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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Zweites Buch. Vierter Abschnitt.
derung ermöglichte die mechanische Weltansicht. Dieselbe trennte
den abstrakten Begriff von Quantität der Kraft (Energie, Arbeit)
von den konkreten Naturphänomenen ab. Jede Maschine zeigt eine
meßbare Triebkraft, deren Quantum von der Form verschieden
ist, in welcher die Kraft auftritt, und sie zeigt zugleich, wie durch
die Leistung Triebkraft verbraucht wird; vis agendo consumitur.
Das Ideal eines objektiven dem Gedanken faßbaren Zusammen-
hangs der Bedingungen für das Gegebene ist in dieser Richtung
durch die Entdeckung des mechanischen Aequivalents der Wärme
und die Aufstellung des Gesetzes von der Erhaltung der Kraft
verwirklicht. Auch hier haben wir kein apriorisches Gesetz vor
uns, vielmehr haben positive Entdeckungen die Naturwissenschaft
dem angegebenen Ideal angenähert. Indem eine Naturkraft nach
der anderen in Bewegung aufgelöst, diese aber dem umfassenden
Gesetz untergeordnet wird, daß jedes Wirken Effekt eines früheren
gleich großen, jeder Effekt Ursache eines weiteren gleich großen
Effektes sei: schließt sich der Zusammenhang ab. So hat das
Gesetz von der Erhaltung der Kraft in Bezug auf die Benutzung
der Vorstellung von Kraft dieselbe Funktion als der Satz von
der Unveränderlichkeit der Masse im Weltall in Bezug auf den
Stoff. Zusammen sondern sie, auf dem Wege der Erfahrung,
das Konstante in den Veränderungen des Weltalls aus, welches
aufzufassen die metaphysische Epoche vergebens bemüht war.

So viel ist klar: man kann die mechanische Naturerklärung,
wie sie nun das Ergebniß der bewundernswerthen Arbeit des
naturforschenden Geistes in Europa seit dem Ausgang des Mittel-
alters ist, nicht gröber mißverstehen, als indem man sie als eine
neue Art von Metaphysik, etwa eine solche auf induktiver Grund-
lage, auffaßt. Freilich sonderte sich nur allmälig und langsam
von der Metaphysik das Ideal von erklärender Erkenntniß des
Naturzusammenhangs ab, und erst die erkenntnißtheoretische For-
schung klärt den ganzen Gegensatz auf, der zwischen dem
metaphysischen Geist und der Arbeit der modernen
Naturwissenschaft
besteht. Sie mag ihn vorläufig, vor der
Darlegung unserer Erkenntnißtheorie, folgendermaßen bestimmen.


Zweites Buch. Vierter Abſchnitt.
derung ermöglichte die mechaniſche Weltanſicht. Dieſelbe trennte
den abſtrakten Begriff von Quantität der Kraft (Energie, Arbeit)
von den konkreten Naturphänomenen ab. Jede Maſchine zeigt eine
meßbare Triebkraft, deren Quantum von der Form verſchieden
iſt, in welcher die Kraft auftritt, und ſie zeigt zugleich, wie durch
die Leiſtung Triebkraft verbraucht wird; vis agendo consumitur.
Das Ideal eines objektiven dem Gedanken faßbaren Zuſammen-
hangs der Bedingungen für das Gegebene iſt in dieſer Richtung
durch die Entdeckung des mechaniſchen Aequivalents der Wärme
und die Aufſtellung des Geſetzes von der Erhaltung der Kraft
verwirklicht. Auch hier haben wir kein aprioriſches Geſetz vor
uns, vielmehr haben poſitive Entdeckungen die Naturwiſſenſchaft
dem angegebenen Ideal angenähert. Indem eine Naturkraft nach
der anderen in Bewegung aufgelöſt, dieſe aber dem umfaſſenden
Geſetz untergeordnet wird, daß jedes Wirken Effekt eines früheren
gleich großen, jeder Effekt Urſache eines weiteren gleich großen
Effektes ſei: ſchließt ſich der Zuſammenhang ab. So hat das
Geſetz von der Erhaltung der Kraft in Bezug auf die Benutzung
der Vorſtellung von Kraft dieſelbe Funktion als der Satz von
der Unveränderlichkeit der Maſſe im Weltall in Bezug auf den
Stoff. Zuſammen ſondern ſie, auf dem Wege der Erfahrung,
das Konſtante in den Veränderungen des Weltalls aus, welches
aufzufaſſen die metaphyſiſche Epoche vergebens bemüht war.

So viel iſt klar: man kann die mechaniſche Naturerklärung,
wie ſie nun das Ergebniß der bewundernswerthen Arbeit des
naturforſchenden Geiſtes in Europa ſeit dem Ausgang des Mittel-
alters iſt, nicht gröber mißverſtehen, als indem man ſie als eine
neue Art von Metaphyſik, etwa eine ſolche auf induktiver Grund-
lage, auffaßt. Freilich ſonderte ſich nur allmälig und langſam
von der Metaphyſik das Ideal von erklärender Erkenntniß des
Naturzuſammenhangs ab, und erſt die erkenntnißtheoretiſche For-
ſchung klärt den ganzen Gegenſatz auf, der zwiſchen dem
metaphyſiſchen Geiſt und der Arbeit der modernen
Naturwiſſenſchaft
beſteht. Sie mag ihn vorläufig, vor der
Darlegung unſerer Erkenntnißtheorie, folgendermaßen beſtimmen.


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[468/0491] Zweites Buch. Vierter Abſchnitt. derung ermöglichte die mechaniſche Weltanſicht. Dieſelbe trennte den abſtrakten Begriff von Quantität der Kraft (Energie, Arbeit) von den konkreten Naturphänomenen ab. Jede Maſchine zeigt eine meßbare Triebkraft, deren Quantum von der Form verſchieden iſt, in welcher die Kraft auftritt, und ſie zeigt zugleich, wie durch die Leiſtung Triebkraft verbraucht wird; vis agendo consumitur. Das Ideal eines objektiven dem Gedanken faßbaren Zuſammen- hangs der Bedingungen für das Gegebene iſt in dieſer Richtung durch die Entdeckung des mechaniſchen Aequivalents der Wärme und die Aufſtellung des Geſetzes von der Erhaltung der Kraft verwirklicht. Auch hier haben wir kein aprioriſches Geſetz vor uns, vielmehr haben poſitive Entdeckungen die Naturwiſſenſchaft dem angegebenen Ideal angenähert. Indem eine Naturkraft nach der anderen in Bewegung aufgelöſt, dieſe aber dem umfaſſenden Geſetz untergeordnet wird, daß jedes Wirken Effekt eines früheren gleich großen, jeder Effekt Urſache eines weiteren gleich großen Effektes ſei: ſchließt ſich der Zuſammenhang ab. So hat das Geſetz von der Erhaltung der Kraft in Bezug auf die Benutzung der Vorſtellung von Kraft dieſelbe Funktion als der Satz von der Unveränderlichkeit der Maſſe im Weltall in Bezug auf den Stoff. Zuſammen ſondern ſie, auf dem Wege der Erfahrung, das Konſtante in den Veränderungen des Weltalls aus, welches aufzufaſſen die metaphyſiſche Epoche vergebens bemüht war. So viel iſt klar: man kann die mechaniſche Naturerklärung, wie ſie nun das Ergebniß der bewundernswerthen Arbeit des naturforſchenden Geiſtes in Europa ſeit dem Ausgang des Mittel- alters iſt, nicht gröber mißverſtehen, als indem man ſie als eine neue Art von Metaphyſik, etwa eine ſolche auf induktiver Grund- lage, auffaßt. Freilich ſonderte ſich nur allmälig und langſam von der Metaphyſik das Ideal von erklärender Erkenntniß des Naturzuſammenhangs ab, und erſt die erkenntnißtheoretiſche For- ſchung klärt den ganzen Gegenſatz auf, der zwiſchen dem metaphyſiſchen Geiſt und der Arbeit der modernen Naturwiſſenſchaft beſteht. Sie mag ihn vorläufig, vor der Darlegung unſerer Erkenntnißtheorie, folgendermaßen beſtimmen.

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/491>, abgerufen am 05.12.2024.