lieben Gesichte, und bat dann mit seiner schmei- chelnden Stimme: "sey nicht traurig liebe Mut- ter!" Sie lächelte jedes Mahl, und leugnete es zu seyn. So flossen uns noch vierzehn schmerzlich-süße Tage dahin. Emil bemerkte bald das zärtliche Verhältniß zwischen seinem Freunde und mir, welches wir auch gar nicht zu verhehlen strebten. Er zog uns beide in seine Arme. Jch halte des Lebens größte Schätze an meiner Brust! sagte er. Alle? fragte ich schalkhaft. Lebend, und im Bilde! erwiederte er. Jch fühlte, daß er, zugleich mit mir, Dein Bild an sich drückte, welches, meinem Busen entfallen, an meiner rechten Seite hing. Jm Uebermaß meiner Liebe für den theuren Bruder, und im Gefühl meines eigenen Glücks, nahm ich die Kette mit Deinem Bilde von mei- nem Halse, und schlang sie um den seinigen. Es sey deine Aegide, sagte ich, und schütze dein liebes Herz! Er war außer sich vor Ent- zücken und Dankbarkeit. Ein muthiges Herz wird dagegen schlagen, sagte er, bis es zu klo- pfen aufhört. O nichts vom Stillstehen dieses Herzens! bat ich, von dem Gedanken erschüt-
lieben Geſichte, und bat dann mit ſeiner ſchmei- chelnden Stimme: „ſey nicht traurig liebe Mut- ter!‟ Sie laͤchelte jedes Mahl, und leugnete es zu ſeyn. So floſſen uns noch vierzehn ſchmerzlich-ſuͤße Tage dahin. Emil bemerkte bald das zaͤrtliche Verhaͤltniß zwiſchen ſeinem Freunde und mir, welches wir auch gar nicht zu verhehlen ſtrebten. Er zog uns beide in ſeine Arme. Jch halte des Lebens groͤßte Schaͤtze an meiner Bruſt! ſagte er. Alle? fragte ich ſchalkhaft. Lebend, und im Bilde! erwiederte er. Jch fuͤhlte, daß er, zugleich mit mir, Dein Bild an ſich druͤckte, welches, meinem Buſen entfallen, an meiner rechten Seite hing. Jm Uebermaß meiner Liebe fuͤr den theuren Bruder, und im Gefuͤhl meines eigenen Gluͤcks, nahm ich die Kette mit Deinem Bilde von mei- nem Halſe, und ſchlang ſie um den ſeinigen. Es ſey deine Aegide, ſagte ich, und ſchuͤtze dein liebes Herz! Er war außer ſich vor Ent- zuͤcken und Dankbarkeit. Ein muthiges Herz wird dagegen ſchlagen, ſagte er, bis es zu klo- pfen aufhoͤrt. O nichts vom Stillſtehen dieſes Herzens! bat ich, von dem Gedanken erſchuͤt-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0128"n="118"/>
lieben Geſichte, und bat dann mit ſeiner ſchmei-<lb/>
chelnden Stimme: „ſey nicht traurig liebe Mut-<lb/>
ter!‟ Sie laͤchelte jedes Mahl, und leugnete<lb/>
es zu ſeyn. So floſſen uns noch vierzehn<lb/>ſchmerzlich-ſuͤße Tage dahin. Emil bemerkte<lb/>
bald das zaͤrtliche Verhaͤltniß zwiſchen ſeinem<lb/>
Freunde und mir, welches wir auch gar nicht<lb/>
zu verhehlen ſtrebten. Er zog uns beide in<lb/>ſeine Arme. Jch halte des Lebens groͤßte<lb/>
Schaͤtze an meiner Bruſt! ſagte er. Alle?<lb/>
fragte ich ſchalkhaft. Lebend, und im Bilde!<lb/>
erwiederte er. Jch fuͤhlte, daß er, zugleich mit<lb/>
mir, Dein Bild an ſich druͤckte, welches, meinem<lb/>
Buſen entfallen, an meiner rechten Seite hing.<lb/>
Jm Uebermaß meiner Liebe fuͤr den theuren<lb/>
Bruder, und im Gefuͤhl meines eigenen Gluͤcks,<lb/>
nahm ich die Kette mit Deinem Bilde von mei-<lb/>
nem Halſe, und ſchlang ſie um den ſeinigen.<lb/>
Es ſey deine Aegide, ſagte ich, und ſchuͤtze<lb/>
dein liebes Herz! Er war außer ſich vor Ent-<lb/>
zuͤcken und Dankbarkeit. Ein muthiges Herz<lb/>
wird dagegen ſchlagen, ſagte er, bis es zu klo-<lb/>
pfen aufhoͤrt. O nichts vom Stillſtehen dieſes<lb/>
Herzens! bat ich, von dem Gedanken erſchuͤt-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[118/0128]
lieben Geſichte, und bat dann mit ſeiner ſchmei-
chelnden Stimme: „ſey nicht traurig liebe Mut-
ter!‟ Sie laͤchelte jedes Mahl, und leugnete
es zu ſeyn. So floſſen uns noch vierzehn
ſchmerzlich-ſuͤße Tage dahin. Emil bemerkte
bald das zaͤrtliche Verhaͤltniß zwiſchen ſeinem
Freunde und mir, welches wir auch gar nicht
zu verhehlen ſtrebten. Er zog uns beide in
ſeine Arme. Jch halte des Lebens groͤßte
Schaͤtze an meiner Bruſt! ſagte er. Alle?
fragte ich ſchalkhaft. Lebend, und im Bilde!
erwiederte er. Jch fuͤhlte, daß er, zugleich mit
mir, Dein Bild an ſich druͤckte, welches, meinem
Buſen entfallen, an meiner rechten Seite hing.
Jm Uebermaß meiner Liebe fuͤr den theuren
Bruder, und im Gefuͤhl meines eigenen Gluͤcks,
nahm ich die Kette mit Deinem Bilde von mei-
nem Halſe, und ſchlang ſie um den ſeinigen.
Es ſey deine Aegide, ſagte ich, und ſchuͤtze
dein liebes Herz! Er war außer ſich vor Ent-
zuͤcken und Dankbarkeit. Ein muthiges Herz
wird dagegen ſchlagen, ſagte er, bis es zu klo-
pfen aufhoͤrt. O nichts vom Stillſtehen dieſes
Herzens! bat ich, von dem Gedanken erſchuͤt-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820/128>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.