Die Lehre von den substantialen Formen des Kos- mos tritt in die monotheistische Metaphysik ein.
Und welches sind nun die Prinzipien, welche diese Rechen- schaft über unser Wissen auffindet und deren Entwicklung das letzte Ziel der platonischen Wissenschaft ist?
Die Metaphysik Europas thut nun auch in Rücksicht ihres Inhaltes einen weiteren entscheidenden Schritt. Die konstanten Bedingungen der veränderlichen Welt konnten in der damaligen Lage der Wissenschaft, in welcher Vorstellungen, wie die von der Ursprünglichkeit und Vollkommenheit kreisförmiger Bewegungen am Himmel oder von dem Streben jedes durch Stoß bewegten Körpers auf der Erde nach seinem Ruhezustand noch nicht durch eine beharrliche, vom Versuch unterstützte Arbeit der Zerlegung komplexer Zusammenhänge in die einzelnen Verhältnisse von Abhängigkeit verbessert worden waren, keineswegs mit wirklichem Nutzen für die Erkenntniß in Atomen und deren Eigen- schaften aufgesucht werden. Denn zwischen diesen Atomen und dem Formzusammenhang des Kosmos fehlte jede Verbindung. In dem System der Formen selber und in demselben ent- sprechenden psychischen Ursachen mußte der europäische Geist den metaphysischen Zusammenhang der Welt sehen, welcher ihren letzten Erklärungsgrund enthalte.
Wer empfände nicht in dem bestrickenden Glanz der schönsten Werke Platos, daß die Ideen nicht nur als Bedingungen für das Gegebene in seiner reichen dichterischen, ethisch gewaltigen Seele Bestand hatten. Seine Ausgangspunkte sind die sittliche Person, der Enthusiasmus, die Liebe, die schöne, gedankenmäßige, in Maßen geordnete Welt, sein Ideal ist das wahrhaft Seiende, welches alle Vollkommenheit in sich schließt, die seine erhabene Geistes- richtung forderte. Er schaute die Ideen in diesem Thatbestand, dachte sie nicht nur als die Bedingungen desselben. An dieser Stelle muß aber jede Erörterung ausgeschlossen bleiben, welche den Ursprung dieser großen Lehre zum Gegenstande hat. Wir haben
Die Ideen als denknothwendige Bedingungen.
Die Lehre von den ſubſtantialen Formen des Kos- mos tritt in die monotheiſtiſche Metaphyſik ein.
Und welches ſind nun die Prinzipien, welche dieſe Rechen- ſchaft über unſer Wiſſen auffindet und deren Entwicklung das letzte Ziel der platoniſchen Wiſſenſchaft iſt?
Die Metaphyſik Europas thut nun auch in Rückſicht ihres Inhaltes einen weiteren entſcheidenden Schritt. Die konſtanten Bedingungen der veränderlichen Welt konnten in der damaligen Lage der Wiſſenſchaft, in welcher Vorſtellungen, wie die von der Urſprünglichkeit und Vollkommenheit kreisförmiger Bewegungen am Himmel oder von dem Streben jedes durch Stoß bewegten Körpers auf der Erde nach ſeinem Ruhezuſtand noch nicht durch eine beharrliche, vom Verſuch unterſtützte Arbeit der Zerlegung komplexer Zuſammenhänge in die einzelnen Verhältniſſe von Abhängigkeit verbeſſert worden waren, keineswegs mit wirklichem Nutzen für die Erkenntniß in Atomen und deren Eigen- ſchaften aufgeſucht werden. Denn zwiſchen dieſen Atomen und dem Formzuſammenhang des Kosmos fehlte jede Verbindung. In dem Syſtem der Formen ſelber und in demſelben ent- ſprechenden pſychiſchen Urſachen mußte der europäiſche Geiſt den metaphyſiſchen Zuſammenhang der Welt ſehen, welcher ihren letzten Erklärungsgrund enthalte.
Wer empfände nicht in dem beſtrickenden Glanz der ſchönſten Werke Platos, daß die Ideen nicht nur als Bedingungen für das Gegebene in ſeiner reichen dichteriſchen, ethiſch gewaltigen Seele Beſtand hatten. Seine Ausgangspunkte ſind die ſittliche Perſon, der Enthuſiasmus, die Liebe, die ſchöne, gedankenmäßige, in Maßen geordnete Welt, ſein Ideal iſt das wahrhaft Seiende, welches alle Vollkommenheit in ſich ſchließt, die ſeine erhabene Geiſtes- richtung forderte. Er ſchaute die Ideen in dieſem Thatbeſtand, dachte ſie nicht nur als die Bedingungen deſſelben. An dieſer Stelle muß aber jede Erörterung ausgeſchloſſen bleiben, welche den Urſprung dieſer großen Lehre zum Gegenſtande hat. Wir haben
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Die Ideen als denknothwendige Bedingungen.
Die Lehre von den ſubſtantialen Formen des Kos-
mos tritt in die monotheiſtiſche Metaphyſik ein.
Und welches ſind nun die Prinzipien, welche dieſe Rechen-
ſchaft über unſer Wiſſen auffindet und deren Entwicklung das
letzte Ziel der platoniſchen Wiſſenſchaft iſt?
Die Metaphyſik Europas thut nun auch in Rückſicht ihres
Inhaltes einen weiteren entſcheidenden Schritt. Die konſtanten
Bedingungen der veränderlichen Welt konnten in der damaligen
Lage der Wiſſenſchaft, in welcher Vorſtellungen, wie die von der
Urſprünglichkeit und Vollkommenheit kreisförmiger Bewegungen
am Himmel oder von dem Streben jedes durch Stoß bewegten
Körpers auf der Erde nach ſeinem Ruhezuſtand noch nicht durch
eine beharrliche, vom Verſuch unterſtützte Arbeit der Zerlegung
komplexer Zuſammenhänge in die einzelnen Verhältniſſe von
Abhängigkeit verbeſſert worden waren, keineswegs mit wirklichem
Nutzen für die Erkenntniß in Atomen und deren Eigen-
ſchaften aufgeſucht werden. Denn zwiſchen dieſen Atomen und dem
Formzuſammenhang des Kosmos fehlte jede Verbindung. In
dem Syſtem der Formen ſelber und in demſelben ent-
ſprechenden pſychiſchen Urſachen mußte der europäiſche Geiſt
den metaphyſiſchen Zuſammenhang der Welt ſehen, welcher ihren
letzten Erklärungsgrund enthalte.
Wer empfände nicht in dem beſtrickenden Glanz der ſchönſten
Werke Platos, daß die Ideen nicht nur als Bedingungen für das
Gegebene in ſeiner reichen dichteriſchen, ethiſch gewaltigen Seele
Beſtand hatten. Seine Ausgangspunkte ſind die ſittliche Perſon,
der Enthuſiasmus, die Liebe, die ſchöne, gedankenmäßige, in Maßen
geordnete Welt, ſein Ideal iſt das wahrhaft Seiende, welches
alle Vollkommenheit in ſich ſchließt, die ſeine erhabene Geiſtes-
richtung forderte. Er ſchaute die Ideen in dieſem Thatbeſtand,
dachte ſie nicht nur als die Bedingungen deſſelben. An dieſer
Stelle muß aber jede Erörterung ausgeſchloſſen bleiben, welche den
Urſprung dieſer großen Lehre zum Gegenſtande hat. Wir haben
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/252>, abgerufen am 22.11.2024.
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