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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Zweites Buch. Zweiter Abschnitt.
es mit dem Zusammenhang seiner Gedanken zu thun, sofern dieser
in der Beweisführung auftritt und in dieser systematischen Form
den weiteren Fortgang der europäischen Metaphysik bestimmte.

Das Seiende, welches dem Werden und Vergehen entnommen
ist, findet die von Plato ausgehende Richtung des meta-
physischen Geistes in dem Hintergrund der in Raum und Zeit
auftretenden Erscheinungen, den unsere Allgemeinvorstellungen
ausdrücken oder zu dem sie doch emporleiten. Die Metaphysik
setzt damit nur fort, was die Sprache begonnen hat. Diese bereits
hat in den Namen für Allgemeinvorstellungen, insbesondere für
die Gattungen und Arten, Wesenheiten aus den einzelnen Er-
scheinungen herausgehoben. Die Anwendung der Worte führt
unvermeidlich mit sich, daß dies immer Wiederkehrende, welches
das Vorstellen als einen Typus an die Dinge heranbringt, wie
eine Macht über sie empfunden wird, welche die Dinge ein Gesetz
zu verwirklichen zwingt. Die Allgemeinvorstellung, welche in dem
Sprachzeichen einen abgeschlossenen Ausdruck empfängt, enthält
schon ein Wissen von dem sich Gleichbleibenden im
Kommen und Gehn der Eindrücke, soweit dieses ohne Ana-
lysis der Erscheinungen
, sonach aus der bloßen Anschauung
derselben hergestellt werden kann. Jedoch vollzieht sich in der
Sprache dieser Vorgang ohne Bewußtsein des Werthes seiner Er-
zeugnisse für die Erkenntniß des Zusammenhangs der Erscheinungen.
Indem nun das Bewußtsein hiervon aufgeht, sonach diese
Allgemeinvorstellungen in ihrer Beziehung zu den Thatsachen,
welche durch sie vorgestellt werden, sowie zu den anderen neben-,
über- oder untergeordneten Allgemeinvorstellungen bestimmt, be-
richtigt und definirt werden, entsteht der Begriff und der
Zusammenhang der Begriffe. Und indem die Philosophie den
Inhalt und den Zusammenhang der Welt in dem System dieser
Begriffe festzustellen unternimmt, entsteht diejenige Form der Me-
taphysik, welche als Begriffsphilosophie bezeichnet werden kann;
dieselbe hat so lange das europäische Denken beherrscht, bis sozu-
sagen von der tiefer liegenden Gleichförmigkeit des Weltzusammen-
hangs der Vorhang weggezogen worden ist.


Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt.
es mit dem Zuſammenhang ſeiner Gedanken zu thun, ſofern dieſer
in der Beweisführung auftritt und in dieſer ſyſtematiſchen Form
den weiteren Fortgang der europäiſchen Metaphyſik beſtimmte.

Das Seiende, welches dem Werden und Vergehen entnommen
iſt, findet die von Plato ausgehende Richtung des meta-
phyſiſchen Geiſtes in dem Hintergrund der in Raum und Zeit
auftretenden Erſcheinungen, den unſere Allgemeinvorſtellungen
ausdrücken oder zu dem ſie doch emporleiten. Die Metaphyſik
ſetzt damit nur fort, was die Sprache begonnen hat. Dieſe bereits
hat in den Namen für Allgemeinvorſtellungen, insbeſondere für
die Gattungen und Arten, Weſenheiten aus den einzelnen Er-
ſcheinungen herausgehoben. Die Anwendung der Worte führt
unvermeidlich mit ſich, daß dies immer Wiederkehrende, welches
das Vorſtellen als einen Typus an die Dinge heranbringt, wie
eine Macht über ſie empfunden wird, welche die Dinge ein Geſetz
zu verwirklichen zwingt. Die Allgemeinvorſtellung, welche in dem
Sprachzeichen einen abgeſchloſſenen Ausdruck empfängt, enthält
ſchon ein Wiſſen von dem ſich Gleichbleibenden im
Kommen und Gehn der Eindrücke, ſoweit dieſes ohne Ana-
lyſis der Erſcheinungen
, ſonach aus der bloßen Anſchauung
derſelben hergeſtellt werden kann. Jedoch vollzieht ſich in der
Sprache dieſer Vorgang ohne Bewußtſein des Werthes ſeiner Er-
zeugniſſe für die Erkenntniß des Zuſammenhangs der Erſcheinungen.
Indem nun das Bewußtſein hiervon aufgeht, ſonach dieſe
Allgemeinvorſtellungen in ihrer Beziehung zu den Thatſachen,
welche durch ſie vorgeſtellt werden, ſowie zu den anderen neben-,
über- oder untergeordneten Allgemeinvorſtellungen beſtimmt, be-
richtigt und definirt werden, entſteht der Begriff und der
Zuſammenhang der Begriffe. Und indem die Philoſophie den
Inhalt und den Zuſammenhang der Welt in dem Syſtem dieſer
Begriffe feſtzuſtellen unternimmt, entſteht diejenige Form der Me-
taphyſik, welche als Begriffsphiloſophie bezeichnet werden kann;
dieſelbe hat ſo lange das europäiſche Denken beherrſcht, bis ſozu-
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hangs der Vorhang weggezogen worden iſt.


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[230/0253] Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. es mit dem Zuſammenhang ſeiner Gedanken zu thun, ſofern dieſer in der Beweisführung auftritt und in dieſer ſyſtematiſchen Form den weiteren Fortgang der europäiſchen Metaphyſik beſtimmte. Das Seiende, welches dem Werden und Vergehen entnommen iſt, findet die von Plato ausgehende Richtung des meta- phyſiſchen Geiſtes in dem Hintergrund der in Raum und Zeit auftretenden Erſcheinungen, den unſere Allgemeinvorſtellungen ausdrücken oder zu dem ſie doch emporleiten. Die Metaphyſik ſetzt damit nur fort, was die Sprache begonnen hat. Dieſe bereits hat in den Namen für Allgemeinvorſtellungen, insbeſondere für die Gattungen und Arten, Weſenheiten aus den einzelnen Er- ſcheinungen herausgehoben. Die Anwendung der Worte führt unvermeidlich mit ſich, daß dies immer Wiederkehrende, welches das Vorſtellen als einen Typus an die Dinge heranbringt, wie eine Macht über ſie empfunden wird, welche die Dinge ein Geſetz zu verwirklichen zwingt. Die Allgemeinvorſtellung, welche in dem Sprachzeichen einen abgeſchloſſenen Ausdruck empfängt, enthält ſchon ein Wiſſen von dem ſich Gleichbleibenden im Kommen und Gehn der Eindrücke, ſoweit dieſes ohne Ana- lyſis der Erſcheinungen, ſonach aus der bloßen Anſchauung derſelben hergeſtellt werden kann. Jedoch vollzieht ſich in der Sprache dieſer Vorgang ohne Bewußtſein des Werthes ſeiner Er- zeugniſſe für die Erkenntniß des Zuſammenhangs der Erſcheinungen. Indem nun das Bewußtſein hiervon aufgeht, ſonach dieſe Allgemeinvorſtellungen in ihrer Beziehung zu den Thatſachen, welche durch ſie vorgeſtellt werden, ſowie zu den anderen neben-, über- oder untergeordneten Allgemeinvorſtellungen beſtimmt, be- richtigt und definirt werden, entſteht der Begriff und der Zuſammenhang der Begriffe. Und indem die Philoſophie den Inhalt und den Zuſammenhang der Welt in dem Syſtem dieſer Begriffe feſtzuſtellen unternimmt, entſteht diejenige Form der Me- taphyſik, welche als Begriffsphiloſophie bezeichnet werden kann; dieſelbe hat ſo lange das europäiſche Denken beherrſcht, bis ſozu- ſagen von der tiefer liegenden Gleichförmigkeit des Weltzuſammen- hangs der Vorhang weggezogen worden iſt.

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/253>, abgerufen am 22.11.2024.