ihn leidenschaftlich in ihre Arme, und schien noch einige Hoffnung zu hegen, ihn zurück zu halten; doch überzeugte sie seine ruhige Hal- tung, und meines Vaters bestimmte Erklä- rung, sehr bald, daß sie sich dem Unvermeid- lichen ergeben müsse. Sie that es mit der be- sten Fassung von der Welt, augenscheinlich in der Absicht, das Herz ihres Lieblings nicht schwer zu machen. O Allmacht der mütterlichen Liebe, welche Wunder bringst du hervor! Meine arme Mutter, sonst so heftig in den Aeußerun- gen ihres Schmerzes, gewann es über sich, ihrem Sohn immer ein heiteres Gesicht zu zeigen, während ihr Herz aus tausend Wunden blutete. Sie war rastlos mit seinen kleinen Bedürfnissen beschäftigt, und sprach sogar scherzend von sei- ner baldigen siegreichen Rückkehr. Nur in der Stille des Morgens, hörte ich oft ihr Schluch- zen, im anstoßenden Kabinett, und bemerkte, wenn sie in das Wohnzimmer trat, auf ihrer blassern Wange, Spuren frisch vergossener Thränen, wel- che sie jedoch sorgfältig zu tilgen suchte, wenn die Frühstücksstunde heran nahte. Mit zärtlicher Achtsamkeit forschte der Sohn oft auf ihrem
ihn leidenſchaftlich in ihre Arme, und ſchien noch einige Hoffnung zu hegen, ihn zuruͤck zu halten; doch uͤberzeugte ſie ſeine ruhige Hal- tung, und meines Vaters beſtimmte Erklaͤ- rung, ſehr bald, daß ſie ſich dem Unvermeid- lichen ergeben muͤſſe. Sie that es mit der be- ſten Faſſung von der Welt, augenſcheinlich in der Abſicht, das Herz ihres Lieblings nicht ſchwer zu machen. O Allmacht der muͤtterlichen Liebe, welche Wunder bringſt du hervor! Meine arme Mutter, ſonſt ſo heftig in den Aeußerun- gen ihres Schmerzes, gewann es uͤber ſich, ihrem Sohn immer ein heiteres Geſicht zu zeigen, waͤhrend ihr Herz aus tauſend Wunden blutete. Sie war raſtlos mit ſeinen kleinen Beduͤrfniſſen beſchaͤftigt, und ſprach ſogar ſcherzend von ſei- ner baldigen ſiegreichen Ruͤckkehr. Nur in der Stille des Morgens, hoͤrte ich oft ihr Schluch- zen, im anſtoßenden Kabinett, und bemerkte, wenn ſie in das Wohnzimmer trat, auf ihrer blaſſern Wange, Spuren friſch vergoſſener Thraͤnen, wel- che ſie jedoch ſorgfaͤltig zu tilgen ſuchte, wenn die Fruͤhſtuͤcksſtunde heran nahte. Mit zaͤrtlicher Achtſamkeit forſchte der Sohn oft auf ihrem
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ihn leidenſchaftlich in ihre Arme, und ſchien
noch einige Hoffnung zu hegen, ihn zuruͤck zu
halten; doch uͤberzeugte ſie ſeine ruhige Hal-
tung, und meines Vaters beſtimmte Erklaͤ-
rung, ſehr bald, daß ſie ſich dem Unvermeid-
lichen ergeben muͤſſe. Sie that es mit der be-
ſten Faſſung von der Welt, augenſcheinlich in
der Abſicht, das Herz ihres Lieblings nicht
ſchwer zu machen. O Allmacht der muͤtterlichen
Liebe, welche Wunder bringſt du hervor! Meine
arme Mutter, ſonſt ſo heftig in den Aeußerun-
gen ihres Schmerzes, gewann es uͤber ſich, ihrem
Sohn immer ein heiteres Geſicht zu zeigen,
waͤhrend ihr Herz aus tauſend Wunden blutete.
Sie war raſtlos mit ſeinen kleinen Beduͤrfniſſen
beſchaͤftigt, und ſprach ſogar ſcherzend von ſei-
ner baldigen ſiegreichen Ruͤckkehr. Nur in der
Stille des Morgens, hoͤrte ich oft ihr Schluch-
zen, im anſtoßenden Kabinett, und bemerkte, wenn
ſie in das Wohnzimmer trat, auf ihrer blaſſern
Wange, Spuren friſch vergoſſener Thraͤnen, wel-
che ſie jedoch ſorgfaͤltig zu tilgen ſuchte, wenn die
Fruͤhſtuͤcksſtunde heran nahte. Mit zaͤrtlicher
Achtſamkeit forſchte der Sohn oft auf ihrem
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Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820/127>, abgerufen am 27.07.2024.
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