie V , 420 nach Humboldt ) . Das Erdeessen der Otomaken
hält Humboldt , der es b 6 , 102 ff. mit Herbeiziehung alles
Analogen bei
anderen Völkern bespricht , zwar nicht für
schädlich , nützlich aber ist es auch nicht , sondern nur
hungervertreibend . Auch in Australien ( Grey 2 , 263-264 ) findet es
sich ; doch wird hier die Erde mit einer geriebenen Wurzel
gemischt .
In Australien ist zwar nach Grey 2 , 259-261 der Nahrungsmangel
nicht so gross , als man gewöhnlich annimmt und vieles was uns
nur aus äusserstem Elend gewählt scheint , ist ihnen eine
willkommene Leckerei ; indess sagt Grey doch selbst , 261 ff. , dass
jede Gegend des Continents ihre besondere Nahrung habe , die man
aber erst kennen und aufsuchen müsse . Und das scheint keine
leichte Sache , wenigstens war er selbst , obwohl von einem nicht
unbefähigten Eingeborenen begleitet , auf seinem unfreiwilligen
Zug die Westküste des Kontinentes entlang in der
äussersten Lebensgefahr durch Hunger . Ein fauler Walfisch ist
den Neuholländern , während sie sonst sehr ekel gegen
angegangenes Fleisch sind , grösster Genuss und je stinkender
die Speise , desto willkommener wird sie , wie auch die Thakallis ,
ein Stamm der Athapasken in Nordamerika , faules Fleisch
vorzüglich gern essen ( Waitz b , 90 ) . Und wie nun diese
Völker essen ! » Die Botokuden geniessen die meisten
Nahrungsmittel , besonders das Fleisch in halbgarem Zustande . Es
wird über das Feuer gehalten , bis die äussersten
Schichten etwas angebrannt sind und dann verzehrt . Die
Gefrässigkeit dieser Indianer ist fast sprichwörtlich
geworden . — — Wenn ein glücklicher Jagdzug
reichliche Beute gewährt , so wird sie gierig verzehrt und da
das Fleisch rasch in Fäulniss übergeht , um ja nichts zu
verlieren , der Magen so lange vollgestopft , als eine physische
Möglichkeit dazu vorhanden ist . Dann folgt eine lange
behäbige Verdauungsruhe und dieser oft wochenlang
äusserst spärliche Mahlzeiten . Völker und
Individuen , die ausschliesslich auf Fleischnahrung angewiesen sind ,
haben eine rasche Verdauung und es äussert sich bei ihnen
Heisshunger viel heftiger als bei jenen , die an eine vegetabilische
oder gemischte Nahrung gewöhnt sind . Sie können sich aber
auch mit einer sehr geringen Quantität ihrer gewohnten
Fleischnahrung lange kräftig erhalten , leiden dabei aber stets
an Hunger . Bei jeder sich darbietenden Gelegenheit suchen die
Botokuden ihren steten Hunger durch übermenschliches Fressen
zu stillen und verschlingen mit der Gier eines Raubthieres die
ekelhaftesten Gegenstände ohne Wahl mit gleichem
Heisshunger « . Was Tschudi ( 2 , 278-279 ) uns so von den
Botokuden erzählt , das kann mit denselben Worten von allen
Naturvölkern Amerikas , von den Feuerländern bis zu den
Eskimos , das kann von den Hottentotten , von denen es allwärts
bekannt ist ( von den Buschmännern bezeugt es z. B. Lichtenstein
2 , 355 ) , und trotz ihrer mehr gemischten Nahrung von den
Neuholländern , den meisten Melanesiern , und auch , obwohl bei
diesen meist die vegetabilische Nahrung vorwiegt , von vielen
Polynesiern gesagt werden , von den roheren gewiss , doch zu
Zeiten
auch von den cultivirteren , wenigstens übersteigt die Masse
der bei Festlichkeiten verschlungenen Lebensmittel alle
europäischen Begriffe bei weitem . Ja es kam vor , dass man bei
grossen Vorräthen , wie einst die hochcivilisirten Römer ,
Brechmittel nahm , um mit frischen Kräften weiter essen zu
können ( Waitz 3 , 82 , vom südl. Nordamerika ) . Zwiefach
gefährlich ist eine solche Lebensart , einmal , weil sie dem
menschlichen Organismus gewiss nicht entsprechend und also
schädlich ist ; und zweitens weil sie , da man alles was die
Gegenwart bietet aufzehrt und in sich stopft , Vorräthe zu
sammeln aber etwas ganz Ungewohntes ist , für die Zukunft ,
für welche Naturvölker nur in den seltensten Fällen
und auch dann meist sehr unvollkommen sorgen , die bedenklichsten
Folgen hat . Hungersnoth entsteht in Polynesien nicht selten durch
gänzliches Aufzehren aller Lebensmittel bei Festlichkeiten ,
obwohl doch die meisten Völker hier Vorräthe sammeln .
Uebrigens thun dies auch manche Indianerstämme ( Waitz b , 91 ) .
Man sollte denken , gerade die Naturvölker , durch Noth und
Erfahrung belehrt , müssten am ersten für die Zukunft
Sorge zu tragen gelernt haben , allein Waitz , der daran erinnert ,
dass » auch unter den civilisirten Völkern die Individuen
und die ganzen Classen der Gesellschaft sich um die Zukunft wenig
oder gar nicht kümmern , denen zur Arbeit jedes andere Motiv
fehlt , ausser der Sorge für ihren eigenen
Lebensunterhalt « , hat sehr richtig b , 84 u. 91 die
psychologischen Gründe entwickelt , warum die kulturlosen
Völker nur der Gegenwart leben . Die Hauptsache ist , dass sie
allzusehr unter der Herrschaft der sinnlichen Nerveneindrücke
stehen : die Vorstellung , welche sie gerade gegenwärtig haben ,
verdrängt alle anderen aus ihrem Bewusstsein , und ist , nach
Noth und Entbehrung , die Gegenwart wieder gut , so kommt dazu der
physische Genuss dieses Wohllebens , dieser Ruhe , der die
augenblicklichen Vorstellungen mit um so grösserer Macht zu
alleinherrschenden macht ( Waitz 1 , 351 ) .
Aber nicht bloss sorglos sind sie um die Zukunft : wie oft
zerstören sie sich man kann fast sagen die Lebensbedingungen
für dieselbe selbst , so namentlich auf der Jagd . » Der
Jäger , sagt Waitz 1 , 350 , geräth , besonders massenhafter
Beute gegenüber , wie der Soldat im heissen Kampfe , in eine
grenzenlose Wuth , er mordet mit Lust und verwüstet das Wild
meist in völlig nutzloser Weise , verzehrt davon das Beste und
oft dieses kaum , wenn es im Ueberfluss sich darbietet . Daher
brauchen Jägervölker ein ganz
unverhältnissmässig grosses Areal und gerathen trotzdem
oft in Noth , weil ihnen Schonung der Jagdthiere ebenso fremd ist ,
als sparsames Haushalten mit Vorräthen überhaupt . Der
hundertste Theil des von den Zulus erlegten Wildes , bemerkt
Delagorgue , würde zu seinem und seiner Begleiter Unterhalt
mehr als hinreichend gewesen sein . « Die Buschmänner
zerstören häufig grössere Jagdbeute aus Missgunst
und Bosheit : » was sie selbst
im Ueberfluss nicht gebrauchen
können , soll wenigstens keinem anderen zu Gute kommen « ,
sagt Lichtenstein 2 , 565 von ihnen . Aehnlich berichtet Hearne 120
von den nördlichsten Stämmen Nordamerikas , die das Wild
schliesslich der Zungen , des Markes , des Fettes wegen , aller
Gegenvorstellungen zum Trotz , erlegten , die an keinem Nest mit
Jungen oder Eiern vorübergehen konnten , ohne es zu
zerstören . Waitz 3 , 81 sieht darin nur die Sitte eines
gänzlich rohen Stammes und sagt , dass , wo diese und
ähnliche Sitten jetzt eingerissen seien , es in Folge
moralischer Gesunkenheit geschehen sei , da sonst Sparsamkeit der
Charakter der meisten Indianer gewesen sei . Mag letzterer Zug ganz
richtig sein : die Leidenschaft der Jagd aber , welche kein Thier
schont , findet sich in Amerika nicht nur bei verkommenen
Völkern . Sie herrscht in Canada ( Waitz 3 , 85 ) und gewiss sonst
noch aus der abergläubischen Ansicht , dass die fliehenden
Thiere die anderen warnen und verscheuchen würden . Von
Südamerika berichtet Azara 193 Gleiches . Dasselbe gilt von den
Neuholländern .
Und nicht genug , dass sie sich auf diese Weise die Nahrung
selbst zerstören : sie verbieten sich auch eine Menge Speisen ,
oft gerade die besten , durch religiösen Glauben . Zunächst
sind die Frauen fast überall in Amerika , Polynesien und
Australien , in Neuholland auch die Jünglinge und Knaben ( Grey
2 , 248 ) , von den besten Nahrungsmitteln , die nur den erwachsenen ,
oft nur den greisen Männern erlaubt sind , ausgeschlossen . Dann
aber gehört das Totem der Indianer hierher , von dem Waitz 3 ,
119 sagt : » Der politische Verband des Volkes beruhte in alter
Zeit sehr allgemein auf einer Eintheilung in Banden oder
Geschlechter , deren jedes durch ein Thier oder einen
Körpertheil , eines Thieres als Marke bezeichnet war , z. B.
Bär , Büffel , Fischotter , Falke und dergl . Nur ein Fisch
oder ein Theil eines Fisches konnte diese Marke nicht sein . «
Der Name dieser Marke , Totem , kommt von den Algonkin.
Wahrscheinlich ( ebend. ) hatte das Totem ursprünglich eine
religiöse Bedeutung : das Thier des Totem war der Schutzgeist
der nach ihm benannten Familie , wurde von dieser heilig gehalten
und durfte von ihr nicht gejagt werden . Und ebenso verhielt
es sich gewiss mit » der Medicin « , die jeder Amerikaner
hatte , d.h. dem Totem des Einzelnen . Denn zur Zeit der beginnenden
Mannbarkeit erscheint jedem einzelnen sein Schutzgeist in Gestalt
eines Thieres , das dann gejagt und dessen Balg stets von dem
Betreffenden getragen werden muss . Der Verlust der Medicin
würde ihm tiefste Verachtung und beständiges Unglück
zuziehen ( Waitz 3 , 118-119 ) . Ursprünglich durfte gewiss kein
Indianer das Thier , das ihm » Medicin « Schutzgeist war ,
verzehren . Die meisten Völker ( auch die Aleuten ) stammten von
solchen Thieren ab ( Waitz 3 , 119. 191 ) und auch diese waren ihnen
gewiss ursprünglich heilig , wenn sich auch später diese
Verehrung in etwas ab-
schwächte . Diese auffallende Sitte , die
genauer betrachtet gewiss mancherlei merkwürdige Resultate
gäbe Spuren von ihr finden sich auch in Südamerika , so bei Azara 248 , der von den Mbayas erzählt , dass ihre Weiber nie Fleisch von Kühen und Affen essen ; doch , da ihre Mädchen überhaupt kein Fleisch , nicht einmal grosse Fische und zur Zeit der Periode nur Gemüse und Obst geniessen , so könnte man diese Enthaltsamkeit auch einfacher erklären . Dagegen ist es gewiss eine dem nordamerikanischen Totem ursprünglich verwandte jetzt nicht mehr verstandene Sitte , wenn die Cariben z. B. nie Affen essen , dagegen die Ameisenbären als Delikatesse aufsuchen , welche wiederum die Makusis nur nothgedrungen essen würden ( Schomburgk 2 , 434 ) . Thiere gelten auch in Südamerika als die Stammväter und Schutzgeister mancher Völker . Und nicht anders ist es in Afrika bei den Betschuanen , deren einzelne Stämme unveränderliche , ihre Abstammung von gewissen Thieren bezeichnende Namen besitzen . » Diese Thiere werden von den Völkern , die sich nach ihnen nennen , heilig gehalten , weder gejagt noch gegessen und man pflegt durch die Frage » was tanzt ihr « nach dem Namen desselben sich zu erkundigen . « So gibts Männer des Löwen , Krokodils , Stachelschweins , Fischs , Affen , doch auch des Eisens , Waitz 1 , 352. 413 . Die Frage » was tanzt ihr « ? ist merkwürdig . Sie erinnert an manchen Thiere darstellenden Tanz amerikanischer und australischer Völker , und es liegt nahe anzunehmen , dass die heiligen Tänze zuerst das Leben der Schutzgeister versinnbildlichten , wie die Griechen die Geschichte ihrer Götter tanzten . Später erblasste die Bedeutung solcher Tänze vielfach . , findet sich ganz
übereinstimmend bei den Neuholländern , worüber man
Grey 2 , 225-229 vergleiche . Jede Familie , oder besser , jeder Stamm ,
denn die Familien sind ausgedehnt wie Stämme , hat ihr
» kobong « Pflanze oder Thier , das ihr heilig ist , ihr
den Namen gibt u. s. w. Wie in Amerika Leute von gleichen Totem , so
durften in Neuholland Leute desselben Kobongs einander nicht
heirathen . Kein Neuholländer tödtet sein Kobong , wenn er
es schlafend findet , auch nie , ohne ihm vorher Gelegenheit zur
Flucht zu geben ; war es eine Pflanze , so durfte es der Betreffende
nur zu bestimmten Jahreszeiten und unter ganz bestimmten Ceremonien
einärnten und benutzen Aehnliches findet sich auch bei indogermanischen Völkern . Heilige Thiere als Wappen und in Eigennamen waren sehr gebräuchlich , vergl. Grimm D. M. 633. Tödtete man sie auf der Jagd , oder beschnitt man einen heiligen Baum , so waren auch dabei bestimmte versöhnende und abbittende Gebetsformeln üblich , eb. 618 . . Hierin sehen wir eine Folge der
Noth ; denn ursprünglich durfte das Kobong wohl ebenso wenig
gegessen werden , wie das amerikanische Totem . Dafür spricht
auch die Form , in welcher sich die Sitte in Polynesien erhalten
hat . Denn in Polynesien gilt es noch jetzt an verschiedenen Orten
als strenges Gesetz , dass Einzelne einzelne Thiere , in welchen ihr
Schutzgeist oder der Geist ihrer Ahnen verborgen ist , weder
tödten noch essen dürfen . So in Mikronesien z. B. auf
Ponapi ( O' Connel bei Hale 84 ) , auf Tikopia ( Gaimard bei D' Urville
V , 305-307 ) , auf den Fidschiinseln ( Wilkes 3 , 214 ) , wohin die Sitte
entweder von
Polynesien gekommen ist oder sich als malaiisches
Ureigenthum , wie wir sie auch in Neuholland finden , erhalten hat ;
so in Hawaii ( Remy 165 ) , in Tahiti ( Mörenhout 1 , 451-57 ) . Wir
finden auf allen diesen Inseln jetzt Gedanken an Seelenwanderung
eingemischt ; allein man muss bedenken , dass der Glaube an die
behütende Macht der Seelen der Vorfahren , also an den
Uebergang der abgeschiedenen Seelen in Schutzgeister der Lebenden
in Polynesien später vielfach aufgekommen ist .
Auch anderer Aberglaube als dieser entzog bisweilen den
Naturvölkern die Nahrung , wie z. B. Grey 1 , 363-364
erzählt , dass , weil einige Eingeborene beim Muschelessen
gestorben waren , die Neuholländer , die ihn begleiteten , aus
Furcht vor Zauberei nicht dahin zu bringen waren , selbst durch den
äussersten Hunger nicht , dass sie Muscheln assen ; und
Derartiges liesse sich , wenn es für unsern Zweck nicht zu weit
führte , noch mancherlei sammeln .
Dass nun die engen dumpfigen Wohnungen vieler dieser Völker
( es bedarf hierzu keiner Belegstellen ) , worin oft sehr viel
Menschen zusammengepfercht wohnen und schlafen und die oft von
Schmutz und Ungeziefer starren , ungesund sind , versteht sich von
selbst . Andere Stämme ( Feuerländer , Australier u. s. w. )
haben in ihren Wohnungen fast gar keinen Schutz vor dem Wetter ; die
Buschmänner ( Waitz 2 , 344 ) haben zu ihren stets wechselnden
Schlafstätten Erdlöcher , die sie mit Baumzweigen
überdecken , Felsspalten und Büsche . Auch auf die meist
sehr mangelhafte Bekleidung dieser Völker braucht hier bloss
hingewiesen zu werden . Alles dies , die Art wie sie sich nähren
zumeist , ist zwar schädlich und bewirkt es , dass nirgend die
Naturvölker sehr hohe Kopfzahlen aufzuweisen haben ; aber alles
dies ist auch wiederum nicht von solchem Einfluss , dass es das
Aussterben dieser Völker allein schon erklärte ; wir
dürfen es nur als sekundäre Ursachen dafür
betrachten , als solche aber dürfen wir es auch durchaus nicht
übergehen oder unterschätzen . Wäre dies ihr Leben
dem menschlichen Organismus zuträglicher , so würden sie
auch manches feindliche Schicksal , welchem sie so erliegen oder
erlegen sind , überwunden haben .
§ 6. Charakter der Naturvölker .
Aber nicht bloss diese Fahrlässigkeit in Bezug auf ihr
äusseres Leben schadet den Naturvölkern : ihr ganzer
Charakter , wie er sich im Laufe der Jahrtausende entwickelt hat ,
steht einem kräftigen Gedeihen im Wege und so müssen wir
auch diesen , wenigstens nach einigen Seiten hin , betrachten .
Zunächst ist unter ihren geistigen
Eigenschaften ihre
furchtbare Trägheit hervorzuheben , welche z. B. in Mikronesien
so weit geht , dass man viel zu indolent ist gegen eine
fürchterliche Form des Aussatzes , welche in ihrem Anfang noch
heilbar und leicht heilbar in ihrer Entwickelung ebenso qualvoll
als absolut tödtlich wird , auch nur das Mindeste zu thun : man
sieht dem ersten Anfange , der noch nicht belästigt , mit
grösster Seelenruhe zu , bis jede Hülfe zu spät ist
( Virgin 2 , 103 ) . Diese Faulheit , welche Waitz 1 , 350 ; b , 84 , 90 und
sonst zur Genüge geschildert hat , ist denn auch ein Grund ,
weshalb Naturvölker so selten Vorräthe sammeln , ja
verhindert sie oft nur auszugehen , um Nahrung zu suchen , wie Grey
2 , 262-63 von den Neuholländern sagt ; namentlich im Sommer bei
Hitze und im Winter bei Kälte und Nässe leiden sie
Hunger , die Folge ihrer Trägheit . Beispiele von den
Hottentotten zu geben wäre überflüssig . Diese
Trägheit schadet ihnen aber noch auf ganz andere Weise . Denn
wie Fleiss , Interesse und geistige Anspannung auch körperlich
anregen und grössere Kraft und dem ganzen Organismus auch
leiblich erhöhteres Leben verleihen , so schwächt
umgekehrt fortgesetzte Schlaffheit und geistige Trägheit , wie
sie die Naturvölker in so hohem Grade ausser wenn sie Noth
treibt bekunden , auch die leibliche Kraft und die Funktionen des
Körpers scheinen darunter zu leiden . Wenn nun dieser Zustand
durch leibliche und geistige Vererbung ( auch der Einfluss geistiger
Vererbung ist von grösster Bedeutung und wohl noch nicht
überall hinlänglich gewürdigt ) sich immer mehr
befestigt , so muss er auf das Gedeihen der Naturvölker einen
immer gefährlicheren Einfluss haben . Allerdings ist das
Ineinandergreifen des leiblichen und geistigen Lebens ein
schwieriger und dunkler Punkt , auf den aber gerade deshalb ganz
besonders aufmerksam gemacht werden muss .
So entwickelt sich denn aus dieser Trägheit des
äusseren auch eine Starrheit und Unbeweglichkeit des geistigen
Lebens , die gleichfalls von den schlimmsten Folgen für diese
Völker ist , schon dadurch , dass jeder gute Einfluss der
Europäer auf sie , jeder Versuch , sie zur Kultur emporzuheben ,
ausserordentlich erschwert wird . Dadurch abgeschreckt haben auch
vorurtheilsfreie Männer , wie Meinicke , behauptet , sie seien zu
jeder Kultur unfähig , und doch ist , wie Erfahrungen bei allen
Naturvölkern bewiesen haben , nichts falscher , als diese
Behauptung . Da nun diese Starrheit mit jeder Generation nach und
nach zunimmt , so wirken auch historische Schicksale , Wanderungen
und dergl. unendlich viel schwerer auf diese Völker , als sie
vor so vielen Jahrtausenden auf die Indogermanen , die Semiten , als
sie auch auf die gebildeteren Polynesier und Amerikaner wirkten .
Daher versinken sie immer mehr und mehr in Roheit und Stumpfheit ,
und es ist nicht übertrieben , zu behaupten , dass , auch wenn
sie allein auf der Welt wären , ohne jeglichen feindseligen
Einfluss von aussen her , sie dennoch , wie jetzt ihre Entwickelung
oder
wohl besser ihre Verhärtung ist , nach und nach langsam
vergehen und erlöschen würden . Denn nichts ist der
menschlichen Natur , die so sehr auf Wechselbeziehung zwischen Leib
und Seele gegründet ist , schädlicher , als eine solche
Unthätigkeit beider .
Ein dritter Zug ihres Charakters , der uns hier näher
angeht , ist eine gewisse Melancholie , die sich , wie bekannt ,
zumeist bei den Amerikanern findet . Doch auch die scheinbar so
fröhlichen Polynesier , wenn man gleich ihr Temperament nicht
wie das der Amerikaner melancholisch nennen kann , zeigen manches
Entsprechende . So resigniren sich die Tahitier über ihr
Aussterben durch den oft wiederholten Ausspruch , den wohl Ellis ( 1 ,
103-104 ) zuerst mittheilte : der Hibiskus soll wachsen , die Koralle
sich ausbreiten , der Mensch aber dahinsterben ; und » es war
melancholisch , sagt Darwin ( 2 , 213 ) , die schönen energischen
Eingeborenen Neuseelands sagen zu hören , sie wüssten ,
dass das Land nicht das Eigenthum ihrer Kinder bleiben
würde . « Für Kamtschatka ist wichtig , was v.
Kittlitz über das Klima dieses Landes sagt , das bald ( oder
Einzelne ) zur tiefsten Melancholie stimme , bald ( oder Andere ) zur
höchsten excentrischsten Freude aufrege . Die Schilderungen der
Aleuten bei Kotzebue , Chamisso , Langsdorff u.a. enthalten ganz
ähnliche Züge von Niedergeschlagenheit , die allerdings
hier mit grossem Phlegma gepaart scheint .
Es ist klar , dass diese Melancholie mit jener schon besprochenen
Trägheit zusammenhängt ; denn diese raubt dem Geist der
Naturvölker , der nach aller Naturvölker Art ganz und gar
vom jedesmaligen sinnlichen Eindruck und meist nur von solchen
abhängig ist , die besonnene und feste Willens- und
Widerstandskraft immer mehr . So wie nun aber jeder Willensakt eine
rein physische Nerventhätigkeit voraussetzt , so wird auch
fortgesetztes Nichtwollen zum bleibenden Nervenhabitus , zum nicht
Wollenkönnen und dadurch vom übelsten Einfluss auf die
Seele , der , wenn dieser letzteren Leiden entgegentreten , um so
grösser und vernichtender wird .
Das zeigt sich nun schon bei den Naturvölkern im Leben der
Individuen . Wir sahen , dass Krankheiten überall als
Bezauberung oder Einwirkung von Dämonen gelten ; viele aber ,
die von Krankheiten befallen sind , sterben aus keinem andern Grund ,
als aus Melancholie über die vermeintliche Bezauberung .
Beispiele für Neuseeland gibt Dieffenbach 2 , 16 , Browne 75 ;
für Tahiti Ellis 1 , 364 , 367-68 ; für Neuholland , wo eine
namenlose Angst vor Bezauberung herrscht , Grey 1 , 363-64. 2 ,
336-40 ; für Nordamerika , wo der Tod aus abergläubischer
Furcht gar nicht selten ist , Waitz 3 , 213 : und nach allem Gesagten
werden wir in den Ländern , wo Krankheit durch Zauberei
entsteht oder als Folge von Sünden gilt , wie z. B. in
Kamtschatka , wo Krankheit und Tod erfolgen , wenn man Kohle mit dem
Messer spiesst oder Schnee mit dem Messer
von den Schuhen schabt
( Waitz 1 , 324 ) , in allen diesen Ländern , also bei allen
Naturvölkern werden wir auch ein solches Hinsterben Einzelner
aus Angst und Aberglauben finden .
§ 7. Ausschweifungen der Naturvölker .
Die gänzliche Abhängigkeit der Naturvölker von
sinnlichen Eindrücken hat auch noch eine andere sehr
gefährliche Folge für sie , durch welche einzelne
Stämme ernstlich bedroht worden sind : wir meinen die
Ausschweifungen , denen viele von ihnen verfallen sind , im Trunk und
vor allen in geschlechtlicher Beziehung .
Zwar von den gebildeten Völkern Amerikas , den Mexikanern
und ihren Verwandten sowie den Peruanern , kann man nicht behaupten ,
dass sie nach dieser Seite hin Vorwürfe verdienten ; freilich
kamen bei ihnen Ausschweifungen und grobe , ja unnatürliche
Laster vor , freilich gab es bei ihnen öffentliche Dirnen , aber
alles das war keineswegs ausgebreitet und durchaus verachtet , so
dass wir sie in dieser Beziehung viel höher stellen
müssen , als die heutigen Kulturstaaten Europas . Die
Schilderung freilich , welche wir bei Pöppig 375 finden , oder
was uns der berüchtigte Ortiz , ein Mönch zur Zeit der
Entdeckung , erzählt , enthält des Scheusslichsten auch
nach dieser Seite viel ; Ortiz Darstellung sollte aber nur die
Behandlung , welche das Land durch die Conquistadoren erfuhr ,
rechtfertigen und so häufte sie alle Laster auf die Indianer .
Pöppigs Nachrichten beruhen auf ähnlichen Quellen , die
gleichfalls ganz unzuverlässig und meist unwahr sind . Wenn
z. B. Gomara ( bei Pöppig ) berichtet , dass Balboa 50
Päderasten in Quarequa in Darien und ebenso ( Waitz 4 , 350 ) den
Herrn dieses Landes um desselben Lasters willegebrachtn von Hunden
zerreissen und dann verbrennen liess , so ist es ganz klar , dass
hier die Anklage nur erfunden wurde , um die scheussliche
Grausamkeit Balboas zu bemänteln , der selbst sagt , das Laster
sei nur von den Vornehmen verübt , vom Volke verabscheut . Denn
dass spanische Soldaten , unter welchen es gleichfalls vorkam ( Waitz
3 , 383 ) , jemals dafür und gar so fürchterlich gestraft
wären , davon wird nichts erwähnt . Waitz im 4. Bande der
Anthropologie hat nun ganz klar und deutlich bewiesen , dass solche
Ausschweifungen nur einzeln und selten bei diesen Völkern sich
fanden , wofür die strengen Strafen , welche bei ihnen allen auf
solchen Lastern oder auf sonstiger Unzucht standen , sprechen ;
vergl. Waitz 4 , 85. 88. 131. 307. 350. 367 u. sonst . Ebenso wenig
waren solche Laster , wie Pöppig a.a.O. will ,
» Volkslaster « in Peru ; freilich haben die
Conquistadoren auch hier das ärgste zu erzählen gewusst
und mussten , nach
ihren Berichten , die grausamsten Strafen gegen
die Lüstlinge anwenden ; wenn man aber liest ( Waitz 4 , 478 ) ,
wie der gefangene Inka Manko Capak , Atahualpas Bruder , die Spanier
flehentlich bat , dass man ihn doch wenigstens nicht zum Feuertod
verurtheilen oder den Hunden vorwerfen , sondern nur aufhängen
möge , so wirft das auf jene Strafen ein ganz
eigenthümliches Licht . Auch beweisen die Zeugnisse bei Waitz
4 , 417 , dass auch in Peru solche Laster , Ehebruch oder gar
Päderastie , durchaus nicht verbreitet waren , sondern nur
vereinzelt vorkamen , wofür wiederum die strengen Strafen ,
welche die einheimischen Landesgesetze gegen derartiges
verhängten , sprechen .
In Nordamerika war , wie bei den eben besprochenen Völkern ,
Polygamie erlaubt , keineswegs aber sehr ausgedehnt ( Waitz 3 , 109 ) .
Weibertausch kommt vor , als Freundschaftszeichen unter Familien
( Hearne 128 ) , ebenso auch Prostitution aus Gastfreundschaft .
Keuschheit der Mädchen war überhaupt etwas , auf das man
bei vielen Völkern und namentlich bei den roheren , keinen
Werth setzte ( Waitz 3 , 111 ) . Schlimmere Dinge und namentlich
Blutschande erwähnt als gewöhnlich bei den Athapasken
Hearne 128 , der auch sonst den Anwohnerinnen der Hudsonsbai arge
Ausschweifungen Schuld gibt ( 126-27 ) . Unnatürliche Laster
werden vielfach bei den Völkern Nordamerikas erwähnt und
Männer in Weiberkleidern finden sich freilich an vielen Orten ,
so bei den Illinois , in Florida , bei den Mandans , den Osagen , den
Kansas u. s. w. ( Waitz 3 , 113 ) ; auch bei den Bewohnern Nutkas wird
Aehnliches erwähnt ( eb. 133 ) , obgleich sie sowohl wie die
Koluschen im ganzen keusch leben , anders wie die Chinook ( am
Columbia ) , bei denen Prostitution und sinnliche Ausschweifungen
verbreitet waren ( eb. 337 ) . Strenger sind die Völker vom
Oregongebiete . Uebrigens ist das nicht immer ein Zeichen von
unnatürlichen Lastern , wenn Männer Weiberkleider tragen ;
denn einmal scheint manche abergläubische Vorstellung ( eb.
113 ) damit verbunden zu sein , in anderen Fällen war es
wenigstens eine symbolische , wie z. B. die Delawares von den
Irokesen » zu Weibern gemacht « , d.h. , gezwungen wurden ,
als sie gänzlich besiegt waren , den Weiberrock anzuziehen
( Waitz 3 , 23. b , 158 ) und auch bei den Chibchas in Neu-Granada
Feiglinge mit einem Weiberrock bekleidet wurden ( 4 , 361 ) . Bei den
Illinois standen die so gekleideten Männer in besonderem
Ansehen ( 3 , 113 ) und ganz ähnlich war es bei den
nördlichen Patagoniern ( 3 , 506 ) , wo die Zauberpriester , deren
einen jede Familie hatte , Weiberkleider trugen . Auch was Combes
( Hist. de las islas de Mindanao Madrid 1667 p. 55 ) erzählt ,
dass es bei den Subanos auf Mindanao Männer gäbe , welche
unverheirathet blieben , Weiberkleider trügen , aber geehrt
wären und keusch lebten , zugleich aber auch physisch ein
weibliches Aussehen hätten , werde hier als merkwürdige
Parallele erwähnt .
Den Cariben in Südamerika wird von den älteren
spanischen Schriftstellern gleichfalls der Vorwurf
unnatürlicher Lasterhaftigkeit gemacht , doch hat Waitz 3 , 383
Recht , wenn er auch diesen Vorwurf für unrichtig hält ,
» denn auf ihn pflegte hauptsächlich der Anspruch
gegründet zu werden , die Eingeborenen zu rechtmässigen
Sklaven zu machen « . Andere Schriftsteller läugnen auch ,
dass hier solche Laster vorgekommen seien ; doch fanden sich
Männer in Weiberkleidern auch hier ( Oviedo bei Waitz 3 , 383 ) .
Auch die Tupis in Brasilien lebten streng ( 3 , 423 ) ; ebenso die
Araukaner ( 3 , 516 ) . Hiermit stimmen auch alle Nachrichten bei
Azara ; nur dass er den Weibern der Mbayas , bei denen Polygamie
erlaubt ist , mancherlei Ausschweifungen vorwirft ( 249-50 ) .
Es ist nicht nöthig , dies bei den Amerikanern weiter zu
verfolgen ; für uns genügt das Ergebniss , dass zwar
mancherlei Ausschweifungen namentlich in Nordamerika unter ihnen
sich vorfanden , dass diese aber keineswegs allgemein und bedeutend
genug waren , um aus ihnen die Verminderung der Kopfzahl dieser
Völker zu erklären . Dass aber , seit der Bekanntschaft mit
den Europäern diese Ausschweifungen sehr zugenommen haben , ist
eine traurige Wahrheit .
Dem Trunk war man in Mittel- und Nordamerika nicht ergeben und
ist es verhältnissmässig auch jetzt noch nicht .
Allerdings kannte man in Mexiko mehrere geistige Getränke
( Waitz 4 , 98 ) , von denen das eine , Pulque , Agavesaft , den man durch
Ausschneiden des Herzens der Pflanze , wenn sie den mächtigen
Schaft treiben will , gewinnt und gähren lässt , auch von
Europäern ( Humboldt a 3 , 99 ) mit wahrer Leidenschaft getrunken
wird ; allein die Mexikaner waren mässig , wie schon aus ihren
Gesetzen hervorgeht . Der Trunk wurde darin so streng geahndet , dass
irgend welche Verbreitung desselben ganz unmöglich war ( Waitz
4 , 83-84 ) . Auch in Californien war er selten ( eb. 240. 242 ) . Die
Eingeborenen von Nikaragua , von welchen auch verschiedene
geschlechtliche Ausschweifungen berichtet werden , sollen nach
Oviedo auch dem Trunke ergeben gewesen sein ; allein allzu sicher
sind diese Nachrichten nicht ( Waitz 4 , 279 ) . Auch die Peruaner ,
obwohl sie verschiedene geistige Getränke hatten , waren dem
Trunke nicht ergeben ( 4 , 429 ) , so wie sie auch dem Genuss der Coka ,
die im ganzen Land gebaut wurde , nicht übermässig
fröhnten ; dem Volk war sie ganz verboten ( 422 ) . Obwohl nun die
Eroberung des Landes die Sitten vielfach verschlechterte , so sind
doch auch jetzt noch weder die Peruaner ( 500 ) noch die Mexikaner
( 196 ) und die ihnen verwandten Völker dem Trunk ergeben ( 227 )
— wenn es auch Feste gab , z. B. in Yukatan , bei welchem sich
die Weiber berauscht haben sollen ( 4 , 307 ) , oder bei denen , wie in
Nikaragua , allgemeine Zügellosigkeit herrschte ( 279 ) . Denn bei
allen solchen Festen waren gewiss , wie bei ähnlichen
semitischen und indogermanischen , religiöse Motive
wirksam .
Anders war es in Südamerika , wo Schomburgk 2 , 420 die
Cariben als Trunkenbolde schildert ; und schon von Alters her hatten
sie ausser andern ein berauschendes Getränk aus Cassadabrod ,
welches zerbrochen , mit heissem Wasser zu einem Teig zerrührt ,
dann von alten Weibern durchgekaut und in einen Trog gespieen
wurde , wo es nun gähren musste ( Schomburgk 1 , 173 ) ; ganz
ähnlich bereiteten die Tupis einen berauschenden Trank aus
Mais oder Hirse , wobei das Getreide gekocht und von alten Weibern
durchgekaut wurde . Sie nannten es Caouin oder Kaveng und sowohl
durch die Bereitungsart als durch den Namen wird man an den gleich
zu erwähnenden polynesischen Kavatrank erinnert ( Waitz 3 ,
423-24 ) . Gegohrene Getränke hatten die Araukaner ( 3 , 509 ) , die
Chiquitos , die dem Trunke sehr ergeben waren ( eb. 530 ) und sind
( 533 ) , die Moxos ( 537 ) , welche ihn gleichfalls sehr lieben und
andere Völker schon vor der Entdeckung . Dass nun durch den
Einfluss der Europäer diese Neigung nicht vermindert , sondern
nur gestiegen ist , begreift sich ; und so wird es uns von den
Cariben ( Schomburgk 1 , 173 ) von den Warans ( eb. 1 , 123 ) , den
Charuas ( Azara 184 ) , den Mbayas ( eb. 242 ) u. s. w. berichtet .
In Nordamerika , bei den Indianern der Vereinigten Staaten , waren
vor den Europäern keine geistigen Getränke in Gebrauch ,
ja Wasser war fast das einzige Getränk , was sie genossen , wie
Waitz 3 , 82 ins Einzelne ausführt ; ebenso war es bei den
Koluschen und den Chinooks ( 3 , 84. 337 ) . Wenn nun der Trunk , der
Branntwein in Nordamerika doch so traurige Folgen gehabt und ganze
Stämme dahin gerafft hat , so dass man oft genug die Behauptung
findet , die Indianer seien von Natur dem Trunke ergeben gewesen ; so
fordert dies zur genaueren Untersuchung der Sachlage auf , die sich
nach Waitz 3 , 83-84 und 270 , der die Quellenbeweise beibringt , so
stellt , dass die Indianer sich aufs stärkste gegen den Verkauf
von Branntwein gewehrt und viele Verträge geschlossen haben ,
in welchen die Einfuhr derselben ausdrücklich verboten war ,
dass aber der Branntwein dennoch , sogar mit Gewalt , von den
europäischen Nationen den Eingeborenen aufgezwungen ist ,
theils um das Produkt abzusetzen , theils um sie im Trunke zu
betrügen , theils auch geradezu , um sie durch den Trunk zu
vernichten . Das ist denn nur allzugut gelungen ; denn wenn auch ,
trotz der vorherrschenden Sinnlichkeit , die Amerikaner einen
höchst beachtungswerthen Widerstand diesem Genussmittel
entgegensetzten , so konnte dieser eben bei ihrer Natur kein
absoluter sein ; öfters zwang sie der Nahrungsmangel zum Trunk
und ein sehr häufiger Grund , sich dem Trunke zu ergeben ( der
auch in Mittelamerika vielfach vorkam ) war der , dass man aus der
grenzenlosen Fülle des Elends ringsher sich wenigstens einmal
wieder durch den Rausch in einen glücklichen Zustand versetzen
oder dass man sich in der Verzweiflung betäuben wollte .
Uebrigens
haben Völker und Individuen sich dem Laster des
Trunkes auch wieder zu entreissen vermocht ( Waitz b , 43 ) .
Eigentlich also gehörte diese Betrachtung erst dahin , wo wir
vom Einfluss der Weissen auf die Naturvölker sprechen werden ,
indess mag ein solches Vorausnehmen , des Zusammenhangs wegen und um
den einen Gegenstand zu erschöpfen , gleich hier seine
Entschuldigung finden . Tabak hat ebensowenig als Coka
geschadet .
Wenn nun auch die Hottentotten und die Buschmänner gar
keinen Werth auf die Keuschheit der Mädchen und Weiber legen ,
so waren sie doch weder in geschlechtlicher Beziehung noch im Trunk
sehr ausschweifend , während wir bei den Aleuten und
Kamtschadalen die Verhältnisse wesentlich anders finden . Dem
Trunk waren namentlich die Kamtschadalen ganz außerordentlich
ergeben ( Krusenstern 3 , 53 ) und wie diese Leidenschaft von den
europäischen Pelzhändlern zu ihrem Verderben benutzt ist ,
werden wir später sehen . Aber auch die Aleuten liebten dies
Laster ( Waitz 3 , 314 ) , wie sie auch sonst sehr ausschweifend
lebten . Die Weiber hatten ( nach Wenjaminow in Ermans Archiv bei
Waitz 1 , 356 Note ) zwei Männer , einen aus höherem Stande
und einen Nebenmann aus niederem ; dem Gast stellte der Wirth , um
ihn gastfreundlich zu ehren , das eigene Weib zur Verfügung .
Auch der Päderastie waren sie ergeben ( Waitz 3 , 314 ) und die
stumpfsinnige Melancholie , in der sie z. B. Chamisso vorfand ,
scheint nicht wenig durch derartige Ausschweifungen veranlasst zu
sein . Den Kamtschadalen schadete gar sehr der grosse Weibermangel ,
der nach Krusenstern 3 , 44 , bei ihnen herrschte und nicht nur die
Moralität gänzlich , sondern auch die Fruchtbarkeit der
Ehen zerstörte . xyxyxyß Die Neuholländer , obwohl
sie von den Unverheiratheten beider Geschlechter keine Keuschheit
verlangen , obwohl sie an einigen Orten die Weiber ihren
Gastfreunden anbieten und sie mit guten Freunden tauschen ( Angas 1 ,
93 ) , sind doch so eifersüchtig , dass verheirathete Frauen sehr
zurückhaltend sein müssen ( Grey 1 , 256 ) . Polygamie ist
bei ihnen häufig , aber man kann sie eigentlich nicht
ausschweifend nennen . Auch geistige Getränke hatten sie nicht .
Von den Melanesiern wird nichts auffallend Schlimmes berichtet ,
wohl aber von manchen Orten das Gegentheil ; so herrschen , nach
Malte Brun in Bullet . de la soc. geogr. 1854 , I , 238 , auf
Neucaledonien , wenn auch die Weiber ganz sklavisch gehalten werden ,
geschlechtliche Ausschweifungen nicht . Polygamie ist allerdings auf
den Inseln Sitte ( Turner 86. 371. 424 ) , allein wirklich ausgedehnt
nur bei Häuptlingen und in selteneren Fällen . Ehebruch
kommt , aus Furcht vor Strafe , kaum vor ( Turner 86 in Bez. auf
Tanna ) , allein Keuschheit der Unverheiratheten ist hier so wenig
verlangt als sonst irgendwo bei den Naturvölkern . Während
nun Erskine 256 von den Fidschis sagt , dass sie sehr enthaltsam
lebten und Ekel vor Aus-
schweifungen empfänden , so behaupten
William und Calvert 1 , 134 , dass sie sehr zügellos und grobe
Ausschweifungen bei ihnen verbreitet seien . Möglich , dass
Erskine ein zu günstiges Urtheil fällte ; jedenfalls aber
stehen die Fidschiinsulaner sehr viel höher als die Polynesier
in dieser Beziehung und mögen wohl erst durch den
fortwährenden Verkehr mit den Fremden zu dieser
Zügellosigkeit gesteigert sein .
Am schlimmsten müssen wir über die eigentlichen
Polynesier urtheilen , unter denen Trunk und Wollust schon vor den
Europäern aufs ärgste gehaust haben . Aus der Wurzel vom
Piper methysticum , dem Kavapfeffer , bereitete man , indem sie ( an
den meisten Orten von alten Weibern ) gekaut und dann ausgespieen
wurde , durch Aufguss von Wasser ein eigenthümliches
Getränk , dem alle Polynesier sehr zugethan waren . Es berauscht
nicht eigentlich , da es die Besinnung nicht raubt , aber , indem Gang
und Zunge schwer werden , versetzt es den Geist in einen
ähnlichen Zustand , wie das Opium ; auch wollüstige
Träume u. dergl. sollen seinem Genuss folgen , der oft
wiederholt allgemeine Schwäche , Zittern , geistige Stumpfheit ,
Abmagerung und schliesslich scheussliche Hautkrankheiten
hervorbringt , Geschwüre , welche aufbrechen und arge Narben
zurücklassen . Aber gerade diese Narben galten als Ehrenzeichen
( Hale 43 ) . Namentlich auf Tahiti und auf Hawaii war der Kavatrank
beliebt ; grosse Kavafeste auf Tonga beschreibt Mariner , auf Fidschi
d' Urville b 4 , 207 und Hale 63. Dagegen trank man ihn auf
Neuseeland , obwohl man ihn kannte , nicht . Auch in Mikronesien , wo
indess die Wurzel zerrieben , nicht gekaut wurde , war der Kavatrank
sehr beliebt und sehr verbreitet ( Hale 83 : Gulick 417 ) . Was jedoch
die schädlichen Einwirkungen dieses in der That höchst
gefährlichen Trankes sehr milderte , war der Umstand , dass er
ein heiliges Getränk war . Freilich durfte er daher bei keiner
irgend wie bedeutenderen Gelegenheit fehlen ; aber nur die
Fürsten waren es , die ihn trinken durften , nie das Volk , und
auch die Fürsten nur bei und unter bestimmten Feierlichkeiten
( Hale 43 , für Mikronesien Novara 1 , 371 ) . So hat denn auch der
Schade , den dieser Genuss hervorrief , fast nur die Fürsten und
den Adel getroffen . Gegen den Branntwein ( Rum u. s. w. ) hatten alle
Polynesier einen grossen Widerwillen ( Novara 2 , 337 für
Mikronesien ) , und wenn er trotzdem in Tahiti und Hawaii so
verderbliche Wirkungen hervorgerufen hat , so muss man bedenken , wie
er zu Tahiti von den Franzosen , zu Hawaii von diesen sowie den
amerikanischen und europäischen Kaufleuten unter heftigem
Widerstreben der Missionäre und gegen den Willen der
Eingeborenen ( vergl. z. B. Lutteroth Geschichte der Insel Tahiti 172
u. sonst ) gewaltsam eingeführt ist . Und schlimm genug waren
die Folgen dieser Einführung . » Als die Tahitier von
fremden Seeleuten und Sandwichinsulanern geistige Getränke von
einheimischen Wurzeln zu destilliren gelernt und Rum in reichlicher
Menge von ihnen empfangen hatten , da verbreitete sich Trunksucht
sehr allgemein , und alle die Demoralisation , die Verbrechen , das
Elend , welches ihr folgt , kam über das Volk . Unthätigkeit
wuchs , Streit in den Familien nahm überhand , die Verbrechen
der Areois ( über welche wir sogleich reden ) nahmen zu « ,
sagt Ellis 1 , 108 und so wie hier und noch ärger war es zu
Hawaii und an den Küsten von Neuseeland . Allein die
Eingeborenen ( vergl. Ellis u.a.O. ) haben sich an vielen Orten , Dank
dem reinen Eifer der Missionäre , wieder von diesem so
gefährlichen Laster befreit ; in Neuseeland sowohl wie in
Hawaii schadet der Rum nur an den Küstenplätzen den
Eingeborenen und das überall wachsende Christenthum hat
siegreich auch in Tahiti und sonst diese Gefahr im Allgemeinen
abgewendet .
Bei weitem verhängnissvoller aber wirkten die
geschlechtlichen Ausschweifungen , die wohl bei keinem Volk der Welt
so schamlos verbreitet waren , wie in Polynesien . Jede
Reisebeschreibung ( auch andere Bücher als die schamlose Reise
der Pandora von Hamilton ) rechtfertigt an hundert Stellen den Namen
la nouvelle Cythere , welchen Bougainville der Insel Tahiti gab .
Nicht nur , dass auf Tahiti , Hawaii , Neuseeland , auch auf Tonga
( obwohl man hier strenger lebt ) und auf Samoa ( nach Wilkes )
wenigstens Fremden gegenüber die Mädchen ganz frei waren ;
so ist auch nirgends die Prostitution der Weiber durch Väter ,
Brüder , Gatten frecher betrieben wie hier . Polygamie herrschte
überall . Gastfreunden bot man die Weiber an , vornehme Frauen
lebten ganz zügellos . Für Hawaii bezeugt dies , um nur
einige Beweisstellen anzuführen , Jarves 80 , für Tahiti
Cook und alle andern Reisenden , für Waihu Mörenhout 1 ,
26 , für die Markesas Porter ( Journal of a cruise in the Pacif .
Ocean 1812-14 ) 2 , 60 , Krusenstern 1 , 221 ; nach Mathias G*** 152
herrscht indess Prostitution nur in den Häfen . Neuseeland
stand etwas höher ; doch waren auch hier die Mädchen
vollständig ungebunden ( Dieffenb. 2 , 40 ) . Die Weiber selbst
lockten die ankommende Mannschaft von Wallis Schiff durch die
unanständigsten Geberden ans Land und die Männer , welche
das Geschäft abschlossen , forderten schon damals für
schöne Frauen , Töchter , Schwestern u. s. w. höhere
Preise als für minder schöne ( Wallis 214 ff. 256 ) . Ja vor
aller Augen , und nicht etwa aus Roheit , wie die Bewohner der
Palauinseln nach Kadus Zeugniss bei Chamisso 137 Wenn hier Kadu nicht irrthümlich einen rohen melanesischen Stamm meint ; oder , um etwas recht Entsetzliches zu erzählen , absichtlich oder selbst getäuscht aufbindet . Denn wahrscheinlich ist die Angabe für die Palaus nicht . ,
sondern umstanden von vornehmen Weibern , unter denen die
Königin selbst , vollzogen sie die Begattung , zum Ergötzen
der Umstehenden , welche
dem Paare , namentlich dem betheiligten
Mädchen , Lehren gaben , um die Lust zu erhöhen —
doch das war nicht nöthig , denn , obwohl das Mädchen erst
11 Jahre zählte , so wusste sie doch mit allem schon guten
Bescheid ( Cook b , 126-27 , vergl. 86. 106 ) . Da ist es nicht zu
verwundern , dass schmutzige Gegenstände sehr häufig , vor
aller Ohren , Inhalt der Unterhaltung waren und nur belacht wurden .
Ueberall herrschte Polygamie ; auf Tahiti , Nukuhiva und Hawaii
( Turnbull 65 , Stewart 129 , Porter 2 , 30 ) kamen Heirathen unter
Geschwistern vor , jedoch nur in der regierenden Familie , die auf
andere Art keine ebenbürtige Ehe schliessen konnte , da alle
anderen Adelsgeschlechter an Rang unter ihr standen ( Ellis 4 , 435 ) .
Auf den Markesasinseln war es nach Melville 2 , 122-23 Sitte , dass
die Weiber , ähnlich wie die Aleutinnen , zwei Männer
hatten , einen wirklichen Gatten und einen Nebenmann , der ganz die
Rechte wie jener besass , auch im Frieden mit ihm lebte ; welche
Sitte nach Melville darin ihren Grund hatte , dass es weit mehr
Männer als Frauen gab . Mathias G*** sagt 111 dasselbe , was
auch sonst noch vielfach bestätigt wird . Auch
unnatürliche Lüste , denen in Tahiti ein eigener Gott
vorstand ( Mörenh. 2 , 168 ) , waren sehr ausgedehnt . Männer
in Weiberkleidern finden wir , wie in Amerika , auch zu Tahiti , aber
hier nur im Dienste der widernatürlichen Wollust ( Turnbull
306 ) ; und da nun die Männer des gemeinen Volks , damit die
Fürsten desto mehr Weiber hätten , oder weil sie den
Kaufpreis für die Frauen nicht zahlen konnten , fast immer
unverheirathet bleiben mussten , so war Onanie unter ihnen in
solchem Grade getrieben , dass sie dadurch meist unfähig
wurden , einem Weibe noch beizuwohnen ( Wilson 311 ) . » Ihre
Verbrechen in dieser Art sind zu entsetzlich , als dass sie alle
erzählt werden könnten , « sagt Wilson ( 1799 ) a.a.O.
Noch Ellis ( 1 , 98 ) fand dasselbe vor , er sagt , die Schilderung ,
welche Paulus von den Heiden im ersten Kapitel des
Römerbriefes mache , passe durchaus auf die Tahitier . Auch in
Hawaii waren unnatürliche Laster ganz gewöhnlich , von
denen Päderastie nur oder wenigstens vorzugweise unter den
Fürsten vorkam ( Remy XLIII ) .
Mikronesien steht viel höher in dieser Beziehung , mit
Ausnahme der alten Marianer , unter denen , freilich nach den alten
spanischen Berichten ( Salaçar bei Oviedo XX , 16 ) , eine arge
Zügellosigkeit herrschte , und le Gobien berichtet manches
entsprechende . Aber sonst fanden die ersten europäischen
Besucher in Mikronesien keine Ausschweifungen , weder im Trunk noch
in der Liebe vor , wenn auch die Mädchen leicht zu gewinnen
waren : und schamhaft waren sie alle ( Chamisso 91. 119 ) . Uebrigens
herrschte , nach Chamisso 118-19 , Polygamie auch auf Ratak und
besonders nahe Freunde besassen auch die Weiber gemeinschaftlich .
— Auch im eigentlichen Polynesien gab es reinere Bezirke , so
Tonga , wo die Jünglinge von Staatswegen zur Keuschheit ermahnt
wurden : nie sollten sie Gewalt
anwenden , nie sich gegen Ehefrauen
vergehen ( Mariner 1 , 138 ) ; allein auch hier waren die
Unverheiratheten ganz frei und ebenso die verheiratheten
Männer ( 2 , 174 ) , auch hier waren Unanständigkeiten der
häufige und gern belachte Inhalt des Gespräches , die man
nur vor verheiratheten Frauen vermied ( 2 , 177 ) . In Samoa herrschte
noch grössere Sittenstrenge .
Viel besprochen ist die Gesellschaft der Areois auf Tahiti ,
über welche Mörenhout 1 , 485-503 und Ellis 1 , 230 ff.
handeln , und die auch wir kurz besprechen müssen , wenn wir an
diesem Ort auch nur auf die furchtbare Unsittlichkeit hinweisen ,
welche in dieser ursprünglich religiösen Gesellschaft
herrschte . Männer und Weiber lebten in ihr aufs höchste
ausschweifend und unter dem bestimmten Gesetz , alle ihre Kinder zu
tödten , beisammen und hochgeehrt vom ganzen Volk , dem sie wie
Götter erschienen , durchzogen sie die Inseln , um Feste ,
Schauspiele , Tänze vor der Menge aufzuführen . Wir finden
diese Gesellschaft nicht bloss auf Gesellschaftsinseln , sondern
( Meinieke b 78 ) auch auf Rarotonga , auch im Markesasarchipel
( Mörenh. 1 , 502 ) . Und da nun le Gobien 59-62 von den Uritaos
der Marianen ganz das Nämliche erzählt , die in aller
Zügellosigkeit mit den Mädchen des Landes zusammenlebten ,
selbst in Blutschande , ohne dass es ihnen Tadel zuzog , da sie von
höherer Weihe waren ( Freycinet 2 , 368 ) — so werden wir
auch diese , wie schon ihr Name derselbe ist , mit jenen Areois trotz
Meinickes Widerspruch ( b , 79 ) zusammenstellen müssen .
Es kann uns nicht wundern , wenn solche lasterhafte Sitten , in
solcher Ausdehnung herrschend , die Gesundheit der polynesischen
Bevölkerung untergruben und sie haben es gethan . Schon eine
bis zwei Generationen vor Wallis hatte die Volksverminderung , nach
den Aussagen der Eingeborenen selbst , auf Tahiti angefangen ( Ellis
1 , 105 ) und dass hieran diese Ausschweifungen , wenn auch nicht
allein , so doch zum grössten Theil schuld waren , kann man
gewiss behaupten . Ihren entnervenden Einfluss schildern wenigstens
die zuverlässigsten Augenzeugen in den düstersten Farben ,
wie Ellis 1 , 98 und Turnbull ( 1804 ) 307 . Und ferner ist es sehr
begreiflich , dass solche entnervte Wüstlinge sehr viel und
leichter Krankheiten ausgesetzt waren , als gesunde Menschen , dass
Krankheiten viel heftiger bei ihnen wüthen mussten und dass
sich namentlich die Syphilis unter ihnen rasch verbreiten und
gefährlich erweisen musste .
§ 8. Unfruchtbarkeit . Künstlicher Abortus .
Kindermord .
Aber eine andere noch schlimmere Folge dieser Ausschweifungen
ist die Unfruchtbarkeit der Weiber , welche in Polynesien
hauptsächlich auf diesem einen Grund beruht . Die
Unfruchtbarkeit der Ehen auf den Markesas , welche schon Krusenstern
1 , 255-56 und dann Melville 2 , 125 betont , erwähnt auch
Mathias G*** 108 mit starkem Nachdruck . Unfruchtbarkeit ist in
Hawaii sehr verbreitet ( Virgin 1 , 268 ) ; in Tahiti wird es erst in
neuerer Zeit besser und Dieffenbach 2 , 15-16 gibt als eine der
Ursachen für das Hinschwinden der Maoris die geringe
Fruchtbarkeit ihrer Weiber an .
Da nun aber ganz analoge Erscheinungen sich in Melanesien ( wo
z. B. auf Erromango schon eine hohe Kinderzahl ist , Turner 494 ) , in
Neuholland ( Grey 2 , 248 ff. ) und namentlich in Amerika vorfinden ,
so hat man , vor allem mit Rücksicht auf die Eingeborenen des
letzten Landes gesagt , die geringe Fruchtbarkeit sei ein
charakteristisches Merkmal für niedere Raçen , das in
ihrer Natur selbst begründet liege . Allerdings haben die
Weiber der Botokuden ( Tschudi 2 , 284 ) , der Makusi ( Schomburgk 2 ,
312 ) der meisten brasilianischen Völker ( Azara an vielen
Stellen ) und ebenso auch der meisten Nordamerikaner ( wofür
Waitz 1 , 169 die Beispiele zusammenstellt ) sehr wenige , oft auch
gar keine Kinder ; allein wie man hierin ein Raçenmerkmal
finden soll , ist für Unbefangene unmöglich abzusehen .
Denn erstlich zeigen sich eine lange Reihe äusserer
Gründe , wodurch die Unfruchtbarkeit bewirkt wird ; ausser den
schon besprochenen Gründen wie Ausschweifungen , Krankheit u.
dergl. , die auch in Amerika und vor allen auf Kamtschatka und den
Aleuten wirkten , muss hier auf das gleichfalls schon erwähnte
lange Säugen hingewiesen werden , welches der Fruchtbarkeit
Abbruch thut , ferner und ganz besonders auf die meist überaus
elende Stellung der Weiber , auf die Noth , die ewigen Mühsale ,
unter denen sie ihr Leben hinbringen müssen . Dann heirathen
viele Völker nur im eigenen Stamm und man kann wohl sagen , da
bei vielen kleineren Völkern Stamm und Familie so ziemlich
zusammenfällt , in derselben Familie ; dass aber auch hierdurch
eine Verminderung der Fruchtbarkeit eintritt , ist bekannt genug . So
z. B. die Botokuden ; daher Tschudi ( 2 , 284 ) in diesem Umstand einen
Hauptgrund für die Unfruchtbarkeit ihrer Ehen sieht . Auch bei
den Bewohnern von Darien zeigten sich die schädlichen Folgen
solcher Heirathen ( Waitz 4 , 351 ) .
Der allzufrühe Coitus , den Dieffenbach 2 , 15 für die
Unfruchtbarkeit der Neuseeländerinnen als einen Hauptgrund
anführt , ist wichtig für viele Völker , da er bei
vielen , wie wir sehen , vorkommt . Obwohl nun Humboldt ( b , 2 , 190 ) ,
nach dem Zeugniss der amerikanischen Ordensgeistlichen am Orinoko ,
darin keine Gefahr für die
Zahl der Bevölkerung sehen
will , so spricht doch die Natur der Sache und mannigfache Erfahrung
gegen ihn . Doppelt gefährlich wird aber zu früher
geschlechtlicher Umgang bei Völkern , bei denen es an Weibern
fehlt . So heirathen die Mädchen der Tarumas in Guyana , weil es
unter diesem Volk nur wenig Weiber gibt , schon vor der
Pubertät ( nach Schomburgk bei Waitz 1 , 170 ) . Mehr Männer
als Weiber gab es noch in verschiedenen Orten in Amerika ( z. B.
Californien Waitz 1 , 170 Anmerk. , bei den Guanas Azara 232 ) , in
Polynesien ( Tahiti , Markesas u. sonst ) und in Kamtschatka , wo der
Mangel an Weibern , wie wir sahen , vorzugsweise gross war . Durch
diesen wurde denn wieder eine andere sehr wenig heilsame
Einrichtung gefördert , dass in Neuholland junge Mädchen
zunächst an alte Männer und erst nach deren Tode , wenn
sie nun mittlerweile älter waren , an jüngere Leute
verheirathet wurden ( Nind im Journ. R. Geogr. Soc. 1 , 38 ) , eine
Sitte , welche bei den Irokesen ebenfalls im Schwunge war :
» Der junge Mann von 25 Jahren erhielt bei ihnen oft eine
ältere Frau zugetheilt als er selbst war , der alte Wittwer
dagegen wählte sich ein junges Mädchen « ( Waitz 3 ,
103 ) .
Dass wir unter diesen Gründen die Polygamie und Polyandrie
mit ihren gewiss schlimmen Folgen für die
Bevölkerungszahl nicht besonders erwähnen , hat seinen
Grund darin , dass wir diese beiden Einrichtungen , auch wenn sie
noch so gesetzmässig sind , unter die Ausschweifungen rechnen
und also , was von jenen gesagt ist , auch für diese gilt .
Ebenso , was man für manche amerikanische Völker als Grund
für die Unfruchtbarkeit angeführt hat , die geringe
Neigung der Männer für das weibliche Geschlecht und ihre
minder entwickelten Genitalien ( Pöppig , Azara , Waitz 1 , 171
u. s. w. ) lassen wir auf sich beruhen , da dieser Umstand keineswegs
allgemein und keineswegs in den daraus abgeleiteten Folgen sicher
ist .
Weit wichtiger sind noch einige psychische Gründe , die wir
recht hervorheben möchten . Wie Gram und Kummer , Druck und
Despotismus das äussere Leben zurückhalten und
verkümmern lassen , so wirken sie natürlich auch auf die
Fruchtbarkeit der Weiber ein , denn der Einfluss des geistigen
Lebens auf jede Seite des leiblichen , so sehr man ihn auch
anerkennt , kann kaum mächtig genug gedacht werden . Wo daher
ein schwerer Druck auf der Bevölkerung liegt wie durch die
Adelsherrschaft in Polynesien und hier namentlich auf den Fidschi-
und Hawaiiinseln , da wird es auch leichter unfruchtbare Ehen geben .
Und noch mehr , wenn der Druck der Herrscher zugleich das tiefste
moralische Weh über die Unterworfenen bringt , wie das durch
die furchtbaren Einwirkungen der Europäer fast überall
geschehen ist . Auch ist zu bemerken , dass von diesen Gründen
stets mehrere vereint , nie einer allein wirken ; dass wir die
verminderte Fruchtbarkeit also äusserlich veranlasst sehen ,
wodurch die Ansicht , sie sei Raçencharakter , schon
erschüttert wird . Und wäre sie es wirklich , so
müsste sie doch überall sich bei den betreffenden
Raçen zeigen . Aber das ist gar nicht der Fall . In Neuholland
z. B. , wo allerdings Heirathen in demselben Stamme so gut wie gar
nicht vorkommen , werden fruchtbare Ehen gar nicht selten
erwähnt . Grey ( a.a.O. ) sah 41 Weiber , welche zusammen 188
Kinder hatten ; und gar manches Volk in Amerika gibt es , welches
eine sehr reichliche Kinderzahl besitzt , so die Stämme der
Nordwestküste , die Nordindianer , welche Hearne besuchte , die
Chippewais , die Sioux , die Mandans , und manche Südamerikaner ,
welche Waitz 1 , 171-72 zusammenstellt . Und während einzelne
Theile melanesischer Bevölkerung meist nur kinderarme Familien
aufweisen , ist das Gegentheil bei anderen , z. B. den Fidschis der
Fall ; dieselben Gegensätze zeigt Mikronesien und Polynesien ,
in welchem letzteren Gebiet z. B. Tonga ganz anders als Tahiti und
die Markesasinseln nur fruchtbare Ehen kennt . Und wer hat je etwas
der Art von dem Brudervolk der Polynesier , von den Malaien
gehört ? Gedeihen sie nicht reichlich in ihrer Inselwelt und
müsste nicht , wäre die Unfruchtbarkeit
Raçencharakter , sie sich auch bei ihnen vorfinden ?
Umgekehrt aber findet sie sich bei Kulturvölkern , bei denen
die oben besprochenen Gründe wirksam sind , wofür Waitz 1 ,
173 einige Beispiele aufstellt . Wo diese Gründe aber
wegfallen , da sind die Weiber auch sonst minder fruchtbarer
Stämme mit Kindern gesegnet . Neuseeländerinnen mit
Europäern ( Dieffenbach 2 , 152 ) und Botokudinnen mit Weissen
oder Negern vermählt ( Tschudi 2 , 284 ) pflegen sehr fruchtbar
zu sein , weil dann die Frau meist ein ruhigeres , besseres Leben
hat , wie Tschudi dies sehr richtig a.a.O. erklärt , nicht aber
etwa in Folge der Vermischung und des Einflusses einer höheren
Raçe , da ja in der Ehe mit Negern dasselbe Verhältniss
eintritt .
Wir würden schon hieraus die Unfruchtbarkeit der Weiber
vollkommen erklärlich finden , ohne Hinzunahme einer so wenig
begründeten Theorie , wie die von der minderen
Zeugungsfähigkeit der hinschwindenden Raçen . Aber einen
der wichtigsten Gründe , welcher nicht nur diese
Unfruchtbarkeit , sondern überhaupt die Verringerung der
Naturvölker nicht zum mindesten Theil erklärt , haben wir
noch zu besprechen : es ist das weitverbreitete Tödten der
Kinder vor oder gleich nach der Geburt .
Bei den Hottentotten ( Sparmann 320 ) herrschte die Sitte ,
Säuglinge , deren Mutter starb , mit dieser zugleich zu begraben
oder auszusetzen ; ebenso tödteten sie von Zwillingen das eine
Kind . Künstliche Fehlgeburten kamen häufig bei ihnen vor .
Noch häufiger war dies alles bei den Buschmännern , welche
bei ehelichen Streitigkeiten , bei Nahrungsmangel , der sie oft genug
betraf , und bei eiliger Verfolgung die Kinder tödteten , aus
Rache und Zorn gegen den Ehe-
gatten , oder weil sie dieselben nicht
ernähren , nicht mitnehmen konnten ; das heisst in den meisten
Fällen , weil sie jede ungewöhnliche Anstrengung , welche
ihnen die hülflosen Kinder auferlegt hätten , scheuten .
Zwillinge und missgestaltete Kinder wurden stets umgebracht ( Waitz
2 , 340 und daselbst die Quellen ) .
Ebenso war es in Amerika , namentlich in der südlichen
Hälfte des Kontinentes , während die Indianer
Nordamerikas , wie sie überhaupt höher stehen , auch ihre
Kinder besser halten , ja sie oft mit der innigsten Liebe pflegen .
So verwenden z. B. die Potowatomi auch auf arbeitsunfähige und
blödsinnige Kinder zärtliche Sorgfalt ( Waitz 3 , 115-16 ) ;
und die Huronen zogen auch solche Säuglinge auf , deren Mutter
gestorben war ( Waitz b , 100 ) . Künstlicher Abortus dagegen war
weit verbreitet unter den Thakallis , dem westlichsten Stamm der
Athapasken , welcher auch sonst sehr tief stand und von Keuschheit
oder ehelicher Treue keinen Begriff hatte ( Waitz b , 90 ) . Dass die
Knisteno namentlich ihre weiblichen Kinder tödteten , um sie
vor dem elenden Loos des Lebens , das sie erwartete , zu behüten
( Waitz 3 , 103 ) , ist schon erwähnt . Und nun gar in
Südamerika . Die Guanas ( Azara 232 ) bringen die meisten
Mädchen sofort bei der Geburt um , indem sie die Neugeborenen
lebendig begraben ; überhaupt aber ziehen sie nur etwa die
Hälfte ihrer Kinder auf . Da es bei den Tupis Sitte war ( Waitz
3 , 423 ) , die Neugeborenen dadurch anzuerkennen , dass man sie vom
Boden aufhob , so können wir hieraus schliessen , dass bei
ihnen , wenigstens in früherer Zeit , viele Kinder , die man eben
nicht aufhob , getödtet sind . Von den Guaikurus ( östlich
vom oberen Paraguay ) berichtet Azara 273 , dass die ganze Nation
hauptsächlich durch Abtreiben der Kinder , von denen sie nur
das letzte und also , da diese Rechnung sehr unsicher ist , oft keins
schonten , ganz verschwunden sei ; und wenn wir auch mit Waitz ( 3 ,
430 ) diese Nachrichten , sowohl in Beziehung auf ihr Aussterben
— denn Castelnau z. B. fand 6 Stämme von ihnen , darunter
zwei ackerbauend , am Paraguay vor — als auch in Betreff
dieser furchtbaren Ausdehnung des Kindermords für
übertrieben halten , so muss doch künstlicher Abortus bei
ihnen vorzugsweise verbreitet gewesen sein , wie ihn auch noch
neuere Reisende , Martius , Castelnau bei Waitz 3 , 472 als
gewöhnlich unter ihnen angeben . Auch von den Mbayes , welche
indess von den Guaikurus nicht zu trennen sind , gibt Azara 250
genau dasselbe an : sie tödten alle Kinder bis auf eins ,
bisweilen auch alle insgesammt . Als Gründe für diese
Sitte geben die Indianerinnen an , regelmässige Geburten
machten sie vor der Zeit alt und hässlich , auch sei es ihnen ,
bei ihren ewigen Wanderzügen , wo sie selbst oft nichts zu
essen hätten , sehr schwer mehr als ein Kind mitzunehmen und zu
erhalten . Fühlte sich also eine Frau schwanger , so legte sie
sich auf die Erde und andere Weiber gaben ihr so lange die
heftigsten Schläge auf den
Unterleib , bis Blut und bald darauf
die Frucht abging , eine Operation , an der natürlich viele
Weiber sogleich oder kurz darauf starben , andere wenigstens ihr
ganzes Leben siechten ( Azara a.a.O. ) . Auch bei den Abiponen
herrschte dieser Gebrauch ; mehr als zwei Kinder zogen sie nicht auf
( Waitz 3 , 476 ) . Die Tobas ( zwischen Abiponen und Guaikurus ,
östlich vom Paraguay ) tödten viele ihrer Kinder ( Waitz 3 ,
475 ) , die Lules ( östlich von den Tobas ) alle unehelichen , von
Zwillingskindern , welche für ein Zeichen von Untreue gelten ,
immer eins , und wenn die Matter stirbt , so begraben sie den
Säugling mit ihr ( Waitz 3 , 480 ) . Die Yurakares , westlich vom
Titikaka-See , mordeten ihre Kinder , wenn sie keine Lust hatten , sie
weiter zu verpflegen ( Waitz b , 100 ) . Die Moxos tödteten von
Zwillingen immer das eine Kind und begruben kleine Kinder mit ihrer
Mutter , wenn diese starb ( Waitz 3 , 537 ) . Gegen Zwillingskinder
wandten sie diese Massregel an , weil man in einer solchen
Doppelgeburt etwas Thierähnliches sah ( Waitz b , 100 ) . Die
Chiquitos ( zwischen dem oberen Paraguay und dem Titikaka ) hatten so
wenig Anhänglichkeit an ihre Kinder , dass sie dieselben leicht
fortgaben oder verkauften ( Waitz 3 , 530 ) und von den Minuanes ( am
unteren Parana ) erzählt Azara 191 ganz ähnliches ; waren
die Kinder entwöhnt , so kümmerten sich die Eltern gar
nicht mehr um sie , vielmehr wurden sie von verheiratheten
Verwandten aufgezogen . Bei den caribischen Völkern herrschten
dieselben Sitten , wie dies Humboldt b 4 , 225-28 genauer schildert .
Von Zwillingen tödten sie immer ein Kind , um nicht wie Ratten ,
Beuteltiere und das niederste Gethier , das viele Jungen zugleich
wirft , zu sein , oder weil man auch hier in einer solchen
Doppelgeburt ein Zeichen von Untreue sieht . Auch missgestaltete , ja
selbst schwächliche Kinder werden getödtet , um sich der
Last , die man später mit ihnen haben würde , zu entziehen .
Die Frauen dieser Völker haben verschiedene
Pflanzenaufgüsse , welche sie zum Abtreiben anwenden und zwar
in verschiedenen Gegenden zu verschiedener Zeit , je nachdem sie es
für die Gesundheit und die Schönheit früh oder
spät Kinder zu bekommen für zuträglich halten . Auch
bei den Makusis sieht Schomburgk ( 2 , 312 ) , so sehr er auch sich
gegen diese Annahme sträubt , sich genöthigt , an
künstliche Fehlgeburten zu glauben . Wenn er aber meint ( 313 ) ,
dass Zwillinge bei ihnen nicht getödtet würden , und dass
überhaupt solche Geburten höchst selten bei ihnen seien ,
weil er nur zweimal unter den Eingeborenen von Guyana , einmal unter
den Makusis , einmal unter den Waikas Zwillinge sah und nie von
ihnen reden hörte , so ist das sicherlich unrichtig , denn er
selbst erzählt , dass die Frauen jener Völker auf seine
Bemerkung , die Europäerinnen bekämen bisweilen zwei , ja
drei Kinder , den Mund spöttisch verziehend geantwortet
hätten : wir sind keine Hündinnen , die einen Haufen Junge
werfen . Zwillinge werden fast von allen Naturvölkern getödtet : auch von den Negern ( Waitz 2 , 124 ) . " Also auch hier dieselbe
Auffassung wie überall in Südamerika und sicher auch
derselbe Gebrauch . Schon die Seltenheit von Zwillingen spricht
dafür ; und wenn die Indianer nie von Zwillingen sprechen , so
erklärt sich das aus dem herrschenden Gebrauch , von der
Ermordung der Kinder überhaupt nicht zu reden ; man thut , als
seien sie eines natürlichen Todes gestorben : » Das arme
Kind konnte nicht mit uns Schritt halten ; man hat nichts mehr von
ihm gesehen « ( Humboldt 64 , 226 ) .
Auch bei den Kulturvölkern Amerikas herrschte derselbe
Brauch . Die Mexikaner , in dem Glauben , dass Zwillinge den Tod des
Vaters oder der Mutter vorbedeuteten , tödteten oft das eine
der beiden Kinder ( Waitz 4 , 164 ) . Die Chibchas , in Neu-Granada ,
thaten dasselbe , weil sie in Zwillingsgeburten die Folge grober
Ausschweifungen sahen ( eb. 4 , 367 ) . Auch in Peru galten Zwillinge
als üble Vorbedeutung für die Eltern , der man in vielen
Theilen des Landes durch Fasten ( eb. 417 ) , in anderen durch
Tödtung eines der Kinder vorzubeugen suchte ( eb. 461 ) . Die
darischen Weiber sollen ihre Kinder getödtet haben , um ihre
Schönheit zu bewahren ( 350 ) . Die zu den Chibchas
gehörenden Panches tödteten alle ihre Kinder , so lange
ihnen nur Mädchen geboren wurden ( eb. 376 ) ; und hier mag denn
den Schluss die Bemerkung bilden , dass die vielfach vorkommende
Tödtung der Mädchen ursprünglich wohl nicht den
Grund hatte , den Töchtern ein schlimmes Lebensloos zu
ersparen , welche Auffassung gleichwohl späterhin gegolten
haben mag : der Hauptgrund war gewiss ein
abergläubisch-religiöser oder wenigstens der , dass man
Knaben der Kriegstüchtigkeit halber und weil man sie für
vortrefflicher hielt , lieber sah als Mädchen .
Dieselben Sitten galten in Neuholland . Stirbt die Mutter eines
Säuglings , so wird derselbe mit ihr begraben und von
Zwillingen stets das eine Kind getödtet ( Freycinet 2 , 747 ) , in
Ost- und Westaustralien ; missgestaltete Kinder oder solche , die bei
der Geburt Schmerzen machen — diese alle gewiss , weil man sie
von bösen Geistern besessen glaubt — tödtet man
gleichfalls , so wie alle Kinder von europäischen Vätern ,
welche die Mutter verliessen ( Grey 2 , 251. Bennet 1 , 122 ) . Von
Mischlingskindern tödtet man nach Breton ( 231 ) indess nur die
Knaben , nicht die Mädchen , während sonst die Mädchen
so vorzugsweise getödtet werden , dass nach Grey ( 2 , 251 ) das
Verhältniss der Weiber und Männer wie 1 : 3 ist . Jede
Mutter tödtet ihr drittes , bisweilen schon ihr zweites
Mädchen , wenn es nicht eine fremde Frau als ihr Kind annimmt
( Salvado 111 ) . Fehlgeburten werden oft herbeigeführt und
Neugeborene oft getödtet , um der Last und der Schwierigkeit ,
Kinder aufzuziehen , zu entgehen ( Mei-
nicke a 2 , 208 ) . Ja es soll
sogar vorkommen , dass Eltern ihre neugeborenen Kinder selbst
auffressen ( Stanbridge , transaction of the ethnol . Society X. S. 1 ,
289 ; Australia felix 129 ; Angas 1 , 73 ) . Auf Vandiemensland dagegen
herrschte der Kindermord nicht ( Bibra 16 ) .
Wohl aber in Melanesien , und so auf Vate ( Gill 67 ) , wo man
neugeborene Kinder lebendig begrub und nur zwei bis drei aufzog
( Turner 394 ) , und ebenso war es auf Erromango ( Turner 491 ) und in
grösster Ausdehnung auf den Inseln in der nächsten
Nähe von Neuguinea ( Reina in Zeitschr. 4 , 359 ) . Auf den
Fidschiinseln war der Kindermord gleichfalls nicht selten , wie
Williams und Calvert ( 1 , 180 ) berichten und das Gemälde , das
sie entwerfen , ist düster genug : künstliche Fehlgeburten ,
Tödtung der Kinder , namentlich der Mädchen , gleich nach
der Geburt , ist sehr häufig , aus Laune , aus Faulheit , aus
Eifersucht und Rache ; wie in Polynesien gab es auch hier in jedem
Dorf Leute , welche Fehlgeburten herbeizuführen verstehen. Hale
( 66 ) schreibt den Fidschis dieselbe Sitte zu , welche wir bei den
Tupis fanden und welche ja auch unter den Indogermanen eine so weit
verbreitete war , dass alle Kinder , welche der Vater oder Priester
nicht unmittelbar nach der Geburt vom Boden aufnimmt , als
» ausgestossene « getödtet werden .
Aber schlimmer noch und wahrhaft in entsetzlicher Ausdehnung
tritt der Kindermord auf im übrigen Ozeanien . Wir beginnen mit
Mikronesien . Während allerdings die Carolinen frei von diesem
Verbrechen waren ( Chamisso 137 ) , durfte auf den Ratakinseln keine
Mutter mehr als drei Kinder grossziehen : alle übrigen wurden
umgebracht ( Chamisso 119 ) ; und ebenso ist , um übergrosse
Bevölkerung zu vermeiden , künstlicher Abortus bei den
Gilbertinsulanern nach Gulick ( 410 ) , allerdings gegen Hales
Ansicht , häufig . Von der Kingswillgruppe , aber mit Ausnahme
von Makin , sagt auch Hale dasselbe ( 96 ) . Nach alledem , was wir von
den marianischen Uritaos wissen , scheinen auch sie , obwohl
bestimmte Daten darüber fehlen , die Kinder , welche ihnen bei
ihren Ausschweifungen und namentlich die , welche von niederen
Weibern geboren worden , getödtet zu haben .
Im eigentlichen Polynesien nun bleiben auf Tikopia nur die
ältesten beiden Söhne am Leben , um die Insel nicht zu
übervölkern , so wie alle Mädchen , daher die Insel
weit mehr Weiber als Männer hat ( Dillon 2 , 134 ) . Auf Tonga kam
der Kindermord , dessen Motiv dann meist Trägheit oder
Bequemlichkeit ist , nur vereinzelt vor ( Mariner 2 , 18-19 ) , auf
Samoa aber gar nicht ( Wilkes 2 , 80 , Williams 560 ) und ebenso wenig ,
um das hier gleich anzuschliessen , auf den Herveyinseln ( Williams
560 ) .
Allein auf Tahiti war das Verbrechen so im Schwunge , dass Ellis
( 1 , 249 ) annimmt , es habe sich in der Ausdehnung , wie er es
vorfand , erst in etwa den letzten 50 Jahren vor der Entdeckung ,
ausbreiten können , weil sonst eine so zahlreiche
Bevölkerung , wie sie Wallis und Cook vorfanden , sich
unmöglich habe erhalten können . Cook fand den Kindermord
schon allgemein verbreitet vor und suchte vergeblich den König
Otu zu seiner Abschaffung zu veranlassen . Auch die Missionäre
des Duff ( 1796 ) fanden die Tödtung der Kinder als etwas ganz
Selbstverständliches , über das mit der grössten
Gleichgültigkeit geredet wurde ( Wilson 272. 310 ) ; und mit
demselben Entsetzen über diese Gleichgültigkeit wie
Wilson sagt auch Ellis , dass etwa zwei Drittel der Kinder
getödtet seien . Die ersten drei Kinder wurden es meist ,
Zwillinge gleichfalls , mehr wie zwei oder drei Kinder zog Niemand
auf . Allein eben dadurch konnten sich die Geburten rascher folgen
und so fand Ellis Frauen , welche vier , sechs , acht , ja 10 und noch
mehr Kinder getödtet hatten ( 1 , 250. 251 ) ; ja er versichert ,
und da kein Stand von dem Gebrauche ausgeschlossen war , ganz
glaublich , kein Weib gefunden zu haben , das nicht seine Hände
mit dem Blut der eigenen Kinder befleckt hätte . Unter den
Areois nun war es so strenges Gesetz , alle Kinder , welche den
Mitgliedern der Gesellschaft geboren wurden , zu tödten , dass
wer sich diesem Gesetz nicht fügte , sofort ausgestossen wurde .
Die einzigen Ausnahmen , welche gestattet waren , bestanden darin ,
dass die ersten Fürsten ihren ersten Sohn behielten und dass
die vornehmsten Areois ( die Gesellschaft hatte 12 Grade ,
Mörenhout 1 , 489 ) nur ihr ältestes Kind so wie alle
Mädchen tödteten . Das letztere geschah auch hier wohl aus
religiösen Gründen oder weil man die Mädchen
für geringer als die Knaben hielt ; Mörenhout , dem diese
Nachrichten entlehnt sind — er handelt von den Areois 1 ,
485-98 — ist der Meinung , alle diese Morde seien vollbracht ,
um die Volksmenge der Insel nicht übergross werden zu lassen ,
welcher Ansicht man kaum beipflichten wird ; wie denn auch das
tahitische Volk selbst der Ansicht war , die Weiber brächten
zur Conservirung ihrer Schönheit die Kinder um . Dass alle
Kinder einer Mischehe — wenigstens , nach Williams 565 , eines
gemeinen Mannes und einer adligen Frau — umgebracht wurden ,
versteht sich nach den Begriffen , welche man über die
verschiedenen Stände hatte und nach denen der Adel ganz
göttlich , das Volk aber nicht einmal im Besitz einer Seele
war , von selbst . Für Tonga wählte man solche Kinder
vorzüglich gern , nach Mariner , zu Opfern aus . Und so war es
auf allen Gesellschaftsinseln . Williams erzählt von Raiatea ,
wo er ( 1829 ) seine Station hatte , folgendes Beispiel . Er sass mit
Bennett in einem Zimmer , in dessen Hintergrund mehrere eingeborene
Weiber arbeiteten und als Bennett sich bei ihm nach der Ausdehnung
des Kindermords erkundigte , so fragte er , um sich selbst zu
überzeugen , ob das Verbrechen so allgemein sei als er glaube ,
die zufällig anwesenden Weiber , die er nicht weiter kannte ,
wie viel Kinder
jede getödtet habe : neun die eine , sieben die
andere , die dritte fünf , also alle drei zusammen 21 ! Eine
andere Frau bekannte sterbend , dass sie 16 , ein vornehmer
Häuptling , dass er 19 umgebracht hätte und manche
Familien hatten alle getödtet ( Williams 562-565 ) . Als
Gründe geben ihm die Eingeborenen an , zunächst Furcht vor
den ewigen Kriegen und ihren blutigen Zerstörungen ; man wollte
von den Kindern nicht gehindert sein , auch wohl böse
Schicksale ihnen ersparen und was wohl der Hauptgrund war , dem
Feind keine Gelegenheit zu irgend welchem Triumph ( etwa durch
Gefangennehmung oder Ermordung der Kinder ) geben . Zweitens war aber
die Verschiedenheit des Ranges ein wichtiger Grund . War ein Mann
von niederem Rang als seine Frau , so konnte er durch Tödtung
von zwei , vier oder sechs Kindern , je nachdem er tiefer stand , zum
Rang der Frau sich erheben und die Kinder , welche ihm , nachdem er
diese Stufe erreicht , geboren wurden , blieben am Leben . Die Frau
aber , welche von minder hohem Range als ihr Mann war , konnte , da
alle Vererbung nur in weiblicher Linie erfolgte , sich durch kein
Mittel , auch dieses nicht erheben . Blieben aber in gemischten Ehen
die Kinder ohne Weiteres am Leben , so sank die Familie auf den Rang
herab , welchen der minder vornehme der Eltern inne hatte ( Ellis 1 ,
256 ) . Als dritten Grund führt Williams die Eitelkeit der
Weiber auf : sie wollten ihre Schönheit nicht durch Säugen
und Kinderpflegen gefährden . Der Hauptgrund scheint aber , wenn
nicht in frühester , vorhistorischer Zeit religiöse Motive
mitwirkten , Faulheit gewesen zu sein : auf der Insel , welche eine
vielfach grössere Bevölkerung leicht ernähren
konnte , hiess ein Vater von vier Kindern schon ein » arg
überbürdeter « Mann ( Ellis a.a.O. ) .
Man tödtete die Kinder , indem man ihnen einen nassen Lappen
auf den Mund legte , oder ihnen die Kehle mit dem Daumen zupresste ,
oder sie , noch im Mutterleibe , aber während der Geburt , mit
einem spitzen Bambus durchbohrte ; oder man begrub sie lebendig und
zwar gerne so , dass die Erde nicht unmittelbar auf sie kam , sondern
sich über ihnen her wölbte ( Williams und Ellis a.a.O. ) .
Eine vierte noch viel scheusslichere Art beschreibt Williams
567-568 : zuerst wurden den eben Geborenen die äussersten
Glieder an Finger und Zehen , dann , wenn sie davon nicht starben ,
die Hand- und Fussknöchel gebrochen . Ueberstand das Kind auch
das , so kamen die Kniee und Ellenbogen an die Reihe , und wenn es
dann immer noch lebte , so wurde es schliesslich erwürgt .
Indess ist die That scheusslicher als die Gesinnung , welche sie
hervorbrachte : denn ohne Zweifel wandte man diese grässlichen
Todesarten aus keinem anderen Grunde an als aus Ehrfurcht vor der
Seele des Kindes , die auf möglichst gelinde Weise , von aussen
her , zur Entfernung mehr aufgefordert als genöthigt werden
sollte , und erst wenn sie diese Aufforderung gar nicht verstand ,
trat Zwang ein . Denn die Seelen der getödteten
Kinder , die man
sich unter der Gestalt von Heuschrecken nach Mörenhout dachte ,
galten für heilig und wurden hoch geehrt . Auch hier gab es
fast in jedem Dorfe Leute , welche aus dem Kindermord Gewerbe
machten ( Williams 568 ) und doch , war einem Kinde auch nur eine
Viertelstunde das Leben erhalten worden , so durfte es nicht mehr
getödtet werden , und hatte dann sehr liebevolle , ja wohl
zärtliche Eltern .
Wo möglich noch roher waren die Bewohner der
Sandwichsinseln . Hier herrschte der Kindermord namentlich in den
unteren Klassen , von denen die Eltern selten , mochten die Ehen auch
noch so fruchtbar sein , mehr als zwei oder drei , vielmehr oft nur
ein Kind aufzogen . Auch hier sind ( Ellis 4 , 326-330 ) 2/3 der Kinder
getödtet und zwar meist durch Erwürgen oder lebendig
Einscharren , wobei man sie ohne Weiteres mit Erde bedeckte und
diese mit den Füssen feststampfte . Hier begrub man die kleinen
Leichen oft im eigenen Hause , ja im eigenen Schlafgemach der
Eltern , während man zu Tahiti ihnen doch wenigstens einen
Platz neben dem Hause gab . Oft waren es , hier wie zu Tahiti , die
Eltern selbst , welche die grauenvolle That vollbrachten . In Hawaii
war der Grund zu diesem Mord meist Trägheit nach Ellis 4 , 329
und Eitelkeit der Weiber , nach Jarves 85 . Während aber zu
Tahiti die Kinder , welche die erste halbe Stunde überlebt
hatten , gerettet waren und zärtlich aufgezogen wurden ; so
tödtete man zu Hawaii , mit viel grösserem Stumpfsinn , die
Kinder auch noch nach einem Jahre , ja noch später . War ein
Kind krank und machte Unruhe , so begrub man es lebendig , schrie es
der Mutter zu unerträglich , so stopfte sie ihm ein Stück
Zeug in den Mund und grub die unglückliche Creatur in die
Erde , wenige Schritte von ihrem Bette , zu welchem sie nach
vollbrachter That , als ob nichts geschehen wäre , ruhig
zurückkehrte ( Ellis 4 , 330 ) . Und selbst dies wird noch durch
folgenden Fall , den Ellis gleichfalls ( 326 ) erzählt ,
überboten . Ein Mann und eine Frau , welche ein Kind , einen
hübschen Jungen , nach Jarves ( 73 ) von sieben Jahren , hatten ,
geriethen über denselben in Streit und da die Frau nicht
nachgab , ergriff der Vater das Kind bei Kopf und Fuss , brach ihm
über seinem Knie den Rücken entzwei und warf die zuckende
Leiche der Mutter zu Füssen ! Tamehameha , bei dem die Unthat
angezeigt wurde , erklärte , er könne nicht strafend
eingreifen , da der Mann sein eigen Kind umgebracht habe . —
Auch in Neuseeland findet sich der Kindermord gar nicht selten
( Angas 1 , 313 ) ; er ist aber , wie in Tahiti , nicht mehr statthaft ,
wenn das Kind auch nur eine halbe Stunde gelebt habe . Will man es
tödten , so wird es meist lebendig begraben oder bei der Geburt
erwürgt . Rache ist häufig das Motiv hierzu , wegen harter
Behandlung der Frau während ihrer Schwangerschaft , oder weil
der Vater sie verliess oder aus irgend welchem anderen Grunde
( Dieffenbach 2 , 25 ff. ) . Trägheit aber steht auch hier in
erster Linie .
Namentlich Mädchen brachte man um ( Taylor 165 ) .
Auch Abortus ist häufig : und so ist es nicht zu verwundern ,
dass ( Browne 40 ) die Ehen durchschnittlich kaum mehr als zwei
Kinder haben . Allerdings herrschen diese furchtbaren Gebräuche
am meisten an der Küste ; im Innern sind die Familien
zahlreicher , ja Dieffenbach ( 2 , 33 ) sah bis zu 10 Kindern in einer .
Gegen die geschonten Kinder sind die Maoris liebevolle ( Dieffenbach
2 , 25 ff. ) , wenn auch nicht gerade zärtliche Eltern ( Browne
39 ) .
Es könnte scheinen , als hätten wir uns schon allzu
lange bei diesem abschreckenden Gegenstande aufgehalten und seien
zu sehr ins Einzelne gegangen , allein dies genauere Eingehen war
nöthig für folgenden Nachweis . Da alle Polynesier
liebevolle Eltern sind und wir dennoch dieselben Eltern im ganzen
östlichen Polynesien so vollkommen abgehärtet gegen den
Kindermord sehen , dass sie ruhig von allen den Scheusslichkeiten
sprechen , ja auch schon herangewachsene Kinder kaltblütig
morden : so kann diese Sitte nicht erst 50 Jahre vor der Entdeckung ,
also um 1700 oder 1710 weiter um sich gegriffen haben , wie Ellis
will . Jedenfalls muss sie älter sein , auch in dieser
Ausdehnung . Denn um ein Volk so ganz zu beherrschen , dazu braucht
eine solche Sitte , auch wenn sie eingeschränkt schon
früher im Gebrauche war , mehr als 50 Jahre . Auch ist uns
berichtet , dass die marianischen Weiber ihre Kinder vor und bei der
Geburt massenweise tödteten , als die Spanier die Inseln
eroberten , damit die Neugeborenen nicht in Knechtschaft geriethen .
Auch das setzt schon ein Bekanntsein mit Aehnlichem voraus , und
dazu kommt , dass sich beim malaiischen Stamm überhaupt die
Sitte des Kindermordes oder des künstlichen Abortus sehr
häufig findet . So treiben die Battas häufig die Frucht
vorzeitig ab , Waitz 5 , 190 ; die östlichen Malgaschen
tödten Zwillinge , sowie sie solche Kinder , die an einem
bösen Tage geboren wurden , ertränkten , aussetzten oder
lebendig begruben ( Waitz 2 , 441 ) . Die Bisayas ziehen , um nicht zu
verarmen , nur wenige Kinder auf , und tödten uneheliche Kinder
meist , weil das Mädchen , ihr Vater und ihr Geliebter für
aussereheliche Schwangerschaft Strafe zahlen müssen ( Loarca in
Ternaux Archives 1 , 23 ) . Aehnlich die Pintados auf den Philippinen ,
welche ihre Kinder vom 3ten an tödten , indem sie dieselben
unter Festen und Lustbarkeiten lebendig begraben , so wie auch , um
sie nicht ernähren zu müssen , alle unehelichen Geburten
( nach einem Bericht von 1577 in N. Journ . As. VIII , 39 , 1831 ) . Auf
den Niasinseln setzt man die Kinder aus ( Domis bei Oosterling
tydschrift toegew . van de verbreiding d. Kennis v. Oost . Indie II ,
2 , 125 ) . Abtreiben der Kinder bei den Dajaks aus Sittenlosigkeit
erwähnt Schwaner Borneo 1 , 203 .
Wie hat man sich nun die Entstehung dieser schrecklichen Sitte
zu denken ? Ist es bloss Trägheit und Versunkenheit , worin sie
wurzelt ? In Afrika und Nordamerika ist freilich meist das
äussere
Elend ihr Anlass , wie auch die Markesaner ihre Kinder
aus Hungersnoth tödteten und assen ( Ellis 4 , 328 ) ; allein das
reicht weder für Polynesien noch für Südamerika aus .
Meinicke meint nun ( b , 59 bis 60 ) , dass in Polynesien der
Kindermord eingeführt sei , um die Reinheit des Blutes der
Aristokratie zu erhalten . Er stützt diese Ansicht , für
welche historische Gründe sich nicht aufstellen lassen ,
dadurch , dass , trotzdem der Kindermord bei allen Klassen der
Bevölkerung vorkommt , er doch zu Tahiti zumeist von den Areois
ausgeht , dass alle Kinder aus gemischten Ehen , die bei der
förmlichen Berechtigung der Vornehmen zu jeglichem
Lebensgenuss gar nicht zu vermeiden waren , getödtet wurden .
» So mögen « , fährt er S. 60 fort ,
» solche Kinder seit Jahrtausenden getödtet sein , ohne
dass dies bei den körperlichen Vorzügen , die dergleichen
Verbindungen mit Menschen niederen Standes nicht häufig
gemacht haben werden und bei ihrer geringen Zahl grossen Einfluss
gehabt haben wird . Aber mit der Zeit fing man an , Kinder auch zu
tödten , um durch die Sorge , die sie erforderten , nicht an
Ausschweifungen und Vergnügungen gehindert zu werden ( wie es
bei den Areois der Fall war ) , und endlich verbreitete sich die
grauenvolle Sitte bloss durch den Einfluss der Mode , die auf den
Südseeinseln so gut wie in anderen Erdtheilen die niederen
Stände antreibt , Verkehrtheiten und selbst Laster der
Vornehmen nachzuahmen , auch unter das Volk , wo sie in der
Bequemlichkeit , Liederlichkeit , Armuth und den Beschwerden , die
Kinder zu erziehen , mannigfache Unterstützung fand . Man sieht ,
dass der Kindermord so mit der Zeit stets zunehmen musste und wird
hierin eine Hauptursache der erstaunlich raschen Abnahme der
Bevölkerung zu suchen haben , wenn auch die Angaben der
Missionäre über die Zahl der hingeopferten Kinder
übertrieben sein sollten « . Dies letztere ist nun zwar
bei den mit bestimmten Zahlen angegebenen einzelnen Fällen und
der genauen Uebereinstimmung der Angaben , welche die
Missionäre machen , nicht wahrscheinlich Obwohl auch Jarves 83 manche der Zahlen anzuzweifeln scheint . wie
denn Ellis ausdrücklich sagt , dass er Williams Angabe , 2/3 der
Kinder seien getödtet , an Ort und Stelle geprüft und
nicht übertrieben gefunden habe . Recht aber hat Meinicke
darin , dass auch er diese Sitte für eine sehr alte
ansieht .
Allein sonst ist seine Ansicht schwerlich richtig . Mag auch
späterhin , und er hat es gewiss sehr reichlich gethan , der
Unterschied zwischen Volk und Adel dem Kindermord weitere
Ausdehnung verliehen haben ; veranlasst hat er ihn gewiss nicht ,
wofür zunächst spricht , dass wir in Südamerika den
Kindermord fast in ähnlicher Ausdehnung wie in Polynesien ,
jenen Standesunterschied aber nicht vorfanden . Aber auch für
Polynesien allein wird es bedenklich , den letzteren als alleinige
Ursache des ersteren anzusehen , wenn man
Folgendes erwägt .
Williams sagt , wie wir schon vorhin sahen , dass ein niederer Mann
durch Kindermord sich dem Stand seiner vornehmeren Frau angleichen
kann ; was Meinicke , wohl nur durch einen Irrthum seinerseits ,
für einen Irrthum hielt . Denn aller Rang vererbte durch die
Mutter ; der Adel war ferner eine mit Seele begabte , göttliche
Klasse , im Gegensatz zu dem unbeseelten , irdischen Volk .
Kinderseelen nun , welche nach Mörenhout für besonders
heilig gehalten und zu denen als Vermittlern zwischen Göttern
und Menschen besonders gebetet wurde , konnten , wenn für den
unbeseelten Mann geopfert , ihm , sei es durch direkten Uebergang in
ihn , oder sei es durch Vermittlung bei den Göttern , zu einer
Seele verhelfen , wodurch er zu höherem Rang emporstiege . Die
Areois sind eine religiöse Gesellschaft ; religiöse Scheu
zeigte sich in der Art , wie man ( wenigstens in Tahiti ) die Kinder
umbrachte ; man hat sie also in vielen Fällen vielleicht nur
getödtet , um Schutzgeister zu haben oder sie als Opfer
fürs eigene Leben — solche Opfer werden wir gleich noch
mehr sehen — den Göttern darzubringen . Dieselbe
Bedeutung hat wohl der Kindermord in Mikro- und Melanesien gehabt ,
wie einzelne Spuren noch andeuten , wenn sich auch Zwingendes nicht
dafür anführen lässt als eben ihre Verwandtschaft
mit den Polynesiern . Wenn aber Meinicke sagt , die Sitte müsse
überall geherrscht haben und sei , wo wir sie nicht
erwähnt finden , wie in Tonga , nur übersehen , so kann man
das nicht zugeben ; der so feinen und scharfen Beobachtung Mariners
hätte sich ein so auffallender Gebrauch nicht entziehen
können und er führt 2 , 18-19 einen Fall der Art
ausdrücklich als etwas Ausserordentliches an . Aber
möglich ist es , ja wahrscheinlich , dass die Sitte auch in
Tonga ursprünglich geherrscht hat , nur während sie sich
im übrigen Polynesien ausbreitete , so erlag sie schon sehr
früh und lange vor der Entdeckung dem besseren Sinn der
Tonganer , wie sie auch andere ähnliche Sitten aufgaben , z. B.
die Ermordung der Weiber beim Tode der Männer , von der Mariner
als von einer früher gebräuchlichen hörte ( 1 , 342 ) ,
die aber zu seiner Zeit schon ausser Gebrauch gekommen war .
Da wir nun Gründe haben , bei den Polynesiern diesen
Gebrauch für einen ursprünglich religiösen zu
halten , der freilich in späterer Zeit aus ganz anderen
Motiven , aus Faulheit , Eitelkeit , Lieblosigkeit , Standeshochmuth
u. s. w. sich unendlich verbreitete und das ganze Leben der Nation in
der neuen Gestalt anfrass ; so möchte auch die ziemlich weite
Verbreitung der Sitte , wie wir sie im eigentlichen Malaisien von
Luzon bis nach Madagaskar hin nachwiesen , auf demselben Princip
beruhen . Wie es sich in Südamerika hiermit verhält ,
lassen wir , da es uns an älteren Daten fehlt , unerörtert ;
doch hat hier vielleicht eine ähnliche Grundanschauung
geherrscht , als wir sie für Polynesien annahmen . Denn in
Mexiko wenigstens
glaubte man , kleine Kinder , welche stürben ,
seien den Göttern besonders lieb ; sie kämen zu einem
Baum , von welchem beständig Milch herabträufele , und
seien Vermittler zwischen Göttern und Menschen ( Waitz 4 , 166 ) .
Kinderopfer , um die Götter gnädig zu stimmen , kamen viel
bei ihnen vor ( 4 , 159 ) und das Bild des Gottes , das sie bei der
Ceremonie , die unserem Abendmahl ähnlich ist , unter sich
vertheilen und als » das Fleisch Gottes « verzehren , war
mit Kinderblut angefertigt , wie auch bei den Totonaken die Kuchen
bereitet waren , welche sie » das Brot unseres Lebens «
nannten ( Waitz 4 , 161 ) . Jetzt scheint diese Sitte dort keine
anderen Motive zu haben , als Eitelkeit , Faulheit und Elend und
Noth Dass übrigens auch bei Indogermanen und Semiten die Kinder vielfach getödtet sind , ist ja bekannt genug . In Griechenland wurden die Kinder umgebracht , welche der Vater , wenn sie die Hebamme ihm vor die Füsse legte , nicht aufhob ; eine Sitte , die bei Plautus und Terenz , d.h. also der späteren attischen Komödie so vielfach erwähnt wird . Namentlich Töchter wurden umgebracht . Diese Tödtung geschah durch Aussetzung zumeist ( Schömann griech. Alterthümer 1 , 562 ) . Bei den alten Deutschen herrschte durchaus derselbe Gebrauch . Aus semitischem Gebiet sei zunächst an Abrahams Opferung Isaaks erinnert , sodann an den Molochdienst der Phönicier , der so vielfach von den Juden nachgeahmt wurde ( Winer , bibl. Realwörterbuch unter Moloch ) so wie an die der Astarte geschlachteten Kinder ( Movers Phön. 2 , 2 , 69 ) . Allerdings ist der semitische Gebrauch ein religiöser , also zum Kinderopfern gehörig . Doch liesse sich auch für blosses Aussetzen der Kinder manches Semitische beibringen . . Das Tödten von Zwillingen
oder des einen von beiden Kindern beruht auf anderen Grundlagen : es
geht aus von dem Schreck über das portentum einer mehrfachen
Geburt , in welcher man etwas Unnatürliches und daher
Unheimliches oder aber eine Thierähnlichkeit sah .
§ 9. Krieg und Kannibalismus .
Haben wir oben gesehen , wie wenig das Menschenleben bei den
Naturvölkern geachtet wurde , so werden wir von seinem geringen
Werth bei ihnen im Folgenden noch massenhaftere Beispiele finden ,
da wir uns zunächst mit der Frage beschäftigen
müssen , welchen Einfluss auf Zahl und Existenz dieser
Völker haben Krieg , Kannibalismus und Menschenopfer
gehabt ?
Freilich scheint die Art der Kriegführung bei den
unkultivirten Stämmen mindere Opfer als bei den kultivirten
gefordert zu haben . Denn so kriegerisch auch die Nordamerikaner
waren , so sehr ihr ganzes Leben beinah auf dem Krieg beruhte , so
galt ihnen doch eine Art der Kriegführung , wie die
europäische , wo man in offener Feld-
schlacht stets das eigene
Leben in Gefahr setzt , für Thorheit , ihr Krieg bestand nur in
Ablauern des Feindes , in Ueberfall und Hinterhalt ; daher er denn ,
dem entsprechend , minder durch Tapferkeit als durch Schnelligkeit ,
Schlauheit und Verwegenheit geführt wurde . Aber dafür
endete auch der Krieg bei ihnen nie : denn Grenzverletzungen oder
Blutrache , sowie Rache für Zauberei ( durch die man jeden
Todesfall , namentlich aber den Tod von Häuptlingen verursacht
glaubte ) oder alter , einmal eingewurzelter und durch stets neue
schlimme Thaten niemals verlöschender Stammhass erregten ihn
immer aufs Neue . Und gerade diese versteckte , fast feige scheinende
Art , wie sie den Krieg führten , brachte oft ein furchtbares
Blutvergiessen hervor , da bei den Ueberfällen der meist
unvorbereitete und wehrlose Feind ganz und gar mit Weib und Kind
niedergemetzelt wurde , schon der Skalpe wegen , deren Erbeutung ja
den Siegern die grösste Herzenssache und Ehre war . In
Virginien zwar und bei den Huronen wurden Weiber und Kinder meist
zu Gefangenen gemacht ; war der Kampf aber lang und erbittert
gewesen , so mordeten auch hier die Sieger so lange als sie die Arme
heben konnten ( Waitz 3 , 150-154 ) . Und gefangene Feinde , die
Männer wurden ja von diesen Völkern wie bekannt so gut
wie immer getödtet . Dass aber solche Kriege der Existenz
ganzer Völker verhängnissvoll geworden sind und also , als
für ihr Aussterben grundlegend , recht eigentlich zu unserer
Betrachtung gehören , dafür hat Waitz , was Amerika
betrifft , 1 , 165 , Zeugnisse gesammelt . » Die
Kupferminenindianer sagt er an dieser Stelle , wurden durch die
Hundsrippenindianer ( Hearne ) fast vertilgt , die Moquis durch die
Navajos im hohen Grade geschwächt ( Schoolcraft ) , die Osagen
durch ihre erstaunlich vielen Feinde innerhalb 10 Jahren auf die
Hälfte ihrer früheren Anzahl reducirt . Der kleine Rest
des besiegten Volkes wird dann nicht selten von dem siegenden in
sich aufgenommen und sein Name verschwindet von da an aus der
Geschichte . Auf diese Weise sollen z. B. die Creecks allmählich
die Reste von 15 anderen Stämmen verschlungen haben . «
Auch die Irokesen ( Waitz 3 , 155 ) haben ausserordentlich durch
derartige Kriege gelitten . Jenseits des Felsengebirges sind die
Kriege viel milder und thun im Ganzen wenig Schaden ( 3 , 338 ) und
ebenso ist es auch bei den Oregonvölkern , wenn diese gleich
viel kräftiger zu sein schienen als die Nulkas und
Chinooks .
Der Kannibalismus , welcher vom Kriege nicht zu trennen ist , hat
auf die Völker Nordamerikas keinen sehr bedeutenden und
für ihre Zahl durchaus ungefährlichen Einfluss gehabt . Er
findet sich bei manchen Völkern , z. B. den nördlichen
Athapasken , den Hasenindianern , Nipissangs , den Crees , Ojibways ,
doch ist bei allen diesen das Entsetzen vor der That ein ganz
ausserordentliches . Ebenfalls findet er sich , und durch gleiche
Veranlassung , bei den
Indianern in Canada , die ihn aber minder
verabscheuen ( Waitz 3 , 89 ) . Allein bei den Algonkins und den
Irokesen , den Sioux war der Kannibalismus früher ( jetzt hat er
aufgehört ) weit verbreitet und besonders merkwürdig ist
es , dass es bei den Miami und Potowatomi eine besondere , aus
bestimmten Familien sich ergänzende Gesellschaft gab , welche
Menschenfleisch ass und sich im Besitz von
übernatürlichen , auf andere übertragbaren
Zauberkräften wähnte ( Waitz 3 , 159 nach Keating ) : man
wird an die Gesellschaften der Areois auf Tahiti und die
entsprechenden auf den anderen polynesischen Inseln erinnert . Auch was Humboldt b5 , 110-111 von den » Mysterien des Botuto « , einer Trompete von Thon mit mehreren kugelartigen Anschwellungen , die zu allen feierlichen Ceremonien gebraucht wird , erzählt , gehört hierher : » um in die Mysterien des Botuto eingeweiht zu werden , muss man rein von Sitten und unbeweibt sein . Die Eingeweihten unterziehen sich der Geiselung , dem Fasten und anderen angreifenden Andachtsübungen . « Durch die Trompete theilt der grosse Geist den Eingeweihten seinen Willen mit ; sie stehen also mit den Göttern in näherem Verkehr als andere Menschen und das war auch der Grundgedanke der Areois . Ganz ähnlich wird von Haiti berichtet . » Die Caziken nämlich standen « , erzählt Waitz 4 , 329 nach Herrera , Torquemada und Petr . Martyr , » ohne selbst Priester zu sein , doch an der Spitze des Cultus : die Tempel und Opferplätze , wo die Gottesverehrung stattfand , waren entweder ihre Häuser selbst oder Hütten , die als ihnen gehörig betrachtet wurden ; dort waren die Bilder der Ahnen aufgestellt , die von Holz , inwendig hohl und mit einem Rohre versehen nur von ihnen um Orakel befragt werden konnten und nur aussprachen was sie ihnen eingaben . Sie berauschten sich zu diesem Zwecke mit einer Art von Schnupftabak und führten die heilige Handlung allein aus , von der natürlich das Volk ausgeschlossen blieb . « Auch Tänze gehörten zu diesen religiösen Mysterien , die sie allein kannten , auch dies wieder wie bei den Areois . Aber bei allen diesen
amerikanischen Völkern sowie auch bei den Oregonindianern
( Waitz 3 , 345 ) ward der Kannibalismus nur an gefangenen oder
gefallenen Feinden ausgeübt , deren Herz man ass , theils aus
Rache , theils um sich die Tapferkeit und Kraft dessen , dem das Herz
gehörte , anzueignen ( Waitz 3 , 159 ) .
In Südamerika hat der Krieg nicht minder , die
Anthropophagie noch weit mehr gewirkt , als in Nordamerika : lebte
doch hier das Volk , welches dem Kannibalismus seinen Namen gegeben
hat , die Kaniben , Kariben oder Karaiben . Ursprünglich auf den
kleinen Antillen und dem ihnen gegenüberliegenden Festland
heimisch machten sie von dort aus , nach Columbus Erzählung ,
verheerende Kriegszüge in weite Ferne , um Weiber zu erbeuten ,
während sie die Männer erschlugen und sie , wie auch ihre
eigenen mit den gefangenen Weibern erzeugten Kinder frassen ( Waitz
3 , 374-375 ) . Auch ihre Weiber waren ausserordentlich kriegerisch
und kämpften so selbstständig , dass die Sage von den
Amazonen , die im nördlichen Südamerika häufig
vorkommt , durch sie veranlasst zu sein scheint .
Schomburgk 2 , 429
erzählt , dass die Kariben sich namentlich gegen die Makusis
wandten , um Sklaven zu erbeuten , zu welcher Menschenjagd sie von
den Holländern aus Eigennutz angetrieben wurden , denn diese
kauften die Sklaven von ihnen . Er schildert diesen scheusslichen
Handel näher und sagt , dass er bis gegen die vierziger Jahre
dieses Jahrhunderts , also bis auf unsere Zeit hin bestanden habe !
Die Art nun , wie noch jetzt die Kariben von allen anderen
indianischen Stämmen als Herrn und Gebieter gefürchtet
werden , so dass sie ohne Weiteres sich in jeder beliebigen
Hütte was ihnen gefällt nehmen können ( ebendas.
427 ) ; so wie die blinde Angst , welche man noch jetzt in jenen
Gegenden vor ihnen hat , lässt erkennen , was sie einst gewesen
sein mögen . Und wie durch sie die Aturen ( Humboldt c , 1 , 284 )
in die Katarakten des Orinoko , wo
ihres Stammes letzte Spuren
birgt des Uferschilfes Grün ,
hineingedrängt verkamen : so waren die blutigen Kriege ,
welche von ihnen ausgingen , eine Hauptursache für die
Verminderung der Stämme in Guyana . Indess verzehren sie jetzt
( Schomburgk 2 , 430 ) Menschenfleisch nicht mehr ; und jetzt sind auch
sie sehr zusammengeschmolzen ( eb. 417 ) , wozu ihre eigenen Kriege
nicht wenig beigetragen haben mögen . Da nun auch die Tupi
tapfere , ja wilde Krieger waren ( Azara 218 ) und sie sowohl wie auch
die Guarani ( welche Azara 213 ff. freilich als sehr scheu
schildert ) Menschenfleisch verzehrten ; da nun auch fast alle
südamerikanischen Stämme , die Araukaner ( Waitz 3 , 529
ff. ) , Chiquitos ( eb. 530 ) , die Pampas , Patagonier u. s. w. ( Azara an
vielen Stellen ) sich durch wilde Tapferkeit auszeichneten und
demzufolge zwischen ihnen fast stetiger Krieg herrschte ; da sie
fast alle Kannibalen waren , wie die Mbayas ( Waitz 3 , 473 ) , ganz
besonders die Guaykurus ( 471 ) , die Tobas ( 475 ) , die Abiponer ( 476 ) ,
die Feuerländer ( 508 ) und ebenso die Patagonier , welche alle
feindlichen Männer niederhieben , Weiber und Kinder aber zu
Gefangenen machten : so werden wir begreiflich finden , dass die Zahl
dieser Völker , die in so heftigem und unablässigem Kampf
mit einander sind , auch dadurch abgenommen hat und noch jetzt
abnimmt . Tschudi 2 , 259 sagt geradezu , dass die Angriffe der
Botokuden auf die von den Portugiesen um Rio Janeiro unterworfenen
halb civilisirten Indianer die Ursache seien , dass jene Gegenden
auch heute noch so spärlich bevölkert seien . Auch mag
daran erinnert werden , dass jene Völker in dem Urarigift , mit
dem sie ihre Lanzen vergifteten , eine ganz besonders
gefährliche Waffe haben , da dies Gift auch bei der leisesten
Verwundung unfehlbar tödtet .
Tüchtige Krieger waren nun , nach der trefflichen
Schilderung bei Waitz , auch die Kulturvölker des alten
Amerikas . Doch da ihre Kriege keine Vernichtung des Feindes
bezweckten , sondern diesem , auch wenn er besiegt wurde , seine
Nationalität und Hab und Gut
liessen , bis auf den Tribut , den
sie zahlen mussten ( Waitz 4 , 77. 406 ) , so konnten diese wohl den
Namen von Völkern aufhören machen , indem sie das besiegte
dem eigenen Volke einverleibten , und namentlich in Peru geschah das
öfters ( 407 ) , aber ein Volk vernichten oder auch nur so weit
verringern , dass seine Lebenskraft dadurch gebrochen wäre ,
konnten sie nicht und haben sie nicht gethan , denn Columbus , Cortez
und Pizarro fanden dichtbevölkerte , blühende Staaten vor .
Zwar herrschte auch Anthropophagie in Mexiko : die geopferten
Sklaven oder Kriegsgefangenen wurden verzehrt , und die Ottomies
sollen sogar Menschenfleisch auf dem Markte verkauft haben , eine
Sitte , die man so wenig anstössig fand , dass man offen davon
sprach und den Spaniern erzählte , ihr Fleisch schmecke bitter
( Waitz 4 , 158 ) ; doch liegt es auf der Hand , dass auch diese Sitte
dem Bestehen dieser Völker oder seiner Nachbarn nicht die
mindeste Gefahr brachte , da sie sehr wenig ausgedehnt war . Sie
scheint ein Recht zu sein aus alter und ältester Zeit , wo sie
dann freilich weitere Verbreitung gehabt haben wird . Auch in
Neugranada war Kannibalismus , in manchen Gegenden des Landes in
sehr roher Form , verbreitet ( Waitz 4 , 374 , 376 ) . Was von den
Cariben erzählt wird , dass sie ihre eigenen mit gefangenen
Weibern erzeugten Kinder gefressen hätten , wird auch von ihnen
berichtet ( 4 , 374 ) . Auch in Yukatan ( 310 ) fand sich
Anthropophagie .
Anders aber finden wir es in der Südsee . Zwar in Australien
sind , ausser im Norden , die Kämpfe an sich wenig blutig : Hale
115 beschreibt dieselben , wie sie meist aus Privatschlägereien
entstehen , wie sich dann beide Parteien , jede bis 200 stark , heftig
und lange erst schelten , und dann Mann für Mann vortritt und
den Speer schleudert , bis einer verwundet wird : dann hört der
Kampf auf . Doch fehlt es ihnen keineswegs an Muth , Kraft und
Standhaftigkeit , wie sie auch Schmerzen mit grosser Geduld ertragen
( Turnbull 34-35 ) . Allein da die Kriege , bei der Verfehdung fast
aller Stämme unter einander , doch sehr zahlreich sind ( Wilson
143 v. d. Rafflesbai ) , da man manche Stämme von ihnen ,
namentlich die Nordaustralier , deren Krieger und Zauberer durch den
ganzen Continent aufs Aeusserste gefürchtet sind , als Gegner
auch Europäern gegenüber keineswegs verachten darf ( Grey
1 , 152 ) , da ferner auch diese Kriege zum grössten Theil in
Ueberfall und in Ermorden Wehrloser oder Schlafender bestehen und ,
weil jede solche That wieder Rache verlangt , geradezu unendlich
sind ( Meinicke a 2 , 198 ) — so sind sie für die Zahl und
das Gedeihen der Einwohner so verhängnissvoll , dass wir sie
als eine der wichtigeren Ursachen für das Aussterben der
Australier hier bezeichnen müssen . Auch die Eingeborenen von
Vandiemensland lebten unter einander in beständigem Streit ,
der von Stamm gegen Stamm ausgefochten wurde ( Nixon 26 ) .
Auch Kannibalismus herrscht in Neuholland , doch keineswegs
sehr
ausgedehnt . So brauchen nach Angas 1 , 68 die Eingeborenen von Lake
Albert die Schädel ihrer Feinde als Trinkgeschirre , ganz wie
die Inkas von Peru ( Waitz 4 , 413 ) und die Abiponer , und nach dem
bekannten Zeugniss des Paulus Diaconus , die Langobarden . Jak . Grimm , Gesch. d. d. Sprache 1. Aufl. ( 1848 ) S. 143 ff. stellt eine Menge Völker zusammen , bei welchen derselbe Gebrauch vorkam : Scythen ( Issedonen , nach Mela 3. Auflage 1868 ) , Kelten ( 3. Auflage ) , Germanen verschiedener Stämme ( Deutsche , Schweden ) Romanen und Slaven . Merkwürdig ist , dass auch bei Heiligen-Schädeln der Gebrauch vorkommt , so zu Trier , zu Neuss , und nach Aventin ( Ausg. v. 1566 fol. 33 , a ) zu Ebersberg und Regensburg . Der Gebrauch ist also derselbe ; man sieht , es war wohl zunächst eine Art von Kannibalismus , dann aber auch ein Zeichen der Freundschaft , der Liebe , dankbarer Erinnerung . Zu beachten ist noch , dass Aventin sagt , Niemand hätte aus einem solchen Schädel trinken dürfen , wer nicht einen Feind erschlagen hätte , da auch dieser Zug an manches Aehnliche unter den Naturvölkern erinnert . Doch können wir diese höchst merkwürdigen Uebereinstimmungen hier nicht weiter verfolgen .
Ferner sollen Kannibalen im Innern des Landes leben ( Angas 2 , 231 ) ;
ganz sicher verzehren im Norden Freunde ein Stück vom
verstorbenen Freund und an Moretonbai assen ( Angas 1 , 73 ) Eltern
aus Liebe von dem Fleische ihrer todten Kinder , eine Sitte , welche
nach Anderen auf geliebte Verwandte überhaupt ausgedehnt ist
( Howitt a , 289. Austral , Felix 134 ) . Sie findet sich auch zu
Hawaii : dort ass das Volk aus Liebe Fleisch von der Leiche seiner
verstorbenen Fürsten ( Remy XLVIII. 125 . Herod. 4 , 26 ( nach Grimm a.a.O. ) sagt von den Issedonen ἐπεὰαν ἀνδρὶ ἀποθάνη παὴρ , οἱ προσἠχοντες πάντες προσάγουσι πρόβαταχαὶ ἔπειτεν ταῠτα θὑσαντες χαὶ χαταταμόντες τὰ χρέα χατταάμνουσι χαὶ τὸν τοῠ δεχομένου τεθνεῶτα γονέα , ἀναμίξαντες δὲ πάντα τὰ χρέα δαῑτα προτιθέαται . Auch die Wilzen und Skythen assen ihre verstorbenen Eltern . Die Wenden tödteten noch im 16. Jahrhundert ihre arbeitsuntüchtigen Väter unter besonderen Ceremonien ( Kühn , märkische Sagen und Mährchen 335 ) . Auch hier stehen wir vor einer uralten und weit verbreiteten Sitte , die wir hier ebenfalls nur berühren , nicht abhandeln können . Vgl. was etwas weiter unten über Mare und Neuguinea gesagt wird . Ueber dieselbe Sitte bei Römern , Griechen , Phöniziern ( Sardinien ) , spanischen , deutschen u.a. Völkern siehe Merklin in den Memoires de l'academie de Petersbourg 1852 S. 119 und Osenbrüggen in der Vorrede zu Cicero pro S. Roscio p. 51 ff . Auch das litauische Sprichwort ( Schleicher lit . Mährchen 179 ) » wie das Söhnchen heranwächst , hat es auch den Vater erwürgt « , könnte auf eine ähnliche , jetzt längst abgekommene Sitte hinweisen . )
Auch Aberglaube diente dazu den Kannibalismus zu verbreiten . Wie
bei den Potowatomi und den Miami in Nordamerika , wie in so manchem
indisch-arabischen Mährchen der Genuss des Menschenfleisches
höhere übermenschliche Kraft gibt — ein Zug , der
auch , wie wohl verdunkelt , in deutschen Sagen vorkommt ( Bechstein ,
Sagen des Rhöngeb. u. d. Grabfeldes 60 ff. ) Bei Bechst . bekommen Knaben nach Genuss einer Zauberspeise die Fähigkeit zu fliegen . In einem sehr ähnlichen indischen Mährchen bei Somadeva ( Brockhaus 104 ) ist diese Speise Menschenfleisch . Ein Zusammenhang beider Erzählungen wäre nicht undenkbar .
— ebenso
müssen in Australien ( nach Eyre ) die Zauberer
Menschenfleisch essen , um ihre Wunderkraft zu behalten . Am Lake
Alexandrine ist es nicht ungewöhnlich , einem lebenden Menschen
das Nierenfett auszuscheiden , das als Zauber gegen böse
Geister von ganz besonderer Kraft sein soll ( Angas 1 , 123 ) . Auch
Bennet ( 1 , 295 ) fand Menschenfett als Zaubermittel oder Medikament
aufgehoben . Meinicke a 2 , 184 hat also wohl die Neuholländer
zu frei von Kannibalismus dargestellt .
Gehen wir nun zu den melanesischen Inseln , so finden wir auf
Vanikoro unter den einzelnen Stämmen fortwährenden Kampf
( D' Urville 5 , 165 ) und wenn sie auch keine Kannibalen zu sein
behaupten , so dienen die Schädel der Feinde doch als
Trophäen ( eb. 217 ) , welche öffentlich aufbewahrt werden .
Auch auf Tanna herrscht beständiger Krieg der einzelnen
Stämme unter einander ( Turner 82 , Gill 227 ) , da jede
Privatbeleidigung einen öffentlichen Krieg nach sich zieht
( 85 ) , und ausgebildetster Kannibalismus : die erschlagenen Feinde
werden mit Yams gekocht , Farbige den Weissen vorgezogen , einzelne
Portionen des Fleisches an Freunde geschickt als Ehrengeschenke
u. s. w. ( 82 ) . Auch auf Fate und Aneitum , obwohl beide minder
kriegerisch sind , findet sich der Kannibalismus ( Turner 393. 371.
Gill 66 ) . Erromango und Mare ( Nengone ) , auf welcher letzteren Insel
zwei feindliche Staaten neben einander bestanden , waren
fortwährend von leidenschaftlichem Krieg heimgesucht und die
Anthropophagie hatte hier einen solchen Grad erreicht , dass selbst
die nächsten Verwandten , wenn man mit ihnen in Streit gerieth ,
erschlagen und gefressen wurden ( Gill 10-11 ; 122. Turner 400. 411 ) .
Es ist eine leere Behauptung oder auch Einbildung der katholischen
Mission , dass sie auf Neukaledonien den Kannibalismus hätte
aufhören machen ( Montreval in nouv . annal . de la foi 1854 ,
94 ) ; Turner ( um anderer zu geschweigen ) fand ihn daselbst sehr
ausgebildet und so unbefangen , dass er überall eingestanden
und besprochen wurde ( 426 ) , wie er uns auch von den
beständigen Kriegen der Insel ( 428 ) berichtet . Die Bewohner
von Isabel schildert schon Mendana 1595 ( Dalrymple 91 ) als
Menschenfresser und eifrige Krieger , wie sich auch die Bewohner von
Guadalcanar zeigen . Eifrige Krieger und Menschenfresser sind auch
die Eingeborenen der Lusiade ( Salerio bei Petermann 1862 , 342-344 )
und von der Nordwestküste von Neuguinea sagt einer der besten
Kenner dieser Gegenden , Marsden ( in Transact. of the Reg. Asiat.
Soc. 3,125 ) , dass daselbst ein äusserst roher Kannibalismus
herrsche : man frisst Feinde so gut wie Freunde , natürlich
Gestorbene so gut wie Erschlagene , und ist dieser Nachricht
gegenüber nicht abzusehen , wie Finsch ( 49 ) seine Behauptung ,
noch sei von keinem glaubwürdigen Manne bestimmte Nachricht
über das Vorkommen des Kannibalismus auf Neuguinea gegeben ,
aufrecht halten will . Einzelne der neuguineischen Stämme sind
Köpfeschneller , d.h. sie schlagen todt , wen sie finden , um
Köpfe zu erbeuten , deren
recht viele zu besitzen eine grosse
Ehre ist ; und so entstehen bloss zu diesem Zwecke im Distrikt
Namototte ( Speelmannsbai ) die hartnäckigsten und
mörderischsten Kriege ( N. Guin . 109 ff. und daher wohl Finsch
82 ) .
Aber schlimmer als überall ist die Geringschätzung des
Menschenlebens auf den Fidschiinseln , deren Einwohner im Ruf einer
besonderen Tapferkeit auch auf Tonga stehen , und die von solchen
Tonganern , welche Kriegsabenteuer erleben und zu Hause selbst als
Krieger berühmt sein wollten , vielfach besucht wurden
( Mariner ) . Krieg ist nun auch , nach Wilkes 3 , 63 , ihre so
beständige Beschäftigung , dass irgend welcher Kampf auf
der Gruppe immer herrscht ; und da die Insulaner ebenso
blutdürstig als verrätherisch sind ( Hale 50 ) , so sind
diese Kriege sehr zerstörend . Doch führen sie den Krieg ,
der indessen stets offen angesagt wird , nur durch Verrath und
heimlichen Ueberfall ; weshalb sie Williams und Calvert ( 1 , 43 ) und
ebenso Erskine ( 249 ) geradezu feig nennen . Wegen des
beständigen Verrathes herrscht ein grenzenloses Misstrauen auf
der Gruppe , Niemand geht , aus Furcht überfallen zu werden ,
ohne Waffen ( Will. u. Calv. a.a.O. ) , Niemand traut einem andern ,
selbst nicht den nächsten Verwandten ( Hale 51 ) . Und das nicht
ohne Grund : denn da zu ihren nur einigermassen solennen
Bewirthungen Menschenfleisch nothwendig gehört , so werden oft
die harmlosesten Wanderer ( je harmloser , desto eher ) , Weiber bei
der Feldarbeit u. s. w. überfallen und getödtet , wozu
Erskine 182 empörende Beispiele erzählt . Wenn auch die
Schlachten , sobald nur einige gefallen sind , aufhören ( Jackson
bei Erskine 425 ) , so sind die Kriege doch ausserordentlich blutig
durch die sinnlose Wuth , mit der Alles , was ihnen in die Hände
kommt , gemordet wird . Bei Ueberfällen , die sehr häufig
sind , machen sie es nicht anders , so dass oft ganze Distrikte
( Erskine und Jackson a.a.O. Seemann Zeitschr. 9 , 476 ) vernichtet
werden . Wer einen Menschen erschlagen hat , bekommt einen Ehrennamen
und wird durch besondere Ceremonien geweiht ( Will. u. Calvert 55 ) ,
gerade wie in einigen Gegenden Neuguineas nur der Kakadufedern
tragen darf , der einen Feind getödtet hat , und bei den alten
Deutschen nur ein solcher aus dem kostbarsten und heldenhaftesten
Trinkgefäss , dem Schädel des erschlagenen Feindes ,
trinken durfte .
Der Kannibalismus ferner steht hier in solcher Blüthe , wie
wohl nirgends sonst auf der Welt . Erskine , der um 1840 die Gruppe
besuchte , gibt ( 257-60 ) Beispiele . Den Menschen nennen die
Eingeborenen nur das » lange « Schwein , zum Unterschied
vom » wahren « Schwein ( ebend . ) ; bei jedem Fest muss
Menschenfleisch gegessen werden , zu welchem Behufe die das Fest
gebenden Stämme gar nicht selten ihre eigenen Kinder
schlachten ; alle Feinde , alle Schiffbrüchigen werden gefressen
( Erskine. 262. 229 ) . Oder man erschlägt , um das nöthige
Fleisch zu bekommen , den ersten besten aus
dem Volke , den man
unbewaffnet trifft ( so wurden einmal 16 Weiber gefangen und
gegessen , wie Erskine 182 erzählt ) . Dass man allen Freunden
von dieser geschätztesten Speise schickt , ist so feste Sitte ,
dass gar nicht selten , weil es bei irgend einer Gelegenheit
unterlassen , Krieg entsteht . Dem Gebratenen gibt man oft eine Keule
in die Hand , malt ihm das Gesicht roth und setzt ihm eine
Perrücke auf ( Erskine 262 ) ; ja in einigen Gegenden der Gruppe
führen die Weiber um diese Todten und ihnen zum Hohne die
allerschandbarsten Tänze auf ( Jacks , bei Erskine 440 ) . Auch
hat man verschiedene Arten , Menschenfleisch zu kochen , welche nach
den Landestheilen verschieden sind ( 261. 439 ) . Als der Sohn eines
Häuptlings starb ; jammerte ihm sein Vater nach : er war so
kühn ! er tödtete , wenn sie ihn erzürnten , seine
eigenen Weiber und ass sie ( Ersk. 244 ) . Auch Mariner ( 1 , 329 ) nennt
den Kannibalismus auf den Fidschiinseln sehr verbreitet und sagt ,
dass er von dort erst zu den Tonganern , die ihn nur in
prahlerischer Nachahmung der Fidschis ausüben , gekommen sei ;
an einem Fest hätten die Fidschimänner 200 Feinde
gegessen ( 1 , 345 ; 2 , 71 ) . Wer eines natürlichen Todes stirbt ,
wird nicht gegessen ( Williams und Calvert 1 , 266 ) , doch hat man
auch Gräber erbrochen , um die Leichen zu verzehren ! ( eb. 212 ) ,
ja man schneidet , um auch das Scheusslichste nicht zu verschweigen ,
auch von Lebenden , aber nur von gefangenen Feinden , Fleisch ab und
verzehrt es vor ihren Augen ( Will. u. Calv. 1 , 212 ) . Der Grund des
Kannibalismus , ursprünglich Hass und Rachedurst oder
Prahlerei , indem man sich dadurch furchtbar machen wollte , oder die
Absicht , sich die Eigenschaften des Gefressenen anzueignen , ist
jetzt fast überall auf der Gruppe nur Wohlgeschmack am
Menschenfleisch , das sie jetzt jedem anderen Fleische vorziehen .
Roh verzehren sie es nie : die Gabel , mit der es gegessen wird , ist
für alle anderen Speisen verboten ( Tabu ) ( eb. 212 ) . Mit
Trommelschlag in ganz bestimmtem Rythmus
der sonst nie angewendet wird , laden sie zu den Kannibalenfesten
ein ( Erskine 291 ) , von denen Weiber fast immer , Sklaven und gewisse
Priester immer ausgeschlossen sind ( Erskine 260 ; Williams und
Calvert 1 , 211 ) . Und trotz alledem hatte der Kannibalismus eine
religiöse Weihe bei ihnen : die getödteten Feinde werden
zuerst den Göttern dargeboten ( Erskine 261 ) , die selbst
Kannibalen sind ( 247 ) und jedes Kannibalenfest hat bestimmte , sonst
nicht getanzte heilige Tänze ( 209. 440 ) .
Wir haben uns bei diesem ekelhaften Detail so lange verweilt ,
einmal , weil es anthropologisch von hohem Interesse ist —
dann aber und hauptsächlich , um zu beweisen , dass der
Kannibalismus , der so ausgeprägt , so eingewurzelt bei den
Fidschis ist , nicht erst , wie jetzt die Häuptlinge gern
erzählen , in der letzten Zeit aufgekommen sei , Hand in Hand
mit dem blutiger werdenden Kriege ( Erskine , 272 ) .
Er besteht gewiss
viele Jahrhunderte lang , gewiss viel länger , als die Fidschis
ihre jetzige Wohnung inne haben : allein er hat sich immer weiter
ausgedehnt und mag seine rohesten Formen , z. B. das Menschenfressen
aus Leckerei erst im letzten Jahrhundert seines Bestehens , so lange
aber auch mindestens , angenommen haben . Trotzdem aber , und auf dies
Faktum werden wir zurückkommen , trotzdem ist ein Aussterben
der Bevölkerung nicht zu merken ( Erskine 274 ) . Die Zahl
derselben beträgt nach den Missionären ( ebendas . )
200-300,000 und mag dies auch etwas zu hoch gegriffen sein , sie ist
jedenfalls beträchtlich genug , so dass auch Behm 200,000 als
Totalsumme annimmt . Und ferner , was von besonderer Wichtigkeit
für die geschichtliche Betrachtung der Naturvölker ist ,
sie selbst haben das Bedenkliche des Kannibalismus eingesehen ;
daher jene halb entschuldigende Rede der eingeborenen Fürsten ;
daher die verhältnissmässige Leichtigkeit des Kampfes ,
welchen die Missionäre gegen die Anthropophagie führen ,
welchen man doch gerade , wegen des Alters der Sitte , für
unendlich schwierig halten sollte ( Erskine 280 ) . Ja sie werden
sogar von einer heidnischen Partei darin unterstützt , welche
sehr gegen den Kannibalismus , sowie gegen das unsinnige Morden der
Weiber und Sklaven ist , welches wir gleich betrachten werden , und
für Abschaffung aller dieser Sitten eifrig kämpft . Die
Fürsten sind es , welche aus feudalen Gelüsten dies Alles
aufrecht erhalten wissen wollen ( Seemann Zeitschr. 10 , 289 ) . Man
sieht , das Christenthum ist hier gerade im rechten Zeitpunkt
gekommen : man sieht aber auch ferner , solche Umänderungen , wie
wir sie vorhin für Tonga voraussetzten , haben sich wirklich
bei diesen Völkern vollziehen können : wir sehen sie hier
bei einem viel roheren Volk vor unseren Augen geschehen .
Auch in Polynesien herrschten die blutigsten Kriege , wobei aber
zu bemerken , dass , obwohl man den Eingeborenen persönliche
Tapferkeit durchaus nicht absprechen kann , welche sie , auch die
sonst so weichlichen Tahitier , selbst den Europäern
gegenüber , wohl gezeigt haben , dass trotzdem auch hier der
Krieg hauptsächlich durch Ueberfall geführt wird . Aber
auch die Polynesier morden den besiegten Stamm kaltblütig mit
Weib und Kind und so sind ihre Kriege ausserordentlich blutig und
verheerend . Solche Kämpfe herrschten nun zu Neuseeland und
trugen wie zur Zersplitterung der Maoristaaten zum Hinschwinden der
Bevölkerung nicht wenig bei ( Dieffenbach 2 , 132 ) , die theils
im Krieg selbst getödtet , theils zu Sklaven gemacht , theils
durch die Noth nach dem Kriege vernichtet wurde ( 2 , 16 ) . In Tonga
wurden Kriegsgefangene ( Mariner 1 , 115 ) stets ermordet , und ebenso
alle Einwohner eroberter Städte ( 1 , 101 ) . Von den grausamen
Kriegen unter Finau ( der z. B. einmal 18 nur verdächtige
Vornehme ertränken liess , Mariner 1 , 271 ) , welche bei Ankunft
der Europäer schon in voller Blüthe und nur Wiederholung
oder Fortsetzung früherer ähnlicher war , hat uns Mariner
ein getreues , aber schreckensvolles Bild geliefert , wie er auch
erzählt , dass die tonganischen Sitten immer mehr durch die
Bekanntschaft mit den Fidschis verwilderten . Auf Samoa herrschte
ein noch grausamerer Kriegsgebrauch als zu Tonga ( Mariner 1 , 163 )
und häufig genug waren diese blutigen Kriege daselbst , welche
Turner 304 und vorher schildert . Und betrachten wir den
Markesasarchipel , so ist ganz Nukuhiva in einzelne vom hohen Gipfel
der Insel herablaufende Thäler getheilt , deren jedes von einem
besonderen Stamm bewohnt wird . Alle diese Stämme sind in
erbitterter Feindschaft und in ewigem Krieg ( Melville , Krusenstern ,
Mathias G*** ) . Viel ärger aber als überall haben die
Kriege auf Tahiti gewüthet , von denen die Insel so
fortwährend heimgesucht war , dass Lutteroth ( 22 ) ganz mit
Recht den Frieden einen der Insel unbekannten Zustand nennt . Und
wie wurden diese ewigen Kriege geführt ! Alle Fliehenden , die
man einholte , alle Weiber und Kinder der Besiegten , welche dem
Sieger in die Hände fielen , wurden niedergemetzelt
( Mörenhout 2 , 38-39 , Lutteroth 21 , Ellis 1 , 310 ff. ) . Nun
waren in früherer Zeit fast alle Schlachten Seeschlachten und
gerade deshalb besonders blutig , denn die Besiegten , welche sich
durch Schwimmen ans Land zu retten suchen mussten , wurden
begreiflicher Weise leicht von den Kähnen der Sieger
eingeholt . Weniger verderblich waren die Landschlachten , weil in
ihnen , nach malaiisch-polynesischer Sitte , der Sieg , nach dem nur
einige wenige gefallen waren , für entschieden angesehen wurde
( Mörenhout 2 , 40 , Ellis l , 312 ) . Waren dann bei der Verfolgung
die Menschen vernichtet , so gings nun an die Zerstörung des
Landes : die Tarofelder und sonstigen Pflanzungen wurden
verwüstet , den Kokosbäumen das Herz ausgeschlagen , wonach
sie absterben , die Brotbäume umgehauen , die Häuser
verbrannt ( Ellis 1 , 293 , Lutteroth 21-22 ) — kurz die
Besiegten wurden womöglich ausgerottet , ihr Land auf Jahre zu
einer unfruchtbaren Oede gemacht . Solche Kriege wütheten auf
der ganzen Gesellschaftsgruppe ; der Missionär Nott erlebte auf
Tahiti in einem Zeitraum von 15 Jahren 10 solcher Kriege ( Lutteroth
17 ) . Auch die Kriege auf der Hawaiigruppe waren verwüstend
genug . Hier wie zu Tahiti gab es blutige Seeschlachten ( Ellis 4 ,
155 ) und in den Landkriegen , in denen nach Jarves ( 59 ) Hinterhalte ,
heimliche Ueberfälle u. dergl. selten vorkamen , vielmehr meist
in offenen Feldschlachten ( die auch zu Tahiti keineswegs selten
waren , Ellis 1 , 284 ) gekämpft wurde , war es namentlich wieder
die Verfolgung , nicht die Schlachten selbst ( Jarves 60 ) , welche der
Bevölkerung und ganzen Distrikten Tod und Zerstörung
brachte . Die Gefährlichkeit dieser Kriege geht aus der
Geschichte Hawaiis unter Tamehameha und aus den Bewegungen , welche
dieser grosse Fürst auf der Gruppe hervorbrachte , zur
Genüge hervor . Auch die Paumotuinsulaner sind wilde , weit und
breit
gefürchtete Krieger , die unter sich die heftigsten
Kriege führen . Die Bewohner von Anaa ( Chainisland )
verwüsteten alle umliegenden Inseln , hieben die
Fruchtbäume nieder und was von den Bewohnern nicht
getödtet wurde , ward als Sklave mit fortgeschleppt
( Mörenhout 1 , 199 vergl. 169 ) . Nicht weniger als 38 Inseln
haben sie auf diese Art verödet ( Hale 35 ) .
Auch in Mikronesien wurden und werden heftige Kriege
geführt , so auf den Palaus ( Keate ) , auf einzelnen Karolinen
und zwar auf den hohen Inseln Eap , Truck ( Hogoleu ) , Ponapi , nicht
aber auf Kusaie ( Ualan Chamisso 135 , Kittlitz 1 , 356 ) : so und
besonders leidenschaftlich auf der Eatakkette ( Kotzebue , Chamisso )
und auf den Gilbertinseln ( Gulick 410 ) . Während man in diesem
Gebiet nur an einigen Orten die Bäume schonte ( Hale 84 ) hieb
man , sie nach der gemeinsamen Sitte der Ozeanier , auf Ratak und
sonst nieder ( Kotzebue 287 ) , und man kann sich denken , wie
furchtbar solche Barbareien auf den kleinen schon ohnehin nur
überaus kärgliche Nahrung bietenden Inseln wirken
mussten : viele , die der Krieg verschont hatte , namentlich Weiber
und Kinder , erlagen dem Hunger , dem Elend , das ihm folgte . Daher
ist die Behauptung , dass die einheimischen Kriege der ozeanischen
Bevölkerung ganz unberechenbaren Schaden zugefügt und
wesentlich zu ihrer stetigen Verminderung beigetragen haben , nur
allzusehr gerechtfertigt .
Die Sitte des Schädelerbeutens , welche wir auf Neuguinea
sahen und die das ganze Malaisien beherrscht , finden wir insofern
überall in Polynesien , als man gierig die Schädel und in
Tahiti auch die Unterkiefer der Feinde erstrebt , um sie als
Trophäe aufzuheben ( Nukuhiva Melville 2 , 129 , Tahiti
Bougainville 181 , Ellis 1 , 309 , Perl- oder Palliserinseln ebend. 1 ,
358 , Aitutaiki 1 , 309 , Rarotonga 1 , 359 , Neuseeland Dieffenbach 2 ,
134 , Samoa Turner 301. 304 ) . Hiermit hängt die weite
Verbreitung der Menschenfresserei enge zusammen , wie sie nach Hale
38 in Neuseeland , wo nach Thomson 1 , 148 das letzte Beispiel dieser
Sitte noch 1843 vorkam , Hervey , Mangareva ( Gambier ) , Paumotu und
dem Marquesasarchipel ganz allgemein und ohne Scham betrieben
wurde . Auch zu Kriegen wird sie oft Anlass , indem man , um ihn zu
fressen , einen oder mehrere Menschen eines fremden Stammes
erschlug , welche That natürlich Rache erheischte . Auf Samoa ,
Tonga , Tahiti und Hawaii kommt der Kannibalismus jetzt nur noch
einzeln vor , auf Samoa bei ganz besonders erbittertem Hass ( Turner
194 ) , auf Tonga aus Prahlerei und in Nachahmung der Fidschisitten ,
( Mariner 1 , 116-17 ) , so wie bei Hungersnoth , wo man irgend
Jemanden , meist einen Verwandten erschlägt und isst ( eb. 2 ,
19 ; 1 , 117 ) ; in Tahiti gleichfalls , aus Prahlerei , um sich
furchtbar zu machen ( Ellis 1 , 310 ) . Aber früher war er auf
diesen Inseln allgemeine Sitte ( Hale 37 ) , wie eine Menge seltsamer
und anders ganz unerklärbarer Gebräuche
beweisen : so auf
Tahiti der oft beschriebene Gebrauch bei Menschenopfern , dem
König das linke Auge ( den Sitz der Seele ) des Opfers
darzubieten , der dann den Mund öffnete , als ob er es
verschlänge und durch diese Ceremonie Verstand und Klugheit
bekommen sollte . Ursprünglich hat er es gewiss gegessen , und
erst später , als die Sitten sich milderten , begnügte man
sich , wie in analogen Fällen bei allen Völkern der Welt ,
mit einer symbolischen Handlung . Im Samoaarchipel beugt sich , wer
dem Sieger als besiegt sich unterwirft , vor demselben nieder , indem
er ihm Feuerholz und die Blätter darreicht , in welche man in
Polynesien die Speisen , die gekocht werden sollen , einschlägt
( Turner 194 ) . Und so liesse sich vieles anführen . Es scheint
aber , als ob , wie die Tahitier , Hawaier u. s. w. die
Menschenfresserei abgeschafft hatten , ehe die Europäer kamen ,
noch an manchen anderen Orten Polynesiens dieselbe Sitte in Abnahme
oder doch in Misskredit gekommen sei , ohne dass der Einfluss der
Europäer dies bewirkt hätte : so läugneten auf
Nukuhiva die wilden Taipis den Kannibalismus ganz und gar , und
suchten ihn den Weissen zu verbergen , wie Melville mittheilt . Und
die neuseeländischen Fürsten erzählten , er sei
keineswegs von Alters her bei ihnen Sitte , sondern erst später
eingeführt ( Thomson 1 , 142 ) , eine Behauptung , welche
entschieden falsch und nur von ihnen erfunden kaum eine Widerlegung
verdient .
§ 10. Menschenopfer .
In Nordamerika sind Menschenopfer nicht sehr zahlreich gewesen .
In Florida wurden Weiber und Diener ehedem beim Tode des Herrn
gleichfalls getödtet , um ihm im Jenseits zu dienen ( Waitz 3 ,
199-200 ) , wie man ebendaselbst den Erstgeborenen der Sonne opferte .
Kinderopfer werden auch sonst öfters erwähnt : in
Virginien , in Neuengland , bei den Sioux und sonst ( Waitz 3 , 207 ) .
Auch bei manchen Caribenstämmen wurden mit den gestorbenen
Häuptlingen einige seiner Weiber lebendig begraben ( ebend. 3 ,
387 ) und vornehmen Leuten folgte ein Sklave nach ( 3 , 334 ) . Allein
bei allen diesen Völkern sind die Menschenopfer von so wenig
Ausdehnung gewesen , dass wir bei ihnen , da sie für unsere
Betrachtung gar keine Bedeutung haben , nicht zu verweilen brauchen .
Um so zahlloser aber waren die Menschenopfer , welche die Religion
der amerikanischen Kulturvölker forderte und deren Ursprung in
uralte vorhistorische Zeit zurückgeht ( Waitz 4 , 157 ) . Wo wir
Menschenopfer finden , werden wir dieselben immer mit grösster
Wahrscheinlichkeit auf die allerälteste Zeit
zurückführen , denn sie wurzeln stets in sehr ernst
gemeinter Religiosität , nie in Grausamkeit . Spätere
Einfüh-
rung derselben findet sieh nur in ganz vereinzelten
Fällen und wird sich aus Nachahmung der Sitten anderer
Völker , besonders heftiger Kriegserbitterung oder irgend etwas
ähnlichem fast immer erklären lassen . Wohl aber sind die
Menschenopfer im Laufe der Zeiten bei manchen Völkern
abgekommen : so bei den Indogermanen , den Semiten u. s. w. Die Zahl
dieser Opfer war nun in Mexiko geradezu ungeheuer , wie folgende
Zeugnisse , die alle aus Waitz 4 , 157 ff. entlehnt sind , beweisen .
Der Bischof Zumarraga ( zur Zeit der Entdeckung ) schätzt sie
bei Torquemada auf 20,000 jährlich , wenigstens für die
letzte Zeit des Reichs ; in der Hauptstadt und ihrer nächsten
Umgebung soll ihre Zahl jährlich mehr als 2500 gewesen sein .
Oviedo behauptet , dass Montezuma jedes Jahr über 5000 geopfert
hätte ; bei einem Fest in der Stadt Tlaskala fielen 800 Opfer
jährlich ; der zweite Monat des Jahres war , weil er so viele
Menschenopfer forderte , nach der Schlaflosigkeit der Menschen
benannt . Trat Dürre , Misswachs u. dergl. ein , so wurden die
Opfer vermehrt . Die Einweihung des Haupttempels zu Tenochtitlan
( den 19. Februar 1487 nach Gama ) » soll nach Torquemada ( 1610 )
62,344 , nach Fra Toribio Motolinia und Ixtlilxochitl ( von
mütterlicher Seite aus vornehmen mexikanischen
Fürstengeschlecht , von väterlicher Seite Spanier , der mit
grossem Eifer die Geschichte des Landes seiner mütterlichen
Vorfahren durchforschte und seine grossentheils zuverlässigen
Werke um 1600 schrieb Waitz 4 , 7 u. 8 ) sogar 80,400 Menschen das
Leben gekostet haben . « Die Schädel der Opfer wurden zu
einer grossen Pyramide im Tempelhof aufgeschichtet , die man im
mexikanischen Haupttempel auf 136,000 berechnet hat ( Waitz 4 , 149 ) .
Und ausserdem kommt noch eine grosse Zahl geopferter Menschen
dadurch hinzu , dass jedes auch kleinere Fest solche Opfer , nur
wenigere forderte : durch die stete Wiederholung aber , denn es gab
viel Feste im Jahr , sammeln sich auch diese zu einer grossen Summe .
Wenn wir nun auch mit Waitz die kleinsten der genannten Zahlen
für die wahrscheinlichsten halten ; so ist die Zahl , die
für jedes Jahr herauskommt , noch immer enorm . Waren die eben
besprochenen nur solche Opfer , die man den Göttern brachte , so
forderte der Tod vornehmer Menschen andere . Starb der Herrscher
oder irgend ein Vornehmerer sonst , so folgten diesem Weiber und
Sklaven in den Tod ; aber da nun am 4ten , 20sten , 40 sten und 80sten
Tage nach dem Begräbniss auf dem Grabe derartige
Abschlachtungen stattfinden mussten , so darf man sich auch die Zahl
der auf diese Weise umgebrachten Menschen nicht zu gering denken :
stieg sie doch manchmal bis auf 200 ( 4 , 167 ) .
Die Quiches in Guatemala ( 4 , 264 ) so wie die Chorotegen in
Nikaragua ( 279 ) , toltekische Völker , brachten Menschenopfer
dar wohl ebenso reichlich als die Mexikaner , wie denn ihre Religion
in fast allen Stücken der mexikanischen gleich war . In
Yukatan , wo
solche Opfer zwar auch vorkommen , waren sie doch minder
zahlreich als in jenen Gegenden und in Mexiko ( 4 , 309 ) .
In Darien vergifteten sich des Herrschers Lieblingsweiber und
Diener bei seinem Tod , oder sie wurden lebendig mit ihm begraben
( 4 , 351 ) , wie Weiber und Diener auch bei den Chibchas in Neugranada
getötet ( 4 , 466 ) und Menschenopfer bei allen diesen
Völkern gar nicht selten den Göttern dargebracht wurden .
Ebenso war es auf den Antillen ( 4 , 327 ) .
In Peru waren Menschenopfer , wozu man gefangene Feinde nahm ,
selten und nur bei ausserordentlichen Veranlassungen
gebräuchlich . Weiber und Diener aber folgten auch hier dem
Inka , deren einem 1000 seiner Angehörigen sich geopfert haben
sollen , und ebenso den Vornehmen freiwillig in den Tod nach , um ihm
im Jenseits weiter zu dienen . Namentlich aber Kinder wurden hier
vielfach getötet ; wenn ein Vornehmer krank war , wurde eins von
seinen eigenen Kindern den Göttern zum Ersatzopfer , wie man
annimmt , geschlachtet , welches dann freudig in den Tod zu gehen
pflegte . Vor dem Auszuge zum Krieg , bei Krankheit des Herrschers
und bei dessen Inauguration wurden Kinder , meist Knaben von 4-10
Jahren , seltener Mädchen , nach einzelnen freilich nicht ganz
glaubwürdigen Angaben bis zu 200 , ja bis zu 1000 , geopfert ,
was auch beim Erntefest , bei verheerenden Epidemien , ja in einigen
Gegenden mit jedem erstgeborenen Kinde und mit dem einen von
Zwillingen geschah . Auch wurde den Todten von dem Blute des
geopferten Kindes ein Strich von einem Ohr zum anderen gezogen
( Waitz 4 , 460-61 ) . Auch hier müssen wir auf das
zurückkommen , was wir oben gesagt haben : die Kinderopfer
dienen nur dazu , einen bei den Göttern , denen Kinder am
liebsten waren , besonders gültigen Vermittler zu haben ;
deshalb , und nicht zum Ersatz , wurden die eigenen Kinder als Opfer
bei Krankheiten preisgegeben und unsere Auffassung wird
unterstützt dadurch , dass die Kinder gewöhnlich freudig
in den Tod gingen : sie wussten , dass sie einem guten Loos
entgegengingen ; daher auch der Strich mit Kinderblut über die
Todten , welche auf diese Weise gleich das Zeichen des Vermittlers
an sich trugen .
Die Kinderopfer in Mexiko hatten meist dieselbe Veranlassung und
denselben Zweck : so wurden zwei Kinder vornehmer Abkunft , wenn die
Saat aufging , ertränkt , vier , wenn sie grösser war , dem
Hungertode preisgegeben ( 4 , 159 ) . In Nikaragua wurde ein Knabe ,
wenn Regen nöthig war , den Göttern dargebracht ( 4 , 379 ) .
Aehnliche Opfer brachten die Chibchas in Neugranada vor der
Schlacht ( 364 ) .
Nirgends aber sind auch die Menschenopfer massenhafter , als auf
Fidschi , wie wir daselbst auch den Kannibalismus schrecklicher
ausgebildet fanden , als sonst irgendwo . Zur Feier der Mannbarkeit
eines Häuptlingssohnes , so erzählt Seemann ( Zeitschr. 9 ,
476 ) ,
sollte eine rebellische Stadt ganz vernichtet , die Einwohner
erschlagen , auf einen Haufen zusammengetragen , auf diese Sklaven
gelegt und auf diese wieder der Einzuweihende gesetzt werden . Alle
Schiffbrüchigen , das verlangt ihr Glaube , müssen
getödtet werden ; wer es unterliesse , würde sonst selbst
im Schiffbruch umkommen ( Erskine 249-50 ) . Alte Eltern werden von
ihren Kindern , kranke Kinder von ihren Eltern lebendig begraben
( ebend. ) und zwar ist es der eigene Wille der Opfer , dass ihnen so
geschieht ( 477 ) , denn man glaubt , man käme nach und durch
solchen Tod sofort in ein anderes und viel besseres Leben ; daher
sich diese scheussliche Sitte mit wirklicher
Familienanhänglichkeit verträgt . Aber es ist ebendaher
auch begreiflich , dass nur wenige Menschen eines natürlichen
Todes sterben ( Will. u. Calvert 1 , 188 ) . Menschenopfer am Grabe ,
namentlich von Häuptlingen , sind ebenso gewöhnlich als
umfangreich ; die Weiber werden entweder alle oder doch die
Lieblingsweiber und eine Menge Sklaven ermordet . Die Mutter , deren
geliebter Sohn stirbt , folgt ihm bisweilen ins Grab , der Freund dem
Freund ( Will. u. Calvert 1 , 134 ) . Auch hierzu drängen sich ,
wegen der Belohnungen im Jenseits , die Opfer ; die Weiber erdrosseln
sich selbst , wenn ihnen Niemand diesen Dienst thut ( Erskine 293.
Mariner 1 , 347 ) . Und wie fest man an den Menschenopfern hielt , geht
aus folgender Notiz bei Erskine 440 hervor : ein Fidschiinsulaner
hatte , von irgend welchem Mitleiden ergriffen , einen Gefangenen
nicht dem Gotte geopfert ; da erschien ihm letzterer im Traum und
quälte ihn über diese Unterlassung dermassen mit
Gewissensbissen , dass der Mensch fast in Raserei fiel . Doch
dieselbe Partei , welche , wie wir schon erwähnt haben ( S. 70 ) ,
sich gegen den Kannibalismus wendete und ihn abzuschaffen sucht ,
ist auch diesen Menschenopfern feindlich ( Erskine 280 ) und so
werden auch sie , da der Einfluss der Europäer hinzukommt ,
hoffentlich nicht mehr allzulange dauern . — Aehnliche
Gebräuche fanden sich auch sonst in Melanesien , wenn auch
nirgends so übertrieben wie hier : namentlich ist es das
Lebendigbegrabenwerden der Eltern , der Kranken , die Ermordung der
Mutter oder einer Verwandtin , wenn ein kleines Kind stirbt , was uns
berichtet wird .
Was nun Polynesien betrifft , so ist es gewiss Uebertreibung ,
wenn Michelis ( 91. ohne Quellenangabe ) erzählt , der König
von Futuna ( nördlich von Samoa ) , dessen Insel 2000 Einwohner
hat , habe während seiner Regierung an 1000 Menschen den
Göttern geopfert . Denn wir finden sonst in Polynesien die
Menschenopfer nicht allzuzahlreich . Freilich ist es ein Irrthum ,
wenn Ellis 1 , 106 behauptet , sie seien in Tahiti erst später
eingeführt , da sie mit der ganzen polynesischen Religion viel
zu eng verwachsen sind ; wohl aber sind sie in späterer Zeit ,
noch vor der Entdeckung , von den Eingeborenen selbst sehr
beschränkt . Bei Beginn eines Krieges
erhielt der Kriegsgott
ein Menschenopfer ( Ellis 1 , 276 ) , dem so wie anderen Göttern
öfters Menschen dargebracht wurden ( 1 , 357 ) . In Kriegszeiten ,
bei grossen Nationalfesten , bei Krankheiten und dem Tod der
Fürsten ( Bratring 182-83. 196 ) opferte man Menschen , sowie man
die Köpfe der Besiegten ( was auch melanesischer Brauch war ) in
den Tempelplätzen als Weihgeschenk aufstellte ( Mörenhout
2 , 47 ) . Häufiger waren diese Opfer in Hawaii , wo ( Jarves 47 )
häufig an 80 Menschen auf einmal geschlachtet sein sollen . Man
nahm , hier und in Tahiti , dazu Gefangene oder Verbrecher oder
Leute , die irgend ein Tabu gebrochen hatten , oder , wenn deren keine
vorhanden waren , Leute aus dem Volk ( Jarves 18. Ellis a.a.O. ) .
Aehnlicher Gebrauch herrschte auch auf den Herveyinseln ( Williams
215 ) . Wenn nun auch in Hawaii , nach den Angaben der Fürsten ,
diese Opfer erst später eingeführt sein sollten ( Jarves
47 ) ; so ist dies nur ein Zeichen , dass man auch hier schon dies
Schreckliche der Sitte eingesehen hatte und sie im Abnehmen war .
Menschenopfer fanden selbstverständlich auch hier an den
Gräbern der Vornehmen statt , zunächst beim Ausstellen der
Leiche und dann noch zahlreicher beim Begräbniss selbst ( Remy
115 ) . Ebenso war es früher in Neuseeland Sitte — jetzt
ist sie abgekommen — dass sich die Weiber am Grabe ihrer
Männer erdrosselten , die Sklaven getödtet wurden ( Taylor
97 ) . In Tonga wurden bei den Gräbern der Vornehmen ab und zu
Weiber geopfert ( authent . narrat . v. Tonga 78 ; Mariner 1 , 295 ) , was
auf frühere Allgemeinheit dieser Sitte , gegen welche die
tonganischen Fürsten selbst eiferten , schliessen
lässt .
Von besonderem Interesse ist der Kindermord , wie er sich auf
Tonga zeigt . So wurden ( Mariner 1 , 229 ) Kinder den Göttern
geopfert , um den Frevel eines Fürsten gegen ein Heiligthum
wieder gut zu machen : ein Opfer , welches gar keinen Sinn
hätte , wenn man nicht eben in den Kindern den Göttern
besonders angenehme Vermittler gesehen hätte . Um des
Königs Leben zu erhalten , wurde eines von seinen mit einem
Nebenweib erzeugten Kindern getödtet ( 1 , 379 ) : wenn aber der
Tui-tonga , der höchste religiöse und früher wohl
auch weltliche Herr von Tonga krank ist , da genügt ein Kind
nicht und man tödtet drei bis vier ( 1 , 454 ) .
Ehe wir diesen Gegenstand verlassen , ist noch von einer Art
Opfer zu sprechen , die , wie es scheint , über die ganze Welt
verbreitet ist : über die Menschenopfer zur Einweihung , zur
Sicherung von Gebäuden u. dergl . Die Menschenschädel , welche am Eingange des Palastes , an den Stadtthoren und allen wichtigen Plätzen Dahomeys angebracht sind ( Waitz 2 , 130 ) , kann man gewiss nicht anders deuten . Auch unter den Semiten war der Gebrauch verbreitet : die phönicischen Städte wurden dadurch fest gemacht , dass man an ihren Thoren und sonst Menschen eingrub ( Movers Phönizien 2 , 46 ) . Bei den Indogermanen kommt er vielfach vor ; er war bei den Germanen sehr verbreitet , wie Ueberreste dieser Sitte noch heute beweisen ; so wird z. B. am Südharz das kleinste Kind des Hauses barfuss in den frischen Estrich hineingestellt , damit er halte u. s. w. Bei den Slaven kommt er vor , wie sich in vielen ihrer Mährchen und Sagen zeigt ( z. B. Talvj Volkslieder d. Serben 1 , 117 , die Erbauung Skodras ) ; von den Kelten wird er gleichfalls erwähnt und Hahn albanesische Studien 1 , 160 erzählt dasselbe von Albanien . Die Thiere , die man jetzt dort schlachtet und ganz oder theilweise einmauert ( wie auch in Deutschland viel geschah ) , vertreten nur die früheren geopferten Menschen . In Albanien herrscht auch , um das zu § 4 nachzutragen , ein ganz ähnliches Heilverfahren , wie bei Hottentotten , Amerikanern und Australiern . Jedes Uebel , das auch hier nur auf Bezauberung beruht , wird in Gestalt von etwas Festem aus dem Körper entfernt und dieses letztere dann eingewickelt fortgeworfen . Wer auf das Eingewickelte tritt , auf den geht die Krankheit über ( ebend , 159 ) . Auch diese Sitte ist am
übertriebensten auf den
Fidschiinseln . Dort müssen
neugebaute Kähne , damit sie vor Sturm und Unheil sicher sind ,
über lebende Sklaven in die See gerollt werden ; jeden Pfosten
eines neu gebaut werdenden Hauses muss , damit der Pfosten sicher
steht , ein lebender Sklave umfassen — und zu diesem lebendig
Zerquetscht- , zu diesem lebendig Begrabenwerden drängen sich
die Opfer , denen es im Jenseits mächtig vergolten wird
( Erskine 249-50 ) . Die Sitte war nicht bloss melanesisch , sondern
auch über ganz Polynesien verbreitet : in Neuseeland ruhte der
Mittelpfeiler des Hauses früher auf Menschenleichen ( Taylor
387 ff. ) und von Tahiti erzählt dasselbe Mörenhout 2 ,
22-23 ; doch scheint auch hier der Gebrauch in späterer Zeit
abgekommen zu sein ; denn wenn er und Ellis ( 1 , 346 ) diesen Gebrauch
nur für Tempel angeben , so ist er wohl erst später nur
auf diese beschränkt worden . Derselbe Gebrauch findet sich
auch in Südamerika : der Palast des Bogota , des Herrschers der
Chibcha stand auf Mädchenleichen und sein Grund so wie seine
Thürpfosten waren mit Menschenblut getränkt ( Waitz 4 ,
360 ) .
Nachdem wir so diese Uebersicht über die Art , wie die
Naturvölker das Menschenleben schätzen , vollendet haben ,
ergibt sich als Resultat , dass ihre Kriege für sie höchst
gefährlich sind , ja einzelnen geradezu die Existenz
gefährden , so dass wir sie in erster Linie aufführen
müssen , wenn wir die Ursachen für das Aussterben der
Naturvölker aufsuchen ; dass aber Kannibalismus und
Menschenopfer , obwohl in einzelnen Ländern furchtbar
ausgedehnt , nur von sekundärer Wichtigkeit sind und nur wenn
sie mit anderen Gründen vereint auftreten , zur sichtlichen
Verminderung eines Volkes beigetragen haben .
§ 11. Verfassung und Recht .
Auch die Staats- und Rechtsverfassung der Naturvölker wird
nach einigen Seiten uns hier , freilich nur kurz , beschäftigen
müssen . Die Kulturstaaten Amerikas so wie die polynesischen
Inseln sind es , die wir nach dieser Richtung hin betrachten
müssen ; denn bei den übrigen Naturvölkern ist theils
das Rechts- und Staatsleben zu wenig entwickelt , als dass es irgend
welchen Einfluss gehabt hätte , theils so entwickelt , dass
dieser Einfluss kein ungünstiger war . Wie das Recht in seiner
ältesten Entwickelung immer seine Gesetze » mit
Blut « schreibt ; so war es auch in Mexiko der Fall : fast alle
Verbrechen , selbst geringe Diebstähle , Trunk , Verleumdung u.
dergl. wurden mit dem Tod bestraft , und bisweilen die ganze Familie
in die Sklaverei verkauft ( Waitz 4 , 84-85 ) . Denn der Grundsatz ,
dass die Sippe haften muss für das einzelne verbrecherische
Mitglied gilt auch hier . In Peru ( 4 , 414-15 ) war die Strenge der
Gesetze nicht minder gross und die Haftbarkeit der Familie für
den Schuldigen , mit dem sie in vielen Fällen den Tod zugleich
erlitt , noch grösser . Diese strenge Justiz und namentlich die
Haftbarkeit der Familie für den Einzelnen hat in der
Südsee ferner , wo sie gleichfalls herrscht , um so
grösseren Schaden angerichtet , als , wie wir gleich sehen
werden , dort die Gewalt der Herrschenden noch absoluter war als in
Amerika . So wurde in Tonga der ganze Stamm eines Aufrührers
vernichtet ( Mariner 1 , 271 ) und die fortwährenden Rachekriege
dieser Völker und Stämme untereinander beruhen theilweise
auf dieser blutigen Rechtsauffassung ( z. B. für Neuseeland
Dieffenbach 1 , 93 , Haftbarkeit des Stammes für den Einzelnen
Thomson 1 , 98 ) . Auch in Neuholland sind ziemlich strenge
Rechtsstrafen ( Grey 2 , 236-37 ) , entweder Tod oder Durchstossen
einzelner Körpertheile mit dem Speer ( wobei oft der Tod
erfolgt ) oder Speerung , d.h. der Schuldige muss sich den
Speerwürfen einer grösseren oder geringeren Menge von
Volksgenossen aussetzen , denen er freilich durch seine
Geschicklichkeit ( Waffen darf er nicht haben ) , wenn sie ausreicht ,
ausweichen darf ( Grey 2 , 244-45 ) . Die Haftbarkeit der Familie , des
Stammes für den Einzelnen ist hier wo möglich noch
fester , als irgendwo sonst ( Grey 2 , 239-40 ; 235-36 ) .
In Mexiko war die Verfassung streng monarchisch , wobei der Adel ,
der früher wahrscheinlich die höchste Staatsgewalt selbst
in Händen gehabt hatte ( Waitz 4 , 71 ) , wie in anderen
monarchischen Staaten auch , grosse Vorrechte über das Volk
hatte . Der Herrscher , weil er Stellvertreter Gottes auf Erden war ,
hatte unumschränkte Gewalt ( Waitz 4 , 68 ) ; und mochte dadurch
auch mancherlei Ungerechtigkeit und Gewaltthätigkeit
geschehen , mochten einzelne Fürsten ihre Macht missbrauchen ,
wie denn namentlich der letzte von
ihnen , Montezuma II. , seinen
gewaltthätigen und hoffärtigen Charakter in noch
schärferer Entwickelung des Absolutismus und der
Sonderstellung des Adels zeigte ; das wurde doch vom Volk ertragen ,
ohne dass dadurch das Volk noch auch durch den Unwillen des Volkes
die Herrscher gefährdet waren . Schlimmer war , dass die
Herrscher durch ihren Absolutismus den eigenen Willen des Volkes zu
sehr gelähmt hatten . » Die strenge und allgemeine
Fügsamkeit in den Willen des Herrschers hat sich von Seiten
des Volkes bei mehreren Gelegenheiten in unzweideutiger Weise
gezeigt : auf einen Wink von Montezuma blieb Alles ruhig , sogar als
er selbst von Cortez gefangen gesetzt wurde und mit der Eroberung
der Hauptstadt hörte jeder Widerstand auf , nicht bloss weil
die Grossen des Reichs dort alle vereinigt waren , sondern auch weil
mit dem Falle des Herrschers für die bis zum Aeussersten
standhaft gebliebenen Mexikaner die Pflicht der Selbstverteidigung
wegfiel . Revolutionen des Volks waren — abgesehen von neu
eroberten Ländern — fast unbekannt « ( Waitz 4 , 68 ) .
Am gefährlichsten aber war die Eroberungspolitik des
mexikanischen Staates . Um alle Länder sich und ihrem Gotte
Huitzilopochtli zu unterwerfen , was das stete Streben der Mexikaner
war ( 4 , 117 ) , hatten sie ihre Herrschaft vom atlantischen bis zum
stillen Ozean ausgedehnt , ohne aber wirklich Widerstand leistende
Länder ernstlich zu bezwingen und sich zu assimiliren . Und
Montezuma II. noch machte es ebenso . Während in seinen
Ländern Empörungen der unterworfenen Ländertheile
ausbrachen , schickte er , anstatt das Gewonnene dauernd zu fesseln ,
seine Heere in immer fernere Gegenden , um immer mehr zu gewinnen
( Waitz 4 , 46 ) , und » daher , sagt Waitz 4 , 47 , ist es wohl
begreiflich , dass das grosse rasch gewachsene Reich des Montezuma
durch ein paar kräftige und geschickt geführte
Stösse zertrümmert werden konnte . « Eine Menge
einheimische Feinde , ganze Ländertheile erhoben sich und
stellten sich auf Seiten der Spanier — und so ist Mexiko , das
so bevölkerte , reiche und blühende Land zum nicht
geringsten Theil durch seine eigene Politik zu Grunde gegangen . Da
diese Schilderung im Grossen und Ganzen auch auf Peru passt , wo der
König als Stellvertreter Gottes auf Erden nur eine noch
absolutere und drückendere Macht besass , wo gleichfalls
Eroberungskriege das Land ausgedehnt und dadurch minder fest
gemacht hatten , weil es nun in seinem Innern feindliche Elemente
barg ( Waitz 4 , 399-413 ) , da wir hier so ziemlich dasselbe finden ,
so brauchen wir die Verhältnisse des Inkareiches nicht genauer
zu betrachten und gehen gleich zu Polynesien über .
Hier hat der Absolutismus und die Sonderstellung des Adels , die
in der göttlichen Abstammung des Adels und der Könige
wurzelt , die denkbar höchste , man könnte sagen eine
logisch vollkommene Entwickelung gefunden . Ueberall , in Neuseeland ,
in Tahiti , in
Hawaii , dem Markesasarchipel , auf Tonga , bei der
alten Bevölkerung der Marianen ( während sonst Mikronesien
in der Praxis wenigstens die Gegensätze minder scharf fasst )
gilt das Volk als unbeseelt , daher sein Leben als vollkommen
werthlos . Man tödtete es nach Gelüsten oder Laune
( Mariner 1 , 60. 91 ) , man bedrückte es , da es weiter keine
Geltung hat , als eben nur für die Vornehmen da zu sein , keinen
Werth weiter als was es den Vornehmen werth ist — und
nirgends war dieser Druck schlimmer als auf Hawaii — man hat
ihm aus demselben Grund alle harte Arbeit , z. B. den Landbau ,
aufgeladen ; dabei ist ihm das meiste der besseren Nahrungsmittel
verboten ; zu den Festen der Vornehmen muss es , was es besitzt an
Lebensmitteln , beisteuern , zu den Menschenopfern nimmt man die
Individuen aus ihm , kurz , es liegt ein Druck auf ihm , so
unglaublich , dass man gar nicht begreift , wie unter demselben
überhaupt sich eine und noch dazu zahlreiche Bevölkerung
erhalten konnte . Oft fand es nicht Zeit zur Bestellung des eigenen
Landes , daher denn Hungersnoth , Kindermord und namentlich eine
grosse Menge von Auswanderungen eintraten , die vor allem Tahiti
entvölkerten , aber auch von anderen Inseln erzählt
werden . So gab es auf Tahiti im wilden , gebirgigen und kaum
bewohnbaren Inneren der Insel eine zerstreute Bevölkerung
» wilder Männer « , die , ausserordentlich scheu und
ängstlich , ganz einsam in den Klüften leben , gewiss nur
entsprungene Flüchtlinge aus dem Volke , oder deren
Abkömmlinge , welche nicht zurückzukehren wagten ( Ellis 1 ,
305 ) . Von Hawaii sagt Jarves ( 368 ff. ) : » Der Ackerbau ward
vernachlässigt , und Hungersnoth herrschte . Ganze Schaaren
gingen unter ihrer Last zu Grunde ; andere verliessen ihre Heimath
und flohen gleich wilden Thieren in die Tiefe der Wälder , wo
sie aufs elendeste aus Mangel umkamen , oder eine klägliche
Existenz durch Früchte und Wurzeln fristeten . Blind für
diese Folgen setzten die Fürsten ihre Politik ( zu der sie von
geldgierigen Fremden vielfach verleitet wurden ) fort . «
Kindermord war die Folge namentlich einer unerschwinglichen
Kopfsteuer und nicht nur physisch , auch moralisch verkam das Volk .
Und auf dies moralische Verkommen ist sehr zu achten ; denn nichts
befördert den Untergang einer Bevölkerung mehr als dies .
Wo die Moralität ( natürlich hier nur nach den Begriffen
der betreffenden Völker ) fehlt , fehlt auch die Selbstachtung ;
wo die Selbstachtung , die Freude am Leben , welche diesen Menschen
auch schon aus äusseren Gründen unmöglich war ; und
wo die Freude am Leben fehlt , da verkommt und versiegt das Leben
selbst . Mit Recht stellt daher Jarves ( a.a.O. ) diesen Druck , unter
dem das Volk erlag , für eine Hauptursache seines massenhaften
Schwindens hin : und wie es in Hawaii war , so war es , mit wenig
Abänderungen , so ziemlich überall in Polynesien .
§ 12. Natureinflüsse .
Sahen wir so , was die Naturvölker durch eigene Lebensart
oder Schuld zu ihrem Hinschwinden beitragen : so müssen wir ,
ehe wir weiter gehen , einen Blick auf die Naturumgebungen dieser
Völker werfen und deren günstigen oder schädlichen
Einfluss abwägen . So viel leuchtet schon dem ersten Blick ein :
durch Natureinflüsse allein stirbt kein Volk aus und die
menschliche Natur gewöhnt sich fast an alles . Man kann sich ,
nach Darwins Schilderung , kaum eine für menschliche
Entwickelung ungünstigere Natur denken , sowohl in Hinsicht auf
Klima , als auf Lebensmittel u. s. w. , als die Südspitze von
Amerika und dennoch sagt derselbe Schriftsteller , dass ein
Aussterben der elenden Stämme der Feuerländer nicht zu
bemerken sei . Ebenso wenig der Eskimos . Der Mensch akklimatisirt
sich , freilich nur sehr allmählich in langsamen Vorrücken
und durch Jahrhunderte oder besser Jahrtausende lange Vererbung und
dadurch Verstärkung der für die einzelne Gegend speziell
befähigenden Eigenschaften an jede Gegend , an jedes Klima , und
nichts beweist gerade mehr die Dauerhaftigkeit unserer Natur als
diese Fähigkeit der Gewöhnung . Aber freilich werden weder
Feuerländer noch Eskimos sich je zu grossen mächtigen
Nationen entwickeln : und zwar in Folge ihrer Naturumgebung , welche
der freien Entfaltung der Menschheit denn doch
unübersteigliche Hindernisse in den Weg stellt . So ist denn
eben die Naturumgebung der Grund , dass wir die roheren
Naturvölker nie sehr zahlreich sehen ; die Natur erheischt ein
Leben , welches dem Gedeihen der Menschheit nicht zuträglich
ist . Die geringe Zahl der Neuholländer ist zweifelsohne
bedingt durch die erstaunlich unfruchtbare Natur ihres Landes , denn
wenn auch Grey ( 1 , 239 ) Recht hat gegen Sturt und viele Andere ,
dass der Nahrungsmangel in Neuholland nicht so gross ist , als er
gewöhnlich gemacht wird , und allerdings gibt er für den
Südwestdistrikt des Welttheils , für eine Ausdehnung von
2-300 Meilen ( 2 , 299 ) eine reiche Menge Nahrungsmittel an ( 2 ,
263-64 ) ; so sind dieselben doch immer erst weit zerstreut ,
müssen gesucht werden und sind oft , im einzelnen betrachtet ,
elend genug . Sie zu vermehren , anzubauen haben die Eingeborenen
nicht Kultur genug , auch finden sich kaum unter den Pflanzen und
Thieren Neuhollands solche , die zu eigentlichen Kulturpflanzen oder
Hausthieren brauchbar wären ; zu sammeln aber sind die
Neuholländer , wie wir schon bei der Betrachtung ihres
Charakters sahen , zu indolent , zu träge . Wir müssen hier
die ausserordentlich hemmenden Schranken der Natur anerkennen , die
jedoch nur dann erst wirklich für den Bestand eines Volkes
gefährlich werden , wenn noch andere Bedrängnisse
hinzukommen . Ueber viele Distrikte Amerikas muss man , mehr oder
minder , dasselbe sagen , in mancher Beziehung auch von
Südafrika . Und fast noch
ungünstiger gestellt ist
Polynesien schon in seinen hohen Inseln , die meist im Innern so
steil und unwegsam sind , dass sie , wie Tahiti und Nukuhiva , nicht
bewohnt werden können , oder grosse unfruchtbare Strecken
hinter ihren meist üppigen Uferstrecken bergen , wie die
Fidschis und viele der Hawaiiinseln , und die , wenn sie auch durch
und durch bewohnbar wären , doch schon durch ihre
verschwindende Kleinheit in dem ungeheuren und gefährlichen
Ozeane ihren Bewohnern ein Hinderniss sind . Hier ist die
Schifffahrt nicht so leicht , wie im Mittelmeer und eine
Küstenschifffahrt ganz unmöglich . Grosse Thiere gibt es
gar nicht ausser dem zum Hausthier im wahren Sinne ungeeigneten
Schwein und einigen Hunden , welche aber ihre Hundenatur fast
abgelegt haben und Mastvieh geworden sind . Nutzpflanzen gibt es
genug , aber so reichlich , dass weder geistige noch leibliche
Anstrengung , ja kaum Thätigkeit nöthig ist , um
hinlänglichen Vorrath zu bekommen , oder so wenig , wie auf
Neuseeland ( natürlich zur Zeit der Entdeckung ) , dass trotz
aller Anstrengung die Nahrungsmittel sich nicht sehr heben konnten .
Und nun gar die kleineren Inseln , die fast immer unfruchtbaren
Korallenringe , welche meist , wie im östlichen Polynesien und
in Paumotu , nur den Pandanus mit seinen kümmerlich
nährenden Früchten und , aber noch nicht einmal
überall , z. B. in der nördlichen Ratakkette nicht , die
Kokospalme hervorbringen , den Brotbaum und die anderen
Nahrungspflanzen der Südsee , welche feuchten Boden verlangen ,
wie Tacca und Arum , nur seltener oder nur erst nach sehr
mühevoller Bearbeitung des harten Korallengrundes gedeihen
lassen , Thiere aber , ausser zahlreichen Ratten , gar nicht besitzen .
Dazu kommt , dass grässliche Orkane , denen nichts zu
widerstehen vermag , auf Tahiti , den Paumotu- und Herveyinseln , auf
Tonga , den Karolinen , den Marianen , kurz so ziemlich überall ,
die Vegetation gar nicht selten so vollständig vernichten ,
dass äusserste Hungersnoth eintritt . Auf den Inseln
südlich vom Aequator sollen Stürme der Art nach
Mörenhout ( 2 , 365 ) nicht öfter als alle 8-10 Jahre
vorkommen , also gerade oft genug , um eine reiche Entwickelung der
Bevölkerung unmöglich zu machen . Denn ihre Gewalt ist so ,
dass an irgend welchen Schutz oder Widerstand gar nicht zu denken
ist . Daher ist es denn begreiflich , dass man den Kindermord , wie
Chamisso mit solchem Entsetzen von den Ratakinsulanern
erzählt , dort und auch sonst noch ( z. B. auf Tikopia ) geradezu
gesetzlich regulirte , um die Inseln vor Uebervölkerung zu
behüten ; begreiflich ferner , wie Hochstetter auf den Gedanken
kam , dass der Kannibalismus auf Neuseeland durch den Hunger
eingeführt sei . Ist nun zwar letztere Ansicht gewiss nicht
richtig , wie sich leicht aus dem was wir über den
Kannibalismus schon gesagt haben , ergibt ; so ist es doch sicher ,
dass in einzelnen Gegenden Polynesiens , z. B. in Nukuhiva , bisweilen
der Hunger zum Auffressen naher Verwandten
trieb . Auch in Amerika ,
namentlich im Norden , gibt es Völker , die durch die
äussere Noth gezwungen , zum Kannibalismus gebracht sind ( Waitz
3 , 508 ; 4 , 251 ) .
Dass auch die Aleuteninseln durch ihre Naturbeschaffenheit keine
reiche Entwickelung ihrer Bevölkerung zulassen , ist klar ; und
dasselbe gilt von Kamtschatka , über dessen Natur von neuern
Schriftstellern v. Kittlitz trefflich gehandelt hat .
Alle die besprochenen Länder machen eine grosse
geschichtliche Entwicklung von vornherein so gut wie
unmöglich . Einförmigkeit ist das Zeichen der meisten ; und
historische Schicksale , das wirksamste Mittel , die Menschheit zu
heben , konnten ihre Bewohner so gut wie gar nicht treffen . Dadurch
aber konnten sie sich nicht über die Natur , wie z. B. die
Indogermanen , die Semiten gethan , erheben , so dass diese von ihnen
beherrscht wäre . Und nehmen wir auf der anderen Seite
Völker mit den Sitten , wie wir sie bisher geschildert , in
ungünstiger Natur , so leuchtet wohl ein , wie gerade ihnen
gegenüber schädliche Natureinflüsse von doppelter
Gefahr sein mussten .
§ 13. Aeussere Einflüsse der höheren Kultur auf
die Naturvölker .
Wir können nun erst , nachdem wir betrachtet haben , was in
der Natur und Lebensweise dieser Völker selbst einen
frühen Untergang Begründendes liegt , die Einflüsse
genauer erwägen , welche ihre Berührung mit anderen meist
höher kultivirten Völkern und namentlich mit den
Kulturvölkern Europas und Amerikas hervorgebracht hat .
Es sind hier zunächst Einflüsse zu erwähnen ,
welche obwohl durchaus nicht feindselig , ja häufig nur gut
gemeint dennoch physisch wie psychisch die gewaltsamsten Wirkungen
haben mussten und hatten und haben .
Zunächst ist es die Umänderung des äusseren
Lebens der Naturvölker , welche uns , wie sie durch jene
Berührung unvermeidlich war , beschäftigen muss . —
Die ganze Lebensart dieser Völker war durch lange fast
instinktive Auswahl , dem Klima , den Bodenverhältnissen , ihrer
ganzen äusseren Natur so entsprechend oder wenigstens die
Natur dieser Völker hatte sich durch lange Gewöhnung so
mit dieser Lebensart assimilirt , dass jede auffallende Aenderung ,
namentlich wenn sie plötzlich kam , wenn sie sich über
mehreres erstreckte , oder gar wenn sie bloss halb , bloss zeitweilig
durchgeführt wurde , die grössten Revolutionen in ihrem
gesammten Wesen hervorbringen musste . Auch hier ist wieder auf die
unendliche Macht einer sich stets verstärkenden Vererbung
hinzuweisen , wie sie durch Jahrhun-
derte , Jahrtausende lange
Gewöhnung , durch überaus allmähliche Angleichung die
Menschennatur so fest auch an ungünstige Einflüsse
gewöhnen kann , dass eine Abwendung von ihnen für den
Augenblick nur schädlich zu wirken scheint .
So finden wir das körperliche Leben der Naturvölker im
engsten Einklang mit den Naturumgebungen und ihren Einflüssen .
Vor der Bekanntschaft mit den Europäern oder Amerikanern ( die
immer , was gestattet sein möge , mitgemeint sind , wenn im
Folgenden einfach nur von den Europäern und ihrem Einfluss die
Rede ist ) waren daher die Naturvölker durchaus gesund , obwohl
einzelne Seuchen ab und zu schon damals bei ihnen vorkamen : nie
aber kannten sie die chronische Kränklichkeit kultivirter
Nationen .
So war es mit der Kleidung . Die Neuseeländer trugen Kleider
von Mattenzeug , welches aus den Blättern der
neuseeländischen Flachslilie ( Phormium tenax ) geflochten war
— auf welchen Matten man auch schlief — und seltener
und nur die Fürsten einen Mantel aus zusammengenähten
Hundefellen ( Dieffenbach 2 , 153 ) . Statt dieser kühlen , die
Haut nur schützenden , kaum erregenden Kleidung , welche auch
( für Neuseeland sehr wichtig , wo es sehr oft , meist nur
vorübergehend , regnet ) die Nässe nicht lange hielt ,
tragen sie jetzt wollene Decken , die , abgesehen davon , dass sie dem
Ungeziefer eine willkommene Zuflucht sind , die Haut reizen , die
Feuchtigkeit sehr lange halten und einen viel stärkeren
Wechsel in der Temperatur des Körpers hervorbringen . Denn wie
die Maoris früher ihre Phormiummatten bei irgend welcher
Arbeit oder sonstigen Gelegenheit leicht ablegten , gerade so machen
sie es , ganz ohne Rücksicht , ob sie warm sind , ob nicht , auch
mit den Wollendecken jetzt ( Dieffenbach 2 , 18 ) . Ganz ähnlich
schildert das Jarves 370 von Hawaii . Fürsten und Volk , sehr
begierig auf jeden ausländischen Stoff , gleich viel ob es
Matrosentuch oder das dünnste chinesische Gewebe war , trugen
alles ganz ohne Unterschied , und so kamen sie bald nach ihrer alten
Art , bald anders , bald mit einer Mischung von beiden bekleidet ;
derselbe , der längere Zeit eine solche Kleidung trug , erschien
dann wieder viele Tage lang nackt . Je schöner das Wetter war ,
um so reichlicher bekleidet gingen sie , um zu paradiren , bei
schlechtem Wetter aber meist nackt , um die Kleidung zu schonen ;
nackt daher auch in der ganzen Jahreszeit des Winters , und im
Sommer bekleidet . Jarves wie Dieffenbach finden daher mit vollem ,
Recht in dieser Veränderung und in dieser Art der Neuerung
eine äusserst wirksame Ursache für den Verfall der
Gesundheit dieser Völker . Diese Ursache aber wirkt
überall , wo Natur- und Kulturvölker zusammentreffen : sie
musste eintreten , weil schon die Missionäre eine etwas
decentere Bekleidung als die meisten Naturvölker kannten ,
verlangen mussten .
Auch eingeführte Nahrungsmittel ( abgesehen von den
Spirituo-
sen ) waren den Naturvölkern schädlich : so nach
Dieffenbach a.a.O. für die Neuseeländer die
Einführung des Maises , den sie halb gegohren verbacken und
durch dies äusserst ungesunde Brot sich sehr schaden . Salz ,
sagt er , was sie früher in den Seethieren genossen , essen sie
jetzt gar nicht mehr , denn ihre fast einzige Nahrung ist die
Kartoffel ; diese aber , abgesehen davon , dass ihr ausschliesslicher
Genuss überhaupt schädlich ist , wirkte noch dadurch
ungünstig , dass sie bei der wenigen Pflege , die sie verlangt ,
ganz und gar nur von Sklaven und Weibern besorgt wird , ohne die
Männer nur zu irgend welcher Thätigkeit anzuregen . Was
wir hier an dem einen Beispiel zeigten , gilt natürlich
wiederum für einen ganzen Kreis dieser Völker .
Auch der Hausbau hat sich vielfach geändert , wenigstens in
Polynesien , da hier fast allein ein annähernd freundliches
Verkehren der Europäer mit Eingeborenen sich entwickelt hat .
In Polynesien war man früher an sehr luftige , reinliche
Häuser , die fast nur aus einem sehr tief herabreichenden Dache
bestanden , gewöhnt . Jetzt aber kommen mehr und mehr mit
Hintansetzung der altheimischen Art Häuser oder Baracken auf ,
die nach europäischer Art gebaut der für jene Gegenden so
nöthigen Ventilation fast ganz entbehren und , da nun noch dazu
nach alter Sitte viele Menschen in einem solchen Raum zusammen
wohnen und schlafen , durch den grellen Gegensatz gegen das von
früherher Gewohnte den schlimmsten Einfluss haben ( z. B ,
Dieffenbach 2 , 68-71 ) .
Namentlich war es der Adel in Polynesien , der diese Aenderungen
vornehmlich , da er mit den Europäern in genauere
Berührung kam und grössere Mittel hatte , bei sich
einführte : gerade aber der Adel ist vom Aussterben weit mehr
und rascher ergriffen , als das Volk — so namentlich in Hawaii
— und es ist diese Erscheinung nicht so zu erklären ,
dass man beim Adel , weil er geringer an der Zahl sei , das
Hinschwinden klarer sähe : denn hiergegen sprechen die
Verhältnisszahlen so wie der Umstand , dass in der ersten Zeit
der Adel vornehmlich von Krankheit u. dergl. heimgesucht war , bis
das Verderben sich weiter ausbreitete . Es nimmt das um so weniger
Wunder , als auch der Adel es war , welchem die meisten der
geschilderten polynesischen Ausschweifungen zur Last fallen . Das
meiste überhaupt , was vorzüglich in älteren
Reisebeschreibungen von Polynesien gesagt wird , geht auf den Adel ,
da dieser bevorzugte Stand mit so hervorragenden Fremdlingen , als
die Europäer waren , zu verkehren nach polynesischen Begriffen
fast allein das Recht hatte . Wo aber diese Völker wenigstens
nicht halb und nur zeitweilig , sondern ganz und für immer die
europäischen Sitten , Kleidung , Wohnung , Lebensart u. s. w.
annehmen , da bleiben sie weit ungefährdeter , wie dies
Dieffenbach a. a. O. von den Neuseeländern nachweist . Den
skrophulösen Habitus so vieler Maorikinder an der Küste
erklärt er dagegen nur durch die ungeeignete und halbe
Aenderung der einheimischen Lebensweise .
Auch die Ausbreitung der Weissen beschränkt und
beschädigt natürlich , schon durch sich selbst und ohne
böswillige Absicht der sich Ausbreitenden , die
Naturvölker in hohem Grade . Auf den kleinen polynesischen
Inseln z. B. , doch auch sonst und überall sind die
Lebensmittel bei so riesig durch die Europäer gesteigertem
Verkehr viel werthvoller und dadurch immer knapper geworden . Man
denke nur , um dies Beispiel aus Polynesien auszuführen , was
alle die Schiffe brauchen , welche zu Papeiti oder gar zu Honolulu
vor Anker gehen , um sich zu verproviantiren . Und sollte man denken ,
dass grade dies grössere Bedürfniss ein Sporn für
die Eingeborenen sei , der sie weiter bringe in der Kultur , im
Ackerbau , Handel u. s. w. : so erwäge man , dass jetzt kaum ein
Jahrhundert seit der ersten Entdeckung ( die spanischen Besuche auf
den Inseln , welche früher fallen , abgerechnet ) verflossen ist ,
dass in einem so kurzen Zeitraum aber , wo so mannigfache Schicksale
auf die Eingeborenen einstürmten , sich der Ackerbau noch gar
nicht so entwickeln konnte , dass er diesen massenhaften
Anforderungen entspräche ; und dass zu grosse Forderungen eben
nicht mehr anspornen , sondern erschlaffen , erdrücken . In
anderen Gegenden gestaltet sich dieselbe Sache anders , aber die
Resultate bleiben gleich .
Die Neuholländer freuen sich , wenn sich in ihrem Gebiete
Europäer niederliessen , sie wünschten es und forderten
sie dazu an vielen Orten auf . Allein die nächste Folge war ,
dass sie in eine sehr elende Lage geriethen : denn ( abgesehen von
anderem , was wir später besprechen ) ihre Jagdthiere
verminderten sich auf der Stelle , ja sie verschwanden , theils
verdrängt oder verjagt , theils ausgerottet von den meist sehr
jagdlustigen Einwanderern ( Lang bei Grey 2 , 234-35 ) . Daher sagte
ein Australier sehr richtig zu einem Europäer : » Ihr
solltet uns Schwarzen Milch , Kühe und Schafe geben , denn ihr
seid hergekommen und habt die Opossums and Känguruhs vertilgt .
Wir haben nichts mehr zu essen und sind hungrig « ( Bennet bei
Waitz 1 , 183 ) . Die brauchbaren Gras- und Weidestrecken nahmen die
Europäer mehr und mehr im Lauf der Jahre ein in Neuholland ,
Neuseeland , Afrika , Amerika , die fruchtbaren Küstenstriche ,
sonst der gewöhnliche Aufenthalt der Eingeborenen , haben sie
ganz und gar inne , das Land erklären sie für ihr
Eigenthum , und da sie sich man kann wohl sagen täglich mehr
und mehr ausbreiten , so drängen sie schon durch ihre blosse
Existenz die Eingeborenen in die Wälder , die Berge , die
Wildniss zurück ; so dass es denn gar kein Wunder ist , wenn die
Eingeborenen schon hierdurch allein » wie von einem giftigen
Hauche berührt « ( oder wie die Phrase lautet ) verkommen .
» Als der weisse Mann , so sagte der Cherokeehäuptling
Bunteschlange in einer Rede , sich gewärmt hatte am Feuer des
Indianers ,
und sich gesättigt an seinem Maisbrei , da wurde er
sehr gross , er reichte über die Berggipfel hinweg und seine
Füsse bedeckten die Ebenen und die Thäler . Seine
Hände streckte er aus bis zum Meere im Osten und Westen . Da
wurde er unser grosser Vater . Er liebte seine rothen Kinder , aber
sprach zu ihnen : ihr müsst ein wenig aus dem Wege gehen , damit
ich nicht von ungefähr auf euch trete . Mit dem einen Fuss
stiess er den rothen Mann über den Okonnee und mit dem anderen
trat er die Gräber seiner Väter nieder . Aber unser
grosser Vater liebte doch seine rothen Kinder und änderte bald
seine Sprache gegen sie . Er sprach viel , aber der Sinn von Allem
war , nur : geht ein wenig aus dem Wege , ihr seid mir zu nahe . Ich
habe viele Reden von unserem grossen Vater gehört und alle
begannen und endeten ebenso « ( Waitz 3 , 144 ) . Chamisso , einer
der wenigen , die sich in Deutschland für die Stellung jener
Völker interessirten , hat dieser Rede ergreifenden Ausdruck
verliehen in einem seiner Gedichte ( Werke 4 , 86 ) . Sie ist bekannt
genug : und wenn auch in ihr der ethische Gedanke die Hauptsache
ist , so kann doch auch die Schilderung der Thatsachen nicht
schlagender gegeben werden .
Und doch , auch wenn man den Eingeborenen genügenden
Landbesitz und Jagd und Lebensmittel genug sichern könnte , wir
wiederholen es : die totale Umwälzung ihres ganzen leiblichen
Lebens , das , wie wir eben gesehen , sich nach jeder Richtung hin
ändern musste durch die plötzlich hereinbrechende Kultur ,
wird auch wenn keine Halbheiten , Ungeschicklichkeiten u. dergl.
vorkommen , wenn alles gleich so trefflich als möglich
eingerichtet wäre , den gefahrvollsten Einfluss auf die
Naturvölker haben und je mehr , je plötzlicher sie kommt .
Denn je länger physische Gewohnheiten schon bestehen , um so
fester sind sie und um so gefährlicher ist es für die
menschliche Natur , wenn sie plötzlich gebrochen werden sollen .
Auch hierin ist Leib und Seele einem Gesetze unterworfen : dem
Gesetze der Beharrlichkeit . Wie eine Flüssigkeit , welche man
in einen bestimmten Kreislauf gebracht hat , diesem Laufe immer
williger und rascher folgt , aber wild in ungeordnete Wirbel
zusammenschäumt , wenn man sie nach der entgegengesetzten
Richtung hin zwingen will , bis sie sich endlich und allmählich
diesem Neuen gewöhnt : so musste das natürliche Leben
dieser Völker in Aufregung und Unordnung kommen , als es so
plötzlich von der übermächtigen Kultur unterbrochen
wurde , an die es sich erst langsam und sehr allmählich
gewöhnen wird . So werden denn einzelne wohl , nie aber ein
ganzes Volk rasch und plötzlich sich eine so totale
Umänderung , wie hier nöthig , und käme sie unter den
günstigsten Bedingungen ( was hier leider nicht geschah ) ,
aneignen können . Nur so ist sicher die Nachricht zu verstehen ,
die wir vorhin Dieffenbach entlehnten , dass die Neuseeländer ,
wo sie vollkommen europäisch lebten , auch gesund seien : wobei
denn immer noch zu erwägen bleibt , dass
Dieffenbach erst 1840
seine Beobachtungen anstellte , also über zwei Generationen ( 70
Jahre ) nach der ersten Entdeckung der Insel . Allein man könnte
sagen : und doch haben andere Völker dasselbe plötzliche
Hereinbrechen einer übermächtigen Kultur durchgemacht und
überwunden . Man könnte unsere eigenen Vorfahren , die
alten Deutschen nennen . Und doch , welch ein ungeheurer Unterschied
hier in Allem ! Denn erstens war die griechischrömische Kultur ,
wie sie zu den Germanen kam , unendlich bequemer als die moderne ,
wie sie die Naturvölker annehmen sollen ; zweitens standen die
Germanen in jeder Weise , auch in ihrer leiblichen Beschaffenheit ,
jener Kultur und ihren Trägern bei weitem näher als die
Naturvölker den Europäern ; drittens brach dieselbe nicht
so unaufhaltsam , so plötzlich , so rücksichtlos über
die Germanen herein , wie über jene Völker , sondern ganz
allmählich , durch Jahrhunderte langes Vertrautwerden mit dem
Einzelnen , wobei das romanisirte Gallien keine unbedeutende
Vermittlerrolle spielte ; und endlich kam sie nicht in solchem Grade
feindselig , wie die moderne Kultur über die sogenannten
Wilden .
§ 14. Psychische Einwirkungen der Kultur .
Und so blieben unsere Vorfahren vor dem namentlich bewahrt , was
den Naturvölkern so verhängnissvoll wurde : vor dem
geistig deprimirenden Eindruck , den die Kultur auf die
Naturvölker macht . Die Germanen fanden Gelegenheit
selbständig siegend in dem Land ihrer geistigen Besieger
aufzutreten : sie behielten stets das gegründete Bewusstsein
eigenes Werthes und dass sie nicht in jeder Beziehung untergeordnet
seien . Sie standen den Römern gegenüber wie der
Schüler dem Lehrer , der des Schülers geistiges Leben
leitet , corrigirt , erhöht , aber nicht verletzt , vernichtet ,
verhöhnt .
Ganz anders aber die Naturvölker . Ihr Geistesleben , alles ,
was sie dachten , fühlten und glaubten ist ihnen durch ihr
Bekanntwerden mit den Europäern was sollen wir anders sagen
als geradezu ( und oft mit der boshaftesten Absichtlichkeit )
vernichtet worden . Hierdurch wurden selbstverständlich je
gebildeter die Völker waren , sie um so härter betroffen ;
so dass vieles von dem im folgenden Entwickelten auf die rohesten
Stämme Südamerikas oder Neuhollands keine Anwendung
findet .
Zunächst die Religion . Die meisten Naturvölker sind
von sehr reiner und inniger Religiosität , bei allen
Abgeschmacktheiten und Monstrositäten ihres Glaubens . So waren
es die Mexikaner . Ihre
Religion ( Waitz 4 , 128 ) war es , welche ihnen
ihre hohe und reine Moral eingab , deren Grundgedanke —
zugleich ihr festester und untrüglichster Schwur ( Waitz 4 ,
154 ) — war : sieht mich nicht unser Gott ? Und alles , was die
Religion schweres von ihnen forderte , wurde treu und gewissenhaft
und mit ächter und inniger Andacht von ihnen , nach Cortez
eigenem Zeugniss ( Waitz 4 , 154 ) ausgeführt , Ihre vielen
Eroberungskriege waren , wie wir schon sahen , alle von dem Gedanken
geleitet , ihre Religion auszubreiten über alle Welt . Nicht
anders , nach Waitz Schilderung ( 4 , 447 ff. ) die Peruaner .
Gleichfalls in hohem Grade gottesfürchtig sind die
Nordindianer ( Waitz 3 , 205 ) , die keine Handlung ohne Gebet
unternehmen , die alle schweren von der Religion verlangten
Peinigungen mit der grössten Gewissenhaftigkeit
vollführen . Und so haben alle diese Völker überall
zähe an ihren Religionen gehalten .
Etwas anders steht die Sache in Polynesien . Nicht als ob die
polynesischen Völker nicht von gleich tiefer Religiosität
wären ; was z. B. schon die bekehrten Eingeborenen beweisen , in
deren Hand jetzt der grösste Theil der Südseemission ist .
Aber die ganze Bevölkerung war sittlich minder rein als die
Amerikaner und befand sich schon zur Zeit der Entdeckung , wie
Meinicke ( b ) nachgewiesen , in einem Zustande auch des geistigen
Verfalls . Daher erklärt sich die auffallende Erscheinung , dass
die Polynesier ( Dieffenbach 2 , 50 vom ganzen Ozean ) und nach
Chamissos Zeugniss auch die Mikronesier sich leicht bewegen lassen ,
über ihren früheren Aberglauben selbst zu lachen und ihn
aufzugeben . Doch auch sie fügen sich und nicht bloss aus
Herkommen mit freudigstem Gehorsam den beschränkendsten
Gesetzen ihrer Religion , z. B. den Tabu-Gesetzen , d.h. den
Bestimmungen , durch welche Gegenstände aller Art heilig
gesprochen und dem unheiligen Volk gänzlich entzogen werden ,
sowie der übergrossen Adelsverehrung und anderem der Art . Und
nur da haben sie ihre Religion wirklich und ohne Widerstand
aufgegeben , wo sie durch die Mission wirklichen religiösen
Ersatz bekamen . Gegen feindselige Angriffe auf ihre Religion ,
mochten sie absichtlich oder nur zufällig sein , haben sie sich
immer aufs heftigste aufgebracht gezeigt und eine Menge
Ueberfälle , Kriege , ja Cooks Tod selbst sind nur durch solche
Verletzungen ihrer Tempelplätze oder sonstigen
Heiligthümer hervorgerufen .
Aber selbstverständlich war es gerade die Religion , gegen
welche sich die heftigsten und ersten Angriffe der
Kulturvölker richteten . Das brauchte nicht mit der brutalen
Roheit der Conquistadoren und ihrer Pfaffen in Amerika oder der
Sendlinge Frankreichs in den letzten Jahrzehnten , der Laplace ,
Dupetitthouars u. s. w. in der Südsee zu geschehen : auch die
edelsten der Europäer mussten sich gegen diese Religionen
wenden , um sie zu zerstören , und so sahen die Eingeborenen ihr
Heiligstes vernichtet , ja als durchaus schlecht und
nichtswürdig verachtet . Aus dem Vorstehenden aber kann man
ermessen , wie vernichtend dieser Schlag ihr geistiges Leben
traf .
Ebenso war es mit den politischen Einrichtungen : und auch hier
müssen wir wenigstens auf einige Hauptpunkte hinweisen . Die
despotische Verfassung , das strenge Adelsregiment der Südsee
( um bei den Polynesiern zunächst zu bleiben ) , haben wir schon
betrachtet . Aber mochte der Adel sich noch so hoch über das
Volk stellen , das Volk aufs ärgste unterdrücken : er war
doch von Gott , man hing ihm doch mit warmer Verehrung an , man
brachte in den meisten Fällen sein Gut und Blut mit
aufrichtigem Eifer dar — lohnte doch eine solche Aufopferung
mit einem besseren oder überhaupt mit einem Leben nach dem
Tode ! Jedenfalls beruhte auf diesem Verhältniss des Adels , der
naturgemäss die stolzeste Meinung von sich hatte und sich
keineswegs den europäischen Grossen untergeordnet fühlte ,
und des Volkes das gesammte öffentliche Leben Polynesiens und
Mikronesiens und hier wieder vorzüglich der Marianen .
Durch den Einfluss der Europäer änderte sich das alles
und so sehr auch das Volk nachher dadurch gewann : für den
Augenblick musste es die Einrichtungen , die ihm seit Jahrtausenden
gewohnt und ehrwürdig waren , aufgeben und die , welche es
vordem gleich Göttern geachtet hatte , von den Europäern
keineswegs besonders hochgestellt , ja oft mit Verachtung oder gar
mit schreiendster Ungerechtigkeit behandelt , zum Theil wie auf den
Marianen blutig verfolgt und vernichtet sehen . Der Adel selbst aber
war noch schlimmer dran . Er war , bei völliger
Unumschränktheit , der festen Ueberzeugung , von ganz anderem
Stoff zu sein , als das gemeine Volk , er stellte sich ganz den
höchsten Europäern gleich und wusste sich , wie Liholiho ,
Tamehameha I. Sohn in England bei seinem Aufenthalt unter der
englischen höchsten Aristokratie bewiesen hat , diesen auch im
äusseren Benehmen ziemlich gleich zu halten . Und nun fand er
sich von den Europäern , oft von den gemeinsten Matrosen , nicht
nur nicht göttlich verehrt , sondern verachtet , dem gemeinen
Volke ganz gleich , und jedenfalls tief unter jeden Weissen
gestellt , er fand sich von der Gesellschaft in den meisten
Fällen ( wo sich eine wirklich europäische Gesellschaft
bilden konnte ) entweder ausgeschlossen oder doch nur geduldet ! So
geschah es zu Neuseeland — man kennt ja den Hochmuth der
englischen Raçe einer farbigen Bevölkerung
gegenüber — so , seit der gloriosen französischen
Occupation , zu Tahiti , so einige Jahrhunderte früher auf den
Marianen , wo der Adel in den blutigen Kämpfen ganz zu Grunde
ging .
Noch viel schlimmer , weil die Zerstörung gründlicher
war , wirkten diese Dinge in Amerika . Denn auch hier war Volk und
Herrscher durch Bande grosser Anhänglichkeit und
Religiosität verknüpft . Der Herrscher , der aus dem hohen
Adel gewählt wurde , und mit ihm der höchste Adel war , wie
wir schon sahen , Stellvertreter Gottes auf
Erden und daher
unumschränkt . Wie rein und tief man in Mexiko , trotz alles
Absolutismus , die Stellung des Herrschers auffasste , geht aus den
Reden hervor , die man bei seiner Inauguration an ihn richtete und
welche nicht nur nach Waitz 4,68 » zu dem Schönsten und
Erhabensten gehören , was von den Azteken noch übrig
ist « , sondern überhaupt zu dem Schönsten und
Erhabensten , sicher zu dem Wahrsten , was man je Königen gesagt
hat . Die Steuern und Frohnen , unter denen , nach den alten
spanischen Schriftstellern , das Volk seufzte , sind nach Waitz
genauer und schlagender Untersuchung von den Spaniern aus nahe
liegenden Gründen sehr übertrieben worden . Nach alle
diesem wird sich die Lücke ermessen lassen , welche im
Gemüth des Volkes nach dem Sturz alles Bestehenden entstand .
» Zurita hat gezeigt , sagt Waitz 4 , 186 , wie das mexikanische
Volk hauptsächlich dadurch ins äusserste Elend gerieth ,
dass alle Grundlagen seiner bisherigen politischen und socialen
Organisation von den Siegern zerstört wurden . Vom
mexikanischen Adel überlebten nur wenige den Fall der
Hauptstadt und diese wenigen waren meist noch Kinder . Eine Petition
sechs vornehmer Indianer an Karl V. legt dar , wie der Rest des
Adels von den Spaniern niedergetreten und ins Volk
zurückgeworfen in Armuth und Elend umkam . Eine Tochter
Montezuma's ist im tiefsten Elend gestorben . « Man nehme nun
dazu , dass auch das gesammte äussere Leben , die ganze
glänzende Kultur des Volkes , die reiche Hauptstadt , die
blühenden Gärten , die zahlreichen Tempel , dass Alles
zerstört und oft aufs grausamste und verächtlichste
zerstört wurde : und man wird begreiflich finden , dass schon
dadurch der Sieger der Seele des besiegten Volkes einen Todesstoss
versetzte . Dasselbe gilt , vielleicht in noch höherem Grade von
den Quechuas und den Nordamerikanern . » Mit einem Fuss stiess
er den rothen Mann über den Okonnee , und mit dem anderen trat
er die Gräber unserer Väter nieder « , hiess es in
der oben erwähnten Rede . Und leider waren es die
persönlichsten und heiligsten Empfindungen , die man allzu oft
und mit der grössten Rücksichtslosigkeit verletzte , woran
freilich nicht mehr die Kultur , sondern nur ihre Träger schuld
waren . Das zweite Concil zu Lima bedrohte die Zerstörung und
Plünderung der alten Indianergräber , die Preisgebung der
Leichen mit Excommunication ; allein der supremo consejo de las
Indias fand der Schätze wegen , die sie enthalten könnten ,
für gut , ihre Durchsuchung zu erlauben ( Waitz 4 , 493-94 ) .
Alles dies musste das unterdrückte Volk ruhig mit ansehen : ihr
innerstes Leben wurde ihnen vernichtet , ohne dass sie , die sonst
schon aufs fürchterlichste bedrückt waren , sich wehren
konnten . Dass aber nicht bloss ihre Todten , dass die Lebenden
selbst noch mehr zu leiden hatten ; dass man auf sie , ob sie lebten
oder starben , nicht die mindeste Rücksicht nahm , dass man also
durch Verletzung der theuersten und heiligsten Gefühle auch
nach dieser Seite hin den Indianern das äusserste that ,
das
ist nur allzubekannt . Ein Nordindianer ( Waitz 3 , 141 ) sagte in
einer öffentlichen und viel erwähnten Rede : » ich
hätte sogar daran gedacht , ganz unter euch zu leben ,
hätte nicht ein Mann mir Böses gethan . Oberst Cresap
ermordete im letzten Frühjahr ( 1774 ) mit kaltem Blut und aus
eigenem Antriebe alle meine Verwandten , selbst meine Weiber und
Kinder verschonte er nicht . Kein Tropfen von meinem Blut läuft
mehr in den Adern eines lebenden Wesens . « Dies eine Zeugniss
genüge .
Eine der hervorragendsten Eigenschaften der Naturvölker ist
ihr Stolz . Die Amerikaner halten sich für die ersten aller
Menschen ; Geschickt wie ein Indianer und dumm wie ein Europäer
sind bei ihnen Sprichwörter ( Waitz 3 , 170 ) . Verletzung dieses
Stolzes war auch das Härteste , was sie unter sich einander
zufügten . Die Polynesier glaubten alles Ernstes , die
Europäer kämen zu ihnen , um jetzt erst wahres Leben
kennen zu lernen und an ihrer Glückseligkeit , an ihrer
Vollkommenheit Theil zu nehmen . Selbstmord aus Scham oder
verletztem Ehrgefühl ist unter ihnen gar nicht so selten
( Dieffenbach 2 , 112. Thomson 319. Will. u. Calvert 1 , 121 ff. ) ;
ihre eigenen Thaten läugnen sie eben wegen dieses Stolzes nie
( Williams u. Calvert 1 , 124 ; Tyermann u. Bennet 1 , 78 ; Waitz
a.a.O. ) .
Nicht minder empfindlich ist das Rechtsgefühl aller dieser
Völker , welches z. B. einen Irokesen , der von Christi Leiden
hörte , ganz wie jenen Friesenfürsten zu dem Ausrufe
zwang : » wäre ich dabei gewesen , ich würde ihn
gerächt und die Juden skalpirt haben « ( Waitz 3 , 169 ) .
Und diese Empfindungen , für welche Waitz a.a.O. u. b , 147 noch
eine Menge Beispiele zusammenstellt , finden wir ebenso in
Polynesien ; ebenso wirksam wenigstens , wenn auch minder frei
entwickelt , auch bei den roheren Völkern , den
Südamerikanern , Hottentotten , Australiern . Schon das stete
Streben , welches diese Völker nach Rache haben , beweist es .
Wie grausam aber sind gerade diese Eigenschaften von der Kultur
verletzt ! Theils ohne ihre Schuld : denn dass die Naturvölker
gar bald einsahen , wie sie gegen die Europäer nichts
wären und nichts vermöchten , lag in der Natur der Sache .
Theils aber tragen auch hier die Europäer die schwerste
Verantwortlichkeit , denn sie haben die Rechte dieser Völker
absichtlich mit Füssen getreten , sie haben , da sie die
Naturvölker kaum für Menschen ansahen , nicht einmal ihr
menschliches Selbstbewusstsein ihnen lassen mögen , sondern
auch dieses , und oft von Staatswegen , wie die Vereinigten Staaten ,
wie Frankreich in Tahiti , wie die Engländer in Australien , mit
Füssen getreten ; und man tritt es durch den grenzenlosen
Hochmuth und Hass , mit dem man diese Völker von aller
Gemeinschaft und damit von aller Kultur ausschliesst , nachdem man
ihnen häufig Land und Lebensmittel genommen , auch ferner mit
Füssen . Und selbst in ihrem Rachedurst sind alle diese
Völker den Europäern gegenüber so ohnmächtig ,
gegen
welche höchstens einmal ein vereinzelter Racheakt
Einzelner glücklichen Erfolg hatte . Mag auch Waitz Recht
haben , wenn er sagt ( b , 157 ) , das Rechtsgefühl der Indianer
sei durch den harten Druck der Weissen weiter und schärfer
entwickelt worden , als es wohl sonst geschehen sei ; so fährt
er doch ebenso richtig fort : » freilich war davon die
nächste Folge für sie selbst nur diese , dass sie ihre
Ohnmacht und die Trostlosigkeit ihrer Lage dann um so bitterer
empfanden . «
Diese Vernichtung aber des gesammten geistigen und ethischen
Lebens der Nationen kann man gar nicht stark genug betonen , wenn
man die Gründe für ihr Aussterben aufsuchen will . Wie
nichts ein Volk mehr hebt , als freudige Achtung vor sich selbst und
fröhliches Gelingen des von ihm Erstrebten , so drückt
nichts den Volksgeist tiefer , als das Gefühl der eigenen
Ohnmacht und Verlorenheit . Zum Gefühl aber der äussersten
Ohnmacht und Rechtslosigkeit , des bittersten und doch ganz
hülflosen Ingrimms finden wir alle diese Völker ,
Amerikaner , Aleuten und Kamtschadalen , Neuholländer ,
Polynesier und Hottentotten verdammt . » Jede Raçe ,
weiss schwarz oder roth , sagt Elliot bei Waitz 3 , 299 , muss
untergehen , wenn ihr Muth , ihre Energie und Selbstachtung durch
Unterdrückung , Sklaverei und Laster zu Grunde gehen . «
Und nun hatten , wie wir gesehen , die meisten Naturvölker schon
von Haus aus einen entschiedenen Hang zur Melancholie , welche durch
alle diese Schicksale natürlich aufs ärgste vermehrt
ihren Untergang nur beschleunigte . Man denke sich nur , wenn wir
Europäer mit allen unseren Kulturmitteln , mit unserer
Religion , kurz mit allen den Vortheilen , die wir den
Naturvölkern gegenüber besitzen , ihr Loos auch nur wenige
Jahre , etwa eine Generation , zu ertragen hätten , was aus uns
werden sollte ! Man denke , wie der dreissigjährige Krieg
gewirkt hat , dessen Greuel doch bei weitem durch das , was die
Naturvölker zu leiden hatten , überboten werden : und man
wird sich mehr über die zähe Ausdauer , als über das
Hinschwinden derselben verwundern . Nur ihre grössere
Härte und Festigkeit hat sie aufrecht erhalten den
Völkern gegenüber , die sie anfangs alle , Mexikaner sowohl
wie Hottentotten und Neuholländer , für Götter
hielten !
Musste alles dieses auf das geistige Leben der Völker und
damit auch auf das leibliche einen vernichtenden Einfluss
ausüben , so übte es den auch noch auf eine andere Art .
Mit der Vernichtung der bestehenden Staaten war natürlich auch
jedes Recht und Gesetz , welches in denselben bestanden hatte ,
aufgehoben . In Mexiko , in Peru aber waren die Gesetze von grosser
Strenge und grosser Wirksamkeit , da sie überall in
höchster Achtung standen und nicht anders war es in
Polynesien , wo das Tabu auch manchen heilsam verbietenden Einfluss
hatte . Stürzte nun das Alles zusammen , so musste
nothwendigerweise eine um so ärgere Demoralisation eintreten ,
je
höher früher die Kultur des zerstörten Staates
gestanden hatte ; eine solche Demoralisation musste aber gerade in
einer Zeit einer so allgemeinen Zerstörung , wo für die
Unterliegenden weder leiblich noch geistig irgend ein Halt blieb ,
die unheilvollsten Folgen für ihr ganzes Dasein haben und
nicht wenige in den genannten Kulturstaaten sind denn auch gerade
durch die unter den Eingebornen einreissende Zügellosigkeit zu
Grunde gegangen . Und je tiefer , je persönlich vernichtender
die Angriffe waren , um so mehr natürlich demoralisirten sie
die Völker : was sollten die noch irgend etwas scheuen und
heilig halten , welche selbst in ihrem Heiligsten verletzt waren ?
wie konnten sie noch sich selbst achten , die von jenen ankommenden
Göttern so in Staub getreten wurden ? Ueberall riss in Folge
der auf diese Weise nahenden Kultur Entsittlichung und dadurch
immer tieferes geistiges und leibliches Sinken unter den
Naturvölkern ein . Was nicht unmittelbar vernichtet wurde , das
wurde im Innersten vergiftet und langsames Hinsiechen war die
nothwendige Folge .
§ 15. Schwierigkeit für die Naturvölker , die
moderne Kultur sich anzueignen .
Aber wenn auch die europäische Kultur den Naturvölkern
mit vollkommener Freundlichkeit und Schonung zugeführt worden
wäre : diese Kultur bot auch noch ausser denen , welche wir
schon gesehen haben , die grössten Schwierigkeiten und
Gefahren , die wir jetzt betrachten müssen .
War es schon keine Kleinigkeit , dass diese Völker fast alle
ihre seit Jahrhunderten eigenthümlichen Ideen und Anschauungen
aufgeben mussten , so war es noch viel schwieriger , das aufzunehmen ,
was die Europäer brachten , die ganze unendlich verwickelte
moderne Kultur ! Das traf besonders Polynesien und Australien ; man
denke sich die kleinen Kokosinseln , die nun plötzlich sich
hineinfinden müssen in die ganze europäische Lebensart ,
in den europäischen Handel , das europäische Recht , die
Religion und so vieles andere — und sie müssen mehr als
nur oberflächliches davon annehmen , wenn sie nicht verloren
sein wollen . Um wie viel glücklicher waren auch hierin die
Germanen , die sehr allmählich eine viel weniger verwickelte
Kultur aufzunehmen hatten ; und doch wie lange Zeit brauchten auch
sie , bis sie diese Kultur vollkommen sich assimilirt hatten ! Ist es
zu viel gesagt , wenn man behauptet , dass dies erst im vorigen
Jahrhundert durch das geistige Durchdringen des Alterthums ganz
geschehen sei ?
Einzelne Punkte — denn vieles ( Wohnung , Kleidung u. s. w. )
ist schon in dem bisher Behandelten wenigstens andeutend
ausgesprochen worden — müssen wir noch besonders
berücksichtigen . Zunächst die Bewaffnung . Die Feuerwaffen
sich anzueignen ist weit schwieriger , als die Aneignung der
römischen Taktik , da sie ausser der leiblichen Uebung noch die
Ueberwindung der Scheu vor Donner und Blitz , durch welche gerade
man die Weissen zuerst als Götter dokumentirt sah , verlangen ;
da ihre Wirkung weit übernatürlicher scheint , als die der
römischen Waffen . — Ferner die Sprache . Uns
Europäern macht es sehr grosse Schwierigkeiten , die Sprache
eines Naturvolkes mit ihren anderen Anschauungen geistig zu
erfassen ; und doch steigen wir herab , da jene Sprachen alle in der
Entwicklung und Verbindung der Gedanken so wie in der Fülle
der Anschauung weit weniger vorgeschritten sind , als die Sprachen
des gebildeten Europas ; und zugleich haben wir durch lange
Jahrhunderte fortgesetzte Uebung und ausserdem durch eine Menge von
Hülfsmitteln eine viel grössere Kraft , als jene
Völker , die doch hinaufsteigen müssen , wenn sie eine
europäische Sprache erlernen wollen . Schon beim blossen
Sprechenlernen , das vom Begreifen und wirklichen Verstehen einer
Sprache himmelweit verschieden ist , müssen sie ihren Geist mit
einer ganzen Menge neuer Anschauungen und Begriffe erweitern , die
ihnen früher aber auch ganz unbekannt waren — und das
meist vom Niveau einer Sprache aus , welche strenges , logisches
Verknüpfen und Ausdenken der Begriffe wenig genug
unterstützt .
Nicht anders ist es mit der Religion . Der Abstand von manchen
der Religionen dieser Völker vom Christenthum mag , wenn auch
die meisten tiefer stehen , nicht grösser sein , als der des
germanischen Heidenthums von letzterem war ; aber das Christenthum ,
was den Germanen gepredigt wurde , war selbst ein ganz anderes , als
was die Missionäre , wenigstens die protestantischen , heut zu
Tage predigen . Dann freilich , wenn man die Berichte des sehr eifrig
katholischen Michelis liest , so ist das , was die Propaganda z. B. in
der Südsee gepredigt hat , an vielen Orten überhaupt
nicht , viel Anderes gewesen , als was jene Völker schon
wussten : die katholischen Missionäre haben getauft und das
Heidenthum gelassen . Auf der andern Seite aber , wie so ganz
unfassbar muss für die ganz sinnlichen Naturvölker eine
so abstrakte Lehre sein , wie die evangelische , die noch dazu auf
Begriffen und Anschauungen beruht , welche jene Völker gar
nicht haben . Und indem man ihnen das Christenthum predigte ,
verlangte man , dass sie die Religion der Männer annehmen
sollten , welche ihnen so alles Aergste zugefügt hatten , der
Weissen ! Ja hat man sie nicht auch gleich , damit ihnen nichts
erspart bliebe , mit dogmatischen Streitigkeiten beglückt ? In
der ganzen Missionsgeschichte der neueren Zeit ist vielleicht kein
so trauriges Ereigniss als das Auftreten der Propaganda in der
Südsee , wo eben die pro-
testantische Mission festen Fuss zu
fassen und Früchte ihrer mühevollen Arbeit zu sehen
begann . Das liess der katholischen Kirche nicht Ruhe : sie trat an
einzelnen Stellen mit rohster Gewalt ( die dann durch Lügen
aller Art verdeckt wurde ) der protestantischen Mission entgegen und
brachte zu den eben bekehrten Heiden den Streit der kirchlichen
Parteien . Lutteroth , den zu widerlegen Michelis sich vergebens
bemüht , hat dies scharf und schlagend bewiesen . Auch
Streitigkeiten , die in ihrem eigenen Schooss entstanden sind ,
brachte sie zu den Neubekehrten , wie Humboldt b , 5 , 133 von
Südamerika erzählt . Uebrigens ist auch die
protestantische Kirche in der Schonung solcher Heiden , die von
einer andern protestantischen Sekte bekehrt waren , durchaus nicht
übermässig zart gewesen . An manchen Orten ( Nordamerika ,
Afrika u s.w. ) hat auch sie statt des Friedens des Christenthums
den Streit der Sekten gebracht . Welchen Einfluss musste das auf die
eben gewonnenen Naturvölker und deren Charakter machen ! Dabei
darf auch nicht vergessen werden , dass in den meisten Fällen
sich der Mission die Europäer selbst auf das Heftigste
entgegensetzten , da sie sich durch jene in ihrem oft sehr
weltlichen oder besser gesagt gottlosen Treiben behindert sahen . So
war es namentlich in Polynesien , fast auf jeder Insel ( Meinicke ,
Lutteroth und fast in allen Quellen ) ; so in Amerika schon im 16.
Jahrhundert ( Waitz 4 , 188 ; 338 ) ; so auch in Afrika bei
Hottentotten , Kaffern , Negern , überall . Man sieht , unsere
Kultur verlangt von den Naturvölkern eine geistige Anstrengung
von so enormer Grösse , dass sie mit einem Male und von einer
Generation gar nicht überwunden werden kann . Während aber
nun die Europäer immer frischen Zuzug neuer Schaaren haben ,
die sie in ihren Bestrebungen stärken , während auch bei
den Germanen auf die Stelle einer unterlegenen Schaar eine andere
trat , die das , was jene gewonnen hatten , übernehmend
ausführte , was noch nicht geleistet war , so fehlt es bei der
geringen Kopfzahl der Naturvölker an solcher kraftgebenden und
aushelfenden Ersatzmannschaft , durch welche die Arbeit sich
theilen , die Aneignung sich leichter und allgemeiner vollziehen
könnte . Daher wird der lebenden Generation eine um so
grössere und schwerere Aufgabe gestellt und es ist schon
deshalb klar , dass eine Generation , ja dass zwei , drei Generationen
ihr nicht genügen können . Die Grösse der Aufgabe ,
die enorme geistige Anstrengung selbst erschwert aber das
gedeihliche Weiterleben der Generationen durch den geistigen Druck
so sehr , dass wir auch hierauf mit allem Nachdruck hinweisen
müssen . Und zweitens müssen wir auch wieder betonen , dass
der Hang zur Melancholie durch solche Ueberanstrengung , wo in den
meisten Fällen nur allzubald sich zeigt , dass ein auch nur
einigermassen befriedigendes Ziel kaum zu erreichen ist , immer
vergrössert wird , ja dass er geradezu Charakterzug der
Völker wer-
den kann . Und so finden wir es im allgemeinen wie im
einzelnen . Tschudi 2 , 286 erzählt von einem Botokudenknaben ,
der von einer Familie in Bahia sorgfältig aufgezogen und dann
zum Studium der Medizin auf die Universität geschickt wurde .
Er erwarb sich den Doktortitel , übte auch eine Zeitlang die
Praxis selbständig , bis er verschwand . » Eine tiefe
Melancholie war immer der Grundzug seines Charakters . «
Später erfuhr man , dass er wieder , nachdem er sich jeglicher
Spur von Civilisation , auch der Kleider , entledigt , als Jäger
durch die Wälder streife . Einen ganz gleichen Fall von einem
jungen Choktaw , der Advokat geworden war , hernach aber durch
Melancholie ( woran freilich der Kastenhochmuth der
Nordamerikanischen Weissen mit Schuld war ) bis zum Selbstmord
getrieben wurde , erzählt Waitz b , 71-72 . Diese Fälle zu
erklären , reicht es nicht aus , bloss an die » schiefe
Stellung « zu erinnern , in welche solche Individuen gerathen ;
denn bei jenem Botokuden trifft dies nicht zu , da in
Südamerika das Verhältniss der Farbigen zu den Weissen
kein ungünstiges ist : wesentlich mitgewirkt hat bei ihnen und
ähnlichen , wie wir sie bei Individuen und ganzen Völkern
finden , die ewige Demüthigung auf der einen , die
Ueberanstrengung auf der anderen Seite .
§ 16. Behandlung der Naturvölker durch die Weissen .
Afrika. Amerika .
Wir kommen nun zu dem düstersten Punkt in unserer ganzen
Schilderung , zu der düstersten Partie vielleicht in der ganzen
Geschichte der Menschheit : zu der Art , wie die Weissen die
Naturvölker behandelt haben . Die Laster , die sie ihnen
brachten oder bei ihnen beförderten , brauchen wir hier , da wir
sie schon oben an verschiedenen Stellen erwähnten , nicht noch
einmal im Zusammenhang zu besprechen . Beginnen wir mit
Südafrika . Die Hottentotten zeigen sich uns gleich bei ihrem
ersten Bekanntwerden als ein Volk , das früher eine viel
grössere Macht und Ausdehnung besessen hatte und damals schon
in einer Art Verfall war . Von den umwohnenden afrikanischen
Völkerschaften waren sie überall verdrängt ,
namentlich von Norden nach Süden geschoben und nicht nur sehr
vermindert , sondern wie es scheint , auch in ihrem inneren Wesen
gebrochen oder wenigstens , durch die ewigen Kriege und Niederlagen ,
wesentlich beschädigt worden ( Waitz 2 , 323 ff. ) . Schlimmeres
aber brachten ihnen die Holländer , welche sich seit 1652 am
Cap niederliessen und natürlich den Eingeborenen so viel Land
ohne weiteres wegnahmen , als sie brauchten . Sie brauchten aber , da
sie aus Faulheit alles
brach liegen liessen und stets nur frisches
Land bebauten , da sie ferner aus dem gleichen Grund lieber
Viehzucht als Ackerbau trieben , sehr viel Land . Die Hottentotten ,
welche zu Sklaven zu machen das Gesetz verbot , machten sie zu ihren
Knechten , die , weil man sie nicht verkaufen konnte , viel schlechter
gehalten wurden als Sklaven ( Waitz 2 , 331 ) . Als freilich die
Engländer 1796 in Besitz des Caps kamen , zeigten sie sich aus
Nationaleitelkeit anfangs zwar sehr empört über das
Benehmen der Holländer ; allein gar bald thaten sie es ihnen in
Allem nach ( ebd. 332 ) . Wie man mit » dem schwarzen
Vieh « , den Hottentotten , verfuhr , zeigt sich z. B. in
folgendem Fall , den Sparmann erzählt . Ein Holländer hatte
einen hottentottischen Knecht , der im Fieber lag und dessen
Krankheit durch eine auf des Herrn Bitte von Sparmann unternommene
Kur sehr verschlimmert wurde ; Sparmann suchte den sehr
niedergeschlagenen Boer zu trösten : allein jener fuhr auf : er
kümmere sich den Teufel um den Hottentotten und seine Seele ,
wenn er nur einen anderen Ochsenführer , um seine Butter zu
verkaufen , fände ( Sparmann 273 ) . Dies war aber kein
vereinzelter Fall , sondern allgemeine Ansicht und so werden wir uns
über die Einrichtung der sogenannten Commandos gegen die
Eingeborenen , welche 1774 etwa zuerst aufkamen , nicht sehr wundern
können . Der Bericht eines Offiziers über solch ein
Commando bei Waitz lautet ( 2 , 333-34 ) :
» 27. Sept. 1792 der erste Kraal angegriffen , 75
Buschmänner getödtet , 21 gefangen .
15. Oktober ein anderer Kraal entdeckt , 85 getödtet , 23
gefangen .
20. Okt. ein dritter entdeckt , 7 getödtet , 3
gefangen . «
» Man wird einigermassen , fährt Waitz fort , die
Ausdehnung ermessen können , in welcher diese Vertilgung
besonders der Buschmänner betrieben wurde , wenn man bedenkt ,
dass Coblins ( 1809 ) einen sonst respektablen Mann erzählen
hörte , er habe binnen 6 Jahren mit seinen Leuten zusammen 3200
Buschmänner getödtet und gefangen , wogegen ein anderer
mittheilte , dass die Commandos , an denen er sich betheiligte , 2700
Buschmännern das Leben gekostet hätten . Thompson kannte
einen Kolonisten , der in 30 Jahren 32 solcher Raubzüge
mitgemacht hatte , auf deren einem 200 Buschmänner umgebracht
seien . Mit dem Eintritt der englischen Herrschaft am Cap hatte zwar
das Commandosystem aufhören sollen , aber die Boers waren so
sehr an dasselbe gewöhnt , dass es unmöglich war , es auf
einmal zu beseitigen . Von 1797-1823 , d.h. bis zur Okkupation des
Landes der Buschmänner , werden 53 Commandos offiziell
angegeben ; es ist unzweifelhaft , dass das System 1823 nach einigen
Unterbrechungen wieder in voller Blüthe war und es scheint den
Buschmännern unter der englischen Herrschaft noch trauriger
gegangen zu sein , als unter der holländischen . Dass die
Hottentotten-
bevölkerung der Capkolonie unter der englischen
Herrschaft bis zum Jahr 1822 um die Hälfte zugenommen habe
( Zeitschr. 1 , 287 ) ist wenig glaubhaft und sicherlich nur
scheinbar . « Die Boers zogen , um den ihnen verhassten
englischen Gesetzen nicht gehorchen zu müssen , 5000 an der
Zahl , um 1836 nach Port Natal , wo sie ihre scheussliche
Willkürherrschaft , ihre Commandos und Knechtung der
Eingeborenen noch jetzt , wie sie es selbst bei Livingstones
Anwesenheit thaten , fortsetzen ( Waitz 2 , 336 ) .
Man wird es nicht eben wunderbar finden , wenn die Hottentotten
diesem Hauche der Kultur erlagen ; wenn jetzt ihr Hass gegen die
Weissen so gross ist , dass ein friedliches Einwirken der letzteren ,
wenn nicht unmöglich , doch ausserordentlich erschwert ist :
wenn endlich die Hottentotten jetzt sehr viel roher , träger
und sittlich schlechter sind als zu der Zeit , da man sie zuerst
kennen lernte . Stand doch über manchen Kirchen der
Holländer : » kein Hund und kein Hottentotte darf
eintreten « ( Waitz 2 , 333 ) . Haben doch die Boers nach
Kräften die Christianisirung der Eingeborenen zu hindern
gesucht , indem sie verboten , dass ihre Sklaven und deren Kinder
getauft wurden und bei Lebensstrafe denselben die Missionsstation
auch nur zu nennen verboten . Die holländische Compagnie selbst
war es , welche die mährischen Brüder aus dem Lande der
Hottentotten vertrieb , weil sie auf letztere einen zu grossen
Einfluss gewannen . Ja noch 1831 , als die Hottentotten am Kat River
sich niedergelassen und dort unter Leitung der Missionäre zu
einer gewissen Blüthe gelangt waren , gelang es kaum , die Boers
von der Zerstörung dieser Colonie mit Gewalt
zurückzuhalten ( Waitz 2 , 336 ) .
Und in diesem Zustande leben die Hottentotten nun schon
über 200 Jahr und sind noch nicht ausgerottet !
Gehen wir nun nach Amerika . Die Indianer Nordamerikas kamen den
Europäern anfangs freundlich entgegen ( Waitz 3 , 242 ) , aber die
Weissen waren es , welche das Verhältniss trübten .
Zunächst vernichteten sie wegen verhältnissmässig
geringfügiger Veranlassung das Volk der Pequots ; an 700 wurden
bei einem plötzlichen Ueberfall getödtet , die
übrigen zerstreut , gefangen und von Staatswegen als Sklaven
verkauft ( Waitz 3 , 244 ) . Sklavenjagden in Nordamerika von Seiten
der Engländer und Spanier waren ganz gewöhnlich . Die
frommen Puritaner , die Gott dankbar waren für jede verheerende
Krankheit , welche unter den Indianern wüthete ( Waitz 3 , 242 ) ,
sahen in jedem gelingenden Greuel der Christen gegen die Indianer ,
namentlich wenn diese massenweise zu Grund gingen , ein Zeichen
göttlicher Gnade , in jedem Misslingen eines Mordzuges einen
göttlichen Zornausbruch gegen sie selber und bekannten dies
laut ( Waitz 3 , 244-45 ) . Man dachte gar bald daran , die Indianer
ganz auszurotten : und soll uns das wundern , wenn wir erfahren , dass
noch in diesem Jahrhundert der Regierung der Ver-
einigten Staaten
ein förmliches Projekt zur Vertilgung der Indianer vorgelegt
wurde ? Und wie man sie vertilgte ! » Die Engländer ,
versichert Trumbull bei Waitz 3 , 248 , hatten damals ( im 17.
Jahrhundert ) und später viel Zweifel darüber , ob es sich
mit dem Christenthum und der Menschlichkeit vertrage , die Feinde
lebendig zu verbrennen . « Die Weissen haben , wie schon hieraus
hervorgeht und auch sonst überall , oft sogar mit dem
grössten Rühmen , bezeugt wird , den Krieg mit derselben
und oft noch viel ärgerer Grausamkeit geführt , als die
Indianer selbst ( ebd. 258. 260 ) ; noch 1830 haben sie , wie
früher öfter , unter den Pani das Blattergift verbreitet
( ebd. 259 ) . Wie man nun die Völker um ihr Land geprellt , wie
man sie später immer weiter nach Westen und schliesslich
über den Missisippi hinübergedrängt hat , ohne
Rücksicht auf die bedeutend aufblühende Kultur der
Cherokees , welche durch diese Verpflanzung einen schweren Stoss
erlitt , das mag man bei Waitz 3 bis 299 und b , 26-60 nachlesen : wir
wollen nur noch bemerken , dass die Natchez , die Schawanoes , die
Delawares , Potowatomies , Seminolen , Kaskaskias und andere einst
mächtige Völker von den Weissen vernichtet oder so gut
wie vernichtet sind ( Waitz 1 , 166 ) .
In Südamerika traten die Europäer womöglich noch
scheusslicher auf . » Benzoni , sagt Waitz 3 , 399-100 in
Beziehung auf Guyana , hat als Augenzeuge ein schauerliches Bild
davon entworfen , wie die Spanier in diesen Ländern hausten .
Das Verbot , Sklaven zu machen , war kein Verbot , Sklaven zu halten .
Die gewöhnliche Formel , mit welcher letzteres erlaubt wurde ,
lautete : ihr sollt als Sklaven halten dürfen die von den
eingeborenen Herren des Landes als solche gehalten und euch
verkauft werden . Das gewöhnliche Verfahren , welches namentlich
in Maracapana oft zur Ausführung gekommen ist , bestand daher
darin , dass man einen Häuptling einfing , der gezwungen wurde ,
sich durch den Verkauf seiner Leute als Sklaven die Freiheit zu
erwerben , und dass man die so gewonnenen Sklaven dann von der
Behörde für rechtmässig erklären liess .
Unterwarf sich aber ein Häuptling freiwillig , so fiel man mit
ihm über seine Feinde her , um diese zu versklaven oder suchte
Streit mit ihm selbst . Nasen- und Ohrenabschneiden war eine
gewöhnliche und nicht selten ausgeführte Drohung der
Spanier gegen Indianer , die sich ungefügig zeigten , und da das
Gesetz verbot , die Lastthiere zu überbürden , damit sie
sich reichlich vermehren könnten , diente auch dies als
Vorwand , die Eingeborenen selbst als Lastthiere zu gebrauchen .
Nächst der Minenarbeit und persönlichen Dienstbarkeit
überhaupt hat vorzüglich auch die Entführung vieler
Weiber ihre Zahl verringert . Natürlich liessen sich das die
streitbaren Indianer nicht ohne Weiteres anthun und man kann
denken , welche fürchterlichen Kämpfe eine solche
Behandlung hervorrufen musste und wie diese Kämpfe selbst ,
obwohl zum Theil glücklich für sie , die India-
ner
decimiren mussten . In Brasilien wars um nichts besser . Obwohl man
anfangs den Eingeborenen die Freiheit zugesprochen hatte , kam man
doch sehr bald dahin , dass man Menschenjagden erst duldete und dann
( seit 1611 ) allgemein gestattete und diese entwickelten sich gar
bald zu einer solchen Höhe , dass in den 3 Jahren 1628-1630 in
Rio de Janeiro allein 60,000 Indianer , meist aus Paraguay , in die
Sklaverei verkauft wurden , wobei es natürlich auch wieder zu
den scheusslichsten Kriegen kam , in welchen Europäer und
Indianer gleichmässig verwilderten ( Waitz 3 , 450-51 ) .
Allerdings setzten sich die Missionäre ( Jesuiten ) hiergegen ,
allein nur , um die Arbeitskraft der Indianer ihrem Orden zukommen
zu lassen , und meist mit so geringem Erfolg , dass ihr Widerstand
gar nichts bedeutete . Uebrigens ist auch jetzt noch das Loos der
unter brasilianischer , also portugiesischer Herrschaft stehenden
Indianer kaum besser ( ebd. 453 ) , wie die Portugiesen wohl
diejenigen Europäer sind , welche am unmenschlichsten mit den
Amerikanern umgingen . Das beweist auch , wie sie mit den Indianern
der Pampas verfuhren . Wir wollen hören , was hierüber v.
Tschudi 2 , 261-64 von vergangenen Zeiten und von der Gegenwart
sagt : » Das Verhältniss zwischen den erobernden
Portugiesen und den Indianern war seit dem 16. Jahrhundert im
allgemeinen ein getrübtes . Bekanntlich trachteten die
Ansiedler so viel als nur möglich , die Eingeborenen für
die Feldbestellung und für den Bergbau zu benutzen . Diese aber
fanden im ganzen wenig Freude an solchen ihren natürlichen
Neigungen mehr oder weniger widerstrebenden Verrichtungen und
wollten ebenso wenig in ein Dienstverhältniss zu den
Eindringlingen treten . Die gebieterische Nothwendigkeit ,
Arbeitskräfte zu besitzen , führte die Portugiesen
allmählich dahin , sich der Indianer mit Gewalt zu
bemächtigen und sie zu unentgeltlichen Dienstleistungen zu
zwingen . Binnen kurzem bildete sich eine Indianersklaverei und ein
schwunghafter Menschenhandel aus . Banden kühner Abenteurer
zogen nach den Urwäldern auf Menschenjagd und verkauften nach
der Rückkehr ihre Beute an Grossgrundbesitzer , in denen sie
stets willige Abnehmer fanden . Königliche Verordnungen
autorisirten gewissermassen dieses empörende Verfahren und nur
an der Gesellschaft Jesu fanden die hartbedrängten Urbewohner
Vertheidiger und Beschützer . Durch massenhafte Einfuhr von
Sklaven von der afrikanischen Küste , verbunden mit einer etwas
humaneren Gesetzgebung , verminderte sich , besonders im 18.
Jahrhundert , die Indianersklaverei , dagegen aber entwickelte sich
an vielen Grenzpunkten der Civilisation ein förmlicher
Vernichtungskrieg zwischen Portugiesen und Indianern .
Ueberlegenheit der Angriffs- und Verteidigungswaffen sicherten den
ersten den Erfolg ..... deren weite mit gehacktem Blei geladene
Trabucos oft schreckliche Verwüstungen unter den Gegnern
anrichteten .
Wilde Bluthunde , die ausschliesslich auf Indianerfährten
abge-
richtet waren , halfen den nicht weniger blutdürstigen
Menschenjägern die feindlichen Lager ausfindig machen . Die
Offiziere wetteiferten , wer die besten Indianerhunde besitze , und
ein gewisser Lieutenant Antonio Pereira liess die seinigen nur
Indianerfleisch geniessen , um sie stets bei guter Nase zu erhalten .
Als durch die Einführung der weit arbeitsfähigeren Neger
die Indianer fast ganz entwerthet wurden , so handelte es sich bei
solchen Expeditionen nicht mehr darum , Menschen zu fangen , sondern
nur eine möglichst grosse Zahl zu morden . Um diesen Zweck , die
Vernichtung der Indianer , in ausgedehntem Massstabe zu erreichen ,
griffen die Portugiesen zu den niederträchtigsten Mitteln . Sie
legten Kleider von Personen , die an Blattern oder Scharlach
verstorben waren , in der Absicht in die Wälder , dass Indianer
sich diese aneignen und infolge dessen Epidemien unter ihnen
ausbrechen und grässliche Verheerungen unter ihnen anrichten
sollten . « Also ganz wie es die Engländer in Nordamerika
machten ! — Nachdem nun Tschudi gesagt hat , dass die Spanier
zu solchen schändlichen Mitteln nie gegriffen hätten ,
fährt er fort : » trotz der schönen aber leider so
mangelhaft ausgeführten Constitution Brasiliens hat der
Vernichtungskrieg gegen die Indianer der Provinz Minas bis auf die
neueste Zeit noch fortgedauert . Heute noch ( 1860 ) leben dort
Individuen , denen eine Indianerjagd der höchste Genuss ist und
die noch sorgfältig Schweiss- und Spürhunde zu diesem
Zwecke pflegen . Nur eine kurze Zeit ist verflossen , seit ein
kaiserlich brasilianischer Militärcommandant als Repressalien
für einen von den Indianern begangenen Mord ein Indianeraldea
( Dorf ) überfiel und als Siegestrophäe dreihundert
Ohren von grausam abgeschlachteten Indianern in den Flecken St.
Matheus , südlich vom Mukury brachte ! Selbst der kaiserliche
Commissionär ... neigt sich mehr zu den Vertilgungsmitteln
hin , als auf rein menschliche Weise die Indianer der Civilisation
unterthan zu machen ....
Ottoni führt einige Beispiele an , wie der Vernichtungskrieg
gegen die Indianer auch in neuerer Zeit geführt wurde . Der
Schauplatz dieser elenden Thaten war das Quellgebiet des Mukury und
ein Theil von dem des Jaquitinhonha . Die Hauptleiter der
Mörderexpeditionen waren zwei indianische Soldaten Cré
und Crahy , denen sich als dritter würdiger Genosse ein
gewisser Tidoro zugesellte . Sie handelten aber nur auf höheren
Militärbefehl . » Eine Aldea umbringen « war ihr
Losungswort , der Zauber , der sie für ihr Henkerhandwerk
fanatisirte . Mit Hülfe kaiserlich brasilianischer Soldaten und
» Liebhaber « ( oft den besten Ständen
angehörend ) umringten sie während der Nacht die dem
Untergang geweihte Aldea und stürmten sie mit dem ersten
Tagesgrauen , so dass die aufgehende Sonne nur noch blutrauchende
grässlich verstümmelte Leichname beschien . Die arglosen
Indianer hatten gewöhnlich keine Idee von dem ihnen drohenden
Verhängniss : sie wurden meistens im tiefen Schlaf
überrascht .
Die Soldaten bemächtigten sich immer zuerst
der in einer Ecke zusammengestellten Bogen und Pfeile , um so
weniger gefährdet die wehrlosen Indianer abzuschlachten . Nur
die Kinder ( Kurukas ) wurden verschont , sie waren Kriegsbeute ! Ein
solches Kuruka wurde in der Regel für 100 Milreis verkauft .
Selbst in neuester Zeit war der Gewinn , der aus dem Verkauf der
erbeuteten Kinder gezogen wurde , das einzige Motiv , um eine Aldea
umzubringen . Und dieses geschieht im constitutionellen Brasilien
gegen die ursprünglichen Bewohner des Landes ! Am Rio
Jaquitinhonha , am Mukury , am Rio St. Matheus , am Rio Dolce sind
zahlreiche Beispiele dieser Menschenschlächtereien
vorgekommen . Vier Jahre vor meinem Besuch am Mukury leiteten die
Henkersknechte Cro und Crahy eine solche Metzelei bei Queriba am
Jaquitinhonha . Sogar im Jahr 1861 wurde wenige Meilen von
Philadelphia eine derartige Menschenschlächterei
ausgeführt . Im Jahre 1846 wurde in Marianna , 2 Leguas von St.
Jose de Porto Alegre , an der Mündung des Mukury , der Tribus
des Häuptlings Shiporok fast gänzlich vernichtet .
Sechzehn Schädel der ermordeten Indianer kaufte ein Franzose
und schickte sie an ein pariser Museum . «
Man muss diese Nachrichten , welche jede Vorstellung
übersteigen , bei einem so glaubwürdigen Schriftsteller
wie Tschudi selbst lesen , um sie zu glauben . Uebrigens ging es den
Araukanern kaum besser , die in einem fast 200jährigen Kampfe
( von 1540-1724 ) mit den Spaniern um ihre Unabhängigkeit
rangen . Auch hier waren es wieder die Europäer , welche die
grauenvollsten Grausamkeiten gegen die tapferen und edeln
Amerikaner begingen , welche letztern aber auch , wie es
natürlich war , in einem solchen Krieg verwilderten und
herunterkamen , so dass man jetzt in ihnen die alten Araukaner nicht
mehr zu suchen braucht ( Waitz 3 , 521 ff. ) . Wie die Spanier noch in
diesem Jahrhundert gegen sie verfuhren , geht aus folgender , von
einem Augenzeugen erzählten Geschichte hervor , welche den
portugiesischen Schandthaten würdig zur Seite steht :
» von einem Indianerstamme , der sich in seinem Versteck aller
Nachforschungen entzog , konnte Major Rodriguez nur ein Weib
auffinden mit ihrem Sohn und ihrer Tochter , die noch Kind war .
Drohungen und Versprechungen bewirkten nichts über sie , um sie
zur Verrätherei zu bewegen . Da liess man den Sohn niederknien
und erschoss ihn vor den Augen seiner Mutter und Schwester . Dennoch
wollte das Weib nichts gestehen . Auch sie musste niederknien , um zu
sterben ; da erbot sich die Tochter , das Versteck ihres Vaters und
ihrer Brüder zu verrathen . Die Mutter stürzte
wüthend über sie her und wollte sie erdrosseln , doch man
entriss ihr das Kind und schleppte sie fort in der von diesem
bezeichneten Richtung , während sie die Tochter mit den
härtesten Vorwürfen wegen ihrer Feigheit und Entartung
überhäufte . Ihre ganze Familie musste sie hinschlach-
ten
sehen und gab verzweifelnd und mit dem letzten Athemzuge den
Mördern fluchend bei diesem Anblicke ihren Geist auf «
( Waitz 3 , 526 ) . Solche Beispiele viehischer Unmenschlichkeit stehen
keineswegs als einzelne wegen ihrer besonderen Scheusslichkeit
merkwürdige Fälle da : sie sind in diesen Kriegen das ganz
Gewöhnliche .
v. Tschudi gab an , dass die Botokuden bei den Jesuiten Schutz
gefunden hätten ; und wenn allerdings die Geistlichen bisweilen
ihre Stimmen für die Unterdrückten erhoben , so war das
keineswegs überall oder immer der Fall ; ja die Geistlichen
wurden sehr häufig nur eine neue Plage für die
Eingeborenen durch die Mittel , wie sie die Indianer für die
Taufe gewannen : einfach dadurch , dass sie dieselben jagten , fingen
und dann tauften oder so lange einsperrten , bis sie sich taufen
liessen , was freilich von den spanischen Gesetzen verboten war ,
aber doch oft genug , mit Hülfe anderer Indianer ,
ausgeführt wurde . Nur allzubekannt ist jene fürchterliche
Geschichte von der Guahibaindianerin , welche mit ihren Kindern
gefangen worden war und von der
Zu der Guahiba und der Christen Bildniss
Erzählet jener Stein mit stummem Munde
Am Atapabos-Ufer in der Wildniss .
Diese Geschichte spielt etwa um 1770 : und Humboldt , welcher sie
uns aus dem Munde der Geistlichen selbst erzählt ( b , 5 , 81
ff . ; vgl . Chamisso Werke 4 , 69 ff. ) , fährt fort :
» Dergleichen Jammer kommt überall vor , wo es Herren und
Sklaven gibt , wo civilisirte Europäer unter versunkenen
Völkern leben , wo Priester mit unumschränkter Gewalt
über unwissende , wehrlose Völker gebieten «
( Humboldt a.a.O. 85 ) . Und er hat Recht : denselben Jammer finden wir
in Californien wieder , wohin die spanische Herrschaft
hauptsächlich durch Missionäre gebracht war , und wo diese
letzteren Schlingen legten , um Indianer zu fangen oder zu demselben
Behuf bewaffnete Schaaren ausschickten . Widersetzte sich einer der
Eingeborenen der neuen Lehre , so sperrte man ihn zunächst ein
und liess ihn hungern , dann zeigte man ihm Fleisch , um ihm von dem
guten Leben , das ihn bei den Missionären erwarte , einen
Begriff zu geben und suchte ihn so zum — Christenthum zu
gewinnen ( Beechey 1 , 356 ) . Wiedereingefangene Deserteure erhielten
nach Langsdorff Stockprügel , die sehr häufig auch bei
Frauen angewendet wurden , und es wurde ihnen ein schwerer Eisenstab
angehängt , um fürderhin Flucht ihnen unmöglich zu
machen . Da nun die so Bekehrten ganz wie Sklaven den frommen
Missionären dienen mussten , so ist es einmal kein Wunder , wenn
sie , um dieser Religion , dieser Kultur zu entfliehen , kein Mittel
scheuten , auf der anderen Seite aber auch nicht , wenn wir sie
massenhaft in den Missionen sterben sehen . Krankheiten
wütheten und von Jahr zu Jahr wuchs die Sterblichkeit . 1786
waren 7701 Indianer getauft , von denen 2388 starben ; 1813 waren
57,328 getauft ,
aber gestorben 37,437 ( Beechey 1 , 370 ) . — Als
nun später die Missionen durch die politischen
Verhältnisse Californiens verfielen , wurde das Loos der
Eingeborenen noch schlimmer . Sklavenjagden oder auch geradezu
Menschenhetzen begannen , man schoss sie nieder , ohne Unterschied
des Alters und Geschlechtes , wo man sie traf . Ein spanischer
General hatte ( nach Wilkes ) Californier zu Soldaten einexercirt ;
als sie sich aber sehr brauchbar zeigten , bekam er Furcht vor ihnen
und liess sie alle niederschiessen ( Waitz 2 , 244-51 ) .
Am allerärgsten aber haben die Weissen in den kultivirten
Gegenden Amerikas gehaust , welche sie zuerst vom ganzen Continente
kennen lernten . Die Eroberung von Mexiko kostete , wie ein Spanier
( Clavigero bei Waitz 1 , 189-90 ) angibt , mehr Menschen , als
während der ganzen Dauer des mexikanischen Reiches den
Göttern geopfert sind ; wenn auch die Behauptung desselben
Schriftstellers , die Bevölkerung des Landes sei durch die
Eroberung bis auf ein Zehntel gesunken , von Waitz ( 4 , 190 ) mit
Recht als übertrieben angesehen werden mag . Aber Gomara
selbst , der für Cortez schreibt , berichtet , dass weder Weiber
noch Kinder von den Spaniern geschont seien ( Waitz 4 , 186 ) ; und
doch war Cortez noch derjenige , welcher wenigstens ohne
unnöthige Grausamkeit verfuhr , während seine Nachfolger
geradezu unmenschlich hausten . Doch auch Cortez vertheilte ,
trotzdem es ihm hart erschien , die Mexikaner unter die spanischen
Eroberer als Knechte und der höchste Adel sowohl wie gemeines
Volk mussten ihren Enkomenderos die härteste Arbeit thun ,
unter der sie , überhaupt nicht an strenge Arbeit , am
allerwenigsten aber an so ganz unmenschliche Ueberbürdung
gewöhnt , massenweis erlagen . Widerspenstige oder wer ,
gleichviel aus welchem Grunde , den Tribut nicht zahlte , wurden als
Sklaven verkauft . Dieser Tribut aber war enorm und wurde mit der
grössten Strenge , sehr häufig auch mit den ärgsten
Betrügereien und Erpressungen beigetrieben . Viele
tödteten sich nun aus Verzweiflung , andere verabredeten sich ,
keine Kinder mehr zu erzeugen oder künstlichen Abortus zu
bewirken , um wenigstens ihre Nachkommen von diesem ganz
unerträglichen Elend , das noch durch jene fürchterlichen
eingeschleppten Krankheiten furchtbar erhöht wurde , zu
bewahren . Bei der Eroberung waren die Wasserleitungen mit
zerstört und dadurch erhob sich neues Elend : denn ein grosser
Theil des Landes ward dadurch zur Wüste ( Waitz 4 , 187 ) . Das
Christenthum , das übrigens sobald es sich der Eingeborenen
annahm , von den spanischen Machthabern aufs Heftigste angefeindet
wurde , kam nun auch und mit ihm die Inquisition , die gar nicht
selten 100 Ketzer auf einmal verbrennen liess ( 4 , 189 ) —
kurz , es ergoss sich auf die unglücklichen Menschen ein so
grimmiges Elend , wie vielleicht kein Volk sonst hat aushalten
müssen , und es ist kein Wunder , wenn auch hier die
Eingeborenen vor dem » Hauche der Kultur « schaarenweis
starben ; ein
Wunder ists nur , dass sie trotz aller dieser Leiden
bis auf den heutigen Tag nicht ausgerottet sind .
Nicht anders hausten die Spanier in Guatemala ( 4 , 268 ) , in
Nikaragua ( 280 ) und noch ärger auf den Antillen und Lukayen
( Bahamainseln ) , deren Einwohner , mehrere 100,000 an der Zahl
innerhalb weniger Jahrzehnte gänzlich vernichtet sind , wozu
die eingeschleppten Krankheiten , die Minenarbeiten , die
nichtswürdigen Knechtungen und oft ganz zwecklose
Menschenmetzeleien das Meiste beitrugen . Massenweise tödteten
die Eingeborenen sich selbst . Columbus selbst hatte ganz dieselbe
Gesinnung wie seine Landsleute : Menschenraub , Sklaverei , grausame
Verstümmelungen geschahen auf seinen Befehl und die spanische
Regierung war , obwohl Isabella diese Behandlung der Eingeborenen im
höchsten Grade missbilligte , viel zu schwach , irgend etwas
Bleibendes zu Gunsten der Indianer zu erreichen ( Waitz 4 , 331.
334 ) .
Ebenso ging es in Darien ( 4 , 351 ) und Neu-Granada ( 377 ) und dass
es in Peru eher schlimmer als besser war , dafür bürgt
schon der Name Pizarro . Das beliebte Mittel der Portugiesen ,
Bluthunde , die auf Indianer dressirt waren , gegen diese
loszuhetzen , wurde hier namentlich angewandt . Wir erinnern hier an
die schon erwähnte Bitte des gefangenen Fürsten , ihn
nicht verbrennen , nicht den Hunden vorwerfen , sondern einfach
erhängen zu lassen ( 1 , 478 ff. ) . Nach Gomara sind in den
Kriegen unmittelbar nach der Eroberung etwa anderthalb Millionen
Eingeborene aufgerieben ; die übrigen litten unter dem Druck
der Encomiendas und Mitas ( zwangsweise Vermiethung der Eingeborenen
an Privatleute , von der Mestizen , Mulatten , Zambos frei waren ) so
unerträglich , dass sie durch das Uebermass von Arbeit
schaarenweis aufgerieben wurden . Dazu kam noch der furchtbare
Steuerdruck unter den habgierigen Spaniern , an welchem sich
übrigens die Geistlichkeit ohne die geringste Scheu aufs
lebhafteste mit betheiligte . Nimmt man dies leibliche Leiden
zusammen , und dazu das Bewusstsein der gänzlichen Ohnmacht
gegen diesen Gegner , so wird man sich die psychischen Leiden dieser
Menschen denken können ; diese fallen aber mit dem
grössten Gewicht in unsere Wagschale , da ihnen gewiss grosse
Mengen erlegen sind , wie vielfach bezeugt ist . Gewiss , wenn man die
Amerikaner in Nord und Süd betrachtet , deren Bedrückung
noch nirgends ganz aufgehört hat , so ist das das allein
Wunderbare , dass jetzt , nach 300 oder 200 Jahren eines solchen
Druckes , noch irgend etwas von der Urbevölkerung existirt .
§ 17. Fortsetzung . Der stille Ozean .
Eine ähnliche Behandlung wie die bisher besprochenen
Völker von Holländern , Engländern , Spaniern und
Portugiesen erfuhren die Kamtschadalen und Aleuten durch die
Russen . Nach King ( Cook 3te Reise 4 , 171 ) wüthete der Russe
Atlassof , der 1699 Kamtschatka zuerst entdeckt hatte , seit 1706 zum
zweiten Male Befehlshaber daselbst , » um die Einwohner mit
guter Art und durch friedliche Mittel zu gewinnen « , in dem
Lande so arg , dass seine eigenen Leute , die Kosaken , welche bis
dahin friedlich mit den Kamtschadalen ausgekommen waren , gegen ihn
einen Aufstand erhoben und sich in den Besitz der Halbinsel
setzten . Dadurch ward es aber nicht besser , denn sie wütheten ,
einmal an Mord und Blut gewöhnt , von nun ab unter den
Eingeborenen von Kamtschatka selbst . » Die Geschichte dieser
Halbinsel von jenem Zeitpunkte an bis in das Jahr 1731 ist eine
Reihe von Mordthaten , Empörungen und wilden blutigen Gefechten
kleiner im ganzen Lande streifender Parteien . « Damals
nämlich erhoben sich die erbitterten Kamtschadalen , um ihr
Land nicht immer weiter unterjocht werden zu lassen und um sich an
ihren Peinigern zu rächen . Behring war zu jener Zeit da ,
welcher alle ihm entbehrlichen Truppen , mit Ausnahme kleiner
Besatzungen in den Festungen des Landes , gegen die Tschuktschen
schickte , denn bei der ausserordentlichen Klugheit ,
Verschwiegenheit und Energie der Kamtschadalen hatte weder er , noch
irgend sonst ein Russe eine Ahndung von einer Verschwörung ,
welche über die ganze Halbinsel ausgebreitet war . Sie war sehr
gut organisirt ; von kleinen aufhaltenden Zwischenfällen z. B.
waren in kürzester Frist alle Oberhäupter derselben
benachrichtigt : und so gelang es denn , nach Behrings Abfahrt den
Kamtschadalen , dass sie die Festungen rasch einnahmen , und alles
was von Russen noch im Lande war ( Weiber und Kinder mit
eingeschlossen ) niedermachten oder in die Gefangenschaft
wegschleppten . Behring aber , durch widrige Winde an der Küste
festgehalten , erfuhr das Geschehene , kehrte zurück und
belagerte das Fort , wohin sich die Kamtschadalen auf Kunde seiner
Rückkehr geworfen hatten ; allein nicht eher konnte er es
— so tapfer war der Widerstand — einnehmen , als bis es
endlich durch einen Zufall in die Luft gesprengt wurde . Da nun die
Kamtschadalen auch in einigen offenen Gefechten , die sehr blutig
waren und sonst den kürzeren zogen , so mussten sie sich zum
Frieden bequemen . Von da ab blieb alles ruhig , einzelne
Aufstände abgerechnet — welche ein deutliches Bild
geben , wie die Russen sich gegen die durch jenen Aufstand
gebrochenen Kamtschadalen betrugen . Wenn die Halbinsel , nach King ,
sich nach 1731 wieder so erholt haben soll ( doch King selbst
berichtet zweifelnd ) , dass sie später volkreicher war als
früher , so ist dieser Nachricht kein Glauben zu schenken , oder
sie bezieht sich auf die
Erhöhung der Bevölkerung , welche
durch Einwanderung erfolgte . Die Russen fuhren fort , wie sie
angefangen hatten ; wären die Kamtschadalen noch die alten
gewesen , die mit solcher Umsicht und Thatkraft den Aufstand von
1731 ausführten , sie hätten von Neuem gegen das Joch
anzukämpfen versucht , was bis auf jene ohnmächtigen
Aufstände , welche gegen die Peiniger sich örtlich
erhoben , nicht weiter geschah . Jener Krieg hatte sie eben
gebrochen . Und so erlagen sie denn gänzlich , als zuerst 1767
jene Epidemien ausbrachen , die wir schon geschildert haben .
Abgesehen von Krieg und Seuchen hat ihnen der Pelzhandel
unendlich geschadet. Krusenstern ( 3 , 52-53 ) erzählt , dass die
Agenten der amerikanischen Compagnie und die russischen
Händler im Lande umherziehen , die einzelnen , mit denen sie
handeln wollen , mit Branntwein völlig trunken machen , was
ihnen bei der Leidenschaft der Kamtschadalen für den Trunk gar
nicht schwer wird , und dann den ganzen Vorrath von Pelz , den jene
besitzen , den Besinnungslosen abnehmen , um sich für » die
Menge des getrunkenen Branntweins bezahlt zu machen . « So
verliert der Unglückliche , fährt Krusenstern fort , den
Lohn monatelanger Mühe , statt sich zum Leben nützliche
und nöthige Dinge kaufen zu können , in einem Rausche .
» Grösseres Elend ( S. 54 ) ist auch mit
Niederdrückung seines Geistes verknüpft , welche einen
äusserst schädlichen Einfluss auf seinen ohnehin schon
siechen Körper haben muss , da dieser zuletzt bei
gänzlichem Mangel an substantieller Nahrung und jeder
medizinischen Hülfe beraubt solchen harten Stössen nicht
lange widerstehen kann . Dies scheint mir die wahre Ursache ihrer
jährlichen Abnahme und allmählichen gänzlichen
Ausrottung zu sein , welche durch epidemische Krankheiten , die sie
haufenweise wegraffen , befördert wird . «
Auch auf friedlichem Wege wird ihre Zahl verringert : denn hier
und auf den Aleuten sind sie mit den Russen vielfach durch
Heirathen zusammengeschmolzen .
Allein auch auf den Aleuten haben sich die Russen meist nur
feindselig gezeigt . Namentlich sind es die russischen
Wildjäger ( Promyschlenniks , welche von 1760-90 die Inseln
beherrschten , Waitz 3 , 313 ) , die sich durch wüste Grausamkeit
auszeichnen . » Sie pflegten nicht selten Menschen dicht
zusammenzustellen und zu versuchen , durch wie viele die Kugel ihrer
gezogenen Büchse hindurchdringen könne « , sagt Sauer
( aus dem Tagebuch eines russischen Offiziers , das er in den
Anhängen an seine Reise mittheilt ) bei Chamisso 177 . Dazu
kommt noch die sklavische Knechtung , in welcher Kamtschadalen und
Aleuten von den Russen gehalten werden ( Chamisso 177 und
Langsdorff ) : wie denn z. B. die Hälfte der gesammten
männlichen Bevölkerung von 18-50 Jahren das ganze Jahr
hindurch unentgeltlich von ihnen in Anspruch genommen wird
( Kittlitz 1 , 295 ) . Daher hat Waitz ganz Recht , wenn er die
Nachrichten
über das milde Verfahren der Russen nicht eben
hoch anschlägt ( 3 , 313-14 ) . Nach den Schilderungen von
Chamisso , der hier mit Kotzebue ( 1 , 167 — 68 ) ganz
übereinstimmt , sind sie jetzt ein träges auch in seiner
Freude trübes und theilnahmloses Volk ( Cham. 177 ) , wozu sie in
Folge des unaufhörlichen Drucks geworden sind . Einzelne sollen
sich , ähnlich wie die » wilden Männer « von
Tahiti , in die Berge geflüchtet haben und dort ein
kümmerliches Leben fristen ( Chamisso 177 ) .
Von der Inselwelt des stillen Ozeans kamen die Europäer
zuerst in dauernde Berührung mit den Marianen , wo die Spanier ,
als sie 1668 landeten eine sehr bedeutende Bevölkerung
( 100,000 ist nicht übertrieben , wie wir schon sahen ) auf der
ganzen Kette vertheilt fanden — und um 1710 war nur noch
Guaham , die südlichste und grösste Insel bewohnt , die
anderen verödet . Der Krieg , welchen namentlich Quiroga mit
blutiger Tapferkeit führte , und der über 30 Jahre
dauerte , zahlreiche Epidemien , Verpflanzung der Eingeborenen von
einem Distrikt zum anderen ( welches Mittel auch in Amerika die
verheerendsten Folgen hatte ) trugen zu dieser Vernichtung das
ihrige bei . Aber wenn auch nach den Berichten , die wir haben und
die ganz , wie le Gobien und Freycinet , auf spanischen Quellen
beruhen oder Erzählungen der bei der spanischen Unterwerfung
thätigen Jesuiten sind wie die Berichte im » neuen
Weltbott « ( einer Missionzeitung a. d. Anfange des vorigen
Jahrhunderts ) ; wenn auch nach diesen Quellen die Spanier nicht mit
der empörenden Grausamkeit verfuhren wie in Amerika : so ist es
doch auffallend , dass wir ganz dieselben Erscheinungen hier wie
dort nach ihrem Auftreten finden , wildeste Verzweiflung der
Eingeborenen — welche hier wie dort anfangs den Spaniern sehr
freundlich entgegenkamen — massenhaftes Auswandern derselben ,
zahllosen Selbstmord , künstliche Fehlgeburt oder Ermordung der
Kinder bei der Geburt und schliesslich und sehr bald totale
Entvölkerung der Inseln , welche für Guaham nur durch
zahlreiche Einführung philippinischer Tagalen verhütet
ist . Wahrscheinlich hausten also hier die Spanier mit derselben
rohen Bedrückung und wilden Grausamkeit , welche sie
überall zum Fluch der neuentdeckten Länder machte , nur
dass hier , ganz ähnlich wie über das ebenso rasch
entvölkerte Honduras ( Waitz 4 , 280 ) , unsere Quellen schweigen ,
oder nur parteiisch und einseitig berichten . Sicher wird man aus
dem Aussterben der marianischen Bevölkerung keinen Schluss
ziehen können zu Gunsten der Ansicht , dass die
Naturvölker , weil sie von schlechterer Organisation seien , den
Weissen erlägen .
Polynesien ist 3 Jahrhunderte später entdeckt worden als
Amerika , eins später als die Marianen ; so sehen wir denn hier
die kultivirte Menschheit anders als bisher . Zwar zeigen die
früheren Durchsegler des Ozeans , die Spanier , Dampier ,
Roggeween , dieselbe Roh-
heit den Naturvölkern gegenüber
wie alle ihre Zeitgenossen ; allein im Ganzen ist man hier milder
aufgetreten als sonst , wozu ausser dem kleineren Terrain wie der
geringeren Zahl , in welcher die Europäer demgemäss
auftreten , der Hauptgrund das Jahrhundert ist , in welchem man die
meisten dieser Inseln entdeckte . War es doch die Zeit des
Philanthropismus und glaubte man doch die erträumten Ideale
von menschlicher Glückseligkeit , wie z. B. Rousseau sie in
Europa entwarf , hier im Leben der Südseeinsulaner verwirklicht
zu finden ; ein Umstand , der für die Art , wie man den
Polynesiern entgegentrat , von grosser Bedeutung war . Und noch ,
wichtiger war es , dass gleich nach der Entdeckung zu ihnen
Missionäre der protestantischen Kirche , denen es nicht auf
Ausbreitung des christlichen Namens und der äusseren
Gebräuche , sondern da sie selbst im tiefsten Herzen wahre
Christen waren , auf die Emporhebung und Förderung der
Eingeborenen ankam . So steht der treffliche Wilson , der erste
Missionär der Südsee ( 1795 ) , an der Spitze einer Reihe
von Ehrenmännern , die , wenn auch hin und wieder selbst nicht
frei von menschlichen Schwächen , auf das Wohlgemeinteste
für diese Völker sorgten .
Allein weder sie noch der fortgeschrittene Geist der
Jahrhunderte konnten auch hier die bösen Wirkungen der Kultur
und ihrer Träger abwehren . Eine Reihe einzelner
Brutalitäten , deren Helden meist Schiffskapitäne und ihre
Matrosen sind , kamen auch hier vor , welche allerdings bei der
geringen Anzahl der Einwohner für die einzelnen Inseln
gefährlich genug sein konnten und z. B. für Waihu
verderblich gewesen sind ( Mörenhout 2 , 278-79 , der Genaueres
und die Quellen gibt ) .
Aber auf die Dauer gefährlich wurden die Europäer
durch die Verbrecherkolonien , welche sie in der Südsee
( Neuholland , Tasmanien und sonst ) anlegten . Denn eine Menge der
deportirten Verbrecher entwichen und indem sie sich auf
verschiedenen Inseln des Ozeans umhertrieben oder auf einzelnen
festsetzten , schleppten sie ausser Krankheiten eine Menge Laster
ein oder reizten , was oft genug vorgekommen ist , die Eingeborenen
zum Krieg gegen die ankommenden Weissen , der meist den Eingeborenen
verderblich wurde ; oder zum Widerstand gegen die Missionäre ,
der ihnen nach anderer Seite hin schadete .
Ausserdem wird die Südsee durchkreuzt von einer Menge von
Walern , welche oft ziemlich lange Rast auf den einzelnen Inseln
halten und deren Mannschaft sehr oft aus dem Abschaum aller
Völker zusammenfliesst . Auch sie wirkten auf gleiche Weise
ausserordentlich unheilvoll . Für Hawaii allein schlägt
Virgin ( 1 , 269 ) die Zahl derselben auf jährlich 15-20,000 an
und er erwähnt auch , wie die Syphilis durch sie
fortwährend neue Nahrung bekommt . Diesen Walern und ihrem
entsittlichenden Einfluss schreibt auch Gulick
die Abnahme der
Bevölkerung von Kusaie , von der oben die Rede war , zu .
Ferner hat hier die Feindseligkeit , mit welcher die nicht
geistlichen Europäer den Missionären , meist aus Gewinn-
oder Genusssucht , entgegentraten ( genauere Belege bei Meinicke b
und Lutteroth ) ganz besonders nachtheiligen Einfluss ausgeübt ;
und nicht minder der Streit , welchen die katholische Kirche in der
Südsee mit den evangelischen Missionären anfing .
Frankreich war es , welches als » Werkzeug der
Propaganda « ( Lutteroth 164 ) in diesem Theil der Welt auftrat
und die Art und Weise , wie es das gethan hat , war keineswegs im
Interesse der Polynesier . Erstaunt man schon über die Orgien ,
welche seine Vertreter verübten — so Dumont d' Urville
auf Nukuhiva ( 4 , 5 , ff. ) , Laplace und die Mannschaft der Artemise
auf Tahiti ( Lutteroth 167 ) , so erstaunt man noch mehr über die
Unbefangenheit , mit welcher die französischen Schriftsteller
über diese schmachvollen Vorgänge als etwas ganz
Selbstverständliches reden . Will man die Eingeborenen dieser
Inseln heben , so muss man ihr Selbstgefühl zu fördern
suchen , man muss , indem man die Laster , die ihnen so viel geschadet
haben , unterdrückt , auf ihre guten Seiten belebend und
kräftigend einwirken : von allem aber hat die französische
Okkupation der Insel Tahiti nur das Gegentheil bewirkt und wie man
aus der brutalen Art schliessen kann , mit der sie verfuhr , auch
gewollt . Wenigstens geht aus allem hervor , dass die Einwanderer die
Eingeborenen hier nicht höher schätzten , als einst die
Spanier oder Engländer die Amerikaner . In Neuseeland , wo die
Engländer fest sich niedergelassen und denselben
Raçenhochmuth gegen die Eingeborenen gezeigt haben , hat
ausser diesem letzteren und anderem schon erwähnten namentlich
der massenhafte Landverkauf schädlich gewirkt , auf welchen die
Neuseeländer , ohne recht zu wissen , warum es sich handele ,
eingingen und wobei sie oft genug — so namentlich von der
Neuseelandcompagnie — sich betrogen sahen . Sie geriethen
durch den Mangel an Land in grosse Noth , durch den Betrug aber in
grosse Wuth und die Kriege , welche noch bis vor kurzem geführt
wurden , beruhen wesentlich auf diesen Gründen ( Hochstetter
483-97 ) . Durch alles dies , die Kriege nicht in letzter Reihe , ist
natürlich das Emporkommen der Eingeborenen sehr gehindert .
In Melanesien haben namentlich die Sandelholzhändler , meist
englische oder amerikanische Capitäne , der Bevölkerung
geschadet , da sie , um zu ihrer Waare zu kommen , oft die
gewaltsamsten und scheusslichsten Mittel anwenden . Sie schlagen das
Sandelholz nieder , wo sie es finden : daher sie häufig in
Streit mit den Eingeborenen gerathen . Und in einem solchen Kampfe
auf Tanna kam es vor , dass , als die Eingeborenen in eine Höhle
im Gebirge flohen , die nachfolgenden Matrosen vor derselben ein
Feuer anzündeten und
durch den Rauch alle in der Höhle
befindlichen umbrachten ! Auch rauben sie zu ihren Arbeiten
Eingeborene der Inseln und schleppen sie mit sich fort , welche dann
häufig dem Heimweh und der Ueberbürdung mit Arbeit
erliegen ( Turner 493 vergl. 464 ) . Auf allen Inseln Melanesiens sind
sie gleichmässig gefürchtet ( Cheyne ) .
Meinicke ( a 2 , 217 ) hält die Neuholländer für
einen der Kultur absolut unzugänglichen Menschenstamm . Andere
Schriftsteller haben auch behauptet , ein friedliches Auskommen mit
ihnen sei ganz unmöglich . Allein die Engländer haben sich
nie die Mühe gegeben , auch nur in ein erträgliches
Verhältniss mit ihnen zu kommen : und dass dies sehr leicht
gewesen wäre , beweisen zunächst einzelne Beispiele ( Waitz
1 184 ff. ) , wie vor allen das Greys , der überall friedlich mit
ihnen fertig geworden ist , dann aber geht es aus dem ganzen
Betragen der Eingebornen hervor , die eher scheu als kriegerisch , im
Anfang den Weissen freundlich entgegen kamen , ja sogar ihre
Niederlassung im eignen Gebiet wünschten ( Grey 2 , 234-35 ) .
Auch Meinicke , der wahrlich nicht für die Neuholländer
Partei nimmt , gibt das zu ( a 2 , 214 ) . Ihre vielfach behauptete
wilde Blutgier ist nichts als Fabel — wohl aus dem
naheliegenden Grund erfunden , um nun gegen sie desto
rücksichtsloser zu verfahren . Und das ist reichlich geschehen .
Zunächst machte man ihr Land vornehmlich zum Deportationsort
von Verbrechern ; Neu-Süd-Wales war Verbrecherkolonie bis 1843 :
Westaustralien , das nach Grey's Zeugniss 2 , 364 höher stand
als der Osten des Continents , weil es keine Verbrecherkolonie war ,
ist es neuerdings geworden ( Waitz 1 , 185 ) und dass die Ureinwohner
die höhere Kultur , welche durch diese Sträflinge und ihre
Frevelthaten sich zunächst bei ihnen ankündigte ,
» strenge von sich abwiesen « ( Meinicke 2 , 217 ) : sollte
ihnen das nicht eher zum Lobe gereichen ? Sodann hat die englische
Krone die Rechte der Eingeborenen an ihr Land nie anerkannt ; sie
hat genommen was sie wollte , und als dann die Eingeborenen in Folge
von Nahrungs- und Landmangel zu Bettlern und Räubern geworden
waren , hat man hierin ein Zeichen ihrer Unverbesserlichkeit durch
die Kultur gesehen und sie mit allen Mitteln verfolgt . Später
freilich , und auch dies erst in Folge der schreiendsten
Misshandlungen durch die Weissen , hat man sie unter die englischen
Gesetze gestellt , allein diese wirken wenig zu ihren Gunsten ( Grey
2 , 368 ) . Denn abgesehen davon , dass die Eingeborenen so gut wie gar
nicht zeugnissfähig vor Gericht sind , so werden auch die
Gesetze meist nur da angewandt , wo sie gegen dieselben , nicht wo
sie zu ihren Gunsten sprechen ; ihre Verbrechen an den Weissen
werden gestraft , nicht aber umgekehrt die der Weissen an ihnen , und
letztere Verbrechen sind viel zahlreicher . 1838 weigerten sich die
Geschworenen eine Anzahl Weisser zu verurtheilen , welche 28
Eingeborene ganz ohne Grund abgeschlachtet hatten ( Waitz 1 , 184 ) .
Man schiesst ( Breton
200 ) die Eingeborenen öfters zum
Vergnügen nieder , da sie in den Augen der Kolonisten nicht
höher stehen , wie etwa der Orang Utang . Ja man hat sie an
verschiedenen Orten schaarenweise vergiftet ( Eyre Journal of
expedd . into Central-Austral. 1845 2 , 176 Note : Waitz 186 ) ; nach
Byrne ( 12 years wanderings in the british colonies 1848 1 , 275 ,
Waitz eb. ) ist das an vielen Gegenden von Neu-Süd-Wales durch
Arsenik geschehen und man hat sich laut und öffentlich dieser
That gerühmt .
Natürlich ist für ihre Emporhebung so gut wie nichts
geschehen ; denn was wollen die edeln Bemühungen einzelner
Männer , wie der Missionäre , sagen , wenn das ganze Volk
der Kolonisten anders handelt ? Grey ( 2 , 364 ff. ) stellt zusammen ,
worin man an ihnen gefehlt hat : man betrachtet sie als niedere
Raçe und behandelt sie deshalb mit dem grössten
Vorurtheil und der grössten Willkühr . Werden sie zur
Arbeit gedungen , so zahlt man ihnen oft fast nichts , immer aber
weit geringeren Lohn als den Europäern . Natürlich
schweifen sie lieber bettelnd umher . Sie unter englischen
Rechtsschutz zu stellen war wohlgemeint : allein man hätte die
englischen Gesetze auch auf das Unrecht , was sie einander selbst
thun , anwenden sollen , während jetzt ( Grey gibt Beispiele aus
Perth ) die Europäer ruhig zusehen , wenn Eingeborene von
Eingeborenen ermordet werden ; man hat durch diese Art der
Einführung des englischen Rechts nichts erreicht , als dass die
älteren Eingeborenen die jüngeren durch grausame
Behandlung von der Annahme neuer Sitten abschrecken ( Grey 2 , 376 ) .
Es ist nach alledem kein Wunder , wenn sie sich von der Kultur , die
sie so namenlos elend gemacht hat und fortfährt , sie als wilde
Thiere zu behandeln , streng abwenden , obwohl sie geschickt genug
sind , sie unter sich aufzunehmen und sich höher zu entwickeln
( Grey 2 , 374 ) . Grey selbst erzählt einen Fall ( 2 , 369 ) , dass
ein europäisch unterrichteter Eingeborener , der manche
Fähigkeiten sich erworben hatte , wieder zurückkehrte zu
den uncivilisirten Seinen , in die wilden Wälder . Wollen wir
ihn tadeln , dass er nicht lieber , wie es in Prutzs
geistreichem-Lustspiel von ähnlichen Verhältnissen
heisst ,
Ein Lump auf Griechisch ist , als ein honetter Tektosage ?
Bei den Seinen hatte er Familie , Ehre , Vermögen ; in der
Kolonie war er verachtet , ehrlos , arm . » Ich hätte ebenso
gehandelt « , sagt Grey .
Aus allem Angeführten geht hervor , dass es sehr unrecht
ist , wenn man aus der Feindseligkeit der Neuholländer gegen
die Kultur schliesst , sie seien überhaupt jeglicher
höheren Bildung unfähig . Nicht sie haben die Kultur , die
Kultur hat sie von sich gestossen .
Die Eingeborenen Tasmaniens , welche noch friedfertiger waren als
die Neuholländer , sind schon vernichtet . Auch hier war eine
Verbrecherkolonie und was für Früchte sie den
Eingeborenen trug , zeigt folgende Geschichte : ein Sträfling
überredete einen Eingeborenen , dem er eine geladene Flinte
gab , wenn er dieselbe in sein
Ohr losdrücke , so würde er
eine sehr angenehme Empfindung haben . Er machte ihm , was er zu thun
habe , mit einer ungeladenen Flinte vor ; worauf natürlich der
Eingeborene sich erschoss ( Holman a voyage round the world
[ 1827-1832 ] 4 , 403 ) . Auch sonst wurden sie , wie offiziell
festgestellt ist , aufs schmählichste , wie wilde Thiere
behandelt . Gleich bei der ersten Ansiedelung schoss ein Offizier
zum Vergnügen mit Kartätschen unter die friedlichen
Eingeborenen ( Bischof , Sketch of the hist. of V. Diemensl. 204 ) ;
andere Schandthaten gleicher Art kamen häufig vor und erst
seit 1810 , sieben Jahre nach der Kolonisation ward festgestellt ,
dass die Ermordung eines Eingeborenen als Mord gelten und bestraft
werden sollte ( Hobarttown Almanak for the year 1830 , 201 ) . So
erhoben sich endlich ( 1826 ) die erbitterten Eingeborenen zu einem
Krieg auf Leben und Tod , in welchem sie gefährlich genug
wurden , schliesslich aber — war doch auf das Einfangen eines
Erwachsenen 5 Pfund , auf das eines Kindes 2 Pfund als Preis gesetzt
( Van Diemensland Almanak for the year 1831 p. 161 ) —
schliesslich unterlagen sie . Darwin , welcher auch der Meinung ist ,
dass ihre Vernichtung in dem » schändlichen
Betragen « der Engländer ihren Grund hatte , vergleicht
den Krieg gegen sie mit einer der grossen ostindischen Jagden ( 2 ,
226 ) . Besiegt wurden sie nach Flinders Insel deportirt ( Darwin
a.a.O. ) ; 1848 verpflanzte man sie nach Oyster Cove im Canal
d' Entrecasteaux und jetzt werden sie wohl , vor dem Hauche einer
solchen Kultur , ganz ausgestorben sein ( Melville the present state
of Australia 1851 370 , Nixon 18 ) . 1815 betrug ihre Zahl noch 5000 ,
1835 ( nach dem Kriege ) noch 111 , 1847 waren noch 13 Männer , 22
Weiber und 10 Kinder übrig ; 1854 waren , nachdem 29 gestorben
und kein Kind weiter geboren war , noch 16 übrig ( Petermann
1856 , 441 nach dem Blaubuch ) . Nirgends fand Darwin die Vermehrung
eines civilisirten über ein uncivilisirtes Volk auffallender
wie hier : nirgends aber ist auch die Vernichtung der Eingeborenen
roher und rücksichtsloser betrieben , als in Tasmanien
( Bischof , Sketch of the hist. of V. Diemensland 1832 , appendix ) ;
wobei wohl in Anschlag zu bringen ist , dass alle diese
Scheusslichkeiten im 19. Jahrhundert ausgeübt sind .
§ 18. Geographische Vertheilung der einzelnen Gründe
für das Aussterben der Naturvölker . Vergleichung dieser
Gründe in Bezug auf ihr Gewicht .
Sorglosigkeit der Völker also gegen sich , in leiblicher und
geistiger Beziehung : ihre Ausschweifungen , so wie der geringe
Werth , welchen sie dem Menschenleben geben ; Druck der einheimischen
Fürsten ; dann ihr leibliches und geistiges Verkommen durch
die
nothwendigen Einwirkungen einer übermächtigen und von
ihnen nur theilweise angenommenen Kultur , so wie endlich die
Mittel , welche die Kulturvölker theils aus Rohheit , theils mit
der Absicht gegen sie anwandten , sie auszurotten : diese Gründe
waren es , welche wir bisher als Schuld an ihrem Aussterben
bezeichneten . Natürlich haben diese Gründe , wie wir schon
sahen , nicht alle überall Geltung und es wird nöthig
sein , dass wir sie , inwiefern sie bei den einzelnen Völkern
wirksam waren , hier kurz zusammenstellen .
In Tasmanien ist die Bevölkerung lediglich in Folge des
englischen Vernichtungskrieges gegen sie zu Grunde gegangen .
Gleichfalls nur dem Einfluss der Europäer und zwar der Spanier
erlegen sind die Bewohner der Marianen und der Antillen : allerdings
haben hier die Seuchen , welche im Gefolge der Europäer
ausbrachen , den Weissen die Blutarbeit wesentlich erleichtert :
allerdings hat die tiefe Niedergeschlagenheit , welche sich der
Eingeborenen bemächtigte , wesentlich diese Krankheiten und das
Aussterben befördert . Aber beides , Krankheiten und
Melancholie , waren erst durch das Auftreten der Europäer
hervorgerufen ; und gesetzt auch , die Seuchen hätten diese
Völker ohne die Europäer überfallen , so würden
sie dieselben wohl überwunden haben , wie ja auch die
Bevölkerung Mexikos das schwarze Erbrechen , welches schon vor
Ankunft der Spanier in verheerender Weise wüthete , siegreich
ohne bleibenden Nachtheil überstanden hat .
Den Europäern allein ist ferner das Verderben der Mexikaner
und Peruaner zuzuschreiben : nur dass sie am Anfang unterstützt
wurden von verschiedenen eingeborenen Stämmen und
Völkern , welche mit dem Hauptland in Feindschaft waren , bis
auch diese nach und nach der europäischen Bedrückung
erlagen .
Der schlimme Einfluss der Weissen und die Seuchen , welche sie
brachten , war es denn auch vornehmlich , welcher die
Neuholländer aufrieb , aber keineswegs dieser allein . Bei ihnen
ist zweitens die schlechte Lebensweise , die dadurch veranlasste
Unfruchtbarkeit der Weiber und Sterblichkeit der Kinder von sehr
bedeutendem Einfluss , so wie drittens der Kindermord und viertens
die mannigfachen Kriege und Feindseligkeiten der Stämme
untereinander mit in Anschlag zu bringen sind . Die Ausschweifungen ,
die sich bei ihnen finden — den Trunk haben erst die Weissen
gebracht — sind zu wenig verbreitet , als dass sie ins Gewicht
fallen könnten .
Auch die roheren Völker Nord- und Südamerikas
würden wir wohl noch in derselben Anzahl jetzt vorfinden , wie
vor 300 Jahren , wenn der Einfluss der Europäer , der als
Hauptgrund auch für ihr Aussterben anzusehen ist , nicht
gewesen wäre . Neben der Wirkung der europäischen Waffen
und Getränke waren von schlimmstem Einfluss die Seuchen ,
welche von den Weissen ( wie wir sahen oft mit der
schändlichsten Bosheit ) eingeschleppt wurden , dann aber auch ,
ausser den direkten Vernichtungskriegen , das geistige und leibliche
Verkommen der Eingeborenen in Folge der plötzlich
eingeführten Kultur und vor allen die tiefe
Niedergeschlagenheit , welche sich der Indianer , als sie ihre
Ohnmacht sahen und sahen , wie sie rechtlos zertreten wurden ,
bemächtigte und die bei ihrer schon vorzugsweise
melancholischen Natur doppelt gefährlich wirkte . Dazu kommen
nun noch als gleichfalls sehr wichtige Faktoren zweitens die
heftigen Kriege , die sie untereinander führten , drittens die
in Folge der Lebensweise geringere Fruchtbarkeit der Weiber und
viertens in Südamerika ( in Nordamerika war beides zu wenig
verbreitet ) der Kindermord , die Ausschweifungen , namentlich der
Trunk .
Und hier müssen wir auf jene schon oben ( S. 11 )
erwähnte Beobachtung Tschudis zurückkommen , dass
amerikanische Völker , nach einem sehr verheerenden Krieg , nach
einer sehr schlimmen Epidemie sich nie wieder zu ihrer
früheren Kraft erhöben , sondern höchstens in diesem
reducirten Zustand ein elendes Leben weiter fristeten . Diese
betrübende Erscheinung ist leider nur allzunatürlich .
Denn wie ein menschlicher Organismus , der sich von einer
furchtbaren Krankheit erholt , nur durch lange und sorgsame Pflege
seine frühere Kraft wieder zu gewinnen im Stande ist : eben so
ist es der Fall bei ganzen Völkern . Durch das von uns
geschilderte mannigfache Elend aber , in welchem diese Stämme
sich auch sonst noch befinden , werden alle ihre Kräfte schon
auf die Erhaltung des Lebens , wie es nun einmal ist , absorbirt und
es bleibt kein Ueberschuss übrig für Wiederherstellung
des Verlorenen oder Verletzten . Auch wird durch solche furchtbare
Schicksale die Lebenskraft selbst schwer verletzt , indem bei so
massenhaftem Elend nothwendig lähmende Melancholie oder
Apathie eintritt .
Die Fruchtbarkeit der Weiber , ja auch der Zeugungstrieb der
Männer wird durch den steten Druck der Sorge und Noth , der
fast noch schwerer auf der Seele ruht als auf dem Leib , wesentlich
beeinträchtigt ; und ein Schlag , den diese Völker , wenn
sie sich in besserer , hoffnungsvollerer Lage befänden , mehr
oder minder leicht überwinden würden , muss jetzt
nothwendig höchst gefährlich , ja tödtlich auf sie
wirken . Schaffte man das Elend , das leiblich und geistig auf ihnen
lastet , weg — wozu indess ebenso viel Umsicht und Energie als
Ausdauer und Zeit gehörte — so würden auch solche
reducirten Völker sich heben und mit den Jahren , die man nicht
allzu kärglich bemessen dürfte , das werden , woran die
südamerikanischen Staaten denn doch keinen allzugrossen
Ueberfluss haben : brauchbare und zuverlässige Bürger . Die
Indianerstämme , welche man jetzt in den Wäldern verkommen
lässt oder gar absichtlich mordet und ausrottet , sind ein
Capital , was bei vernünftiger Behandlung für die Zukunft
reichlich Zinsen tragen würde und was man jetzt muthwillig und
absichtlich vergeudet .
Die Hottentotten sind gleichfalls hauptsächlich der
feindseligen Ausrottung durch Holländer und Engländer
erlegen : allein ihre Macht war , wie es scheint , schon durch
frühere Kriege mit den umwohnenden Völkern gebrochen .
Ihre elende Lebensart , Seuchen u. s. w. fördern ihr Aussterben
mächtig .
Die Kamtschadalen und Aleuten sind den Vernichtungskriegen oder
der muthwilligen Ausrottung durch die Russen , sowie den von ihnen
eingeschleppten Seuchen erlegen : zweitens aber wirkten gleichfalls
sehr die Ausschweifungen ( in geschlechtlicher Hinsicht und durch
den Trunk ) , denen sie ergeben waren . Sie waren durch dieselben
entnervt und deshalb zum Widerstand nicht mehr stark genug .
Die Polynesier dagegen haben sich wesentlich selbst zu Grunde
gerichtet , zunächst durch ihre unsinnigen geschlechtlichen
Ausschweifungen ( Tahiti , Hawaii ) ; sodann durch den bei ihnen so
furchtbar verbreiteten Kindermord , drittens durch die blutigen und
verheerenden Kriege , die sie untereinander führten , viertens
durch die sinnlose Bedrückung , welche die Herrschenden
über die Beherrschten ausübten und endlich fünftens
durch den geringen Werth , in welchem bei ihnen das Menschenleben
stand . Sie waren schon im Aussterben begriffen , als die Kultur zu
ihnen kam , und diese hat nur — einzelne Völker , wo ihre
Träger grössere Schuld auf sich luden , abgerechnet
— durch die physische und psychische Erregung , die sie
bringen musste und wodurch ein sechster Grund für ihr
Hinschwinden dazu kommt , das Uebel , welches diese Völker wie
ein schleichendes Gift durchdrungen hatte , zum rascheren Ausbruch
und schnelleren Verlauf gebracht .
Fragen wir nun , welche von allen diesen Ursachen war die
verderblichste , so liegt gleich auf der Hand , dass dies das
feindselige Auftreten der Weissen war , wie es ja auch bei fast
allen Naturvölkern gleichmässig gewirkt hat und
möchten wir die Angriffe auf das psychische Leben der
Naturvölker fast für verderblicher halten , als das
Losstürmen auf ihre physische Existenz . Letzteres hat akuter
gewirkt und lässt sich mit der Verwundung eines Organismus
vergleichen : jene brachten , wie eine totale Vergiftung , ein zwar
langsameres , aber viel tieferes , schwerer zu heilendes und weit
allgemeineres Unheil hervor . Aber auch die Europäer , trotz der
Mittel , die sie anwandten , trotz der grossen Uebermacht ihrer
Kultur , haben eine totale Ausrottung nur auf eng abgegrenzten
Bezirken bewirkt , auf kleinen Inseln , auf Tasmanien , den Marianen ,
den Antillen : auf grösseren Gebieten reicht ihre Wirksamkeit
nicht so weit , trotzdem sie hier noch manches andere
unterstützt hat . Die leichte Empfänglichkeit der
Naturvölker müssen wir , sowohl was Kraft der Wirkung , als
auch was weite Ausdehnung derselben angeht , an zweiter Stelle
erwähnen . Die Krankheiten , welche scheinbar spontan bei der
Berührung der Naturvölker und der Weissen entstanden , so
wie die ,
welche von letzteren zu ersteren eingeschleppt wurden ,
haben im Durchschnitt gewiss ein Drittel , wenn nicht mehr , der
Eingeborenen Amerikas , Afrikas und des stillen Ozeans
dahingerafft .
Die dritte Stufe in dieser Reihenfolge der Verderblichkeit geben
wir den Ausschweifungen . Allerdings haben sie minder allgemein
geschadet als jenes Niedergeschmettert- oder Inficirtwerden von
aussen her ; aber für die menschliche Natur sind sie noch
gefährlicher , weil sie die innersten Lebensnerven
zerstören und wo sie wirksam sind , keine Rettung durch Flucht
oder durch Besiegung des Feindes möglich ist . Wir sahen die
Polynesier , ein so glänzend begabtes Volk , verkommen , trotzdem
dass ihrer sich die Kultur im Wesentlichen freundlich angenommen
hat : sie waren im Innersten angefressen durch die Ausschweifungen ,
denen sie sich hingegeben hatten und sie wären auch ohne
Berührung mit den Weissen und nach und nach immer rascher
durch ihre eigenen Laster zu Grunde gegangen . Die Betrachtung der
Polynesier lehrt uns die Gefahr der Ausschweifungen für ganze
Völker erst richtig ermessen .
Viertens muss der Kindermord genannt werden , welcher vor allen
Dingen in Polynesien und in Südamerika heimisch war , so wie
überhaupt der geringe Werth , welchen man dem Menschenleben
beimisst . Dass aber letzteres allein ein Volk nicht wesentlich
zurückbringt , beweist das Beispiel des Fidschiarchipels .
Nirgends wird durch Menschenopfer , Krieg , Kannibalismus u. dergl.
mehr Blut vergossen und Leben verschwendet als hier ; und dennoch
gehören diese Inseln zu den bevölkertsten der Südsee
und ein Aussterben wird auf ihnen nicht bemerkt .
Die Kriege haben zwar mancherlei Schwankungen unter den
Naturvölkern herbeigeführt , auch wohl einzelne
Stämme ganz aufgerieben , aber doch nirgends so gewirkt , dass
wir sie in erster Reihe aufzuführen hätten . Ebenso ist es
mit der elenden Lebensweise der meisten dieser Völker , welche
zwar ihr fröhliches und kräftiges Gedeihen hindern
konnte , nirgends aber , so weit unser Material der Beobachtung
reicht , eine völlige Vernichtung herbeigeführt haben . Bei
alle den roheren Nationen fanden wir auch vor der Berührung
mit den Europäern die Kopfzahl nie sehr hoch und hierfür
war eben ihre wandernde und kärgliche Lebensart der Grund .
Beides nun , das schlechte Leben und die verhältnissmässig
geringe Volksmenge unterstützen jedes andere über ein
Volk hereinbrechende Uebel immer in so fern , als sie das Volk um so
rückhaltsloser und rascher unterliegen lassen . Und
ähnlich ist es mit allen den übrigen von uns
angeführten Gründen , die alle erst dann wirksam werden ,
wenn sie mit anderen verbunden auftreten .
Hierher gehören auch die unvermeidlichen Folgen der zu
rasch herein brechenden und nur halb angenommenen Kultur , welche
wir in so mancher Beziehung für die Naturvölker
schädlich fanden . Allein
wohl nimmermehr wären diesen
Folgen , den Veränderungen im leiblichen und geistigen Leben ,
der gewaltigen geistigen Anstrengung , welche die Kultur verlangte ,
diese Völker erlegen , wenn nicht andere Ursachen hierfür
wirksam waren , zu denen dann freilich sich auch jene Folgen der
Kultur als wirksamer sekundärer Grund hinzugesellten .
Hätte sich die Annäherung der Kultur , wenn auch rasch ,
aber friedlich vollzogen ; hätte sie gesunde Völker
getroffen , so würde bei diesen , ähnlich wie bei den alten
Germanen , eine Zeit des Stillstandes eingetreten , dann aber ein
neues kräftiges Leben erblüht sein . Wo die
Verhältnisse nur annähernd normal waren , finden wir
diesen Gang der Ereignisse , wie wir im Folgenden näher
betrachten werden .
Aus dem Vorstehenden folgt ein wichtiges Gesetz : nie ist es eine
Ursache allein , welche ein Volk vernichtet , sondern stets mehrere
zusammen , von denen allerdings eine im Vordergrund stehen kann .
Auch die Ausrottung der Marianer , Tasmanier und der antillischen
Bevölkerung bildet keine Ausnahme , da man hier die
Begrenztheit des Terrains als zweiten Grund , in Tasmanien Charakter
und Lebensart der Bewohner als dritten in Anschlag bringen muss . Wo
nur eine der genannten Ursachen wirkt , oder auch mehrere der
untergeordneten , da tritt , soweit jetzt menschliche Geschichte und
Beobachtung reicht , kein Aussterben ein ; so halten sich die
Feuerländer trotz ihres elenden Lebens : so bestehen die
Fidschis weiter trotz der auch zu ihnen mächtig eingedrungenen
Kultur , trotz der massenhaften Menschentödtung ; und so kann
man dies weiter verfolgen . Diese Erscheinung ist anthropologisch
bedeutsam , weil sie wie keine zweite die zähe
Lebensfähigkeit der Menschheit und zugleich beweist , dass
diese Lebenskraft in allen Zweigen des Menschengeschlechtes
gleichmässig vertheilt ist , ja bei den Naturvölkern eher
stärker , wie bei den kultivirten Nationen auftritt , welche
letzteren , weil sie feiner organisirt sind als die unkultivirten
Menschen , auch bei weitem weniger zu ertragen im Stande sind .
Denn wenn wir fragen : sind die angeführten Ursachen stark
genug , um das Hinschwinden ganzer Völker zu veranlassen ? so
müssen wir antworten : sie sind es reichlich und im Uebermass ,
jede einzelne schon und nun gar mehrere vereint . Ist es nicht ein
wahres Wunder , dass der Naturmensch in einem Lande wie Neuholland
sich hielt , wo Europäer trotz aller Ausrüstungen meist so
rettungslos verloren sind ? Und noch dazu sich hielt in den ewigen
Kriegen mit seines Gleichen , unter den ungünstigen
Einflüssen der eigenen mangelhaften Kultur ? oder der
Polynesier auf seinen kleinen oft so unfruchtbaren Inseln inmitten
des ungeheuersten aller Ozeane , und auch er ewigem Krieg und
Kindermord und den entnervendsten Ausschweifungen unterworfen ?
Nicht ein Wunder , dass nach den furchtbaren Vernichtungskriegen
durch die Weissen nicht eines dieser Völ-
ker vollkommen
vertilgt ist , ausser kleinen Stämmen ? Gewiss , wenn wir dies
alles überdenken , werden wir nicht von der
Lebensunfähigkeit der Naturvölker , sondern vielmehr von
ihrer ausserordentlichen Lebenskraft und Unverwüstlichkeit uns
überzeugen müssen . Und so ist hier der Ort , auf die Frage
zurückzukommen , zu welcher wir durch Waitz veranlasst waren :
sind wir wirklich zu dem Geständniss genöthigt , dass uns
das Aussterben der Naturvölker vollständig zu
erklären noch nicht gelingt ? Wir sind es nicht . Wenn man der
Geschichte jedes einzelnen Volkes folgend fragt , wie kommt es , dass
es dahin siecht und schwindet , wir werden immer vollkommen
erschöpfend die Gründe erkennen , welche stets dem von uns
zusammengestellten Kreis angehören werden . Diese erklären
das Aussterben der Bevölkerung so vollständig , dass zu
irgend welchem Räthselhaften nicht der mindeste Platz bleibt ,
sobald man nur die einzelnen Gründe in ihrer physischen und
psychischen Wirksamkeit sich mit genügender Consequenz vor
Augen führt .
Doch ist wohl zu beachten , dass auch die Unverwüstlichkeit
dieser härteren Völker ihre Grenze hat . Wir sahen in
Neuholland einen Menschenstamm , der von früher besserem
Zustand herabgesunken scheint ; dasselbe ist der Fall mit
Mikronesien und dem eigentlichen Polynesien , sowie mit den
Hottentotten . Am weitesten vorgeschritten war der Verfall bei den
Polynesiern : daher sie denn bei verhältnissmässig
leichtem Anstoss von aussen her rasch und viel unaufhaltsamer
zusammenbrechen , als z. B. die Melanesier oder Hottentotten und
andere Völker . Dieser Verfall musste , wenn seine Ursachen , die
Ausschweifungen , Kriege und Vergeudung der Menschenleben , wirksam
blieb , immer rascher weiter gehen und so waren sie jedenfalls
verloren — wenn sie nicht von aussen her gerettet wurden und
das hat , so weit es noch möglich war , die Kultur im Grossen
und Ganzen gethan . Und mögen wir auch noch so sehr beklagen ,
wie die Europäer sich den meisten Naturvölkern
gegenüber benommen haben : das müssen wir anerkennen , dass
alle diese unkultivirten Völker , wenn sie in ihrem
Naturzustande noch Jahrhunderte weiterlebten , einem zwar sehr
langsamen , aber sicheren Untergang , dessen Keime sie in sich selbst
trugen , entgegengingen . Sie hatten sich keine Herrschaft über
die sie umgebende Natur errungen : sie lebten ausschweifend , nur
ihren Gelüsten hingegeben , unregelmässig , ohne Gedanken
in die Zukunft , in gewaltigster Trägheit ; Kriege , Rache u. s. w.
waren bei ihnen feste Sitten ; der Aberglaube , der so häufig
Menschenopfer verlangte , beherrschte sie ganz ; ihr psychisches
Leben war wenig , die intellektuelle Thätigkeit nur nach
praktischer Seite hin entwickelt . Diese Züge ihres Wesens
mussten aber im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende immer
starrer und unüberwindlicher werden : und es ist keine Frage ,
dass sie ihnen einst , früher oder später , denn wer mag
das
Ende dieser Zeit bestimmen , erliegen mussten . Die Natur , in
welcher sie lebten , bot kein erziehendes Moment von durchgreifender
Macht ; und hätte sie es durch irgend welche Veränderungen
ihnen noch geboten , sie waren nicht mehr im Stande , es sich zu
nutze zu machen , da sie durch und in Jahrtausende langer
Gewöhnung erstarrt waren . Sollten diese Völker also
gerettet werden , so war ein plötzlicher Anstoss , es war das
Eingreifen der Kultur nothwendig ; und obwohl dieselbe ihre Aufgabe
so blutig gelöst hat ; so ist diese Nothwendigkeit doch ein
Gedanke , der über das viele Blut und Elend , das sie oder
vielmehr ihre Träger schufen , einigermassen tröstet .
§ 19. Vergleichung der Natur- und Kulturvölker in
Bezug auf ihre Lebenskraft .
Da sich nun aus allen diesen angeführten Gründen das
Aussterben der Naturvölker vollkommen erklärt , ja da die
Art ihrer Wirksamkeit uns erst recht die Lebenskraft des
Menschengeschlechtes beweist : so fällt damit schon von selbst
die Annahme , als ob die Naturvölker » von der Natur zum
Untergange bestimmt « geringer organisirt seien als die
Kulturvölker . Dies wird sich ganz klar und unwiderleglich
zeigen , wenn wir die Wirksamkeit derselben Gründe auf die
europäischen Nationen betrachten . Wir werden dort ganz genau
denselben , ja einen noch weit schlimmeren Erfolg derselben
sehen .
Alles , was Cäsar den Galliern zufügte , die
Verwüstung des Landes , die grossen Verluste an Menschenleben ,
das Zertreten des Nationalgefühls , alles das ist doch wahrlich
nicht zu vergleichen mit dem , was Mexiko z. B. oder die
Nordamerikaner litten : und dennoch war durch Cäsar in nicht 10
Jahren das gallische Volk , das er freilich schon herabgesunken
vorfand , so sehr gebrochen , dass es seine Selbständigkeit bis
auf die Sprache verlor . Allerdings hatten die italischen
Bürgerkriege Italien etwa 70 Jahre auf das grauenvollste
verwüstet ; aber nach ihnen finden wir auch das Land im
Innersten gebrochen und die Macht des römischen Staates auf
Heeren von Fremdlingen beruhend ; erst massenhaft versetzt mit
frischen germanischen Elementen und auch da erst nach langer Ruhe
hebt sich die italische Bevölkerung , nun ein ganz neues Volk ,
wieder empor . Und doch waren auch seine Leiden viel geringer als
die der Amerikaner . Und die Griechen ! Warum haben sie
aufgehört ein historisch bedeutendes Volk zu sein ? weil sie
entnervt waren von den scheusslichsten Ausschweifungen und ihre
letzte Kraft zertreten
wurde zuerst durch die Stürme der
Völkerwanderung und dann durch das türkische Joch . Aber
welche Höhe hatten die Griechen einst inne — und es ist
nicht zu viel gesagt , wenn man jetzt die Durchschnittsbildung der
Griechen gleichstellt mit der etwa der übriggebliebenen
Mexikaner .
Der 30jährige Krieg , welcher doch im Anfang nur lokal und
nie ohne Unterbrechungen wüthete und mit allen seinen Greueln
und seiner Dauer durchaus nicht das , was die Naturvölker zu
leiden hatten , erreicht , welche grenzenlose Verwüstung hat er
in der Bevölkerung unseres Vaterlandes angerichtet ! Ernstlich
war durch ihn die deutsche Nation in ihrer Existenz gefährdet
und es ist ja eine vielfach ausgesprochene Wahrheit , dass einmal
unser Nationalcharakter durch diesen furchtbaren Krieg mannigfach
verändert und herabgedrückt ist , andererseits wir noch
bis auf den heutigen Tag mit der Heilung der Wunden , welche er
unserem socialen und politischen Leben geschlagen hat , zu thun
haben .
Sehen wir so an diesen wenigen historischen Beispielen dieselben
Ursachen bei den kultivirten Nationen noch stärker wirken , als
bei den Naturvölkern : so wird eine kurze psychologische
Betrachtung uns dasselbe lehren . Obwohl wir eine Religion haben ,
welche den Gläubigen Trost gewährt auch im schlimmsten
Unglück , obwohl wir durch die Kultur so manches
Hülfsmittel auch für bedrängte Lagen haben : so
wirken doch auf uns eine Menge Dinge , welche auf die
Naturvölker noch gar keinen und eine Menge anderer , welche auf
sie weit geringern Einfluss haben . Wir sind in unserm leiblichen
Leben verzärtelt , an eine Menge Bequemlichkeit gewöhnt ,
die wir nicht entbehren können ; wir sind geistig viel
empfindlicher und ein Niederwerfen dessen , was uns heilig ist ,
drückt uns mit zu Boden . Liebe zu den Verwandten , Scham , kurz
eine ganze Reihe mächtiger geistiger Faktoren haben bei den
Kulturvölkern eine solche Herrschaft übers Leben , dass ,
wenn sie ernstlich verletzt werden , das Leben mit bedroht ist , und
man kann wohl sagen , je gebildeter ein Volk ist , um so rascher muss
es in fortwährendem Unheil sich verzehren . Wenn wir z. B. nur
bedenken , welche Wirkungen das Gefühl eines ohnmächtigen
Ingrimms , das längere Zeit immer in uns erneut würde , auf
uns haben müsste , wie jeder Einzelne an sich abnehmen kann , so
werden wir einmal ermessen können , wie dasselbe Gefühl
auf die Naturvölker eingewirkt haben muss , bei welchen es
durch so furchtbare Misshandlungen fortwährend erneut wurde
und es sehr begreiflich finden , wenn sie schon durch dieses allein
zu Grunde gegangen wären ; wir werden einsehen , was die
gebildeten Mexikaner und Peruaner gelitten haben und warum gerade
sie so rasch mit dem Sturze ihrer Bildung zu Grunde gingen ; wir
werden aber andererseits zugestehen müssen , dass wir unter
ähnlichen Verhältnissen wohl viel weniger
Widerstandskraft haben würden , als jene Völker , und
gewiss jetzt
erst recht aufhören von einer besonderen
Lebensunfähigkeit der Naturvölker zu sprechen , da wir dem
Unheil , welchem jene unterliegen , viel rascher unterliegen
würden . Ja , wir würden nach Gründen suchen
müssen , wie es kommt , dass jene Völker eine grössere
Widerstandsfähigkeit haben wie wir ; und finden dieselben in
ihrer grösseren leiblichen Abhärtung , sowie in ihrer
geringen geistigen Empfindlichkeit , welche immer mit geringer
Geistesentwickelung Hand in Hand geht . — Wenn wir nun dennoch
die Kulturvölker wohl ohnmächtig und geschichtlich
unbedeutend werden , aber nicht eigentlich verschwinden sehen , so
kommt dies daher , dass sie gerade in solchen Zeiten der Gefahr mit
neuen Menschenschaaren durchsetzt werden . Die Verwüster
Italiens , die Germanen , liessen sich massenhaft in den
blühenden Fluren des besiegten Landes nieder ; ebenso die
Bulgaren in Griechenland u. s. w. Oder die schon bestehende Kultur
bietet neue Hülfsmittel , wohin man auch das Einwandern
zahlreicher Franzosen in unser Vaterland nach dem 30jährigen
Krieg rechnen mag . Beispiele von Kulturvölkern , die
völlig vernichtet sind , wie ihre Kultur , bietet die Geschichte
von Kleinasien .
Es fällt von hier aus noch einmal ein Blick auf die
Eintheilung , nach welcher Carus die Menschen betrachtet ; man sieht
auch hier , wie wenig stichhaltig sie ist , denn seine Tagmenschen
haben keine grössere Widerstandsfähigkeit , als seine
Nacht- oder Dämmerungsmenschen ; und während er behauptet
( 17 ) , dass die westlichen Dämmerungsvölker , die
Amerikaner , » wirklich dem Untergange zugewendet « seien ,
so sehen wir die Tagvölker noch rascher ihrem Untergange
zueilen , schon wenn sie durch weit mildere Schicksale heimgesucht
werden . — Auch die Eintheilung der Menschheit in aktive und
passive Völker , wie sie Klemm und Wuttke geben ( Waitz 1 , 344 )
hat ihr sehr Bedenkliches ; sie ist falsch , wenn man in
grösserer Aktivität zugleich nach jeder Richtung hin
grössere Kraftentwickelung sieht , denn die
» aktiven « Völker ( die Kulturvölker )
zerbrechen im Unglück viel leichter , als die zäheren und
härteren Naturvölker ; sie ist ferner falsch , wenn man sie
als in der ursprünglichen Natur der Menschheit begründet ,
wenn man also Aktivität oder Passivität als verschiedenen
Völkern angeboren ansieht : denn von Haus aus gleich organisirt
hat sich die Menschheit durch verschiedene Naturumgebung ,
verschiedene Schicksale u. s. w. im Lauf der Jahrtausende so
verschieden entwickelt , wie wir sie in geschichtlicher Zeit
vorfinden .
§ 20. Aussterbende und ausdauernde Naturvölker .
Wenn die Annahme einer minderen Lebensfähigkeit ganzer
Völker richtig wäre , so müsste doch bei allen diesen
Völkern sich jenes Hinschwinden gleichmässig zeigen . Wie
kommt es aber , dass eins ausstirbt und das andere dicht daneben
nicht ? ja , dass von ein und demselben Volke der eine Zweig
abstirbt , der andere ungefährdet weiter lebt ? Und auch das
findet sich oft . Die Tonganer sterben nicht aus und sind Polynesier
wie die Tahitier , Maoris oder Kanakas ; die meisten mikronesischen
Inseln ( so namentlich der Gilbertarchipel ) haben eine dichte
Bevölkerung , die Kusaier sterben aus ; und beide , Mikro- und
Polynesier , sind nur ein Zweig des grossen malaiischen Stammes , bei
welchem ein solches Hinschwinden , die kleine Insel Engano und
einige elende in die Gebirge gedrängte Stämme
ausgenommen , sonst doch nirgends bemerkt wird . Die Kamtschadalen
sterben aus , die übrigen Nordasiaten , ihre nahen Verwandten ,
nicht . Doch vielleicht waren hier jene von uns besprochenen
Gründe des Aussterbens nicht in Thätigkeit ? Allein
während die übrigen Melanesier an vielen Punkten sich
vermindern , bleiben die Fidschis , trotz des europäischen
Einflusses , trotz ihrer Kriege und Menschenopfer , kräftig und
bei voller Zahl . Noch ärger fast als alle anderen Völker
sind die Neger bedrückt von einheimischen und fremden
Tyrannen ; und während sie für einen der fruchtbarsten
Stämme gelten , der gar nicht zu vermindern ist , sterben die
Neuholländer , nach dem Kärtchen bei Carus Nachtmenschen
wie sie , aus — welchem Fall freilich der ethnologische
Unsinn , afrikanische und melanesische Neger zu einer Raçe zu
vereinigen , der sich indess nicht bei Carus allein findet , die
Beweiskraft nimmt . Aber die anderen Beispiele zeigen vollkommen
schlagend , wie irrig die Ansicht ist , dass die hinschwindenden
Völker in Folge der Inferiorität ihrer Raçe
ausstürben ; daher wir dabei nicht zu verweilen brauchen . Wenn
unsere Ansicht aber stichhaltig ist , so muss sich nachweisen
lassen , dass da , wo die Gründe , aus denen wir das Aussterben
der Naturvölker erklären , nicht eintreten oder beseitigt
werden , dass da die Völker gedeihen , sich weiter entwickeln
oder sich wieder erholen , ja selbst die so gefährliche Kultur
überwinden und sich zu ihr , wenn auch nur sehr
allmählich , emporheben können . Und der Nachweis ist
leicht .
In Afrika beweisen es die Hottentotten der herrnhutischen
Kolonie Baavianskloof , welche Lichtenstein schildert . 1799 betrug
die Zahl ihrer Lehrlinge ( Licht. 1 , 247 ) 100 ; das Dorf , worin sie
wohnten , glich mit seinen 200 Häusern , seinen Gärten ,
seinen geraden Strassen ganz einem deutschen Dorfe ; die
Hottentotten waren tüchtig im Feld- und Hausbau und zu allem
dem gebracht ganz ohne andere Strafe als Ausschliessung vom
Gottesdienst ( 251 ) . Die Taufe erhielt
man freilich nur als
höchste Belohnung für Thätigkeit , Rechtschaffenheit
und Frömmigkeit und allerdings fand Lichtenstein noch keine
Hottentotten unvermischten Blutes , sondern nur Mischlinge getauft ;
aber da sich die Herrnhuter bemühten , sie » erst zu
Menschen und dann zu Christen « zu machen ( eb. 253 ) , so hob
sich die Colonie immer mehr , so dass von der Zeit nach 1828 der
Bericht lautet : » Die frei gewordenen Hottentotten fingen an
mehr für die Zukunft zu sorgen , der Landbau wurde eifrig
betrieben und durch künstliche Bewässerung verbessert ,
Mässigkeit und Sittlichkeit , die Zahl der regelmässigen
Ehen , der Besuch und die Sorge der Eltern für die Erziehung
der Kinder war im Steigen begriffen und es bedurfte dazu keiner
Unterstützung von aussen « ( Waitz 2 , 337 ) . Dies ist
allerdings nur von einem kleinen Distrikt gesagt ; aber wo hat man
sich sonst auch mit demselben Verstand und derselben Ausdauer der
Hottentotten so redlich angenommen ? Wo man das thut , da gedeihen
sie und werden brauchbare Menschen ( vergl. W. 2 , 341 ) .
In Amerika haben die Cherokees , die Algonkins , die Irokesen und
andere Völker deutlich genug bewiesen , dass auch die Indianer
der Erhebung und Kultivirung fähig sind . Die Irokesen sind
seit 1820 » bedeutend fortgeschritten im Ackerbau , Hausbau und
den mechanischen Künsten überhaupt ; sie besuchten die
Kirche regelmässig , viele von ihnen waren im Lesen , Schreiben
und Rechnen so weit gekommen , dass sie Schullehrer werden konnten ,
einige andere sogar respektable Geistliche « ( Waitz 3 , 291 mit
d. Quellen ) . Sie hatten das Mohawk zur allgemeinen Verkehrssprache
im Gebrauch und nach Schoolcrafts Bericht für 1845 war ihre
Volkszahl im Wachsen ( a.a.O. ) . Ebenso hatten die Ottawa , ein
heidnischer Algonkinstamm , sowie die Sauk und noch mehr die
Delaware grosse Fortschritte gemacht ; sie leben ganz von dem
Ackerbau , den sie sehr eifrig und tüchtig betreiben , sowie vom
Handel mit den Produkten ihrer Felder ( 292-93 ) : ihre Zahl ist im
Wachsen ( 294 ) .
Noch mehr war dies Alles der Fall bei den Cherokees , deren
Volkszahl in den Jahren 1819 bis 1825 von 10,000 auf 13,500 nebst
200 Weissen und 1300 Negersklaven anwuchs . Schon vor 1820 waren sie
sehr tüchtige Ackerbauer , welche im Laufe von 8 Jahren
( M' Kennay bei Waitz 3 , 294 ) die Wildniss in einen Garten umschufen .
Schon um 1773 hatten sie 43 Städte und ihre Bildung war schon
damals nicht unbedeutend ( Bartram 353-60 ) ; seit 1796 waren
Baumwollenmanufakturen bei ihnen errichtet , Luxusgegenstände
traf man hin und wieder und Einzelne hatten ein nicht unbedeutendes
Privatvermögen . Die Polygamie wurde abgeschafft ; ihre Kinder
zeigten sich » sehr lenksam , anhänglich und
bildungsfähig « ( Waitz 3 , 295 ) . 1820 führten sie
geschriebene Gesetze und eine Repräsentativverfassung ein . Der
oberste Häuptling , dem nebst einem hohen Rath die Exekutive
zusteht , soll alle zwei Jahre das Land bereisen , um dessen
Zustand
kennen zu lernen . Die richterliche Gewalt wird vom obersten
Gerichtshofe , dem wandernden Gericht und von Friedensrichtern
ausgeübt . Geschworenengerichte und drei Instanzen sind
eingeführt , die Richter nur durch den Willen beider
Häuser absetzbar . Es herrscht allgemeine Religionsfreiheit ,
doch kann Niemand ein Amt bekleiden , der nicht an Gott und an
Vergeltung in einem künftigen Leben glaubt « ( Waitz 3 ,
295-96 ) . Es wurde dann ein Alphabet von 85 Zeichen 1821 von einem
Cherokee erfunden und bald war die Kunst des Lesens und Schreibens
unter ihnen allgemein ; seit 1828 erschien eine periodische
Zeitschrift in ihrer Sprache . Auch diese aufblühende Kultur
hat man nicht geschont ; man hat auch die Cherokees , trotz ihres
heftigen Widerstrebens , über den Missisippi vertrieben . Allein
obwohl ihre Kultur dadurch im hohen Grade gefährdet wurde , so
unterlag sie nicht ; sie erhob sich bald wieder und seit 1841
allgemeiner wie früher ( 296 ) . Ebenso verhält es sich mit
den Choktaw , den Creek und einigen anderen Völkern , über
die Waitz ( 296-99 ) ausführlichere Nachrichten gibt .
Ebenso in Südamerika : die Volkszahl der Abiponer nahm nach
Dobrizhofer bedeutend zu , als das Verstossen der Weiber , der
Kindermord und die Polygamie abgeschafft wurde ( Waitz 1 , 164 ) ; in
Guatemala ( nach einem Bericht von 1771 ) vermehrten sich die
Eingeborenen trotz des schweren Drucks der Spanier so sehr , dass
diese sie zu fürchten anfingen ( eb. 163 ) . In Mexiko bilden
nach Humboldt die Eingeborenen noch immer fast die Hälfte der
Einwohner ( b , 3 , 9 ) and in dieser Zahl haben sich die Indianer
überall erhalten , wo die Spanier organisirte Reiche vorfanden
( eb. 3 , 8 ) ; die einheimische Bevölkerung ist im Steigen
( derselbe a 1 , 83 und 107 ) und zwar in Folge eigenes Wohlstands ,
nicht fremden Zuwachses ( eb. 105 ) und diese » für die
Menschheit sehr tröstliche « Zunahme der indianischen
Bevölkerung beweist Humboldt durch speciellere Angaben a , 5 ,
6 ; 4/7 der gesammten Volkszahl sind Indianer ( Waitz 4 , 195 ) .
Auch in Polynesien finden wir sehr wichtige Erscheinungen der
Art . Von Hawaii sagt Jarves 371-72 : die Kultur zerstört im
Anfang ; nachher wirkt sie segensreich ; so war auch auf den
Sandwichinseln die Entvölkerung unter Tamehameha I. und
Liholiho grösser als in späterer Zeit . » In dem
Verhältniss , in welchem Christenthum und Civilisation
wächst , vermindert sich die Sterblichkeit . Allerdings sind
ihre Wirkungen jetzt noch zu neu , um ihre Endresultate
vorherzusagen , aber man kann sicher hoffen , dass , wenn die
bösen Einflüsse aufhören und anderen Platz machen ,
gute Ergebnisse folgen werden . Der Despotismus der Fürsten ist
völlig abgeschafft und Gesetze wirken für das Anwachsen
der Bevölkerung . Familien mit 3 Kindern sind von den Abgaben
befreit ; die , welche mehr haben , bekommen Land und andere
Geschenke , um sie zu heben . Die Abgaben , obwohl immer noch hoch ,
sind gleich vertheilt und für das Volk erleichtert .
Ein
Nationalgeist ist erwacht , Schulen und Kirchen gegründet ,
regelmässige Handelsverbindungen und Gewerbe haben sich
gebildet : kurz das gerade Gegentheil der moralischen Versunkenheit ,
in welcher noch vor Kurzem das Volk sich befand , fängt an sich
zu entwickeln ; medizinische Kenntnisse und ärztliche
Hülfe verbreitet sich ; Kleidung , Wohnung bessern sich
allmählich . Freilich ist dies nur die Morgenröthe eines
besseren Tages : aber schon zeigt sich deutlich genug , dass
Christenthum und Bildung durch die Einwirkung der amerikanischen
Mission und die Intelligenz der Fremden diese segensreichen Folgen
haben . Noch schlagender zeigt sich das daraus , dass Kinder und
Erwachsene , welche die Schulen besuchen und unter der unmittelbaren
Leitung der Missionäre stehen , sich einer ausgezeichneten
Gesundheit erfreuen und rasche Fortschritte machen . Dasselbe gilt
von den Eingeborenen , welche unter dem Einfluss europäischer
Familien stehen . « Nach Virgin ( 1 , 300 ) freilich scheint die
Entwickelung nicht allzurasch weiter gegangen zu sein ; doch auch er
gibt an , dass vor 1820 die Abnahme der Bevölkerung
stärker gewesen sei , als nachher , und dass die Missionen an
verschiedenen Punkten die Abnahme ins Stocken gebracht haben durch
möglichstes Hinwegräumen der bösen Ursachen , welche
sie veranlassen . Auch Waitz 1 , 177 erwähnt einige Inseln und
Distrikte dieser Gruppe , wo die Bevölkerung nicht nur nicht
abnimmt , sondern in nicht ganz unbedeutendem Anwachsen begriffen
ist .
Ganz ebenso ist es in Tahiti . Auch hier hat die Volkszahl gleich
nach dem ersten Zusammenstoss mit den Europäern sehr
abgenommen , von 16,000 ( Wilson ) bis auf 8000 ( Ellis ) oder 9000
( Wilkes ) , denn Turnballs 5000 ist eine übertrieben niedrige
Angabe . Nachher aber ist die Zahl gleich geblieben oder eher
gewachsen ; Virgin wenigstens gibt sie für 1852 auf 10,000 an
( 2 , 41 ) . Auf Raiatea dagegen nimmt die Bevölkerung stark zu
( Waitz 2 , 167 nach Journ. R. geogr. soc. III , 179 ) . Auch Ellis ( um
1830 ) sagt 1 , 169 , dass vor 1819 das Abnehmen der tahitischen
Eingeborenen noch stark gewesen sei : 1819-20 seien Todesfälle
und Geburten einander gleich gewesen und von da ab habe die
Volkszahl stark zugenommen . Mag Ellis auch , der so eifrig für
das Wohl der Insel thätig war , seine Hoffnungen auf jene
Angabe vielleicht etwas mit haben einwirken lassen : bloss auf
Uebertreibung beruht eine so sichere Behauptung eines so
zuverlässigen Beobachters nicht . Allerdings klagt der
französische Commandant der Insel , de la Roncière , in
seinem Bericht vom Dezember 1866 ( Globus 12 , 60-61 ) über die
Trägheit , Indolenz und Flatterhaftigkeit der Bewohner ; allein
wenn man die Vorgänge während und nach der
französischen Okkupation der Insel und die ganze Haltung der
Franzosen wenigstens in der ersten Zeit ihres Aufenthalts bedenkt ,
so ist es nur allzu begreiflich , dass die Entwickelung der Insel
durch sie nicht eben gefördert ist . Doch sind wir , wenn man
sich wirklich ernsthaft und ausdauernd der Eingeborenen annimmt ,
auch für sie zu guten Hoffnungen berechtigt .
Was wir von Neuseeland zu berichten haben ( nach Hochstetter
482-497 ) ist noch merkwürdiger . Gegen den Einfluss der Fremden
bildete sich eine Nationalpartei unter den Eingeborenen , welche , da
sie Gott ebenso nah ständen als die Weissen , mit diesen
gleiche soziale und politische Rechte verlangten . 1857
erwählten die Maoris , von diesen Gesichtspunkten ausgehend ,
einen König , den als Krieger und Redner berühmten
Potatau , der sich den zweiten Friedenskönig nach Melchisedek
nannte , sich thatkräftige Häuptlinge , so vor allen den
Maori William Thompson aus dem Stamm der Ngatihua , als Minister
auswählte , und seinen Herrschersitz zu Ngaruawahia , an der
Hauptwasserstrasse ins Innere , an den Thoren von Aukland in
vortrefflich ausgesuchter Lage nahm . Die Grundprinzipien des
Königthums sollten Glaube , Liebe und Gesetzlichkeit sein . Man
beschwerte sich bitter über die englische Regierung , welche
sich gar nicht um die Maoris kümmere , die Häuptlinge
nicht standesgemäß behandele , zwar Protokolle über
ihr Aussterben führe , aber nichts dagegen thue ; man habe die
eingeführten Waaren mit ungerechten Abgaben gedrückt ,
indem z. B. wollene Decken nach dem Gewicht wie Seide und Spitzen
versteuert würden ; Munition und Waffen verkaufe man ihnen gar
nicht , um so lieber aber Spirituosen . Und zu dem Allen
benähmen sich die Europäer so hochmüthig und grob !
Diese Nationalpartei , welche sehr beredte Agenten im Lande
umherschickte , fand überall rasch Anhänger ; auch die
Weiber und Mädchen theilten ihre Gesinnungen . Freiwillige
Abgaben für den König flössen regelmässig und
reichlich und dieser schlichtete zu Ngaruawahia alle Streitigkeiten
der Eingeborenen , trieb auch von den unter ihnen lebenden
Europäern Abgaben ein und legte einen Zoll auf die an seiner
Stadt vorbeipassirenden europäischen Schiffe ; sein Einfluss
war bald so gross , dass sich auch die Missionäre , wenn sie
etwas gegen einen Maori vorzubringen hatten , an ihn wandten .
Aehnliche Ziele hatte die Landligue , eine Vereinigung der
Maorifürsten , um den Landverkauf zu verhüten , welchen die
einheimische Regierung äusserst ungern sah . Es war klar , dass
die Kolonialverwaltung durch diese selbständige Entwickelung ,
namentlich aber durch die Beschränkung der Landkäufe ,
welche , um gültig zu sein , erst die Bestätigung des
Maorikönigs nach der Auffassung der Eingeborenen bedurften , in
arge Verlegenheit kommen musste . Daher erkannte denn England diese
Beschränkung des Landverkaufs durch die Maorigesetze nicht an
und so musste es zum gewaltsamen Zusammenstoss kommen . Dies geschah
unter Potatau II. , dem Sohne Potataus I. ; den 17. März 1860
begann der Krieg , in welchem die Maoris sich nicht nur
ausserordentlich tapfer , sondern auch so umsichtig bewiesen , dass
sie den Engländern empfindliche Niederlagen beibrachten . Der
Nationalpartei
schlossen sich jetzt alle Maoris , auch die
früher lässigen , an ; es ist besser , hiess es , fürs
Vaterland zu sterben , als unterjocht von Fremden zu leben . Auch im
englischen Parlament erhoben sich Stimmen für sie , so vor
allen die Martins , des Bischofs von Aukland . William Thompson war
alleiniger Anführer dieses Krieges und seiner Stelle sehr
gewachsen ; denn der Kampf , der von den Maoris hauptsächlich
als Guerillakrieg geführt wurde , konnte nur durch die
englischen Kanonen und die englische Uebermacht ( 1861 hatten die
Engländer 12,000 Mann zusammen ) mehr und mehr zu Gunsten der
Engländer gewendet werden . Indess kam es durch Einfluss der
Missionäre und durch den an Brownes Stelle gesandten Lord Grey
zur friedlichen Vermittlung . Wir sehen also auch hier Anfänge ,
bedeutend genug , um in kurzer Zeit die Gründe , auf welchen wir
das Aussterben der neuseeländischen Eingeborenen beruhend
fanden , zu beseitigen . Es ist sehr traurig , dass diese nationale
Erhebung von englischer Seite gleich im Anfang geknickt oder
wenigstens gehemmt ist : doch ist die Hoffnung nicht aufzugeben ,
dass sie abermals auch diesen Stoss überwinden wird . Die
Hauptsache wird sein , dass sie selber Muth und Zuversicht gewinnen ,
dann werden sie die Kultur sich nicht bloss äusserlich und auf
eine Weise , die ihnen nur schadet , aneignen , sondern sie werden
sich , da sie stets sich sehr fähig gezeigt haben , an ihr
emporheben und ein neues Leben zu führen im Stande sein . Zu
dieser Hoffnung berechtigt auch die innige Religiosität ,
welche die meisten der neu und wahrhaft Bekehrten zeigen . Ob sie
aber auch in diesem Falle später nicht einmal durch
Vermischung mit den Weissen aufhören als Nationalität zu
existiren ? Ein solches Aufgehen würde indess nur erfreulich
sein , denn es bewiese zugleich , dass auch die Engländer der
Kolonie von ihrem starren Raçenhochmuth nachgelassen
hätten .
In Tonga nun , wo von jeher die Sitten strenger waren und
namentlich nie diese Lüderlichkeit herrschte , welche in
Polynesien an anderen Punkten so gefährlich wirkte ; wo man mit
dem Menschenleben , wenigstens jetzt und schon seit längerer
Zeit , nicht so verschwenderisch umging , ist ein Sinken der
Volkszahl nicht eingetreten . Das Christenthum hat die Monogamie
durchgesetzt und so ist denn trotz der vielen Kriege , welche die
Einführung des Christenthums und die Befestigung der
Königsherrschaft mit sich brachte , die Bevölkerung , die
sich im Allgemeinen einer sehr guten Gesundheit erfreut , im Wachsen
( Erskine 160-61 ) .
Die Bevölkerung von Samoa schätzt Erskine ( 104 ) auf
etwa 37,000 Seelen , doch glaubt er , dass sie abnehme ( a.a.O. u.
60 ) . Auch Turner erwähnt die grosse Sterblichkeit der Kinder
daselbst , welche durch thörichte Behandlung derselben vor und
bei der ersten Nahrung veranlasst wird . Seitdem aber jetzt die
Missionäre günstig wirken , die Polygamie abgeschafft und
ausschweifende Lebensweise
durch strenge Ueberwachung sehr
erschwert ist , nimmt die Bevölkerung wieder zu ( Turner 176 ) .
Doch waren die Samoaner überhaupt weit weniger ausschweifend
gewesen als die übrigen Polynesier und hatten den Werth des
Menschenlebens höher geachtet . Also auch hier dieselbe
Erscheinung : der erste Zusammenstoss mit den Weissen bringt durch
Seuchen u. dergl. ( doch fand Wilkes in Samoa keine Syphilis 2 , 73 ,
126 , 138 ) eine arge Erschütterung in der Wohlfahrt des Volkes ,
ein Zurückgehen der Kopfzahl hervor ; allein sobald diese
ersten Folgen überwunden sind , hebt sich die Ziffer wieder .
Gerade die Samoaner sind besonders innige Christen ( Turner 106-109 ,
166 ff . )
Zu den bestbevölkerten Gegenden Polynesiens gehören
die kleinen Inseln nördlich und westlich von Samoa und Tonga ,
die Uniongruppe , Tikopia , Rotuma u. s. w. , wo die Sitten unverderbt
und die Bevölkerung in bester Wohlfahrt ist . Trotz des
zahlreichen Kindermords auf Tikopia ist dort die Kinderzahl in
einer Familie meist drei bis acht ( Gaimard bei Dumont D' Urville b ,
5 , 309 ; vergl. ders. in Zoologie 23 ; u. 5 , 306 ) . Nur von dem
gleichfalls hierher gehörigen Sikayana wird eine Abnahme der
Eingeborenen berichtet , welche durch eine sehr heftige
Blatternepidemie auf 171 Seelen zusammengeschmolzen sind ( Nov. 2 ,
438-441 ) .
Alle diese Beispiele beweisen schlagend , dass ein Hinschwinden
dieser Völker aus mangelnder Lebenskraft , » weil sie von
Natur dem Untergange bestimmt seien « , nicht stattfindet ; wo
es also eintritt , kann es nur durch die besprochenen Gründe
veranlasst sein . Sobald die Kultur nicht feindselig , sondern
friedfertig naht und diese Völker zu sich emporzieht , statt
sie zu vernichten , so ist von den Naturvölkern keins , das
nicht für sie gewonnen werden könnte , ja einzelne haben
sich trotz der feindseligsten Haltung der Weissen dennoch zur
Kultur , wenigstens zu guten Anfängen , emporgeschwungen : eine
That , deren Grösse man aus dem Vorstehenden ermessen kann und
die eine so ausserordentlich gute Begabung und sichere Kraft
beweist , dass sie ebenso sehr unser Staunen als unsere Bewunderung
erwecken muss . Allerdings wird aus einem neuholländischen
Stamm nicht sofort ein europäisch civilisirter Staat , aber es
ist handgreiflich verkehrt , zu behaupten , wie noch Meinicke thut ,
die Neuholländer seien überhaupt der Kultur unfähig .
Denn wo sich wirklich die Kultur ihrer angenommen ( es ist selten
genug geschehen ) , da haben sie sich auch als friedfertige und
bildsame Menschen gezeigt . Dass sie sich und so noch manche andere
Naturvölker jetzt so viel als möglich von der Kultur
zurückziehen , das ist nach dem , was ihnen von ihren
Trägern zugefügt ist , nur allzubegreiflich . Halten doch
manche Nordindianer auch das Christenthum nur für eine neue
Art , sie zu betrügen ( Waitz 3 , 289 ) » und , sagten sie ,
was sollen wir Christen werden , da diese ärgere Lügner ,
Diebe und Trinker sind , als die In-
dianer « ( eb. 287 ) .
» Die Christen wollen nicht arbeiten , sie sind Spieler ,
Bösewichter und Gotteslästerer , « sagte ein Indianer
von Nikaragua ; auf die Antwort , so handelten nur die schlechten ,
erwiderte er : » wo sind denn die guten ? ich wenigstens kenne
nur schlechte « ( Waitz 4 , 280-81 ) . Ein zweiter Grund , weshalb
viele Naturvölker so schwer die Kultur , auch wenn sie ihnen
friedlich naht , annehmen , liegt in ihren Gewöhnungen . Es muss
hier nochmals auf die Kraft der Vererbung erinnert werden . Durch
Jahrtausende langes Leben an ein unstätes Umherschweifen u.
dergl. gewöhnt , wird es ihnen sehr schwer , so plötzlich
die althergebrachte , tief in ihr leibliches und geistiges Wesen
eingewachsene Lebensart zu ändern .
§ 21 . Die afrikanischen Neger .
Wir müssen , um einem möglichen Einwand zu begegnen ,
noch einmal auf einen Umstand zurückkommen , den wir schon
vorhin wenigstens berührten . Wie ist es zu erklären , dass
die Neger nicht aussterben ? Sie sind doch geplagt , gedrückt ,
gemisshandelt wie kein zweites Volk , der Heimath entrissen , oft
ganz zum Lastthier herabgewürdigt — und sie gedeihen
doch . Der Hang der Neger zu Ausschweifungen ist bekannt ; wie
gefährlich ihre Kriege , die sie untereinander führen ,
für die Besiegten sind , wird nur zu deutlich durch die
massenhaft fortgeschleppten Sklaven bewiesen : Menschenleben
vergeuden auch sie ganz rücksichtslos , wofür schon der
eine Name Dahomey als Beweis genügt . Und doch waren das
dieselben Gründe , welche wir als das Aussterben der
Naturvölker veranlassend annahmen . Wie kommt es , dass sie dort
wirken und hier nicht ? Muss man nicht doch also zu jenen
Gründen noch einen hinzufügen und welcher könnte das
sein , als mangelnde Lebenskraft oder sonst irgend etwas
Geheimnissvolles ? Aber trotzdem sind die Neger , nach einstimmigem
Urtheil aller Forscher , die leiblich am wenigsten vollkommen
organisirten Menschen , und es wäre doch seltsam , wenn
höher stehende Völker mindere Lebenskraft hätten als
sie .
Allein diese Annahme ist auch durchaus unnöthig . Die
grössere Ausdauer des Negers beruht auf seinem anders
gearteten Naturell , was wir zunächst nach der psychischen
Seite hin verfolgen wollen . Vom Charakter des Negers ist jeder
melancholische Zug ausgeschlossen . Jeder momentane Eindruck ist bei
ihrer derb sinnlichen Natur so mächtig , dass der folgende den
vorhergehenden sofort auslöscht , und so vergessen sie dadurch
auch im tiefsten Elend ihre schlimme Lage rasch und gänzlich ,
wenn irgend eine plötzliche Anregung zur Lust über sie
kommt . So zwingen sie die Sklavenhändler , um sie
über ihr
oft tödtliches Heimweh hinwegzubringen , bisweilen mit der
Peitsche zum Tanz , der sie dann in seiner sie nun ganz
beherrschenden Ausgelassenheit alles Unglück vergessen
lässt ( Waitz 2 , 203 ) . Diese rasch wechselnde Gemüthslage
hilft ihnen über vieles Schwere hinweg und ist klar , wie sehr
sie im Gegensatz steht ebenso zu dem zähen Festhalten eines
Gedankens , wie wir es beim Amerikaner und Polynesier so
vorherrschend finden , als zu der Melancholie dieser Völker .
Auch die sinnlichen Genüsse wirken auf den Neger viel
befriedigender , als auf die anderen Völker ; seine grosse
geschlechtliche Sinnlichkeit ist wiederum für die
Fruchtbarkeit seiner Raçe von grosser Bedeutung und so
massenhafte und übertriebene Ausschweifungen wie bei den
Polynesiern finden sich bei ihnen nicht . Auch sein Hang zum
Phantastischen muss erwähnt werden , denn auch er dient sehr
dazu , ihm seine Lage oft in ganz anderem Lichte erscheinen zu
lassen , als sie ist . Hiermit vereinigt sich eine gewisse Stumpfheit
und Trägheit des geistigen Lebens sehr wohl , die vor Vielem
und gerade dem Schmerzlichsten den Neger beschützt : er wird
sich fast nie moralisch vernichtet und dadurch in seiner innersten
Persönlichkeit verwundet fühlen . Auch ist seine grosse
Gutmüthigkeit und seine innige Religiosität hierbei nicht
ausser Acht zu lassen .
Zweitens aber scheint auch die physische Natur weit minder
empfänglich und empfindlich zu sein , als die der meisten
anderen Völker . Sei es , dass er durch allmähliche
Gewöhnung , durch das Klima seines Landes oder durch
ursprüngliche Anlage härter ist : er verträgt es , in
ganz andere Himmelsstriche verpflanzt zu werden ; er hält sogar
die Luft der Malariagegenden und noch dazu bei täglicher oft
sehr grosser Anstrengung ohne Schaden aus , welchem allen die
meisten anderen Völker regelmässig erliegen . Er ist also
schon durch seinen Körper gesicherter .
Drittens ist nicht zu übersehen , dass der Neger schon seit
einer Reihe von Jahrtausenden , seit der ersten Entwickelung der
Kulturvölker , mit diesen in Berührung und oft in sehr
enger steht und gestanden hat : so ist er an die Einflüsse der
Kultur ganz anders gewöhnt als Amerikaner und Ozeanier , als
Hottentotten und Kamtschadalen , und hat daher ihre ungünstigen
Folgen weit weniger zu fürchten .
Hiermit ist der Einwand , welchen man von den Negern aus erheben
könnte , als beseitigt zu betrachten ; wir müssen indess
noch einen Blick auf das Aussterben der freigewordenen Neger in den
vereinigten Staaten werfen , wie wir es im Ausland ( 1867 , 1404 )
geschildert sehen nach Henry Lathams black and white . Nach ihm sind
seit der Emancipation von 4,000,000 Negern 1,000,000 zu Grunde
gegangen , durch Unwissenheit , Hülflosigkeit , Laster und
Mangel . Unfruchtbarkeit trat ein , Kindermord nahm überhand ,
» die Sterblichkeit war so gross , dass es Leute gab , welche
eine Lösung
der schwierigen Negerfrage in dem Verschwinden der
farbigen Raçe in den nächsten 50 Jahren
voraussagten « . » In den Gebieten , wo sie während
des Krieges in grösster Sicherheit lebten , wo man annehmen
kann , dass sie massenhaft vorhanden sind , und wo die grössten
Beiträge zusammengebracht wurden , um sie vor Hungersnoth zu
schützen , sind sie in Abnahme begriffen . In dem kältern
Klima der Nordstaaten starben die farbigen Familien nach einer oder
zwei Generationen aus . « Die Schilderung ist , wie wir sie hier
vor uns haben , entschieden parteiisch gefärbt . Wir betrachten
daher nur die Thatsache , dass die emancipirten Neger moralisch und
physisch sich verschlechtern , ja geradezu verkommen . Diese
Erscheinung ist allemal da beobachtet , wo Neger emancipirt wurden ,
und sie machte auch der Republik Liberia anfangs viel zu schaffen ;
allein sie tritt bei jeder Sklavenemancipation naturgemäss
jedesmal ein , mögen die Sklaven nun Neger oder nicht sein . Sie
haben nicht gelernt , selbständig zu leben , für sich zu
sorgen , für sich zu arbeiten ; jede Arbeit ist ihnen , in
Erinnerung an ihr früheres Loos , eine Last zugleich und eine
Entwürdigung . Durch den langen Zustand der Unfreiheit haben
sie die Fähigkeit , der Natur gegenüber sich zu behaupten ,
welche sie in ihrer Heimath besassen , verlernt ; sie sind auch
geistig herabgedrückt und dass sie lasterhaft werden , ist die
Folge des Beispiels , was ihnen allzuoft ihre eigenen Herren gaben ,
sowie des Mangels an Selbstachtung , zu dem sie als Sklaven
verurtheilt waren . In Nordamerika ist ihnen ferner jede
Emancipation noch durch die entschiedene und rücksichtslose
Feindseligkeit unendlich erschwert , mit der die » gute
Gesellschaft « , die Weissen , sich vor jedem Farbigen strenge
verschliesst , für den sie nichts als die bitterste Verachtung
hat . Klimatisches mag sich gleichfalls geltend machen ; jedenfalls
ist hier nichts , was unserer Betrachtung irgend ein neues Moment
zufügen oder eine nähere Erklärung noch erheischen
könnte .
§ 22. Folgerungen aus der Art , wie die Naturvölker von
den Kulturvölkern behandelt sind .
Ehe wir unsere Betrachtungen schliessen , ist es nöthig ,
auch einen Blick auf die Kulturvölker zu thun , welche mit den
Naturvölkern in Berührung kamen ; denn ein solcher wird
ethnologisch nicht ohne Ausbeute sein . Zunächst ist zu
constatiren , dass alle Kulturvölker sich ganz auf dieselbe
Weise grausam , rücksichtslos und unmenschlich gegen die
Naturvölker betragen haben , die mit ihnen in Berührung
kamen : die Spanier , die Portugiesen , die Holländer , die
Engländer und die Franzosen . Die Engländer und
Holländer
zeichnen sich durch unaussprechlichen Hochmuth und
Hass gegen jede farbige Bevölkerung aus , durch welchen sie den
Naturvölkern fast nicht mindern Schaden gethan haben , als
durch offene Feindseligkeiten . Wir Deutsche haben Eroberungen nicht
gemacht , aber trotzdem sind einzelne unserer Landsleute mit den
Naturvölkern in Berührung gekommen . Diejenigen , welche
zur Zeit der ersten Entdeckung Amerikas mit den Spaniern dorthin
kamen — so die Abgesandten der Welser , welchen dort
Länderstrecken von Karl V. verpfändet waren —
wütheten nicht geringer als die Spanier selbst . Das westliche
Venezuela wurde um 1527 von Georg v. Speier und Ambrosius Dalfinger
verwüstet ( Waitz 3 , 398 ) . Allein das sind vereinzelte
Fälle ; im Ganzen haben die Deutschen den Naturvölkern
Segen gebracht , denn gerade die einflussreichsten Missionen sind
zum Theil in ihren Händen gewesen , wobei vor allen Dingen an
die Wirksamkeit der Herrnhuter in Afrika und Nordamerika ( z. B.
Heckewelder ) erinnert werden muss . Auch unter den Jesuiten waren
viele Deutsche , z. B. Dobrizhofer unter den Abiponen , Strohbach auf
den Marianen . Die Missionsthätigkeit ist auch jetzt noch nicht
vermindert und trägt ihre segensreichen Früchte für
die Eingeborenen und für die Wissenschaft , denn eine Menge der
bedeutendsten Missionsschriften sind , freilich meist in englischer
Sprache , von Deutschen verfasst — Namen wie Kölle ,
Döhne , Teichelmann , Schürmann , Dieffenbach ( freilich kein
Missionär ) u.a. sind bekannt genug .
Die fast immer ganz unmenschliche und mordgierige Art , mit
welcher der Europäer die Naturvölker bekriegte und meist
deren Rohheit bei weitem übertraf , zwingt uns zu einem
anthropologischen Schluss von nicht geringer Bedeutung ; denn wir
sehen daraus klar , » dass die Kluft , die den civilisirten
Menschen vom sogen. Wilden trennt , bei weitem nicht so gross ist ,
als man sich oft einbildet « ( Waitz , 3 , 259 ) . Man hat ja
gerade die wilde Blutgier der Naturvölker so wie ihr
beharrliches Fernbleiben von aller Kultur so besonders
hervorgehoben , ja mit darauf hin den Schluss gezogen , dass sie von
geringerer Organisation und Befähigung , dass sie von Haus aus
eine niedrigere Raçe wären ( Carus 28 , 22 ff. ) . Wie will
man das aber aufrecht halten , wenn die civilisirten Völker von
einer viel wilderen und grauenvolleren Blutgier besessen sind , die
um so schrecklicher wird , als sie unvermittelt neben so hoch
entwickelten intellektuellen Fähigkeiten steht ? Wenn die
grössten und bedeutendsten Männer dieser civilisirten
Völker dieselbe Blutgier theilen , wie Columbus , welcher die
auf Menschen dressirten Hunde einführte , der Königin
Isabella rieth , die Kosten seiner Fahrten durch Menschenraub zu
decken , Diebstähle mit grausamen Verstümmelungen strafte
und Hinterlist und gemeinen Verrath gegen die Indianer für
erlaubt hielt ? ( Waitz 4 , 331 ) . Wenn die blutgierig-rohesten wohl
noch wegen ihrer grauenvollen Bestialität als besonders
hervorragend gepriesen werden ,
wie die » Pioniere des
Westens « , die » Helden von Old-Kentucky « ( Waitz 3 ,
260 ) , die nebenbei auch der intellektuellen Vorzüge der Kultur
sich begebend genau ebenso abergläubisch als die Indianer
wurden , deren Lebensweise , Vergnügungen und Skalpirungen bald
sich nur noch durch grössere Rohheit von den Indianern
unterschied ? Ja d'Ewes ( China , Australia and the Pacif . Islands in
1855-56. London 1857 , p. 150 ) erzählt , dass einzelne Weisse
auf den Fidschi- und Tonga-Inseln , neben den grässlichsten
Verbrechen aller Art , sogar den Kannibalismus der Eingeborenen
mitgemacht haben ! Beispiele von Spaniern und Portugiesen , welche
unter die Bildungsstufe der Eingeborenen Südamerikas
herabgesunken sind , findet man reichlich bei Waitz 1 , 370 und bei
v. Tschudi an verschiedenen Stellen . Ehrlichkeit , Treue , Vertrauen ,
Anstand , Gastfreundschaft , Menschlichkeit , reine Religiosität ,
die besseren moralischen Eigenschaften findet man meist nicht auf
Seiten der Europäer , sondern der so tief verachteten
Naturvölker , und Seume 's
» Wir Wilden sind doch bessre Menschen «
hat seinen tiefen Grund . Man sage nicht , dass die von den
Europäern verübten Schlechtigkeiten nur von einzelnen
ausgegangen und also auch nur den einzelnen Individuen zur Last zu
legen seien ; sie sind so ziemlich gleichmässig von der
gesammten Kolonistenbevölkerung ausgeführt und jedenfalls
von ihr höchlich gebilligt worden ; ja es fehlt noch viel , dass
sie auch jetzt überall getadelt würden .
Es zeigt sich aus diesen Betrachtungen ferner , wie ungeheuer
langsam die Menschheit moralisch fortschreitet und wie wenig durch
intellektuelle Entwickelung ein Fortschritt nach jener Seite
bedingt wird . Das eben von Columbus Erwähnte mag als Beleg
dienen , er , der geistig so hoch über seiner Zeit stand , hatte
sittlich ganz dieselbe Stufe inne . Seine ganze Zeit aber stand
trotz des Christenthums , trotz der äusseren Kultur noch auf
einem Standpunkt der geistigen Rohheit , die sich noch kaum von dem
Wesen des Naturmenschen unterscheidet , ja durch reicher entwickelte
und ganz zügellose Leidenschaften noch tiefer als jenes
erscheint . Wie gewaltig nun die Entwickelung der Intelligenz in den
letzten drei Jahrhunderten zugenommen hat , weiss Jeder ; blickt man
aber auf die Kulturvölker des 19. Jahrhunderts — man
denke an die Engländer in Tasmanien , Neuholland , Nordamerika ,
die Portugiesen und Spanier in Südamerika — so wird man
von einem moralischen Fortschritt noch gar wenig bemerken , denn sie
benehmen sich , allerdings nicht mehr in solcher Allgemeinheit ,
gerade ebenso brutal und unmenschlich , als die Spanier im 16.
Jahrhundert .
Auch kann man nicht behaupten , dass die heutige Propaganda und
ihr Verfahren in der Südsee sich sehr zu ihrem Vortheil von
den Missionären des 16. und 17. Jahrhunderts unterschied ; was
sie etwa an Gewaltthätigkeit verloren hat , das hat sie an
Unwahrheit ge-
wonnen . Und wenn man im 19. Jahrhundert mit demselben
Leichtsinn wie im 16. nur um zu taufen , tauft : so ist das in
unseren Zeiten bei weitem schlimmer , als in jenen früheren .
Bis jetzt also hat die Höhe der intellektuellen Entwickelung
noch keineswegs durchgreifend und in dem Maasse , als man denken
sollte , auf die moralische Seite des menschlichen Charakters
gewirkt — aus Gründen , deren tiefere psychologische
Motivirung hier uns zu weit führen würde .
Und doch lässt es sich nicht läugnen , dass alles
wirkliche Fortschreiten der gesammten Menschheit , wodurch sie immer
reiner und wirklich menschlicher sich entwickelt , nicht sowohl auf
intellektuellen als auf moralischen Geistesthaten beruht . Die
europäische Gesellschaft ist zu ihrer heutigen Höhestufe
emporgehoben erstens durch die Gleichstellung der Frauen bei den
Germanen , zweitens die rein moralische Macht des Christenthums ,
drittens die Reinigung des Christenthums und die Anerkennung der
individuellen Geistesfreiheit durch die Reformation und die
Reinigung der sozialen Verhältnisse durch die Revolution des
vorigen Jahrhunderts . Letztere trug auch gleich den
Naturvölkern die besten Früchte : denn dass Polynesien
wesentlich anders behandelt ist , als Amerika , dazu trugen nicht
wenig bei die Lehren von Männern wie Rousseau , der Gedanke ,
dass alle Menschen , mochten sie nun durch Stände oder
Hautfarbe und Sprache verschieden scheinen , in ihrem Wesen gleiche
Menschen seien ; ja die Ansicht , welche man von diesen Völkern
lange Zeit in Europa hegte , beruhte gleichfalls auf diesen
Gedanken , da sie hauptsächlich durch die Werke der Forster
hervorgerufen wurden , diese aber eifrige Anhänger Rousseau's
waren . — Neben jenen Hauptförderungen der Menschheit
darf man einige andere zwar nicht in erster Linie anführen ,
aber auch ebensowenig ganz übersehen , und dahin gehört
die Erweckung des reinen Schönheitssinnes , der wahren Kunst
durch die Griechen . Während nun im Leben der Völker und
der Einzelnen es sich nur allzuhäufig zeigt , dass die
grösste Ausbildung der Intelligenz auf die sittliche
Vollendung eines Menschen gar keinen Einfluss hat , so fördert
umgekehrt jeder sittliche Fortschritt der menschlichen Gesellschaft
ihre intellektuellen Leistungen und ist ohne eine solche
Förderung gar nicht zu denken , da ja jeder wirklich bedeutende
sittliche Fortschritt die Menschheit in ihrem ganzen Wesen hebt und
weiter entwickelt , und nur wo dieser Doppelfortschritt geschieht ,
kann von einem wirklichen Höhersteigen die Rede sein . Man hebt
nie ein Volk nur durch Industrie und Lehranstalten , wenn man es
dadurch auch reich und wohl unterrichtet machen kann ; man hebt es
nur , wenn man seine idealen Anschauungen läutert und
fördert . Dass aber eine Förderung nicht etwa dadurch
eintritt , dass man der Gegenwart das Ideal vergangener Jahrhunderte
als das einzig heilvolle aufzwingen will , das liegt auf der
Hand .
§ 23. Zukunft der Naturvölker . Mittel , sie zu
heben .
Was wird nun die Zukunft der Naturvölker sein ? Geradezu
vernichtet sind nur wenige bis jetzt und noch können wir , und
da wir Unfähigkeit zur Entwickelung , leibliche oder geistige ,
nirgends bei ihnen finden , noch müssen wir hoffen . Freilich
ist viel verdorben ; und die Leichtigkeit der Annäherung , das
Vertrauen , mit dem sie der Kultur entgegenkamen , ist bei den
meisten unwiederbringlich verloren .
Wie bisher die Missionäre die grössten Verdienste um
diese Völker haben , so fallen auch , wenn wir nach der Zukunft
fragen , unsere Augen zunächst auf die Missionäre . Wenn
wir bedenken , dass die Polynesier man kann wohl sagen ihre Rettung
bisher ihnen verdanken , dass , die Hottentotten und so mancher
amerikanische Stamm nur und allein durch sie Gelegenheit hatten ,
auch die guten Seiten der Kultur an sich zu erfahren ; so
können wir nicht dringend genug wünschen , dass ihr Werk
sich segensreich immer weiter ausbreiten möge . Dazu
gehört zunächst Unterstützung durch die weltlichen
Mächte , freilich anders als sie von Frankreich den
katholischen Missionären zu Theil wurde : denn die Staaten
müssten , im Interesse der jedesmaligen Eingeborenen , jede
segensreiche Wirksamkeit gleichviel von welcher Confession
gleichmässig schützen . Und so hat sich , um gar nicht vom
Christenthum zu reden , auch vom anthropologischen Standpunkt aus
die katholische Kirche und Frankreich in ihrem Dienst in der
Südsee schwer vergangen . Die Mächte , welche unter den
Naturvölkern Kolonien haben , England besonders , haben den
grössten Vortheil von einer tüchtigen Wirksamkeit der
Missionäre ; denn einmal werden durch sie unnütze Kriege ,
die doch auch den Weissen oft schädlich genug sind , vermieden ,
und ferner die Eingeborenen selbst der Kolonie gewonnen . Man sollte
also von Staatswegen die Missionen mit allen Mitteln stützen
( nicht gewaltsam einführen , nur stützen ) , aber auch
zugleich ein wachsames Auge auf sie haben und sie nöthigen
Falles zur Rechenschaft ziehen . Denn Menschlichkeiten können
vorkommen und sind auch unter den protestantischen Missionären
der Südsee vorgekommen , welche z. B. in Neuseeland durch ihre
Landankäufe und Spekulationen sich und ihrer Sache und den
Eingeborenen gleichviel geschadet haben . Aber auch die
Missionäre müssen auf sich selbst das strengste Augenmerk
haben . Sie müssen immer mehr und mehr zu der richtigen und
wichtigen Einsicht gelangen , dass es nichts hilft , Völker zu
taufen oder sie auf abstrakte und für jene Menschen ebenso
unverständliche wie unbrauchbare Lehrbegriffe hinzuweisen ,
wenn man nicht alle ihre Geisteskräfte weckt , die Wahrheiten
dieser Lehre sich anzueignen . Nach dieser Seite — wer wollte
es läugnen ? übersteigt es doch auch
hier ganz fehlerlos
zu handeln bei weitem menschliche Kraft — nach dieser Seite
haben beide Kirchen viel verfehlt ; die katholische durch oft ganz
beispiellos leichtsinniges Taufen , wobei sie das Heidenthum ruhig
bestehen liess ( Beispiele für diese harte Behauptung liefern
die Annales de la propagation de la foi , Michelis und Lutteroth
genug ; wir führen einzelnes der Kürze halber nicht an ) ,
die protestantische durch allzustrengen Ernst und eigensinniges
Steifen auf die abstrakten Lehrsätze . Doch wird jeder
Unbefangene die bei weitem bessere Wirksamkeit auf protestantischer
Seite sehen müssen , wenn wir auch fern sind , zu verkennen , was
die katholische Kirche grosses geleistet hat . Männer wie Las
Casas und so viele seiner Glaubensgenossen , welche fast der einzige
Schutz der unterdrückten Amerikaner waren , so viele Jesuiten ,
die mit dem grössten Glaubenseifer sich jeglicher Gefahr
für das Christenthum unterzogen , wie z. B. der gewaltige San
Vitores auf den blutgetränkten Marianen : alle diese
Männer müssen in erster Reihe genannt werden , wenn es
sich um Darstellung der Verdienste der Mission handelt .
Man mache die Naturvölker erst zu Menschen , dann zu
Christen ; man bilde sie langsam zu der und durch die Kultur vor ,
deren höchste Blüthe das Christenthum ja eben sein will .
Nicht Wissen und Erkennen , und wäre es der höchsten
Weisheit , Thätigkeit vielmehr und selbständiges Bauen des
eigenen Lebens gibt dem Menschen erst sittlichen Halt und sittliche
Kraft : diese wecke , gestalte , befördere man und man wird das
Christenthum fördern . Ist es doch wahr , dass jene Verbrecher ,
welche aus den Deportationsorten entsprangen und sich an
verschiedenen Stellen Ozeaniens niederliessen , durch die
Bruchstücke von Kultur , welche sie den Eingeborenen
mittheilten , dem Christenthum und den Missionären den Weg
gebahnt und sehr erleichtert haben , ohne dass sie es selbst wollten
und obwohl sie oft mit der Kultur zugleich manches Verbrechen
lehrten . Will man aber ohne genügende Vorbereitung rasch
Erfolge sehen , so wird man nichts wirken ; die Missionsberichte
( beider Confessionen ) beweisen zur Genüge , wie thöricht
ein solches Streben ist und wie es oft zu den allergröbsten
Selbsttäuschungen führt . Nur die liebevollste Arbeit und
aufopferndste Hingebung vieler Generationen kann hier wirklichen
und bleibenden Erfolg erringen . Man muthe doch nicht den
Naturvölkern zu , die Höhe der Bildung im Fluge zu
ersteigen , welche die begabtesten Kulturvölker im Laufe von
Jahrtausenden und mit so häufigem Rückfall , so heissem
Kampfe , so stetiger Arbeit sich errungen haben .
Aber auch die weltliche Macht muss Hülfe bringen ;
zunächst negativ , indem sie nicht duldet , dass andere , was die
Missionäre bauen , untergraben und einreissen ; und ferner
positiv , indem sie das von jenen begonnene weiterführt . Sie
muss die Eingeborenen in ihren natürlichen Rechten
schützen , das Eigenthumsrecht an den
von ihnen bewohnten Boden
anerkennen und aufs Strengste darauf halten , dass ihnen von Seiten
der Kolonisten kein Unrecht geschieht . Freilich werden solche
Männer wie Lord Grey , die mit der grössten Umsicht und
Energie die reinste Menschenliebe besitzen , nicht häufig
gefunden werden ; aber man kann auch in der Wahl einer obersten
Kolonialverwaltung nicht zu viel thun . Specielle Vorschläge
haben Grey für Australien , Dieffenbach für Neuseeland ,
Andere für andere Völker gemacht ; und es liesse sich , bei
allen Schwierigkeiten , wenn die Mächte , welche Kolonien
besitzen , also vor allen Dingen England ernsthaft wollten , gewiss
viel Elend verhüten , viel Gutes stiften und viel Verdorbenes
herstellen . Bis jetzt freilich haben die englischen und
überhaupt die europäischen Matrosen meist nur das eine
Recht der Gewalt ; die Frevel , die sie an jenen Völkern
begehen , bleiben ungestraft , während es mit den ärgsten
Strafen heimgesucht wird , wenn die Eingeborenen irgend an Weissen
freveln . Zum Theil ist diese Ungerechtigkeit nöthig , um die
fernen Weissen zu schützen ; theils aber liegt sie auch in der
selbst noch sehr mangelhaften moralischen Entwickelung der Weissen ,
welche an solchen Gewalttaten im grossen Ganzen kaum einen Frevel .
sehen . Was soll man dazu sagen , wenn Schandgeschichten wie die
folgende unter Englands offiziellem Schutz geschehen und in den
Zeitungen , auch in deutschen , fast als Scherz erzählt werden ?
Nach der Ermordung eines Kaufmanns Der getödtete Engländer hiess Cheyne und ist derselbe , welcher das auch von uns vielfach benutzte Buch a description of islands in the Western Pacific Ocean , north and south of the Equator geschrieben hat ( Petermann , Mittheil . 1868 , 28 ) . Obwohl nun dies und seine anderen Schriften sehr werthvoll sind zur Kenntniss des sonst noch so wenig gekannten westlichen Theiles des stillen Ozeans ; so hat man doch bei der Benutzung Vorsicht anzuwenden , da Cheyne , selbst Sandelholzhändler ( und Trepangfischer ) sich bei der moralischen Beurtheilung der geschilderten Völker sehr häufig von seinen Handelsinteressen beeinflussen lässt . So schildert er die Melanesier ohne Ausnahme ( Fichteninsel , Lifu , Mare , Uea , Tanna , Erromango u. s. w. ) als wild und » höchst verrätherisch « und war selbst häufig mit ihnen im Streit . Ebenso erzählt er von allen Karoliniern , dass man ihnen nicht trauen dürfe . Er steht also selbst auf dem Standpunkt der Sandelholzhändler und beachtet nicht , was die Eingeborenen von diesen an Ungerechtigkeit , Raub und roher Gewalt zu leiden hatten . Nach der Lektüre seines Buches wundert man sich nicht , dass er ein solches Ende genommen hat ; das ganz einseitige Betonen seiner Handelsinteressen liess vielmehr nichts anderes erwarten . Es fällt daher von hier aus erst das wahre Licht auf die Vorgänge in Koror , sowohl auf sein Auftreten als auf den Racheakt des englischen Kriegsschiffes . erschien das englische
Kriegsschiff Perseus , Capitän Stevens , 1867 im Frühjahr
vor der Palaus ( Pelewsinseln , westliches Mikronesien ) , um
Genugthuung zu fordern : es zeigte sich , das der Kaufmann auf Befehl
des Königs , auf dessen Insel Koror er lebte und Grundeigentum
besass , ermordet sei , weil
er an die Feinde desselben Feuerwaffen
verkauft hatte . » Obwohl nun Stevens einsah , heisst es , dass
jener besser gethan hätte , keine Mordwaffen zu
verkaufen « , so glaubte er doch streng verfahren zu
müssen und verlangte Hinrichtung des Königs . Die
Insulaner , von dem Kriegsschiff bedrängt , beschlossen , sich
nicht zu widersetzen — aber sie baten , dass die Hinrichtung
von Matrosen des Schiffes ausgeführt würde , was Stevens
nicht zuliess . » Insulaner sollten das Werk thun « . So
geschah es denn . Und es geschah noch mehr . Die so behandelten
Insulaner riefen den Schiffscapitän zu ihrem König aus .
» Er nahm auch sofort die Krone an und bewies , dass er die
königliche Prärogative in erspriesslicher Weise zu
nützen verstehe . Er befahl seinen Unterthanen , Hühner ,
Eier , Früchte und sonst noch mancherlei an Bord des Dampfers
zu bringen und diesem Befehl wurde willig Folge gegeben . Eine
Vergütung für die gelieferten Sachen blieb ausser Frage ,
doch war seine improvisirte Majestät so gütig , einige
Geschenke , als da sind : Messer , Scheeren u. dergl. verabfolgen zu
lassen . Als dies geschehen war , dankte er ab und überliess den
Paleuinsulanern , sich nun einen anderen König nach ihrem
Geschmack zu suchen « ( Globus 12 , 59 , nach der Overland China
Mail v. 30. Mai 1867 und der » Presse « zu Manila ) .
Heisst das nicht , jede Selbstachtung eines Volkes mit Füssen
treten ? nicht , der Gerechtigkeit und Menschlichkeit ins Gesicht
schlagen ? Und das that ein Vertreter des englischen Staates im
Namen der Gerechtigkeit ! Und eine solche Geschichte erheitert als
Anekdote ein europäisches Publikum ! Die Insulaner mussten ,
trotz ihrer Bitten , ihren eigenen König erschiessen , weil er
sich eines gegen ihn entschieden feindlich handelnden
Engländers , allerdings auf frevelhaftem Wege , entledigt hatte !
So lange solche Geschichten noch möglich sind , so lange ist
allerdings für die Naturvölker noch nicht allzuviel zu
hoffen . Und sie werden , wir befürchten es , noch lange
möglich sein ; so lange wenigstens sicher als die
Kulturvölker sich von ganz anderem Stoff dünken , als jene
» Wilden « , denen man wohl die Gestalt , aber keineswegs
die Rechte eines Menschen zugesteht .
Gegen diese gänzliche Ausschliessung von allem
europäischen Leben , wie es die Eingeborenen in den
Kolonialländern fast immer zu dulden haben , müsste der
Staat , was in seinen Kräften steht , thun , wenn er jene
wirklich heben wollte : denn das ist es , was sie jetzt am meisten
von der Kultur ab und im Elend zurückhält . Aber das wird
schwer , wo nicht unmöglich sein ; und die Menschheit , so
scheint es , wird erst noch manchen Schritt vorwärts thun
müssen , ehe diese Gleichstellung ( wenn sie dann noch
möglich ist ) auch nur annähernd sich verwirklichen lassen
wird ; so dass man in diesem Sinne wohl sagen kann , alles , was in
Europa zur Hebung der weissen Bevölkerung und ihres sittlichen
Lebens geschieht , das kommt auch mittelbar den Naturvölkern zu
gut .
§ 24. Werth der Naturvölker für die Menschheit
und ihre Entwickelung . Schluss .
Aber , so müssen wir noch fragen , kann man überhaupt
einem Staat , den civilisirten Völkern zumuthen , so viel
Müh und Arbeit an die Naturvölker zu verwenden , die sie
doch anderen Zwecken und vielleicht besseren oder doch
nützlicheren entziehen müssen ? Kann man nicht mit Fug und
Recht von dem werthlosen Leben dieser rohen Nationen Talleyrands
berüchtigtes je n' en vois pas la nécessité
sagen ? Wie man vom Standpunkte des Christenthums hierauf antworten
muss , welches lehrt , dass alle Menschen Brüder und vor Gott
gleich sind , liegt auf der Hand : und wo wird denn ein strenges
Christenthum mehr zur Schau getragen , als im öffentlichen
Leben Englands und Amerikas ? Aber auch vom Standpunkt der
Philosophie aus wird man die Erhaltung der minder entwickelten
Völker für eine wesentliche Aufgabe der Kultur ansehen
müssen . Der empirische Forscher wird nach genauer historischer
und naturwissenschaftlicher Betrachtung der Welt sehen , dass die
Gesammtheit der Natur als solche dem Entwickelungsgesetze folgt ,
wie die einzelnen grossen Abtheilungen der Natur , wie die
Gattungen , Arten und Individuen . Das Gesetz dieser Entwickelung
besteht aber darin , dass Alles , Gesammtheit und Einzelnwesen , eine
grössere Vollkommenheit , Festigkeit und Sicherheit der
Existenz anstreben . In diesem Entwickelungsgange hat die Natur
selbst die Werthbestimmungen gesetzt , dass sie das Individuum der
Art , die Art der Gattung , die Gattung der Familie , kurz das
Beschränktere dem Grösseren unterordnet , ja wenn es im
Interesse des Grösseren noth thut , aufopfert . Es würde
spiritualistische Verkennung unseres Standpunktes sein , welchen wir
in der Stufenfolge des Ganzen einnehmen , wenn wir Menschen für
uns andere Gesetze beanspruchen wollten , als sie für die
gesammte Natur gelten ; zeigt doch auch alle historische
Entwickelung , dass wir unter ganz denselben stehen , wie die
übrigen Organismen alle , nur dass unsere Stellung verschieden
ist . Wie nun also der Natur Erhaltung und Förderung des Ganzen
Hauptzweck ist , so muss er es auch uns Menschen sein , und zwar
zunächst Erhaltung und Förderung der menschlichen
Gesellschaft , da unsere Thätigkeit zunächst unserer
eigenen Gattung naturmässig gehört . Das aber heisst
schlecht dem Ganzen dienen , wenn man lebensfähige Keime
desselben , bloss weil sie nicht im gleichen Lenz und nach gleicher
Art mit uns sich entwickelt haben , zertreten wollte . Wer weiss , zu
welchem Endzweck auch sie der Natur dienen können ! Und Niemand
wird doch behaupten wollen , dass sie zu zertreten den Völkern
von höherer Kultur Nutzen brächte . Wenn wir von diesem
philosophischen Standpunkt aus nach dem Zweck menschlicher
Entwickelung
forschen , so werden wir die Civilisation als solchen
bestimmen müssen ( Waitz 1 , 478 f. ) . Denn einmal sichert sie
erst durch engen Zusammenschluss der Individuen , welche sich im
Naturzustande selbstsüchtig , also feindlich gegenüber
stehen , die menschliche Gesellschaft dauernd und fest , andererseits
bringt sie erst , indem sie auf diese Weise eine Menge
überschüssiger Kraft frei macht , die Menschheit zu
höherer Entwickelung . Sie allein ist es , welche die wichtigste
Seite des menschlichen Lebens , die Thätigkeit des Geistes
überhaupt erst ermöglicht . Zu diesem Endzweck
menschlicher Entwickelung ist aber jedes Volk berufen und die
einzige Aufgabe schon civilisirter Nationen uncivilisirten
gegenüber kann nur die sein , die Civilisation auch zu jenen
hinzutragen , nicht aber durch die reichlicheren und wirksameren
Mittel derselben jene zu vertilgen . Auch darf hierbei nicht
übersehen werden , wie nichts der Civilisation selbst
gefährlicher ist , als Zurücksinken in Rohheit , weil ein
solches mit stets zunehmender Geschwindigkeit , gleichsam nach den
Fallgesetzen vor sich geht . Das wüste Verfahren gegen die
Naturvölker ist aber ein solches Zurücksinken in Rohheit
und wie beim längeren Vernichtungskampf gegen sie jene Rohheit
schrecklich wächst , das haben wir schon gesehen . Ganze
Stämme civilisirter Nationen sind durch sie , zu der sich dann
noch Faulheit und Genusssucht gesellten , in die äusserste
Barbarei zurückgesunken oder doch wenigstens merklich in ihrer
Entwickelung aufgehalten : so die Holländer am Cap , die Spanier
und Portugiesen und zum Theil die Engländer in Amerika . Das
ewige Blutvergiessen und Morden musste sie immer
gleichgültiger , immer roher machen und dadurch schwanden
selbstverständlich gar manche andere Interessen ; Faulheit und
so manches andere , obwohl gar manche Kolonisten auch davon einen
reichlichen Vorrath mitbrachten , war die natürliche Folge der
fortgesetzten Grausamkeit . Führt uns dieser letztere Punkt
schon aus dem theoretischen und moralischen mehr ins praktische
Gebiet , so gibt es auch noch andere praktische Gründe , welche
für Schonung und Hebung der Naturvölker , keinen aber , der
dagegen spricht. Waitz ( 1 , 484 ) setzt auseinander , dass bei den
grossen Unterschieden in der Naturumgebung der Menschen , bei den
mannigfaltigen Fähigkeiten und Eigenschaften , welche die
verschiedenen Völker im und durch den Lauf der Zeiten
entwickeln , die Civilisation der gesammten Menschheit auch in
höchster Vollendung keine ganz gleiche zu sein braucht , ja
auch nur sein kann . » Ohne dass ein Volk dem anderen die
materielle oder die geistige Arbeit ganz abnehmen könnte ,
würde sich doch das Verhältniss so gestalten , dass bei
einigen die eine , bei anderen die andere Art der Arbeit in ein
entschiedenes Uebergewicht träte , dass einige in der einen ,
andere in der anderen Richtung sich produktiver zeigten und dem
entsprechend auf die übrigen wirkten und ihnen mittheilten .
Den Tropenländern würde alsdann mehr oder weniger
allgemein die
überwiegende Produktion der materiellen , den
gemäßigten Klimaten die der geistigen Güter
zufallen . Eine hohe Stufe intellektueller Bildung , tiefes Denken
und eine durchgebildete , auf feiner und vielseitiger Ueberlegung
ruhende Sittlichkeit , scheint bei der geistigen Erschlaffung kaum
erreichbar zu sein , welche das Leben in der heissen Zone für
den Europäer wie für den Eingeborenen mit sich
bringt « ( 1 , 185 ) . Gerade weil aber das Leben unter den Tropen
erschlaffend wirkt und auf den weissen Einwanderer noch mehr als
auf den Eingeborenen , so ist es für ersteren der grösste
Vortheil , wenn ihm Unterstützung von letzteren zu Theil
würde . Von wie grossem Segen wäre es für alle
Kolonien , statt wie jetzt in oft so blutiger Feindschaft mit den
Eingeborenen zu leben , in ihnen Helfer und freundliche und
intelligente Arbeiter zu finden und so empfiehlt sich schon von
rein praktischer Seite für den Europäer die Schonung und
Hebung der Naturvölker durchaus .
Auch haben diese letzteren manches und wenn es bloss die
Kenntniss der sie umgebenden Natur wäre , was sie als
nützliche Dankesgabe für eine ihnen gewidmete treue
Sorgfalt geben könnten . Hatten doch einige von ihnen reiche
und originelle Kulturen entwickelt , deren Zerstörung ein
unersetzlicher Verlust für die Menschheit ist . Zunächst
ist es die Höhe und Reinheit der mexikanischen Moral , wovon
Waitz ( 4 , 125 ff . ) Proben gibt und die auch hinter den Lehren des
Christenthums keineswegs weit zurückbleiben , was jene
Behauptung rechtfertigt . Zugleich aber war in Mexiko wie in Peru
auch die intellektuelle Fähigkeit hoch entwickelt , und was sie
in industrieller Beziehung leisteten ( Bauwerke , Goldarbeiten
u. s. w. ) ist bekannt genug . Sicher ist uns vieles von dem , was sie
leisteten , durch die Art der Eroberung verloren ; und was eine
solche Kultur geleistet haben würde , wenn sie durch
freundliches und allmähliches Bekanntwerden mit der
europäischen erhöht worden wäre , darüber haben
wir kein Urtheil . Jedenfalls sind verschiedene Brennpunkte der
Kultur für die Menschheit nur ein Vortheil und zwar ein ganz
unschätzbarer , wenn man bedenkt wie langsam im allgemeinen die
Entwickelung der Völker ist . Auch ist kein geringer Werth auf
die originale Verschiedenheit solcher selbständiger Kulturen
zu legen ; durch ihr Zusammentreffen , Wetteifern , selbständiges
Schaffen wird mehr und allseitiges ins Leben gerufen und der
menschliche Geist mehr und allseitiger entwickelt , als durch eine
einzige in sich wesentlich gleiche Kultur .
Möge denn von diesen Völkern wenigstens gerettet
werden , was noch zu retten möglich ist . Bis jetzt steht die
Entwickelung der Menschheit auch nach dieser Seite hin ganz unter
naturalistischem Gesetz . Der » Kampf ums Dasein « , in
welchem es der Stärkere ist , welcher siegt , zeigt sich im
vollsten Maasse ; die erstarkten Raçen breiten sich aus ,
gewaltsam und zum Unterschied von der
unvernünftigen Natur mit
Lust und ohne Bedürfniss zerstörend , und ihnen erliegen
die schwächeren . Allein der Mensch ist der Vernunft und der
Liebe fähig und gerade darin sollte der stärkere des
vernunftbegabten Geschlechtes seine Kraft zeigen , dass er
schwächeres liebend zu sich emporhebt , statt es zu vernichten ;
dann würde der Geist , die sittliche Wahl des Menschen
herrschen und die Gesamtheit hätte einen grossen Schritt
weiter gethan auf der Bahn , die sie gehen muss , in der Befreiung
des Geistes von den rohen Fesseln der äusseren Natur .
Berichtigungen .
S. 3 Z. 2 v. u. | statt : | Waitz , ( 1164 ) | lies | ( Waitz I , 164 ). |
S. 16 Z. 17 v. o. | " | ( Osterius ) | " | ( Osterins ). |
S. 43 Z. 18 v. o. | " | Wanjaminow | " | Wenjaminow. |
S. 44 Z. 14 v. o. | " | berauschte | " | berauscht. |
S. 46 Z. 8 v. o. | " | kam | " | kamen. |
S. 48 Z. 2 v. u. | " | ( Humboldt b , | " | Humboldt ( b ,. |
S. 81 Z. 19 v. u. | " | wird | " | ward. |
S. 81 Z. 18 v. u. | " | herrscht | " | herrschte |
S. 107 Z. 7 v. u. | " | Gewich , | " | Gewicht. |
S. 107 Z. 6 v. u. | " | sindt | " | sind. |
S. 109 Z. 7 v. o. | " | aber | " | eben. |
S. 109 Z. 12 v. u. | " | Promychelinnks | " | Promyschlenniks |
S. 111 Z. 3 v. o. | " | wie in der | " | wie der. |
S. 112 Z. 23 u 22 v. u. | statt : | Einwohner | lies : | Einwanderer . |
Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig .