aufzulösen! Sogar der freundliche Kapitän ver- wies mich nur an mich selbst, als er mir mit seiner schönen Stimme voll Rührung sagte: "Liebe, schöne Miß, sie verlassen ein Land voll Unruhe und Verwirrung; mein Vaterland, das heilige Land der Freiheit, wird sie als Tochter aufnehmen, und diese bangen Thränen trocknen. Betrachten sie mich als ihren Bruder, und ge- bieten sie über Alles, was dieser Bruder sein nennt." Guter Mann! es ist nicht das Ge- fühl des Verlassenseyns, was mich beklemmt. Jn den Sälen der Tuillerien würde ich mir viel verwais'ter erscheinen.
Siehe, meine Thränen sind während des Schreibens getrocknet, und mein Muth kehrt zurück. Jch muß wieder hinauf, damit der lange Aufenthalt in dem verschlossenen Raume mir nicht nachtheilig werde. Jch will nicht see- krank werden, wenn es irgend zu vermeiden ist. Krankheit wirkt auf den Geist, aber der Geist beherrscht mehr noch den Körper. Der meinige soll sich aufheitern und stark seyn. Nur noch einen Abschiedsblick nach der Wiege mei- ner Kindheit, nach den Gräbern meiner Lieben;
aufzuloͤſen! Sogar der freundliche Kapitaͤn ver- wies mich nur an mich ſelbſt, als er mir mit ſeiner ſchoͤnen Stimme voll Ruͤhrung ſagte: „Liebe, ſchoͤne Miß, ſie verlaſſen ein Land voll Unruhe und Verwirrung; mein Vaterland, das heilige Land der Freiheit, wird ſie als Tochter aufnehmen, und dieſe bangen Thraͤnen trocknen. Betrachten ſie mich als ihren Bruder, und ge- bieten ſie uͤber Alles, was dieſer Bruder ſein nennt.‟ Guter Mann! es iſt nicht das Ge- fuͤhl des Verlaſſenſeyns, was mich beklemmt. Jn den Saͤlen der Tuillerien wuͤrde ich mir viel verwaiſ’ter erſcheinen.
Siehe, meine Thraͤnen ſind waͤhrend des Schreibens getrocknet, und mein Muth kehrt zuruͤck. Jch muß wieder hinauf, damit der lange Aufenthalt in dem verſchloſſenen Raume mir nicht nachtheilig werde. Jch will nicht ſee- krank werden, wenn es irgend zu vermeiden iſt. Krankheit wirkt auf den Geiſt, aber der Geiſt beherrſcht mehr noch den Koͤrper. Der meinige ſoll ſich aufheitern und ſtark ſeyn. Nur noch einen Abſchiedsblick nach der Wiege mei- ner Kindheit, nach den Graͤbern meiner Lieben;
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aufzuloͤſen! Sogar der freundliche Kapitaͤn ver-
wies mich nur an mich ſelbſt, als er mir mit
ſeiner ſchoͤnen Stimme voll Ruͤhrung ſagte:
„Liebe, ſchoͤne Miß, ſie verlaſſen ein Land voll
Unruhe und Verwirrung; mein Vaterland, das
heilige Land der Freiheit, wird ſie als Tochter
aufnehmen, und dieſe bangen Thraͤnen trocknen.
Betrachten ſie mich als ihren Bruder, und ge-
bieten ſie uͤber Alles, was dieſer Bruder ſein
nennt.‟ Guter Mann! es iſt nicht das Ge-
fuͤhl des Verlaſſenſeyns, was mich beklemmt.
Jn den Saͤlen der Tuillerien wuͤrde ich mir
viel verwaiſ’ter erſcheinen.
Siehe, meine Thraͤnen ſind waͤhrend des
Schreibens getrocknet, und mein Muth kehrt
zuruͤck. Jch muß wieder hinauf, damit der
lange Aufenthalt in dem verſchloſſenen Raume
mir nicht nachtheilig werde. Jch will nicht ſee-
krank werden, wenn es irgend zu vermeiden
iſt. Krankheit wirkt auf den Geiſt, aber der
Geiſt beherrſcht mehr noch den Koͤrper. Der
meinige ſoll ſich aufheitern und ſtark ſeyn. Nur
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ner Kindheit, nach den Graͤbern meiner Lieben;
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Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820/22>, abgerufen am 27.07.2024.
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