es mit dem Zusammenhang seiner Gedanken zu thun, sofern dieser in der Beweisführung auftritt und in dieser systematischen Form den weiteren Fortgang der europäischen Metaphysik bestimmte.
Das Seiende, welches dem Werden und Vergehen entnommen ist, findet die von Plato ausgehende Richtung des meta- physischen Geistes in dem Hintergrund der in Raum und Zeit auftretenden Erscheinungen, den unsere Allgemeinvorstellungen ausdrücken oder zu dem sie doch emporleiten. Die Metaphysik setzt damit nur fort, was die Sprache begonnen hat. Diese bereits hat in den Namen für Allgemeinvorstellungen, insbesondere für die Gattungen und Arten, Wesenheiten aus den einzelnen Er- scheinungen herausgehoben. Die Anwendung der Worte führt unvermeidlich mit sich, daß dies immer Wiederkehrende, welches das Vorstellen als einen Typus an die Dinge heranbringt, wie eine Macht über sie empfunden wird, welche die Dinge ein Gesetz zu verwirklichen zwingt. Die Allgemeinvorstellung, welche in dem Sprachzeichen einen abgeschlossenen Ausdruck empfängt, enthält schon ein Wissen von dem sich Gleichbleibenden im Kommen und Gehn der Eindrücke, soweit dieses ohne Ana- lysis der Erscheinungen, sonach aus der bloßen Anschauung derselben hergestellt werden kann. Jedoch vollzieht sich in der Sprache dieser Vorgang ohne Bewußtsein des Werthes seiner Er- zeugnisse für die Erkenntniß des Zusammenhangs der Erscheinungen. Indem nun das Bewußtsein hiervon aufgeht, sonach diese Allgemeinvorstellungen in ihrer Beziehung zu den Thatsachen, welche durch sie vorgestellt werden, sowie zu den anderen neben-, über- oder untergeordneten Allgemeinvorstellungen bestimmt, be- richtigt und definirt werden, entsteht der Begriff und der Zusammenhang der Begriffe. Und indem die Philosophie den Inhalt und den Zusammenhang der Welt in dem System dieser Begriffe festzustellen unternimmt, entsteht diejenige Form der Me- taphysik, welche als Begriffsphilosophie bezeichnet werden kann; dieselbe hat so lange das europäische Denken beherrscht, bis sozu- sagen von der tiefer liegenden Gleichförmigkeit des Weltzusammen- hangs der Vorhang weggezogen worden ist.
Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt.
es mit dem Zuſammenhang ſeiner Gedanken zu thun, ſofern dieſer in der Beweisführung auftritt und in dieſer ſyſtematiſchen Form den weiteren Fortgang der europäiſchen Metaphyſik beſtimmte.
Das Seiende, welches dem Werden und Vergehen entnommen iſt, findet die von Plato ausgehende Richtung des meta- phyſiſchen Geiſtes in dem Hintergrund der in Raum und Zeit auftretenden Erſcheinungen, den unſere Allgemeinvorſtellungen ausdrücken oder zu dem ſie doch emporleiten. Die Metaphyſik ſetzt damit nur fort, was die Sprache begonnen hat. Dieſe bereits hat in den Namen für Allgemeinvorſtellungen, insbeſondere für die Gattungen und Arten, Weſenheiten aus den einzelnen Er- ſcheinungen herausgehoben. Die Anwendung der Worte führt unvermeidlich mit ſich, daß dies immer Wiederkehrende, welches das Vorſtellen als einen Typus an die Dinge heranbringt, wie eine Macht über ſie empfunden wird, welche die Dinge ein Geſetz zu verwirklichen zwingt. Die Allgemeinvorſtellung, welche in dem Sprachzeichen einen abgeſchloſſenen Ausdruck empfängt, enthält ſchon ein Wiſſen von dem ſich Gleichbleibenden im Kommen und Gehn der Eindrücke, ſoweit dieſes ohne Ana- lyſis der Erſcheinungen, ſonach aus der bloßen Anſchauung derſelben hergeſtellt werden kann. Jedoch vollzieht ſich in der Sprache dieſer Vorgang ohne Bewußtſein des Werthes ſeiner Er- zeugniſſe für die Erkenntniß des Zuſammenhangs der Erſcheinungen. Indem nun das Bewußtſein hiervon aufgeht, ſonach dieſe Allgemeinvorſtellungen in ihrer Beziehung zu den Thatſachen, welche durch ſie vorgeſtellt werden, ſowie zu den anderen neben-, über- oder untergeordneten Allgemeinvorſtellungen beſtimmt, be- richtigt und definirt werden, entſteht der Begriff und der Zuſammenhang der Begriffe. Und indem die Philoſophie den Inhalt und den Zuſammenhang der Welt in dem Syſtem dieſer Begriffe feſtzuſtellen unternimmt, entſteht diejenige Form der Me- taphyſik, welche als Begriffsphiloſophie bezeichnet werden kann; dieſelbe hat ſo lange das europäiſche Denken beherrſcht, bis ſozu- ſagen von der tiefer liegenden Gleichförmigkeit des Weltzuſammen- hangs der Vorhang weggezogen worden iſt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0253"n="230"/><fwplace="top"type="header">Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt.</fw><lb/>
es mit dem Zuſammenhang ſeiner Gedanken zu thun, ſofern dieſer<lb/>
in der Beweisführung auftritt und in dieſer ſyſtematiſchen Form<lb/>
den weiteren Fortgang der europäiſchen Metaphyſik beſtimmte.</p><lb/><p>Das Seiende, welches dem Werden und Vergehen entnommen<lb/>
iſt, findet die <hirendition="#g">von Plato ausgehende Richtung</hi> des meta-<lb/>
phyſiſchen Geiſtes in dem Hintergrund der in Raum und Zeit<lb/>
auftretenden Erſcheinungen, den unſere <hirendition="#g">Allgemeinvorſtellungen</hi><lb/>
ausdrücken oder zu dem ſie doch emporleiten. Die Metaphyſik<lb/>ſetzt damit nur fort, was die Sprache begonnen hat. Dieſe bereits<lb/>
hat in den Namen für Allgemeinvorſtellungen, insbeſondere für<lb/>
die Gattungen und Arten, Weſenheiten aus den einzelnen Er-<lb/>ſcheinungen herausgehoben. Die Anwendung der Worte führt<lb/>
unvermeidlich mit ſich, daß dies immer Wiederkehrende, welches<lb/>
das Vorſtellen als einen Typus an die Dinge heranbringt, wie<lb/>
eine Macht über ſie empfunden wird, welche die Dinge ein Geſetz<lb/>
zu verwirklichen zwingt. Die Allgemeinvorſtellung, welche in dem<lb/>
Sprachzeichen einen abgeſchloſſenen Ausdruck empfängt, enthält<lb/>ſchon ein <hirendition="#g">Wiſſen von dem ſich Gleichbleibenden</hi> im<lb/>
Kommen und Gehn der Eindrücke, ſoweit <hirendition="#g">dieſes ohne Ana-<lb/>
lyſis der Erſcheinungen</hi>, ſonach aus der bloßen Anſchauung<lb/>
derſelben hergeſtellt werden kann. Jedoch vollzieht ſich in der<lb/>
Sprache dieſer Vorgang ohne Bewußtſein des Werthes ſeiner Er-<lb/>
zeugniſſe für die Erkenntniß des Zuſammenhangs der Erſcheinungen.<lb/>
Indem nun <hirendition="#g">das Bewußtſein hiervon</hi> aufgeht, ſonach dieſe<lb/>
Allgemeinvorſtellungen in ihrer Beziehung zu den Thatſachen,<lb/>
welche durch ſie vorgeſtellt werden, ſowie zu den anderen neben-,<lb/>
über- oder untergeordneten Allgemeinvorſtellungen beſtimmt, be-<lb/>
richtigt und definirt werden, entſteht der <hirendition="#g">Begriff</hi> und der<lb/>
Zuſammenhang der Begriffe. Und indem die Philoſophie den<lb/>
Inhalt und den Zuſammenhang der Welt in dem Syſtem dieſer<lb/>
Begriffe feſtzuſtellen unternimmt, entſteht diejenige Form der Me-<lb/>
taphyſik, welche als Begriffsphiloſophie bezeichnet werden kann;<lb/>
dieſelbe hat ſo lange das europäiſche Denken beherrſcht, bis ſozu-<lb/>ſagen von der tiefer liegenden Gleichförmigkeit des Weltzuſammen-<lb/>
hangs der Vorhang weggezogen worden iſt.</p><lb/></div></div></div></div></body></text></TEI>
[230/0253]
Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt.
es mit dem Zuſammenhang ſeiner Gedanken zu thun, ſofern dieſer
in der Beweisführung auftritt und in dieſer ſyſtematiſchen Form
den weiteren Fortgang der europäiſchen Metaphyſik beſtimmte.
Das Seiende, welches dem Werden und Vergehen entnommen
iſt, findet die von Plato ausgehende Richtung des meta-
phyſiſchen Geiſtes in dem Hintergrund der in Raum und Zeit
auftretenden Erſcheinungen, den unſere Allgemeinvorſtellungen
ausdrücken oder zu dem ſie doch emporleiten. Die Metaphyſik
ſetzt damit nur fort, was die Sprache begonnen hat. Dieſe bereits
hat in den Namen für Allgemeinvorſtellungen, insbeſondere für
die Gattungen und Arten, Weſenheiten aus den einzelnen Er-
ſcheinungen herausgehoben. Die Anwendung der Worte führt
unvermeidlich mit ſich, daß dies immer Wiederkehrende, welches
das Vorſtellen als einen Typus an die Dinge heranbringt, wie
eine Macht über ſie empfunden wird, welche die Dinge ein Geſetz
zu verwirklichen zwingt. Die Allgemeinvorſtellung, welche in dem
Sprachzeichen einen abgeſchloſſenen Ausdruck empfängt, enthält
ſchon ein Wiſſen von dem ſich Gleichbleibenden im
Kommen und Gehn der Eindrücke, ſoweit dieſes ohne Ana-
lyſis der Erſcheinungen, ſonach aus der bloßen Anſchauung
derſelben hergeſtellt werden kann. Jedoch vollzieht ſich in der
Sprache dieſer Vorgang ohne Bewußtſein des Werthes ſeiner Er-
zeugniſſe für die Erkenntniß des Zuſammenhangs der Erſcheinungen.
Indem nun das Bewußtſein hiervon aufgeht, ſonach dieſe
Allgemeinvorſtellungen in ihrer Beziehung zu den Thatſachen,
welche durch ſie vorgeſtellt werden, ſowie zu den anderen neben-,
über- oder untergeordneten Allgemeinvorſtellungen beſtimmt, be-
richtigt und definirt werden, entſteht der Begriff und der
Zuſammenhang der Begriffe. Und indem die Philoſophie den
Inhalt und den Zuſammenhang der Welt in dem Syſtem dieſer
Begriffe feſtzuſtellen unternimmt, entſteht diejenige Form der Me-
taphyſik, welche als Begriffsphiloſophie bezeichnet werden kann;
dieſelbe hat ſo lange das europäiſche Denken beherrſcht, bis ſozu-
ſagen von der tiefer liegenden Gleichförmigkeit des Weltzuſammen-
hangs der Vorhang weggezogen worden iſt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/253>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.