dem Schilde, Oheim, oder auf dem Schilde! entgegnete dieser langsam, mit Nachdruck. Mu- cius Scävola! rief mein Vater und schloß ihn mit feuchten Augen an seine Brust. Marie weinte heftig als er sie zum Abschied küßte, dann umarmte sie mich, sahe mich einen Au- genblick nachdenkend an, ein halbes Lächeln schwebte auf ihrem leidenden Gesichte, sie schüt- telte leise den Kopf, als wollte sie sagen: keine wird ihn haben! Sie trocknete muthig ihre Thränen, und schmiegte sich sanft resignirt an ihren Vater.
Unsre Rückreise war nicht erfreulich. Meine Mutter war meistens leidend und in sich gekehrt, so viel Mühe sich auch die Männer gaben sie zu beruhigen; mein leuchtendes Auge schien ihr wundes Gefühl oftmahls zu verletzen. Auf der andern Seite aber war es mir eine hohe Freude, zu bemerken, wie mein Vater mit jeder Mi- nute mehr Gefallen an meinem Geliebten fand. Er erzählte ihm seinen amerikanischen Feldzug, und verjüngte sich mitten unter den Bildern seiner Jugend. "Dein Bruder fiel!" seufzte meine Mutter. Für seine Ueberzeugung, für
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dem Schilde, Oheim, oder auf dem Schilde! entgegnete dieſer langſam, mit Nachdruck. Mu- cius Scaͤvola! rief mein Vater und ſchloß ihn mit feuchten Augen an ſeine Bruſt. Marie weinte heftig als er ſie zum Abſchied kuͤßte, dann umarmte ſie mich, ſahe mich einen Au- genblick nachdenkend an, ein halbes Laͤcheln ſchwebte auf ihrem leidenden Geſichte, ſie ſchuͤt- telte leiſe den Kopf, als wollte ſie ſagen: keine wird ihn haben! Sie trocknete muthig ihre Thraͤnen, und ſchmiegte ſich ſanft reſignirt an ihren Vater.
Unſre Ruͤckreiſe war nicht erfreulich. Meine Mutter war meiſtens leidend und in ſich gekehrt, ſo viel Muͤhe ſich auch die Maͤnner gaben ſie zu beruhigen; mein leuchtendes Auge ſchien ihr wundes Gefuͤhl oftmahls zu verletzen. Auf der andern Seite aber war es mir eine hohe Freude, zu bemerken, wie mein Vater mit jeder Mi- nute mehr Gefallen an meinem Geliebten fand. Er erzaͤhlte ihm ſeinen amerikaniſchen Feldzug, und verjuͤngte ſich mitten unter den Bildern ſeiner Jugend. „Dein Bruder fiel!‟ ſeufzte meine Mutter. Fuͤr ſeine Ueberzeugung, fuͤr
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dem Schilde, Oheim, oder auf dem Schilde!
entgegnete dieſer langſam, mit Nachdruck. Mu-
cius Scaͤvola! rief mein Vater und ſchloß ihn
mit feuchten Augen an ſeine Bruſt. Marie
weinte heftig als er ſie zum Abſchied kuͤßte,
dann umarmte ſie mich, ſahe mich einen Au-
genblick nachdenkend an, ein halbes Laͤcheln
ſchwebte auf ihrem leidenden Geſichte, ſie ſchuͤt-
telte leiſe den Kopf, als wollte ſie ſagen: keine
wird ihn haben! Sie trocknete muthig ihre
Thraͤnen, und ſchmiegte ſich ſanft reſignirt an
ihren Vater.
Unſre Ruͤckreiſe war nicht erfreulich. Meine
Mutter war meiſtens leidend und in ſich gekehrt,
ſo viel Muͤhe ſich auch die Maͤnner gaben ſie
zu beruhigen; mein leuchtendes Auge ſchien ihr
wundes Gefuͤhl oftmahls zu verletzen. Auf der
andern Seite aber war es mir eine hohe Freude,
zu bemerken, wie mein Vater mit jeder Mi-
nute mehr Gefallen an meinem Geliebten fand.
Er erzaͤhlte ihm ſeinen amerikaniſchen Feldzug,
und verjuͤngte ſich mitten unter den Bildern
ſeiner Jugend. „Dein Bruder fiel!‟ ſeufzte
meine Mutter. Fuͤr ſeine Ueberzeugung, fuͤr
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Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820/125>, abgerufen am 27.07.2024.
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