Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.Diese zerstört die metaphysische Behandlung der Geschichte. la mettre sous l'empire de la philosophie, so entfaltet in ihm dieEinseitigkeit des ungeschichtlichen Verstandes, in welcher das na- türliche System der Wirklichkeit gegenübergestellt wurde, ihre zer- störenden Folgen. Aber dasselbe natürliche System hat zuerst das große Objekt der geistigen Welt einer Analysis unterworfen, die auf die Faktoren gerichtet war. Es ging über die Klassenbegriffe durch eine wahre Zerlegung hinaus, wie dies am deutlichsten die Analysis der Vorstellung des Nationalreichthums in der politischen Oekonomie zeigt. Und die Zerlegung hat den wissenschaftlichen Geist von selber über die Schranken des natürlichen Systems hin- ausgeführt und das moderne geschichtliche Bewußtsein vorbereitet. Der metaphysische Geist umspinnt freilich die Thatsachen der Es bleibt, wenn das graue Gespinnst abstrakter, substantialer Dieſe zerſtört die metaphyſiſche Behandlung der Geſchichte. la mettre sous l’empire de la philosophie, ſo entfaltet in ihm dieEinſeitigkeit des ungeſchichtlichen Verſtandes, in welcher das na- türliche Syſtem der Wirklichkeit gegenübergeſtellt wurde, ihre zer- ſtörenden Folgen. Aber daſſelbe natürliche Syſtem hat zuerſt das große Objekt der geiſtigen Welt einer Analyſis unterworfen, die auf die Faktoren gerichtet war. Es ging über die Klaſſenbegriffe durch eine wahre Zerlegung hinaus, wie dies am deutlichſten die Analyſis der Vorſtellung des Nationalreichthums in der politiſchen Oekonomie zeigt. Und die Zerlegung hat den wiſſenſchaftlichen Geiſt von ſelber über die Schranken des natürlichen Syſtems hin- ausgeführt und das moderne geſchichtliche Bewußtſein vorbereitet. Der metaphyſiſche Geiſt umſpinnt freilich die Thatſachen der Es bleibt, wenn das graue Geſpinnſt abſtrakter, ſubſtantialer <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0510" n="487"/><fw place="top" type="header">Dieſe zerſtört die metaphyſiſche Behandlung der Geſchichte.</fw><lb/><hi rendition="#aq">la mettre sous l’empire de la philosophie</hi>, ſo entfaltet in ihm die<lb/> Einſeitigkeit des ungeſchichtlichen Verſtandes, in welcher das na-<lb/> türliche Syſtem der Wirklichkeit gegenübergeſtellt wurde, ihre zer-<lb/> ſtörenden Folgen. Aber daſſelbe natürliche Syſtem hat zuerſt das<lb/> große Objekt der geiſtigen Welt einer Analyſis unterworfen, die<lb/> auf die Faktoren gerichtet war. Es ging über die Klaſſenbegriffe<lb/> durch eine wahre Zerlegung hinaus, wie dies am deutlichſten die<lb/> Analyſis der Vorſtellung des Nationalreichthums in der politiſchen<lb/> Oekonomie zeigt. Und die Zerlegung hat den wiſſenſchaftlichen<lb/> Geiſt von ſelber über die Schranken des natürlichen Syſtems hin-<lb/> ausgeführt und das moderne geſchichtliche Bewußtſein vorbereitet.</p><lb/> <p>Der metaphyſiſche Geiſt umſpinnt freilich die Thatſachen der<lb/> Geſchichte und der Geſellſchaft an unzähligen Punkten mit noch<lb/> weit feineren Fäden: dieſe ſtammen aus dem natürlichen Vor-<lb/> ſtellen und Denken. Denn im Studium der Geſellſchaft wieder-<lb/> holt ſich daſſelbe Verhältniß, welches wir in dem der Natur ge-<lb/> wahrt haben. Die Analyſis trifft einerſeits auf Individuen als<lb/> Subjekte, andrerſeits auf prädikative Beſtimmungen, welche als<lb/> ſolche allgemein ſein müſſen. Daher erſcheint, was in den letzteren<lb/> enthalten iſt, als eine Weſenheit zwiſchen und hinter den Individuen<lb/> und wird als ſolche in Begriffen wie Recht, Religion, Kunſt ſub-<lb/> ſtantiirt. Dieſe feineren und unvermeidlichen Täuſchungen des<lb/> natürlichen Denkens löſt erſt die Erkenntnißtheorie völlig auf. Sie<lb/> wird zeigen: das Verhältniß der Subjekte zu den allgemeinen<lb/> prädikativen Beſtimmungen iſt hier, wo wir in unſerem Selbſtbe-<lb/> wußtſein dieſer Subjekte und ihrer Selbſtändigkeit gewiß ſind, ja die<lb/> Kräfte kennen, die den prädikativen Beſtimmungen zu Grunde<lb/> liegen, verſchieden von dem Verhältniß, das in der Naturwiſſen-<lb/> ſchaft zwiſchen Elementen und Geſetzen beſteht; die Begriffe, die<lb/> hier aus prädikativen Beſtimmungen gebildet werden, ſind anderer<lb/> Beſchaffenheit als die der Naturwiſſenſchaften.</p><lb/> <p>Es bleibt, wenn das graue Geſpinnſt abſtrakter, ſubſtantialer<lb/> Weſenheiten zerriſſen iſt, hinter ihm übrig — <hi rendition="#g">der Menſch</hi>, in<lb/> verſchiedenen Lagen einer zum anderen, innerhalb des Mittels der<lb/> Natur. Jede Schrift, jede Reihe von Handlungen iſt für uns in<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [487/0510]
Dieſe zerſtört die metaphyſiſche Behandlung der Geſchichte.
la mettre sous l’empire de la philosophie, ſo entfaltet in ihm die
Einſeitigkeit des ungeſchichtlichen Verſtandes, in welcher das na-
türliche Syſtem der Wirklichkeit gegenübergeſtellt wurde, ihre zer-
ſtörenden Folgen. Aber daſſelbe natürliche Syſtem hat zuerſt das
große Objekt der geiſtigen Welt einer Analyſis unterworfen, die
auf die Faktoren gerichtet war. Es ging über die Klaſſenbegriffe
durch eine wahre Zerlegung hinaus, wie dies am deutlichſten die
Analyſis der Vorſtellung des Nationalreichthums in der politiſchen
Oekonomie zeigt. Und die Zerlegung hat den wiſſenſchaftlichen
Geiſt von ſelber über die Schranken des natürlichen Syſtems hin-
ausgeführt und das moderne geſchichtliche Bewußtſein vorbereitet.
Der metaphyſiſche Geiſt umſpinnt freilich die Thatſachen der
Geſchichte und der Geſellſchaft an unzähligen Punkten mit noch
weit feineren Fäden: dieſe ſtammen aus dem natürlichen Vor-
ſtellen und Denken. Denn im Studium der Geſellſchaft wieder-
holt ſich daſſelbe Verhältniß, welches wir in dem der Natur ge-
wahrt haben. Die Analyſis trifft einerſeits auf Individuen als
Subjekte, andrerſeits auf prädikative Beſtimmungen, welche als
ſolche allgemein ſein müſſen. Daher erſcheint, was in den letzteren
enthalten iſt, als eine Weſenheit zwiſchen und hinter den Individuen
und wird als ſolche in Begriffen wie Recht, Religion, Kunſt ſub-
ſtantiirt. Dieſe feineren und unvermeidlichen Täuſchungen des
natürlichen Denkens löſt erſt die Erkenntnißtheorie völlig auf. Sie
wird zeigen: das Verhältniß der Subjekte zu den allgemeinen
prädikativen Beſtimmungen iſt hier, wo wir in unſerem Selbſtbe-
wußtſein dieſer Subjekte und ihrer Selbſtändigkeit gewiß ſind, ja die
Kräfte kennen, die den prädikativen Beſtimmungen zu Grunde
liegen, verſchieden von dem Verhältniß, das in der Naturwiſſen-
ſchaft zwiſchen Elementen und Geſetzen beſteht; die Begriffe, die
hier aus prädikativen Beſtimmungen gebildet werden, ſind anderer
Beſchaffenheit als die der Naturwiſſenſchaften.
Es bleibt, wenn das graue Geſpinnſt abſtrakter, ſubſtantialer
Weſenheiten zerriſſen iſt, hinter ihm übrig — der Menſch, in
verſchiedenen Lagen einer zum anderen, innerhalb des Mittels der
Natur. Jede Schrift, jede Reihe von Handlungen iſt für uns in
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