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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Die Antinomie in demselben.
Alles Wirken eines endlichen Subjektes, sei es ein Naturding
oder ein Wille, empfängt in jedem Augenblicke die Kraft zu seiner
Leistung von der ersten Ursache. Doch verhält sich das Wirken
der endlichen Substanzen zu dem der ersten Ursache nicht einfach
wie das mittlere Glied einer Verkettung von Ursachen rückwärts
zur ersten Ursache oder Substanz. Die Wirkung, welche ein endliches
Geschaffenes, sonach auch der Wille, hervorbringt, ist ganz bedingt
durch seine Beschaffenheit und ebenso ganz durch die der ersten Ur-
sache. Das endliche Reale ist in der teleologischen Ordnung gleich-
sam ein Instrument in der Hand Gottes, und dieser verwendet es
der Natur dieses Realen gemäß, wenn auch in seinem Zweckzu-
sammenhang. So gebraucht Gott den Willen des Menschen ge-
mäß der Beschaffenheit desselben, welche Freiheit einschließt, und
in der Richtung seines letzten Ziels, welches die Aehnlichkeit mit
ihm selber, sonach wiederum die Freiheit in sich faßt 1). Aber
vergeblich versuchen nun die Formeln, welche Thomas entwarf,
sich hindurchzuwinden zwischen dem Deismus, welcher für Gott
etwa die Vollkommenheit der Leistung beansprucht, welche dem
Erbauer einer Maschine zukommt, sodaß seine Welt nicht be-
ständiger Nachhilfe bedarf, und dem Pantheismus, nach welchem
aus der beständigen Erhaltung des gesammten Einzelwesens
auch die gänzliche Verursachung aller von ihm ausgehenden
Wirkungen folgt. Widersprüche quellen überall hervor, sobald
man anstatt erkenntnißtheoretisch den Ursprung dieser verschiedenen
Bestandtheile unserer Vorstellung vom Leben aufzuzeigen und so
die blos psychologische Bedeutung dieser Antinomie klarzulegen,
das Unvereinbare durch künstliche Veranstaltungen in Harmonie
bringen will. Kausalzusammenhang können wir nicht denken, wo
wir Freiheit denken. Eben so wenig können wir beide äußerlich
von einander abgrenzen. Und welche Art solcher äußerlichen Ab-
grenzung wir versuchen mögen, dieselbe vermag nicht die Schöpfung
der endlichen Wesen durch Gott in solcher Weise faßbar zu machen,

1) Thomas contra gentil. III c. 66--73, besonders p. 364 a, 367 a,
371 a, 375 a.

Die Antinomie in demſelben.
Alles Wirken eines endlichen Subjektes, ſei es ein Naturding
oder ein Wille, empfängt in jedem Augenblicke die Kraft zu ſeiner
Leiſtung von der erſten Urſache. Doch verhält ſich das Wirken
der endlichen Subſtanzen zu dem der erſten Urſache nicht einfach
wie das mittlere Glied einer Verkettung von Urſachen rückwärts
zur erſten Urſache oder Subſtanz. Die Wirkung, welche ein endliches
Geſchaffenes, ſonach auch der Wille, hervorbringt, iſt ganz bedingt
durch ſeine Beſchaffenheit und ebenſo ganz durch die der erſten Ur-
ſache. Das endliche Reale iſt in der teleologiſchen Ordnung gleich-
ſam ein Inſtrument in der Hand Gottes, und dieſer verwendet es
der Natur dieſes Realen gemäß, wenn auch in ſeinem Zweckzu-
ſammenhang. So gebraucht Gott den Willen des Menſchen ge-
mäß der Beſchaffenheit deſſelben, welche Freiheit einſchließt, und
in der Richtung ſeines letzten Ziels, welches die Aehnlichkeit mit
ihm ſelber, ſonach wiederum die Freiheit in ſich faßt 1). Aber
vergeblich verſuchen nun die Formeln, welche Thomas entwarf,
ſich hindurchzuwinden zwiſchen dem Deismus, welcher für Gott
etwa die Vollkommenheit der Leiſtung beanſprucht, welche dem
Erbauer einer Maſchine zukommt, ſodaß ſeine Welt nicht be-
ſtändiger Nachhilfe bedarf, und dem Pantheismus, nach welchem
aus der beſtändigen Erhaltung des geſammten Einzelweſens
auch die gänzliche Verurſachung aller von ihm ausgehenden
Wirkungen folgt. Widerſprüche quellen überall hervor, ſobald
man anſtatt erkenntnißtheoretiſch den Urſprung dieſer verſchiedenen
Beſtandtheile unſerer Vorſtellung vom Leben aufzuzeigen und ſo
die blos pſychologiſche Bedeutung dieſer Antinomie klarzulegen,
das Unvereinbare durch künſtliche Veranſtaltungen in Harmonie
bringen will. Kauſalzuſammenhang können wir nicht denken, wo
wir Freiheit denken. Eben ſo wenig können wir beide äußerlich
von einander abgrenzen. Und welche Art ſolcher äußerlichen Ab-
grenzung wir verſuchen mögen, dieſelbe vermag nicht die Schöpfung
der endlichen Weſen durch Gott in ſolcher Weiſe faßbar zu machen,

1) Thomas contra gentil. III c. 66—73, beſonders p. 364 a, 367 a,
371 a, 375 a.
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[421/0444] Die Antinomie in demſelben. Alles Wirken eines endlichen Subjektes, ſei es ein Naturding oder ein Wille, empfängt in jedem Augenblicke die Kraft zu ſeiner Leiſtung von der erſten Urſache. Doch verhält ſich das Wirken der endlichen Subſtanzen zu dem der erſten Urſache nicht einfach wie das mittlere Glied einer Verkettung von Urſachen rückwärts zur erſten Urſache oder Subſtanz. Die Wirkung, welche ein endliches Geſchaffenes, ſonach auch der Wille, hervorbringt, iſt ganz bedingt durch ſeine Beſchaffenheit und ebenſo ganz durch die der erſten Ur- ſache. Das endliche Reale iſt in der teleologiſchen Ordnung gleich- ſam ein Inſtrument in der Hand Gottes, und dieſer verwendet es der Natur dieſes Realen gemäß, wenn auch in ſeinem Zweckzu- ſammenhang. So gebraucht Gott den Willen des Menſchen ge- mäß der Beſchaffenheit deſſelben, welche Freiheit einſchließt, und in der Richtung ſeines letzten Ziels, welches die Aehnlichkeit mit ihm ſelber, ſonach wiederum die Freiheit in ſich faßt 1). Aber vergeblich verſuchen nun die Formeln, welche Thomas entwarf, ſich hindurchzuwinden zwiſchen dem Deismus, welcher für Gott etwa die Vollkommenheit der Leiſtung beanſprucht, welche dem Erbauer einer Maſchine zukommt, ſodaß ſeine Welt nicht be- ſtändiger Nachhilfe bedarf, und dem Pantheismus, nach welchem aus der beſtändigen Erhaltung des geſammten Einzelweſens auch die gänzliche Verurſachung aller von ihm ausgehenden Wirkungen folgt. Widerſprüche quellen überall hervor, ſobald man anſtatt erkenntnißtheoretiſch den Urſprung dieſer verſchiedenen Beſtandtheile unſerer Vorſtellung vom Leben aufzuzeigen und ſo die blos pſychologiſche Bedeutung dieſer Antinomie klarzulegen, das Unvereinbare durch künſtliche Veranſtaltungen in Harmonie bringen will. Kauſalzuſammenhang können wir nicht denken, wo wir Freiheit denken. Eben ſo wenig können wir beide äußerlich von einander abgrenzen. Und welche Art ſolcher äußerlichen Ab- grenzung wir verſuchen mögen, dieſelbe vermag nicht die Schöpfung der endlichen Weſen durch Gott in ſolcher Weiſe faßbar zu machen, 1) Thomas contra gentil. III c. 66—73, beſonders p. 364 a, 367 a, 371 a, 375 a.

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/444>, abgerufen am 22.11.2024.