verfälschte die reine Begeisterung, welche das große Werk begonnen. Die Edlen unter den Volksführern, befanden sich in der Lage des Sisyphus, der Stein rollte wieder bergab, wenn sie ihn bis zur Höhe gewälzt zu ha- ben glaubten, und viele wurden von seinem ge- waltsamen Sturz zerschmettert. Mein Vater redete und handelte muthig für seine Ueberzeu- gung, aber er sahe mit Schmerz daß das begon- neue Werk nicht nach seinem sanften edlen Sinne zu beendigen sey. Er hatte in seiner großen Seele der Menschheit einen höheren Grad der Reife zugetraut, als er jetzt fand. Mirabeau starb, die Jacobiner organisirten sich, und die Parteien fingen an sich zu bekämpfen. Der Hof und das Ausland trieben ihr finsteres Spiel, und verwirrten die geheimen Fäden des Gewe- bes so künstlich, daß man bei den meisten un- glaublichen Begebnissen, nicht mit Gewißheit sagen konnte, von welcher Seite die wirksam- sten Schläge gekommen. Sicher hätte dessen un- geachtet mein Vater den Kampf nicht gescheut; doch meine Mutter zitterte für den theuern schon ein Mahl verlorenen Gatten. Sie beschwor
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verfaͤlſchte die reine Begeiſterung, welche das große Werk begonnen. Die Edlen unter den Volksfuͤhrern, befanden ſich in der Lage des Siſyphus, der Stein rollte wieder bergab, wenn ſie ihn bis zur Hoͤhe gewaͤlzt zu ha- ben glaubten, und viele wurden von ſeinem ge- waltſamen Sturz zerſchmettert. Mein Vater redete und handelte muthig fuͤr ſeine Ueberzeu- gung, aber er ſahe mit Schmerz daß das begon- neue Werk nicht nach ſeinem ſanften edlen Sinne zu beendigen ſey. Er hatte in ſeiner großen Seele der Menſchheit einen hoͤheren Grad der Reife zugetraut, als er jetzt fand. Mirabeau ſtarb, die Jacobiner organiſirten ſich, und die Parteien fingen an ſich zu bekaͤmpfen. Der Hof und das Ausland trieben ihr finſteres Spiel, und verwirrten die geheimen Faͤden des Gewe- bes ſo kuͤnſtlich, daß man bei den meiſten un- glaublichen Begebniſſen, nicht mit Gewißheit ſagen konnte, von welcher Seite die wirkſam- ſten Schlaͤge gekommen. Sicher haͤtte deſſen un- geachtet mein Vater den Kampf nicht geſcheut; doch meine Mutter zitterte fuͤr den theuern ſchon ein Mahl verlorenen Gatten. Sie beſchwor
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verfaͤlſchte die reine Begeiſterung, welche das
große Werk begonnen. Die Edlen unter den
Volksfuͤhrern, befanden ſich in der Lage des
Siſyphus, der Stein rollte wieder bergab,
wenn ſie ihn bis zur Hoͤhe gewaͤlzt zu ha-
ben glaubten, und viele wurden von ſeinem ge-
waltſamen Sturz zerſchmettert. Mein Vater
redete und handelte muthig fuͤr ſeine Ueberzeu-
gung, aber er ſahe mit Schmerz daß das begon-
neue Werk nicht nach ſeinem ſanften edlen Sinne
zu beendigen ſey. Er hatte in ſeiner großen
Seele der Menſchheit einen hoͤheren Grad der
Reife zugetraut, als er jetzt fand. Mirabeau
ſtarb, die Jacobiner organiſirten ſich, und die
Parteien fingen an ſich zu bekaͤmpfen. Der
Hof und das Ausland trieben ihr finſteres Spiel,
und verwirrten die geheimen Faͤden des Gewe-
bes ſo kuͤnſtlich, daß man bei den meiſten un-
glaublichen Begebniſſen, nicht mit Gewißheit
ſagen konnte, von welcher Seite die wirkſam-
ſten Schlaͤge gekommen. Sicher haͤtte deſſen un-
geachtet mein Vater den Kampf nicht geſcheut;
doch meine Mutter zitterte fuͤr den theuern
ſchon ein Mahl verlorenen Gatten. Sie beſchwor
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Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820/59>, abgerufen am 16.02.2025.
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