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Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.

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Die Hottentotten sind gleichfalls hauptsächlich der feindseligen Ausrottung durch Holländer und Engländer erlegen: allein ihre Macht war, wie es scheint, schon durch frühere Kriege mit den umwohnenden Völkern gebrochen. Ihre elende Lebensart, Seuchen u. s. w. fördern ihr Aussterben mächtig.

Die Kamtschadalen und Aleuten sind den Vernichtungskriegen oder der muthwilligen Ausrottung durch die Russen, sowie den von ihnen eingeschleppten Seuchen erlegen: zweitens aber wirkten gleichfalls sehr die Ausschweifungen (in geschlechtlicher Hinsicht und durch den Trunk), denen sie ergeben waren. Sie waren durch dieselben entnervt und deshalb zum Widerstand nicht mehr stark genug.

Die Polynesier dagegen haben sich wesentlich selbst zu Grunde gerichtet, zunächst durch ihre unsinnigen geschlechtlichen Ausschweifungen (Tahiti, Hawaii); sodann durch den bei ihnen so furchtbar verbreiteten Kindermord, drittens durch die blutigen und verheerenden Kriege, die sie untereinander führten, viertens durch die sinnlose Bedrückung, welche die Herrschenden über die Beherrschten ausübten und endlich fünftens durch den geringen Werth, in welchem bei ihnen das Menschenleben stand. Sie waren schon im Aussterben begriffen, als die Kultur zu ihnen kam, und diese hat nur -- einzelne Völker, wo ihre Träger grössere Schuld auf sich luden, abgerechnet -- durch die physische und psychische Erregung, die sie bringen musste und wodurch ein sechster Grund für ihr Hinschwinden dazu kommt, das Uebel, welches diese Völker wie ein schleichendes Gift durchdrungen hatte, zum rascheren Ausbruch und schnelleren Verlauf gebracht.

Fragen wir nun, welche von allen diesen Ursachen war die verderblichste, so liegt gleich auf der Hand, dass dies das feindselige Auftreten der Weissen war, wie es ja auch bei fast allen Naturvölkern gleichmässig gewirkt hat und möchten wir die Angriffe auf das psychische Leben der Naturvölker fast für verderblicher halten, als das Losstürmen auf ihre physische Existenz. Letzteres hat akuter gewirkt und lässt sich mit der Verwundung eines Organismus vergleichen: jene brachten, wie eine totale Vergiftung, ein zwar langsameres, aber viel tieferes, schwerer zu heilendes und weit allgemeineres Unheil hervor. Aber auch die Europäer, trotz der Mittel, die sie anwandten, trotz der grossen Uebermacht ihrer Kultur, haben eine totale Ausrottung nur auf eng abgegrenzten Bezirken bewirkt, auf kleinen Inseln, auf Tasmanien, den Marianen, den Antillen: auf grösseren Gebieten reicht ihre Wirksamkeit nicht so weit, trotzdem sie hier noch manches andere unterstützt hat. Die leichte Empfänglichkeit der Naturvölker müssen wir, sowohl was Kraft der Wirkung, als auch was weite Ausdehnung derselben angeht, an zweiter Stelle erwähnen. Die Krankheiten, welche scheinbar spontan bei der Berührung der Naturvölker und der Weissen entstanden, so wie die,

Die Hottentotten sind gleichfalls hauptsächlich der feindseligen Ausrottung durch Holländer und Engländer erlegen: allein ihre Macht war, wie es scheint, schon durch frühere Kriege mit den umwohnenden Völkern gebrochen. Ihre elende Lebensart, Seuchen u. s. w. fördern ihr Aussterben mächtig.

Die Kamtschadalen und Aleuten sind den Vernichtungskriegen oder der muthwilligen Ausrottung durch die Russen, sowie den von ihnen eingeschleppten Seuchen erlegen: zweitens aber wirkten gleichfalls sehr die Ausschweifungen (in geschlechtlicher Hinsicht und durch den Trunk), denen sie ergeben waren. Sie waren durch dieselben entnervt und deshalb zum Widerstand nicht mehr stark genug.

Die Polynesier dagegen haben sich wesentlich selbst zu Grunde gerichtet, zunächst durch ihre unsinnigen geschlechtlichen Ausschweifungen (Tahiti, Hawaii); sodann durch den bei ihnen so furchtbar verbreiteten Kindermord, drittens durch die blutigen und verheerenden Kriege, die sie untereinander führten, viertens durch die sinnlose Bedrückung, welche die Herrschenden über die Beherrschten ausübten und endlich fünftens durch den geringen Werth, in welchem bei ihnen das Menschenleben stand. Sie waren schon im Aussterben begriffen, als die Kultur zu ihnen kam, und diese hat nur — einzelne Völker, wo ihre Träger grössere Schuld auf sich luden, abgerechnet — durch die physische und psychische Erregung, die sie bringen musste und wodurch ein sechster Grund für ihr Hinschwinden dazu kommt, das Uebel, welches diese Völker wie ein schleichendes Gift durchdrungen hatte, zum rascheren Ausbruch und schnelleren Verlauf gebracht.

Fragen wir nun, welche von allen diesen Ursachen war die verderblichste, so liegt gleich auf der Hand, dass dies das feindselige Auftreten der Weissen war, wie es ja auch bei fast allen Naturvölkern gleichmässig gewirkt hat und möchten wir die Angriffe auf das psychische Leben der Naturvölker fast für verderblicher halten, als das Losstürmen auf ihre physische Existenz. Letzteres hat akuter gewirkt und lässt sich mit der Verwundung eines Organismus vergleichen: jene brachten, wie eine totale Vergiftung, ein zwar langsameres, aber viel tieferes, schwerer zu heilendes und weit allgemeineres Unheil hervor. Aber auch die Europäer, trotz der Mittel, die sie anwandten, trotz der grossen Uebermacht ihrer Kultur, haben eine totale Ausrottung nur auf eng abgegrenzten Bezirken bewirkt, auf kleinen Inseln, auf Tasmanien, den Marianen, den Antillen: auf grösseren Gebieten reicht ihre Wirksamkeit nicht so weit, trotzdem sie hier noch manches andere unterstützt hat. Die leichte Empfänglichkeit der Naturvölker müssen wir, sowohl was Kraft der Wirkung, als auch was weite Ausdehnung derselben angeht, an zweiter Stelle erwähnen. Die Krankheiten, welche scheinbar spontan bei der Berührung der Naturvölker und der Weissen entstanden, so wie die,

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 mächtig.</p>
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 der muthwilligen Ausrottung durch die Russen, sowie den von ihnen
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 sehr die Ausschweifungen (in geschlechtlicher Hinsicht und durch
 den Trunk), denen sie ergeben waren. Sie waren durch dieselben
 entnervt und deshalb zum Widerstand nicht mehr stark genug.</p>
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 gerichtet, zunächst durch ihre unsinnigen geschlechtlichen
 Ausschweifungen (Tahiti, Hawaii); sodann durch den bei ihnen so
 furchtbar verbreiteten Kindermord, drittens durch die blutigen und
 verheerenden Kriege, die sie untereinander führten, viertens
 durch die sinnlose Bedrückung, welche die Herrschenden
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 stand. Sie waren schon im Aussterben begriffen, als die Kultur zu
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 Naturvölker fast für verderblicher halten, als das
 Losstürmen auf ihre physische Existenz. Letzteres hat akuter
 gewirkt und lässt sich mit der Verwundung eines Organismus
 vergleichen: jene brachten, wie eine totale Vergiftung, ein zwar
 langsameres, aber viel tieferes, schwerer zu heilendes und weit
 allgemeineres Unheil hervor. Aber auch die Europäer, trotz der
 Mittel, die sie anwandten, trotz der grossen Uebermacht ihrer
 Kultur, haben eine totale Ausrottung nur auf eng abgegrenzten
 Bezirken bewirkt, auf kleinen Inseln, auf Tasmanien, den Marianen,
 den Antillen: auf grösseren Gebieten reicht ihre Wirksamkeit
 nicht so weit, trotzdem sie hier noch manches andere
 unterstützt hat. Die leichte Empfänglichkeit der
 Naturvölker müssen wir, sowohl was Kraft der Wirkung, als
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[0130] Die Hottentotten sind gleichfalls hauptsächlich der feindseligen Ausrottung durch Holländer und Engländer erlegen: allein ihre Macht war, wie es scheint, schon durch frühere Kriege mit den umwohnenden Völkern gebrochen. Ihre elende Lebensart, Seuchen u. s. w. fördern ihr Aussterben mächtig. Die Kamtschadalen und Aleuten sind den Vernichtungskriegen oder der muthwilligen Ausrottung durch die Russen, sowie den von ihnen eingeschleppten Seuchen erlegen: zweitens aber wirkten gleichfalls sehr die Ausschweifungen (in geschlechtlicher Hinsicht und durch den Trunk), denen sie ergeben waren. Sie waren durch dieselben entnervt und deshalb zum Widerstand nicht mehr stark genug. Die Polynesier dagegen haben sich wesentlich selbst zu Grunde gerichtet, zunächst durch ihre unsinnigen geschlechtlichen Ausschweifungen (Tahiti, Hawaii); sodann durch den bei ihnen so furchtbar verbreiteten Kindermord, drittens durch die blutigen und verheerenden Kriege, die sie untereinander führten, viertens durch die sinnlose Bedrückung, welche die Herrschenden über die Beherrschten ausübten und endlich fünftens durch den geringen Werth, in welchem bei ihnen das Menschenleben stand. Sie waren schon im Aussterben begriffen, als die Kultur zu ihnen kam, und diese hat nur — einzelne Völker, wo ihre Träger grössere Schuld auf sich luden, abgerechnet — durch die physische und psychische Erregung, die sie bringen musste und wodurch ein sechster Grund für ihr Hinschwinden dazu kommt, das Uebel, welches diese Völker wie ein schleichendes Gift durchdrungen hatte, zum rascheren Ausbruch und schnelleren Verlauf gebracht. Fragen wir nun, welche von allen diesen Ursachen war die verderblichste, so liegt gleich auf der Hand, dass dies das feindselige Auftreten der Weissen war, wie es ja auch bei fast allen Naturvölkern gleichmässig gewirkt hat und möchten wir die Angriffe auf das psychische Leben der Naturvölker fast für verderblicher halten, als das Losstürmen auf ihre physische Existenz. Letzteres hat akuter gewirkt und lässt sich mit der Verwundung eines Organismus vergleichen: jene brachten, wie eine totale Vergiftung, ein zwar langsameres, aber viel tieferes, schwerer zu heilendes und weit allgemeineres Unheil hervor. Aber auch die Europäer, trotz der Mittel, die sie anwandten, trotz der grossen Uebermacht ihrer Kultur, haben eine totale Ausrottung nur auf eng abgegrenzten Bezirken bewirkt, auf kleinen Inseln, auf Tasmanien, den Marianen, den Antillen: auf grösseren Gebieten reicht ihre Wirksamkeit nicht so weit, trotzdem sie hier noch manches andere unterstützt hat. Die leichte Empfänglichkeit der Naturvölker müssen wir, sowohl was Kraft der Wirkung, als auch was weite Ausdehnung derselben angeht, an zweiter Stelle erwähnen. Die Krankheiten, welche scheinbar spontan bei der Berührung der Naturvölker und der Weissen entstanden, so wie die,

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Zitationshilfe: Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/130>, abgerufen am 24.11.2024.