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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Zweites Buch. Dritter Abschnitt.
Sinne, daß aus der Wahl Gottes auch andere Eigenschaften der
Dinge hätten hervorgehen können, oder in ihr ist ein höchster Zweck
vermöge der angemessenen Mittel und in einem Zusammenhang,
der nicht anders gedacht werden kann, verwirklicht. Nur in dem
letzteren Falle existirt für uns ein vernünftiger Zusammenhang,
der auf ein erstes Denken führt. "Wenn man nicht einsieht, daß
es zwischen den Anfängen und den Zielpunkten in den hervor-
gebrachten Dingen Mittelglieder giebt, auf welche die Existenz der
Zielpunkte gebaut ist, so giebt es keine Ordnung und Reihenfolge,
und wenn es diese nicht giebt, so existirt kein Beweis, daß diese
Wesen ein wollendes, wissendes Agens haben. Denn die Ordnung
und Anreihung und das Gegründetsein der Ursachen auf die
Wirkungen beweist, daß sie von einem Wissen und einer Weisheit
abstammen." Den gedankenmäßigen Zusammenhang bis zu seinem
ersten Prinzip erkennen, ist ihm hiernach, Gott erkennen, und
die Dinge als zufällig betrachten, heißt ihm Gott leugnen.
Auch ergiebt sich die Unmöglichkeit der Wahlfreiheit in Gott
daraus, daß sie in ihm einen Mangel, einen leidenden Zustand,
eine Veränderung voraussetzen würde. Daher bedeutet der Wille
in Gott, daß die Vorstellung des vollkommensten Zweckes einen
nothwendigen Zusammenhang der Verursachung in Gott in Be-
wegung setzt. Und dies nennt Ibn Roschd die Güte Gottes!

Stellt Thomas von Aquino hier wie überall nur ein
künstliches Gleichgewicht zwischen den Sätzen und Gegensätzen
her, mit welchen die Scholastik ringt1), so hat dagegen Duns

1) Thomas von Aquino verbleibt in der Auffassung des Willens
unter dem Banne des Intellektualismus; vergl. contra gentil. I c. 82 f.
p. 112 a. Er verlegt aber die Antinomie in den Willen Gottes selber, indem
er die Nothwendigkeit, mit welcher dieser seinen eigenen Inhalt als Zweck
will, von der Freiheit unterscheidet, mit welcher er dessen Mittel in der
zufälligen Welt will, da er doch auch ohne diese Mittel seine Vollkommen-
heit besitzen könnte; vergl. summa theol. p. I qu. 19 art. 3. Und zwar
enthält nach ihm ein solcher Wille keine Unvollkommenheit, weil er sein
Objekt stets in sich selber hat; vergl. ebds. art. 2. So will Gott ewig
was er will, nämlich seine eigene Vollkommenheit, sonach auf nothwendige
Weise; ebds. art. 3. Hiernach ist augenscheinlich Gottes Wille nach Thomas
in seinem Kern nothwendig, wie sein Wissen.

Zweites Buch. Dritter Abſchnitt.
Sinne, daß aus der Wahl Gottes auch andere Eigenſchaften der
Dinge hätten hervorgehen können, oder in ihr iſt ein höchſter Zweck
vermöge der angemeſſenen Mittel und in einem Zuſammenhang,
der nicht anders gedacht werden kann, verwirklicht. Nur in dem
letzteren Falle exiſtirt für uns ein vernünftiger Zuſammenhang,
der auf ein erſtes Denken führt. „Wenn man nicht einſieht, daß
es zwiſchen den Anfängen und den Zielpunkten in den hervor-
gebrachten Dingen Mittelglieder giebt, auf welche die Exiſtenz der
Zielpunkte gebaut iſt, ſo giebt es keine Ordnung und Reihenfolge,
und wenn es dieſe nicht giebt, ſo exiſtirt kein Beweis, daß dieſe
Weſen ein wollendes, wiſſendes Agens haben. Denn die Ordnung
und Anreihung und das Gegründetſein der Urſachen auf die
Wirkungen beweiſt, daß ſie von einem Wiſſen und einer Weisheit
abſtammen.“ Den gedankenmäßigen Zuſammenhang bis zu ſeinem
erſten Prinzip erkennen, iſt ihm hiernach, Gott erkennen, und
die Dinge als zufällig betrachten, heißt ihm Gott leugnen.
Auch ergiebt ſich die Unmöglichkeit der Wahlfreiheit in Gott
daraus, daß ſie in ihm einen Mangel, einen leidenden Zuſtand,
eine Veränderung vorausſetzen würde. Daher bedeutet der Wille
in Gott, daß die Vorſtellung des vollkommenſten Zweckes einen
nothwendigen Zuſammenhang der Verurſachung in Gott in Be-
wegung ſetzt. Und dies nennt Ibn Roſchd die Güte Gottes!

Stellt Thomas von Aquino hier wie überall nur ein
künſtliches Gleichgewicht zwiſchen den Sätzen und Gegenſätzen
her, mit welchen die Scholaſtik ringt1), ſo hat dagegen Duns

1) Thomas von Aquino verbleibt in der Auffaſſung des Willens
unter dem Banne des Intellektualismus; vergl. contra gentil. I c. 82 f.
p. 112 a. Er verlegt aber die Antinomie in den Willen Gottes ſelber, indem
er die Nothwendigkeit, mit welcher dieſer ſeinen eigenen Inhalt als Zweck
will, von der Freiheit unterſcheidet, mit welcher er deſſen Mittel in der
zufälligen Welt will, da er doch auch ohne dieſe Mittel ſeine Vollkommen-
heit beſitzen könnte; vergl. summa theol. p. I qu. 19 art. 3. Und zwar
enthält nach ihm ein ſolcher Wille keine Unvollkommenheit, weil er ſein
Objekt ſtets in ſich ſelber hat; vergl. ebdſ. art. 2. So will Gott ewig
was er will, nämlich ſeine eigene Vollkommenheit, ſonach auf nothwendige
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in ſeinem Kern nothwendig, wie ſein Wiſſen.
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[408/0431] Zweites Buch. Dritter Abſchnitt. Sinne, daß aus der Wahl Gottes auch andere Eigenſchaften der Dinge hätten hervorgehen können, oder in ihr iſt ein höchſter Zweck vermöge der angemeſſenen Mittel und in einem Zuſammenhang, der nicht anders gedacht werden kann, verwirklicht. Nur in dem letzteren Falle exiſtirt für uns ein vernünftiger Zuſammenhang, der auf ein erſtes Denken führt. „Wenn man nicht einſieht, daß es zwiſchen den Anfängen und den Zielpunkten in den hervor- gebrachten Dingen Mittelglieder giebt, auf welche die Exiſtenz der Zielpunkte gebaut iſt, ſo giebt es keine Ordnung und Reihenfolge, und wenn es dieſe nicht giebt, ſo exiſtirt kein Beweis, daß dieſe Weſen ein wollendes, wiſſendes Agens haben. Denn die Ordnung und Anreihung und das Gegründetſein der Urſachen auf die Wirkungen beweiſt, daß ſie von einem Wiſſen und einer Weisheit abſtammen.“ Den gedankenmäßigen Zuſammenhang bis zu ſeinem erſten Prinzip erkennen, iſt ihm hiernach, Gott erkennen, und die Dinge als zufällig betrachten, heißt ihm Gott leugnen. Auch ergiebt ſich die Unmöglichkeit der Wahlfreiheit in Gott daraus, daß ſie in ihm einen Mangel, einen leidenden Zuſtand, eine Veränderung vorausſetzen würde. Daher bedeutet der Wille in Gott, daß die Vorſtellung des vollkommenſten Zweckes einen nothwendigen Zuſammenhang der Verurſachung in Gott in Be- wegung ſetzt. Und dies nennt Ibn Roſchd die Güte Gottes! Stellt Thomas von Aquino hier wie überall nur ein künſtliches Gleichgewicht zwiſchen den Sätzen und Gegenſätzen her, mit welchen die Scholaſtik ringt 1), ſo hat dagegen Duns 1) Thomas von Aquino verbleibt in der Auffaſſung des Willens unter dem Banne des Intellektualismus; vergl. contra gentil. I c. 82 f. p. 112 a. Er verlegt aber die Antinomie in den Willen Gottes ſelber, indem er die Nothwendigkeit, mit welcher dieſer ſeinen eigenen Inhalt als Zweck will, von der Freiheit unterſcheidet, mit welcher er deſſen Mittel in der zufälligen Welt will, da er doch auch ohne dieſe Mittel ſeine Vollkommen- heit beſitzen könnte; vergl. summa theol. p. I qu. 19 art. 3. Und zwar enthält nach ihm ein ſolcher Wille keine Unvollkommenheit, weil er ſein Objekt ſtets in ſich ſelber hat; vergl. ebdſ. art. 2. So will Gott ewig was er will, nämlich ſeine eigene Vollkommenheit, ſonach auf nothwendige Weiſe; ebdſ. art. 3. Hiernach iſt augenſcheinlich Gottes Wille nach Thomas in ſeinem Kern nothwendig, wie ſein Wiſſen.

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/431>, abgerufen am 25.11.2024.