Wange erblassen, mein Auge weinen sahst; doch liebten wir uns so herzlich, Du mit dem kindlich unbekümmerten Gemüth, ich mit der Erkenntniß, daß nur zufällige Umstände uns so verschieden gebildet, und Liebe und Güte, selbst das ungleichste binden können. O, meine Adele! noch immer seh ich Dich, als Du zum ersten Mahl übers Meer herüber gekommen warst, und an der Hand Deiner Mutter in unser Zimmer tra- test, ein freundliches, engelschönes Kind, kaum acht Jahr alt. Wie flog mein Herz Dir da entgegen, der jüngeren lieblichen Schwester; wie dankte ich dem Vater, daß er Euch durch sei- nen rastlosen Eifer die Rückkehr bewirkt. O, wäret Jhr doch nimmer wieder geschieden! Dann hättest Du mich ganz verstehen lernen mit zunehmenden Jahren, und spätere Ereig- nisse wären dir nicht unbekannt. So aber riß die Lebenswoge uns schon wieder aus einander, als du kaum das zwölfte Jahr vollendet, und dem seltenen, gefährlichen Briefwechsel war nichts bedeutendes zu vertrauen, weniger noch dem stets beobachteten Gespräch in den letzten Monden unserer Wiedervereinigung. Und doch
Wange erblaſſen, mein Auge weinen ſahſt; doch liebten wir uns ſo herzlich, Du mit dem kindlich unbekuͤmmerten Gemuͤth, ich mit der Erkenntniß, daß nur zufaͤllige Umſtaͤnde uns ſo verſchieden gebildet, und Liebe und Guͤte, ſelbſt das ungleichſte binden koͤnnen. O, meine Adele! noch immer ſeh ich Dich, als Du zum erſten Mahl uͤbers Meer heruͤber gekommen warſt, und an der Hand Deiner Mutter in unſer Zimmer tra- teſt, ein freundliches, engelſchoͤnes Kind, kaum acht Jahr alt. Wie flog mein Herz Dir da entgegen, der juͤngeren lieblichen Schweſter; wie dankte ich dem Vater, daß er Euch durch ſei- nen raſtloſen Eifer die Ruͤckkehr bewirkt. O, waͤret Jhr doch nimmer wieder geſchieden! Dann haͤtteſt Du mich ganz verſtehen lernen mit zunehmenden Jahren, und ſpaͤtere Ereig- niſſe waͤren dir nicht unbekannt. So aber riß die Lebenswoge uns ſchon wieder aus einander, als du kaum das zwoͤlfte Jahr vollendet, und dem ſeltenen, gefaͤhrlichen Briefwechſel war nichts bedeutendes zu vertrauen, weniger noch dem ſtets beobachteten Geſpraͤch in den letzten Monden unſerer Wiedervereinigung. Und doch
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Wange erblaſſen, mein Auge weinen ſahſt;
doch liebten wir uns ſo herzlich, Du mit dem
kindlich unbekuͤmmerten Gemuͤth, ich mit der
Erkenntniß, daß nur zufaͤllige Umſtaͤnde uns ſo
verſchieden gebildet, und Liebe und Guͤte, ſelbſt
das ungleichſte binden koͤnnen. O, meine Adele!
noch immer ſeh ich Dich, als Du zum erſten Mahl
uͤbers Meer heruͤber gekommen warſt, und an
der Hand Deiner Mutter in unſer Zimmer tra-
teſt, ein freundliches, engelſchoͤnes Kind, kaum
acht Jahr alt. Wie flog mein Herz Dir da
entgegen, der juͤngeren lieblichen Schweſter; wie
dankte ich dem Vater, daß er Euch durch ſei-
nen raſtloſen Eifer die Ruͤckkehr bewirkt. O,
waͤret Jhr doch nimmer wieder geſchieden!
Dann haͤtteſt Du mich ganz verſtehen lernen
mit zunehmenden Jahren, und ſpaͤtere Ereig-
niſſe waͤren dir nicht unbekannt. So aber riß
die Lebenswoge uns ſchon wieder aus einander,
als du kaum das zwoͤlfte Jahr vollendet, und
dem ſeltenen, gefaͤhrlichen Briefwechſel war
nichts bedeutendes zu vertrauen, weniger noch
dem ſtets beobachteten Geſpraͤch in den letzten
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Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820/19>, abgerufen am 27.07.2024.
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