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Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.

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Namentlich Mädchen brachte man um (Taylor 165). Auch Abortus ist häufig: und so ist es nicht zu verwundern, dass (Browne 40) die Ehen durchschnittlich kaum mehr als zwei Kinder haben. Allerdings herrschen diese furchtbaren Gebräuche am meisten an der Küste; im Innern sind die Familien zahlreicher, ja Dieffenbach (2, 33) sah bis zu 10 Kindern in einer. Gegen die geschonten Kinder sind die Maoris liebevolle (Dieffenbach 2, 25 ff.), wenn auch nicht gerade zärtliche Eltern (Browne 39).

Es könnte scheinen, als hätten wir uns schon allzu lange bei diesem abschreckenden Gegenstande aufgehalten und seien zu sehr ins Einzelne gegangen, allein dies genauere Eingehen war nöthig für folgenden Nachweis. Da alle Polynesier liebevolle Eltern sind und wir dennoch dieselben Eltern im ganzen östlichen Polynesien so vollkommen abgehärtet gegen den Kindermord sehen, dass sie ruhig von allen den Scheusslichkeiten sprechen, ja auch schon herangewachsene Kinder kaltblütig morden: so kann diese Sitte nicht erst 50 Jahre vor der Entdeckung, also um 1700 oder 1710 weiter um sich gegriffen haben, wie Ellis will. Jedenfalls muss sie älter sein, auch in dieser Ausdehnung. Denn um ein Volk so ganz zu beherrschen, dazu braucht eine solche Sitte, auch wenn sie eingeschränkt schon früher im Gebrauche war, mehr als 50 Jahre. Auch ist uns berichtet, dass die marianischen Weiber ihre Kinder vor und bei der Geburt massenweise tödteten, als die Spanier die Inseln eroberten, damit die Neugeborenen nicht in Knechtschaft geriethen. Auch das setzt schon ein Bekanntsein mit Aehnlichem voraus, und dazu kommt, dass sich beim malaiischen Stamm überhaupt die Sitte des Kindermordes oder des künstlichen Abortus sehr häufig findet. So treiben die Battas häufig die Frucht vorzeitig ab, Waitz 5, 190; die östlichen Malgaschen tödten Zwillinge, sowie sie solche Kinder, die an einem bösen Tage geboren wurden, ertränkten, aussetzten oder lebendig begruben (Waitz 2, 441). Die Bisayas ziehen, um nicht zu verarmen, nur wenige Kinder auf, und tödten uneheliche Kinder meist, weil das Mädchen, ihr Vater und ihr Geliebter für aussereheliche Schwangerschaft Strafe zahlen müssen (Loarca in Ternaux Archives 1, 23). Aehnlich die Pintados auf den Philippinen, welche ihre Kinder vom 3ten an tödten, indem sie dieselben unter Festen und Lustbarkeiten lebendig begraben, so wie auch, um sie nicht ernähren zu müssen, alle unehelichen Geburten (nach einem Bericht von 1577 in N. Journ. As. VIII, 39, 1831). Auf den Niasinseln setzt man die Kinder aus (Domis bei Oosterling tydschrift toegew. van de verbreiding d. Kennis v. Oost. Indie II, 2, 125). Abtreiben der Kinder bei den Dajaks aus Sittenlosigkeit erwähnt Schwaner Borneo 1, 203.

Wie hat man sich nun die Entstehung dieser schrecklichen Sitte zu denken? Ist es bloss Trägheit und Versunkenheit, worin sie wurzelt? In Afrika und Nordamerika ist freilich meist das äussere

Namentlich Mädchen brachte man um (Taylor 165). Auch Abortus ist häufig: und so ist es nicht zu verwundern, dass (Browne 40) die Ehen durchschnittlich kaum mehr als zwei Kinder haben. Allerdings herrschen diese furchtbaren Gebräuche am meisten an der Küste; im Innern sind die Familien zahlreicher, ja Dieffenbach (2, 33) sah bis zu 10 Kindern in einer. Gegen die geschonten Kinder sind die Maoris liebevolle (Dieffenbach 2, 25 ff.), wenn auch nicht gerade zärtliche Eltern (Browne 39).

Es könnte scheinen, als hätten wir uns schon allzu lange bei diesem abschreckenden Gegenstande aufgehalten und seien zu sehr ins Einzelne gegangen, allein dies genauere Eingehen war nöthig für folgenden Nachweis. Da alle Polynesier liebevolle Eltern sind und wir dennoch dieselben Eltern im ganzen östlichen Polynesien so vollkommen abgehärtet gegen den Kindermord sehen, dass sie ruhig von allen den Scheusslichkeiten sprechen, ja auch schon herangewachsene Kinder kaltblütig morden: so kann diese Sitte nicht erst 50 Jahre vor der Entdeckung, also um 1700 oder 1710 weiter um sich gegriffen haben, wie Ellis will. Jedenfalls muss sie älter sein, auch in dieser Ausdehnung. Denn um ein Volk so ganz zu beherrschen, dazu braucht eine solche Sitte, auch wenn sie eingeschränkt schon früher im Gebrauche war, mehr als 50 Jahre. Auch ist uns berichtet, dass die marianischen Weiber ihre Kinder vor und bei der Geburt massenweise tödteten, als die Spanier die Inseln eroberten, damit die Neugeborenen nicht in Knechtschaft geriethen. Auch das setzt schon ein Bekanntsein mit Aehnlichem voraus, und dazu kommt, dass sich beim malaiischen Stamm überhaupt die Sitte des Kindermordes oder des künstlichen Abortus sehr häufig findet. So treiben die Battas häufig die Frucht vorzeitig ab, Waitz 5, 190; die östlichen Malgaschen tödten Zwillinge, sowie sie solche Kinder, die an einem bösen Tage geboren wurden, ertränkten, aussetzten oder lebendig begruben (Waitz 2, 441). Die Bisayas ziehen, um nicht zu verarmen, nur wenige Kinder auf, und tödten uneheliche Kinder meist, weil das Mädchen, ihr Vater und ihr Geliebter für aussereheliche Schwangerschaft Strafe zahlen müssen (Loarca in Ternaux Archives 1, 23). Aehnlich die Pintados auf den Philippinen, welche ihre Kinder vom 3ten an tödten, indem sie dieselben unter Festen und Lustbarkeiten lebendig begraben, so wie auch, um sie nicht ernähren zu müssen, alle unehelichen Geburten (nach einem Bericht von 1577 in N. Journ. As. VIII, 39, 1831). Auf den Niasinseln setzt man die Kinder aus (Domis bei Oosterling tydschrift toegew. van de verbreiding d. Kennis v. Oost. Indie II, 2, 125). Abtreiben der Kinder bei den Dajaks aus Sittenlosigkeit erwähnt Schwaner Borneo 1, 203.

Wie hat man sich nun die Entstehung dieser schrecklichen Sitte zu denken? Ist es bloss Trägheit und Versunkenheit, worin sie wurzelt? In Afrika und Nordamerika ist freilich meist das äussere

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Namentlich Mädchen brachte man um (Taylor 165).
 Auch Abortus ist häufig: und so ist es nicht zu verwundern,
 dass (Browne 40) die Ehen durchschnittlich kaum mehr als zwei
 Kinder haben. Allerdings herrschen diese furchtbaren Gebräuche
 am meisten an der Küste; im Innern sind die Familien
 zahlreicher, ja Dieffenbach (2, 33) sah bis zu 10 Kindern in einer.
 Gegen die geschonten Kinder sind die Maoris liebevolle (Dieffenbach
 2, 25 ff.), wenn auch nicht gerade zärtliche Eltern (Browne
 39).</p>
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 lange bei diesem abschreckenden Gegenstande aufgehalten und seien
 zu sehr ins Einzelne gegangen, allein dies genauere Eingehen war
 nöthig für folgenden Nachweis. Da alle Polynesier
 liebevolle Eltern sind und wir dennoch dieselben Eltern im ganzen
 östlichen Polynesien so vollkommen abgehärtet gegen den
 Kindermord sehen, dass sie ruhig von allen den Scheusslichkeiten
 sprechen, ja auch schon herangewachsene Kinder kaltblütig
 morden: so kann diese Sitte nicht erst 50 Jahre vor der Entdeckung,
 also um 1700 oder 1710 weiter um sich gegriffen haben, wie Ellis
 will. Jedenfalls muss sie älter sein, auch in dieser
 Ausdehnung. Denn um ein Volk so ganz zu beherrschen, dazu braucht
 eine solche Sitte, auch wenn sie eingeschränkt schon
 früher im Gebrauche war, mehr als 50 Jahre. Auch ist uns
 berichtet, dass die marianischen Weiber ihre Kinder vor und bei der
 Geburt massenweise tödteten, als die Spanier die Inseln
 eroberten, damit die Neugeborenen nicht in Knechtschaft geriethen.
 Auch das setzt schon ein Bekanntsein mit Aehnlichem voraus, und
 dazu kommt, dass sich beim malaiischen Stamm überhaupt die
 Sitte des Kindermordes oder des künstlichen Abortus sehr
 häufig findet. So treiben die Battas häufig die Frucht
 vorzeitig ab, Waitz 5, 190; die östlichen Malgaschen
 tödten Zwillinge, sowie sie solche Kinder, die an einem
 bösen Tage geboren wurden, ertränkten, aussetzten oder
 lebendig begruben (Waitz 2, 441). Die Bisayas ziehen, um nicht zu
 verarmen, nur wenige Kinder auf, und tödten uneheliche Kinder
 meist, weil das Mädchen, ihr Vater und ihr Geliebter für
 aussereheliche Schwangerschaft Strafe zahlen müssen (Loarca in
 Ternaux Archives 1, 23). Aehnlich die Pintados auf den Philippinen,
 welche ihre Kinder vom 3ten an tödten, indem sie dieselben
 unter Festen und Lustbarkeiten lebendig begraben, so wie auch, um
 sie nicht ernähren zu müssen, alle unehelichen Geburten
 (nach einem Bericht von 1577 in N. Journ. As. VIII, 39, 1831). Auf
 den Niasinseln setzt man die Kinder aus (Domis bei Oosterling
 tydschrift toegew. van de verbreiding d. Kennis v. Oost. Indie II,
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[0070] Namentlich Mädchen brachte man um (Taylor 165). Auch Abortus ist häufig: und so ist es nicht zu verwundern, dass (Browne 40) die Ehen durchschnittlich kaum mehr als zwei Kinder haben. Allerdings herrschen diese furchtbaren Gebräuche am meisten an der Küste; im Innern sind die Familien zahlreicher, ja Dieffenbach (2, 33) sah bis zu 10 Kindern in einer. Gegen die geschonten Kinder sind die Maoris liebevolle (Dieffenbach 2, 25 ff.), wenn auch nicht gerade zärtliche Eltern (Browne 39). Es könnte scheinen, als hätten wir uns schon allzu lange bei diesem abschreckenden Gegenstande aufgehalten und seien zu sehr ins Einzelne gegangen, allein dies genauere Eingehen war nöthig für folgenden Nachweis. Da alle Polynesier liebevolle Eltern sind und wir dennoch dieselben Eltern im ganzen östlichen Polynesien so vollkommen abgehärtet gegen den Kindermord sehen, dass sie ruhig von allen den Scheusslichkeiten sprechen, ja auch schon herangewachsene Kinder kaltblütig morden: so kann diese Sitte nicht erst 50 Jahre vor der Entdeckung, also um 1700 oder 1710 weiter um sich gegriffen haben, wie Ellis will. Jedenfalls muss sie älter sein, auch in dieser Ausdehnung. Denn um ein Volk so ganz zu beherrschen, dazu braucht eine solche Sitte, auch wenn sie eingeschränkt schon früher im Gebrauche war, mehr als 50 Jahre. Auch ist uns berichtet, dass die marianischen Weiber ihre Kinder vor und bei der Geburt massenweise tödteten, als die Spanier die Inseln eroberten, damit die Neugeborenen nicht in Knechtschaft geriethen. Auch das setzt schon ein Bekanntsein mit Aehnlichem voraus, und dazu kommt, dass sich beim malaiischen Stamm überhaupt die Sitte des Kindermordes oder des künstlichen Abortus sehr häufig findet. So treiben die Battas häufig die Frucht vorzeitig ab, Waitz 5, 190; die östlichen Malgaschen tödten Zwillinge, sowie sie solche Kinder, die an einem bösen Tage geboren wurden, ertränkten, aussetzten oder lebendig begruben (Waitz 2, 441). Die Bisayas ziehen, um nicht zu verarmen, nur wenige Kinder auf, und tödten uneheliche Kinder meist, weil das Mädchen, ihr Vater und ihr Geliebter für aussereheliche Schwangerschaft Strafe zahlen müssen (Loarca in Ternaux Archives 1, 23). Aehnlich die Pintados auf den Philippinen, welche ihre Kinder vom 3ten an tödten, indem sie dieselben unter Festen und Lustbarkeiten lebendig begraben, so wie auch, um sie nicht ernähren zu müssen, alle unehelichen Geburten (nach einem Bericht von 1577 in N. Journ. As. VIII, 39, 1831). Auf den Niasinseln setzt man die Kinder aus (Domis bei Oosterling tydschrift toegew. van de verbreiding d. Kennis v. Oost. Indie II, 2, 125). Abtreiben der Kinder bei den Dajaks aus Sittenlosigkeit erwähnt Schwaner Borneo 1, 203. Wie hat man sich nun die Entstehung dieser schrecklichen Sitte zu denken? Ist es bloss Trägheit und Versunkenheit, worin sie wurzelt? In Afrika und Nordamerika ist freilich meist das äussere

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Zitationshilfe: Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/70>, abgerufen am 24.11.2024.