schlaue Art damit aufzuziehn. Es war ihm jetzt unmöglich, dem Mädchen gram zu sein; wo er noch vor Kurzem Verstellung, Koquetterie, Gefall¬ sucht, und wer weiß, was noch alle! gesehn, erblickte er jetzt nur gefällige Natürlichkeit, unbe¬ fangene Liebenswürdigkeit; und dann durfte er ja auch wahrhaftig ihr dankbares Herz nicht ver¬ gessen. Wer des Vaters Leben, wenigstens seine gesunden Glieder rettete, hatte gewiß Anspruch auf der Tochter Freundschaft. Und ihre Verlo¬ bung? -- nun ja, das war freilich dumm, recht ungelegen, und vielleicht die Quelle alles Kummers, der den jungen Mann quälte und noch quälen sollte; aber sie liebte ihren Bräutigam herzlich, mit so viel kindlicher Anhänglichkeit; nein, mit einem Worte, Tina war und blieb ein höchst liebenswürdiges Geschöpf, nur Schade, ewig Schade, daß ihm das Himmelskind auf immer verloren war!
"Aber mein Himmel," unterbrach Staunitz seines Nachbars Betrachtungen, "warum sind Sie immer so ernst, so in sich zurückgezogen, lieber Baron? Lassen Sie uns," fuhr er fort, und sah Blauenstein tief in's Auge, als gelinge es ihm jetzt, sein Herz zu ergründen, "lassen Sie uns zu den Gläsern fassen! Der Wein macht fröhlich,
ſchlaue Art damit aufzuziehn. Es war ihm jetzt unmoͤglich, dem Maͤdchen gram zu ſein; wo er noch vor Kurzem Verſtellung, Koquetterie, Gefall¬ ſucht, und wer weiß, was noch alle! geſehn, erblickte er jetzt nur gefaͤllige Natuͤrlichkeit, unbe¬ fangene Liebenswuͤrdigkeit; und dann durfte er ja auch wahrhaftig ihr dankbares Herz nicht ver¬ geſſen. Wer des Vaters Leben, wenigſtens ſeine geſunden Glieder rettete, hatte gewiß Anſpruch auf der Tochter Freundſchaft. Und ihre Verlo¬ bung? — nun ja, das war freilich dumm, recht ungelegen, und vielleicht die Quelle alles Kummers, der den jungen Mann quaͤlte und noch quaͤlen ſollte; aber ſie liebte ihren Braͤutigam herzlich, mit ſo viel kindlicher Anhaͤnglichkeit; nein, mit einem Worte, Tina war und blieb ein hoͤchſt liebenswuͤrdiges Geſchoͤpf, nur Schade, ewig Schade, daß ihm das Himmelskind auf immer verloren war!
„Aber mein Himmel,“ unterbrach Staunitz ſeines Nachbars Betrachtungen, „warum ſind Sie immer ſo ernſt, ſo in ſich zuruͤckgezogen, lieber Baron? Laſſen Sie uns,“ fuhr er fort, und ſah Blauenſtein tief in's Auge, als gelinge es ihm jetzt, ſein Herz zu ergruͤnden, „laſſen Sie uns zu den Glaͤſern faſſen! Der Wein macht froͤhlich,
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ſchlaue Art damit aufzuziehn. Es war ihm jetzt
unmoͤglich, dem Maͤdchen gram zu ſein; wo er
noch vor Kurzem Verſtellung, Koquetterie, Gefall¬
ſucht, und wer weiß, was noch alle! geſehn,
erblickte er jetzt nur gefaͤllige Natuͤrlichkeit, unbe¬
fangene Liebenswuͤrdigkeit; und dann durfte er ja
auch wahrhaftig ihr dankbares Herz nicht ver¬
geſſen. Wer des Vaters Leben, wenigſtens ſeine
geſunden Glieder rettete, hatte gewiß Anſpruch
auf der Tochter Freundſchaft. Und ihre Verlo¬
bung? — nun ja, das war freilich dumm, recht
ungelegen, und vielleicht die Quelle alles Kummers,
der den jungen Mann quaͤlte und noch quaͤlen
ſollte; aber ſie liebte ihren Braͤutigam herzlich,
mit ſo viel kindlicher Anhaͤnglichkeit; nein, mit
einem Worte, Tina war und blieb ein hoͤchſt
liebenswuͤrdiges Geſchoͤpf, nur Schade, ewig
Schade, daß ihm das Himmelskind auf immer
verloren war!
„Aber mein Himmel,“ unterbrach Staunitz
ſeines Nachbars Betrachtungen, „warum ſind Sie
immer ſo ernſt, ſo in ſich zuruͤckgezogen, lieber
Baron? Laſſen Sie uns,“ fuhr er fort, und ſah
Blauenſtein tief in's Auge, als gelinge es ihm
jetzt, ſein Herz zu ergruͤnden, „laſſen Sie uns zu
den Glaͤſern faſſen! Der Wein macht froͤhlich,
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Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/75>, abgerufen am 28.07.2024.
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