Liebe und Irrthum
von
Clauren.
Nordhauſen,
Roſinus Landgraf.
1827.
1.
Das Zuſammentreffen.
Blauenſtein war im Begriff von einer langen
Reiſe in die ſeit vielen Monden ſchmerzlich ent¬
behrte Heimath zuruͤckzukehren. Er hatte faſt
ſaͤmmtliche Hauptſtaͤdte des gebildeten Europa
beſucht, nach allen Richtungen durchſtreift, ihre
Annehmlichkeiten, ihre ungeheure Verdorbenheit
kennen gelernt. Die ſogenannte vornehme Welt
ekelte ihn an; er wuͤnſchte ſich aus dieſem unſtaͤ¬
ten Treiben heraus in die freundliche Stille ſeines
heimathlichen Lebens! — War es unbefriedigte
Sehnſucht, war es eine gewiſſe, ihm ſonſt ſo unbe¬
kannte, Leere ſeines Herzens: je naͤher er ſeiner
Vaterſtadt kam, je wehmuͤthiger ward er geſtimmt,
je mehr wurde es ihm einleuchtend, daß ihm
etwas mangle, was eigentlich dem Leben wahren
Reiz giebt.
1 *
In dieſer Stimmung beſtieg er den Wagen,
welcher ihn um eine halbe Tagereiſe dem Ziele
naͤher bringen ſollte. Er uͤberdachte die letzte
Vergangenheit noch einmal; er wollte den heim¬
lichen Grund ſeines Truͤbſinnes aufſuchen. War
es etwa der letzte Brief ſeines Vaters, der darin
beilaͤufig von einer Verbindung mit einem jungen
Maͤdchen geſprochen, die er nicht einmal dem
Namen nach kannte? „Ich wuͤnſche, mein Sohn,“
hatte der Vater geſagt, „ich wuͤnſche, daß Dein
Herz ſich nicht fruͤher durch die Bande der Liebe
feſſeln laſſen moͤge, als Du das Maͤdchen geſehn,
welches ich Dir im Stillen als Dein treuſter
Freund erwaͤhlt!“ Wer mogte, wer konnte dies
ſein? Wie kam der Herr Papa auch gerade jetzt
auf dieſen Einfall? — Blauenſtein ſchloß die
Augen, er traͤumte ſich wachend in alle dieſe kuͤnf¬
tigen Verhaͤltniſſe hinein, und wuͤnſchte nichts
ſehnlicher, als die voͤllige Freiheit in Beziehung
auf die dereinſtige Wahl ſeines Her — —
Ich hab' einmal ein Schaͤtzel gehabt,
Ich wollt' ich haͤtt' es noch! ꝛc.
ſchmetterte der Poſtillon in ſein Horn; die
Peitſche flog den abgemagerten Commiſſionsgaulen
um die Rippen, und der polternde Wagen durch
das duͤſtere Thor des Staͤdtchens Friedlingen.
Der junge Reiſende fuhr aus ſeinem Taumel auf,
und ſtarrte nach wenigen Augenblicken dem flinken
Marquer des Gaſthauſes, vor dem der Schwager
ſeine keuchenden Thiere anhielt, in's Geſicht, und
fragte, wie das Hotel heiße.
„Ew. Excellenz belieben zu ſpaßen,“ erwiederte
der Gefragte ſchmunzelnd. „Das ehrenwerthe,
einzige Gaſthaus zu Friedlingen nennt ſich zum
blauen Fuchs, Ew. Gnaden zu dienen!“
Blauenſtein ſah ſich ein wenig in dem ihm
eingeraͤumten Zimmer um; er ſtreckte die muͤden
Glieder aus, und goß, mit ſeinen Gedanken wieder
einmal im elterlichen Hauſe, ein Stutzglas Bur¬
gunder in die durſtige Kehle. Indem trat der
Poſtillon herein, kam treuherzig naͤher mit
gekruͤmmter Hand, und nickte laͤchelnd. „Hab' ich
Ew. Gnaden nicht gut gefahren? Das macht der
Bergunter und der Haberſack, den mir Ew. Gna¬
den in Beutelwitz einſchenkten; ha ha. Hab' aber
mein Handpferd beſſer in der Fauſt, wie der
Blumenauer Graf. Daß dich! flog doch mein
Seel' der alte Grauſchimmel in den Graben, daß
ich denke, der Herr zerſchmettert ſich juſtemente
die Beine am Markſteine!“
„Von wem redeſt Du Schwager?“ fragte
Blauenſtein aufmerkſamer gemacht.
„Wir nennen ihn nur den Blumenauer Grafen,“
erwiederte der Gefragte, „Ew. Gnaden zu dienen.
Er weiß ſich was auf ſein Reiten; und er ſetzt
ſich juſtemente immer auf ſolche dickdroͤbiſche
Beſtien, wie der Schimmel. Ich wollte mich
wahren; wer ſpatzieren reiten will, muß — ſo
wahr ich lebe,“ unterbrach ſich der redſelige Pfer¬
debaͤndiger, und trat ohne weitere Umſtaͤnde an
das offene Fenſter, „dort geht er hin! Daß Dich,
wie der leibhaftige Satan!“
Blauenſtein war ebenfalls zum Fenſter gegan¬
gen, er ſah die offenbare Gefahr des Reiters.
Mit Blitzesſchnelle war er auf der Straße. Das
wuͤthende Thier war von ſeinem Herrn nicht mehr
zu baͤndigen, die eine Gurt ſprang, und in dem¬
ſelben Augenblicke wurde der Mann uͤber die
Straße geſchleift. Der Fuß war aus dem Buͤgel
nicht herauszuziehn, und mit verzweifelnder An¬
ſtrengung ſuchte ſich der Ungluͤckliche empor zu
raffen. Mit drei bis vier Saͤtzen war Blauenſtein
dem wuͤthenden Thiere nahe; den Zuͤgel haſtig
ergreifend, und es bei demſelben mit kraͤftiger
Fauſt zuruͤckreißend, war Eins. Nach wenigen
Minuten lag der Graf gerettet auf dem Kanapee
der Gaſtſtube. Der ſo unerwartet ſchreckliche
Vorfall hatte den ſonſt kraͤftigen Mann fuͤr
einige Minuten der Sinne beraubt; Blauenſtein
ſtand neben der geſchaͤftigen Wirthin, und rieb
die Schlaͤfe des Ohnmaͤchtigen mit Coͤlniſchem
Waſſer. Der Graf oͤffnete nach einigen Minuten
die Augen; er reichte Blauenſtein die Hand, ein
Druck derſelben dankte fuͤr die edle That, und
als er der Sprache in etwas wieder maͤchtig war,
bat er um einen Boten nach Blumenau, daß ihm
ein Wagen ſo ſchnell als moͤglich zum Abholen
geſendet werde.
Der alte Herr richtete ſich auf; eine Thraͤne
ſchwamm in ſeinem feurigen Auge, und ſich zu
ſeinem Retter wendend, ſagte er mit ſchwankender
Stimme: „Sie erhielten mir daß Leben, einer
geliebten Familie den Vater; vergelten kann ich
Ihnen nicht, was Sie an mir gethan. Ihr
Äußeres ſagt mir, daß Sie ein Biedermann ſind. —
Schlagen Sie mir meine Bitte nicht ab, wenig¬
ſtens fuͤr einige Zeit mein Gaſt in Blumenau
zu ſein. Darf ich auf Ihre Gegenwart rechnen,
wie ich als ein dem Ungluͤck Preisgegebener auf
Ihre Huͤlfe rechnen durfte?“ — —
„Schonen Sie Ihre Kraͤfte,“ erwiederte
Blauenſtein, und ergriff die ihm dargereichte Hand
des Fremden, „reden Sie nicht auf Koſten einer
Geſundheit, welche den Ihrigen ſo theuer ſein
muß! Aber Ihre Bitte will und kann ich nicht
ablehnen!“
Der Graf laͤchelte freundlich, aber mit einer
Mattigkeit, die einen neuen bewußtloſen Zuſtand
befuͤrchten ließ. Blauenſtein uͤberließ ihn der jetzt
ſo beduͤrftigen Ruhe, und trat zum Fenſter. Die
Neugierde hatte eine Menge Menſchen verſammelt;
man unterhielt ſich von dem Unfalle des Grafen
in den laͤcherlichſten Übertreibungen, der erwaͤhnte
Poſtillon war mitten darunter, und belobte die
tugendſame That Blauenſteins mit redneriſcher
Gelaͤufigkeit, und einer Stimme, welche dem
Schalle der Erfurter Suſanna nichts nachgab.
Seine Abſicht war erreicht, und er nahm das
ihm von Blauenſtein dargereichte Trinkgeld mit
freundlichem Schmunzeln.
Ein ſchoͤner Wagen, ein graͤfliches, einfach
verziertes Wappen ließ leicht vermuthen, wem die
Equipage zugehoͤre, rollte vor das Gaſthaus, von
vier ſchloßweißen Schimmeln gezogen. Halt,
ſaß nicht im Fond des Wagens eine weibliche
Figur? — Richtig, ein Schleier und eine zierliche
Hand kamen zum Vorſchein. In demſelben
Augenblicke hielt der reichbetreßte Kutſcher; zwei
Jokeien ſprangen hinten herunter, der eine riß
den Wagen auf, den Tritt herab, der andere hob
die Dame heraus. Der lange Schleier ließ vom
Geſicht nichts ſehn. Die Geſtalt mußte Blauen¬
ſtein ſchon irgendwo einmal geſehn haben, ſo
ungewoͤhnlich dies herrliche Ebenmaß, dieſe ſo
verfuͤhreriſche Fuͤlle der lieblichſten Formen auch
waren. Nein, — doch ja, in ſeinem elterlichen
Hauſe hing ein Bild nach Angelika Kaufmann,
die Hore des Fruͤhlings vorſtellend; war es doch,
als ob die junge Fremde zu dem Bilde geſeſſen
habe. Die junge? war ſie denn auch noch
jung, konnte nicht eine aͤltere Perſon ihre ſchoͤne
Geſtalt conſervirt haben? —
Der Graf war neu geſtaͤrkt erwacht; die
Thuͤre oͤffnete ſich, die Dame trat herein, und
warf ſich mit zuruͤckgeſchlagenem Schleier dem
Grafen in die weit geoͤffneten Arme. Es war
ſeine Tochter. Beide waren anfangs keines
Wortes maͤchtig, bis ſich endlich der Graf erhob,
und den entfernt ſtehenden Blauenſtein herbei¬
winkte. „Hier,“ ſagte er, und fuͤhrte ſein lieb¬
liches Kind dem jungen Manne um einen Schritt
naͤher, „hier ſteht mein Lebensretter! Ihm danke
naͤchſt der Vorſehung fuͤr ſeine That, fuͤr ſeine
edle Aufopferung!“ —
Blauenſtein, war es Überraſchung, war er
verwirrt von dem Glanze dieſer nie gekannten
Schoͤnheit, welche leuchtend wie ein Meteor vor
ſeinen Blicken aufging, war es die ploͤtzliche
Loͤſung des Zweifels, ob die Dame noch jung ſei,
oder bereits dem alten Regiſter angehoͤre, war es
das verlegene Weſen einer zu weit gehenden Bloͤ¬
digkeit? — Blauenſtein ſtand ſtumm wie ein
Fiſch, verlegen wie ein Schulknabe dem engel¬
ſchoͤnen Maͤdchen gegenuͤber, und wußte am Ende
nichts zu erwiedern, als ein mageres „bitte recht
ſehr!“ — Hundertmal, ja ſein halbes Leben lang
warf er ſich dieſe abgeſchmackte Redensart vor.
Hatte er auch etwas Geiſtloſeres ſagen koͤnnen,
als dies infame „bitte recht ſehr!“ Und was
mußte dies Maͤdchen von ihm denken, in welchem
Lichte erſchien er ihr, die ihm in ſo ſchoͤnen, ſo
unendlich weichen Worten fuͤr die Erhaltung ihres
theuerſten Gutes mit einer Glut auf den Wangen
gedankt, die er in dieſem Augenblicke nicht werth
war. Wie dumm, wie entſetzlich dumm, ſagte er
bei ſich; jedenfalls muß deine Albernheit dem
Maͤdchen anſtoͤßig ſein.
Das Kind war auch offenbar zu wunderhuͤbſch,
und Blauenſtein verdiente einigermaßen Entſchul¬
digung. Wo blieb Angelika Kaufmanns Fruͤh¬
lingshore! Man hat die Lieblichkeit der Formen
in den Werken dieſer Kuͤnſtlerin oft geruͤhmt;
hier wurde ihr Ruhm zu Schanden; ihre Hore
war gegen dieſe Wundergeſtalt hoͤchſtens ein nied¬
liches Kammerkaͤtzchen! Dieſe brandſchwarzen
Ringellocken, dieſer blendende Teint, der das zarte
Weiß des Pariſer Überroͤckchens beſchaͤmte, der ſich
verraͤtheriſch verhuͤllend um dieſes herrlichen Koͤr¬
pers wellige Formen ſchmiegte, des jungfraͤulichen
Buſens ſchneeige Fuͤlle, das uͤber allen Ausdruck
liebliche, kußliche Roſenmuͤndchen, dieſe mit dem
zarteſten Carmin uͤberdufteten Wangen, welche die
ſcharfe Zugluft des Septembers noch dunkler
geroͤthet, das wunderbare Feuer der blauen Liebes¬
ſterne, der himmelreine Spiegel ihrer Seele, und
gar noch das zum Lachen kleine Fuͤßchen, — nein,
beſchreibe ein anderer dieſe Schoͤnheiten, kein
Pinſel hat hier Muth, die ſchwache Feder ſinkt
nieder! — Blauenſtein war es, als er in die
Wunderblaue dieſes Blickes ſah, als fielen die
Schlacken des Irdiſchen ihm von Herz und Seele,
als veredle ſich ſein geiſtiges Innere! —
„Du boͤſes Vaͤterchen,“ hob das Maͤdchen mit
ſeiner Floͤtenſtimme an, und ſtreichelte dem alten
Herrn mit den weichen Flaumenpatſchchen die rauhen
Wangen, daß es unſerm Blauenſtein ganz bruͤh¬
heiß um's Herz ward, „Du boͤſes Vaͤterchen! wie
oft haben wir Dich nicht flehendlich gebeten, den
haͤßlichen Grauſchimmel nicht mehr zu reiten!
Jetzt, in dieſem mir unvergeßlichen Augenblicke
gelobe mir, das Pferd abzuſchaffen, wenigſtens es
nicht mehr zu beſteigen!“
„Nun, nun, mein Kind,“ ſagte der Vater mit
einem milden Laͤchlen, und kuͤßte das liebholde
Maͤdchen auf die blendendweiße Stirn, „beruhige
Dich! Gott hat mich durch dieſen jungen Mann
errettet; ich erkenne der Vorſehung Fingerzeig,
und muthwillig mag ich mich in Gefahr nicht
begeben. — Aber nun, fuhr der Graf fort, und
wandte ſich halb gegen ſeinen jungen Freund, ihn
freundlich, wenn gleich ein wenig vornehm,
anblickend, nun koͤnnen wir zuruͤckfahren. Der
Herr iſt mein Gaſt, Tina!“
Alſo Tina hieß ſie. Ein Gluͤck, dachte Blauen¬
ſtein bei ſich, daß das Himmelskind den Aufent¬
halt in des Grafen Hauſe verſchoͤnert. Denn er
ſelbſt hat eben nicht ein allzueinladendes Äußere;
ſein Benehmen iſt hoͤflich, aber ſtolz und verdammt
kalt. Aber dieſe Tina, dies friſche, duftende Roͤs¬
chen mit dem Veilchen im Auge und dem Bluͤ¬
thenſchnee auf Hals und Bruſt, dem der Himmel
ſo unendlichen Reiz verliehn, dem jeder von ganzer
Seele gut ſein muß, der ſie nur mit einem halben —
„Wenn Ihnen gefaͤllig waͤre, mein Herr,“
ſagte der Graf, der ſich beinahe voͤllig erholt hatte,
Blauenſtein in ſeinem Selbſtgeſpraͤch unterbre¬
chend, „die Pferde ſind angeſpannt.“
„Ich ſtehe zu Ihrem Befehl,“ erwiederte der
letztere, „nur erlauben Sie mir, die noͤthigen
Arrangements wegen meiner Angelegenheiten zu
treffen. Vor wenigen Stunden kam ich hier an,
ich weiß kaum, wo meine Koffer geblieben ſind.“
„Seien Sie ohne Sorgen,“ fuhr der Graf
fort, „Ihre Koffer ſind bereits auf dem Wagen
befeſtigt; es bedarf nur des Einſteigens.“
„Ihre Guͤte beſchaͤmt mich,“ ſagte Blauenſtein,
und bot der holden Tina, welche ihn von fern,
aber nur ganz geheim, im Auge gehabt, ſeinen
Arm. „Sieht es nicht beinahe aus, als gedaͤchte
ich jetzt erſt meine kaum vollendete Reiſe
anzutreten?“ —
Man ſtieg ein; Blauenſtein, wurde er nicht
vom Grafen fuͤr einen Menſchen aus einem
gewoͤhnlichen, wenn auch nicht niedern, Stande
gehalten, ließ dies vielleicht ſeine beſtaͤubte Rei¬
ſekleidung vermuthen? Blauenſtein nahm gern
mit dem Ruͤckſitze vorlieb; hier ſaß er der lieb¬
lichen Jungfrau gegenuͤber, hier konnte er ihr in
die reine Tiefe ihres Seelenauges blicken! —
Der alte Herr bat wegen ſeines Stillſchweigens,
was ihm die gehabte heftige Erſchuͤtterung auf¬
erlege, um Entſchuldigung, und beauftragte ſeine
Tochter, den Gaſt vor Langerweile zu ſchuͤtzen.
Aber die edlen Roſſe griffen weit aus, als wollten
ſie die Sonne einholen, die ſich in purpurnes
Gewoͤlk huͤllte, und der ſchaukelnde Wagen flog
durch das geoͤffnete Gatter eines dichtlaubigen
Thiergartens. Solche Beſtaͤnde gab es nicht
weiter im Lande; die Blumenauer Jagd war
weit und breit beruͤhmt, und das ſcheu vorbeiei¬
lende, feiſte Wildprett beſtaͤrkte dieſe gute
Meinung.
„Ich bewundere dieſe romantiſche Gegend, dieſe
trefflichen Waldungen,“ hob Blauenſtein an, ſich
an ſeine Nachbarin wendend, mit welcher er bei¬
nahe noch kein Wort geredet hatte; „eine paſſende
Einleitung zu dem Allen, was meiner noch 'wartet.“
„Spricht Sie dieſe Gegend als heimiſch an?“
fragte Tina, und draͤngte die hervorquellenden
Ringellocken mit der kleinen Schwanenhand in
ihr Spitzenhaͤubchen zuruͤck. „Es giebt Gegenden,
die man mit einem kaum erklaͤrbaren Wohlgefallen
betritt, bei denen es uns ſcheint, als ob ſie uns
laͤngſt innig befreundet, dem ſehnſuͤchtigen Herzen
ſo recht vertraut waͤren. In ſolchen Orten, ſagt
man, ſoll es uns wohlergehn, da ſoll das Gluͤck
beginnen, wenn es uns lange ungetreu war! —
Wie wuͤrde es uns erfreuen, wenn Ihnen dieſe Berge,
dieſe Thaͤler nicht ganz gleichguͤltig blieben!“
„Meine Erwartungen waren geſpannt,“ erwie¬
derte Blauenſtein mit einem Blicke, welcher ſeiner
wie in braͤutlicher Liebe erwachenden Nachbarin
recht unzweideutig ſagte, wie ſein Inneres fuͤr
ſie gluͤhe, „aber wie hatte ich glauben koͤnnen,
daß ſie nicht weit uͤbertroffen werden wuͤrden!
Nur eine Bewohnerin dieſes Paradieſes, wie Sie,
mein Fraͤulein, macht den Gedanken an daſſelbe
verſchwinden; ſie muß dem Fremdlinge unendlich
mehr gelten, der Vertrauen, Theilnahme ſucht,
und dieſer ſchoͤnen Gaben auf eine ſo beneidens¬
werthe Art theilhaft wird! Was das Herz ver¬
heißt, das iſt auch die Stimme unſeres beſſern
Schickſals!“
Tina ſchlug erroͤthend das ſchoͤne Auge nieder,
und Blauenſtein wollte ſich ein wenig uͤber ſich
ſelbſt aͤrgern, daß er, genau genommen, nichts
beſſeres, als eine fade Schmeichelei geſagt. Er
legte ſich in einem kurzen Schweigen eine Art
von Buße auf, und ſchaute in die ihn umgebende
reiche Landſchaft. Welche Üppigkeit der Natur
in jedem einzelnen Landſtriche, welche Verſchoͤne¬
rungen und Anlagen! Das muß ein tuͤchtiger
Mann ſein, der Graf, dachte der junge Buͤßende
bei ſich, und ergoͤtzte ſich an dem Anblicke einer
Quaderbruͤcke mit eiſernem Gelaͤnder, an deren
Ende ſich ein ganz im antiken Styl gearbeiteter
Obelisk erhob. Er dachte an den coloſſalen Dieſer 113 Palmen hohe Colloß wurde bekannt¬
lich unter Syrtus V. im Jahre 1586 von dem
beruͤhmten Baukuͤnſtler Fontana mit ungeheuren
Schwierigkeiten auf den ſchoͤnen Platz vor der
Peterskirche gebracht, wo er noch jetzt die Be¬
wunderung aller Reiſenden erregt.
Bruder in Rom, den er noch vor wenigen Mo¬
naten geſehen, und ſah von hier uͤber eine reiche
Lindenallee hinaus nach dem reizenden Blumenau,
das mit ſeinen ſchoͤnen Gebaͤuden, wunderbar
in dem benachbarten Landſee ſchimmernd und glaͤn¬
zend, ſich im Strahl der Abendſonne aus gruͤnem
Gebuͤſch wie aus einem Feenlande erhob.
„Da liegt mein Haus,“ ſagte der aus ſeinem
Schlummer erwachende Graf, und zeigte mit einer
gewiſſen Freude daruͤber, eine ſolche Beſitzung
ſein nennen zu koͤnnen, nach der nahen Heimath
hin, und nach wenigen Minuten rollte der Wagen
in einer Bogenwendung, welche die andere Seite
der Gegend freundlich ſehn ließ, durch die lange,
breitaͤſtige Allee in den geraͤumigen Gutshof.
Blauenſtein folgte, die holde Tina am Arme,
dem vorangehenden Grafen nach dem Wohn¬
zimmer.
Das war kein Haus, das war ein Palaſt;
die Treppen mit feinen Lioner Teppigen belegt,
auf beiden Seiten friſch bluͤhende Blumen, Alles
geſchmackvoll und elegant decorirt, und im ganzen
Hauſe eine Heiterkeit, welche das Herz erquickte.
Ein alter Silberkopf von Kammerdiener riß die
Fluͤgelthuͤren des reich mit Landſchaften und Still¬
leben von Wocher, Friedrich, Weenix u. a. aus¬
gezierten Vorzimmers auf. Gott, dachte Blau¬
enſtein, wenn ich im blauen Fuchſe geblieben
waͤre! Ein ſolches Schloß, mit dieſer koͤſtlichen
Einrichtung, ſolche Felder und Waͤlder, und eine
Tina im Arme, was giebt es noch Reizenderes
und Schoͤneres? — —
2
Der Graf oͤffnete das Wohnzimmer; er fuͤhrte
ſeinen Gaſt einem aͤltern Herrn und einer Dame
entgegen, welche ebenfalls der Jugend nicht mehr
angehoͤrte, und ſtellte ihm in erſterm ſeinen
Schwager, in letzterer ſeine Schweſter vor. „Die¬
ſer Herr,“ fuhr er fort, ja wahrhaftig, ich muß
ſo indiscret ſein, um Ihren Namen zu bitten,
damit ich den neuen Freund meinen Verwandten
vorſtellen kann.“
Blauenſtein konnte es nicht unterlaſſen, ſeiner
Haltung einen gewiſſen Stolz zu geben, und ſagte
mit einer Verbeugung: „Mein Name iſt Auguſt,
Baron von Blauenſtein; mein Vater iſt der Ge¬
neral-Major gleiches Namens, und Ihnen viel¬
leicht nicht unbekannt!“
Was doch ein Name thut! Auf des Grafen
vornehmer Phyſiognomie malte ſich ein leb¬
haftes Erſtaunen; aber Schlaukoͤpfchen Tina that,
als ob ſie das Alles ſchon ſicher vermuthet habe.
Die Tante Letty machte mehrere tiefe Verbeu¬
gungen, murmelte einiges von der ihrem Hauſe
wiederfahrenden Ehre mit laͤſtiger Breite, und
Oncle Heinrich, als er die Errettungsgeſchichte
von ſeinem Schwager erfahren, fiel dem verwun¬
derten Blauenſtein um den Hals, und ſchuͤttelte
ihm ſtatt allen Dankes auf biedermaͤnniſche Art
die Hand.
Daß Blauenſtein von dem Augenblicke an,
als er dem Grafen ſeinen Namen genannt, un¬
gleich hoͤflicher und zuvorkommender behandelt
wurde, bis allenfalls auf den Oncle Heinrich und
die reizende Tina, machte ihm einigen Verdruß.
Aber der erwaͤhnte Oncle, dem Anſcheine nach ein
drolliger, biederer Kautz, ließ ihm zum Nachden¬
ken keine Zeit. „Kommen Sie,“ ſagte er, und
zog den jungen Mann in eine Fenſtervertiefung
des Zimmers, ohne ſich an die mißbilligende Miene
ſeines Schwagers zu kehren, „haben Sie die
Guͤte, mir zu ſagen, wie ſich eigentlich das Un¬
gluͤck mit dem Pferde zutrug. Sie nehmen mir
das nicht uͤbel, nicht wahr?“
Blauenſtein gehorchte gern. Tina aber, das
Zimmer war dem Maͤdchen zu enge fuͤr das unge¬
ſtuͤm klopfende Herz, Tina ſchluͤpfte hinaus in den
Garten. Der Abendwind ſauſ'te durch die hohen,
ſchlanken Pappeln am See, und das leichte Ge¬
buͤſch des Bosquets fluͤſterte treulich der Lieblichen
den Willkommen entgegen. Der Gaͤrtner hatte
eben ein Beet mit den ſchoͤnſten Aſtern gereinigt
und ausgeputzt; Tina pfluͤckte ſich eine davon,
2 *
und beſah ſinnend das freundliche Farbenſpiel
der zarten Blaͤtter. Iſt es doch, ſagte ſie zu ſich
ſelbſt, und ſenkte den Stengel der Blume in die
blendende Tiefe des jungfraͤulichen Buſens, iſt es
doch, als ob mit dieſen Blumen die Freuden des
Jahres uns Lebewohl ſagen wollten. Aber ſie
laſſen dem hoffenden Herzen einen ſuͤßen Troſt,
und die ſinnige Sprache der freundlichen Blumen¬
welt bezeichnet mit der Aſter die Beſtaͤndigkeit,
die Treue!
Sie ging durch die lauſchigen Gaͤnge des
Luſtwaͤldchens, ſie hoͤrte das Rauſchen des Roͤhr¬
waſſers am Fiſchhaͤlter, das Bruſſeln der Gie߬
kanne des fleißigen Gaͤrtners, welcher die trockne
Erde netzte, ſie hoͤrte das luſtige Springen der
Karpfen im See, und doch war ſie mit ihrem
Koͤpfchen wo ganz anders, als im Garten. Sie
rufte ſich die Scene noch einmal zuruͤck, wo ſie
zuerſt dem jungen Fremden im Gaſthauſe begeg¬
nete; ſie malte ſich jede ſeiner anziehenden Stel¬
lungen vor, ſie wiederholte ſich noch einmal ſeine
gemuͤthlichen Äußerungen, und das edle Beneh¬
men gegen ihren Vater. Er war auch gar zu
huͤbſch; es hatte ihr zwar ſchon mancher junge
elegante Herr den Hof gemacht; aber eine ſolche
Bildung, ein ſo angenehmes Äußere hatte auch
keiner gehabt. Dieſe dunklen Locken, die zarten
Braunen, unter denen die dunklen Augen ſo
freundlich, ſo vielbedeutend gluͤhten, der lieblich
geformte Mund, die maͤnnliche Kraͤftigkeit in dem
geſunden Roth der Wangen und der zarten Blaͤue
des Bartes, das geiſtvolle Laͤcheln, und der Tan¬
nenwuchs! — Tina druͤckte die Augen zu, und
fuhr in dem allerliebſten Gedankenſpiele fort, und
ſenkte das zarte Naͤschen ihres Schelmengeſicht¬
chens in den friſchen Kelch der duftigen Aſter.
Wie er ſie zum Wagen gefuͤhrt, hatte er ſie mit
ſo feinem Anſtande hineingehoben, und ihr die
Hand gekuͤ — ja gekuͤßt hatte er ſie, ſie wußte
es noch ganz genau, und ſie hatte ihm die Hand
ganz leiſe, aber nur ganz ganz leiſe, wieder
gedruͤckt. Was war auch dabei weiter? Druͤckt
man doch jedem guten Menſchen die Hand, und
nun gar dem Retter ihres ſo ſehr geliebten Vaters,
der ihr Alles war, ſeit ihr Muͤtterchen im Schooß
der kuͤhlen Erde ſchlummerte! — Aber ſie mußte
wohl wieder herauf, die Daͤmmerung ward immer
duͤſterer, und das Bereiten des Thees durfte ſie
der Tante Letty unmoͤglich uͤberlaſſen. Sie hatte
gar nicht die freundliche, manierliche Art, wie es
eigentlich geſchehen mußte; und dann lag auch
in dem Theeſtuͤndchen ſelbſt ein gar zu beſonderer
Reiz, etwas ſo Trauliches und zur Unterhaltung
Einladendes. Im letzten Kriege war einmal ein
junger Pole bei ihnen geweſen, richtig, Potocky
hieß er; der liebte auch das Theeſtuͤndchen uͤber
Alles. Da war ſie nur noch ſo ein Backfiſchchen;
aber ſie gefiel dem jungen freundlichen Kriegs¬
manne recht wohl, er nannte ſie immer ſeine
kleine Hebe, weil ſie ihm den dampfenden Thee¬
becher jedesmal ſelbſt credenzte. Zuletzt ſang er
dann eins und das andere ſeiner reizenden Na¬
tionallieder, und erzaͤhlte vom Kriege. — —
Aber nun herauf, im Wohnzimmer ſchimmerte
bereits Licht! —
Blauenſtein erzaͤhlte von ſeinen Reiſen; mit
dem Thee war es heute nichts, weil der Graf
fruͤher als gewoͤhnlich zu eſſen wuͤnſchte; aber
auch bei Tiſche, war es Zufall, oder hatte es
Tante Letty einmal wieder nach ihrer alten Ma¬
nier ſo gekartet, mußte er gerade neben dieſer
ſitzen, und die arme Tina, welche ſich auf die
ſinnige Unterhaltung mit dem Gaſte ſo gefreut,
ſie kannte ihn ja auch ſchon laͤnger, und hatte
gewiſſermaßen ein Vorrecht, erhielt ihren Platz
neben Oncle Heinrich und dem alten Verwalter
Herrn Sander. Was war hier fuͤr eine Ent¬
ſchaͤdigung fuͤr das arme Kind zu erwarten?
Sander ſprach von nichts, als ſeiner faden,
langweiligen Öconomie. Er hatte einige Tage
vorher ein Gut beſehn, welches in der Nachbar¬
ſchaft zu verkaufen war, und ſtattete nun, als
eine ſeiner Lieblingsmaterien, dem Oncle genauen
Bericht ab. „Eine exemplariſche Ordnung,“ hob
er an, und ſtach mit kraͤftiger Fauſt in die wol¬
lige Maſſe eines duftenden Puddings, als ſei es
ein Stuͤck Rindfleiſch, „eine exemplariſche Ordnung,
herrſcht in der Wirthſchaft! Das Molkenweſen
hat nicht ſeines Gleichen, und ein Duͤnger! nein,
das Waſſer laͤuft einem im Munde zuſammen!
Das mußte man dem alten Berninger laſſen, den
Rummel verſtand er, wie einer; aber was ihn
in's Ungluͤck brachte, war der ewige vornehme
Beſuch, der den Mann belaͤſtigte, und dann das
dumme Wirthshaus, der gruͤne Eſel, das er zu
einem Hotel machen wollte, ohne einen Gaſt zu
haben. Ich dachte gleich, der Berninger wird
noch ſeinen Eſel zwiſchen die Beine nehmen, und
in den Schuldthurm reiten muͤſſen!“
Nein, es war zu arg! Der Oncle Heinrich
lachte laut auf; aber Tina wandte, heimlich im
Innern ergrimmt, ihre Äugelein nach der Seite,
wo Blauenſtein ſaß. Der Oncle zupfte ſie zwar
am Kleide, und fluͤſterte in einer Art Weinlaune:
„Tinchen, gefaͤllt Dir der? Das iſt ein Kerlchen,
das ſich gewaſchen, tuͤchtig und brav, und reich
wie ein Croͤſus! Er hat gerade ein halbes Dutzend
der ſchoͤnſten Guͤter im Lande, dann die weltbe¬
ruͤhmte Bleiweißfabrik in Oſterberg, und Conne¬
xionen! Armes Tinchen, ſchade, daß er Dir
verloren iſt!“
Aber Tina uͤberhoͤrte den Scherz aͤrgerlich;
ſie ſah nach dem ſchoͤnen Croͤſus, der ſeiner Ge¬
ſellſchaft da oben an der Tafel herzlich muͤde zu
ſein ſchien. In dem puren Ärger uͤber die lang¬
weiligen Redensarten der vergelbten Letty ver¬
ſchlang er eben ein halbes geſpicktes Haͤhnchen,
murmelte hoͤchſtens ein kurzes Ja oder Nein, und
ſtuͤrzte den Wein hinunter, als ſolle er acht Tage
duͤrſten. Es war ihr nicht entgangen, als man
des Vaters Geſundheit ausgebracht, und der Oncle
Heinrich hinterher ſeinen alten Witz mit dem
General von Knuſemon angebracht, hatte Blauen¬
ſtein ſie ſo bedeutungsvoll angeſehn, und ſein
Glas auf einen Zug geleert. Aber was half
zuletzt die ſo unzulaͤngliche Sprache der Augen
bei ſo vielen Beobachtern? — Tina wuͤrfelte mit
fuͤnf weiſſagenden Brodkuͤgelchen, um ein Kreuz zu
werfen, das ihr Gluͤck verheißen ſollte. Aber war
es ihre Haſtigkeit, war es eine unfreundliche Vor¬
bedeutung, es wollte auch abſolut kein Kreuz zum
Vorſchein kommen. Das loſe Kind fabricirte aͤr¬
gerlich aus den Kuͤgelchen eine große Kartaͤtſche,
und warf ſie dem Oncle Heinrich in den unfoͤrm¬
lich großen Jabot.
Endlich war die langweilige Tafel aufgehoben;
der Graf, welcher durch den Sturz vom Pferde
noch immer ſehr angegriffen war, zog ſich nach
wenigen Minuten in ſein Schlafzimmer zuruͤck,
und wuͤnſchte ſeinem Gaſte, der um 100 pro
Cent in ſeiner Achtung geſtiegen war, eine ange¬
nehme Ruhe. Oncle Heinrich bot Blauenſtein
noch eine Parthie Schach an, welches der letztere
nicht ausſchlagen durfte. Tina, mußte es ihr
nicht unangenehm ſein, abermahls um die Unter¬
haltung mit dem intereſſanten, jungen Manne
geprellt zu werden? Tina machte dem Oncle
uͤber dies Anerbieten Vorwuͤrfe.
„Schmaͤle mir mein Schach nicht!“ erwiederte
dieſer freundlich; „es bleibt doch das Spiel aller
Spiele. Aber halt, mein Maͤuschen, Du ſpielteſt
ja ſelbſt eben nicht ſo uͤbel, und am Ende macht
der Baron doch mit Dir lieber eine Parthie, als
mit einem alten Kerl, nicht?“
Das war einmal wieder vom Oncle ein
dummes Streichelchen, dachte Tina erroͤthend,
nahm den ihr von Blauenſtein dargebotenen Stuhl
freundlich an, und ſtellte die fein und zierlich ge¬
arbeiteten Steine auf das glaͤnzende Brett. „Das
Schach hatte eine edle Beſtimmung,“ begann
Blauenſtein, und lud ſeine ſchoͤne Gegnerin zum
Beginnen des Kampfes ein, „es ſollte einen
Koͤnig beſſern!“
„Der Erfolg war gut,“ ſagte Tina, und ging
mit dem rechten Springer auf die beiden, vorge¬
ruͤckten Bauren Blauenſteins mit keckem Muthe
los. „Aber bietet es uns nicht mehr, giebt es
uns nicht ein treffendes Bild des Lebens?“
Ihr Gegner ſah ſie mit fragenden Blicken
an; und erwiederte: „Sie haben recht, mein
Fraͤulein; die Koͤnigin, man braucht wohl eben
nicht immer an die Inhaberin eines Thrones zu
denken, iſt die Hauptperſon. Ihr ſchwacher Ge¬
mahl wird ohne ſie ein trauriges Bild der Hin¬
faͤlligkeit; nur ſie giebt dem Leben Reiz, nur ſie
giebt ihm Bedeutung!“
„Aber ihre Wege ſind immer die geraden,“
fiel Tina ein, und bot zuerſt ihrem Nachbar ein
wohltoͤnendes „Schach!“ „Mit weiblicher Wuͤrde
vertraͤgt ſich Falſchheit nicht, und wenn die arme
Koͤnigin ihren Untergang findet, wem dankt ſie
ihn anders, als der Treuloſigkeit ihrer Um¬
gebungen?“
„Tinchen,“ fiel der Oncle Heinrich ein, „ſchwatze
nicht zu viel, der Baron verliert ſeine Plaͤne, und
ohne Plan kann kein vernuͤnftiges Spiel zu Stande
kommen!“ Blauenſtein ſann uͤber die troſtloſe
Lage ſeiner Steine nach, und ſagte kleinlaut:
„Dies danke ich der edlen Frau; ich habe ihre
geraden Wege nicht geſehn, denn ſie liegen hinter
großen Bollwerken. Aber das Lebensbild erkenn'
ich an, gewiß, und zwar mit meiner betruͤbten
Niederlage!“
„Matt!“ rief Tina lachend aus, aber in einen
freundlichen Ernſt zuruͤckkehrend fuhr ſie fort:
„Kein Krieg ohne Verluſt auf der andern Seite;
wer im Leben ſiegt, d. h. im wahren, geiſtigen
Leben, ſieht der nicht im Herzen der Gegner, die
keine Feinde ſind, ſo wie in der eignen Bruſt die
unheilbarſten Wunden?“
„Die Erfahrung lehrt es,“ ſagte Blauenſtein,
der holdergluͤhten Tina Hand an ſeine brennenden
Lippen fuͤhrend, „und nie wurde mir dieſe
Wahrheit beſſer vertraut, als in dieſer ſchoͤnen
Stunde!“
2.
Die Verlobung.
Die Schloßuhr brummte die zwoͤlfte Stunde
in die ſchweigende Nacht, als Blauenſtein mit der
Niederlage des Oncle Heinrich, der ſeine Kraͤfte
auch an ihm meſſen wollte, das Schachbrett und
das Zimmer verließ. Tina war ſchon vorher mit
Tante Letty verſchwunden, welche ſeit einer Stunde
immerwaͤhrend mit dem Kopfe genickt; ſie hatte
beſtimmt ſchon ihr bluͤthenweißes Bettchen aufge¬
ſucht, und ſchlummerte in das Reich der gluͤck¬
lichſten Traͤume hinuͤber, als Blauenſtein in der
Begleitung des alten Graukopfs Martin in ſein
ihm angewieſenes Zimmer trat.
„Waren der gnaͤdige Herr ſchon einmal in
dieſer Gegend?“ hob der letztere ſchmunzelnd an.
„Nein,“ erwiederte Blauenſtein kurz, und ließ
ſich die ſchneeweiße Halsbinde loͤſen.
„Hoffentlich erzeigen Ew. Gnaden dem Hauſe
die Ehre,“ fuhr der andre fort, „und erwarten
die Ankunft des Herrn von Staunitz.“
„Staunitz?“ fragte Blauenſtein, „wer iſt dieſer
erwartete Gaſt?“
„Nun? wiſſen Ew. Gnaden noch nicht? —
Er iſt ja der Verlobte der Comteſſe Albertine!“
„Verl — ?“ fragte Blauenſtein, und das
ſchreckliche Wort blieb ihm halb im Munde ſtecken.
„Alſo bereits — verlobt, im wahren Ernſt? Du
machſt Scherz, Alter?“
„Erlauben mir Ew. Gnaden, zu widerſprechen,
ſagte der letztere laͤchlend, und ſchien ſich an der
Betroffenheit Blauenſteins zu weiden. „Der Herr
von Staunitz iſt ein entfernter Vetter meiner
Herrſchaft, ein gar liebenswuͤrdiger Herr! Die
beiden Leutchen wurden von ihren Eltern gewiſ¬
ſermaßen als Kinder ſchon fuͤr einander beſtimmt;
ſeit zwei Jahren iſt der Herr von Staunitz auf
Reiſen, und wird nach ſeinem letzten Briefe in
dieſen Tagen zuruͤckerwartet. Das iſt ein Maͤnn¬
chen, auf den warteten unſere jungen Fraͤulchens
in der Nachbarſchaft wie auf den Meſſias, aber
ſie mußten ſich das Maͤulchen wiſchen!“
„Und Comteſſe Albertine?“ fragte Blauenſtein
ganz blaß und bebend wie Espenlaub.
„Nun,“ ſagte der Verlobungsreferendar heim¬
lich laͤchelnd, „die hoffte juſt nicht, denn die konnte
nur pfeifen, und ſie hatte zehn an jedem ihrer
Finger. Jung, huͤbſch, reich, und dabei gut, wie
die lieben Engel im Himmel; ich will den jungen
Mann ſehn, dem ſie mißfiele. Was in der Welt
koͤnnte der noch mangeln?“
Weibliche Wuͤrde! dachte Blauenſtein tief im
Innerſten verwundert bei ſich, und entließ den
alten Schwaͤtzer. — Wie ungeheuer hatte ihn
das Maͤdchen getaͤuſcht! Verlobt, verlobt! toͤnte
es in ihm wieder, und das ganze Rieſengebirge
waͤlzte ſich mit ſeiner Laſt auf das gequaͤlte
Herz. Wie war es moͤglich, ſich ſo zu ver¬
ſtellen, ſein redliches Streben ſo zu belohnen!
— Und ihre Anſpielungen beim Schach, waren
ſie nicht eine Buͤrgſchaft fuͤr ſeine beſten Hoff¬
nungen? — Die alte Tante Letty hatte ihm bei
Tiſche erzaͤhlt, Tina habe ſeit dem Tode ihrer Mutter
im Hauſe der Madam Lafleure in der Reſidenz eine
Zeit lang zugebracht, und ſei von dieſer in jeder
Art unterrichtet worden. Das war ja ausgemacht,
im Hauſe einer ſolchen Dame konnte man in
der Reſidenz nur zur Koquette gebildet werden.
Nichts als die raffinirteſte Buhlerei leitete ihr
Betragen! — Weshalb denn auch die irrenden,
wie in ſuͤßer Liebe ſchwimmenden Augen, wes¬
halb das ſo fein Zuvorkommende ihres ganzen
Weſens, die unzaͤhligen. Anſpielungen auf Liebe,
und Gott weiß, was alle noch!? Nein, es war
keinem Maͤdchen mehr zu trauen! Dieſe kannte
er erſt ſeit einer Reihe von Stunden, und doch
hatte ſie ihn ſo furchtbar getaͤuſcht! —
Der Gequaͤlte warf ſich auf die andere Seite;
die Kiſſen des weichen Bettes waren mit tauſend
Nadelſpitzen geſpickt, die Decke kam ihm vor, wie
ein Gewebe von Neſſeln; — das war nicht zu
ertragen! Er ſprang auf, und legte ſich zum
Fenſter hinaus, als wolle er einen salto mortale
machen; die kuͤhle Luft ſaͤuſelte erquickend um
die fieberheiße Bruſt, ſie ſpielte leicht mit ſeinen
ſchwarzen Locken, und kuͤhlte die ungeſtuͤme Glut
der Wange! — Aber hatte er denn auch recht,
kam es ihn denn zu, auf Tina ſo zu zuͤrnen?
Was ging ihm eigentlich, genau genommen, das
ganze Maͤdchen und ſein buhleriſches Betragen
an! Das Beſte war, noch allenfalls einen Tag
zu warten, denn das war er wohl dem Grafen
ſchuldig, und dann im Fluge nach der Heim —
halt, war da nicht im andern Fluͤgel des Schloſſes
im Eckzimmer Licht? Eine Geſtalt wurde ſichtbar,
dicht am Fenſter. Vielleicht die gelbe Letty.
Aber behuͤte, die konnte es nicht ſein, die war
zu plump gegen dieſe friſche, leichte Geſtalt.
Blauenſtein tappte nach ſeinem Koffer; er
wuͤhlte darin nach dem Perſpective, mit dem er
meilenweit einen Menſchen erkannte, und legte
den gefundenen Schatz am Fenſter an. Es war
Tina. Was in aller Welt machte das Maͤdchen
noch in dieſer Stunde? Vor ihr auf dem Tiſche
lagen eine Menge zuſammengelegter Papiere, ver¬
muthlich Briefe; ihr Auge ſchien truͤbe, als haͤtte
ſie geweint, der wogende Buſen hob das weiße
Nachtkorſettchen ſchnell und ſchneller empor, daß
alle rothen Schleifen daran wie Espenlaub zit¬
terten. Hier mußte etwas vorgefallen ſein, das
war klar. Jetzt verſchwand das Licht, Alles war
dunkel, die Nacht breitete ihre Rabenfittige uͤber
den Park und den See. Was mag ihr fehlen?
dachte Blauenſtein, und ſchloß das Fenſter mit
einem Froͤſteln, hat ſie einen Kummer, hat ſie
etwas zu bereuen? Man urtheilt oft ſo unuͤber¬
legt, ſo ruͤckſichtslos. Vielleicht, ja gewiß hing es
ſo zuſammen, war ſie zu der Verbindung mit
dem Staunitz, Taugenichts, oder wie der Ungluͤck¬
liche hieß, von ihrem Vater oder den naͤchſten
Verwandten uͤberredet, ſie wuͤnſchte wieder frei
zu ſein, oder — Gott, wer mogte aus dieſem
Chaos herauskommen!
Ein mitleidiger Schlummer ſenkte ſich auf
Blauenſteins Augen; eine Menge verworrener
Traͤume gaukelten ihm ihre Bilder vor, und er
erwachte erſt, als bereits der alte Martin an
ſeinem Lager ſtand, und fragte, ob der gnaͤdige
Herr Kaffee oder Chocolate befoͤhlen? — In
wenig Augenblicken war er in den Kleidern, dies¬
mal aber nicht in dem Reiſegewande, ſondern in
dem ſchoͤnen knappen ſchwarzen Anzuge, der ihm
ſo gut ſtand, mit dem Kreuze geſchmuͤckt, das er
ſich bei der unvergeßlichen Voͤlkerſchlacht bei Leip¬
zig verdient. Jetzt erſchien auch der Oncle Hein¬
rich unten im Garten, ſah beſtaͤndig nach Blauen¬
ſteins Fenſtern, und als er ihn endlich erblickt,
lud er ihn laut ein, mit ihm ein Pfeifchen in
der koͤſtlichen Friſche des Morgens zu rauchen.
Blauenſtein war es gern zufrieden. Auf der
Treppe, warum auch gerade jetzt dieſe Begegnung?
trat ihm Tina entgegen, bot ihm mit ihrer hold¬
3
ſeligen Freundlichkeit einen guten Morgen, und
ſchluͤpfte, ein haͤusliches Geſchaͤft vorgebend, in
eine Seitenthuͤr.
„Hoͤren Sie, Blauenſteinchen,“ hob Oncle
Heinrich an, und faßte ihn zutraulich am Arme,
„erzeigen Sie mir und uns Allen eine Freund¬
ſchaft. Wir kennen uns zwar erſt ſeit geſtern,
aber alle gute Menſchen ſind leicht erkennbar;
unſer Herrgott hat ſeine Lieblinge mit etwas ge¬
zeichnet, das wie glaͤnzende Schrift auf den Ge¬
ſichtern ſteht. Und ſehn Sie, juſt ſo einer ſind
Sie auch!“
„Sehr verbunden,“ erwiederte Blauenſtein
laͤchlend. „Aber Sie ſprachen von einem Wunſche,
wenn ich Sie recht verſtand; darf ich ihn wiſſen?“
„Gleich, gleich, Freundchen,“ ſagte Heinrich, nahm
aus einer unfoͤrmlichen Doſe eine verhaͤltnißmaͤ¬
ßige Prieſe, und bot ſeinem Begleiter ein Gleiches
an. „Ach Sie ſind wohl nicht ſchnippiſch?“
fuhr er fort, als Blauenſtein dankte. „Nun, das
iſt in der Ordnung; ein junger Herr will ſtets
nett und zierlich ausſehn; und der Taback beſu¬
delt doch immer Jabot und Weſte. Aber, was
ich ſagen wollte; in kurzer Zeit erwarten wir
den Staunitz, unſern Tinchens Braͤutigam.“
„So, ſo,“ fiel Blauenſtein mit ſcheinbarer Gleich¬
guͤltigkeit ein, obgleich es ihm die Kehle beinahe
zuſchnuͤrte. „Alſo die Comteſſe iſt verlobt. Nun,
das ſtand zu erwarten!“
„Zu erwarten,“ murmelte Heinrich nach. Aber
Sie werden ſo blaß, die Morgenluft ſchadet doch
nicht? — Nun ſehn Sie, Freund, da giebts denn
ſo dieſe und jene Geſellſchaft im Hauſe, und wir
Alle wuͤnſchen Ihre Gegenwart. Sie verſtehn
ſich nebenbei ſo gut auf die Unterhaltung, kurz
Sie wiſſen, wie ich meine. Ich hoffe, es mi߬
faͤllt Ihnen nicht bei uns; freilich wuͤnſchte ich
wohl, unſer Tinchen waͤre noch frei, und der Vet¬
ter Staunitz waͤre ſonſt wo, Sie verſtehn
mich, nicht?“ —
„Durchaus nicht!“ erwiederte Blauenſtein
kalt, und wandte ſein erroͤthendes Geſicht ab.
„A ha!“ begann Heinrich lachend, „etwa
ſchon verplempert, Blauenſteinchen? — Nun, nur
ruhig, thut nichts, deshalb ſind Sie uns noch
kein Stein des Anſtoßes, ha, ha, ha! Aber im
Ernſt, es giebt noch eine Menge huͤbſcher, char¬
manter Dinger hier in der Nachbarſchaft, reich,
nun, das iſt bei Ihnen nicht noͤthig, aber herzig
3*
und gut, wie die Engel. Da iſt z. B. Land¬
raths Molly in Herzhauſen, und dann ihre Schwe¬
ſter Ida; freilich, das iſt eigentlich nur ſo ein
Diſtanceblender; aber die junge Baroneſſe Gruͤn¬
heim, daß dich der Donner und das Wetter! hat
die einmal Augen! Wer in deren Brennpunct
ſo recht ordentlich hineinkommt, deſſen Herzen
geht es, wie dem naſſen Holze unter Tſchirn¬
hauſens Brennglaſe, es wird in wenigen Augen¬
blicken zu Aſche verbrannt!“
„Wenn Sie ſolche gefaͤhrlichen Syrenen hier
haben,“ ſagte Blauenſtein, und fuͤhlte immer mehr
die Nothwendigkeit, Blumenau verlaſſen zu muͤſſen,
„ſo iſt es Zeit, daß ich mich fort begebe in meine
friedliche Heimath, wo die Frauen mildere Geſin¬
nungen hegen, als in dieſer Gegend, wenn ſie
auch paradieſiſch iſt!“
„Steht es ſo um Euch?“ fragte Heinrich, und
ſchlug mit Blauenſtein einen Seitenweg ein, auf
welchem ihnen Tina heiter und lieblich wie das
Roͤſchen, das an ihrem Buſen zitterte, entgegen
kam. „Aber die da wird beſſer verſtehn, Sie zu
feſſeln, als ich alter Kerl! — Hoͤre Tinchen, unſer
junge Freund bekommt eine Art Heimweh, er
will fort; aber leid' es nicht, verſtehſt Du?“ —
Tinchen nickte freundlich, und ſagte dem Oncle,
daß ihn jemand zu ſprechen wuͤnſche. Er entfernte
ſich brummend, wie er immer zu thun pflegte,
wenn ihn jemand zur Unzeit ſtoͤhrte oder entgegen
trat, und praͤgte der ſuͤßen Albertine nochmals
ein, den Blauenſtein auf alle Weiſe zu feſſeln.
Wo waren des letztern Vorſaͤtze, wo ſein
ſcheinbarer Gleichmut! Dieſem Maͤdchen gegen¬
uͤber, wer vermogte da an eine ſchleunige Abreiſe
zu denken? So ſpielt das ſchwache Herz, wenn
es die allmaͤchtige Liebe mit ihren Roſenſchlingen
umfangen haͤlt auch der Vernunft des Kaltſin¬
nigſten einen Streich!
„Darf ich dem Oncle glauben,“ hob Tina an,
und ſchlug ihre Vergißmeinnichtaugen mild laͤchlend
zu dem verwirrten Blauenſtein auf, „iſt es Ihr
wirklicher Ernſt, Herr Baron, daß Sie ſich ſo
ſchnell der Dankbarkeit einer Familie entziehen
wollen, die Ihnen ſo Viel verdankt?“
„Wenn ich dieſen reizenden Landſitz verlaſſen
muß, ſo kann mich nur der Gedanke dazu bewe¬
gen.“ erwiederte Blauenſtein etwas verwirrt, „daß
meine Gegenwart laͤſtig wird, zumal da mehr,
und ich darf hinzufuͤgen, willkommnere, Gaͤſte er¬
wartet werden. Ohnehin ſieht mein Vater laͤngſt
meiner Ankunft entgegen.“ —
„Ich zweifle nicht,“ fiel Tina ein, und heftete
ihren dunklen Feuerblick auf Blauenſteins aͤngſt¬
liche Zuͤge, „daß Sie ein guter Sohn ſind. Aber
nur Ihre Beſcheidenheit giebt Ihnen das ſonder¬
bare Recht, zu vermuthen, es ſollten beſſere Gaͤſte
an Ihre Stelle treten. Verlaſſen duͤrfen Sie
uns nicht! Wie koͤnnten wir auch Freunden ent¬
gegen ſehn, die unſerm Her — zen,“ das Wort
war einmal heraus, „naͤher ſtaͤnden, als der“ —
„O Gott!“ rief Blauenſtein aus, und zog
wie in ſtuͤrmiſcher Leidenſchaft Tinas Hand an
ſeine brennenden Lippen, „quaͤlen Sie mich Ärm¬
ſten nicht! Vorhin vertraute mir Ihr Oheim,“
fuhr er leiſer fort und mit einer gewiſſen Blaͤſſe
auf den Wangen, „daß Ihr Herz bereits gewaͤhlt,
daß Ihr Verlobter taͤglich erwartet werde. Darf
ich Ihnen Gluͤck wuͤnſchen, darf ich“ —
„Ei, ei! Sieh da!“ rief ploͤtzlich eine Stimme
und in demſelben Augenblick ſprang ein junger,
bildſchoͤner Mann in reicher Uniform aus dem
Gebuͤſch hervor, und ſchloß mir nichts, Dir nichts,
die erſchrockene Tina in ſeine Arme. „Staunitz!“
rief Tina, und druͤckte einen Kuß auf des Fremden
Lippen, „woher zu dieſer Stunde?“
„Aber Blauenſtein war ſeiner Sinne kaum
maͤchtig; hier ſtand der Haſſenswerthe an der
Seite des angebeteten Engels, er lag in ihren
Armen, und ſog den Honig der ſuͤßeſten Liebe
aus den Lippen des Maͤdchens, das er mit der
ganzen Leidenſchaft ſeines Herzens umfaßte! Es
war ihm, als laſteten zehntauſend Muͤhlenſteine
auf ſeiner Bruſt, als zoͤge es ihn mit Rieſenge¬
walt hinab in die unendliche Tiefe des zerrei¬
ßendſten Liebesſchmerzes!
Staunitz war mit ſeiner Tina verſchwunden,
das gluͤckliche Paar hatte den Ungluͤcklichen ver¬
laſſen, und er verwirrte ſich, halb von Wehmuth
niedergebeugt, halb innerlich empoͤrt, in dem Chaos
ſeiner Stimmung. Die Welt war ihm nun mit
allen ihren Freuden verhaßt; das Maͤdchen, nein,
eine ſolche Liebe, wie ſein Herz beſeelte, hatte
dieſe Erde nicht wieder aufzuweiſen, und das
Maͤdchen konnte ihm ſo ungeheuer wehe thun!
Gott wollte einen Engel zeigen, dachte Blauen¬
ſtein bei ſich, und in einer Furie hatte ſich dieſer
unſaͤgliche Reiz vereinigt? Aber nein, es war ja
nicht moͤglich, es konnte ja nicht ſein, ſolcher
Falſchheit war ja eines zarten Maͤdchens Herz
nicht faͤhig! — Tauſend heiße Thraͤnen fielen aus
ſeinem Auge, ſeine Hand hatte ſich krampfhaft
geballt, und die wild tobende Phantaſie gauckelte
furchtbare Schreckbilder ihm vor! — Aber wozu
dieſes Bruͤten, wozu dieſer toͤdtende Schmerz uͤber
die falſche Treuloſigkeit eines Maͤdchens? Blauen¬
ſtein raffte ſich auf; mit haſtigen Schritten durch¬
wanderte er die hohe Lindenallee, als wolle er
noch heute zu Fuß die Heimath erreichen. Jetzt
rauſchte es in dem nahen Gebuͤſch; es mußte
wer in der Naͤhe ſein, ein bunter Schawl wurde
ſichtbar, und Albertine ſtand mit all' ihrer Lieb¬
lichkeit und Anmuth vor ihm. „Weshalb entzogen
Sie ſich unſerer Geſellſchaft, Herr Baron? fragte
Tina und machte ein Geſicht, als waͤre das In¬
quiriren ihr eine hoͤchſt gelaͤufige Sache. „Sie
ſind ſo duͤſter, ſo ſtill, ich fuͤrchte, es mißfaͤllt
Ihnen in unſerm Kreiſe!“
„Duͤſter, ſtill?“ fragte Blauenſtein, und ging
an der Seite des freundlichen Engels wie ein
Verdammter, „duͤſter bei Ihnen, Fraͤulein?“
„Nun,“ entgegnete Tina mit einem Seufzer,
der ihre Schwanenbruſt erfuͤllte, „zeigt dies nicht
Ihr ganzes Äußere? — Es iſt Ihnen unangenehm,
den Bitten meines Oncles vielleicht nachgegeben
zu haben, der Sie bat, laͤngere Zeit auf unſerm
einſamen Lande zuzubringen, nicht wahr?“
„Wie koͤnnte mir das jetzt in den Sinn
kommen,“ ſagte Blauenſtein betheurend, „wie
koͤnnen Sie den Gedanken in ſich aufkommen laſſen,
ich ſei ungern hier! — Aber ein Verſprechen gab
ich Ihrem Herrn Oncle nicht; kindliche Pflichten
rufen mich zu meinem Vater zuruͤck!“
„Sie wollen mir ausbiegen,“ hob Tina mit
einem leiſen Erroͤthen an, „aber ich verliere mein
Thema nicht. Koͤnnen Sie ſich entſchließen, mir
zu verſprechen, wenigſtens noch acht Tage hier
zu verweilen, da Sie es meinem Oncle nicht
zuſagen mogten?“
Blauenſtein ſah ſeine Begleiterin mit einer
gewiſſen Verwunderung an, und erwiederte: „Wer
vermoͤgte Ihnen etwas abzuſchlagen? — Aber ich
begreife Sie nicht! Und wenn ich bleibe, ſollte
mich dieſer Gedanke ſchon nicht erſchrecken, ſagen
Sie Graͤfin, ſollte er mich nicht erſchrecken?“
„O nein, nein!“ rief Tina lebhaft aus. „Und
wenn ich dies denken koͤnnte, gewiß wuͤrde ich
mich uͤber eine ſo traurige Wahrheit zu taͤu¬
ſchen ſuchen!“
„In der That?“ fragte Blauenſtein, und man
ſah an ſeinem geheimen Beben, wie er mit ſich
ſelbſt kaͤmpfte. „O Gott, ich vermag keinen
Widerſtand zu leiſten! Albertine, koͤnnten Sie
einen Blick in mein Herz werfen!“ —
Mit raſchem Ungeſtuͤm druͤckte er bei dieſen
Worten die brennenden Lippen auf Tinas Hand,
und floh, ſich loßreißend, nach dem Schloſſe zu.
Es war klar, ſie liebte ihn, ihr ganzes Weſen
verrieth es, ſie ſelbſt legte es ja offenbar darauf
an, ſo recht genau verſtanden zu werden!
Konnte man das ein Verbrechen nennen? Sie
war verlobt; aber liebte ſie denn jenen Staunitz
auch, war es ihr zur Laſt zu legen, wenn das
Herz ſich nach wahrer Liebe ſehnte? Hundert
ſolcher Fragen durchkreuzten ſich in Blauenſteins
Kopfe, er lief, als ob es hinter ihm brenne, bog
raſch um die Ecke des Treibhauſes, und rannte
gegen Oncle Heinrich, welcher mit Staunitz
ploͤtzlich vor ihm ſtand!
„Schweden und die Propheten!“ rief der erſtere
aus, und faßte Blauenſtein am Arme, „wo ſoll
denn die Reiſe hingehn? Hier ſollen Sie erſt
noch einen gewiſſen Jemand kennen lernen, der
noch nicht einmal ein Wort mit Ihnen ſprechen
konnte. Kinderchen, ihr paßt ſo recht fuͤr einander;
Schade, ewig Schade, daß Tinchen nicht noch eine
Schweſter hat, die Blauenſtein zu ſeinem Weib¬
chen machte, he?!“
Blauenſtein erwiederte auf die letzte ſonderbare
Äußerung Heinrichs nicht ein Wort, und ſprach
mit Staunitz uͤber allerlei gleichguͤltige Dinge.
Er hatte auch Reiſen gemacht, und daß er ſie
gehoͤrig benutzt, das zeigte der Umfang ſeines
gediegenen Wiſſens, ſein gruͤndliches Urtheil, die
Waͤrme, mit welcher er uͤber Italien beſonders
und ſeine Kunſtſchaͤtze ſich verbreitete. Was ſo
wenigen vergoͤnnt iſt, er hatte das Grabmahl des
Cajus Cestius beſucht, und die uralten Gemaͤlde
der durch den Fackeldampf neugieriger Kunſtver¬
ehrer geſchwaͤrzten Waͤnde der Pyramide mit
Kennerblicken beſchaut, mit einem Worte, es war
ihm nichts entgangen, er hatte mit wahrem Reiſe¬
genie ſeine Zeit hingebracht Und das mußte man
ihm laſſen, er war ſchoͤn wie der Sonnengott!
Und den ſollte ein junges, ſo empfaͤngliches Maͤd¬
chen wie Tina, dem die ganze, weite Welt fuͤr
ſeine Liebe zu enge ſchien, nicht lieben? Nein,
dachte Blauenſtein bei ſich weiter, da muͤßte ich
die Weiber ſchlecht kennen, die ſo veraͤnderlich ſind
wie die Schmetterlinge auf der ſchoͤnen Inſel St.
Catharina. Millionen Blumen hauchen hier
ſuͤße, wuͤrzige Duͤfte, eine immer reizender, als
die andere, aber dennoch verweilen ſich die windi¬
gen, hirnloſen Flatterteufel nur Secundenlang in
den Honigkelchen der zarten Bluͤthenkinder.
Machen es die Maͤdchen bei uns jetzt nicht eben
ſo? Und was kuͤmmert ſich ein ſo leichtes Herz
darum, wenn ein anderes bricht, das voll ge¬
heimer, unendlicher Liebe war! —
„Aber ſagen Sie, Blauenſteinchen“ hob Oncle
Heinrich an, und ruͤttelte am Arme des letztern,
als wollte er ihn aus dem Schlafe wecken, „ſagen
Sie in's drei Teufels Namen, Gott verzeih mir
die Suͤnde, woran denken Sie ſo herzinniglich,
ſo unablaͤſſig? Und dabei gehn ihre Augen ſo
ganz naͤrriſch hinter dem armſeligen weißen But¬
tervogel Vermuthlich: Phal. libatrix, oder Ph. Cassinia,
eine Schmetterlingsart, die ſich erſt im Spaͤt¬
herbſt zu paaren pflegt.
her, der in den langen Malven Die hohe Staudenaſter, Aster amellus.
eben keine Nahrung finden mag.“
„Halten Sie mich etwa nicht fuͤr einen
Schmetterlingskundigen?“ fragte Blauenſtein,
und ſuchte eine kleine Verlegenheit zu verbergen.
„Noch kuͤrzlich ergoͤtzte ich mich an den Berichten
der Braſilianiſchen Flatterwelt, die uns Cruſen¬
ſtern und Langsdorf in ihren Reiſen geben.“ — —
3.
Der Ball.
Der Graf, er mogte wohl nicht mehr an
ſeinen Unfall von neulich denken, war uͤber die
Gegenwart ſeines kuͤnftigen Schwiegerſohns hoͤchſt
erfreut; aber von der Abreiſe Blauenſteins, den
er recht lieb gewonnen hatte, wollte er keines¬
wegs etwas hoͤren. Sich zu fuͤgen, diesmal die
Freuden und Leiden einer Liebe mitzunehmen,
welche ploͤtzlich am Lebenswege des jungen Man¬
nes wie ein zartes Bluͤmchen emporſproßte, war
ihm das Raͤthlichſte. Oncle Heinrich hatte ſich
zwar lange widerſetzt, allein die milzſuͤchtige Letty
und ihr Bruder, der Graf, blieben dabei ſtehn,
daß man einen laͤngſt verabredeten Ball geben
wolle, und zwar ſobald wie moͤglich. Der Ober¬
Verwalter Sander, welcher ſich im Secretariat zu
arbeiten einmal nicht nehmen ließ, erhielt den
Auftrag, die Familien aufzuzeichnen, welche zum
Balle geladen werden ſollten. Nach einer Stunde
kam der Eilfertige bereits mit einem Regiſter
von Damen zuruͤck, ſo daß man ſchier vermeinte,
der verſchrumpfte Leporello ſtehe mit dem Verzeich¬
niſſe der ſchrecklichen Anzahl von Liebſchaften des
edlen Don Juan vor einem! Staunitz lachte dem
ehrlichen Sander gerade in's Geſicht; aber Oncle
Heinrich nahm die Papiere, und ſagte mit einer
graͤmlichen Miene; nachdem er die einzelnen auf¬
gezeichneten Familien durchlaufen:
„Wenn wir funfzig Perſonen ſtreichen, lieber
Schwager, ſo bleiben noch genug uͤbrig fuͤr unſern
Zweck; aber,“ fuhr er leiſer fort, „ich habe hier
einige Leutchen, die in unſern Kreis nicht paffen!
Da iſt z. B. die alte Droſtin Steinburg mit
ihrem Sohne, dem Musje Unausſtehlich, und der
alte Kammerherr Wehrmann; das Volk taugt
nichts! Und nun gar hier der verwelkte Tulpen¬
ſtengel, Fraͤulein Babet mit ihrer Mama Klatſche!
„Schwager!“ ſagte der Graf, und ſchuͤttelte
mißbilligend den Kopf, „halt doch Deine Zunge
endlich einmal beſſer im Zaum. Deine Anſichten
von der vornehmen Welt, wie Du ſie immer
ſpoͤttiſch nennſt, ſind die meinigen nicht; ich gebe
den Ball, und nicht Du! Laß doch,“ fuhr er fort,
und blickte leichter um's Herz werdend, hinter
Staunitz her, welcher Blauenſtein einige Bilder
im Schloſſe zeigen wollte, die er fuͤr gute Origi¬
nale von Berghem und Ruysdael hielt, „laß doch
wenigſtens dergleichen in Gegenwart der jungen
Maͤnner, wenigſtens des Barons! Der Kammerherr
von Wehrmann iſt ſo unrecht nicht; Du mußt
nur richtig zu calculiren verſtehn! Wie lange
wird es dauren, ſo kehrt mein Sohn Emil zu uns zu¬
ruͤck, und verſucht ſein Gluͤck in der Hofwelt.
Und da gilt der alte graue Kammerherr mehr,
als die alte Excellenz, der Canzler. Und was
noch mehr ſagen will, er hat von ſeinem Bruder,
dem Oberlandjaͤgermeiſter ein ſehr bedeutendes
Vermoͤgen zu erwarten; das erbt Alles einmal
die kleine Guſtel, des Kammerherrn einziges Kind.
Gegen den uralten Adel des Mannes iſt doch
wahrhaftig auch nichts einzuwenden!
„Was?!“ rief Heinrich verwundert aus, „die
Guſtel, meinſt Du, waͤre ſo eine Parthie fuͤr
unſern Emil? Nun, der Herr erleuchte Dich!
Dick und rund iſt ſie, und dabei verliebt, wie
eine todte Ratte! — Und nun gar das Vermoͤgen;
brauchſt Du denn immer nur Geld, nichts als
Geld zu Deinem Gluͤcke, und fuͤr Deine Kinder?
Tina und Emil, beide ſind reich genug; mein
Bischen kriegen ſie auch noch hinzu, und werden
nicht Hungers ſterben. Aber, lieber Freund, fuͤr
den alten Adel des Kammerherrn gebe ich keinen
Heller! Es iſt wahr, der mag ſo alt ſein, wie
ſeine enormen Schulden! Alter Adel, alter Adel!
Mein Himmel, welcher vernuͤnftige Menſch giebt
was auf den Adel! Jeder Menſch hat ſeine
Ahnen; er giebt ſich aber nicht die Muͤhe, ſie
zu zaͤhlen, und nimmt ſich nicht die impertinente
Freiheit, ſich die Tugenden ſeiner Altvordern mir
nichts, dir nichts, beizumeſſen, wie die ſoge¬
nannten Adligen. Nimm mir's nicht uͤbel, Du
thateſt auch einſt ſehr Unrecht, dich in den Grafen¬
ſtand mit ſchwerem Gelde zu, kaufen, was Dir
noch obenhin die ganze Welt verdacht hat. Hier,
im Herzen, in der Bruſt,“ fuhr Heinrich in ſeinem
Eifer fort, und klopfte ſtark auf ſeine Bruſt, daß
es droͤhnte, „da iſt der Adelsbrief, den haben die
Engel geſchrieben, und wer den nicht mehr vor¬
zeigen kann, iſt ein Taugenichts, ein heilloſer
Windbeutel!“
„Nun, nur gemach!“ erwiederte der Graf
laͤchlend; „Du biſt eine brave Seele, aber in
den beſprochenen Puncten ein wahrer Heide!
Laß mir doch meinen Willen; zwingen will ich
den Jungen, den Emil, zu nichts in der Welt,
was wider ſeine Herzensneigung waͤre. Ich bin
auch einmal jung geweſen, und habe erfahren,
wie hoch man ſeine Freiheit zu ſchaͤtzen hat!
Nun erzeige mir noch den Gefallen, und ſei gegen
unſere Gaͤſte, wenn ſie Dir auch zuwider ſind,
recht artig und zuvorkommend; mir ſind ſie auch
nicht immer an's Herz gewachſen, aber der Mann
von Welt druͤckt ein Auge zu, wo es nicht anders
geht! Und nun kein Wort weiter von ſolchen
Dingen. — — Aber hoͤre, Schwager, der Blauen¬
ſtein, ſcheint der nicht auf unſer Tinchen ordent¬
lich ein Auge geworfen zu haben? — Mir fiel
es in der That auf; er verwandte kaum den
Blick von ihr!“
„I nun,“ antwortete Heinrich mit dem Tone
einer halb erzwungenen Gleichguͤltigkeit, „er mag
Gefallen an dem Dinge finden, denn huͤbſch iſt
ſie, das muß ihr der giftigſte Neid laſſen, aber
weiter iſt es auch wohl nichts; wenigſtens muß
er ſich wohl nun den Muth vergehn laſſen, um
ihre Gunſt zu werben, da er weiß, daß ſie mit
Vetter Staunitz verlobt iſt!
4
„Glaubſt Du denn,“ hob der Graf wieder an,
und machte eine recht bedenkliche Miene, als er
aus des Schwagers dargebotener Doſe eine kleine
Prieſe nahm, „glaubſt Du denn, daß ſich ſo ein
junger Herr, der die Welt kennt, an das Verlobt¬
ſein kehrt? Doch er kann eine Ausnahme machen,
und ich muß geſtehn, das ganze Weſen des jungen
Mannes gefaͤllt mir, er hat ſo etwas Feſtes,
und dabei ſo viel Witz und den aͤchten
bon ton! —
„Bon ton hin, bon ton her,“ brummte
Heinrich halb bei ſich, „er hat Lebensart, bei
meiner Seele!“ — —
Die guten Maͤnner! Keiner hatte Arges! ſie
konnten mit Recht uͤberzeugt ſein, Tinas, ſo wie
Blauenſteins Inneres ſei ohne Falſch; aber in
beider Herzen, dieſe unergruͤndliche Tiefe, in der
niemand das Rechte gewahrt, was er eigentlich
ſucht, einen durchdringenden Blick zu thun, das
vermogten ſie nicht! Der Graf galt fuͤr einen
feinen Menſchenkenner, und bei Hofe fuͤr aͤußerſt
turnirt; aber die eigene, geliebte Tochter hatte
er noch nicht ergruͤndet!
Man hatte ſich lange geſtritten, ob man den
Ball in Blumenau ſelbſt, oder in dem benachbarten
Staͤdtchen Friedlingen geben ſollte; die Stimmen¬
mehrzahl entſchied indeß fuͤr Blumenau, und man
hatte nun nichts Eifrigeres zu thun, als die Gaͤſte
in beſter Form einzuladen. Der vom juͤngern
Hausperſonale heiß erſehnte Tag erſchien. Tina
ſtand, geputzt mit allen Kuͤnſten der zarteſten
Toilette, in dem hohen Bogenfenſter des zum
Empfange der Gaͤſte beſtimmten Zimmers neben
Oncle Heinrich, und malte mit dem niedlichſten
aller kleinen Finger Buchſtaben in den Fenſter¬
ſchweiß. „Was machſt Du denn Kind?“ fragte
der Oncle. „Du malſt ja einen zierlichen B
neben den andern?“
„Nun,“ ſagte Tina, und ihr Schelmengeſicht¬
chen vermogte kaum das Lachen zu bekaͤmpfen,
„ich darf doch wohl an Staunitz denken? Heißt
er denn nicht etwa Bernhardt? Aber liebes
Onkelchen, ich habe eine Bitte, welche Du mir
durchaus nicht abſchlagen darfſt.“
„Was iſt denn ſchon wieder?“ fragte Heinrich.
„Aus euch Weibern werde der Henker klug! Erſt
tiefſinnig, ganz ſehnſuͤchtig und mit den Gedanken
wo anders, als am paſſenden Orte, und auf
4*
einmal wieder ſo ein raſches Anliegen, ein Draͤn¬
gen! — Aber nur heraus damit!“
„Wo denkſt Du hin! Mir fehlt in der Welt
nichts,“ erwiederte Tina, „und daß wir nicht
immer von Euch verſtanden werden, iſt im Grunde
recht gut! Doch das gehoͤrt nicht hieher! — Du
weißt, daß der Vater heute Abend waͤhrend der
Tafel meine mit Staunitz laͤngſt bekannte Ver¬
lobung mit Pauken und Trompeten auf ſolenne
Weiſe den Gaͤſten zu eroͤffnen beſchloſſen, und das
iſt mir ſo recht widrig und obenein aͤngſtlich!“
„Mein Himmel,“ rief Heinrich verwundert,
„das iſt ja die eigentliche Tendenz unſeres ſchoͤnen
Balles, und die willſt Du nun ſo friſch weg ver¬
nichten? Was wollte der Vater ſagen, wenn ich
davon anfinge?“
„Bitte, bitte, Onkelchen!“ ſagte Tina, und
kuͤßte den Aufgebrachten auf die rauhe Wange,
„rede mit dem Vater! Nicht wahr, Du thuſt es?“
„Wer kann der Hexe etwas abſchlagen!“
erwiederte Heinrich freundlich, umſchlang das ſuͤße
Maͤdchen, und druͤckte ihm drei, vier feurige On¬
kelkuͤſſe auf die purpurnen Lippen. „Aber, mein
liebes Kind, die Gaͤſte koͤnnen nun nicht lange
mehr weilen, daher mit Tante Letty auf Euren
Poſten!“
Tina huͤpfte froͤhlich fort; ſie wies den eben
eintreffenden Hautboiſten, welche die kleine Haus¬
capelle noch unterſtuͤtzen ſollten, ihr Zimmer an,
und eilte zur Tante Letty. Raſch hintereinander
rollten mehrere Wagen uͤber die donnernde Bruͤcke
des Schloßhofes; das reich gallonirte Bedienten¬
heer des Grafen ſtuͤrzte wie auf ein Signal her¬
aus, zeigte die gluͤcklichſten Dienertalente, und
foͤrderte nach wenigen Augenblicken dem die Ho¬
neurs machenden Herrn des Hauſes die geputzten,
duftenden Gaͤſte in die Haͤnde. Zu des Oncles
Ärger waren die Droſtin von Steinburg, nebſt
ihrem Goldſoͤhnchen, dem franzoͤſirten Antoͤnchen,
deren Couſine, Babet von Kufen und der alte
Schmecker, der Kammerherr von Wehrmann,
welcher in dem jungen Hofrath von Wernburg
noch einen Taͤnzer mitgebracht hatte, die erſten der
Gaͤſte. Blauenſtein verlor ſich in einen Winkel
des koͤſtlich erleuchteten und dekorirten Saales;
er fuͤhlte das geheime Weh der immer mehr und
mehr wachſenden Liebe in ſeiner Bruſt, und mit
irrendem Auge ſuchte der die Koͤnigin des Feſtes,
die liebreizende Albertine.
So reizend, ſo uͤberaus ſchoͤn und hinreißend
hatte er das Himmelskind noch nicht geſehn!
Durch die ſchwarze Pracht der uͤppigen Ringel¬
locken zogen ſich ſchimmernde Perlen, wie Sterne
am duͤſtern Nachthimmel; aber vorn uͤber der
hohen, blendend weißen Stirn glaͤnzte ein herr¬
licher Brillant aus Viſiapur in einem zarten Dia¬
deme von Amethiſten. Das leichte, zephirartige
Ballkleid von indiſchem Mull ſchmiegte ſich um
die wellenfoͤrmigen Glieder dieſer vollendeten Hebe
verraͤtheriſch und ſuͤß, und an dem Wogen des
keuſchen Schneebuſens erſah man die geheime
Luſt, die Sehnſucht nach etwas, dem man nicht
zu jeder Stunde eine Sprache zu leihen vermag;
aber wer dem ſchoͤnen Maͤdchen in's Auge ſah,
das in ſeiner Azurtiefe feuriger, bedeutungsvoller
glaͤnzte, als jener Brillant aus Viſiapur, haͤtte
es ſich nicht wegleugnen laſſen, daß nichts, als
ein heiliges Liebesſehnen ſeine Bruſt erfuͤlle!
Die Gaͤſte waren endlich alle verſammelt;
eine koͤſtliche Auffoderung zum Tanz, bei der das
zarte Clarinettenſolo einen tuͤchtigen Virtuoſen
zeigte, deſſen rauſchender Allegroſatz aber in jeden
Tanzluſtigen wahres Ballentzuͤcken goß, machte
den ſinnenden Blauenſtein darauf aufmerkſam,
daß er die liebholde Tina wohl zum erſten Walzer
engagiren muͤſſe. Sie war nicht verſagt; aber
ſtatt des einleitenden Walzers brauſ'te vom Or¬
cheſter eine volltoͤnige Polonaiſe herab, und der
gluͤckliche Blauenſtein ſchlang ſeinen kraͤftigen
Arm um die liebliche Tina. Das laue Wehn
ihres ſuͤßen Athems, die Grazie jeder ihrer Bewe¬
gungen, dazu der freundliche, ſcherzende Ton ihrer
Unterhaltung entzuͤckten ihren Taͤnzer dermaßen,
daß er ſchier vermeinte im Paradieſe zu ſein.
Jedes Auge hing an dem ſchoͤnen Paare, auch
die giftigſten Neider und Neiderinnen, und wo
ſollten dieſe fehlen? geſtanden ſich ganz geheim,
Tina, ſo wie der gluͤckliche Blauenſtein, beide
waͤren unuͤbertrefflich!
Wer der Blauenſtein eigentlich ſei, was er
hier in Blumenau vorſtelle, war ſchnell in der
Nachbarſchaft und unter den Gaͤſten bekannt ge¬
worden. Tina wußte in der That von dem lie¬
benswuͤrdigen jungen Manne am wenigſten. Aber
war es auch noͤthig, mehr zu wiſſen, als daß er
ſehr brav, vom beſten Herzen und Muth, und
dabei engelhuͤbſch ſei? Was ging das liebende
Maͤdchen der Zuſammenhang ſeiner Verhaͤltniſſe,
was ſein Reichthum, oder ſeine Armuth an! —
So denkt die jugendliche Unerfahrenheit, das von
der erſten, wahren Liebe befangene Maͤdchen! —
Die Droſtin Steinburg ſtand mit ihrer alten
Buſenfreundin, der Geheimderaͤthin Wandler im
mittelſten Fenſterbogen des glaͤnzenden, von hun¬
dert und aber hundert Kerzen hell ſchimmernden
Saales, und vergnuͤgte ſich nach ihrer alten, be¬
liebten Manier an dem Bekritteln der Anweſen¬
den. „Sehn Sie um's Himmels Willen,“ nahm
die letztere das Wort, „ſehn Sie den allerliebſten
Blauenſtein! Unter uns, meine Beſte, das iſt ein
Goldfiſchchen; ich kenne ſeine Verhaͤltniſſe ge¬
nauer, wenn der Springin'sfeld ſich meiner auch
nicht mehr erinnern mag, denn er thut wie fremd.
Ich hatte einmal ſo eine Idee mit meinem Huld¬
chen; nun, Sie verſtehn mich; und ich mogte ſie
nicht aufgeben. Aber nun, dies Thun mit der
Tina, der koquetten Naͤrrin, iſt ja ganz abſcheu¬
lich; und was die Sache beſonders himmel¬
ſchreiend macht, ſie ſoll mit dem Baron Stau¬
nitz ſo gut wie verlobt ſein?!“
„Ja, erwiederte die Steinburg, und ſah ſich
heimlich um, ob ſich auch kein unberufener
Horcher nahe, „ſo ſpricht man; aber ich habe ſo
unter der Hand erfahren, daß es mit der Par¬
thie nichts wuͤrde. Sie halten reinen Mund,
liebe Freundin; aber ich glaube ſelbſt daran, und
freue mich, denn mein Anton waͤre des Todes.
Haben Sie vorhin nicht bemerkt, wie fein, wie
aufmerkſam ſich das Paͤrchen behandelte und un¬
terhielt? Der Junge hat ordentlich ſo was
Apartes mit aus Paris gebracht, und mich reut
nun mein ſchoͤnes Geld nicht, was er mich koſtete.
Wahrhaftig, es waͤre reizend, wenn unſere Plaͤne,
meine liebe Wandler, ausgefuͤhrt wuͤrden. Und
eigentlich iſt kein Grund da, daran zu zweifeln.
Was meinen Sie?“
Aber die letztere erwiederte in ihrem Grimme
auf die arme Tina kein Wort, und goß in die
ihr dargereichte Taſſe Thee ſo eine Menge eng¬
liſchen Rum, daß der hieruͤber ganz erſchrockene
Diener meinte, Ihre Gnaden haͤtten ſich ver¬
griffen. Der Kammerherr von Wehrmann ſtand
in dieſem Augenblicke vor der Erboßten, und
freute ſich, eine Gleichgeſinnte gefunden zu haben.
Der alte Herr ſchwaͤnzelte mit ſeinem goldbro¬
kadenem Kleide, deſſen alterthuͤmliche Garnitur
am Kragen reich mit Spaniol beſtreut war, der
theeſchluͤrfenden Dame naͤher, und kuͤßte ihr mit
einem grinſenden Laͤchlen die Hand. „Eh bien,
ma chere!“ hob er an, und warf ſeine ſtechen¬
den, grauen Augen nach der Seite des Saales,
wohin ſich Blauenſtein mit der ſuͤßen Albertine
hingefluͤchtet, um vorlaͤufig die Touren zu einer
neuen Quadrille zu beſprechen, „wie ſieht es mit
unſerm aimabeln Huldchen? Bemerken Sie, meine
Gnaͤdige, bemerken Sie die holde Albertine, oder
vielmehr den blauen Stein, der ſich Ihnen ſo
recht con amore in den Weg wirft, ohne auf
Dero geheimſte Wuͤnſche Ruͤckſicht nehmen zu
wollen?“
„Nicht anzuͤglich, mein Freund!“ ſagte die
Wandler in einem Tone, der wie eine bittere
Verſtimmung herauskam. „Aber, iſt das Recht,
iſt das Sitte, nennt man das Erziehung und
Ton?! Nein, eine ſolche ausgeſuchte Gefallſucht
iſt mir in meinem Leben noch nicht vorgekommen!
Der Menſch muͤßte ganz dumm ſein, wenn er
nicht zur angenehmen Kurzweil Gebrauch von der
Zuvorkommenheit der graͤflichen Koquette machen
wollte!“
Hatten die in dieſen angenehmen Zwieſprach
verwickelten Perſonen zu giftige Blicke auf Blauen¬
ſtein, auf die in ſuͤßer Liebesverirrung vorge¬
hende Tina geworfen? — Blauenſtein hielt es
fuͤr paſſend, die Augen der Neugierigen von ſich
abzuwenden, trat mit recht ausgeſuchter Freund¬
lichkeit zu dem geprieſenen Huldchen, und for¬
derte ſie zu dem eben angeſtimmten Laͤnderer auf.
Er kannte die Geheimderaͤthin; vor mehreren
Jahren lernte er ſie in der Reſidenz kennen;
aber die niedrige Denkungsart der Frau, ihre
Raͤnkeſucht, die nichts, auch das Heiligſte nicht,
ſchonte, war ihm fruͤhzeitig verhaßt geweſen, und
als er zufaͤllig bemerkte, eine Parthie zwiſchen
ihm und der Hulda ſei der Mutter einziges Stre¬
ben, zog er ſich kalt zuruͤck, und that jetzt, nach¬
dem mehrere Jahre vergangen waren, in denen
er ſich merklich veraͤndert haben ſollte, als kenne
er die Frau gar nicht. Huldchen war an und
fuͤr ſich ſo uͤbel nicht; ihr Geſicht, das freilich
den uͤbergroßen Mund ihres verſtorbenen Vaters
ererbt hatte, war von einem gutmuͤthigen Aus¬
druck; ſie dachte nicht an die geheimen Plaͤne
der verdrießlichen Mamma, und gefiel ſich in den
kraͤftigen Armen des ſie umſchlingenden jungen
Mannes recht ſehr wohl. Die Droſtin Stein¬
burg war innerlich froh, daß ſich ihre Ausſichten
aufklaͤrten. Behalt' Du Deinen Blauenſtein, liebes
Puttchen, dachte ſie bei ſich; mein Antoͤnchen
wird hoffentlich auch noch zum Ziele kommen.
Gott, an dem Kinde ſelbſt, an der hochfahrenden
Familie des Grafen uͤberhaupt liegt mir herzlich
wenig; aber Tinchen, Dein unmenſchliches Geld,
deine Guͤter will ich mir, oder vielmehr dem An¬
ton ſichern! Koͤmmt nicht bald ein rettender
Goldengel, ſo gehts ſchief; meine Leute kuͤndigen
mir auf, die Glaͤubiger machen drohende Geſich¬
ter, — Himmel, ich mag nicht daran denken, mir
wird gruͤn und gelb vor den Augen! —
Sie rannte ſchnell zum Sohne, der mit
einem Schaafsgeſicht den Tanzenden zuſah. Sie
gab ihm ganz geheim einen muͤtterlichen Seiten¬
ſtoß, und raunte ihm ziemlich vernehmlich in die
uͤbergroßen Ohren, hinter denen ein Paar widri¬
ge Pflaſter dufteten: „Menſch, Du ſtehſt hier,
und kuckſt wie ein Narr zu?! Habe ich Dir
nicht gleich geſagt, Du ſollſt etwas um die Tina
herum ſein, mit ihr ſprechen, tanzen, ſie von Deinen
Reiſen unterhalten?! Steht der Menſch hier in der
Ecke! Wie oft habe ich Dich gebeten, Du ſollſt
Dein verfluchtes Schielen laſſen; denn wenn
Dich die Comteſſe ſieht, wie Du mit einem Auge
ihr auf die Fußſpitze, mit dem andern nach dem
Kronleuchter kuckſt, ſo nimmt ſie Dich im
Leben nicht!“
„Mais mon dieu, gnaͤdige Mamma!“ er¬
wiederte Antoͤnchen betreten, „man darf doch nicht
uͤbermaͤßig zudringlich ſein; et quand à moi,
ich habe ihr meine Huldigungen devoteſt bereits
zu Fuͤßen gelegt!“
„Haſt Du das?“ fragte die aufgebrachte
Mamma etwas beruhigter. „Nun, ſo fahre fort,
und der Himmel wird das Ende ſegnen!“
Der Laͤnderer hatte das ſeinige erreicht; die
jungen Herrn fuͤhrten ihre Schoͤnen zu den Sitzen,
fuhren mit den wehenden Tuͤchern uͤber die
gluͤhende Stirn, waͤhrend ein anderer Theil zu der
Tanzordnung huͤpfte, um bei Zeiten fuͤr reizende
Engagements zu ſorgen. Eine liebliche Oboe¬
ſtimme intonirte einen allerliebſten Wienerwalzer;
Antoͤnchen meinte, dieſen muͤſſe er nothwendig
mit der reizenden Albertine tanzen; er nahm
daher den Muth zuſammen, und fand ſie gluͤck¬
licher Weiſe noch nicht verſagt. Mit aͤngſtlichem
Bedauren ſah ſie Blauenſtein nach, welcher ſie
eben von ſeiner Heimath unterhalten, und legte
mit einem wahren Widerwillen ihr Marmor¬
patſchchen in die duͤrre Hand des franzoͤſirten
Narren, der in ſeinem albernen Duͤnkel meinte,
er ſei der Liebling aller und jeder, denen er ſich
nahe. Schon vorhin hatte der Pariſer Unausſteh¬
lich ſie mit ſeinen faden, nichts ſagenden Witze¬
leien verfolgt, und ſie oft durch ſeine beliebten
Zweideutigkeiten erroͤthen gemacht, und jetzt fing
er gar an, ſuͤß zu thun, und eine Menge Ge¬
waͤſch von der Kunſt, hauptſaͤchlich von der
Muſik, herzuſchwatzen, daß Tina nicht mehr wußte,
was ſie dem Aufgeblaſenen antworten ſollte.
Jetzt kam das Walzen an Antoͤnchen; ſeine Lunge
war nicht im beſten Zuſtande, daher ſeine Reſpi¬
ration in einer hoͤchſt traurigen Verfaſſung, und
der raſche Wiener nahm ihm dermaßen die Luſt,
daß er ſeufzte und pruͤgte wie der ſchadhafte Ka¬
ſtenblasbalg einer Eiſengießerei. An Unterhaltung
mit ſeiner Taͤnzerin, die in ihrer friſchen Kraͤf¬
tigkeit das bischen Herumdrehen nicht achtete,
war gar nicht zu denken, und Tina war herzlich
froh, als Oncle Heinrich ſie mit dem Finger
auf die blendendweiße Achſel tippte, und ihr in's
Ohr raunte, man koͤnne wohl nun an die Tafel
denken. Der unausſtehliche Walzer war aus,
Antoͤnchen buͤckte ſich keuchend, und bot der er¬
zuͤrnten Comteſſe ſeinen Arm; allein ſie erwie¬
derte kurz, daß ſie ein kleines Geſchaͤft ſchnell hin¬
wegrufe, und ließ den Narren ſtehn. Tina flog
in den Speiſeſaal; ſchon waren die Tafeln mit
allen Gaumenherrlichkeiten beſetzt, daß ſie unter
der Laſt ſeufzten, und an jedem Couvert ſchim¬
merte ein Zettel mit dem Namen der Perſon,
welche hier ſitzen ſollte. Mit irrendem Auge
ſuchte Tina Blauenſteins Namen; richtig, er
lag neben Huldchen, und jetzt fiel es erſt der un¬
angenehm Überraſchten auf, daß ihr in der Naͤhe
des Saales die Geheimderaͤthin in einer gewiſſen
Verlegenheit begegnet war. Irrte ſie nicht, ſo
hatte dieſe Blauenſteins Namen neben den ihrer
Tochter gelegt. Oncle Heinrich glaubte, die Zet¬
tel waren noch nicht recht geordnet, aber auf der
andern Seite neben Blauenſtein las er zu ſeiner
Verwundrung den Namen der Tante Letty, und
dachte bei ſich, daß die alberne Perſon eigentlich
ganz unten hin gehoͤre, wo ſie auf die Unterhal¬
tung eines jungen Mannes nicht rechnen konnte.
Tina ordnete nun die Namen nach ihrem Koͤpf¬
chen, huͤpfte hoͤchſt vergnuͤgt uͤber ihr Arrange¬
ment zu den Gaͤſten zuruͤck, und reichte dem ihr
freundlich entgegen tretenden Staunitz die Schwa¬
nenhand, welche dieſer an ſeine Lippen zog.
„Haſt Du,“ hob Tina an, und blickte dem ſchoͤ¬
nen Manne in das klare Seelenauge, „haſt Du
auch nicht vergeſſen, was Du mir verſpracheſt,
mein theurer, lieber Freund? Siehſt Du,“ fuhr
ſie fort, als Staunitz genickt hatte, und langte
aus der Schneetiefe ihres von geheimer Luſt be¬
benden Buſens ein goldenes Medaillon hervor,
„hierin ſoll das Heiligthum ruhn!“ Sie blickte
ſich um, ob niemand gelauſcht habe, und bemerkte
Blauenſtein nicht, welcher ſie laͤngſt aus der Ferne
beobachtet, und jetzt ganz genau ſah, wie Tina
aus ſeiner Hand eine Locke fuͤr das Medaillon
empfing, welche von niemand anders, als von
Staunitz ſein konnte, denn hatte ihn ſein Auge
nicht getaͤuſcht, ſo war ſie braun geweſen, wie
Staunitz Lockenkopf. So viel war gewiß, Tina
blieb mit ihrem Betragen ein hoͤchſt raͤthſelhaftes
Geſchoͤpf; und er konnte das eben nicht fuͤr Nai¬
vetaͤt nehmen, wenn ſie auch mit keinen buhleri¬
ſchen Kuͤnſten um ſich warf. Blauenſtein nahm
ſich vor, es koſte auch, was es wolle, mit ſich in
Beziehung auf Tina in's Klare kommen zu wol¬
len. Eine zarte, ſilberhelle Trompete rief jetzt
zur Tafel; Blauenſtein ſuchte das augenblicklich
Truͤbe ſeiner Stimmung zu vergeſſen, Staunitz
fuͤhrte ihn mit freundlicher Zuvorkommenheit,
welche ganz den feinen Weltmann verrieth, ſeiner
reizenden Braut entgegen, und unter einer rau¬
ſchenden Simphonie ſuchten die durch die Trom¬
pete aufgeregten Gaͤſte ihre Plaͤtze. Ungluͤcklicher
Weiſe fand die Droſtin Steinburg ihren Platz
in der Naͤhe des Hofrath Wernburg, deſſen bei¬
ßender Satyre ſie gar nicht auszuweichen wußte;
aber die Geheimderaͤthin Wandler hatte ihren
Sitz dicht neben dem alten Kammerherrn, dem
hecktiſchen Canonicus Osdorf gegenuͤber, aufge¬
ſchlagen, und freute ſich im Voraus einer Unter¬
haltung, die nur dann von ihr geruͤhmt wurde,
wenn ſie ihrem giftigen Herzen Luft machen
konnte. Mit geheimer Schadenfreude ſah ſie,
daß das eitle, duftende Antoͤnchen ſich neben
Fraͤulein Babet umſonſt bemuͤhte, durch ſchale
Witze zu vergeſſen, daß ihm fuͤr den Abend die
holde Gegenwart der Comteſſe Albertine geraubt
ſei, und nahm ſich nebenbei vor, von den vor¬
trefflichen Speiſen auch nicht eine einzige unan¬
geruͤhrt voruͤbergehn zu laſſen. „Vorhin“ begann
ſie grinſend, und wandte ſich an den Kammer¬
herrn, welcher ungern von ſeiner fetten Truͤffel¬
paſtete abließe, „vorhin waren wir zu oft in un¬
ſerm Discours geſtoͤhrt; jetzt iſt die Gelegenheit
guͤnſtiger. Was halten Sie ſo eigentlich von dem
Maͤdchen, der Tina?“ „Engliſche Frau,“ erwie¬
derte der Kammerherr in einiger Verlegenheit
und wiſchte mit der Serviette uͤber den Mund,
„ich glaube, das Kind mag ſo uͤbel nicht ſein!
Daß ſie an huͤbſchen jungen Maͤnnern Gefallen
findet, die ſich ihr ſo zu ſagen zur Auswahl praͤ¬
ſentiren, wer kann darin etwas Schlimmes fin¬
den? Denken Sie an unſere Jugend, wir mach¬
ten es im Grunde nicht beſſer. Das arme Kind
hat keine Mutter; ſchon dieſer Grund enthaͤlt
reichliche Entſchuldigungen!“
„Mein Himmel!“ ſagte die Geheimderaͤthin,
und ſchien betroffen, „welche ploͤtzliche Veraͤnde¬
5
rung der Sinnesart! Sie ſcherzen, Freund!
Bedenken Sie, das Maͤdchen iſt Braut, und
thut mit dem Baron, als ſei ſie ſo frei, wie vor
ihrer Verlobung mit Staunitz! Wenn dies keine
Suͤnde iſt, ſo weiß ich nicht, wie man bei jungen
Maͤdchen eine aͤrgere finden kann! Ich war auch
einmal jung, und Sie wiſſen, was mir meine
Nichte Louiſe fuͤr Kummer gemacht mit ihrem
Weſen; aber ſo etwas iſt denn doch zu arg!
Wenn ich dagegen an ihr Guſtelchen denke, wie
ſittſam, wie haͤuslich, wie viel Zucht und Sitte;
— Nein, an der Tina iſt nichts; und unter uns
geſagt, ſie ſoll es in der Reſidenz auch ebenſo
gemacht haben!“
„In der That?“ keuchte der lauſchende
Canonicus, und bekaͤmpfte ſeinen verjaͤhrten
Magenhuſten. „Man ſpricht ſo dies und jenes!
Wahrhaftig, der Oncle Heinrich iſt um ſolch eine
Nichte zu beneiden, die ihm mit ſo viel Huld
entgegenkoͤmmt!“
„Wie verſtehn Sie das?“ fragte die Geheim¬
deraͤthin raſch und dringend.
„Nun,“ ſagte der Canonicus kleinlaut, und
blinzte mit ſeinen kleinen grauen Augen, „der
Mann iſt noch recht huͤbſch und kraͤftig; Sie
kennen doch die Liſette, meiner Schwaͤgerin
Kammermaͤdchen, welche fruͤher hier in Blumenau
diente, die erzaͤhlte, sacre dieu, es wird einem
warm bei den Gedanken! daß der chere Oncle
ſein holdes Nichtchen oft im Bette uͤberraſcht,
und gekuͤßt habe. Das ſagte das Maͤdchen; das
Übrige folgt leicht von ſelbſt. Und dann, wie
oft war ſie nicht bei Praͤſidents, und wie es da
herging, iſt ja weltbekannt!“ —
„Haben Sie gehoͤrt, Herr Kammerherr?“
fragte die Geheimderaͤthin triumphirend. Ich
irre mich ſo leicht nicht, und wenn man ſo zwanzig
Jahre in der großen Welt lebt, da kennt man
zuletzt ſeine Leute!“
„Allerdings!“ murmelte der Kammerherr, und
beſah ſich im goldigen Spiegel des gefuͤllten Kelch¬
glaſes. „Aber wo bleibt der Mantel chriſtlicher
Liebe, meine Gnaͤdige, den Sie mir neulich ſo
angeprieſen? Ha, ha ha! — Ich erinnere mich
einſt geleſen zu haben, die Welt ſei eigentlich ein
großes Mißverſtaͤndniß; und ich bin uͤberzeugt,
der Autor meinte hauptſaͤchlich hiermit die Welt,
aus welcher Sie, meine Theure, Ihren Kummer
ſchoͤpfen; meinen Sie nicht auch?“
5*
Aber die Raͤthin erwiederte nichts; mit einem
geheimen Ärger auf ſich ſelbſt dachte ſie eben
daran, daß der Kammerherr zwiſchen des Grafen
Sohn und ſeiner kugelrunden Tochter eine Ver¬
bindung beabſichtigte; der Graf, wie die verehr¬
ten Leſer wiſſen, war keineswegs abgeneigt, und
der Hofmann wollte ſich ſeine Ausſichten nicht
verderben. Sein wohleingerichteter Appetit hielt
ihn auch fuͤr jede Unterhaltung ſchadlos, und mit
einem ungewoͤhnlichen Wohlbehagen uͤberrechnete
er bereits ſeiner Tochter kuͤnftiges Gluͤck, ſah im
Voraus die hoͤchſt zufriedenen Mienen ſeiner Glaͤu¬
biger, und ſich in einer glaͤnzenden Wohlhabenheit
ſchon als Oberkammerherr. — Anders ſah es bei
Blauenſtein aus; es war ein ploͤtzlicher Ernſt
uͤber ihn gekommen, und alle froͤhlichen Scherze
ſeines Nachbars Staunitz vermogten ihn nicht zu
bannen. Er hatte an ſeinen Vater geſchrieben,
wo er ſich aufhalte, und was eigentlich der Grund
ſeines Verweilens in Blumenau ſei. Mit einer
gewiſſen Ängſtlichkeit gedachte er ſeines Vaters,
und gab ſich ſelbſt das Verſprechen, ſeinen Aufent¬
halt, moͤge er auch noch mehr Reize darbieten,
wo moͤglich abzukuͤrzen. Tina war die Ausge¬
laſſenheit, die frohe, heitere Laune ſelbſt; Blauen¬
ſteins Ernſt ſchien ihr wahrhaft Spaß zu machen,
und ſie unterließ nicht, ihn auf alle und jede
ſchlaue Art damit aufzuziehn. Es war ihm jetzt
unmoͤglich, dem Maͤdchen gram zu ſein; wo er
noch vor Kurzem Verſtellung, Koquetterie, Gefall¬
ſucht, und wer weiß, was noch alle! geſehn,
erblickte er jetzt nur gefaͤllige Natuͤrlichkeit, unbe¬
fangene Liebenswuͤrdigkeit; und dann durfte er ja
auch wahrhaftig ihr dankbares Herz nicht ver¬
geſſen. Wer des Vaters Leben, wenigſtens ſeine
geſunden Glieder rettete, hatte gewiß Anſpruch
auf der Tochter Freundſchaft. Und ihre Verlo¬
bung? — nun ja, das war freilich dumm, recht
ungelegen, und vielleicht die Quelle alles Kummers,
der den jungen Mann quaͤlte und noch quaͤlen
ſollte; aber ſie liebte ihren Braͤutigam herzlich,
mit ſo viel kindlicher Anhaͤnglichkeit; nein, mit
einem Worte, Tina war und blieb ein hoͤchſt
liebenswuͤrdiges Geſchoͤpf, nur Schade, ewig
Schade, daß ihm das Himmelskind auf immer
verloren war!
„Aber mein Himmel,“ unterbrach Staunitz
ſeines Nachbars Betrachtungen, „warum ſind Sie
immer ſo ernſt, ſo in ſich zuruͤckgezogen, lieber
Baron? Laſſen Sie uns,“ fuhr er fort, und ſah
Blauenſtein tief in's Auge, als gelinge es ihm
jetzt, ſein Herz zu ergruͤnden, „laſſen Sie uns zu
den Glaͤſern faſſen! Der Wein macht froͤhlich,
er iſt freundlichen Hoffnungen guͤnſtig und
der Liebe!“
„Freundlichen Hoffnungen?“ fragte Blauen¬
ſtein, und ſah Staunitz laͤchlend, aber wehmuͤthig
an. „Nun ja, der Hoffnungen ſind verſchiedene,
wer ſie beloben darf, dem fehlt keine Sicherheit;
aber auf mich kann es keine Anwendung leiden;
meine Erwartungen vom Leben, vom Gluͤck ſind
nicht hoch geſpannt. Und lieben kann man nur
einmal wahrhaft; nur einmal erſchließt ſich dem
Geweihten des Himmels Klarheit, und er empfaͤngt
den Kranz, der ſeine Stirne zieren ſoll! Oft
tritt ein neidiſcher Zufall kalt und tuͤckiſch zwiſchen
das Gluͤck und das liebende Herz!“
„Sie ſprachen tief aus meinem Herzen, mein
Freund,“ erwiederte Staunitz, und druͤckte Blauen¬
ſteins Hand mit Feuer, „und ihre Geſinnungen
machen Ihnen Ehre. Aber die Zukunft iſt fuͤr
unſer kurzſichtiges Auge nicht geſchaffen!“
Blauenſtein nickte Beifall, ſah dem Zerſprin¬
gen der feinen Blaͤschen in ſeinem Glaſe zu und
ſog das duftige Aroma des koͤſtlichen Weines ein;
aber Tina ſchien unzufrieden uͤber der jungen
Maͤnner ernſtes Geſpraͤch, und fragte, ob es denn
auch erlaubt ſei, ſolchen Betrachtungen zu dieſer
Zeit Raum zu geben? „Ich glaube,“ fuhr ſie
heiter fort, und nahm eine Meſſerſpitze Himmbeer¬
gelee in den kleinen Roſenmund, „ich glaube, es
iſt an der ganzen Tafel niemand, der ſich mit
wahrhaftem Ernſte befaſſen moͤgte. Hoͤren Sie
um des Himmels Willen dieſen Laͤrm, kaum daß
die Muſik unſer Ohr erreicht. Aber ſehn Sie,
dort koͤmmt der wahre Genius der Freude!“
Blauenſtein ſah vom Teller auf, und erblickte die
hin und her ſpringenden Bedienten mit den
Champagnerflaſchen, deren tobender Geiſt empor
ſpritzte, und die Glaͤſer ſchaͤumend uͤberlief. Den
Damen entfuhr ein kleiner Schreckensſchrei, ſie
fuͤrchteten fuͤr ihre Toilette, und ſtreckten doch die
zarten Haͤnde nach dem ungeſtuͤmen Kreidewein
aus, um mit den luſtigen Nachbarn mit den
klappernden Lilienglaͤſern anzuſtoßen. Tina cre¬
denzte Blauenſtein ein volles Glas, und nippte
vorher ein wenig mit dem wuͤrzigen Roſenmunde;
er aber faßte ihre bebende Hand, und ſtuͤrzte den
Wein auf ihr Wohl eilig hinunter. „Weshalb
ſo ungeſtuͤm, ſo raſch?“ fragte ſie den geiſtig
Berauſchten. „Sie ſind wie der Wein, den
Sie trinken!“
„Die Freude, die der Himmel uns zumißt,
iſt kurz fuͤr die verlangende Bruſt. Aber dem
Weine gilt dieſer Eifer nicht!“ ſagte Blauenſtein
mit Bedeutung, und zog faſt ſeiner unbewußt
Tinas Hand an ſeine brennenden Lippen. Das
Deſert war herumgereicht, und wurde zum Theil
von den Überſatten verſchmaͤht; da toͤnte vom
Orcheſter ein herrlicher Cotillon, und die Tanz¬
luſtigen ſtuͤrzten hinter den Stuͤhlen hervor, ſuchten
nach ihren Schoͤnen, und eilten, vom Weine mit
Muth beſeelt, in den Tanzſaal. Wie der Wind
ſtand Antoͤnchen an Tinas Seite, und buͤckte ſich
tief, und bat um den Goͤttertanz. Aber ſie war
an Blauenſtein verſagt. „Das iſt mir doch zu
arg! dachte der Beleidigte bei ſich, und zog nun
mit freundlich fletſchender Miene ab. „Sie muͤſſen
ſich ſchon entſchließen,“ ſagte das kleine Luͤgen¬
kind erroͤthend zu Blauenſtein, „und dieſen Tanz
mit mir tanzen; es war mir unmoͤglich, dem
unausſtehlichen Narren meine Hand zu reichen,
der mir mit ſeiner Gemuͤthsleere, wie mit ſeinem
faden Pariſer Witze, der nicht einmal aͤcht iſt,
immer verhaßter wird!“
Blauenſtein war von dieſer Offenheit, dieſem
Vertrauen entzuͤckt, und huͤpfte an der Hand des
angebeteten Maͤdchens zu dem ſich bildenden
Kreiſe des beliebten Tanzes. Aber die Freude
ſollte nicht lange dauren; kaum war die erſte
Haupttour beendigt, als ein donnernder Kanonen¬
ſchlag ein brillantes Feuerwerk verkuͤndigte, das
jetzt mit einigen, bis in das tiefſte naͤchtliche
Blau des Himmels aufrauſchenden, Racketen
begann. Der Tanz war wie auf ein Kommando¬
wort zerſtreut, die aͤltern Perſonen ſuchten ſich
an den hohen Fenſtern des geraͤumigen Saales
einen guͤnſtigen Platz, aber die juͤngern eilten am
Arme ihrer Taͤnzer oder Anbeter hinab in den
Park, und ergoͤtzten ſich an dem ziſchenden Spruͤh¬
regen der bunten Feuerraͤder, welche das glaͤn¬
zende Schauſpiel der kommenden Feuerherrlich¬
keiten luſtig begannen. Blauenſtein war mit
Tina an das Ufer des Sees getreten, wohin ihm
Staunitz mit Oncle Heinrich folgte. Der letztere
war entzuͤckt uͤber ſein gelungenes Werk, und
machte die jungen Leute auf ein kleines Fahr¬
zeug aufmerkſam, das mit einem Male im bun¬
teſten Brillantfeuer ſtand. Lauter Oh's und Ah's
ſchallten von allen Seiten; blaͤulich ſchimmernde
Leuchtkugeln fuhren lautlos durch die heitre Nacht¬
luft, und erhellten die Ufer, an die ſich ein Theil
der Gaͤſte herangewagt hatte, bis ein praſſelnder
Schwaͤrmertopf die Neugierigen mit Blitzesſchnelle
zerſtreute. Da krachte ploͤtzlich das Schiff, daß
die Wellen an ſeinen Blanken hinaufſchlugen,
und in der Mitte des Maſtes ſchimmerten wie
Sterne die Worte: „Treue Liebe,“ auf einem
Tranſparente, das nach wenigen Minuten ſammt
dem Schiffe in lodernde Flammen aufging, die
wunderbar im Waſſer wiederglaͤnzten, als habe
ſich die Fluth in ein Feuermeer verwandelt.
Jeder deutete ſich die erwaͤhnten Worte nach
ſeiner Weiſe; aber Staunitz zog die geliebte Tina
an ſeine Bruſt, und eine Thraͤne inniger Ruͤh¬
rung glaͤnzte in den Augen beider Liebenden.
Blauenſtein hatte keinen Sinn mehr fuͤr die
Herrlichkeiten der Feuerwerkerkunſt; es war ihm,
als ſei mit dem Verloͤſchen des blauen Sterns
an den Wimpeln des durch die Flammen abſicht¬
lich verzehrten Schiffs auch der Stern ſeines
Lebensgluͤckes untergegangen in die finſtere Tiefe
unſeliger Verhaͤltniſſe. Umſonſt bemuͤhte ſich
Oncle Heinrich ſeine Feuerwerkstheorie dem weh¬
muͤthigen jungen Freunde zu entwicklen; er warf
noch einen Blick auf den Laͤrm und die bunte
Funkenpracht der Drehſonnen, Knallcapricen. Gi¬
randolen, Bomben mit blauen Sternen, Feuer¬
kaſtanien und alle die gedraͤngt voruͤberſchwebenden
Herrlichkeiten, und war im Begriff, ſich nach
dem dunklen, lautloſen Luſtwaͤldchen zu wenden,
als Staunitz mit Oncle Heinrich zu ihm trat,
und letzterer ihm ſagte, es ſei ein Fremder vor
einer Stunde angekommen, welcher ihn, als
Blauenſtein, dringend zu ſprechen verlange. „Der
arme Teufel,“ ſagte Heinrich und faßte Blauen¬
ſteins Hand, „der arme Teufel war ſehr ermuͤdet,
und haͤtte ich ein Wort von einem fremden Boten
fallen gelaſſen, ſo waͤre mein Schiffchen ſammt
dem ganzen Feuerwerke verloren geweſen. Der
Henker weiß, ob Sie etwas gemerkt haben, Sie
thaten kaum auf meine Kunſtſachen einen Blick,
und nun ziehen Sie hin in Frieden zu dem eili¬
gen Manne, der beſtimmt gute Bothſchaft bringt!“
Blauenſtein war erſchrocken; er dachte an
ſeinen Vater, an ſeine Heimath. Gott, wenn
der erſtere ploͤtzlich geſtorben, wenn irgend ein
anderes Ungluͤck vorgefallen waͤre! Er lief in
aller Eile nach dem Schloſſe zuruͤck, und ſuchte
nach einem Domeſtiken, der ihn zu dem Fremden
fuͤhre. Aber das Feuerwerk hatte die geſammte
Dienerſchaft hinaus in's Freie gelockt, nur des
Fraͤuleins Kammermaͤdchen war zuruͤckgeblieben,
und verſicherte ganz unaufgefordert, ſie koͤnne das
infame Schießen nicht vertragen und das ewige
Knallen der Feuerraͤder, da waͤre ſie noch im
Hauſe, und wolle eben dem fremden Herrn eine
Erfriſchung holen.
4.
Die Bothſchaft.
Voll banger Erwartung trat Blauenſtein, von
dem Kammermaͤdchen geleitet, in des Frem¬
den Zimmer. Seine Ahnung hatte ihn nicht ge¬
taͤuſcht, es war
ſeines Vaters getreuer Secretair. „Erſchrecken
Sie nicht, Herr Baron,“ hob dieſer an und trat
Blauenſtein mit milder Freundlichkeit entgegen.
„Vor allen Dingen muß ich Ihnen ſagen, wie
ich mich Ihrer Zuruͤckkunft von der langen Reiſe
freue, der Ihre koͤrperliche Ausbildung viel ver¬
dankt, denn ich finde manche vortheilhafte Ver¬
aͤnderung!“
„O, laſſen wir jetzt dergleichen, lieber, guter
Blum,“ entgegnete Blauenſtein dringend, „ſagen
Sie mir vielmehr ſchnell heraus, was Sie ſo
ploͤtzlich zu mir fuͤhrt. Mein Vater hat doch
meinen Brief empfangen? —“
„Allerdings,“ nahm Blum mit einem Seufzer
das Wort, „das hat er. Der gute Herr iſt
krank, was ſoll ich es laͤnger verhelen, aber ich
hoffe, nicht gefaͤhrlich. Unterbrechen Sie mich
nicht, junger Herr, ich werde gleich am Ende
meines Berichtes ſein, und wir haben beide große
Eile. Schon kurz vor Empfang Ihres Briefes
klagte der gute Herr uͤber eine Laͤhmung in ſeinem
Koͤrper, und er ſagte, es ſei geweſen, als wenn
mit einem Male alle Nerven zuſammengezuckt
ſeien, und als haͤtte es wie in einem langgehalte¬
nen, ſonderbaren Tone vor dem Ohre geklungen.
Sie kennen ſeine Vorliebe fuͤr die Muſik, und ich
ſchob auch hierauf die ſonderbare Erſcheinung;
aber die Ärzte meinten doch, es waͤre eine Art
Schlagfluß geweſen. Nun kam Ihr Brief, mein
lieber junger Herr; er mogte einen freudigen
Eindruck aͤußern, denn Ihr Herr Vater verlangte
ſehnlichſt nach Ihnen, faſt in demſelben Grade,
als ſein Übelbefinden ſtieg. Blum, ſagte er zu
mir am Morgen, Sie muͤſſen mir den Auguſt
ſchaffen, ich werde immer ſchwaͤcher und ſchwaͤcher,
und fuͤhle, daß meine Stunde bald ſchlagen wird.
Auf alle Weiſe redete ich dem guten Herrn ſolche
finſtern Gedanken aus, ließ den Reiſewagen an¬
ſpannen, und fuhr Tag und Nacht. Mit Nerven¬
zufaͤllen iſt kein Spaßen; daher halte ich es fuͤr
nothwendig, daß wir Blumenau ſo ſchnell wie
moͤglich verlaſſen, und wenn es irgend angeht,
noch in dieſer Nacht!“
Blauenſtein war keines Wortes maͤchtig, er
druͤckte die Hand des ehrlichen Blum, winkte ihm,
im Zimmer zu bleiben, und eilte hinaus in's
Freie. Das Feuerwerk war zu Ende; die be¬
friedigten Zuſchauer ſuchten den verlaſſenen Tanz¬
ſaal wieder auf; auch Tina trat, in ihren Shawl
gehuͤllt, Blauenſtein laͤchlend entgegen, und fragte,
ob der Cottillon noch ausgefuͤhrt werden koͤnne.
Er hatte ſich ein wenig erholt, und erwiederte
auf Tinas Frage, was ihm ſei, denn eine Todten¬
blaͤſſe habe ſein Geſicht uͤberwogen, und ſein Auge
ſchwimme in Thraͤnen, daß er eine ploͤtzliche
Trauerbothſchaft erhalten. „Mein Vater,“ fuhr
er mit wankender Stimme fort, „liegt vielleicht
ſchon jetzt in ſeinen letzten Zuͤgen; er verlangt
nach ſeinem Kinde, und ich habe auf keiner Stelle
Ruhe mehr. Ich muß fort, verſtatten Sie mir,
daß ich Ihnen, den theuren Ihrigen danke fuͤr
die mir erwieſene herzliche Aufnahme!“ — Wei¬
ter vermogte Blauenſtein nicht zu reden, ein
Strom von Thraͤnen erſtickte ſeine Stimme, und
er oͤffnete, um ſich der Aufmerkſamkeit der Vor¬
uͤbergehenden zu entziehn, das erſte, beſte Zimmer,
und dachte nicht daran, daß er ſich in Tinas
kleinem Heiligthum befinde. Das erſchrockene
Maͤdchen war ihm gefolgt, und ſeinen Mißgriff
gewahrend, erhob er ſich eben ſo ſchnell von dem
Seſſel, auf den er ſich niedergelaſſen, und zog
Tinas Hand an ſeine fieberiſch brennenden Lippen.
„Entſchuldigen Sie mich, Comteſſe,“ hob er an,
„haben Sie Nachſicht mit mir. Ich liebe meinen
Vater uͤber Alles, aber ich ſehe auch noch andern
Verluſten entgegen, die mich tief ſchmerzen! Um
Ihre Liebe zu werben, iſt mir nicht vergoͤnnt;
aber ich habe vielleicht einen kleinen Anſpruch
auf Ihre Freundſchaft. Jetzt leben Sie wohl,
entſchuldigen Sie mich bei Ihrem Herrn Vater
und den uͤbrigen Verwandten, und wenn ich noch
um etwas bitten darf, ſo iſt es das, mir zuwei¬
len einen Augenblick freundlicher Erinnerung
zu ſchenken!“
Tina war zu ſehr uͤberraſcht von dem ploͤtz¬
lichen Ereigniſſe, als daß ſie einer ruhigen Er¬
wiederung faͤhig geweſen waͤre. Sie ließ ihre
Hand in der ihres Freundes ruhn, ſie war es
ſich kaum ſelbſt bewußt, daß er ſie an ſeine Bruſt
zog und ihre Stirn mit einem leiſen Kuſſe be¬
ruͤhrte. Iſt es denn ein boͤſer Traum, daß er
wirklich fort will, iſt es Wirklichkeit? dieſe Fragen
durchkreuzten ſich in ihrem Koͤpfchen, und erſt als
Blauenſtein zum letzten Lebewohl ihre Hand ergriff,
und eine Thraͤne ſich in ſein Auge ſtahl, vermogte
ſie wieder zu reden, und ſich gefaßt und ruhig
uͤber die Sache zu aͤußern. „Warum dieſe Eile,
mein Freund?“ fragte ſie mit dem zarten Wohl¬
laut ihrer Stimme, und ſah dem jungen, ſchoͤnen
Manne mit milder Freundlichkeit in die in
Thraͤnen halb ſchwimmenden Augen. „Ich weiß,
was es heißt, einen Vater krank zu wiſſen, und
ein guter Sohn wird nicht vom Himmel geſtraft
werden durch einen herben Verluſt; aber warten
Sie den morgenden Tag ab, und gelangen Sie
zu gehoͤriger innerer Ruhe. Ihr Auge brennt
fieberiſch, Sie ſind ſelbſt krank, und duͤrfen nicht
ſo ohne Schonung mit ſich umgehn!“
„Ihre Worte buͤrgen mir fuͤr Ihr Wohlwollen,
mein Fraͤulein,“ entgegnete der aͤngſtlich Bedraͤngte,
„aber mich rufen heilige Pflichten! Um eins
wage ich noch zu bitten, gewaͤhren Sie mir ein
kleines Angedenken!“
Tina erroͤthete; aber ſchnell entſchloſſen eilte
ſie an ihren Arbeitstiſch, nahm aus einem Schub¬
fache eine reichgeſtickte Brieftaſche, und legte ſie
in Blauenſteins Hand. Im naͤchſten Augenblick
war er verſchwunden, und ſie ſank wie erſchoͤpft
auf die weichen Polſter ihres Sophas. — —
Der alte Martin flog mit einem andern Die¬
ner in Blauenſteins Zimmer; er ſelbſt half ſeine
zerſtreuten Habſeligkeiten zuſammenlegen und ein¬
packen, und verwahrte das eben erhaltene theure
Geſchenk auf ſeiner Bruſt. Der Wagen ſtand
vor der Thuͤre, Oncle Heinrich dicht dabei. Er
hatte vom Secretair Blum das Naͤhere erfahren,
und bedauerte herzlich, daß er den jungen Freund
ſo ſchnell verlieren ſollte. „Verſprechen Sie mir,“
fuhr er fort, „uns in dem ſtillen, abgelegenen
Blumenau recht bald wieder beſuchen zu wollen,
Blauenſteinchen, und zwar auf einige Wochen,
nicht auf Tage, wie diesmal. Übrigens wird
ſich mein Schwager verdammt wundern, wenn
er morgen hoͤrt, daß Sie ausgeflogen ſind. Aber
es iſt gut ſo; Sie haben Eile, und er machte
nur noch laͤngern Aufenthalt! — Nun, Gott be¬
fohlen; der Himmel gebe, daß Sie Ihren Papa
friſch und geſund antreffen! — — “
Heinrichs Worte verhallten im Wehen der
ſcharfen Nachtluft; im Saale ertoͤnte hell und
luſtig ein froͤhlicher Walzer, halb vom Winde
verſchlungen, durch die angelaufenen Fenſter ſah
man die raſch vorbeiſchwebenden, froͤhlichen Tanz¬
paare, aber Blauenſteins Wagen rollte in der
raſcheſten Eile durch die rauſchende Lindenallee
6
in die duͤſtere Nacht hinein. Der Secretair Blum
war im hoͤchſten Grade ermuͤdet; ein mitleidiger
Schlaf wiegte ihn in eine ununterbrochene Ruhe,
die nur Blauenſtein ſelbſt nicht hold war. Die
Ereigniſſe der letzten Tage, die vor wenigen
Stunden erhaltene Trauerpoſt durchkreuzten ſich
in ſeinem Kopfe; er ſchloß in finſterer Wehmuth
die Augen, und warf ſich in die weichen Leder¬
kiſſen ſeines Wagens.
5.
Liebespein.
Tina wuͤnſchte nichts ſehnlicher, als der Ball
moͤge zu Ende ſein. Sie uͤberlegte hin und her,
ob ſie ſich der Geſellſchaft entziehen koͤnnte; ſich
krank melden, das war zu gewagt, denn noch
kaum war ſie geſund wie ein Fiſchchen im Saale
herumgehuͤpft; irgend etwas anderes vorwenden,
war auch nicht raͤthlich, denn die giftige Verlaͤum¬
dung brachte ſie dann in's Gerede mit dem Baron,
der bereits viel zu viel Liebhaberinnen gewonnen
hatte. Alſo das Beſte blieb auf jeden Fall, in
den Saal zuruͤckzugehn, zu tanzen, und zu thun,
als ſei in der Welt nichts vorgefallen. Schlau¬
koͤpfchen glaubte auf dieſe einfache Weiſe Alles
recht wohl uͤberlegt und bedacht zu haben, wie
ein Feldherr; und erhob ſich daher vom weichen
Sitze, um die Operationen ſchleunigſt zu beginnen,
weil keine Zeit zu verlieren war: da trat Tante
Letty mit einem Geſicht in das Zimmer, auf
welchem Ärger, innerer Unwille und heftige Bit¬
terkeit kaͤmpften.
„Sage um des Himmels Willen“ hob ſie an,
und trat dem erſchrockenen Maͤdchen ganz nahe,
als wolle ſie recht Gefaͤhrliches unternehmen,
„ſage um des Himmels Willen, wo Du bleibſt?
Der Hofrath, die Steinburg fragten drei, viermal
nach Comteſſe Albertine; der gutmuͤthige Anton,
der Deinen wahrhaften Grobheiten eine engliſche
Geduld entgegenſetzte, desgleichen, weil er mit Dir
engagirt zu ſein vorgiebt, aber wer ſich nicht ſehn
laͤßt, iſt die hochweiſe, die ſuperkluge Tina! O
mein Schaͤfchen, wir kennen Deine Wege und
Deine Schliche! Denn kaum war der Baron
Blauenſtein in unſer Haus getreten, als Du
auch wie verſeſſen nicht von des Menſchen Seite
wichſt. Und nun gar heute! Es war ja wahr¬
haftig kein Auseinanderkommen, als waͤret Ihr
beide die Hauptperſonen, alle die uͤbrigen nur zu
6 *
Eurem Amuſement! Was mag der feine junge
Mann von Dir denken, wie mag Staunitz
Glaube an Dich geſunken ſein!“
„Tante!“ unterbrach Tina die Zuͤrnende, und
ſie bebte am ganzen Koͤrper, „maͤßigen Sie ſich
in Ihren Ausdruͤcken; an dem Allen, was Sie
in Harniſch bringt, iſt kein wahres Wort.
Blauenſtein iſt ein zu edler Menſch, als daß er
von meiner Aufrichtigkeit Übles denken ſollte!“
„O, erſchrecklich edel!“ fiel Letty ihr ſpoͤttiſch
in die Rede. „Unſere jungen Herren, und edel,
das iſt ein laͤcherlicher Widerſpruch; denn das
Volk nimmt mit, wo etwas zu finden iſt. Ohne¬
hin iſt dies Nebenſache, und ich habe des Men¬
ſchen Parthie ſchon anderwaͤrts genommen; aber
von Dir ſpreche ich; Du biſt um Deinen Ruf,
wenn Dein Betragen in der Umgegend, und in
der Reſidenz bekannt wird! Denn auffallender iſt
mir auch noch keins vorgekommen! Heute Abend
bei der Tafel machſt Du eine Menge eigenmaͤch¬
tiger Änderungen, verlegſt die Namen, und pflanzeſt
Dich mir nichts, Dir nichts neben den Blauen¬
ſtein, ſprichſt, tanzeſt mit beinahe niemand, als
nur mit ihm! Eine Braut, und ſolch ein Be¬
tragen, Pfui, ſchaͤme Dich!“
„Sie verſtehn es,“ entgegnete Tina in einem
ruhigen Tone, als die Tante in ihrer Eiferrede
ſtill ſtand, „Sie verſtehn es, ſich in meiner Ach¬
tung zu befeſtigen, indem Sie auf eine mir jetzt
ſehr auffallende Weiſe ihre Eiferſucht zeigen!
Glauben Sie etwa, daß der Baron an Ihrer
Seite lieber geſeſſen, als an der meinigen? —
Ich zweifle beinahe. Und was Staunitz betrifft,
ſo hat er in meinem Betragen nichts Anſtoͤßiges
gefunden, das zeigt mir ſeine Freundlichkeit, ſeine
Liebe. Was aber die elenden Menſchen aus der
Reſidenz belangt, den Narren, den Anton, ſammt
ſeiner hochfahrenden Mamma, ſo gilt mir deren
Meinung ganz gleich, das moͤgen Sie ihr ſelbſt
ſagen, wenn es beliebt! Ich ſollte uͤberdieß auch
meinen, ich ſei zu ſehr Herrin meiner Handlun¬
gen, als daß Sie ſich berufen fuͤhlen koͤnnten,
meine Hofmeiſterin zu ſpielen; aus den Kinder¬
jahren bin ich heraus, und ich verbitte mir
ſolche beleidigenden Äußerungen, wie Sie ſich
dieſelben auf meinem Zimmer erlauben, das ich
doch zu jeder Zeit gern fuͤr mich zu behalten
wuͤnſche!“
Das hatte Tante Letty nicht erwartet. Sie
trat einige Schritte zuruͤck, und fragte kleinlaut:
„Alſo zieht es die gnaͤdige Comteſſe wohl vor,
auf ihrem Zimmer zu bleiben? Dies entſpricht
meinen Wuͤnſchen, und ich befehle Dir hiermit,
es vor Morgen nicht wieder zu verlaſſen!“
„Diesmal kann ich leider nicht Folge leiſten,“
ſagte Tina kurz und mit Ruhe; „ich finde es
dem Anſtande gemaͤß, ſogleich in den Tanzſaal
zuruͤckzugehn!“
„Unterſteh es Dir! rief Letty ganz in Wuth,
und die kleinen Augen ſpruͤhten Flammen. „Noch
bin ich die Schweſter des Grafen, Deines Vaters,
und habe ein Wort zu reden!“
Aber Tina warf ihren Shawl um, meinte,
ſie moͤge ſich nicht zur Unzeit erhitzen, und ſtand
nach wenigen Secunden mit dem unausſtehlichen
Antoͤnchen in den Reihen der Tanzenden. Er
ſuchte, wie immer, nach Witzen, aber Tina ant¬
wortete ſo kurz und ſo beſtimmt, daß er Gott
dankte, als die Muſici Halt machten, und klagte
der Mamma Droſtin ſein ausgemachtes Malheur
fuͤr heute, denn die ſchoͤne Comteſſe Albertine ſei
auch gar zu kurz und empfindlich. Dem Hof¬
rathe erging es nicht viel beſſer; er wollte uͤber
den armen Blauenſtein ſeine Sarcasmen aus¬
ſtreuen, und ſpielte entfernt, aber bitter, auf
Blauenſteins Artigkeiten gegen ſie, ſo wie auf
die freundliche Gunſt an, welche ſie ihm geſchenkt!
aber hier hatte er ſeine Meiſterin gefunden;
Oncle Heinrich, welcher nicht weit davon ſtand,
und vom Geſpraͤch nichts verloren hatte, freute
ſich innerlich uͤber ſeines Lieblings feſten, beſtimm¬
ten Charakter, und trat nach beendigtem Tanz
ihr mit der Frage naͤher, was ſie eigentlich ſo
verſtimmt habe. „Ich habe eben,“ fluͤſterte Tina
ihm leiſe in's Ohr, „ich habe eben mit Letty
einen unangenehmen Auftritt gehabt, der mich
aͤrgert; aber unter uns, Onkelchen!“
„A ha!“ ſagte Heinrich, und faßte zutraulich
die Hand des reizenden, Kindes, „das heißt ſo
viel, als ein eigentlicher Zank, nicht wahr? —
Laß nichts auf Dir ſitzen, ich kenne die alberne
Naͤrrin; und wenn ſie Dir zu nahe treten
will, ſo hat ſie es mit mir zu thun! Hoͤrſt
Du, Tinchen?“ —
Tina nickte freundlich, und ſah ſich gezwungen,
mit der alten Droſtin Steinburg in einer ihr
hoͤchſt laͤſtigen Converſation, denn ſie betraf nie¬
mand anders, als den Pariſer Goldſohn, den
Saal einigemal auf und abzuwandeln. Es war
ihr unbegreiflich, wie die Frau ihren alten Plan,
ſie, als Tina, mit dem einfaͤltigen Anton zu ver¬
binden, nicht aufgeben wollte, da Tinas Verlo¬
bung mit Staunitz weltbekannt war. Glaubte
ſie vielleicht fuͤr ihren Sohn mehr erwarten zu
duͤrfen, oder hatte ſie gar, — nein, das war
unmoͤglich, rein unmoͤglich; und wie ſollte die
Alte auch dazu kommen! — Am Beſten war es,
gegen die Droſtin und Conſorten freundlich und
zuvorkommend zu bleiben, weil mit boͤſen Maͤu¬
lern nicht zu ſpaßen iſt; gegen des Vaters etwai¬
gen Unwillen, wenn Tante Letty plauderte,
ſetzte ſie kindliche Ergebenheit und zaͤrtliche Liebe,
welcher der Vater nie widerſtand, gegen die Tante
aber Kaͤlte und abgemeſſenes Betragen, und
gegen alle uͤbrigen, mogten ſie reden, was ſie
wollten, eine große Gleichguͤltigkeit. Daß dieſe
in vielen Verhaͤltniſſen oft unertraͤglich ſei, und
mehr ſchmerze, als laute Verantwortung, wußte
Tina Schlaukoͤpfchen recht wohl, und nahm ſich
feſt vor, von ihrem ſtrategiſchen Plane nicht ab¬
zuweichen. Nur vor Allem ein Angriff mit der
leichten Reiterei zaͤrtlichen Zuvorkommens auf des
Herrn Papas Herz, dann ging es mit ſchwerem
Geſchuͤtz auf Tante Letty los. Der Feinde wurden
vielleicht viel, das ſah ſie kommen; aber nur
ſich nicht mit allen auf einmal geſchlagen, das
verdarb die Schlachtordnung, einzeln lieber, und
zwar mit Nachdruck. —
Der Mond war endlich aufgegangen; die
Gaͤſte hatten bis auf einige, welche in Blumenau
bleiben wollten, auf dieſen freundlichen Gefaͤhrten
der Nacht ſehnſuͤchtig gewartet, und beſtellten ihre
Wagen. Tina ſagte gern den Scheidenden ein
Lebewohl, denn ſie hatte fuͤr heute das ewige
Treiben herzlich ſatt; er war ja nicht mehr da,
und Staunitz hatte ſein Zimmer aufgeſucht. Sie
huſchte ehe man es ſich verſah in ihr bluͤthen¬
weißes Bettchen, tanzte die herrliche Polonaiſe
mit Blauenſtein in Gedanken noch einmal durch,
huͤllte ſich recht dicht in die waͤrmende Decke, und
ſchlummerte nach gewohnter Weiſe in die gluͤck¬
lichſten Traume hinuͤber!
Die freundliche Herbſtſonne ſchien bereits recht
hoch in Tinas lauſchiges Cabinet, als die kleine
Langſchlaͤferin erwachte. Sie hatte ſich die Baͤck¬
chen ganz roth geſchlafen, und mußte uͤber ſich
ſelbſt lachen, als der erſte Blick ihrer hellen Lie¬
besſterne in den deckenhohen Spiegel fiel, und
ihr Kammermaͤdchen mit der Meldung hereintrat,
daß ſo eben der Reſt ihrer Gaͤſte abgereiſ't ſei.
Sie war herzlich froh, der Laſt dieſer platten
Menſchen uͤberhoben zu ſein, und ließ durch die
kunſtgeuͤbte Liſette langſam ihre Toilette vollenden.
Jetzt hinauf zum Vater zu gehn, und den Ope¬
rationen der gereizten Tante Letty zuvorzukommen,
hielt ſie nicht fuͤr raͤthlich, und nahm ſich feſt
vor, ſo unruhig auch das kleine Herz unter dem
Schneebuſen klopfte, ſich den Vormittag uͤber
allein auf dem Zimmer zu beſchaͤftigen. Sie
oͤffnete mit einem etwas verdrießlichen Geſichtchen
den eleganten Buͤcherſchrank, waͤhlte und waͤhlte,
und ſetzte ſich endlich am Fenſter zum Leſen
nieder. Aber das war Alles zu lau, langweilig
und breit, alſo mit dem Buche nur ſogleich
wieder in den Schrank hinein bis auf andere
Zeiten. Im verwichenen Sommer hatte ſie ein
Blumenbouquet zu malen angefangen; ſie ließ
ſich von Liſetten reines Tuſchwaſſer herbeiholen,
und rieb die Farben auf. Aber das war nicht
zum Aushalten, die Pinſel wollten nicht ſchließen,
und die Farbe war kruͤmlich und unrein. Blauen¬
ſtein war auch ein geuͤbter Maler; er hatte oͤfter
mit ihr uͤber die Kunſt geredet, er ſchwebte vor
ihrem Auge, aus jeder Roſenknoſpe ihres Bou¬
quets ſchien er herauszuſchauen, und nun war an
ein ruhiges Ausfuͤhren der freundlichen Bluͤthen¬
kinder nicht mehr zu denken. Alſo ebenfalls
weg damit; ohnehin ſchmerzten die Augen ein
wenig vom geſtrigen Ballſtaube und vom langen
Schlaf, und da durfte man ihnen eine ſolche
Anſtrengung nicht zumuthen. — Liſette trat wieder
ein, und brachte ein Packet, welches der Poſtbote
geſtern aus der Stadt geholt hatte; es enthielt
die neuſten Muſikalien, und zugleich die Auffor¬
derung, am Pianoforte zu verſuchen, was eigentlich
an den Saͤchelchen ſei. Mein Gott, wie hatte
ſich das Inſtrument ploͤtzlich verſtimmt! Wahr¬
ſcheinlich war die ungewohnte Ofenwaͤrme daran
ſchuld, denn ſeit einigen Tagen hatte man wieder
eingehitzt; und das vertrug die gute Stimmung
nicht. Die Guittarre; nein, es war ordentlich
darauf abgeſehn, ſie zum Beſten zu haben, denn
es waren doch nicht weniger, als drei Saiten
geſprungen, und jetzt neue aufzuziehn, war eine
gar zu langweilige Sache.
Der kleine allerliebſte Amor auf der Spieluhr
unterm Spiegel legte ſeinen Pfeil auf den Schleif¬
ſtein, und nachdem er elfmal darauf gedruͤckt, und
die ſilberhelle Glocke dieſelbe Stunde angegeben,
meinte Tina, es ſei unverzeihlich an einem hellen
Tage im Zimmer zu ſitzen und Gedankenſpaͤne zu
ſchnitzen, wenn gleich es ihr beduͤnken wollte, als
habe der kleine Cupido auf der Uhr wirklich den
nadelſpitz geſchliffenen Pfeil an ſeine eigentliche
Adreſſe gefoͤrdert. Sie druͤckte die kleine Hand
auf die Schwanenbruſt, ſann ein wenig nach,
ließ ſich von der ſchlaͤfrigen Liſette einen Überrock
bringen, und eilte in den Park hinab. In der
Allee begegnete ihr Oncle Heinrich, fragte nach
dem Befinden mit gewohnter Freundlichkeit, und
ſchlug ihr vor, ob ſie mit nach dem Vorwerke
fahren wolle; er muͤſſe ſogleich hinuͤber und da
ſei ihm ſeines Tinchens Geſellſchaft recht erwuͤnſcht.
Das war ihr ſehr willkommen; in Blumenau
kam es ihr heute auch gar zu langweilig und
eintoͤnig vor, und dann war ſie auch ſo lange
nicht in dem reizenden Wieſenbrunn, ſo hieß das
Vorwerk, geweſen. Sie ſagte recht freundlich zu,
und der Oncle verſprach in wenigen Minuten mit
dem Wagen bereit zu ſein. Im Freien, beſon¬
ders in dem Waͤldchen am See, der ſich nach
Wieſenbrunn herunter zog, war es ſo lauſchig,
ſo zu freundlichen Erinnerungen einladend; da
konnte ſie recht ungeſtoͤrt an Blauenſtein denken,
und ſich die Zukunft ausmalen. Und wie er¬
quickend war nicht ein Luftbad nach einem durch¬
ſchwaͤrmten Abend, beſonders wenn das Blut ſo
unruhig durch die Adern wogte, wie gerade jetzt.
Alſo ſchnell mit Heinrich fort! —
6.
Das Geheimniß.
„Sag einmal, Tinchen,“ hob der Oncle an,
und ermahnte die Gaule zur Eile, „wie hat Dir
ſo eigentlich unſer glaͤnzende Ball gefallen?“
„Sehr gut,“ erwiederte Tina unbefangen, bis
allenfalls auf einige Scenen, welche durch ver¬
ſchiedene gewiſſe Gaͤſte zu wahrhaft peinlichen
wurden. Mir iſt z. B. die alte Droſtin mit
Antoͤnchen von je unausſtehlich geweſen, und was
die giftige Schwaͤtzerin, die alte Geheimderaͤthin
betrifft, ſo kann ich nicht ſagen, daß ich mich
gern an ſie erinnere.“ „Brav! Tinchen, ſo mag
ich Dich gern hoͤren;“ nahm Heinrich das Wort,
„mir waren dieſe Menſchen mein Lebenlang zu¬
wider. — Aber, was ich ſagen wollte, Du haſt
ja mit Vetter Staunitz im Ganzen ſo wenig ge¬
tanzt und geredet? Iſt denn zwiſchen Euch etwas
vorgefallen?“
„Nicht das Mindeſte!“ entgegnete Tina.
„Was koͤnnte das auch ſein? Überdies mag ich
es nicht leiden, wenn Verlobte in Geſellſchaften
und an dritten Orten immer und ewig bei einan¬
der ſitzen und ſtehn, mit niemand beinahe reden,
als nur unter ſich, und dergleichen Poſſen mehr.
Iſt es ein Wunder, wenn man jetzt von ſo vielen
ungluͤcklichen Ehen hoͤrt? Die Leute werden ſich
vor der Zeit zu laͤſtig, ſie vermoͤgen das gegen¬
ſeitige Intereſſe nicht mehr zu erhalten, und nach
und nach erſchlafft das Band, das ſie zuſammen¬
halten ſollte.“ „Du ſprichſt ja wie ein Buch!“
ſagte Heinrich, und ſchien mit Tinas Grundſaͤtzen
nicht ganz zufrieden. „Aber Du ſcheinſt auch ein
wenig zu uͤbertreiben. Ich muß Dir geſtehn,
mir kam es beinahe vor, als habeſt Du Vetter
Staunitz einen Theil Deiner Liebe entzogen.
Sitzt Dir etwa der ſchoͤne Blauenſtein im Kopfe?
He?“
„Wie kommſt Du auf dieſen, lieber Oncle?“
ſagte Tina mit einem leiſen Erroͤthen, und ſah
nach einer Schaar wilder Enten, welche ſich uͤber
dem See ausbreitete. „Es bleibt uns Allen ein
intereſſanter Menſch, dem wir ſehr verpflichtet
ſind; was koͤnnte mich auch ſonſt zu ſeiner Freun¬
din machen, als der Dienſt, den er meines Va¬
ters Geſundheit erwies? Aber Ihr hier im Hauſe,
naͤmlich Du und Letty, Ihr wißt gar nicht, wie
Ihr Euch quaͤlen wollt mit dem Baron Blauen¬
ſtein! Was iſt denn weiter, wenn mich ſeine
geiſtreiche Unterhaltung anzog? Staunitz war
hieruͤber keineswegs aufgebracht, und ohnehin bin
ich ja noch gar nicht ſeine Braut, und wo in
der Welt ſteht denn auch geſchrieben, daß ich
lediglich von ſeinen geſtrengen Befehlen abhaͤnge!“
„Kind,“ brummte Heinrich halb vor ſich hin,
„Du biſt verdruͤßlich, der Ball liegt Dir noch in
den Gliedern, und der Ärger uͤber die ſcheelſuͤch¬
tige Letty. Aber was Du uͤber Staunitz da
ſagteſt, hat mir nicht gefallen wollen. Es klingt
juſt eben ſo, als: Staunitz iſt mir zuwider, ich
kann ihm meine Hand nicht reichen! — Tinchen,
ich liebe Dich, wie mein eignes Kind, aber wenn
Du je“ —
„Mein Himmel!“ unterbrach ihn Tina raſch,
„wie kamſt Du auf die hoͤchſt ſonderbare Ver¬
muthung, Staunitz koͤnnte mir je zuwider ſein?!
Ich liebe ihn, wie meinen Bruder. Aber Ihr
Kurzſichtigen ſtoßt allenthalben an, Ihr berechnet
nicht, ihr wollt gar an keine Faͤlle glauben, die
einmal eintreten koͤnnten!“
„Mit Deinen verdammten Faͤllen!“ rief Hein¬
rich aͤrgerlich. „Meinſt Du mit Deinen unvor¬
hergeſehenen Faͤllen etwa einen Karren Schaafs¬
felle, welche um eine Ecke biegen, wie Staberle?“ Staberles Reiſeabentheuer ꝛc., eine bekannte Poſſe.
„Gott, lieber Oncle,“ ſagte Tina und kehrte
das verdrießliche Geſichtchen nach der andern
Seite, „nur jetzt nicht dieſe faden Witze!“
Oncle Heinrich holte aus der Wagentaſche
eine dickleibige Meerſchaumpfeife, und lud ſie mit
feinem hollaͤndiſchen Kanaſter, der ihm von Blauen¬
ſtein zum Geſchenk gemacht war; aber Tinchen
wickelte ſich in ihren warmen Shawl, und kuͤm¬
merte ſich nicht viel um des Oncles voruͤberſchwe¬
bende Dampfwolken.
Wieſenbrunn war erreicht. Tina ſchickte ſich
an, ihr Lieblingswaͤldchen am See aufzuſuchen,
und Heinrich ging an ſein Geſchaͤft. Die ganze
Geſchichte mit Blauenſtein und Staunitz ging
ihm im Kopfe herum. Daß Tina etwas auf
dem Herzen hatte, was ſie nicht ſagen mogte,
bezweifelte er nicht. Aber was das eigentlich
fuͤr ein Geheimniß ſei, daruͤber konnte er nicht
in's Reine kommen. Vielleicht, ja, das war das
Beſte, konnte er von Staunitz ſelbſt Auskunft
erhalten. War der in Beziehung auf Tina ver¬
drießlich und mißmuthig, ſo mußte zwiſchen beiden
nothwendig etwas nicht Unwichtiges vorgefallen
ſein. Auf jeden Fall wollte er noch heute mit
Staunitz reden, denn im Truͤben zu fiſchen, war
ihm unertraͤglich.
Die Geſchaͤfte waren bald abgemacht, und
mit ſchmollender Miene ſtieg Heinrich in den
Wagen, den Tina bereits aufgeſucht hatte, um
nur recht ſchnell in ihr ſtilles Zimmer zuruͤckzuge¬
langen, wo man ſie weder durch laͤſtige Fragen,
noch durch unbegruͤndete Vermuthungen peinigte.
Heinrich ſaß ganz ſtumm auf ſeinem Platze, er
ſchien ſich nur mit den dicken Dampfwolken ſeiner
Pfeife zu unterhalten, waͤhrend er doch nicht von
ſeinem Thema abkommen konnte. Es aͤrgerte
ihn heimlich, daß ihm Tina ſo wenig Vertrauen
bewies, und gerade aus dieſem Grunde nahm
er ſich vor, die Sache aufzuklaͤren, wenn ſie auch
noch mehr Schwierigkeiten darbiete.
Heinrichs erſte Frage bei ſeiner Zuruͤckkunft
nach Blumenau war nach Staunitz. Der alte
7
Martin berichtete, der junge Herr ſei auf der
Jagd. Der Oncle murmelte Einiges, was wie
ein Fluch klang, und machte ſich ebenfalls zur
Jagd zurecht. Aber er hatte den Forſt beinahe
nach allen Richtungen durchſtreift, und Staunitz
war nicht zu finden; mit Anſtrengung ſtieg er
in das Wolfsthal hinab, wo manche unheimlichen
Erinnerungen der Vorzeit ſchauerlich geweckt
wurden, aber er mußte unverrichteter Sache auf
der andern Seite des Klippenthales wieder hinauf
klimmen. Eine halbe Stunde von da wohnte
der Forſtinſpector Kluge in einem einſamen Hauſe,
aber freundlich und anlockend; Staunitz pflegte
den biedern Mann ſonſt wohl zu beſuchen; viel¬
leicht war er auch heute dort, und es blieb das Raͤth¬
lichſte, nun auf das Forſthaus loszuſteuern. Das
letztere lag etwas verſteckt von der einen Seite,
ſo daß man aus der Ferne nicht leicht bemerkt
weiden konnte Heinrich kam immer naͤher, und
blieb zuletzt voll unangenehmer Überraſchung ſtehn.
Hatte er ſich nicht ganz und gar geirrt, ſo ſtand
Vetter Staunitz oben im Eckzimmer des Hauſes,
und hatte ſeinen Arm um eine junge, ſchoͤne Dame
geſchlungen. Er ſah noch einmal hin, und zwar
mit einem guten Dollond bewaffnet, den er aus
Vorliebe fuͤr Ausſichten in die Ferne gern bei
ſich fuͤhrte. Richtig, es war Staunitz; aber er
zog ſich in den Hintergrund des Zimmers, und
die fremde Dame, welche Heinrich nie geſehn zu
haben ſich erinnerte, blieb ſtehn. Schoͤn war ſie;
aber mit Tinchen, meinte er, hielte ſie wohl
eigentlich einen Vergleich nicht aus. Sie hatte
eine ſehr liebliche Fuͤlle, ganz deutlich konnte er
es ſehn, wie der volle Schwanenbuſen ſich leiſe
hob und neigte, als ob irgend eine innere Bewe¬
gung das Blut des Maͤdchens aufgeregt, allein
eine zarte Blaͤſſe, welche ſich uͤber ihr Geſicht
zog, gab ihr ein krankes Anſehn, wenn ſie auch
dadurch intereſſanter wurde. Aber wer in aller
Welt mogte das ſein? — Wie kam Staunitz,
der ſein Herz bereits an Tina, verſchenkt, und an
ſie mit feſten Banden geknuͤpft war, wie kam
der dazu, ſeinen Arm um den ſchlanken Leib einer
Dritten zu ſchlingen? — Vielleicht war es eine
Verwandte des Forſtinſpectors, und Staunitz, als
ein junger, lebhafter Mann, machte ſich einen
Scherz. Aber dem widerſprachen die ernſthaften
Geſichter des Paares. Sollte Staunitz auch
etwa ſo ein Bruder Luͤderlich, ſo ein geckenhafter
Thunichtgut ſein, und hier etwas Liebes ſitzen
haben? — Nein, dazu war er zu ehrlich, von zu
feſten Grundſaͤtzen!
Jetzt noch in das Haus zu gehn, war nicht
7*
zu rathen; Heinrich machte Kehrt, und ſetzte ſich
unter einer alten Eiche nieder, von wo aus der
Holzweg leicht zu uͤberſehn war. Es war kaum
eine Viertelſtunde vergangen, als jemand durch
das Gebuͤſch ſchluͤpfte. Das Geraͤuſch kam naͤher,
und nach einigen Augenblicken ſtand Staunitz mit
Flinte und Jagdtaſche vor ihm.
„Was Henker,“ begann Heinrich, und ſah
dem jungen Manne ſcharf in's Auge, ſo daß er
ein wenig erroͤthete, „was ſchleichen Sie gleich
auf die Jagd, wenn man ſich wahrhaft nach ihrer
Unterhaltung ſehnt? — Aber Scherz bei Seite,
ich habe den ganzen Tag nach Ihnen gefragt,
Vetterchen; ich mußte nach Wieſenbrunn, und
haͤtte gern geſehn, wenn Sie mich begleitet haͤtten,
aber Sie waren nicht da, und Tina fuhr mit.
Das arme Kind war verdrießlich, aber der Him¬
mel weiß, woruͤber!“
Heinrich glaubte ſo ſeine Sache am Beſten
eingerichtet zu haben; er ſah Staunitz fragend
an, aber dieſer ſchien es nicht zu, bemerken, und
ſagte raſch und mit unverkennbarer Beſorgniß:
„Iſt Albertine unwohl? Sie ſcherzen, Vetter,
nicht wahr, Sie ſcherzen? — “
„Nun, nun!“ erwiederte der Oncle, „was iſt
denn da weiter; ein junges Maͤdchen kann ja
wohl nach einem Balle ein wenig unpaß ſein!
Aber der Ball,“ fuhr er fort, und wußte ſich in
Staunitz gar nicht zu finden, „der Ball war wohl
eigentlich die wahre Urſache nicht. Mir ſcheint
der Grund tiefer zu liegen. Sagen Sie mir
einmal, lieber Vetter, aber aufrichtig, haben Sie
etwas gegen unſer Tinchen, iſt Ihre Liebe nicht
mehr die alte, iſt die treue Anhaͤnglichkeit ver¬
ſchwunden? — Es giebt der Faͤlle mehr in der
Welt, denn fuͤr ſein Herz kann ja niemand ſtehn,
das iſt bekannt. Aber aus Tinas Benehmen
ging hervor, daß etwas der Art zwiſchen Euch
Leutchen vorgefallen ſein mußte.“
„Lieber Vetter!“ rief Staunitz und druͤckte
des ganz weich gewordenen Heinrichs Hand, „wie
koͤnnen Sie ſo etwas ahnen, oder glauben! Ich
liebe Albertine wie meine Schweſter, und ich
habe keine Urſache, an ihrer Gegenneigung zu
zweifeln. Hat ſie Ihnen etwas geſagt, oder
woraus ſchließen Sie, daß irgend eine Mißhellig¬
keit entſtanden ſein koͤnne?“
„Aufrichtig geſagt,“ erwiederte Heinrich, und
war beinahe verlegener, als der junge Mann,
„mir fiel Euer Benehmen geſtern auf. Der
junge intereſſante Baron Blauenſtein zeigte eine
ungewoͤhnliche Aufmerkſamkeit fuͤr Tina, und ſie
ſelbſt war ganz Ohr bei ſeiner Unterhaltung, —
ſagen Sie, Vetter, ſind Sie eiferſuͤchtig?“
„Sie moͤgen in der That ein guter Beobachter
ſein,“ ſagte Staunitz ruhig, und ſchien ſich inner¬
lich zu erholen, „aber ſollte ich dem Engel nicht
trauen, dem mein Herz angehoͤrt? Gerade in
dem groͤßten Vertrauen liegt auch nach meiner
Anſicht die groͤßte Liebe! — Nein, mein beſter
Vetter, ſo ſehr ich Ihnen dankbar ſein muß, aber
hier ſind Sie im Irrthum! — Freilich koͤnnen
Verhaͤltniſſe eintreten, welche dieſe und jene Art
irgend eines auffallenden Benehmens motiviren,
und zugleich rechtfertigen; aber es bleibt eine
andere Frage, ob man in ſolchen Umſtaͤnden
ſtrafbar handelt, wenn die innere und aͤußere
Nothwendigkeit gebot!“
„Was fuͤr eine Nothwendigkeit, was fuͤr Ver¬
haͤltniſſe?“ fragte Heinrich raſch und neugierig.
„Laſſen Sie uns hiervon ſchweigen!“ ent¬
gegnete Staunitz, und erhob ſich von dem weichen
Moosſitze, auf welchen er ſich neben Oncle
Heinrich vorhin niedergelaſſen hatte. Der letztere
ging aͤrgerlich neben ihm her, und meinte bei ſich,
er ſei jetzt ſo klug, wie vor einer Stunde. Der
Henker konnte aus der Geſchichte klug werden!
Er glaubte den Staunitz nun entweder gegen
Tina kalt geſinnt, oder hoͤchſt eiferſuͤchtig zu
finden, aber wahrhaftig, keins von beiden! Es
blieb jetzt nichts mehr uͤbrig zu vermuthen, als
daß Staunitz ein Heuchler, oder ſelbſt der Betro¬
gene ſei. Das erſtere war leider das Glaubhaf¬
teſte, denn was machte der Menſch bei dem
Forſtinſpector Kluge, was ging ihn das Frauen¬
zimmer an, mit dem er Arm in Arm im Fenſter
ſtand? Die Sache mußte klar werden, es mogte
auch koſten, was es wolle! — —
Staunitz ließ ſich nach ſeiner Zuruͤckkunft in
Blumenau ſogleich bei Tina melden, was den
Oncle Heinrich vollends aus dem Concepte brachte.
Er ging daher auf ſein Zimmer, klingelte den
alten Martin herbei, und fragte, ob er wohl
heute noch zum Forſtinſpector Kluge gehn koͤnne.
„Es wohnt da,“ fuhr er fort, und faßte den
Alten zutraulich beim Arme, „es wohnt da ſeit
einiger Zeit eine fremde Dame. Es liegt mir
Alles daran, zu wiſſen, wer die iſt, und zwar
bald, bald zu wiſſen. Such Dir irgend einen
Vorwand, und forſche nach der Fremden, einen
Ducaten, wenn Du es heraus bekoͤmmſt!“
Martin bemuͤhte ſich, recht ſchlau zu nicken,
und begab ſich gegen alle Politik ſogleich auf
den Weg. Heinrich war voller Erwartung, er
konnte ſich vor Unruhe nicht laſſen, und lief
endlich den Weg nach dem Forſte mit anſtren¬
gender Schnelligkeit. Endlich ſah er ſeinen Merkur
aus dem Gehoͤlze kommen, und er athmete
wieder freier.
„Ew. Gnaden haben die Zeit wohl nicht er¬
warten koͤnnen,“ hob Martin an, als er naͤher
gekommen war, und ſeine Phiſiognomie verrieth,
wie wenig er ausgerichtet haben mogte, „aber
Ew. Gnaden haͤtten es meinetwegen nicht
noͤthig gehabt!“
„Wie ſo?“ fragte Heinrich raſch. „Mach'
mir keine Flauſen, Kerl, oder Du kennſt dieſen
Solotaͤnzer hier!“ Dabei hob er ſeinen Spanier
hoch empor, daß Martin von der Seite prallte
wie ein ſcheuer Gaul.
„Ich will Alles getreulich Ew. Gnaden be¬
richten,“ begann der Erſchrockene mit einem Sei¬
tenblicke auf den zudringlichen ſpaniſchen Taͤnzer,
„wenn ich auch eben nicht viel Gutes zu ſagen
weiß. Ich ging zu dem alten Joſt, dem Haus¬
meiſter, den ich von Alters her kenne, und wollte
ſo krumm herum kommen. Daß Dich, fuhr mir
doch meinetwegen der Kerl auf's Leder, daß ich
denke, er will mich freſſen. Er nannte mich einen
Schleicher, der ſich um anderer Leute Verhaͤlt¬
niſſe nicht zu kuͤmmern habe. Ich ſage nun zu
ihm, er habe mich unrecht verſtanden, ich wollte
eigentlich fragen, ob er gutes Hirſchhorn vorraͤthig
habe, und da haͤtte ich auf meinem Hinwege eine
junge Frauensperſon am Fenſter bemerkt, ob das
etwa die Braut des jungen Herrn waͤre. Aber
der Luͤmmel war ſtumm wie ein Fiſch; er meinte,
Geweihe koͤnnte ich genug bekommen, wenn er
gleich nicht begriffe, was ich damit wolle, da mich
meine Frau ſchon ſeit Jahren mit Hoͤrnern ver¬
ſorgt habe. Denken Ew. Gnaden, wie grob!
Nun kam der Herr Forſtinſpector ſelbſt, er fragte,
was ich wollte; ich wußte meinetwegen nicht
gleich wohin, da meinte er, ich ſolle mich zum
Teufel ſcheeren, als ihm der alte Joſt zu verſtehn
gegeben, wonach ich mich erkundigt.“
„Du biſt ein alter Narr, den man zu nichts
brauchen kann,“ ſagte Heinrich und wandte ſich
nach Blumenau um. „Alſo haſt Du eine Dame
geſehn?“
„Nein, außer der alten Juſtine habe ich keine
Frauensperſon bemerkt,“ ſagte Martin, und war
nur froh, daß ſeine Gnaden ein nicht allzu ver¬
drießliches Geſicht machte.
Alſo wieder angefuͤhrt, dachte Heinrich, nahm
eine Priſe, und beſchloß, ſich um die alberne
Geſchichte gar nicht weiter zu kuͤmmern. Wer
konnte auch je aus Verliebten klug werden, und
nun gar aus einem liebenden Maͤdchen! — Guter
Heinrich, auf Deine Feldwirthſchaft verſtandeſt
Du Dich, auf die hohe und niedere Jagd vor¬
trefflich, aber wenn ein jugendliches Herz ange¬
ſchoſſen iſt von dem Pfeile des gefaͤhrlichen Waid¬
mannes Cupido, und zu verbluten droht, wenn
nicht raſch Huͤlfe erſcheint, das ging uͤber den
Horizont Deiner einfachen Weiſe!
Aber dennoch war und blieb es hoͤchſt auffallend,
daß ſich der Forſtinſpector Kluge nebſt dem alten
Joſt ſo, ſonderbar gegen Martin benommen, wenn
dieſer die Sache auch ein wenig albern angefangen.
Mogte dem ſein, wie ihm wolle, es blieb eine
verdrießliche Angelegenheit, und Heinrich meinte
allenfalls, wenn Noth an Mann ginge, waͤre er
ja immer mit ſeiner Huͤlfe noch da, die man
beſtimmt nicht verſchmaͤhen werde.
So hatte jeder und jede in Blumenau etwas
zu ertheilt erhalten, was einen voruͤbergehenden
Kummer verurſachte. Tina erbebte in der innern
Liebespein, Tante Letty bemuͤhte ſich vergebens,
ihren Bruder, den Grafen, fuͤr ihre Racheplaͤne
zu bearbeiten, und Heinrich war aͤrgerlich uͤber
das Mißlingen ſeiner Operationen.
Anders ſah es mit unſerm Blauenſtein aus.
7.
Das Teſtament.
Der Secretair Blum hatte mit gewiſſenhafter
Treue dafuͤr geſorgt, daß man ſich in keinem
Orte lange aufzuhalten brauchte, und ſo ging die
Reiſe in die Heimath mit moͤglichſter Raſchheit.
Am Abend des dritten Tages erhoben ſich die
hohen Thuͤrme von Blauenſteins Vaterſtadt in
die duͤſtere Luft. Das Wetter war ſtuͤrmiſch;
der Wind brauſ'te im nahen Walde, und jagte
die geraubten Blaͤtter heulend uͤber die gelben
Stoppeln.
Die Stadt, das elterliche Haus waren erreicht;
mit bangen Ahnungen verließ Blauenſtein den
Reiſewagen. Mit welchen Empfindungen hatte
er das Haus verlaſſen, und wie mußte er es
jetzt wieder betreten! —
Die Dienerſchaft bewillkommte ihn freundlich,
aber ſo ſtill, daß ſeine erſte Frage nach ſeines
Vaters Befinden unbeantwortet blieb. Im Kran¬
kenzimmer ſtand der Arzt am Schmerzenslager,
er verbeugte ſich gegen den Sohn deſſen, den
ſeine Kunſt nicht zu retten vermogte, und fuͤhrte
ihn an das Bett. Der Kranke athmete ſchwer,
er war unruhig, und als haͤtte er die Naͤhe des
geliebten Sohnes geahnet, ſchlug er das matte
Auge zu ihm auf, und ein leiſes Laͤchlen flog
uͤber die verſunkenen Zuͤge. „Vater!“ rief Blauen¬
ſtein in ſeinem tiefſten Schmerze, und warf ſich
vor dem Bette nieder, „erwache zum Leben,
erwache fuͤr Deinen Sohn!“ Aber der ſterbende
Vater hob mit ſeiner letzten Kraft ſeine Hand
empor, und beruͤhrte des Sohnes Haupt, als ob
er ihn ſegnen wollte. Noch ein langer Athemzug,
und er hatte vollendet! —
Blauenſteins Schmerz war ſeinem unerſetz¬
lichen Verluſte gleich. In der ganzen Reſidenz
galt der Generalmajor v. Blauenſtein fuͤr den
vortrefflichſten Mann, und ſein fruͤher Hintritt
verbreitete eine allgemeine Trauer. Sein nieder¬
gebeugter Sohn ſchlich umher wie ein Schatten, er
war ein ganz anderer geworden, und ſeine Bruſt
ergriff die Gewalt eines unendlichen Wehes!
Als die Tage der erſten betaͤubenden Trauer
voruͤber waren, erinnerte der Secretair Blum den
jungen Erben, daß ſein Vater kurz vor ſeinem
Tode einen letzten Willen errichtet habe, deſſen
genauere Kenntniß vielleicht jetzt von Wichtigkeit
ſei. Blauenſtein uͤberließ das Weitere jedoch der
Juſtiz, und war zunaͤchſt beſchaͤftigt, die hinter¬
laſſenen Papiere ſeines geliebten Vaters zu ordnen,
und Troſt aus ihnen zu ſchoͤpfen. In dem
Schreibepulte des Seligen fanden ſich eine Menge
Briefſchaften, die eine Periode aus ſeinem Leben
betrafen, welche dem Sohne gaͤnzlich unbekannt
geblieben war. Indeß fehlte es ihm doch noch
ſehr an den naͤhern Aufſchluͤſſen; ein kleines
Miniaturbild, reich mit Brillanten eingefaßt, und
einen uͤberaus ſchoͤnen Maͤdchenkopf darſtellend,
deſſen Zuͤge unſern jungen Freund auf eine wun¬
derbare Weiſe uͤberraſchten, indem das Bild mit
ſeiner angebeteten Albertine eine unverkennbare
Ähnlichkeit hatte, machte den Drang nach genauerer
Kenntniß der ihm noch verborgenen Verhaͤltniſſe
ſehr lebhaft, und mit klopfendem Herzen ſah er
dem Publicationstage des vaͤterlichen Teſtaments
entgegen.
Dem Geheimderath Werden, einem bewaͤhrten
Freunde des Verſtorbenen, war von dem Juſtiz¬
collegio dies Geſchaͤft uͤbertragen worden, und
Blauenſtein begab ſich zu dem Ende in das alte
Regierungsgebaͤude, wo die Themis ihren Sitz
aufgeſchlagen hatte. Mit milder Freundlichkeit
wurde er von dem Geheimderath empfangen;
nach einigen Geſpraͤchen uͤber den Seligen, brachte
ein Secretair ein verſiegeltes Packet Schriften
nebſt dem verſchloſſenen Teſtamente. Das letztere
war ſehr einfach, enthielt einige Beſtimmungen
uͤber die Verwaltung des hinterlaſſenen Vermoͤgens
nebſt mehreren zu wohlthaͤtigen Zwecken verwen¬
deten Legaten, und am Schluſſe eine Bemer¬
kung, welche wir kuͤrzlich hier mittheilen.
„Es war ſeit einigen Jahren mein inniger
Wunſch, daß mein geliebter Sohn und einziger
Erbe dem Maͤdchen ſeine Hand reichen moͤge, die
ich ihm im Stillen zur treuen Gattin erwaͤhlt,
vorausgeſetzt, daß ihm von Seiten der letztem
keine Hinderniſſe in den Weg gelegt werden.
Iſt dies letztere der Fall, oder vermag mein Sohn
und Erbe dieſen meinen liebſten Wunſch nicht zu
erfuͤllen, ſo ſoll das ſub. Art. V erwaͤhnte Capi¬
tal von 80,000 Rthlr. Gold der Armenanſtalt
hieſiger Reſidenz nach Ablauf von einem Jahre
anheim fallen. Der Name ſo wie die ander¬
weitigen Verhaͤltniſſe des Maͤdchens ſind in der
Beilage enthalten, welche nach Publication des
Teſtaments meinem geliebten Sohne behaͤndigt
werden ſollen.“
Blauenſtein ſuchte ſeine Ruͤhrung zu bekaͤm¬
pfen; aber er konnte die Frage an den Geheimde¬
rath nicht unterlaſſen, ob dieſer als Freund des
Seligen von der erwaͤhnten jungen Dame keine
Kenntniß habe. Der letztere verneinte dies, und
uͤbergab dem Erben die erwaͤhnten Papiere.
Mit aͤngſtlicher Unruhe beſtieg er ſeinen
Wagen, und fuhr nach ſeiner Wohnung zuruͤck.
Der Secretair Blum fragte eilig und voll Theil¬
nahme nach dem Erfahrenen; ſein junger Goͤnner
verſicherte ihn indeß, daß es auch ohne einen
letzten Willen ſeines unvergeßlichen Vaters bei
der jetzigen Anordnung der Dinge verbleiben
werde, und ſuchte mit dem Heiligthume unterm
Arme ſein einſames Zimmer auf.
Gleich bei Eroͤffnung des Packets fielen ihm
einige Briefe von einer weiblichen Hand entgegen,
darauf folgten aber einige Bogen von der des
Generalmajors, welche wir dem freundlichen Leſer
hier mittheilen.
„Mein theurer, geliebter Sohn!
Du biſt noch immer nicht von Deiner Reiſe
zuruͤckgekehrt, und doch hoffe ich ſo ſehnſuͤchtig
auf Deine Ankunft. Ein Brief wuͤrde Dich nicht
treffen, und ich muß mich in Geduld faſſen. Iſt
mirs doch ſeit einiger Zeit, als ob ich bald am
Ziele meiner Tage ſei; ich fuͤhl' es, es wird mit
mir nicht lange dauren, der Todesengel naht,
ich reiche ihm meine Hand willig, und ver¬
zage nicht!
Du haſt mir ſeit einigen Wochen keine Nach¬
richt gegeben, und ein finſterer Traum ſagt mir,
ich ſolle Dich nicht mehr in meine vaͤterlichen
Arme ſchließen. Wie der Himmel auch uͤber mich
gebieten moͤge, ich folge willig! Du biſt nun
ſeit beinahe drei Jahren abweſend; ſchon als Du
mich verließeſt, draͤngte es mich, Dir eine Kata¬
ſtrophe aus meinem Leben mitzutheilen, welche
von ſo vielem Einfluſſe auf mich war. Jetzt iſt
Dein Sinn mehr gelaͤutert, erfahrungsreicher, denn
die Welt, wie ſie dem mit Verſtande Reiſenden
entgegen tritt, erweitert die Lebenskenntniß, ſie
erweckt beſſere, gediegenere Anſichten. Wie lieb,
wie unendlich lieb waͤre es mir, wenn Du, mein
Auguſt, hier am heutigen truͤben Tage neben mir
ſitzen koͤnnteſt, Du haͤtteſt Alles erfahren aus
dem Munde deſſen, dem ſo harte Pruͤfungen auf¬
erlegt wurden; aber mir iſt, als waͤre die Zeit
fern, ach, als ſollten wir uns in dieſer Welt nicht
wiederſehn! Du findeſt in dieſen Blaͤttern, die
ich mit bebender Hand beſchreibe, manche Auf¬
ſchluͤſſe uͤber mein fruͤheres Leben, und der geheime
Wunſch, den mein letzter Brſef an Dich beruͤhrte,
wird Dir hieraus klarer werden.
Du weißt, daß ich ſehr fruͤhzeitig als Cadett
meinen erſten Militairunterricht in S. empfing.
Es ging mir wohl, denn dem Mangel an eignen
8
Mitteln half ein alter Freund meines Vaters ab.
Kurz vor ſeinem Tode und meinen Eintritt in
mein Regiment hatte mich der edle Mann an
dem P. ſchen Geſandten auf das Beſte empfohlen,
der mir durch ſein Wohlwollen manche ſchoͤne
Stunde bereitete. In den hinterlaſſenen Papieren
meines Vaters fand ich eine Menge Schriften
und Acten, welche auf einen langwierigen Prozeß
hindeuteten, der wegen des dazwiſchentretenden
Kriegs aber in langes Stocken gerieth. Er betraf
zum Theil eine verwickelte Erbſtreitigkeit, und
nach meiner Überzeugung hatte ich ein naͤheres
Recht, als ein entfernter Vetter, der die weit¬
laͤufigen, ſchoͤnen Guͤter, das Object unſeres Pro¬
zeſſes, bereits im Beſitz hatte.
Mein geringes Vermoͤgen war beinnhe ganz
geſchmolzen, der kleine Gehalt reichte kaum zu
den dringendſten Beduͤrfniſſen hin, und zuletzt
traf mich gar das Ungluͤck, daß unſer Regiment
aufgeloͤſ't, und ich demnach ganz außer Brod
geſetzt wurde. Wie ein Donnerſchlag ruͤhrte mich
dieſe Nachricht, ich hatte durchaus keine Ausſicht
auf Anſtellung, auf irgend einen Erſatz fuͤr meinen
Verluſt, aber es war einmal ſo, und ich
mußte mich fuͤgen. Wie bitter klagte ich das
harte Schickſal an, wie innerlich empoͤrt mußte
ich auf reiche Praſſer ſehen, die in der Fuͤlle ihrer
Schaͤtze keine Ahnung von der geheimen Qual
des ſchuldlos Verarmten hatten, wenigſtens nicht
geneigt ſchienen, ihm auf irgend eine menſchen¬
freundliche Art behuͤlflich zu ſein. Wie leicht
wird der Arme nicht verletzt, wie ſchwer iſt es,
ihn mit zarter Schonung ſein Ungluͤck weniger
fuͤhlen zu laſſen!
Von meiner eigentlichen Lage hatten nur die
eine hinreichende Kenntniß, welche nicht zu helfen
im Stande waren, denn ſie bedurften ſelbſt der
Unterſtuͤtzung. In dieſer druͤckenden Verlegenheit
machte mir der P. ſche Geſandte, welcher von
meinen Umſtaͤnden wenig wiſſen mogte, den Vor¬
ſchlag, ob ich nicht Luſt haͤtte, die diplomatiſche
Laufbahn einzuſchlagen, und einige Jahre zu meiner
Vervollkommnung in einem Buͤreau des Auslandes,
verſteht ſich, gratis, zu arbeiten. Ich mußte dies
Anerbieten, ſo erwuͤnſcht es mir unter andern
Verhaͤltniſſen geweſen ſein moͤgte, ablehnen; der
Geſandte zuckte die Achſeln, und machte ein
Geſicht, als wolle er ſagen, Du biſt ein Narr!
Indeß war er freundlich und entließ mich mit
ſeiner gewohnten Artigkeit. Mit einer halben
Verzweiflung eilte ich in mein einſames Stuͤbchen;
mir war Alles verhaßt, Alles zuwider, an keine
8*
Freundſchaft, keine Huͤlfe mogte ich mehr glauben,
und gab mich der finſterſten Wehmuth hin. Da
fielen mir wieder die alten Prozeßacten ein, der
Gedanke, daß der Streit fuͤr mich noch zu gewinnen
ſei, gab mir neue Spannkraft, und ich ſammelte
Alles, was auf die Sache Bezug hatte. Eine
Meile von der Reſidenz lebte ein ausgezeichneter
Rechtsgelehrter aus ſeinen weitlaͤufigen Beſitzungen;
er hatte ſeine Geſchaͤfte aber laͤngſt niedergelegt,
und gab nur zuweilen einem Freunde guten
Rath. An ihn beſchloß ich mich zu wenden; ich
verfertigte mit unſaͤglicher Muͤhe einen gedraͤngten
Auszug aus den Acten, und machte mich damit
eines Tags nach dem ehemaligen Notar auf den
Weg. Ich hatte eine Menge Sonderbarkeiten
von dem Manne erfahren, aber keine derſelben
konnte meinen Entſchluß wankend machen, weil
man durchgaͤngig darin uͤbereinſtimmte, daß Herr
Maiberg, dies war der Name des Mannes, un¬
ſtreitig der erſte Juriſt des Landes ſei, und daß
man ſeinen Verluſt als wirkender Staatsbuͤrger
nie zu hoch anſchlagen koͤnne. Aber er hatte ein
großes Vermoͤgen, und der Juriſtenkram ſchien
ihm zuwider zu ſein. Verdenken konnte ich es
dem Manne nicht, daß er jetzt nur ſich ſelbſt
lebte, wenn gleich hiermit meine Hoffnung, er
werde mir helfen koͤnnen, merklich ſinken mußte.
Mit pochendem Herzen kam ich auf dem
Landgute an. Alles verrieth Geſchmack in der
Anlage, Reichthum und Überfluß, und ich dachte
an meine druͤckende Armuth. Ein kleines Bauer¬
maͤdchen zeigte mir den Weg nach der Wohnung
der Herrſchaft; ich waͤhlte den Weg durch den
weitlaͤufigen Garten, und oͤffnete die hohe eiſerne
Gitterthuͤre, welche dahin fuͤhrte. In einer ſchat¬
tigen Lindenallee promenirte ein langer, hagerer
Mann, deſſen Kleidung den Eigenthuͤmer der
herrlichen Beſitzungen nicht verrieth. Auch hatte
man mir Herrn Maiberg als einen corpulenten
Mann geſchildert; dieſer konnte es nicht ſein.
Ich trat dem Manne naͤher, fragte, ob er mich
nicht an Herrn Maiberg weiſen koͤnne, den ich
zu ſprechen wuͤnſche, und ob er ſelbſt etwa zu
dem Hauſe deſſelben gehoͤre.
Der Mann ſah mich mit einem ſonderbaren
Laͤchlen an, und erwiederte, er gehoͤre allerdings
zum Hauſe, allein Herr Maiberg waͤre in Ge¬
ſchaͤften jetzt nicht zu ſprechen. Er mogte bemer¬
ken, wie unangenehm mir dies ſei, und fragte
daher, was mein Anliegen waͤre. Ich trug meine
Sache kurz vor, und als der hagere Spatzier¬
gaͤnger freundlicher wurde, holte ich aus meiner
Taſche den quaͤſtionirten Actenauszug. Aber da
verfinſterten ſich ſeine Zuͤge, er warf nur einen
fluͤchtigen Blick in die Papiere, und mir die
letztern ziemlich heftig zu, indem er ſagte, er habe
zu dergleichen keine Zeit. Ich entgegnete, daß
ich von ihm noch keine Belehrung und keine
Huͤlfe verlangt, daß ich lediglich und allein Herrn
Maiberg fragen wolle. Da lachte er laut auf,
faßte mich bei der Hand und ſagte: „Nun, ſo
muß ich Sie ſchon zu ihm hinfuͤhren!“
Wir gingen der Allee entlang nach dem ſchoͤnen
Wohngebaͤude zu. Ein Diener oͤffnete die hohe
Fluͤgelthuͤre des naͤchſten Zimmers, und wir traten
ein. Das umſtehende Geraͤthe, eine Menge
Buͤcher und Schriften verriethen, daß dies eine
Studierſtube ſei, und ich nahm ganz ermuͤdet
auf einem weichen Seſſel Platz. Mein brummiger
Geſellſchafter las eifrig in meinem Auszuge,
ſchnippte waͤhrenddem oͤfter mit dem Finger
und ſchnitt Geſichter, daß mir angſt und bange
wurde. Als er zu Ende war mit Leſen, fragte
er: „War der hier, erwaͤhnte v. Blauenſtein ein
Verwandter des Grafen Selwitz?“
Ich bejahte kurz, und der Mann fragte weiter,
wer den ſo eben durchlaufenen Auszug geſchrieben,
der ganz in Form einer Relation, bis allenfalls
auf's votum, abgefaßt ſei.
Ich nannte mich als Verfertiger, da erhob
ſich mein neuer Goͤnner und ſprach: „Nun, es
wird ſich hierin wohl etwas thun laſſen. Ich
ſelbſt bin Maiberg, nach dem Sie fragten; mir
thut Ihr Schickſal leid, denn es ſcheint, als ob
Sie in keinem Überfluſſe lebten!“
Ich erroͤthete, und war zugleich uͤberraſcht,
aber Maiberg fuhr fort:
„Sie entſchuldigen mein ſonderbares Beneh¬
men vorhin im Garten; aber Sie glauben nicht,
wie oft ich uͤberlaufen werde, und von den ab¬
geſchmackteſten Menſchen, die oft nichts, als Neu¬
gierde hertreibt. Wo es Pflicht iſt, zu handeln,
da bin ich immer bereit, und meine Dienſte ſollen
Ihnen nicht fehlen, denn mich intereſſirt Ihre
Angelegenheit. Senden Sie mir, denn es iſt
keine Zeit zu verlieren, alle vorraͤthigen Acten
heraus, und ſein Sie heute mein Gaſt!“
Ich mußte bleiben. Die biedere Herzlichkeit
des Mannes that mir unendlich wohl. Er nahm
mich bei der Hand, und indem er mich zu ſeiner
Familie fuͤhrte, ſagte er halb leiſe: „Nun von
keinem Geſchaͤft mehr!“ — Ein Paar muntere
Knaben ſprangen uns heiter entgegen, ein junges,
liebliches Maͤdchen von ungefaͤhr vierzehn Jahren
ſaß an einem ſchoͤnen Wiener Fluͤgel, und der
aͤltere der kleinen Rangen zog mich ohne weitere
Umſtaͤnde nach dem Inſtrumente hin, und fragte
den laͤchlenden Vater, ob ich der neue Oncle ſei.
Aber Maiberg machte mich von den Kindern los,
und ſtellte mich als einen neuen Hausfreund
ſeiner in's Zimmer tretenden Gemahlin vor, deren
einfache Weiſe mich bezauberte, ſo daß ich die
Schnelligkeit nicht begriff, mit der mir die Zeit
entſchwand.
Nach Tiſche that Maiberg noch einige Fragen
an mich im Betreff meiner Rechtsangelegenheit,
ſchrieb Einiges auf, und fragte dann ſchnell, ob
ich muſikaliſch ſei. Ich konnte es nicht laͤugnen,
und mußte mich an den Fluͤgel ſetzen. Als ich
das Spiel geendigt hatte, dem eine tiefe innere
Wehmuth eine beſondere Richtung gegeben haben
mogte, ſchuͤttelte mir der ſonderbare Mann die
Hand, und meinte, ich muͤſſe ihm ſchon wegen
meines muſikaliſchen Talents noch einige Tage
ſchenken.
Zwei Tage verſchwanden mir auf das Ange¬
nehmſte; Die beiden Knaben waren meine un¬
zertrennlichen Gefaͤhrten, und ſo bald der Abend
nahte, durfte ich von dem Fluͤgel nicht wieder
fort. Eine Auswahl der trefflichſten Compoſi¬
tionen machte mir mein eignes Spiel zum Genuß,
und ich durfte den reizenden Landſitz meines
neuen Freundes nur mit dem feſten Verſprechen
verlaſſen, recht bald dahin zuruͤckkehren zu wollen.
Meine erſte Sorge nach meiner Ankunft in
der Reſidenz war, alle vorraͤthigen Acten des
quaͤſtionirten Prozeſſes aufzuſuchen, und ſie an
Maiberg zu ſchicken. Mein Großoncle hatte ſeine
ſehr betraͤchtlichen Erbguͤter an die Familie P.
verkauft; allein es war keine Zahlung erfolgt,
und jene Familie, bisher in einem Pachtverhaͤlt¬
niſſe, gerirte ſich als Eigenthuͤmer. Mein Vater
hatte auf Zahlung als naͤchſter Erbe geklagt,
nebenbei ein bedeutendes Capital gekuͤndigt, welches
der Rath P. von ihm geliehn, und ſo ſtanden die
Sachen, als der Krieg ausbrach. P. behauptete
ſeine Zahlung, die er als ſelbſtſtaͤndige Behauptung
zu beweiſen hatte, und fuͤhrte den Beweis auf
eine raͤnkevolle Art, indem er ſich eines ſpitzfindigen
Anwaldes bediente. Eine Menge erſchwerender
Umſtaͤnde machten die Angelegenheit hoͤchſt ver¬
wickelt, und ich hatte in der That ſchlimme Aus¬
ſichten, da meine Gegner verjaͤhrt zu haben
behaupteten.
Den Tag nach meiner Zuruͤckkunft von Mai¬
berg erhielt ich eine Einladung zum Probſt von
Kirchheim, der oͤfter muſicaliſche Abendunterhal¬
tungen veranſtaltete, und wo ich zuweilen ein Quar¬
tet mitgeſpielt. Mir war von dem ewigen Acten¬
leſen der Kopf zu wuͤſt geworden, ſo daß ich mich
auf den Abend herzlich freute, und wohlgemuth
mit meiner Geige unterm Arme die weitlaͤufigen
Gebaͤude des ehemaligen Benedictinerkloſters auf¬
ſuchte, welche ſich der Probſt recht elegant hatte
einrichten laſſen. Ich fand eine ſehr große, aus¬
geſuchte Geſellſchaft; der Neffe des Wirthes, ein
junger Wildfang, machte mich mit den meiſten
der Anweſenden bekannt, und ziſchelte mir in das
Ohr, daß die Krone der Geſellſchaft in wenigen
Minuten noch erſcheinen werde. Ich wollte fragen,
wer dies ſei, als die Thuͤren des Geſellſchaft¬
ſaales aufrauſchten, und an der Hand eines mit
Orden behangenen Mannes traten zwei Damen
herein. Die eine wurde von mir fuͤr die Mutter
gehalten, und ich hatte mich nicht geirrt, aber
die juͤngere war leicht als die ſchoͤne Tochter der
Matrone zu erkennen. Es entſtand eine allgemeine
Bewegung; die jungen und aͤltern Herrn beugten
ſich tief vor der Wundergeſtalt der vollendeten
Hebe, und machten ehrfurchtsvoll den vornehmen
Gaͤſten Platz.
Der Probſt zeigte ſich mir als ſehr zuvor¬
kommend und artig; er zog uͤber meine Geige
freundliche Erkundigungen ein, und meinte, daß
ich heute Abend mein Meiſterſtuͤck machen koͤnne.
„Wir haben,“ fuhr er fort und zeigte nach einem
im Nebenzimmer befindlichen Notenſtoße, bei
welchem mir angſt und bange wurde, „wir haben
heute vortreffliche Muſikalien; die vor wenigen
Minuten eintretende junge Dame, Fraͤulein von
Struen, ſingt koͤſtlich, und nimmt es bei Gott
mit unſern beſten Theaterſaͤngerinnen auf. Sie
kennen ja das herrliche Duett aus A Moll unſeres
Capellmeiſters, das ſoll uns heute Abend ergoͤtzen,
und Sie ſind ſo gut, und uͤbernehmen die ob¬
ligate Geige!“
Ich erſchrak, aber ehe ich einer Antwort faͤhig
war, hatte ſich der Probſt entfernt, und ſprach
mit dem Freiherrn von Struen. Jetzt erſt hatte
ich Zeit und Gelegenheit, das ſchoͤne Maͤdchen
von Weitem heimlich zu betrachten. Mir war ſo
etwas noch nicht erſchienen, dieſe himmliſche Milde,
dieſes ſehnſuͤchtige Verlangen im tiefen Blau des
offnen Seelenauges, der zarte, roſige Teint, und
die uͤppige Fuͤlle des goldigen Haars, das in
langen, glaͤnzenden Ringellocken den blendenden
Nacken hinabrollte, wer haͤtte ſolchen Reizen
widerſtehen koͤnnen?!
Mit einer gewiſſen Betroffenheit ſahn die
Frauen und Maͤdchen dieſe hohe Schoͤnheit an,
die in ihrer Demuth noch viel reizender wurde,
und manche mogte vom gehaͤſſigen Neide nicht
frei bleiben. Wie der Freiherr eigentlich hieher
kam, in welchen Verhaͤltniſſen er zu dem Probſte
ſtand, wußte niemand, und der Neffe des letztern,
der einzige, welcher haͤtte Aufſchluß geben koͤnnen,
wurde von der ſeinen Blicken aufgegangenen
Schoͤnheit ſo angezogen, daß er fuͤr immer an
ihren Siegswagen gefeſſelt ſchien, denn er erfreute
ſich einer ſehr lebhaften Unterhaltung mit dem
ſchoͤnen Maͤdchen. Ich mußte ihn beneiden, wenn
gleich an ihrem Weſen nicht zu bemerken war,
daß ſie ihm ein beſonderes Wohlwollen ſchenke.
Aber ſein glaͤnzender Witz, ſein umfaſſendes Wiſſen,
ja ſein ſehr vortheilhaftes Äußere, nebenbei auch
wohl ſein Stand, denn er arbeitete als Legations¬
rath im diplomatiſchen Buͤreau des ruſſiſchen
Geſandten, raͤumten ihm wohl manches Vorrecht
ein. Endlich erhob er ſich, machte eine tiefe,
verbindliche Verbeuung, und trat wieder in den
hohen Fenſterbogen, in den ich mich zuruͤckgezogen
hatte. „Blauenſtein,“ begann er, und ſeine Augen
glaͤnzten, „das iſt ein leibhaftiger Engel! Ich
habe das Himmelskind ſchon einmal geſehn, aber
geſprochen vor wenigen Augenblicken zum erſten
Male. Bei aller feinen, hohen Bildung, dieſe
einfache Weiſe, dieſe laͤndliche Unſchuld bei ſo
viel richtigem Blick; Freund, ſuchen Sie mit dem
herrlichen Maͤdchen nur ein Wort zu reden, und
Sie werden entzuͤckt ſein!“ Ein reichgallonirter
dienſtbarer Geiſt des Probſtes praͤſentirte duftenden
Punſch in glaͤnzenden Cryſtallglaͤſern, und ſtoͤhrte
unſere Unterredung, und nach einem halben Stuͤnd¬
chen, das ich dem Hoforganiſten, der ein Langes
und Breites uͤber eine neue Clavierſchule von ihm
ſprach, nicht entziehn konnte, lud der freundliche
Wirth den muſicaliſchen Theil ſeiner Gaͤſte in das
benachbarte geraͤumige Concertzimmer, wo ich
meine getreue Geige mit pochendem Herzen aus
dem gruͤnausgeſchlagenen Kaſten nahm. Der
Probſt, ein recht wackerer Geiger, ließ ſich die Leitung
des Ganzen nicht nehmen, und der Legationsrath
poſtirte ſich mit ſeinem ſilbernen Horne dicht
hinter mich. Auf dem Pulte lag eine Ouvertuͤre,
die mir in einem delicaten Geigenſatze eine wahre
Angſt aufbuͤrdete, die mir ſonſt unbekannt war.
Aber ich ſollte ja vor ihr ſpielen, ſie hatte ſchon
einigemal, wie wohl gleichguͤltig, wie es ſchien,
nach mir hin geblickt, als wollte ſie ſagen: Wenn
Du nur nicht umwirfſt! —
Aber es ging Alles gluͤcklich von Statten,
ein lautes Beifallklatſchen ermuthigte den Hof¬
organiſten und meine arme Perſon zu einer Ca¬
price fuͤr die Geige, welche des Organiſten wohl¬
toͤnendes Cello recht capricioͤs begleitete. Ich
hatte es deutlich bemerkt, waͤhrend mein Mitſpie¬
ler das nach der Einleitung von mir piano into¬
nirte Thema kraͤftig wiederholte, wie das ſchoͤne,
intereſſante Maͤdchen einigemal mit ihrer Nachbarin
leiſe fluͤſterte, und dann jedesmal nach mir hinſah,
als ſei ich der Gegenſtand ihres Geſpraͤchs. Im
Adagio ſuchte ich all mein ſehnſuͤchtiges Verlangen
auszudruͤcken, das mit ſo ſchneller Gewalt mein
Herz erfuͤllte; noch nie hatte mein Inſtrument
ſo rein, ſo volltoͤnig angeſprochen, und nach Been¬
digung des Stuͤcks war ich noch ſo in die treff¬
liche Compoſition verſunken, daß ich nur halb
die Lobpreiſungen vernahm, die ſich ergoſſen.
Auch ſie hatte in ihre zarten, weißen Haͤnde ge¬
klatſcht, und wie haͤtte ich, wenn ſie belohnte, auf
den Beifall anderer hoͤren koͤnnen, welche in's
Geſicht lobten, und hinterher ihrer Galle Luft
machten! Die innere Ruͤhrung hatte mir Thraͤnen
in's Auge gelockt; ich war herzlich froh, daß
eine Pauſe uns Ruhe goͤnnte, und ſchluͤpfte in
das kuͤhle Vorzimmer, mich zu erholen.
Ich weiß nicht, wie es kam, es wogten Em¬
pfindungen in mir, die mir bis dahin noch fremd
geblieben waren; das Herz pochte ungeſtuͤm, eine
heimliche Angſt durchbebte mich, und dennoch
miſchte ſich in dies Alles eine namenloſe Seligkeit,
ein ſuͤßes Weh! Was war das? — Nein, das
mußte anders werden, ich mußte Ruhe, Ruhe
erkaͤmpfen, denn ich ſollte ja ſpielen, ich ſollte ja
ihre ſuͤße Stimme begleiten! — —
In etwas ruhiger trat ich in den Geſellſchafts¬
ſaal; der Probſt hatte bereits nach mir gefragt,
und winkte zum Pulte, der mir ganz ſchrecklich
vorkam. Fraͤulein von Struen hatte ihren Platz
bereits eingenommen, ich durchblaͤtterte fluͤchtig
meine Parthie, und ſie begann mit ihrer glocken¬
reinen; unendlich biegſamen Bruſtſtimme das Re¬
citativ. Mir war fuͤr meine Geige ganz bange,
aber der Hoforganiſt nickte mir freundlich Muth
zu, und es ging. Ihre wundervolle Metallſtimme
verklang zauberiſch in dem geraͤumigen Gemache
und drang mir bis in das Tiefſte meiner Seele;
und als ſie den zarteſten Mollton minutenlang
aushielt, anfangs ſanft und lieblich intonirt, dann
ſtaͤrker und immer ſtaͤrker, dann die Octave hinauf
ging, noch drei vier Toͤne hoͤher ſtieg, und wie
aus weiter Ferne den ſchoͤnen Satz mit einem
leiſe anſchwellenden und ſich dann in ein liebliches
Piano aufloͤſenden Triller ſchloß, — da verging
mir der Athem, ich konnte nicht laͤnger, die Finger
verſagten ihren Dienſt, ich mußte aufhoͤren.
Der Organiſt erſchrak uͤber mein ploͤtzliches Ver¬
ſtummen, und ſpielte auf dem Cello meine Parthie
aus dem Kopfe. Zum Gluͤck mogte es eben
niemand gemerkt haben, bis auf die holdſelige
Marie, dies war ihr Name, denn ſie ſah mich
mit einem wunderbaren Blicke an, als wolle ſie
mir damit Muth einfloͤßen, und ich nickte dem
Celloſpieler zu, zum Zeichen, daß ich fortfahren
werde. Ich hatte wirklich nun wahren Muth
bekommen, ich fuͤhrte meinen Bogen keck, alle
ſchwierigen Paſſagen gelangen auf das Beſte,
und als ich am Schluſſe des herrlichen, ſeelenvollen
Geſanges wie ein verklingendes Echo den letzten
Stimmenſatz wiederholen mußte, und dann mit
einigen energiſchen Strichen ſchloß, ſagte mir der
rauſchende Beifall, daß ich meine Sache ſo gar
uͤbel nicht gemacht habe.
Ich legte ſchnell die Geige bei Seite, und
trat ſchuͤchtern dem engelſchoͤnen Maͤdchen naͤher.
„Sie muͤſſen mir zuͤrnen, mein Fraͤulein,“ begann
ich mit bebender Stimme, „die Begleitung Ihres
meiſterhaften Geſanges wurde einem unerfahrnen
Stuͤmper zu Theil, wenn ich gleich geſtehn muß,
daß mich nichts, als Ihr hinreißender Vortrag
aus den Noten herausbrachte. Darf ich auf
Ihre Vergebung rechnen?“
Mariens Geſicht uͤberflog ein leiſes Erroͤthen,
ſie hob ihr klares Seelenauge zu mir empor, und
ſagte laͤchlend: „Es bedarf der Vergebung nicht;
und wenn ich dem, was Sie zuletzt ſagten, trauen
darf, ſo waͤre jeder Tadel von meiner Seite ein
Vergehen, denn Ihre Verirrung bliebe dann
immer eine Lobrede meines unvollkommnen Ge¬
ſanges!“
Eine ſo freundliche und fein verbindliche
Wendung hatte ich nicht erwartet; ich ergriff
die runde, weiche Flaumenhand der lieblichen
Saͤngerin, die ſie mir willig uͤberließ, und zog
ſie an meine brennenden Lippen. Da kam ihr
Vater herbei, er ſah mich mit einem ſtolzen Blicke
an, und ich trat zu dem nicht fern ſtehenden Le¬
gationsrath. Er fragte mich hundertmal in einem
9
Athem, und ich wußte kaum, was ich geantwortet.
Ich ſah nach meiner Uhr; es war in der That
ſpaͤt geworden, und beſchloß, am Arme des ent¬
zuͤckten Legationsrathes meine einſame Wohnung
aufzuſuchen. In der letzten Aufregung hatte ich
mich ſehr an den koͤſtlichen Punſch gehalten, es
mogte wohl zu viel geweſen ſein, denn es ſchien
ſich mir Alles zu verwirren, und ich waͤhnte zu
traͤumen. Vor dem Hauſe hielt ein ſchoͤner
Wagen; nach wenigen Augenblicken erſchien der
Freiherr mit Marien und ſeiner Frau. Die Be¬
dienten hielten hellleuchtende Laternen in den
Haͤnden, und ein magiſcher Schein fiel auf die
reizende Geſtalt des Maͤdchens, das in meinem
Herzen eine ſo ploͤtzliche Verheerung angerichtet,
und ehe ich noch recht zu mir ſelbſt kam, rollte
der Wagen bereits um die Ecke der duͤſtern Straße.
Der Legationsrath faßte krampfhaft meinen
Arm in den ſeinen, und nach einem kurzen
Schweigen begann er: „Mir iſt ſolch ein Engel
noch nicht vorgekommen, aber was mich im Vor¬
aus betruͤbt macht, ja mich empoͤren kann, iſt
der alberne, ſinnloſe Stolz des Alten. Wir ſind
doch meiner Seele nicht vom gemeinſten Gewaͤchs,
und haben Sie wohl die Blicke geſehn, die mir der
Menſch zuwarf, als ich mit ſeinem Kinde ſprach?“
„Wenn Sie daruͤber klagen wollen,“ entgeg¬
nete ich mit einem Seufzer, „was ſoll ich da
ſagen? Ihre Ausſichten in die Zukunft ſind die
angenehmſten; Sie werden ein Sie ehrendes
Amt erhalten, eine reiche Erbſchaft fehlt eben ſo
wenig; was wollen Sie noch?“ Mein Begleiter
lachte, daß es in der oͤden Straße wiederhallte,
und fuhr fort: „Da ſind Sie im Irrthum; wenn
ich ein Graf waͤre, ein Geſandter ſelbſt, oder ſo
ein aͤhnliches Wunderthier, da waͤre das ein anderes.
Aber Sie kennen dieſe eigentlich erbaͤrmlichen
Menſchen noch nicht! — Ich weiß durch meinen
Oheim, den Probſt, der den Freiherrn genau
kennt, was er fuͤr Plaͤne macht. Und ſtaͤnde
mein Oheim nicht ſo gut bei Hofe angeſchrieben,
haͤtte er nicht alle Dienſtverbeſſerungen bloß darum
abgelehnt, weil er reich, und durch ſeinen alten
Adel vornehm genug iſt, wer weiß, ob der alte
Struen in ihm ſeinen Verwandten ehrte!“
„Sind ſie denn verwandt?“ fragte ich. „Nun
auf dieſe Weiſe muͤſſen Sie, mein Freund, leichtes
Spiel haben. Ich wuͤnſche Gluͤck!“
„Nein,“ erwiederte der Legationsrath, und
ſchlug mit mir raſch einen Seitenweg ein, der
mich von meiner Wohnung immer mehr entfernte,
9 *
„ich nehme hier ein anderes Intereſſe, denn mein
Herz iſt bereits unter billigen und angenehmen
Bedingungen untergebracht. Sehn Sie, die alte
Struen iſt catholiſch; ihr Mann iſt zwar Pro¬
teſtant, aber ein bigotter Narr, der ſeiner Gemahlin
das Wort gegeben hat, nur ein Catholik ſolle
dereinſt die Hand ihres Kindes empfangen.
Freilich weiß ich, daß der Mann auch einen enor¬
men Geiz beſitzt, und wenn ſo ein aͤchter Gold¬
fiſch kommt, ſo widerſteht er keinen Augenblick.
Beim Himmel, das Maͤdchen iſt zum Anbeten
ſchoͤn und liebenswerth! Und dabei dieſe Beſchei¬
denheit, dieſe Demuth in Blick und Haltung!
Blauenſtein, hier zu ſiegen, muß goͤttlich ſein! —“
Ich konnte auf ſeine ſtuͤrmiſchen Äußerungen
nur mit einem Seufzer antworten, und ließ mich
von ihm durch eine Reihe von Straßen mit fort¬
ziehn. Endlich ſtand mein Begleiter vor einem
Palais der Vorſtadt ſtill, das mir ſchon laͤngſt
wegen ſeiner ſoliden, geſchmackvollen Bauart auf¬
gefallen war, und zeigte nach einem hell erleuch¬
teten Zimmer, indem er ſagte: „Da wohnt ſie,
von der wir ſprachen; verſuchen Sie Ihr Gluͤck,
ihr Auge hat einigemal wohlgefaͤllig auf Ihnen
geruht. Aber nun auch gute Nacht, bald mehr!“
Der ſonderbare Menſch rannte fort, und ließ
mich tief in Gedanken allein. Oben an den be¬
zeichneten Fenſtern bewegte ſich eine Geſtalt; ſie
oͤffnete einen Fenſterfluͤgel, und ich druͤckte mich
an eine Seitenmauer. Es war niemand anders,
als Marie; ihre Geſtalt konnte ich mit Beſtimmt¬
heit unterſcheiden, nur ihr liebliches Geſicht war
mit Nacht bedeckt. Hatte ich nicht ſehr geirrt,
ſo entquoll ihrer keuſchen Bruſt ein Seufzer, es
war Alles um mich her in eine Grabesſtille ver¬
ſunken, es konnte meinem Ohre nichts entgehn.
Gott, wenn ſie nicht gluͤcklich waͤre, dachte ich
bei mir, und machte eine leiſe Bewegung. Viel¬
leicht hatte ſie mich bemerkt, denn das Fenſter
ſchloß ſich, und die liebholde Geſtalt kam nicht
wieder zum Vorſchein.
Ich ſuchte in Gedanken verſunken meine ſtille
Wohnung auf.
Der alte Diener meiner Wirthin oͤffnete mir
mit einem ſchlaftrunkenen Geſicht, und haͤndigte
mir einen Brief ein, der am Abend noch ange¬
kommen war. Er kam von meinem Schutzpatron
Maiberg, und enthielt die angenehme Neuigkeit,
daß er von meiner Angelegenheit das Beſte hoffe.
Jedes ſich noch vorfindende Actenſtuͤck ſollte ich
ihm nur ſogleich zuſenden, und Muth haben.
Fuͤr die Erhaltung meines mir von Gott und
Rechts wegen zukommenden Vermoͤgens hatte ich
wirklich Muth, denn meine Sache lag in der
Hand eines redlichen, geiſtvollen Mannes, ſo wie
des oft ſtets gerechten Schickſals. Aber eine
neue Sorge ging in meinem Innern auf; ich
dachte kaum an die Erlangung von Reichthuͤmern,
und hing meiner ſtillen Wehmuth nach. Ich fuͤhlte
es, ohne Marien konnte ich nicht gluͤcklich ſein,
nur ihre Liebe vermogte meinem Leben die wahre
Bedeutung zu verleihn! War ich denn aber auch
berechtigt, ſo zu denken, mußte ich nicht erſt pruͤ¬
fen, ehe ich mich einer Liebe hingab, die in Lei¬
denſchaft auszuarten drohte? — Das liebende
Herz waͤhlt ſtets ſeinen eigenen Weg, es fraͤgt
die Vernunft nicht lange um Rath, will zum
Ziele gelangen, oder in ſeinem Grame vergehn!
— Ich hatte ſeit jenem Abende Marien nicht
wiedergeſehn, und ich ſehnte mich ſo innig nach
ihrem Anblick. Aber wie es anfangen? —
Eines Tags kam der Legationsrath zu mir,
und fragte, ob ich die neue Gemaͤldeſammlung
ſchon geſehn, welche ſeit einiger Zeit im Gebaͤude
der Kunſtacademie aufgeſtellt ſei. Ich mußte
verneinen, aber beſchloß, die neuen Schaͤtze ſogleich
in Augenſchein zu nehmen. Der Legationsrath
ruͤhmte beſonders eine heilige Caͤcilie eines unbe¬
kannten Meiſters, welche unverkennbar mit Marien
Ähnlichkeit habe, und verſprach, mich nach einer
Stunde, waͤhrend welcher er beſchaͤftigt war, in
der Gallerie aufzuſuchen. Ich trat nach wenigen
Minuten in das Heiligthum der Kunſt; eine
Menge Kenner und Neugierige aller Staͤnde
wogten in den Saͤlen umher; nur in einem Sei¬
tengemache, wo die auserleſenſten Stuͤcke hingen,
war es nicht ſo voll von Beſchauern, indem hier
nicht ein jeder hineingelaſſen wurde. Der Auf¬
ſeher, ein freundlicher Greis, der mir laͤngſt be¬
kannt war, fuͤhrte mich hinein, und deutete mit
der Hand nach den beſten Bildern hin. Vor dem
Bilde der heiligen Caͤcilie ſtand eine junge Dame,
die mir den Ruͤcken zuwandte; ich ging nach der
andern Seite, und ſah ihr Geſicht. Gott, es
war Marie! Sie erwiederte meinen Gruß freundlich
laͤchlend, und fragte mit der ganzen Anmuth ihres
bezaubernden Weſens, ob ich ein Gemaͤldefreund
ſei. Wir kamen bald auf den Concertabend beim
Probſt; ſie entwickelte mir ein ſo tiefes Gefuͤhl
im Bezug auf Muſik und ihr ganzes kindliches
Gemuͤth, daß mir die Zeit mit unbegreiflicher
Schnelligkeit entfloh. Eine junge Dame, ſie
mogte mit Marien gekommen ſein, hing ſich jetzt
mit freundlichem Koſen an ihren Arm, und
erinnerte ſie an das ihr gegebene Verſprechen, mit
ihr ein Stuͤndchen im botaniſchen Garten zuzu¬
bringen. Marie ſchien unwillkuͤhrlich zu erſchrecken,
daß ſie die Gallerie ſo ploͤtzlich verlaſſen ſolle;
Antonie, dies war der Name ihrer Freundin, deren
Eltern, wie ich mich jetzt genau erinnerte, ich
kannte, ſchmeichelte aber ſo ſuͤß, und bat ſo drin¬
gend, daß ſich Marie zum Aufbruch entſchloß.
Sie fluͤſterte ihr ein Paar Worte in das Ohr,
erroͤthete, und ſah mich ein wenig von der Seite
an. Noch ehe ich uͤberlegen konnte, was dies zu
bedeuten habe, verkuͤndete der alte Gallerieinſpector,
daß die Saͤle geſchloſſen wuͤrden.
„Siehſt Du, meine holde Marie,“ ſagte Antonie
und ſah ihrer Freundin in das klare Seelenauge,
„die Stunde hatte geſchlagen, und wir duͤrfen
hier nicht laͤnger weilen!“
Ich bot den Damen meinen Arm, denn das
Gedraͤnge der Menſchen ließ nicht ab; vor dem
hohen Portale des Hauſes wollte dann Marie
den Wagen erwarten, und mit ihrer Freundin
nach dem botaniſchen Garten fahren. Aber es
kam kein Wagen; die Damen waren ungeduldig,
und ſchon entſchloſſen, zu Fuß die Wanderung
zu unternehmen, als ich einen eleganten Mieths¬
kutſcher herbeirief, und die Damen bat, den Wagen
als ein Surrogat ihrer Equipage anzuſehn.
Antonie wurde etwas verlegen, aber Marie dankte
mir in ihrer liebenswuͤrdigen Unbefangenheit, und
ſtieg mit ihrer Freundin, von mir unterſtuͤtzt, ein.
Unmoͤglich konnte ich mich fuͤr immer, oder doch
auf eine lange Zeit von den Damen trennen, ich
fragte daher nicht ohne eine gewiſſe Ängſtlichkeit,
ob es mir erlaubt ſei, nach dem Garten zu folgen.
Marie ſah ihre Freundin fragend an, und erwie¬
derte, ſie habe gemeint, ich werde beide in dieſem
Wagen hinaus begleiten; ich ſei ihr auf jeden
Fall ſehr willkommen. Allein ich verbeugte mich
tief, gab dem Kutſcher einen Wink und war in
wenig Minuten an dem bezeichneten Orte. Ich
lief durch die Straße, daß mir der Athem ganz
fehlte; meine erſte Frage an einen der Diener
im Garten war, ob die Damen bereits angekommen,
und wo ſie ſich befaͤnden. Der Toͤlpel lachte mir
in's Geſicht, vielleicht mag ich eigen ausgeſehn
haben, und zeigte nach einem Pavillon, auf den
ich nun mit ſtarken Schritten losging. Ich be¬
merkte allerdings zu meiner Freude ein Paar
Damen, vermogte jedoch noch keine zu erkennen.
Hatte der verſchmitzte Narr vom Gaͤrtnerburſchen
ſeinen Scherz mit mir getrieben? das waren die
erſehnten Himmelskinder nicht! Zwei unfoͤrmliche,
alte Weiber aus der gewoͤhnlichen Claſſe ſaßen
hier, ſchluͤrften mit widrigem Appetit Kaffee, und
verſchlangen einen Berg von kleinen Milchbroden.
Sie ſollten alſo noch kommen. Wie konnte ich
auch erwarten, die beiden Maͤdchen ſchon zu finden,
da ich ſo uͤber die Maßen gelaufen war! —
Kam nicht durch die hohe eiſerne Gartenthuͤr
etwas? Richtig; aber nicht zwei, ſondern drei
Damen, und die ſehnlich Erwarteten waren nicht
dabei! Es verging eine ſchmerzliche Viertelſtunde
nach der andern, ich rannte wie ein halb Ver¬
ruͤckter von einem Gange des herrlichen Gartens
zum andern, und niemand erſchien. Wie oft war
ich ſchon hier geweſen, wie hatte ich mich ergoͤtzt
an den tauſend herrlichen Blumen des Auslandes,
die hier in den großen Gewaͤchshaͤuſern ſo uͤppig
gediehn; aber heute hatte die Blumenwelt keinen
Reiz fuͤr das ungeſtuͤme Herz. Nur um nicht
mehr von dem Burſchen verlacht zu werden, denn
der Menſch verlor mich nicht aus dem Auge,
trat ich vor einen Glasverſchlag, und blickte gleich¬
guͤltig nach dem großen Cactus Cactus grandiflorus.
, deſſen gelbliche
Duͤte ſo wuͤrzigen Duft ſpendet und in einem
gelben Blaͤtterſtrahle wie eine Sonne glaͤnzt,
und verweilte hoͤchſt zerſtreut bei ſeinem juͤngern
Bruder, Cactus speciosus.
der zwar geruchlos, aber wunderherrlich
in ſeinem Purpur ſchimmerte. Doch da bluͤhte
ein wunderbares Pflaͤnzchen; es verdiente Auf¬
merkſamkeit, weil ich es mit meinem Herzen ver¬
gleichen konnte, das von der Beruͤhrung der jetzt
oft rauhen Außenwelt in einander zuckte; es
war die bekannte, empfindliche Sinnpflanze Mimosa sensitiva, eine beſonders an den Ufern
des Amazonenfluſſes heimiſche Pflanze.
aus Braſilien. Die Geigenblaͤttrige Trompeten¬
blume Bignonia pandorana. a) Corchorus japonicus.
b) Reginae Amaryllis, auf den caraibiſchen Inſeln
zu Hauſe. c) Vermuthlich eine Anſpielung auf
eine ſehr hochſtaͤmmige Palme aus der Barbarei,
chamaeraps barbarea.
erhielt nur wegen ihrer muſicaliſchen
Verwandtſchaft einen fluͤchtigen Blick; das japa¬
niſche Stattkraut a) und die koͤnigliche Amaryllis b)
wurden ganz uͤbergangen, ſammt einer unfoͤrmlichen
Palme, c) die ich ſchon deshalb haßte, weil ſie
barbariſch war. Ohne mich um die Kaffeeſchluͤr¬
ferinnen, die ſehr neugierig mein Benehmen zu
beobachten ſchienen, eines Blicks zu wuͤrdigen,
rannte ich fort nach dem Platze, um wenigſtens
meines treuloſen Miethskutſchers noch einmal an¬
ſichtig zu werden, der noch ſeinen Lohn nicht er¬
halten hatte. Wahrhaftig, der Menſch hielt mit
ſeinem Wagen bereits in der Naͤhe der Academie,
und lachte, als er mich erblickte. Meine erſte
Frage war, weshalb er die Damen nicht nach
dem Garten gefahren; aber er meinte, er habe
den Befehl erhalten, zu ſchweigen, und auch als
ich meine Boͤrſe zog, um ihn durch Geld mehr
beredt zu machen, ſchuͤttelte er mit dem Kopfe,
und ſagte, er habe ſeinen Lohn bereits erhalten,
und zwar ſehr reichlich. —
An jedem der dazu beſtimmten Tage war ich
in der Gemaͤldegallerie; ich ſtand ganze Stunden
vor der heiligen Caͤcilie, aus der mir Mariens En¬
gelszuͤge entgegenlaͤchleten, aber ſie ſelbſt erſchien
nicht wieder. Endlich, es mogten einige Wochen
vergangen ſein, traf ich Antonie auf der Prome¬
nade. Im freudigen Erſchrecken blieb ich vor
ihr ſtehn, ſie war ganz allein, und harrte nur
ihres juͤngſten Bruͤderchens, das ſich am Wege
niedergebuͤckt hatte, und bunte Steinchen auflas.
Ich konnte alſo reden. Sie ſelbſt ſchien uͤberraſcht,
und beantwortete meine Frage, weshalb ſie neulich
mit ihrer Freundin ſo grauſam und ſpurlos ver¬
ſchwunden ſei, zweideutig und ausbeugend. „Sie
ſind,“ hob ich an, und ſah in ihr ehrliches Auge,
„Sie ſind Mariens Freundin, Sie beſitzen ihr
Vertrauen; darf ich Ihnen ein Geſtaͤndniß thun?“
„Reden Sie nicht vor der Zeit, Herr von
Blauenſtein,“ erwiederte ſie mit einer gewiſſen
Beklommenheit, „es hat ſich Manches ereignet,
das bedeutende Folgen nach ſich ziehen koͤnnte.
Sie ſelbſt, warum ſoll ich es nicht ſagen, ſind
mit im Spiele, und wenn ich Ihnen ſchon die
Verſicherung geben kann, daß Marie Ihnen wohl
will, ſo weiß ich doch beſtimmt, daß es ihr lieber
ſein muß, wenn Sie meine Freundin vermeiden!“
„Sie ſprechen in Raͤthſeln, mein Fraͤulein,“
erwiederte ich, „es muß etwas vorgefallen ſein,
von dem ich nichts weiß, wenigſtens kann ich den
Zuſammenhang nicht faſſen. Ich beſchwoͤre Sie,
reißen Sie mich aus dieſer toͤdtenden Ungewißheit!“
„Daß Sie meine Freundin lieben, iſt mir
nicht unbekannt,“ erwiederte ſie; „aber es iſt
noͤthig, Ihnen kuͤrzlich eine Aufklaͤrung zu geben,
da Sie noch jetzt kraͤftig fuͤr ſich ſelbſt wirken
koͤnnen. Sie lernten meine theure Marie im
Hauſe des Probſtes Kirchheim kennen; was Sie
empfanden, moͤgen Sie ſelbſt ermeſſen. Der
Freiherr, Mariens Vater, erkundigte ſich lebhaft
nach Ihnen, als er Sie im Geſpraͤch mit ſeiner
Tochter erblickte. Er iſt ein feiner Menſchenkenner,
und mogte Sie vielleicht ergruͤndet haben, ehe
Sie es vermutheten. Sie trafen uns neulich in
der Gemaͤldegallerie; vor dem Hauſe mußten
wir, wie Sie ſich erinnern, auf den ausbleibenden
Wagen warten, und wurden vom Freiherrn geſehn,
der ſich zufaͤllig gegenuͤber im Hotel de Saxe
bei einem eben angekommenen Fremden befand.
Er ſchoͤpft nach ſeiner kalten, ach wohl herzloſen
Weiſe Verdacht, und ſchickt unſerm Wagen ſeinen
Diener nach. Ich mußte mir die bitterſten Dinge
ſagen laſſen, denn er bildete ſich ein, ich ſei Ihre
Vertraute, und wuͤnſche eine Zuſammenkunft
zwiſchen Marien und Ihnen zu bewerkſtelligen.
Marie wurde einem ſtrengen Verhoͤr unterworfen;
nach Ihnen wurde geforſcht, man zog Erkundi¬
gungen aller Art uͤber Sie ein. Den Grund
moͤgen Sie ſelbſt errathen. Marie hat mir ſeit
der Zeit nur ſchreiben koͤnnen, weil ſie mich auf
Befehl ihres Vaters vermeiden mußte.“
Antonie ſchwieg, und meine Verwunderung
war meinem Schmerze gleich. Es traten Thraͤnen
in meine Augen, ich ergriff Antoniens Hand, ich
beſchwor ſie, mir Gelegenheit zu verſchaffen,
Marien zu ſprechen. „Vielleicht,“ ſagte ich, „hegt
der Freiherr mildere Geſinnungen, als wir glauben,
denn weshalb haͤtte er ſich ſonſt nach mir er¬
kundigt? Mein Vermoͤgen wird mir bald gerettet
ſein, ich darf ihr meine Hand reichen, denn meine
Geburt iſt der ihrigen gleich!“
„Was Ihr Vermoͤgen betrifft,“ erwiederte
Antonie, „ſo hat der Freiherr geaͤußert, es waͤre
ſo gut als verloren; auch in dieſem Punkte hat
er ſich zu unterrichten gewußt. Aber ſeine Ge¬
mahlin iſt catholiſchen Glaubens, und Marie ſoll
nur einem Glaubensverwandten ihre Hand reichen!“
„Sie verwunden mein Herz durch dieſe Nach¬
richt tief!“ erwiederte ich. „Aber dennoch bitte
ich Sie, mir meine Bitte nicht abzuſchlagen.
Ich werde mit Ihrer Mutter reden, ſie wird
Mitleid mit mir haben, und mir gewaͤhren, ohne
das ich nicht gluͤcklich ſein kann!“
„Sind Sie,“ fragte Antonie laͤchlend, „Sind
Sie denn Ihrer Sache ſo gewiß, Herr v. Blauen¬
ſtein? Halten Sie ein bloßes Wohlwollen von
Seiten meiner Freundin nicht gleich fuͤr Gegen¬
liebe. Aber ich ſelbſt wuͤnſche eine Zuſammenkunft,
vielleicht laͤßt ſich Manches ausgleichen, Sie
koͤnnen ſich mit Marien berathen, um vielleicht
alle Mißverſtaͤndniſſe aus dem Wege zu raͤumen,
aus denen der Freiherr Gift ſaugt!“
„Alſo bloß darum?“ fragte ich ſchmerzlich.
Aber Antonie laͤchelte freundlich, und erwiederte,
ich moͤge in ihren Mittheilungen ihr Vertrauen
ehren, und das Lebensgluͤck ihrer Freundin nicht ſtoͤh¬
ren, welches allein ſie zu den heutigen unangenehmen
Eroͤrterungen gefuͤhrt. „Heute Nachmittag,“ fuhr
ſie fort, und ſah ſich um, ob etwa ein unberufener
Lauſcher zu befuͤrchten ſei, „heute Nachmittag
beſucht mich Marie. Sie kennen unſere Wohnung;
mit meiner Mutter rede ich ſogleich, und Sie
moͤgen dann um fuͤnf Uhr erſcheinen. Aber ja
nicht fruͤher! Wir wollen noch eine Vorſicht an¬
wenden ; Sie wiſſen vielleicht, daß wir hinter
unſerm Wohnhauſe einen Garten beſitzen; er
liegt ſo, daß der Eintretende nicht bemerkt werden
kann; und es moͤgte wohl rathſam ſein, wenn
Sie auf dieſe Weiſe durch den Garten in unſer
Haus gelangten. Alſo um fuͤnf Uhr finden Sie
ſich an der gruͤnen Gartenpforte ein. Aber auch
nun kein Wort mehr, ich eile zu meiner Mutter!“
Antonie reichte mir ihre Hand, die ich an
meine Lippen druͤckte, und ließ mich mit meinen
Gedanken allein. Ich war ganz im Innern ver¬
wirrt; mein Herz pochte ungeſtuͤm, und mir
kam der ganze heutige Tag vor, wie ein Traum.
Meine alte Wirthin ſchuͤttelte uͤber mein auffallendes
Benehmen den Kopf; ich ruͤhrte keine Speiſe
an, und rannte unruhig in meinem Zimmer
umher. Es ſchlug endlich vier Uhr; nach fuͤnf
Minuten war ich vor den Thoren der Reſidenz,
ich durchſchweifte die Gegend, und entdeckte
endlich Antoniens Garten. Mit welchen Empfin¬
dungen oͤffnete ich die Thuͤre, als die fuͤnfte
Stunde herbeigekommen war! —
Antonie ſaß mit ihrer Mutter in einem freund¬
lichen Gartenhaͤuschen, und ich wurde mit einer
Artigkeit empfangen, die mich meine druͤckende
Angſt vergeſſen ließ. Antoniens Mutter verließ
uns kurz darauf, und ehe ich noch fragen konnte,
wo denn Marie weile, trat ſie ſelbſt in ihrer
Anmuth zu uns heran, und ſchloß ihre Freundin
in die Arme.
„Vergeben Sie dieſe Raſchheit,“ hob ich an,
und nahte mich Marien, „aber mein Herz ſah
keinen andern Ausweg. Ich weiß, was man
mit Ihnen vorhat, mein Fraͤulein, aber fuͤrchten
Sie die Plaͤne der Politik nicht, wo treue Liebe
10
Ihnen die Hand bietet! — Darf ich Ihnen
geſtehn, wie unendlich theuer Sie meinem Herzen
ſind?“ —
Marie erroͤthete, ſie entzog mir leiſe ihre
Hand und ſagte: „Wir ſollten uns wohl erſt
mehr kennen lernen; kaum, daß ich Sie zweimal
ſah! — Aber Sie verkennen meine Eltern, wenig¬
ſtens meinen Vater. Sollte Antonie in ihrem
Eifer zu weit gegangen ſein, ſollte ſie die ſo ganz
mißverſtehen, welche mir ihre Liebe ſo unver¬
kennbar zeigen?“
Antonie wandte ſich von uns ab; es ſchien,
als unterdruͤcke ſie eine Thraͤne, und ich ſprach
im Rauſch meiner Seligkeit von nichts, als der
Zukunft, die ſich mir zum Himmel geſtalten
wuͤrde, wenn ich ihr an Mariens Hand entgegen¬
gehn koͤnnte. Marie ſah mich mit einem Blick
des ſuͤßeſten Wohlwollens an; in ihrem Auge
lag das Geſtaͤndniß ihrer Gegenliebe; ich ſchloß
ſie in tiefer Bewegung in meine Arme, und ein
minutenlanger Kuß beſiegelte den ſchoͤnen Bund
der treuſten Herzen!
Ich war ein anderer Menſch geworden, Ma¬
riens Liebe hatte mich umgewandelt!
„Aber Kinder,“ hob Antonie darauf mit em¬
porgehobenem Finger an, und machte ein zum
Todtlachen ernſthaftes Geſichtchen, „Ihr ſteht
hier und raſpelt Suͤßholz, ohne Eurer Lage und
des eigentlichen Zwecks Eures heutigen Zuſammen¬
ſeins zu gedenken. Auch zugegeben, Mariens
Eltern ſind dieſer Verbindung nicht entgegen, ſo
waͤre es doch wohl rathſam und erſprießlich, wenn
man ſich gegenſeitig etwas mehr zu ergruͤnden
ſuchte; denn dieſe Raſchheit will mir nicht ganz
gefallen!“
Aber ich lachte ihr in die ernſthafte Miene,
erzaͤhlte ihr in einem Athem zehn Beiſpiele, wie
ſich treue Herzen in wenig Augenblicken erkannt,
und in ſuͤßer ſchneller Vereinigung ihr ganzes
Gluͤck gefunden. „Meinen Sie denn, fuhr ich
fort, und ſchlang meinen Arm um Mariens
ſchlanken Sylphenleib, „meinen Sie denn, daß
eine langgedehnte Bekanntſchaft zu etwas Großem
hilft? Im Gegentheil; die Beobachtete giebt
ſich immer anders, als ſie iſt; und nur das
uͤberraſchte Herz wird in ſeinem Werth oder
Unwerth erkannt!“
Antonie murmelte ſo etwas von einer ſonder¬
baren Theorie, der ſie keinen Geſchmack abge¬
10 *
winnen koͤnne, und erinnerte mich zuletzt an die
Scheideſtunde. „Sein Sie nicht grauſam, theure
Antonie,“ flehte ich mit emporgehobenen Haͤnden,
„dieſe Stunden kehren nie, nie wieder, und Sie
wollen ſie mir freventlich abkuͤrzen?“ — „Doch,
doch, es muß ſein!“ ſagte meine Marie dringend,
und legte ihr Koͤpfchen an meine Schulter. „Aber
wir ſehn uns bald wieder! Der Mittwoch ſei
unſerer Zuſammenkunft bei Antonie geweiht.
Nicht wahr, mein Maͤdchen, Du wirſt nicht
boͤſe?“ —
Dieſe ſuͤße, holde Natuͤrlichkeit brachte mich
ganz aus aller Faſſung; ich konnte von dem
Engel nicht loskommen, immer zog es mich
wieder in ihre keuſchen Arme, jeder Kuß, den mir
ihre wuͤrzigen Lippen mit braͤutlicher Hingebung
boten, ſollte der Abſchiedskuß ſein, und doch ſtand
ich noch immer, meinen Arm um ſie geſchlungen,
das Land der paradieſiſchen Liebe hatte ſich mir
geoͤffnet, und ihr Zauber umſing meine Sinne!
Ich konnte nicht fort. Da wurde es Antonie
zu arg, ſie ergriff eine Weinranke, und verfolgte
mich, wie der erzuͤrnte Engel mit dem Flammen¬
ſchwert im Paradieſe, bis zur Gartenthuͤr; noch
einen Kuß auf Mariens Lippen wollte ich mit¬
nehmen, aber es wurde nicht verſtattet, und ich
ſtand vor dem verſchloſſenen Himmel meiner ſe¬
ligſten Freuden!
Beinahe taͤglich war ich in der Geſellſchaft
Antoniens und ihrer trefflichen Mutter; im
Daͤmmerſtuͤndchen ſprachen wir, nachdem ich einen
kurzen Bericht uͤber die Lage meines Prozeſſes
erſtattet, von der Zukunft, von meinem Gluͤck an
der Seite des holden Engels, der mich durch
ſeine Liebe zum reichſten Sterblichen erhob. Das
herrliche Stammſchloß meiner Ahnen, das mein
gewiſſenloſer Gegner mit aller gemaͤchlichen Ruhe
bewohnte, ſollte unſer Sommeraufenthalt werden;
Antonie durfte dabei niemals fehlen, und in dieſer
gemuͤthlichen Unterhaltung entſchwand der Abend
wie auf Fluͤgeln. Jeden Mittwoch regelmaͤßig
erſchien Marie, und brachte mir der Kuͤſſe ſuͤßeſte
mit keuſcher Liebe entgegen!
Einſt ſagte mir Antonie im Vertraun, es
ſchiene ihr, als ſei mir der Freiherr abermals
auf der Spur, ich moͤge alle moͤgliche Vorſicht
anwenden. Allein mir kam dies ſehr, unwahr¬
ſcheinlich vor, und ſorglos uͤberließ ich mich den
ſtillen, ſeligen Freuden meiner Liebe. Hatte ich
erſt mein Vermoͤgen wieder erworben, dann war
mir nicht mehr fuͤr meine Liebe bange, und der
Freiherr ſagte ja. An einem Herbſttage, es war
am 23ſten October, erſchien die erſehnte Stunde,
wo ich zu Antonie ging, um mich an Mariens
Troſt und Liebe zu erholen, denn Maibergs
Nachrichten hatten mich traurig gemacht, aber
mein Gluͤck ſollte gebrochen werden. Ich fand meine
Marie bereits im Garten; wir gingen Arm in
Arm durch die lauſchigen Gaͤnge, und ich theilte
ihr meine Ausſicht mit, vielleicht in ein Regiment
eintreten zu koͤnnen, das in dieſer Zeit organiſirt
wurde. Sie ſprach ihre Zufriedenheit daruͤber
aus, und war eben im Begriff nach meiner
Rechtsangelegenheit zu fragen, als Antonie ganz
erſchrocken und bleich heraneilte, und uns zuwinkte;
ich wollte fragen, was ihr zugeſtoßen ſei, da
vertrat mir ploͤtzlich der alte Freiherr v. Struen,
Mariens Vater, mit hoͤhniſcher und halb zorniger
Miene den Weg. Ich faßte mich ſchnell, und
wollte reden, allein er wendete mir den Ruͤcken, und
ſagte zu der beinahe ohnmaͤchtigen Marie, indem
er ſie ungeſtuͤm bei der Hand ergriff: „Ungera¬
thenes, entartetes Kind, muß ich Dich hier in
ſolch ſauberer Geſellſchaft, in den Armen eines
ehrvergeſſenen Verfuͤhrers aufſuchen?!“ „Herr!“
begann ich im hoͤchſten Grade beleidigt, „nur
der Zorn giebt Ihnen dies uͤbereilte Wort ein!
Wuͤßten Sie, wie treu ich Marien liebe, wie —“
„Mit Ihnen,“ unterbrach er mich ſchnell, „rede
ich kein Wort, und Sie werden ſo gut ſein, uns
zu verlaſſen. Ich verbitte daher alles Romanen¬
geſchwaͤtz!“
Marie war ihrer nicht maͤchtig, ſie ſank er¬
ſchoͤpft dem gereizten Vater in die Arme. Ich
ſtand ſtumm und wie vernichtet, ich hoͤrte nur
noch die Schmaͤhungen, die er gegen die arme
Antonie ausgoß, und entfernte mich auf einen
Wink der letztern.
Es vergingen drei, vier Tage, ich vermogte
keinen Entſchluß zu faſſen. Endlich ſchien es
mir rathſam, an den Freiherrn zu ſchreiben, ihm
meine Lage auseinander zu ſetzen, und um die
Hand ſeiner Tochter zu werben. Antonie war
nie im Hauſe anzutreffen, oder ſie verlaͤugnete
ſich; von ihr hatte ich keinen Rath zu erwarten,
und geſchehen mußte doch etwas. Ich ſetzte mich
nieder, und ſchrieb in demſelben Augenblicke, als
mir Maiberg meldete, das quaͤſtionirte Capital
von 80,000 Thalern in Golde ſei gewonnen, und
der Zahlungstermin feſtgeſetzt. Herzlicher, uͤber¬
redender konnte niemand ſchreiben, als ich es von
meiner Liebe begeiſtert gethan; wurde der Frei¬
herr hierdurch nicht bewegt, ſo war mir Marie
fuͤr immer verloren, Am Morgen ſandte ich den
Brief in des Freiherrn Hotel, und gegen Abend
empfing ich folgende Zeilen:
„Mon chere Lieutenant!
Es ſtand zu vermuthen, was Ihr Brief ent¬
halten wuͤrde, und ich wollte anfangs Bedenken
tragen, ihn zu erbrechen. Damit ich nicht fuͤr
unbillig gelte, gab ich nach, und habe ihre An¬
traͤge geleſen. Sie haben einen nicht unbedeutenden
Rechtshandel, je le sais; mais mon chere, ob
er zu Ihren Gunſten ausfaͤllt, bezweifelt jeder
Sachverſtaͤndige, denn Ihre Sache iſt critiſch, und
ungerecht; çela en passant. Aber Sie ſind
ohne Dienſt, und einem Bettler reicht mein Kind
ihre Hand nie. Dies auf den erſten Theil Ihres
Schreibens. Allein Sie ſind auch ferner refor¬
mirten Glaubens, meine Tochter dem catholiſchen
ergeben, und nur Glaubensverwandte duͤrfen es
wagen, ſich um meine Tochter zu bewerben, wonach
ſich zu richten. Behelligen Sie weder mich, noch
meine Tochter mit fernern unerwuͤnſchten Antraͤgen,
und ſuchen Sie vor allen Dingen wieder einen
Dienſt zu bekommen!
Ihr wohlaffectionirter
Boromaͤus, Freiherr von und zu Struen.“
Das ungluͤckliche Blatt flog in meiner Hand;
ich ſank erſtarrt nieder, und waͤhnte mich im
Arme irgend eines ſchrecklichen Traums. Aber
das Erwachen zum wirklichen Leben erinnerte
mich an die furchtbare Wahrheit deſſen, was ſich
begeben: ich hatte ſie verloren! — Antonie mogte
von meinem letzten Schritte gehoͤrt haben, ſie
verweigerte mir nicht mehr, mich zu ſehn, und
geſtand mir unter heißen Thraͤnen, daß Marie
fort ſei, niemand wiſſe wohin. Ich war wie
vernichtet, keines Entſchluſſes faͤhig, und ſchwankte
umher, wie ein Schatten. Ein dringender Brief
von Maiberg lud mich zu ihm ein; er machte
mir nebſt ſeiner Familie lebhafte Vorwuͤrfe, wes¬
halb ich gar nichts vor mir hoͤren und ſehn laſſe,
und beſtellte mir herzliche Gruͤße von ſeiner Tochter
Hannchen, welche auf vielleicht einige Jahre zu
einer Tante gereiſ't war. Das gute Kind hing
an mir mit ſchweſterlicher Innigkeit. „Aber mein
Himmel, was fehlt Ihnen?“ fragte mich Maiberg,
und zog mich beim Arme in ſein Arbeitszimmer,
„ſagen Sie, junger Freund, was iſt Ihnen
widerfahren? Ihr Prozeß ſteht trefflich, Sorgen
von dieſer Seite koͤnnen nicht vorhanden ſein,
und doch ſagt Ihre Miene, Ihre Leichenblaͤſſe,
daß hier etwas vorgefallen ſein muß?“ —
Maiberg war ja jetzt faſt mein einziger
Freund; ich erzaͤhlte ihm die ganze Geſchichte,
und fragte ihn um Rath.
„Hm, hm!“ brummte er vor ſich hin, „das
iſt eine kitzliche Sache. Aber Sie thun mir
herzlich leid. Ich weiß einen Weg, ich will ihn
verſuchen; wenn der nicht gluͤckt, ſo giebt es
keinen in der Welt weiter!“
„Und der waͤre?“ fragte ich neugierig und raſch.
„Ich wende mich an den Probſt Kirchheim,
vielleicht der einzige Freund des alten Struen,
der einigen Einfluß hat,“ ſagte Maiberg ſchnell.
„Kirchheim will mir wohl,“ erwiederte ich,
„aber ich zweifle nicht am Mißlingen dieſes
Planes!“ —
„Nun, nur Muth!“ ſprach Maiberg troͤſtend.
„Und wenn es fehl ſchlaͤgt, waͤhlen Sie eine
andere; bald gehoͤren Sie zu den reichſten
Maͤnnern des Landes, und ich wollte das Maͤdchen
ſehn, das bei Ihren uͤbrigen Eigenſchaften nicht
gleich zufaſſen wollte!“ — Ich fuhr nach der
Reſidenz zuruͤck. Nach vierzehn Tagen meldete
mir Maiberg, meine Vermuthung ſei eingetroffen,
und auch dieſer Plan fehlgeſchlagen. Der Lega¬
tionsrath war durch den Probſt, ſeinen Oheim,
von meiner Angelegenheit unterrichtet worden;
er eilte zu mir mit der Nachricht, daß Marie
wahrſcheinlich einem Grafen die Hand reichen
werde, der ſchon fruͤher um ſie geworben, der
aber die Reſidenz noch nicht wieder betreten.
Seinen Namen wiſſe er nicht, doch muͤſſe er
wahrſcheinlich Marien bereits im Hauſe ihres
muͤtterlichen Großvaters in N. kennen gelernt haben.
Die Reſidenz ekelte mich an; Maibergs
freundſchaftliches Anerbieten, zu ihm zu ziehn
auf ſein freundliches Landgut, ſchlug ich nicht
aus, und nahm mit warmen Thraͤnen von An¬
tonien und ihrer Mutter auf eine lange Zeit Ab¬
ſchied. Nach einem halben Jahre hoͤrte ich, daß
der ſtolze Freiherr, der allenthalben durch ſein
anmaßendes Weſen angeſtoßen, die Reſidenz ver¬
laſſen habe, weil er bei Hofe in Ungnade gefallen
ſei. Sechs Monat ſpaͤter erſchallte die Nachricht,
Marie ſei vermaͤhlt, doch herrſchten verſchiedene
Anſichten daruͤber, wer ihr Gemahl ſei. Daß
die Arme gezwungen war, bezweifelte ich nicht,
und ſuchte ein thaͤtiges Leben auf. Mein Prozeß
war nach Jahresfriſt gewonnen; aber ich konnte
mich in meinem Schmerze des Gutes nicht freun.
Ich nahm Kriegsdienſte; das Gluͤck begleitete
mich, und als die Friedenspalme wehte, kehrte
ich als Oberſt in meines Freundes Maiberg
Arme zuruͤck. Ich hatte ihm kurz vor meiner
Ankunft Nachricht gegeben, wann ich eintreffen
wuͤrde, und nun empfing mich die befreundete,
liebenswuͤrdige Familie mit der alten, bewaͤhrten
Herzlichkeit. An Hannchens Hand traten mir
die juͤngſten Kinder jubelnd entgegen, und brachten
mir den freundlichſten Willkommen. Hannchen,
hatten ſie die wenigen Jahre, welche ich ſie nicht
geſehn, ſo veraͤndert, war Mariens Bild in den
Hintergrund meines Herzens getreten, Hannchen
uͤberraſchte mich durch ihre herangebluͤhte Schoͤn¬
heit eben ſo ſehr, als durch die treu erhaltene
Anhaͤnglichkeit an mich, und mit einem Freuden¬
ſchrei flog ſie an mein Herz! —
Maiberg freute ſich meiner Zuneigung zu
ſeinem Kinde, das er ſo ſehr liebte. Ich mußte dem
gefuͤhlvollen Maͤdchen von Marie erzaͤhlen, von
meinem Schmerze, meinen zertruͤmmerten Hoff¬
nungen. Nur an der Seite eines ſo reinen
Engels, als Johanne, hatte die Ruͤckerinnerung
weniger Herbes; ſie ſtand meinem Herzen nah,
und ehe es ſich Maiberg verſah, warb ich um
ihre Hand. Maiberg war verwundert, uͤberraſcht,
aber mit Freuden ſegnete er einen Bund, den
unſere Herzen geſchloſſen. Meine Johanne be¬
reitete mir den Himmel auf Erden, ihre Engels¬
guͤte, ihre Reinheit waren nicht fuͤr dieſe Welt, wo
ſo viel Falſch iſt; darum riefen ſie auch die
Geiſter des Himmels in ihre beſſere Heimath.
Nur zwei Jahre lebte ich an der Seite meines
Hannchens, und Du kannteſt Deine Mutter kaum
mein Sohn.
Mehrere Jahre nach dem Tode der Unver¬
geßlichen beſuchte ich Carlsbad zur Herſtellung
meiner Geſundheit. Eines Abends durchſtreifte
ich die Promenade, die gerade ganz menſchenleer
zu ſein ſchien. Vor mir aber ging eine Dame
mit einem kleinen Maͤdchen, das einen Kranz ge¬
wunden hatte, der mit einem Male dem ſpielenden
Haͤndchen entfiel, und von den Wellen des nahen
Waſſers fortgeſchwemmt wurde. Ich fiſchte den
Blumenſchatz aus der feuchten Tiefe mit meinem
Stocke auf, und reichte ihn dem laͤchlenden Kinde
hin. Jetzt blickte ſich die Mutter deſſelben nach
mir um; Gott, es war Marie! Sprachlos ſtand
ich ihr gegenuͤber; ſie hatte auch mich wieder
erkannt, und mir ihre ſchoͤne Hand reichend, ſagte
ſie: „So finden wir uns wieder?“
Ich mußte ihr von meinem Leben Bericht
erſtatten; ſie freute ſich, daß ich an Hannchens
Seite gluͤcklich geweſen war, und theilte mir
kurz mit, daß ſie nach langen Überredungen endlich
dem Grafen von Blumenau ihre Hand gereicht,
beſonders da man ihr von mir erzaͤhlt, ich habe
ſie laͤngſt vergeſſen und ergoͤtze mich an meinen
errungenen Reichthuͤmern. Ihr Gemahl war
nicht mit im Bade, und taͤglich war ich in Ma¬
riens Geſellſchaft; die Zeit meiner Liebe lebte
vor mir auf, ein ſuͤßes Weh durchbebte mein
Herz, und ich ſah ein, daß es beſſer waͤre, der
Gefahr zu entfliehn, und alte Wunden nicht wie¬
der aufbrechen zu laſſen. Am Abende vor meiner
Trennung von Marien, ich wußte, daß ihr Gemahl
ſie ſchonend, liebevoll und edel behandelte, bekannte
ich ihr den herzlichen Wunſch, daß ihre Tochter
Albertine einſt die Gattin meines Sohnes werden
moͤge. Sie verſprach mir, wenn in einem
reifen Alter eine Neigung ihres Kindes die Aus¬
fuͤhrung dieſes Planes unterſtuͤtze, nur Dir, mein
Sohn, ihren muͤtterlichen Segen zu ertheilen.
Ich reiſ'te ab, und habe ſeit der Zeit Marien
nicht wieder geſehn. Ich vermied ein Zuſammen¬
treffen, weil ich des Grafen heftige Gemuͤthsart
und ſeine Eiferſucht durch einen Freund kannte,
der ſein Vertraun beſaß. Aber an Nachricht
fehlte es mir nie, eben ſo wenig an herzlichen
Gruͤßen von Marien.
Du weißt nun meinen letzten Wunſch; ich
fuͤhle, ich werde bald bei meinem Hannchen ſein;
aber Dich moͤgt' ich noch einmal an meine vaͤ¬
terliche Bruſt druͤcken. Drum eile, mein geliebter
Sohn, eile in meine Arme, daß Du den Seegen
Deines Vaters empfangeſt. —“
8.
Der Brief.
Blauenſtein war mit den Blaͤttern von der
Hand ſeines Vaters zu Ende. Die letzten Seiten
waren unleſerlich und mit weniger Zuſammen¬
hang geſchrieben, ſo daß man vermuthen konnte,
Koͤrperſchwaͤche haͤtte ihn abgehalten, mehr auszu¬
fuͤhren, als es gegen das Ende ſeiner Mitthei¬
lungen der Fall war. Wie ſonderbar, wie hoͤchſt
ſonderbar! rief Blauenſtein, den letzten Bogen
der Lebensgeſchichte ſeines Vaters in der zitternden
Hand haltend. Mußte ſich dies Alles zu einer
Zeit ſo geſtalten, wo ich ohne Hoffnung, nichts
als ein wundes Herz mit mir trage? — Es
ſcheint, als ruhe auf unſerm Hauſe ein Fluch;
denn des hoͤchſten Gluͤckes, ein theures, innigge¬
liebtes Weib zu beſitzen, ſoll ſich niemand von
uns erfreun! — Aber ohne ſie leben, ohne Tina
durchs Leben gehn, wie ſchaal, wie erbaͤrmlich
waͤre das! — Nein, das Schickſal kann ſo hart
nicht ſein, es hat ſeine Opfer empfangen, wenn
es ſie zu fordern berechtigt war. Aber Staunitz?
Er vermogte kein Licht zu gewinnen, und ver¬
langte doch ſo ſehnlich danach. Am rathſamſten
ſchien es ihm, nach langer Überlegung und Pruͤ¬
fung, Tina zu meiden, und wo moͤglich eine
Wunde zu heilen, die immer tiefer und gefaͤhrlicher
zu werden drohte. So vergingen einige Tage
im freudeleeren Hinbruͤten, als ploͤtzlich der Poſt¬
bote einen Brief von einer unbekannten Hand
brachte. Blauenſtein oͤffnete, und erſtaunte nicht
wenig, als er am Ende deſſelben den Namen
Staunitz las. Der Brief lautete folgendergeſtalt:
Blumenau im Febr. 18..
Muß ich Sie, mein verehrter Baron, an eine
Nachricht von ſich mahnen, die Sie uns Allen
ſeit Monden ſchuldig geworden ſind? Faſt
vermuthen wir, es moͤge ſich etwas ereignet haben,
was Ihnen ſchmerzlich ſein, was Sie fuͤr einige
Zeit der heitern Sphaͤre Ihres Lebens entziehn
muß. Meine Albertine fragt mich taͤglich mit
einer gewiſſen Beſorgniß, wie es komme, daß Sie
nichts von ſich hoͤren ließen. Sie kennen die
Ängſtlichkeit des ſchoͤnen Geſchlechts, beſonders
in einem ſolchen Falle, wie der gegenwaͤrtige;
der liebenswerthe Lebensretter meines kuͤnftigen
Schwiegervaters hat ſich zu ſehr unſere Anhaͤng¬
lichkeit erworben, als daß wir fuͤr ihn nicht beſorgt
ſein ſollten. Wie dem auch ſei; Sie kennen die
Veraͤnderlichkeit des Geſchicks; daher moͤgten
Sie auch in unſerm Kreiſe Manches veraͤndert
finden, und eine Nachricht uͤber Ihr Wohlbefinden,
am meiſten uͤber Ihren hoͤchſt angenehmen Be¬
ſuch waͤre fuͤr mich, uns Alle, hauptſaͤchlich fuͤr
jemand erwuͤnſcht, den Sie ſelbſt mit Ihrem ge¬
woͤhnlichen Scharfſinn errathen moͤgen. Meine
Braut weiß zwar nicht, daß ich ſchreibe, und ich
kann demnach keine Gruͤße von ihr bringen; aber
ſein Sie ihres herzlichen Wohlwollens gewiß.
Wie waͤre auch der freundliche, holdſelige Engel
einer Verſtellung faͤhig? Alſo nochmals, kommen
Sie bald hieher; begruͤßen Sie den Lenz mit
uns, oder ſchreiben Sie bald
Ihrem treuergebenen
Staunitz.“
11
Was war das nun wieder fuͤr eine ſonderbare
Nachricht, wie vieldeutig dieſer im ganzen ſo
ſchmeichelhafte Brief? — Was ſollte, was konnte
ſich in Blumenau veraͤndert haben? Wußte etwa
Staunitz oder Tina um das Teſtament, um den
innigen Wunſch des Verſtorbenen, und wollten
beide zu Gunſten Blauenſteins ſich entſagen? —
Aber nein, das war ja nicht moͤglich, weshalb
ſollte auch Staunitz der Comteſſe nur als ſeiner
Braut Erwaͤhnung thun, da er doch hatte frei
reden koͤnnen! — So viel hatten nun die geheim¬
nißvollen Zeilen bewirkt, daß Blauenſteins Plaͤne
im Betreff der Entſagung zerſchellten, das war
nicht zu laͤugnen. Den Brief mit Stillſchweigen
uͤbergehn, das waͤre unartig geweſen, jetzt gleich
nach Blumenau zu reiſen ging auch nicht, denn
noch war die ſchmerzliche Wunde, die ihm des
Vaters Tod geſchlagen, zu neu, ohnehin die Zeit
zum Reiſen hoͤchſt unguͤnſtig, und es blieb nichts
uͤbrig, als Staunitz ſogleich zu antworten.
Blauenſtein flog zum Pulte; er wollte die
Zeit nuͤtzen, und ſchrieb in ſeiner augenblicklichen
Aufregung, daß er durch den Verluſt ſeines Vaters
eine neue Wunde zu einer bereits geſchlagenen
erhalten, daß er unmoͤglich ſo bald wieder an
einen Ort zuruͤckkehren koͤnne, wo er des Lebens
hoͤchſte Seeligkeit, aber auch das ſchmerzlichſte
Wehe ſeiner Bruſt empfunden. Er faͤnde ſeinen
Troſt in ſtiller Entſagung, und ſo unausſprechlich
theuer ihm die Erinnerung an ſeinen Aufenthalt
im Hauſe des Grafen an der Seite der unver¬
geßlichen Albertine, ſo wie Staunitz freundſchaft¬
liches Wohlwollen ſein muͤſſe, ſo koͤnne er doch
nicht vergeſſen, daß das Gluͤck der Liebe fuͤr ihn
ſtets verloren ſei, u. ſ. w. Der Brief wurde ge¬
ſiegelt und nach der Poſt geſandt. —
Aber es war doch wohl zu viel geweſen, was
er geſagt; was mußte Staunitz von dieſer offen¬
baren Liebeserklaͤrung denken, denn weiter war
es eigentlich nichts, was die feine Albertine, wenn
ihr Staunitz, und das ſtand zu erwarten, den
ſaubern Brief zeigte! Es wurde Blauenſtein
ganz angſt um's Herz, es lief ihm bald ſiedend¬
heiß, bald eiſig kalt uͤber den Ruͤcken. Koſte es
auch, was es wolle, der Brief durfte nicht fort,
er mußte zuruͤckgebracht werden!
In der Verzweiflung lief er ſelbſt nach dem
Poſtamte; vor einer Stunde war eine Eſtaffette
abgegangen, und man hatte ſeinen Brief mit
beigelegt.
11*
Es blieb nichts uͤbrig, als ſich in die Sache
zu finden, und Blauenſtein hoffte auf einer Reiſe
nach ſeinen Guͤtern den Kummer und die ganze
aͤrgerliche Geſchichte zu vergeſſen. Der Maͤrz
war ungewoͤhnlich heiter und anmuthig; der
Secretair Blum redete zu, und Blauenſtein reiſ'te
ab. Aber konnte er ſich aus dem Sinne ſchlagen,
was ihm das Liebſte jetzt war auf dieſer Welt,
konnte er hineingreifen in das Herz, und Albertinens
laͤchlendes Liebesbild herausreißen? Sie war, ſie
blieb ſein einziger Gedanke; ihre Liebenswuͤrdig¬
keit war eben ſo wenig zu vergeſſen, wie Staunitz
raͤthſelhaftes Schreiben, und wollte er das ſeinige
verbeſſern, ſich uͤberhaupt in einem guͤnſtigern
Lichte zeigen, ſo blieb am Ende nichts uͤbrig,
als nach Blumenau zu reiſen. Er uͤberlegte hin
und her; die Adminiſtratoren ſeiner Guͤter, welche
dem jungen Herrn ihre Huldigung dargebracht,
wußten ſich in ſein Benehmen nicht zu finden,
und meinten, in ſeinem Kopfe muͤſſe es nicht
richtig ſein, aber zu einem Entſchluß zu kommen,
war ihm rein unmoͤglich. Allen veranſtalteten
Feſten wohnte er mit der groͤßten Zerſtreuung
bei, er wußte auf die wohlſtudirten Reden ſeiner
ihn empfangenden Prediger keine Sylbe zu ſagen,
weil er ihre kunſtreichen Worte gar nicht gehoͤrt;
vollends waren alle Eſſereien und Gaſtmaͤhler
ihm herzlich zuwider, und doch mußte das Alles
ertragen werden. In Bohlingen, dem Stamm¬
ſchloſſe ſeiner Familie, hatten ſich alle Beamte
und Diener verſammelt, um dem neuen Guts¬
herrn ihre Huldigungen darzubringen; der letztere
veranſtaltete demnach ein großes Diner, und
ſpaarte keine Koſten, um ſich bei ſeinen Leuten
in Liebe und Ehre zu erhalten. Aber ließ ihm
denn die ganze Zeit waͤhrend des Tiſches der
Gedanke an Tina Ruhe? — Er rang nach Licht,
nach Aufklaͤrung, er zerbrach ſich den Kopf, was
eigentlich Staunitz in ſeinem Briefe mit ſo
Manchem habe ſagen wollen, und dennoch war
kein Herauskommen! — Endlich war das Eſſen
zu Ende; man heftete theils beſorgte, theils
mitleidige Blicke auf den Spender ſo vieler Herr¬
lichkeiten, denn man hielt ihn fuͤr krank oder halb
verruͤckt; ein junger Pachter, der in den Contract
ſeines Vorgaͤngers eingetreten war, wagte kaum
das Inſtrument Blauenſtein zum Unterzeichnen
vorzulegen, bis ſich ſein Vater ein Herz nahm,
und dem Gutsherrn das Papier uͤberreichte.
Blauenſtein hatte kurz vorher ſchon uͤber die
Sache geredet; er nahm die Feder und tauchte
ein. Aber die Buchſtaben tanzten vor ſeinen
Augen wie ſchwaͤrmende Muͤcken, und mit
Schrecken gewahrte er, daß er ſtatt ſeines Namens
ſehr deutlich „Albertine“ unter den Contract
geſchrieben. — Nein, das ſollte, das mußte anders
werden; er durchſtrich den Namen mit einem
breiten Zuge, ſetzte den ſeinigen darunter, und
rief mir ſolcher Haſtigkeit nach ſeinen Pferden,
baß jedermaͤnniglich meinte, der Herr Baron
muͤſſe vom leibhaftigen Satan beſeſſen ſein.
Der Kammerdiener packte in aller Eile die
noͤthigſten Sachen zuſammen, und nach einer
halben Stunde ſaß der Ungeduldige in ſeinem
Reiſewagen. Der Mai hatte bereits ſein Reich
begonnen; die Waͤlder belaubten ſich mit neuem
Gruͤn, und zwitſchernde Voͤgel wiegten ſich auf
den duftigen Laubaͤſten. Wie anders war es
jetzt, gegen die Reiſe im verwichenen Spaͤtherbſt!
Der Unmuth wich aus Blauenſteins Herzen, ſein
Blick heiterte ſich auf und neue, erhebende Hoff¬
nungen ſchwellten ſeine Bruſt!
Die anhaltenden Regenguͤſſe hatten die Wege
ſchlecht und uneben gemacht; die Eile, mit welcher
Blauenſtein ſeinem Ziele entgegen flog, war dem
Wagen hoͤchſt nachtheilig, und in dem letzten
Staͤdtchen vor Blumenau brach die rechte Vor¬
deraxe. Es blieb daher nichts uͤbrig, als die
Herſtellung des Fuhrwerks im Wirthshauſe abzu¬
warten. Das einzige Gaſtzimmer der Kneipe,
denn ein Hotel war hier nicht einmal dem
Namen nach bekannt, hatte bereits ein Fremder
occupirt, den ein aͤhnliches Abentheuer hier feſt¬
gebannt. Er trat in demſelben Augenblicke
aus der Thuͤr der Stube, und Blauenſtein er¬
kannte den liebenswuͤrdigen franzoͤſirten Anton,
deſſen Bekanntſchaft er waͤhrend des Balles in
Blumenau gemacht.
„Eh bien bon jour wertheſter Baron!“
rief er grinſend Blauenſtein entgegen, und beehrte
ihn mit einer Umarmung. „Sans doute auf
einer Reiſe zu der aimablen Comteſſe Albertine?“
„Nein,“ erwiederte der Befragte, und bemuͤhte
ſich, gleichguͤltig auszuſehn, „ich reiſe in Ge¬
ſchaͤften!“
„So ſo!“ nahm der andere das Wort. „Ich
glaubte in der That, Sie reiſ'ten nach dem ro¬
mantiſchen Blumenau. Mais mon dieu! wie
ſchnell wird man in ſeinen Erwartungen getaͤuſcht;
ich habe vor wenigen Stunden erfahren, daß die
Comteſſe in der That nicht die treueſte Braut
ſein ſoll. Oft gehn laͤcherliche Geruͤchte herum,
aber hier iſt es Ernſt.“
„Wie ſo?“ fragte Blauenſtein beſtuͤrzt.
„Nun,“ fuhr der andere hoͤhniſch fort, und
lachte recht teufliſch in ſich hinein, „die Parthie
mit dem Staunitz hat ſich zerſchlagen, weil er
die Comteſſe auf Dingen ertappt hat, die ein
Braͤutigam ſich nicht gern gefallen laͤßt. Sie
haͤlt ſich in den Armen eines Andern ſchadlos,
und wenn ſie nicht bereits entfuͤhrt iſt, ſo wird
es naͤchſtens geſchehn! Aujourd'hui ce n'est
plus çela, et l'amour va cahin, caha!“
„Albertine entfuͤhrt?“ rief Blauenſtein er¬
ſchrocken aus. „Aber das iſt ja nicht moͤglich,
ein ſolcher Engel kann ſo nicht ſinken; das iſt
ſchaͤndliches Gewaͤſch irgend eines Neidiſchen.
Ich kenne die Comteſſe zwar nur ſeit kurzer
Zeit, aber ein edles Herz verbirgt ſich den
Blicken nicht!“
„Sie ſind alterirt, lieber Baron,“ ſagte An¬
toͤnchen ruhig; „aber es iſt ſo, und was den
Edelmuth ihres Herzens belangt, ſo muͤſſen Sie
bedenken, daß die aͤußere Schoͤnheit unſer Urtheil
leicht beſticht. Die Comteſſe hat feuriges Blut;
ich zweifle keineswegs an dem, was ich Ihnen
eben ſagte, und bedaure nur den Braͤutigam.
Denn das Gerede der Menſchen muß ihm hoͤchlich
zuwider ſein. Mais, pardonnez, ich brachte
vielleicht unwillkommene Bothſchaft, denn Sie
ſind ganz blaß. Reden wir von andern Dingen.“
„Woher haben Sie Ihre Nachrichten?“ fragte
Blauenſtein raſch.
„Wie geſagt,“ entgegnete Antoͤnchen freundlich,
„aus reiner Quelle.“
„Herr!“ rief Blauenſtein gereizt, und ahnete,
daß der ſchaͤndliche Verlaͤumder ſich vielleicht nur
einen niedrigen Scherz erlaube, „mich geht die
Comteſſe nichts an, aber ſind Ihre Geſchichten
eine Erfindung von Ihnen, ſo ſind Sie ein Kind
des Todes!“
Er wollte den erſchrockenen Narren beim
Kragen faſſen, aber Antoͤnchen ſprang mit fran¬
zoͤſiſchen Katzenſpruͤngen uͤber die Hausflur in
ſein Zimmer, und ſchloß hinter ſich in aller
Eile ab.
Blauenſtein ging ſelbſt nach der Schmiede,
um nach dem Wagen zu ſehn, denn es litt ihn
nicht mehr in der unausſtehlichen Naͤhe des ſchaͤnd¬
lichen Verlaͤumders. Konnte Tina wirklich, —
aber nein, das war ja niedertraͤchtige Erfindung
der laurenden Bosheit; ſie war beſtimmt rein,
ſchuldlos wie ein Engel der beſſern Welt. Aber
Gewißheit mußte er haben, und zwar ſo bald
wie moͤglich. — Der nothduͤrftig reparirte Wagen
fuhr vor, und in kurzer Zeit war Blumenau er¬
reicht. Blauenſtein ſtieg in der Naͤhe des Parks
aus, befahl ſeinen Leuten, langſam vorauf zu
fahren und ging in den Garten, der von tauſend
friſchen Bluͤthenkindern prangte und duftete. War
nicht im Garten, rechts vom Schloſſe jemand?
Beinahe eine Figur wie Tina; neben ihr ſaß
ein junger Mann, vielleicht Staunitz; nein, der
war es nicht. Himmel, wenn Antoͤnchen doch
recht gehabt haͤtte, denn Tina erhob ſich lachend
und ſchaͤkernd, Blauenſtein war unvermerkt naͤher
gekommen, und konnte es ganz deutlich ſehn,
klopfte dem Menſchen die Wangen und, — ja
wahrhaftig, und ſetzte ſich ihm auf den Schooß!
Nicht genug, ſie ſchlang den vollen Arm um
ſeinen Nacken, und druͤckte ihm einen Kuß
auf die ſchwellenden Lippen. Blauenſtein war es,
als fiele er herab vom Himmel in den Tartarus,
ſein Auge fuͤllte ſich unwillkuͤhrlich mit Thraͤnen.
Er ſuchte ſich zu faſſen und that einen Schritt
vorwaͤrts. Was ging es ihn auch an, daß die
Comteſſe ſich ſo ungemein vergaß, und mit einem
jungen Schaͤfer in der Laube liebelte und koſ'te,
ſie war ohnehin fuͤr ihn verloren, mogte ſie daher
ihre Ehre brandmarken, oder nicht, es mußte ihm
gleichguͤltig bleiben. Gleichguͤltig? wie Schuppen
fiel es ihm jetzt von den Augen, die veraͤnderten
Verhaͤltniſſe, von denen Staunitz in ſeinem Briefe
ſprach, hier hatte er ſie ja lebendig vor ſich!
Sie war mit Staunitz wegen einer neuen Lieb¬
ſchaft zerfallen, und dieſer hatte die loͤbliche Ab¬
ſicht, ihn, als Blauenſtein, von ſeiner Neigung
zu Tina zu heilen. Ja, ſo war es beſtimmt,
und Antoͤnchen hatte er zu viel gethan.
9.
Liebe und Irrthum.
Blauenſtein war im Begriff einen andern
Weg zum Schloſſe zu waͤhlen, um der verliebten
Comteſſe Albertine durch ſein ploͤtzliches Erſcheinen
eine Verlegenheit zu erſparen. Aber Tina machte
indem eine Bewegung des Kopfes nach der Seite,
wo Blauenſtein herkam, ſie erkannte ihn im
Augenblick, ſtieß einen kleinen Schrei des Schreckens
aus, ſie mogte ſich ihrer ſchweren Schuld bewußt
ſein, und kam ihm erroͤthend und mit zarter
Zuvorkommenheit, in der doch ſo viel Sitte lag,
entgegen. War denn ſeinem armen Herzen zum
Trotz das Maͤdchen in den wenigen Monaten noch
ſchoͤner geworden, hatte ihm die friſche, belebende
Mailuft den zarten Sammt der Wange noch lieb¬
licher uͤberpurpurt, dem ſchmachtenden Blicke des
Seelenauges noch innigern Reiz verliehn, Blauen¬
ſtein blieb vor ihr ſtehn, und ſtammelte irgend
eine Entſchuldigung muͤhſam hervor.
„Sie haben mich recht erſchreckt,“ erwiederte
Tina freundlich, „wenn uns ſchon Staunitz Ihren
Beſuch ankuͤndigte. Ich ſaß mit Bruder Emil
in der Laube, aber beſtimmt haben Sie uns von
Weitem — “
„Ihr Bruder, Fraͤulein?!“ rief Blauenſtein
in der hoͤchſten Überraſchung, und Tina fuͤhrte
den jungen, liebenswuͤrdigen Mann ihm entgegen.
Wie ungeheuer hatte er das Maͤdchen verkannt,
wie hatte er ſich verblenden laſſen von ſeiner
Hitze, wo er doch ſeiner Sache haͤtte gewiß ſein
ſollen. Kindiſch freute er ſich ſeines Irrthums,
und erwiederte des jungen Grafen Worte mit ver¬
bindender Freundlichkeit und Laune. Der letztere
war ſeit wenigen Tagen in das elterliche Haus
zuruͤckgekehrt; er liebte ſeine Schweſter mit inni¬
ger Zaͤrtlichkeit, und Tina erwiederte dieſe Liebe
in demſelben Grade. Die jungen Leute waren
noch nicht recht im Gange der Unterhaltung, als
Staunitz mit Vetter Heinrich aus dem Hauſe
trat, und den Gaſt mit lebhafter Freude umarmte.
Er mußte erzaͤhlen von ſeiner Reiſe, von dem
ploͤtzlichen Hintritt ſeines Vaters, bei deſſen Er¬
waͤhnung Blauenſtein unwillkuͤhrlich in ſeine alte
Melancholie verfiel. Staunitz druͤckte ſeine Hand
lebhaft, und fuͤhrte ihn dem alten Grafen ent¬
gegen, der ſo eben die Ankunft ſeines jungen
Freundes erfahren hatte. Jetzt erſt fiel es dem
letztern ſchwer auf's Herz, daß der Graf wohl
uͤber ſeinen ploͤtzlichen Beſuch, den eigentlich nur
eine Einladung von Seiten Blauenſteins ver¬
urſacht hatte, befremdet ſein muͤſſe. Aber der
alte Herr bewillkommnete ihn mit freundlicher
Herzlichkeit, und indem er ſein Beileid uͤber den
Tod des Generalmajors ſehr theilnehmend aus¬
ſprach, meinte er, die Zerſtreuung des Landlebens
werde ſeinen Schmerz mindern. Tante Letty
war gluͤcklicher Weiſe nicht in Blumenau gegen¬
waͤrtig, ein ziemlich heftiger Streit mit dem
Grafen, Tina betreffend, hatte ſie ſo erbittert, daß
ſie auf einige Zeit zu einer Verwandten gereiſ't
war, wo ſie ihrem gepreßten Herzen Luft machen
zu koͤnnen glaubte.
So ſehr ſich Blauenſtein ſeiner Anweſenheit
in Blumenau freute, denn er war ja in ihrer
Naͤhe, er athmete ja mit ihr eine Luft und durfte
in die blauen Seelenaugen des Himmelskindes
ſehn, die in zarter Liebesſehnſucht ſchwammen, er
fuͤhlte eine Bangigkeit, eine Angſt, die er ſich
nicht gern erklaͤren mogte. Seines Vaters lieb¬
ſter Wunſch war es geweſen, daß er ſie zu ſeiner
Gattin erwaͤhle, und nun war ſie einem andern
geworden, was ſie ihm haͤtte ſein ſollen, — nein,
es war nicht zu ertragen! — Staunitz ſah den
ſonderbaren Zuſtand Blauenſteins, er hatte es ſo
zu veranſtalten gewußt, daß beide auf einem
Zimmer wohnten, und als ſie nach dem Nacht¬
eſſen daſſelbe aufſuchten, um der Ruhe zu genie¬
ßen, fragte Staunitz: „Was fehlt Ihnen, mein
Freund? Soll, darf ich errathen, was in Ihnen
vorgeht?“
„Sie ſprachen.“ erwiederte Blauenſtein, und
wandte ſein erroͤthendes Geſicht ab, „Sie ſprachen
in Ihrem Briefe von Veraͤnderungen im Hauſe,
ich habe bis jetzt nicht bemerkt, worin dieſe be¬
ſtehn koͤnnten. Aber worin wollen Sie den
Grund meines Truͤbſinnes finden?“
„Nun, wir wollen uns nicht vor uns ſelbſt
verbergen,“ ſagte Staunitz, und ergriff Blauen¬
ſteins Hand; „ich ehre Ihr Zartgefuͤhl und
wuͤnſche Ihnen Gluͤck. Nicht wahr, ich hoffe,
Sie werden mir Ihr Herz nicht verſchließen, Sie
lieben Albertine?“
Blauenſtein gerieth uͤber dieſe kitzliche Frage
in Verlegenheit und wollte ausbiegen; aber Stau¬
nitz fuhr nur deſto dringender fort: „Sie thun
mir namenlos wehe, wenn Sie nicht aufrichtig
ſind; ich weiß, Sie fuͤrchten, mich mit einem
Geſtaͤndniß zu beleidigen, das ich wohl erwarten
darf; aber ſo wiſſen Sie denn, daß —“
„Ich begreife Sie nicht!“ rief Blauenſtein
verwundert aus. „Was kann Ihnen daran liegen,
die Geſtaͤndniſſe eines mit ſich ſelbſt halb Zer¬
fallenen zu vernehmen! Aber ich will offenherzig
gegen Sie ſein, mag daraus entſpringen, was da
will, ja, ich liebe Albertine mit aller Kraft meiner
Seele, aber ich habe Muth, dieſe Liebe zu be¬
kaͤmpfen, denn ich muß ihr ja entſagen! — Als
ich ſie ſah, da geſtaltete ſich mein Leben neu und
freudig, ich hatte ſie gefunden, ich ſchwelgte in
dem kurzen Gluͤcke der jungen Liebe. Da trat
mir das Schickſal hoͤhniſch entgegen, und foderte
das Opfer der Entſagung. Ich weiß, was ich
verliere, aber ich weiß auch, daß ich dieſes edlen
Herzens nicht werth bin! — Und nun, wenn Sie
mich lieben, wenn Sie mein Freund bleiben
wollen, nie, niemals hiervon ein Wort mehr,
oder es druͤckt mir das Herz ab! —“
„Sonderbarer Menſch,“ ſagte Staunitz und
ſah ihm in's feuchte Auge, „ſonderbarer Menſch,
Sie wollen, daß ich hieruͤber ſchweige? Nein,
das kann ich wegen Ihres eigenen Wohles nicht;
ich freue mich Ihrer Liebe zu Tina, denn ſie kann
nie die Meine werden!“
„Wie!“ rief Blauenſtein ganz uͤberraſcht, und
auf ſein gepreßtes Herz ſchien ſich das ganze
Rieſengebirge zuwaͤlzen. „Sie kann nie die
Ihre werden? Alſo haͤtte mich meine Ahnung
nicht getaͤuſcht, und jener verlaͤumderiſche Narr
haͤtte am Ende doch recht gehabt?“
„Welcher Narr kann Ihnen etwas von Tina
und mir geſagt haben?“ erwiederte Staunitz
ruhig. „Aber kehren Sie ſich an kein Geſchwaͤtz,
Tina iſt frei, wenden Sie ſich an ihr Herz, und
Ihre Wuͤnſche ſind der Erfuͤllung nahe. Weiter
mag und kann ich Ihnen fuͤr heute nichts mit¬
theilen; morgen mehr, ich fuͤhle mich ergriffen
und unwohl. Gute Nacht denn, und ſchoͤne
Traͤume!“
Noch ehe Blauenſtein eine neue Frage thun
konnte, oͤffnete jener die Thuͤre des Schlafcabi¬
netts und verſchwand. — Alſo, ja ſo war es ohne
allen Zweifel, Antoͤnchen hatte die Wahrheit
geſagt, wenn ſeine Bosheit auch vielleicht Manches
in einem grellen Lichte zeigte. Staunitz war der
Koquette muͤde, er zog ſeinen Kopf aus der
Schlinge und wollte ihm die verlaſſene Braut
aufſchwatzen. — Sollte wohl Staunitz das ver¬
moͤgen? — Aber warum hatte er ihn ſo langſam
auf das Alles vorbereitet, warum war er ſo
dringend? Und dann lag ja in ſeinem ploͤtzlichen
Übelbefinden, daß er ſich nicht ſchuldlos fuͤhlte,
daß er in Blauenſteins Gegenwart die innern
Vorwuͤrfe nicht mehr ertragen konnte. Nein,
dachte der letztere bei ſich, da irrt ſich der gute
Freund, ſeine geheimen Wege ſind noch zu er¬
kennen, ſeine Cabalen zu ergruͤnden. — Blauen¬
ſtein fuͤhlte ſich erſchoͤpft, er mogte nicht weiter
nachdenken, eine innere Stimme ſprach fuͤr Tinas
lautern Werth, und doch zeugten faſt alle Um¬
ſtaͤnde gegen ſie! Der Schlaf, er erquickt ja
mitleidig jeden Muͤden und jedes Gequaͤlten
Herz, der Schlaf ſenkte ſich auf ſeine Augen,
12
und verworrene Traͤume gaukelten vor ſeiner
Seele.
Am andern Morgen, er war hell und ungetruͤbt,
durchzog Oncle Heinrich nach ſeiner gewohnten
Weiſe den Park, ſchaute immerwaͤhrend nach dem
Zimmer der jungen Maͤnner, und rief, als dies
nichts fruchtete, Blauenſteins Namen. Der letztere
war fruͤh erwacht; er fuͤhlte ſich wohl und heiter,
die Sorgen hatte der ſuͤße Schlaf verſcheucht, und
er folgte auf Heinrichs Ruf in den duftenden
Garten. Tauſend junge Bluͤthen neigten ihr
Haupt dem erquickenden Strahle der Fruͤhſonne
entgegen, und glaͤnzten in den Perlen des Thaus,
der ſich wie Diamanten im Lichte ſpiegelte, und
er haͤtte einer Grille, denn war es die nicht
eigentlich, da er uͤber Tinas Verhaͤltniſſe ſo viel
als nichts mit Beſtimmtheit wußte, er haͤtte dieſer
Grille zum Opfer werden ſollen? —
„Sagen Sie, Freund,“ hob Oncle Heinrich
an, als beide mit einander die Lindenallee erreicht
hatten, in der ſich eine Schaar zwitſchernder,
lebensheiterer Voͤgel herumjagten, „ſagen Sie,
iſt Ihnen nichts Neues bei uns aufgefallen?
Oder hat Vetter Staunitz ſeinem Herzen ſchon
Luft gemacht, und Ihnen erzaͤhlt?“
„Allerdings hat er mir geſagt,“ entgegnete
Blauenſtein, „daß er Albertinens Hand ent¬
ſagt habe.“
„Entſagt?“ rief Heinrich lachend, „Nun ja,
eine charmante Art der Entſagung, der ich mir
jeden Falls auch nicht zum Kummer werden ließe!
— Aber den Grund hat er noch verſchwiegen,
nicht wahr?“
„Ich geſtehe,“ erwiederte Blauenſtein in eini¬
ger Verlegenheit, „ich geſtehe, daß ich den Grund
noch nicht erfuhr, daß — — daß mir vor ihm
bangte. Denn was kann Staunitz abhalten,
dieſem edlen Maͤdchen ſeine Hand zu reichen?“
„Pots Schweden und die Propheten,“ platzte
Heinrich hervor, „was bilden Sie ſich ein? Nein,
mein liebes Blauenſteinchen, ſein Sie außer
Sorgen, dieſer Grund iſt ſehr triftig und wirft
auf unſer Tinchen kein ſchlechtes Licht. Denn,
hoͤren Sie und ſtaunen Sie, Vetter Staunitz,
noch kaum nach unſerm Defuͤrhalten Tinchens
Verlobter, iſt ſeit einem Jahre hoͤchſt gluͤcklich
verheirathet!“
„Verhei — rathet?“ fragte Blauenſtein, und
12 *
das Wort blieb ihm vor Erſtaunen beinahe im
Munde ſtecken. „Nein, das habe ich mir auch
im Traume noch nicht beikommen laſſen. Aber
Comteſſe Albertine?“
„Nun,“ ſagte Heinrich ſchmunzelnd, „Die
iſt wohl und munter wie ein Fiſchchen; ſie hat
laͤngſt darum gewußt, und mir iſt die Sache auch
ſo recht. Denn mir wollen die Heirathen unter
nahen Verwandten einmal nicht gefallen, und
dann liebten ſich auch die jungen Leute nicht wie
Braͤutigam und Braut, ſondern wie alte gute
Freunde. Aber wie eigentlich ſeine verdammte
Heirathsgeſchichte zuſammenhaͤngt, will er mir
nicht eher mittheilen, als bis ich meinen Schwa¬
ger in Kenntniß geſetzt habe, denn der weiß noch
kein Wort, und wird ſich verflucht wundern.
Wir ſollen dann auch ſeine Frau kennen lernen,
er ſpricht von ihr, wie von einer Heiligen, und
Tina meinte, ſie haͤtte ein kleines Bildchen von
ihr geſehn, das gliche der alten mediciniſchen
Venus, wie wir das Ding oben im Vorſaale
immer nennen, gerade auf's Daus. Aber ich
haͤtte es dem Blitzdinge gar nicht angeſehn, ſo
geſchickt nahm es ſich, wenn mir ſchon die Sache,
ehe ich den wahren Zuſammenhang erfuhr, manchen
Kummer gemacht hat!“
Blauenſtein ging jetzt die Sonne der Liebe
von Neuem auf, er fuͤhlte ſich frei von der
Laſt des ſchwarzen Verdachtes, und verwuͤnſchte
Antoͤnchen in die Hoͤlle der Unterwelt; denn
ſolche Stunden wie geſtern hatte er noch nicht
erlebt. Jetzt zog es ihn maͤchtig zu Tina, er
zweifelte nicht, — aber halt, wenn ſie nun ſtatt
ja, nein ſagte, wenn ſie bereits — aber behuͤte,
ſie hatte es ihm ja ganz unzweideutig bewieſen,
wie ſie ihn ehrte, wie zart die Lie— Liebe? —
nun, von der war freilich noch nicht die Rede
geweſen, aber das mußte, das ſollte ſich finden.
„Was Teufel,“ unterbrach endlich Oncle
Heinrich den Seeligen in ſeinen Liebestraͤumen,
„was haben Sie eigentlich vor, Freundchen? Ich
frage hundertmal, ob ſie unſer Tinchen heute
Morgen ſchon geſehn haben, ob ſie ihr etwa ein
Viſittchen machen wollten —“
„Wo iſt die Comteſſe?“ fragte Blauenſtein
haſtig und gluͤhend auf den Wangen.
„Nun, nun,“ entgegnete Heinrich heimlich
lachend, „ſie laͤuft uns nicht fort. Gelt, Blauen¬
ſteinchen, Ihr habt ihr auch zu tief in die Ver¬
gißmeinnichtaugen geſehn? — Aber fuͤr Ihre Gluth
wuͤßte ich Rath; es iſt zwar erſt etwas uͤber acht
Uhr, aber unſer Tinchen weiſ't uns von ihrer
Thuͤre nicht ab; kommen Sie!“
„Alſo wollen ſie mich zu ihr fuͤhren, ſo darf
ich ihr ſagen, wie unendlich ich ſie liebe?“
„Immer hin!“ ſagte Heinrich, und klopfte
von Außen an Tinas Zimmer. Sie ſteckte
ſelbſt das Engelkoͤpfchen heraus, ward gluͤhend
roth, als ſie Blauenſtein gewahrte, und ſah es
vielleicht herzlich gern, daß Oncle Heinrich dies¬
mal ſo gut war, und ſich zuruͤckzog. Blauenſtein
trat in das kleine Heiligthum des ſuͤßen Maͤd¬
chens, das in braͤutlicher Verwirrung ihr Auge
nicht zu ihm zu erheben vermogte; er ergriff ihre
weiche Flaumenhand, und ſah in das blaue,
ſchmachtende Auge. Die Harpune ſaß, Freund
Amor war ſein Verbuͤndeter geweſen, und dies
vielbedeutende Schweigen unterbrechend hob er
an: „Albertine, theures, heiliggeliebtes Maͤdchen,
der Gott der Liebe ſelbſt fuͤhrt Sie in meine
Arme! Darf ich hoffen, da Ihr Herz frei iſt,
darf ich dem Gedanken Raum geben, Sie mein
zu nennen? — O ſprich, ſuͤßes Maͤdchen, laß
mich nicht vergehn in dieſer Angſt!“
Tina ſah mit einem halben Viertelsblick zu
ihm auf, ſie druͤckte ihn mit ſanfter Gewalt ein
wenig von ſich ab, zog ihn wieder naͤher, und
ihr Koͤpfchen ihm in ſuͤßer Hingebung entgegen¬
neigend, vereinigten ſich die Lippen beider Lie¬
benden zu einem langen, ſeelenvollen Kuſſe, der
den Bund der treueſten Herzen beſiegelte!
Nun war auch aller Zwang entfernt, Tina
war nicht die Comteſſe von Blumenau, ſie war
das unbefangene, taͤndelnde Kind der Natur, und
im ſuͤßen Koſen flog ihr die Zeit an der Seite
des heiß Geliebten pfeilſchnell hinweg. Sie erwie¬
derte das trauliche Du, ſie ließ es geſchehn, daß
ſie Blauenſtein auf ſeinem Knie wiegte, und ver¬
galt ſeine ſtuͤrmiſche Zaͤrtlichkeit mit hundert Kuͤſſen
der keuſcheſten Liebe. Von ſolcher zarten Hin¬
gebung, ſolch kindlicher, ſuͤßen Vertraulichkeit haben
die erbaͤrmlichen Menſchen unſerer vornehmen
Welt keine Ahnung, keinen Begriff. Aber wer
ſie kennen lernen will die Seligkeit der erſten,
warmen Liebe reiner, unbefangener Herzen, der
ſuche ſich eine Tina!
Nun ging es an ein Fragen und Erzaͤhlen,
daß Tina ſelbſt laut auflachen mußte, wie ſich
das Alles ſo ſchnell gemacht habe. Sie zupfte
den Geliebten ſchelmiſch und ſchaͤckernd am krau¬
ſen Backenbaͤrtchen, ſprang lachend fort, wenn er
ſich durch einen Kuß auf das noch gar zu kitz¬
liche Ohrlaͤppchen revangiren wollte, und kehrte
nur unter vortheilhaften Capitulationen zuͤruͤck.
„Aber,“ begann ſie auf einmal und ihr laͤchlendes
Schelmengeſichtchen wurde ganz ernſt, „aber der
Vater darf noch nichts von unſerer Liebe wiſſen,
mein theurer Freund. Oncle Heinrich bereitet
ihn ein wenig vor, und dann fuͤhrt ihm Staunitz
ſeine Frau ſelbſt entgegen. Hat er Dir ſchon
von ihr erzaͤhlt?“
„Noch kein Wort weiß ich von ihm,“ erwie¬
derte Blauenſtein, und er wurde unwillkuͤhrlich
ernſt. Aber Oncle Heinrich hat mir von ſeiner
Verheirathung geſagt; das Naͤhere wird er uns
noch erzaͤhlen, nicht wahr?“
„Ja,“ erwiederte Tina, „und ich hoffe, das
wird bald geſchehn. Aber Du biſt mit einem¬
male ſo ernſt, mein Auguſt, Deine Augen ſchwim¬
men in Thraͤnen —; was fehlt Dir? —“
„Ich gedachte Deiner Mutter!“ ſagte Blauen¬
ſtein, und preßte Tinas Hand an ſein hochſchla¬
gendes Herz. „Noch weißt Du es nicht, daß ſie
die Jugendgeliebte meines unvergeßlichen Vaters
war, daß, als das harte Geſchick der Liebenden
Bund entzweit, Du mir zum Weibe beſtimmt
wurdeſt. Haſt Du nie hiervon etwas erfahren?“
„Mein Muͤtterchen Deines Vaters Geliebte?“
fragte Tina voller Verwunderung. Ja, jetzt geht
mir ein Licht auf! Ich war noch ein Kind, da
begleitete ich meine Mutter in's Bad, und es
begegnete uns ein ſchoͤner Mann, der mir Blumen
ſchenkte, und meine Mutter war betroffen bei
ſeinem Anblick. Sie redeten viel mit einander,
und der freundliche Mann nahm mich auf ſeinen
Schooß, und hatte mich ſehr lieb. Sollte das
Dein Vater geweſen ſein?“
„Er war es!“ erwiederte Blauenſtein voll
Ruͤhrung.
„Aber,“ fuhr Tina fort, „er reiſ'te ploͤtzlich
ab, meine Mutter weinte viel, und ſchrieb immer
in ein Buch ihre Gedanken nieder, das ich noch
jetzt habe.“
„Mein Vater hat mir die Geſchichte ſeiner
Jugendliebe ſchriftlich hinterlaſſen,“ nahm Blauen¬
ſtein das Wort; „ich habe ſie mit mir genom¬
men, und Du magſt ſie ſelbſt leſen, meine Tina.
Jetzt ſage mir, mein heilig geliebtes Maͤdchen,
wo liegt die Huͤlle Deiner Mutter begraben?
Ich moͤgte an ihrem Grabe ſie um ihren Segen
bitten, ſie ſoll unſerm Bunde die Weihe geben!“
„Haſt Du am See die Roſenlaube noch nicht
bemerkt?“ fragte Tina, und eine Thraͤne draͤngte
ſich unter den ſeidenen Wimpern hervor. „Da
iſt ihre Ruheſtaͤtte. Sie mogte nicht in unſer
Erbbegraͤbniß, und noch geſtern habe ich einen
Roſenſtock ſelbſt dorthin gepflanzt, wo mein
Muͤtterchen ſchlummert.“
Oncle Heinrich klopfte jetzt an die Thuͤre,
ſteckte den Kopf neugierig herein, und fragte mit
ſo drolliger Betonung, ob Alles richtig und abge¬
macht ſei, daß das ernſte Paar in lautes Lachen
ausbrach, und Blauenſtein auf Tinas Bitten
unter feurigen Kuͤſſen Abſchied auf einige Stun¬
den von ihr nahm.
Heinrich zog ihn hinaus in's Freie, jauchzte
vor innerer Freude laut auf und ſagte:
„Lieber, engliſcher Freund, Dir vor allen goͤnne
ich unſer Tinchen von ganzer Seele, und eine
Hochzeit wollen wir feiern, die ſich gewaſchen
haben ſoll. Mein Schwager iſt vor einer halben
Stunde nach Friedlingen gefahren, er bittet des¬
halb um Entſchuldigung, aber ich hoffe, das wird
nichts weiter ſchaden; wenn er zuruͤck kommt,
und leicht kann der Abend herankommen, alſo,
was ich ſagen wollte, die Freude hat mich ganz
verwirrt gemacht, wenn er zuruͤckkommt, ruͤhre
ich ihm die Heirathsgeſchichte mit dem Staunitz
wie ein Puͤlverchen ein, er darf nicht mucken,
und wenn ich mir mit ihm nach Tiſche einen
Haarbeutel getrunken habe, dann kommt unſer
Blauenſteinchen, und bittet um ſein Jawort!
Daß er es nicht verweigert, darauf wette ich
meinen alten Kopf, und dann ſoll es ein Leben
werden wie im Himmel!“
Nach dieſen Worten umarmte er den rein
verklaͤrten Blauenſtein mit ſolch einem Feuer, daß
dieſer ſchier vermeinte, er ſolle aus ſeiner Haut
fahren, was doch unter den jetzigen Umſtaͤnden
ein wenig zu fruͤh geweſen waͤre. Sie gingen
auf die duftige Weinlaube zu, aus der jetzt Emil
mit Staunitz heraustrat, und beide junge Maͤnner
umarmten ebenfalls gluͤckwuͤnſchend und froͤhlich
weinend den ergluͤhten Blauenſtein, der ſich in
ſein errungenes Gluͤck gar nicht zu finden wußte.
„Aber zum Teufel,“ begann Heinrich, und ſah
Staunitz ſcharf an, „ich ſehe Thraͤnen in Euren
Augen, lieber Vetter; was ſoll das heißen?“
„Sie gelten der herzlichen Freude uͤber Tinas
Gluͤck,“ ſagte Staunitz geruͤhrt. „Es iſt mir
dies ein wichtiger Tag, er hat mir eine Nachricht
gebracht, die ich nicht genug ſchaͤtzen kann. Die
Stunde iſt gekommen, wo Ihr alle, meine Lieben,
die noͤthige Aufklaͤrung erhalten ſollt; ich hoffe,
ich werde bald vor Euch gerechtfertigt daſtehn,
da ich es weiß, daß mir meine geliebte Albertine
verziehen. Meine Erzaͤhlung iſt nicht allzu kurz;
ſchlagen ſie uns einen Ort vor, Vetter Heinrich,
wo ich ungeſtoͤhrt erzaͤhlen kann!“
„I, da waͤre ja wohl kein Plaͤtzchen im gan¬
zen Hauſe ſchicklicher, als der Gartenſallon,“ ſagte
dieſer. „Allein ich ſchlage vor, daß wir ſaͤmmtlich
erſt ein Fruͤhſtuͤck, oder das Mittagsmahl einneh¬
men, denn mit hungriger Seele hoͤrt man nicht
gern dergleichen vortragen, ohnehin iſt es ſchon
ziemlich ſpaͤt, und in einigen Stunden laͤßt ſich
gar Manches erzaͤhlen!“ —
Die jungen Maͤnner waren dieſen Vorſchlag
zufrieden. Tina machte an Blauenſteins Seite
die Wirthin mit ſo unnachahmlicher Grazie und
Zierlichkeit, daß er ihr ſeine hoͤchſte Zufriedenheit
durch einige, faſt zu oft wiederholte Umarmungen
und mit feurigen Kuͤſſen inniger Liebe an den
Tag legte; denn Oncle Heinrich und Bruder
Emil meinten, wenn das ſo fortgehe, ſo muͤßten
ſie gegenſeitig, ſammt und ſonders den Tiſch ohne
gehoͤrige Speiſe und Trank verlaſſen. Emil ſchlug
daher vor, man ſolle Herrn Sander, den Ober¬
verwalter rufen, der vermoͤge ſeiner geiſtreichen,
oͤconomiſchen Unterhaltung die alte Ordnung leicht
herſtellen koͤnne; aber Staunitz wußte ein weit
einfacheres Mittelchen, und ſetzte ſich ohne weitere
Umſtaͤnde zwiſchen das darob faſt zuͤrnende Paar,
das jetzt auf nichts, als vielſagende Blicke beſchraͤnkt
blieb. Tina ſchmollte ein wenig, denn ſie hatte
wohlweislich den Tiſch nur fuͤr die Familie und
Gaͤſte eingerichtet, damit die Verwalter, welche
ihr Vater auf Heinrichs Empfehlung immer um
ſich hatte, nicht Zeuge ihrer Unterhaltung ſein
ſollten, und nun war ihr Plan geſcheitert! —
Blauenſtein vermogte kaum einen Biſſen der
delicaten Speiſen zu genießen, ſo voll des ſuͤßen
Liebesgluͤcks war er, und ſah mit Verwunderung
dem Schnelleſſer Emil zu, der ſich um das ganze
Treiben weiter nicht kuͤmmerte.
„Sagen Sie,“ brach endlich Staunitz das
eingetretene Schweigen, und wendete ſich an
Blauenſtein, „ſagen Sie, lieber Baron, Sie konn¬
ten wohl aus meinem Briefe gar nicht klug wer¬
den, da er Ihnen in der That ſehr zweideutig
klingen mußte. Aber ich hatte eine ſehr weiſe
Abſicht, einmal, um Sie ein ganz klein wenig
zu quaͤlen, aber dann beſonders, um Sie recht
zu uͤberraſchen, wenn ſich Ihr Irrthum auf eine
freundliche Weiſe aufgeloͤſ't!“
„Dieſen Zweck haben Sie vollkommen erreicht,“
ſagte Blauenſtein, und reichte der braͤutlichen
Tina an Staunitz weg ſeine Hand, ſo daß der
letztere meinte, dergleichen Contrebande koͤnnen
nicht mehr ſtatuirt werden, „und wenn ich der¬
maleinſt meine Jugendgeſchichte niederſchreiben
ſollte, ſo nenne ich dieſen Abſchnitt meines Lebens
auf jeden Fall Liebe und Irrthum, oder Irr¬
thum und Liebe, was wohl auf Eins heraus¬
kommen wird!“
„Bravo!“ rief Emil, und hob ſein Kelchglas
hoch empor. „Dieſer Einfall iſt vortrefflich, und
verdient einen tumultuariſchen Kelchklang. Daher
angeſtoßen, Herr Schwager in spe, und Du,
Meine ſuͤße Schweſter!“
„Ei, ei, wie zaͤrtlich, lieber Bruder,“ ſagte
Tina. „Aber fuͤr dieſen feierlichen Tag iſt denn
doch dieſer Glaͤſerlaͤrm zu arg. Wir wollen die
Tafel aufheben, und ich hoffe, Vetter Staunitz,
mein nunmehr mir aus ſchnoͤde Weiſe ungetreu
gewordener Braͤutigam, wird ſeine intereſſanten
Mittheilungen bald beginnen, da es nun Zeit iſt.“
Die froͤhliche Geſellſchaft brach auf das Sig¬
nal der liebenswuͤrdigen Wirthin nach dem Gar¬
tenſallon auf, wo bereits eine dampfende Kaffee¬
maſchine aromatiſche Duͤfte verbreitete, und deſſen
ganze innere Anordnung zu einem traulichen Ge¬
ſpraͤch einlud, Oncle Heinrich ließ ſich von Mar¬
tin ſeine groͤßeſte Meerſchaumpfeife laden, denn
er waͤhlte ſich noch einen Zeitvertreib, weil er
dergleichen Geſchichten immer zu lang fand, um
ohne Beſchaͤftigung dabei ſitzen zu koͤnnen, ſchluͤrfte
behaglich einen Becher Kaffee, den ihm ſein Tin¬
chen credenzt, und ſagte zu Staunitz, er koͤnne
ſeine heilloſe Geſchichte immerhin anfangen, denn
es moͤgten wohl zweidrittel Luͤgen darin ſein, da
man ihm nicht mehr recht trauen duͤrfe.
10.
Der Kloſterbeſuch.
„Es bedarf kaum der Erwaͤhnung,“ hob
Staunitz an, und warf einen freundlichen Blick
auf Tina, welche ihm zufrieden und heiter zu¬
laͤchelte, „es bedarf kaum der Erwaͤhnung, daß
ich vor meiner Reiſe mit unſerer liebenswuͤrdigen
Wirthin gewiſſermaßen verlobt, und daß dies der
gegenſeitige Wunſch der Verwandten war, welche
ſich fuͤr uns intereſſirten. Wir dachten kaum
daran, uns unſer Treuwort zu geben, denn bruͤ¬
derliche Neigung feſſelte mich, den Elternloſen, an
Tinas weiches Herz. Der Tag der Abreiſe kam;
ich hatte ihr gelobt, oft und viel zu ſchreiben,
und ſie wird verſichern koͤnnen, daß ich nicht
ſchreibefaul war.“
„Aha!“ fiel Blauenſtein Staunitz in die Rede.
„Als ich im vergangenen Herbſt ſo gluͤcklich war,
in Blumenau zu ſein, und mich die innere Liebes¬
unruhe nicht ſchlafen ließ, bemerkte ich, daß unſere
liebe Tina in einer Menge Papieren herum ſuchte;
mir fiel dies auf, daß man ſogar in der Nacht
ſich mit ſolcher Lectuͤre beſchaͤftigen koͤnne. Waren
dies etwa ein Dutzend der erwaͤhnten Briefe, und
warum hatte meine ſuͤße Albertine Thraͤnen
im Auge?“
„Alſo haſt Du mich damals bereits belauſcht?“
fragte Tina verwundert, und bediente ſich ſchuͤchtern
in der Geſellſchaft der Maͤnner des traulichen Du.
„Das iſt doch zu arg. Und ich muß glauben,
Deine Augen ſind mit irgend einem Tubus be¬
waffnet geweſen, denn auf eine ſolche Weite
Thraͤnen ſehn zu wollen, iſt mir ſonſt unbegreiflich.
Doch weshalb ſie vergoſſen wurden, magſt Du
ſelbſt errathen, mein Freund! — Aber nun unter¬
breche auch niemand unſern guten Vetter mehr!
Blauenſtein beruͤhrte mit ſeinem kuͤſſeluſtigen
Munde Tinas empfindliches Ohrlaͤppchen, daß ſie
leicht aufſchrie und mit dem niedlichen Zeigefinger
drohte. Emil ſtellte die Ruhe wieder her, und
Staunitz fuhr fort:
„Zu meinem Reiſegefaͤhrten hatte ich mir
meinen academiſchen Genoſſen, den Sohn unſeres
Nachbars, des Forſtinſpector Kluge erwaͤhlt, der —“
„Donnerwetter, da geht mir ein Licht auf,
13
eine wahre Fackel eigentlich!“ rief Oncle Heinrich,
und wollte weiter reden; aber Tina hielt mit
ihrem Flaumenpatſchchen dem Oncle den Mund
ſo feſt zu, daß er gezwungen war, eine Menge
Tabacksdampf den Weg durch die Naſe gehn zu
laſſen, ſo daß ihm reichliche Thraͤnen aus den
Augen quollen. Die Geſellſchaft ſchlug ein lautes
Gelaͤchter an, und Staunitz nahm hierauf den
Faden ſeiner Geſchichte wieder auf:
„Alſo der gemuͤthliche, talentvolle Kluge war
mein Reiſegefaͤhrte. Wir durchzogen die Nieder¬
lande, den ſchoͤnſten Theil Frankreichs, uͤberſtiegen
das colloſſale Juragebirge, ſuchten die erhabene
Schweiz heim, und wanderten ſodann nach dem
herrlichen Auſonien. Bekanntlich ein alter Name Italiens. Vir¬
gils Aeneide.
“
„Meine Abſicht,“ fuhr Staunitz nach einem
kleinen Ruhepuncte fort, „meine Abſicht iſt nicht,
eine Reiſebeſchreibung zu geben, daher uͤbergehe
ich meinen Aufenthalt in Italien, wie einſt, wo
ich als Soldat die ſchoͤnſten Provinzen mancher
Laͤnder mit unangenehmer Geſchwindigkeit durch¬
eilen mußte, und will nur noch bemerken, daß
ich, durch die herrlichſten Kunſtwerke begeiſtert,
meine Lieblingsbeſchaͤftigung, die Malerkunſt,
tapfer uͤbte, und daß mich mein wackerer Reiſe¬
gefaͤhrte, der ſich auf dieſe Kunſt verſteht, wie ein
Meiſter, in meinem loͤblichen Vorhaben ſehr unter¬
ſtuͤtzte. Wie ſehr dies angenehme Studium uns,
und hauptſaͤchlich mir, nutzte, wird ſich bald er¬
geben. In dem prachtvollen Rom waren wir
bereits einige Monden geweſen, und im Begriff,
durch die edle porta del popolo wieder abzu¬
reiſen, als ich einen Beſuch einer jungen, liebens¬
wuͤrdigen Deutſchen erhielt, welche durch unſern
Wirth erfahren, wer wir waͤren, und daß wir
nach Deutſchland zuruͤckreiſen wollten. Sie er¬
zaͤhlte mir, daß ſie Deutſchland ploͤtzlich an der
Hand ihres Gemahls verlaſſen, der in Handels¬
angelegenheiten nach Italien gemußt, daß ſie von
ihrer lieben Freundin Adeline von Roſen in B.
wegen der Eile ihres jungen Gemahls nicht ein¬
mal habe Abſchied nehmen koͤnnen, und ihr ſei
doch ſo viel daran gelegen, von ihr Nachricht zu
erhalten, beſonders, da ſie waͤhrend der Reiſe
gehoͤrt, es ſei im Betreff ihrer Freundin etwas
Unangenehmes vorgefallen. Auf meiner Ruͤckreiſe
nach Deutſchland werde ich wohl B. beruͤhren,
und von einem Landsmanne ließe ſich eine
puͤnctliche Beſtellung ſchon erwarten, denn mit
13 *
der Poſt wolle kein Brief an ſeine Adreſſe ge¬
langen. — Und waͤre unſer Plan in der That
auch nicht auf B. gerichtet geweſen, ich haͤtte
ſchon wegen der liebreizenden jungen Frau dahin
reiſen muͤſſen; aber es traf ſich ganz vortrefflich,
denn mein Freund Kluge hat dort einen Ver¬
wandten, den er zu beſuchen ſich laͤngſt vorge¬
nommen hatte; ſo nahm ich denn den Brief
auch ohne Weiteres an, und meine holde Lands¬
maͤnnin verabſchiedete ſich mit ihrem jungen
Gatten, der uns eine Zeit lang mit ſchelen
Blicken angeſehn hatte.
Nach einigen Anſtrengungen war B. endlich
erreicht, und ich zog uͤber den Aufenthalt, der mir
natuͤrlich gaͤnzlich unbekannten Adeline v. Roſen
Erkundigungen ein. Zufaͤllig kannte unſere
Wirthin, die erſte, an welche ich mich in dieſer
Beziehung wandte, die Dame recht gut, meinte
aber, daß ich den Brief nicht leicht werde abge¬
ben koͤnnen, indem die arme Adeline jetzt im
Urſulinerkloſter ihr Probejahr beſtehe. Weshalb
das ſchoͤne, liebe Kind, fuhr meine weichherzige
Berichterſtatterin fort, ihr junges Leben in den
dumpfen Mauren des Kloſters vertrauren will,
begreift niemand, und ich vermuthe beinahe, ihr
Stiefvater, der alte Commercienrath von Berger,
hat hier ſeine Hand im Spiele. Wenn Sie das
Maͤdchen ſprechen koͤnnen, ſo erzeigen Sie mir
einen wahren Liebesdienſt, denn ſeiner Mutter
verdanke ich mein ganzes Gluͤck!
Ich theilte die Erzaͤhlung der Wirthin meinem
Freunde mit; er meinte, dies koͤnne am Ende
ein intereſſantes Abentheuer geben, und wir
wollten auf jeden Fall dem alten Kloſter einen
Beſuch abſtatten. So fanden wir uns denn
regelmaͤßig zu der dazu beſtimmten Stunde am
Sprachgitter ein; aber es ließ ſich keine Ade¬
line ſehn, vielmehr wurde uns geſagt, daß die
Einkleidung des armen Kindes bereits in vier
Wochen vor ſich gehn werde. Zeit war daher
nicht zu verlieren, und wir hatten einmal den
Kopf darauf geſetzt, doch das Maͤdchen wenigſtens
zu ſehn. Weshalb die Briefe ihrer Freundin in
Rom nicht angekommen waren, ließ ſich leicht
vermuthen. Einige Tage ſpaͤter erfuhr Kluge,
in ſolchen Dingen uͤberhaupt ein wahrer Gluͤcks¬
pilz, daß die ehrwuͤrdige Äbtiſſin ein Bild der
Kloſtercapelle wolle reſtauriren laſſen, und daß ſie
ſich lange vergebens nach einem gewandten
Kuͤnſtler umgeſehn, welcher der Reſtaurationskunſt
gewachſen ſei.
Weißt Du was, ſagte Kluge mit einer Miene,
welche die heiterſten, Ausſichten verkuͤndigte, weißt
Du was, wir melden uns im Kloſter als Maler
aus Italien. Der Sprache dieſes Landes ſind
wir gewachſen, und es muͤßte ſchlecht gehn, wenn
wir die arme Adeline nicht zu Geſicht bekommen
ſollten. Der Plan ſchien mir allerliebſt, aber
verteufelt kitzlich, denn wenn die alte Kloſter¬
mamma der Sache ſo recht auf den Grund kam,
und ſchlau ſind dergleichen Damen, es war keine
Frage, ſo waren wir proſtituirt, und wurden am
Ende als Betruͤger ohne weitere Ceremonien bei¬
geſteckt. Allein Kluge lachte mich mit meinen
Bedenklichkeiten aus, nannte mich einen ſchlaͤfrigen
Deutſchen, der von der italiſchen Gluth herzlich
wenig zugetheilt bekommen haben muͤſſe, und
gab meinem Ehrgeize einen ſo harten Stoß, daß
ich unabaͤnderlich beſchloß, mich in ſeinen Willen
zu fuͤgen, und ebenfalls fuͤr einen Reſtaurator aus
Rom auszugeben.
Indeß fehlten wir nur ſehr ſelten oder nie am
Sprachgitter. Manches huͤbſche, allerliebſte Kind
erſchien dahinter, manches trauliche Wort wurde
mit den ſprachluſtigen Nonnen heimlich und ver¬
ſtohlen gewechſelt, aber immer wollte Schweſter
Adeline, die am Ende ſchon einen andern Namen
angenommen, nicht erſcheinen. Einſt bemerkte ich
ganz im Hintergrunde des Sprachzimmers am
Eingange eines duͤſtern Corridors, welcher hieher
fuͤhrte, eine junge, wunderhuͤbſche Nonne mit
brennenden Kohlenaugen und einem Geſichtchen,
auf dem mehr Schalkheit, als kloͤſterliche Demuth
zu wohnen ſchien; aber das liebe Kind kam
durchaus nicht naͤher. Sollte das wohl Adeline
ſein? dachte ich bei mir, und ſtellte mehrere ver¬
gebliche Verſuche an, das Maͤdchen zu ſprechen.
Endlich fand ſie ſich einmal am Gitter ſelbſt
ein; ich ſuchte ein Geſpraͤch mit ihr zu beginnen,
und fragte, nachdem es mir gelungen war, ihre
Aufmerkſamkeit ein wenig feſt zu halten, ob ſie
nicht Adeline v. Roſen heiße. Da wandte ſich
das loſe Kind ab, fing an zu kichern und zu
lachen, daß es endlich weggehn mußte, um kein
Aufſehn zu erregen. Nein, das kann Adeline
nicht ſein, meinte Kluge und aͤrgerte, ſich, daß
wir ſo lange vergeblich auf die Erſehnte hofften;
aber ich ließ mich nicht abſchrecken, und am fol¬
genden Tage war ich ſchon wieder mit der Lacherin
im lebhaften Geſpraͤch. Auf meine Frage, und
ich mußte ſie gewiß recht fein eingerichtet haben,
wie denn ihr Name ſei, lispelte ſie halb verſchaͤmt,
halb freundlich, Beata. Nun examinirte ich ein
Langes und Breites uͤber Adeline, ſuchte zu
erforſchen, ob ſie ſich freiwillig dem Kloſterleben
weihe, oder was ſie außerdem zwinge, ihr junges
Leben im Kloſter zu vertrauren. Da ſchuͤttelte
Schweſter Beata das Koͤpfchen, und ein Seufzer
ſchwellte ihre Bruſt, indem ſie ſagte: Glauben
Sie denn, Sie eifriger Fremdling, daß uns blos
ein hartes Schickſal, ein zerknirſchtes Herz oder
dergleichen hieher treibt in die geweihten Mauren?
Es giebt Augenblicke im Leben, die keine Sprache
zu bezeichnen vermag; in ihnen erſchließt ſich
eine andere, ſchoͤnere Welt, wir ſehnen uns nach
geiſtiger Ruhe, nach geiſtiger Reinheit. — Koͤnnen
Sie ſich, fuhr ſie fort, und ihre Purpurlippen
ſchienen mir beſſer zum Kuſſe, als zum Beten
geformt, koͤnnen Sie ſich einen Begriff davon
machen, was man Kloſterberuf nennt? — Ich
nannte aber das Kloſterleben ein verkehrtes, das
aller menſchlichen und geſellſchaftlichen Bildung
zuwider ſei, und behauptete keck, die holde
Schweſter Beata moͤgte wohl freiwillig auch nicht
hinter dem ſchweren Eiſengitter ſtehn. Zuletzt
ſchlug ich mich ihr als ehrſamen Beichtvater vor;
allein ſie meinte, dergleichen ehrwuͤrdige Leute,
wie ich, taugten fuͤr kein Kloſter; ich moͤge mir
immerhin eine Gemahlin erwaͤhlen, und dieſe er¬
kenne mich vielleicht als Beichtvater an, allein
ſie ſelbſt ſei bereits gut verſorgt. Ich war durch
dieſe Scherze ganz von meinem Thema abgekommen
und fragte nochmals recht dringend nach Adeline,
die ich nothwendig ſprechen muͤſſe. Allein die
liebliche Beata legte den niedlichſten aller Zeige¬
finger auf den kleinen Roſenmund, zum Zeichen,
daß ſie uͤber dieſen Punct ein tiefes Schweigen
beobachten muͤſſe. Das fiel mir auf. Ich wurde
mit meinen Bitten dringender, und bekam dann
endlich ſo viel aus der kleinen Hexe heraus, daß
Schweſter Adeline, die bald ihren ſchoͤnen Namen
fuͤr immer aͤndern werde, viel weine und ſich ſehr
ungluͤcklich fuͤhle. Ich dankte dem wunderhuͤbſchen
Kloſterkinde fuͤr dieſe Mittheilung, warf ihr eine
Kußhand zu, woruͤber ſie beinahe boͤſe wurde, und
beſchloß mit meinem Freunde, unſern Plan aus¬
zufuͤhren, es koſte auch, was es wolle.
Zufaͤllig lernte ich den Beichtvater des Klo¬
ſters kennen; ich trug mein Anliegen im Betreff
des zu reſtaurirenden Bildes vor, und er gewann
ein ſchnelles Zutraun zu mir, indem er verſprach,
mich mit meinem Reiſegefaͤhrten der Äbtiſſen bei
naͤchſter Gelegenheit empfehlen zu wollen. Aber
es verging ein Tag nach dem andern, es kam
keine Bothſchaft, und leider ruͤckte die Zeit von
Adelinens Einkleidung immer naͤher.
Meine Wirthin unterließ nicht, der armen
Adeline das Wort zu reden, und ſo laͤcherlich
auch ihre Eroͤrterungen waren, ſo dienten ſie
wirklich dazu, meinen und meines Freundes Eifer
zu vermehren. Eines Morgens, es war am 9ten
July, kam die gute Frau ploͤtzlich zu mir und
ſagte: Ich habe ſo unter der Hand erfahren,
weshalb das arme Linchen in den vertracten
Mauren ſchmachten ſoll; ihr Vater iſt ein alter
Filz, und hat ſie an einen luͤderlichen Grafen
haͤngen wollen, der noch obendrein eine Maſſe
Schulden hat. Unſer Linchen widerſetzt ſich
tuͤchtig, und der ſchaͤndliche Stiefvater kartet es
ſo mit ſeiner alten Freundin, der Äbtiſſin, die
auf des Maͤdchens Mutter einen unverſoͤhnlichen
Haß geworfen, daß die Arme in das vermaledeite
Urſulinerkloſter gefuͤhrt wird. Es iſt eine him¬
melſchreiende Barbarei! Und was thut uͤberhaupt
der Menſch im Kloſter? Wir ſind alle fuͤr ganz
etwas anderes da, nicht wahr Herr Baron? —
nicht fuͤr etwas ſo Apartes. Ein junges, froͤh¬
liches Ding von einem Maͤdchen gehoͤrt nicht in
die Betklauſe; es geht einmal nicht, daß wir ein
ſolches albernes Leben fuͤhren, es geht nimmermehr
nicht; und warum geht's nicht? weil es gegen
unſer Gefuͤhl iſt, weil wir fuͤr ewiges Faſten und
Beten nicht ſind geſchaffen worden! —
Ich lachte bei dieſen ſehr eifrigen Worten
meiner lieben Berichterſtatterin laut in's Geſicht,
was ſie beinahe uͤbel genommen, denn ſie fuhr
ſogleich fort: Lachen Sie nur! Sie ſollten ein¬
mal das herzige Maͤdchen ſehn; meiner Seele,
wie Milch und Blut; und gewachſen wie eine
Tanne und engelgut. Unſere jungen Herren, und
es giebt hier recht nette Buͤrſchchen, waren in
das Ding wie vernarrt; ſie liefen ſich die Beine
ab, um es nur zu ſehn; aber jetzt fluchen ſie
auf's Kloſter und helfen doch nicht. Das iſt
nur ſo lauter unnuͤtze Waare; aber der Herr
Baron koͤnnten ſchon etwas thun! — —
Die Frau hatte ihren Sermon kaum geendet,
als Kluge zu uns trat, mir in's Nebenzimmer
winkte und ſagte, er habe die Äbtiſſen geſprochen,
ſie ſei, als Verehrerin der Kunſt, ſogleich bereit
geweſen, durch ihn und mich, denn er habe ihr
erklaͤrt, ohne ſeinen Genoſſen dergleichen ſchwie¬
rige Arbeiten nicht unternehmen zu koͤnnen,
die quaͤſtionirte Reſtauration vornehmen laſſen
zu wollen.
Ich war einmal in einer hoͤchſt vergnuͤgten
Laune und lachte uͤber dieſen tollen Schwank.
Wenn ich mir die alte Nonne dachte, wie ſie eifrig
unſern Arbeiten zuſah, und eine Menge neugie¬
riger junger Noͤnnchen im Hintergrunde lauſchend
und fluͤſternd, vielleicht die liebliche Adeline
mitten unter ihnen, da wurde mir doch ganz
eigen um's Herz, und ich wuͤnſchte, wir haͤtten
uns auf die Sache nicht weiter eingelaſſen. Denn
wir verſtanden beide vom Reſtauriren ſo viel
wie nichts, und konnten hoͤchſtens ein ertraͤgliches
Bildchen zu Stande bringen. Aber nun wieder
die arme, in Thraͤnen ſich aufloͤſende Adeline, mit
der gluͤhenden Sehnſucht nach Freiheit in der Bruſt,
— nein, der Gedanke gab neuen Muth, neue
Spannkraft; es mußte, es ſollte ihr geholfen
werden! —
An dem beſtimmten Tage fanden wir uns
im Kloſter ein. Eine alte zahnloſe Laienſchweſter
grinſ'te uns grisgramig an, und geleitete uns
durch eine Menge finſtere Corridors und Vor¬
hallen zu der ehrwuͤrdigen Frau, die mir ſehr
verhaßt war, wenn ſie mir auch die Hand zur
Rettung der armen Gefangenen unbewußt darge¬
boten. Die Dame empfing uns mit wahrhaft
ſeltener Wuͤrde; in ihrem Auge lag Geiſt und
Scharfblick, und ich fuͤrchtete beinahe, wir wuͤrden
vor ihr nicht beſtehen koͤnnen. Allein im Puncte
der Kunſt, und auf dieſen kam es hier haupt¬
ſaͤchlich an, ſchien ſie nicht am feſteſten, denn ihr
Urtheil war unbedeutend, und es war ihr nur
darum zu thun, ein Paar Bilder wieder her¬
ſtellen zu laſſen, die ſie fuͤr Meiſterwerke der
roͤmiſchen Schule hielt. Sie ſprach auch daruͤber
ein Langes und Breites, und lud uns zuletzt ein,
ihr nach den Bildern zu folgen. Allein es ergab
ſich nun leicht, daß wir zwei hoͤchſt mittelmaͤßige
Copien vor uns hatten, die eigentlich der Reſtau¬
ration durchaus nicht werth waren. Ich vergaß
auch wirklich meinen eigentlichen Zweck nicht, ich
beſah mir das Local mit Genauigkeit, ſuchte die
Wohnungen der Schweſtern zu erforſchen, und
beſchloß mit meinem Freunde, unſere Arbeit ſo
ſchnell als moͤglich zu beginnen, da wir eilen
mußten, um Adeline zu ſehn und zu ſprechen.
Unſere Vorrichtungen waren fertig, und ich ver¬
ſprach mir von einem großen Schwamme, der
den Bildern ihren recht antiken Schmutz abneh¬
men ſollte, am meiſten. Die Äbtiſſin ſah unſern
Arbeiten am erſten Tage zu, am folgenden ſtellte
ſich die Schweſter Beata mit noch einigen andern
Nonnen zu meiner Freude ein, und ihre Blicke
ſagten mir, daß ſie mich zu ſprechen wuͤnſche.
Leider waren eine zu große Menge von Zeugen
gegenwaͤrtig; aber auch dafuͤr hatte die kleine
Kloſterhexe geſorgt, denn als ſie mir naͤher kam,
um ihrem Vorgeben nach das Bild, woran ich
beſſerte, recht nahe zu beaugenſcheinigen, ließ ſie
ein zierliches Zettelchen auf meine Palette fallen,
gab mir einen vielſagenden Blick, der ungefaͤhr
ſagte: Es iſt Zeit zu helfen; ſchweig wie ein
Grab, aber ſpare keine Muͤhe, und rette! und
entfernte ſich hierauf. Es war mir beinahe nicht
moͤglich, meine Arbeit fortzuſetzen; das Zettelchen
brannte in meiner Taſche wie Zunder, der einen
Funken gefaßt, und ich beurlaubte mich eine
Stunde fruͤher, als es ſonſt geſchehen war. Die
Zeilen liegen noch unverſehrt in meiner Brieftaſche,
und lauten folgendergeſtalt:
„Meine Freundin Adeline, eigentlich durch
Sie, mein verehrter Herr, iſt ſie es geworden,
hat mir ihr Herz aufgeſchloſſen, und ich habe dem
Hoͤchſten gelobt ihr zu helfen. Der gluͤckliche
Zufall unterſtuͤtzt unſern Plan, und Sie reichen
meiner Freundin wohl gern die Hand zur Ret¬
tung aus dieſen Mauren, die ſolch ein edles, un¬
befangenes Herz nicht umſchließen duͤrfen. Laſſen
Sie uns wiſſen, wie Sie Adeline die verlorne
Freiheit wieder geben koͤnnen; vergeſſen Sie nie,
daß ſchaͤndliche Cabale ſie zu uns brachte, daß
niedrige Bosheit oder Rache das ungluͤckliche Kind
hier fuͤr ewig feſſeln will! B.“
Die niedliche Beata hatte nach dieſen Zeilen
bei mir ſehr gewonnen; ſchon ihre Anſicht, das
Kloſter ſei fuͤr unbefangene Herzen nicht gebaut,
alſo doch wahrſcheinlich fuͤr buͤßende, ſchuldbewußte
Gemuͤther, gefiel mir, und ich ſchrieb ihr auf die¬
ſelbe Art, wie das loſe Kind es auch gethan, daß
es mir ſchiene, als koͤnne man wohl die Schweſter
Pfoͤrtnerin mit einigen Ducaten breit ſchlagen,
und daß ich, wenn Adeline nur erſt aus den
Mauren unbemerkt heraus ſei, ſchon fuͤr das
Übrige auf's Beſte ſorgen wolle. Beata empfing
auf die erwaͤhnte Weiſe meine geheime Nachricht,
und am vierten Tage ſchrieb ſie, mit der Pfoͤrt¬
nerin ſei es nichts; allein im Kloſtergarten, zu
welchem ihre Freundin zu jeder Stunde ohne
Beſchwerde gelangen koͤnne, befinde ſich eine alte
Pforte, die ſeit langen Jahren nicht benutzt ſei,
und wohl geoͤffnet werden koͤnne. Vermoͤge ich,
das Schloß aufzumachen, ſo ſolle ich es ſchnell
auf dem alten Wege, naͤmlich uͤber meine Palette,
melden, und dann ſei Alles zur Flucht reif. Auch
von Adeline lagen wenige Zeilen bei, worin ſie
mich um Befreiung in den ruͤhrendſten Ausdruͤcken
bat, und ich ſchlich in der folgenden Nacht mit
meinem Freunde Kluge nach dem Kloſtergarten.
Eine Blendlaterne ließ uns die zerbrechliche Pforte
bald finden; mein Freund verſtand ſich auf
Mechanik, und nach einigen kraͤftigen Verſuchen
knarrte die alte Thuͤr auf. Sie kam uns vor
wie der Eingang in die andere Welt, wie ſie ſich
die Alten dachten; die Pfade zum Tartarus und
zum Elyſium grenzten dicht an einander. Wir
verſchloſſen den holden Eingang hierauf wieder
mit aller Vorſicht, und begaben uns voll Freude
uͤber unſere gelungene Arbeit zu unſerm Gaſt¬
hauſe zuruͤck.
Wir brannten vor Begierde, Schweſter Beata
von den Reſultaten unſerer naͤchtlichen Wande¬
rungen in Kenntniß zu ſetzen, allein wer nicht
erſchien, war die liebe Beata. Vielleicht, dies
war am glaubhafteſten, war es ihr von der uͤber¬
ſtrengen Äbtiſſin verboten, die Capelle zu be¬
treten, waͤhrend wir darin arbeiteten, ſie war
vielleicht auch gar erkrankt, Gott, man hat in
ſolchen Momenten eine Menge trauriger Ent¬
ſchuldigungen! und unſer ganzes Bemuͤhn erſchien
als hoͤchſt vergeblich. — So vergingen drei Tage.
Ich war ſo mißmuthig, daß ich die ganze fatale
Geſchichte beinahe aufgegeben haͤtte, allein Kluge
gab meiner Thaͤtigkeit neue Spannkraft, und es
ging beſſer. War ich denn ganz mit Blindheit
geſchlagen geweſen, hatte mich meine innere Un¬
geduld verwirrt gemacht? — ich fand ploͤtzlich
im Ramen des Bildes, woran ich gearbeitet, d. h.
mit dem Schwamme tuͤchtig gewaſchen, und wo
es noͤthig war, friſche Farben aufgeſetzt hatte,
ein Streifchen Papier mit wenigen Zeilen von
Beatas Hand. Sie hatte vor der Äbtiſſin ſich
mir nicht nahen koͤnnen, aber meinen letzten Brief
erhalten, worin ich ihr unſere gluͤckliche Pforten¬
operation gemeldet, und ſie beſtimmte bereits die
folgende Nacht zur Flucht der armen Adeline.
Sonderbar war es, daß gerade an demſelben
Tage die Reſtaurationen zu der Äbtiſſin voͤlliger
Zufriedenheit beendigt waren. Die alte Dame
fragte hierauf mit hoͤchſt eigenem Munde, wie
hoch ſich ihre Schuld belaufe, und ich lachte ihr
in einer Haare gerade in's Geſicht, als ſie jedem
von uns, da wir nicht fordern mogten und konnten,
einen Beutel mit Geld einhaͤndigte. Sie erkun¬
digte ſich nochmals nach unſern Namen und Ge¬
burtsort; das arme, eben verlaſſene Italien, mußte
herhalten, wuͤnſchte dann eine gluͤckliche Reiſe, und
entließ uns mit einem huldreichen Laͤcheln. Wir
lachten auch, aber wahrhaftig nur aus Schaden¬
freude, daß wir die Alte hinter's Licht gefuͤhrt.
Um elf Uhr, als die uns von Schweſter
Beata bezeichnete Stunde, wartete ich mit Kluge
an der verwitterten Kloſtermauer; im naͤchſten
14
Dorfe hielt unſer bequeme Reiſewagen mit allen
Vorrichtungen zu einer Flucht dieſer Art verſehn,
und nichts in der Welt konnte ſich uns mehr als
Hinderniß in den Weg legen. Allein es floh
eine Viertelſtunde nach der andern, es wurde uns
zuletzt ganz bange zu Muth, und niemand erſchien.
Endlich, Mitternacht war eben voruͤber, und die
dumpfe Glocke des Kloſterthurmes brummte den
letzten Schlag der zwoͤlften Stunde in die duͤſtere
Nacht hinein, pochte es an die Pforte. Wir
oͤffneten, und Schweſter Beata ſtand mit ihrer
Freundin vor uns. Adeline zerfloß in Thraͤnen,
als ſie ſich vielleicht zum Letztenmale an Beata
wenden ſollte, um ihr Lebewohl zu ſagen; da
meinte Freund Kluge, dem die liebenswuͤrdige
Schweſter Beata recht ſehr zu gefallen ſchien, er
wolle ihr hiemit den freundſchaftlichen Rath
geben, dem traurigen Kloſterleben ebenfalls Ade
zu ſagen, und mit ihrer lieben Freundin in die
freie Welt zu ziehn. Allein die junge Nonne
wandte ſich erroͤthend ab, druͤckte einen Scheide¬
kuß auf Adelinens Lippen, und verſchwand in den
duͤſtern Gaͤngen des Kloſtergartens.
Adeline reichte mir ihre Hand und ſagte,
indem ſie den langen Schleier uͤber ihr ſchoͤnes
Geſicht gleiten ließ: Verzeihen Sie, mein Freund,
meine vielleicht unbeſonnene Raſchheit, verkennen
Sie mich, verkennen Sie die Beweggruͤnde nicht,
die mich aus meinen bisherigen Verhaͤltniſſen
treiben. Daß Sie menſchenfreundlich denken,
daß Sie mir wie ein rettender Bruder Ihre Hand
reichen wuͤrden, das vertraute mir mein guter
Genius, und ich werde mein ganzes Leben hindurch
Ihre Schuldnerin ſein. —
Wie koͤnnen Sie, erwiederte ich geruͤhrt, wie
koͤnnen Sie daran denken, Ihre Handlungsweiſe
vor mir rechtfertigen zu muͤſſen, da ich auf das
Innigſte uͤberzeugt bin, daß nur ganz unge¬
woͤhnlich widrige Verhaͤltniſſe Sie aus den hei¬
ligen Mauren vertreiben, die vielleicht laͤngſt zu
unheiligen haben werden muͤſſen. Übrigens ver¬
dient mein Freund Ihren Dank vielleicht in
einem noch hoͤhern Grade, als ich, denn ohne
ſeinen Scharfſinn, ohne ſeine Thaͤtigkeit haͤtte ich
kaum zu einem guten Ziele gelangen koͤnnen. —
Aber Adeline ſchien, was ich zuletzt ſagte,
halb zu uͤberhoͤren, Kluge wurde ohnehin etwas
verlegen, das bewies der Seitenſtoß, den er mir
verſetzte, und nach einer halben Stunde hatten
wir das Grenzdoͤrfchen erreicht, wo der Reiſe¬
wagen unſerer harrte. Adeline war maͤchtig
14 *
ergriffen, ſie ſchien einen ſonderbaren Kampf mit
ſich zu kaͤmpfen, und wir ſtoͤhrten ſie in dieſer
ſchmerzlichen Ruhe nicht. Endlich, ſie hatte ſich
vielleicht uͤberzeugt, daß ſie ſich gerade keinen
Windbeuteln anvertraut, und einen Plan fuͤr ihre
Zukunft erſonnen, wurde ſie heiter und wieder
froh. Der Morgen brach an, und zeigte mir in
ſeiner lieblichen Klarheit, was mir das naͤchtliche
Dunkel noch neidiſch entzogen hatte. Ich bekam
Zeit, das engelgleiche Weſen zu beſchaun, und
war in einem Grade uͤberraſcht, den ich nicht in
Worte faſſen kann. Dieſes herrliche Ebenmaß
in Wuchs und Geſichtsbildung, bei aller Schoͤn¬
heit dieſer unvergleichlichen Zuͤge dieſer Liebreiz,
dieſe kindliche Ergebenheit und Demuth, dieſe
Weichheit des Gefuͤhls! — nein, ich vermag das
Alles nicht zu beſchreiben, was in dem Augen¬
blicke mit himmliſcher Gewalt auf mein armes
Herz eindrang! — —
Adeline ergoß ſich noch einmal in heißem
Dankgefuͤhl gegen mich und meinen Freund, ver¬
traute mir, daß in Hamburg eine Tante von ihr
wohne, in deren Arme ſie ſich werfen, daß ſie
mir daher nicht weiter beſchwerlich fallen wolle,
indem es ihr nicht ganz an Mitteln fehle, dieſe
Reiſe anzutreten. Bis zur naͤchſten Stadt muͤſſe
ſie meine Guͤte noch in Anſpruch nehmen, um
hier ihre fernern Einrichtungen treffen zu koͤnnen.
Ich weiß nicht, wie es kam, denn mich ging die
Sache eigentlich weiter nichts an, aber mich
ergriff nach ihren Worten eine ſonderbare Angſt,
alle Pulſe ſchlugen in verwirrter Aufregung, und
mir war, als koͤnne ich mich nimmermehr von
dieſem Weſen trennen! — Ich ehre, ſagte ich
endlich in einiger Verwirrung, ich ehre ihre Ge¬
ſinnung, denn ſie zeigt mir Ihr edles Herz. Sie
wollen aus einer vielleicht zu weit gehenden
Schonung oder Scheu nicht weiter unter unſerm
Schutze reiſen. Allein glauben Sie, daß mir
dies gleichguͤltig ſein kann? Die Welt, und ſie iſt
oft verkehrt genug, die Welt billigt vielleicht nicht,
was jetzt Verhaͤltniſſe gutheißen; aber trennen
Sie das zarte Band nicht ſo ſchnell, ſo ſcho¬
nungslos, das uns jetzt gegenſeitig umſchlingt.
Was ich mit meinem Freunde that, wird jeder
gute Deutſche thun, daher waͤre es ſuͤndlich, irgend
eine Belohnung zu erwarten. Aber ſein Sie
einmal großmuͤthig, laſſen Sie das meine Beloh¬
nung werden, daß ich Sie bis Hamburg geleite.
In der naͤchſten Stadt laͤßt ſich dies Alles auch
bequemer und ruhiger abmachen, daher denken
Sie jetzt an nichts, als an die nicht unfreundliche
Gegenwart. —
Adeline reichte mir laͤchlend die kleine Schwa¬
nenhand, und meinte, ſie wolle die Sache ein
wenig uͤberlegen. Übrigens muͤſſe ſie mir und
meinem Freunde zu ihrer Rechtfertigung mit¬
theilen, weshalb ſie ganz wider ihre Neigung
zum Kloſterleben verdammt worden ſei. Ich war
natuͤrlich nebſt meinem Reiſegefaͤhrten hoͤchſt be¬
gierig, welche Verhaͤltniſſe dieſem Engel ſolchen
Kummer bereitet, und ſie fuͤhrte uns denn fol¬
gendermaßen in ihr fruͤheres Leben ein.
Adelinens Mutter, nach ihrer Beſchreibung
war ſie der Tochter Ebenbild, wurde von dem
Freiherrn von Roſen geliebt, und ſie reichte ihm
nach kurzen Bewerbungen ihre Hand. Die er¬
waͤhnte Äbtiſſin, welche damals noch an kein
Kloſter, geſchweige an ihre Nonnenſchaft dachte,
lernt den Freiherrn vor ſeiner Verbindung kennen,
und in ihrem vielleicht zu warmen Herzen ent¬
zuͤndet ſich eine heftige Leidenſchaft, die der junge
liebenswuͤrdige Mann nicht erwiedern konnte, weil
er theils die nachmalige Äbtiſſin als eine hoͤchſt
unleidliche, zudringliche Perſon nicht leiden mogte,
theils ſein Herz bereits weit beſſer untergebracht
hatte.
Die Äbtiſſin, ich weiß mich fuͤr jetzt ihres
Namens nicht zu erinnern, wirft nun auf die
junge, engelſchoͤne Frau ihres angebeteten Lieblings
einen toͤdtlichen, unmenſchlichen Haß, ſie wird
gegen ſich ſelbſt zur Furie und gelobt ſich, an
der Unſchuldigen Rache zu nehmen, indem ſie ſich
einbildet, des Freiherrn junge Gemahlin habe ſie
durch alle ſchaͤndlichen Kuͤnſte der Koquetterie
in ſeinen Augen herabgeſetzt und verkleinert.
Das liebenswuͤrdige Weib wußte hiervon kaum
ein Wort, wenn gleich ihrer Nebenbuhlerin un¬
kluges Benehmen allgemein bekannt war, und
lebte in der Liebe zu ihrem Gatten die ſchoͤnſten
Stunden, da rief der unerbittliche, ernſte Todes¬
engel den Heißgeliebten von ihrer Seite ab. Ihre
Ehe hatte kaum ſechs Jahre gedauert.
Wie oft irrt das menſchliche Herz, dem die
Zukunft dicht verſchleiert iſt! Sie wandte allen
Fleiß auf die Erziehung ihres einzigen Kindes,
Adeline, und nahm die ihr bezeigte Aufmerkſam¬
keit des erwaͤhnten Commercienraths, eines hab¬
ſuͤchtigen Heuchlers, fuͤr reine Freundſchaft, und
reicht ihm, in der Hoffnung, als Witwe in ihm
einen kraͤftigen Schutz zu haben, nach einigen
Jahren die Hand. Der Schaͤndliche wollte nichts,
als ihr Vermoͤgen erringen, er zeigte ſich bald
in ſeiner wahren Geſtalt, und machte die Arme
namenlos ungluͤcklich. Sie ſchaute aus dieſem
Tartarus zuruͤck in ihr Blumenleben mit dem
edlen Hingeſchiedenen, und ehe zwei Jahre dahin¬
geeilt waren, folgte ſie ihm dahin nach, wo kein
Kummer mehr iſt. Die Äbtiſſin hatte kurze
Zeit vorher den Schleier genommen, und auf
dieſe Weiſe ihr Herz wie in einer Feueraſſecuranz
geſichert; ſie wurde, durch ihren alten Adel unter¬
ſtuͤtzt, Vorſteherin des Urſulinerkloſters in B., wo
der Commercienrath, ihr alter Jugendfreund, der
armen Adeline Thraͤnen des bitterſten Kummers
auspreßte. Das Maͤdchen iſt ihm im Wege, ein
geckenhafter Graf, der durch ihr Vermoͤgen ange¬
zogen wird, wie ein Magnet das Eiſen zieht,
macht vergeblicher Weiſe Bewerbungen, und der
ſchaͤndliche Stiefvater, da ſich Adeline zu des
erſtern Gunſten nicht aͤußern kann, die niedrigſten
Anſtalten, das liebenswuͤrdige Geſchoͤpf an den
Narren zu verkuppeln, indem er gleichfalls ihr
Vermoͤgen zu erangeln Luſt hat. Daß beide ſich
betruͤgen wollten, war nur der im innern Schmerz
vergehenden Adeline klar. Es koͤmmt zu heftigen,
unangenehmen Auftritten, ſie endigen mit einer
tiefen, betaͤubenden Ohnmacht Adelinens, und als
ſie endlich zum unfreundlichen, truͤben Leben er¬
wacht, ſieht ſie ſich, ſtatt im traulichen, einſamen
Stuͤbchen, im benachbarten Urſulinerkloſter. Der
ſchaͤndliche Vater hatte durch die Äbtiſſin von
deren fruͤhern Verhaͤltniſſen zu dem Freiherrn v.
Roſen gehoͤrt; ſie freut ſich, Rache an dem un¬
ſchuldigen Maͤdchen nehmen zu koͤnnen, und ver¬
abredet, nachdem ſie den elenden Commercienrath
auf alle Weiſe zugeſetzt, mit dieſem Adelinens
Einſperrung in's Kloſter, da ſie ſich in ſeine
Wuͤnſche nicht fuͤgen will. Die rohe Bosheit
verraͤth ſich leicht, und ſo durchſchaute die arme
Adeline ſehr bald den Zuſammenhang. Nicht die
traurige Ausſicht, auf ewig der Welt zu entſagen,
die ihr ſchon ſeit Jahren truͤbe und freudenleer
vorkam, ſondern nur die ſchaͤndliche, niedertraͤchtige
Behandlung der Äbtiſſin trieb ſie aus den Mauren
fort, die durch die Elende laͤngſt entwuͤrdigt waren.
Wer konnte die wunderhuͤbſche Erzaͤhlerin
anſchaun, ohne im Innerſten ergriffen zu werden!
Wir hingen mit wahrer Gier an jedem Worte
was der kleine Roſenmund unter hundert herab¬
fallenden Thraͤnen ſprach, und wenn ich ſo recht
ordentlich daran dachte, daß ich mich vielleicht
ſchon am andern Morgen von Adelinen trennen,
ſie auf dieſer Welt wohl nie, nie wiederſehn
ſollte, da war mir's, als wuͤrde mir das arme,
bedraͤngte Herz mit gluͤhenden Zangen mitten
aus der Bruſt herausgeriſſen. Der Gedanke
verfolgte mich wie ein Krampf, ich hatte Noth,
meine Faſſung zu behaupten, und war zuletzt
herzlich froh, als wir die naͤchſte Stadt erreicht
hatten. Hier rieth ich Adelinen, auf keinen Fall
ſo auf's Geradewohl nach Hamburg zu reiſen,
um hier eine alte Tante aufzuſuchen, von der ſie
ſeit mehreren Jahren gar keine Nachricht erhalten
hatte, ſondern wo moͤglich erſt von hier aus Er¬
kundigungen uͤber ſie einzuziehn. Da ward Ade¬
line ploͤtzlich ernſter, und ſchien zu erſchrecken.
Gott, ſagte ſie, ich habe eine liebe Freundin, die
vor nicht zu langer Zeit ihrem Gatten nach Ita¬
lien gefolgt ſein muß; dieſe kennt meine Tante,
und wird Bericht von ihr geben koͤnnen. Aber
ſie iſt weit fort, und keine Hoffnung da, ſie
zu ſehn.
Jetzt erſt fiel mir der Brief der niedlichen
Deutſchen ein, den ſie mir in Rom zur Beſor¬
gung anvertraut. Unter tauſend Entſchuldigungen,
wie haͤtte ich auch in dieſer verhaͤngnißvollen Zeit
an den Brief denken koͤnnen! uͤberreichte ich ihn
Adelinen, die ihn raſch durchlas, und zuletzt laut
weinend in das Kanapee zuruͤckſank, auf dem
wir Platz genommen hatten. Ich begriff dieſen
ſonderbaren Zuſtand nicht; der Brief war zur
Erde gefallen, und als ich einen Blick hinein
gethan, uͤberzeugte ich mich, daß die Hamburger
Tante bereits ſeit einem Jahre mit Tode abge¬
gangen ſei, und wenig oder kein Vermoͤgen hin¬
terlaſſen habe. —
Geholfen mußte werden, aber wie, das war
mir unter dieſen Umſtaͤnden noch unbekannt.
Zum Stiefvater zuruͤckzukehren, — nein, das
ging nicht; denn nach dem, was mir Adeline
uͤber dieſen Punct geſagt, ſo waͤre ſie lieber in
den Tod geſunken, als in das nun verwaiſ'te
vaͤterliche Haus zuruͤckgekehrt. — — Ich faßte
Adelinens Hand, als ſie zu ſich ſelbſt gekommen
war, ich ſuchte ihr Troſt zuzuſprechen, und ſchlug
ihr zuletzt Blumenau als einſtweiligen Aufenthalt
vor. Aber ſie winkte mildlaͤchlend mit der kleinen
Hand, ſchimmernde Thraͤnen im Auge, und bat,
ſie ein wenig, allein zu laſſen.
Freund Kluge war ausgegangen, und ich zog
mich, im Innern auf das Sonderbarſte aufgeregt,
in das benachbarte Cabinet zuruͤck.
Ich konnte es mir nicht laͤnger verbergen,
was auch meine Verhaͤltniſſe zu Tina dagegen
ſtreiten mogten, was ich auch ſelbſt mit Vernunft¬
gruͤnden dagegen kaͤmpfte, mit einem Worte, ich
liebte Adeline mit der ganzen Leidenſchaft meines
Herzens! — — Nun ging ich mit mir zu Rathe,
was zu thun ſei, ob ich ihr entſagen, und Tina
meine gelobte Treue halten muͤſſe, aber ich ver¬
mogte kein vernuͤnftiges Ende zu finden, und
ſchrieb Albertinen einen vorbereitenden Brief.
Eine unſaͤgliche Angſt druͤckte nach dem Abgange
des Schreibens meine Bruſt, ich hatte, wie ein
zum Tode Verdammter, auf keiner Stelle Ruhe,
und mußte ſehen, wie Adeline immer ſchwaͤcher
und ſchwaͤcher werdend, zuletzt auf das Kranken¬
lager ſank. Die ploͤtzliche, heimliche Flucht hatte
ihre Nerven erſchuͤttert, und eine Erkaͤltung feſſelte
ſie jetzt an's Zimmer. Da kam eine Antwort
von Blumenau; mit bebender Haſt erbrach ich
Tinas Zeilen, und las. Unſer Wort, ſchrieb ſie
mir unter andern huldvoll zuruͤck, unſer Wort
verpfaͤndeten wir uns nicht, mein Freund, und
wer dem Herzen Feſſeln anlegt, der nimmt dem
Leben Licht und Waͤrme! Warum ſollen auch
gerade Verwandte Gatten ſein? Deshalb ſei un¬
beſorgt wegen des Streichs, den Dir Amor ſpielt,
und nimmer ſollſt Du einer Grille meines Vaters
Deines Lebens Gluͤck zum Opfer werden laſſen.
So ſchrieb mir Tina, und heiße Thraͤnen der
Ruͤhrung rannen mir vom Auge. Ich durfte zu
manchen Stunden Adelinens Pfleger ſein, und
wenn dann ein himmliſches Laͤcheln ihres Engel¬
antlitzes mir Dank ſagte fuͤr das Wenige, was
ich that, dann fuͤhlte ich mich unwerth, auf das
Gluͤck meiner Liebe hoffen zu duͤrfen, die ich
gewiſſermaßen mit einer Untreue erkaufte. Ich
wuͤnſchte hundertmal, ich haͤtte Adeline nie geſehn,
oder dieſe Reiſe gemacht, ich flehte den Himmel
an, mein Herz umzuſchaffen, aber es blieb Alles,
wie es war, und ich machte mir die bitterſten
Vorwuͤrfe. Denn wenn ich nun auch frei war,
und daran dachte, wie Tina vielleicht unter
Schmerzen und Kaͤmpfen dahin gelangt ſei, mir
mein Wort zuruͤckzugeben, wie ſie mit der men¬
ſchenfreundlichſten Großmuth mir begegnete,
dann verdunkelte ſich Alles vor meinem Blicke,
und ich ſah in der oͤden Zukunft nichts, als
ſtarre Bilder!“ —
„Jetzt ſei es erlaubt,“ fiel Tina lachend dem
Erzaͤhler in die Rede, „jetzt ſei es erlaubt, ein
Wort einzuſprechen. Vetter Staunitz zeigt uns
eben, wie ungeheuer eitel die Maͤnner ſind; denn
aus purer Eitelkeit bildet er ſich ein, ich ſei zum
Sterben in ihn verliebt, und koͤnne nicht ohne
ihn leben. Und welche Veraͤnderlichkeit! Am
Ende wechſelt er noch einmal!“
„Tinchen!“ rief Oncle Heinrich, „Vetter
Staunitz dachte dennoch ſehr edel; und was faͤngt
jetzt die Hexe zu raiſonniren an, da ſie ihren
Theil hat?!“
Die Geſellſchaft lachte laut auf; Tina reichte
Staunitz zur Verſoͤhnung die kleine Hand, und
bat ihn, die Geſchichte fortzuſetzen. Er begann
daher von Neuem:
„Adeline war geneſen; aber ſie mogte ſich der
wieder erlangten Geſundheit nicht freun, denn ihr
Geſchick war truͤbe, zu unruhvoll, um mit Zuver¬
ſicht in die naͤchſte Zukunft ſehn zu koͤnnen.
Wir uͤberlegten zuſammen auf alle Weiſe, wie
ſie auf eine ſelbſtſtaͤndige Art leben koͤnne, denn
ein Geſtaͤndniß meiner gluͤhenden Liebe vermogte
ich jetzt nicht zu thun; da ſagte ſie mit einem
unendlich truͤben Blicke: Mein Freund, ich kann
Ihnen nicht laͤnger laͤſtig ſein, wenn mir gleich
nichts uͤbrig bleibt, als mein Leben durch meiner
Haͤnde Arbeit zu friſten. Vielleicht, es giebt ja
in unſerer Zeit ſo manche Erziehungsanſtalt, ſo
manche Schule, wo eine Stelle unbeſetzt iſt, viel¬
leicht oͤffnet ſich mir auf dieſe Weiſe eine Ausſicht.
Zu dem Manne zuruͤckzukehren, der meiner Mutter
letzte Tage verbittert, der mich mit rauher Hand
von ſich ſtieß, um mich im Kloſter ſchmachten zu
laſſen, das geht nicht, das muthen Sie mir auch
nicht zu. Mehren ſie meine Schuld nicht durch
fernere Beweiſe Ihrer Menſchenfreundlichkeit, laſſen
Sie die Verſtoßene ihren Weg gehn, haben Sie
Mitleid mit mir!
Adeline! rief ich, Sie wollten es darauf an¬
kommen laſſen, ob der Zufall Ihnen guͤnſtig iſt,
ſo wollen Sie gegen den Tyrann, Ihren Vater,
die Gerechtigkeit nicht aufrufen, die ſeine Schaͤnd¬
lichkeit beſtrafen muß? — Aber laſſen wir doch
dieſe Angelegenheit in ihrem Schleier ruhn; Ade¬
line, Sie muͤſſen es laͤngſt errathen haben, ſtoßen
Sie mich nicht von ſich; ich liebe Sie, ohne Sie
hat das Leben keinen Werth fuͤr mich, ohne Sie
bin ich arm und verlaſſen! Ich habe Ihr Herz
erkannt, es ſchlaͤgt kindlich rein und edel; Adeline
ſei mein, ſei der Engel, der meine Zukunft ſegnet!
Lieben? ſagte Adeline, und ich erſchrack, als
ob das ganze Eis des Jungfraugebirges durch
meine Nerven ſtuͤrzte, lieben? — nein, das duͤrfen
Sie nicht! Sie kennen mich kaum ſeit wenigen
Tagen, ich bin eine Waiſe, vielleicht iſt Ihr Schick¬
ſal ſelbſt ungewiß, es kann nicht ſein, es —
Weshalb dieſe ſonderbaren Zweifel? unterbrach
ich ſie raſch und etwas ruhiger. Meine Zukunft
iſt ſicher, wenigſtens kenne ich fuͤr jetzt keine
Sorge, als die, dieſes ungeſtuͤme Herz zu befrie¬
digen. Ich gehe zuruͤck auf meine Guͤter, ich
will meine Untergebenen zu gluͤcklichen Menſchen
machen. Und wie wuͤrden ſie geſegnet werden,
wenn ich an der Hand eines Engels heimkehrte,
der mich zum ſeligſten der Sterblichen macht!
— Alſo ſchlage ein, mein heilig geliebtes Maͤdchen,
ſei mein, ſprich, ob Du mich lieben kannſt!
Sie reichte mir ihre Hand; ein zartes Erroͤ¬
then uͤbergoß ihr liebliches Geſicht mit jungfraͤu¬
licher Scham, und ſie vermogte keinen Laut uͤber
die ſuͤßen Lippen zu bringen. Da zog ich ſie
mit ſtuͤrmiſcher Freude an mein Herz, ſie war
mein, und eine lange, ſelige Umarmung, ſchloß
den Bund der keuſcheſten Liebe! — — Wir ver¬
mogten nun auf einmal aus der ſuͤßen Taͤndelei
nicht herauszukommen, und begriffen in der
That nicht, wie wir noch vor wenigen Stunden
ſo mißmuthig, ſo verſtimmt hatten ſein koͤnnen.
Die Liebe kennt nur ſuͤße Sorgen, wir enteilten
daher der Gegenwart mit dem Gedanken an die
naͤchſte Zukunft, wie wir die Verwandten in
Blumenau uͤberraſchen, auf welcher meiner
Beſitzungen wir leben wollten, und feierten am
Abend deſſelben gluͤcklichen Tags mit dem hoͤchlich
verwunderten Kluge unſere Verlobung. —
Tina wußte durch meine Briefe, welchen
Schritt ich in dem Bewußtſein gethan, nur mit
meiner angebeteten Adeline gluͤcklich werden zu
koͤnnen, und wir beredeten uns lange vergeblich,
wie wir die Sache dem Grafen beibringen wollten,
der auf keinen Fall einen ſolchen Ausgang erwar¬
tete. Das Zartgefuͤhl ſtritt heftig dagegen, mit
Adeline, die ja allein ein Opfer der Angſt und
der Huͤlfloſigkeit geworden ſein wuͤrde, laͤnger
unter ſolchen Verhaͤltniſſen zuſammen zu ſein,
oder gar in meine Heimath zu reiſen, da unſere
bisherige Vereinigung ein Gebot der Nothwendig¬
keit war. Hierzu kam, daß unſere liebe Tina
mir ſchrieb, ſie wuͤnſche nichts ſehnlicher, als daß
ſie meine Adeline, die ſie durch meine Briefe
hinreichend kannte, ſo bald als moͤglich als Ba¬
roneſſe Staunitz umarmen koͤnne; und ſo ſchlug
ich denn meiner in braͤutlicher Verwirrung erroͤ¬
thenden Geliebten vor, je eher je lieber am Tiſche
des Herrn die Weihe des ehelichen Bundes zu
empfangen. Du biſt ſehr raſch, mein Freund,
ſagte Adeline freundlich ernſt; aber als ich ihr
meine Gruͤnde mit diplomatiſcher Genauigkeit
15
auseinander geſetzt, und die Aufrichtigkeit meines
heißeſten Wunſches mit einem Seelenkuſſe bekraͤf¬
tigt, den ſie, ganz Hingebung und Liebe, mit
demſelben Feuer erwiederte: da war weiter nichts
noͤthig, als einen willigen Prieſter zu ſuchen, der
uns den Segen ſprach.
In dieſer Zeit erhielt Freund Kluge einen
Brief, der ihn an das Krankenlager ſeines Vaters
beſchied. — Ich hatte genau genommen keine
feſte Heimath; meine Guͤter, ſaͤmmtlich in Admi¬
niſtration und bereits bewohnt, konnten und ſollten
uns als junges, lebensluſtiges Ehepaar nicht auf¬
nehmen. Nach Blumenau ſelbſt zu gehn, war
noch weniger anzurathen, da der Graf noch gar
nicht von meinem Schritte unterrichtet war, und
ſo ſchlug mir denn Kluge als ſcharfſinniger Rath¬
geber vor, meine Adeline einſtweilen dem Hauſe
ſeiner Eltern anzuvertrauen, indem ich auf dieſe
Weiſe ganz in Blumenau wohnen, und die Sache
leicht ausgleichen koͤnne. Dieſer Rath war mir
recht, und Kluge reiſ'te ab, mit den noͤthigſten
Auftraͤgen verſehn.
Zufaͤllig fuͤhrte Adeline ihr Taufzeugniß bei
ſich; wir begaben uns zu einem Prediger der
Vorſtadt, deſſen einfache Kirche ſo romantiſch und
bedeutſam gelegen war, daß ich ſehr wuͤnſchte,
hier getraut zu werden. Wir fanden in dem
Prediger einen biedern Greis, der, als Adeline
ihre Lebensgeſchichte kurz und wahr erzaͤhlt, mit
Freuden in unſern Wunſch willigte und uns bat,
einen Tag zu beſtimmen, an dem wir fuͤr immer
vereinigt ſein wollten. Der Himmel war uns
guͤnſtig; er woͤlbte ſich blau uͤber ſeiner ſchoͤnen
Welt, Millionen jauchzten freudig ihr Danklied
dem Hoͤchſten zu, und in unſer Herz ſenkte ſich
eine ſuͤßbeklemmende Wehmuth. — Eine Menge
auf dem Kirchplatze ſpielender Kinder zogen uns
nach, und waren Zeugen der heiligen Handlung,
die mir mein edelſtes Gut ſicherte, und als ich
mit meiner jungen Frau unſere Wohnung erreicht,
fiel ſie mir ſelig weinend um den Hals, und be¬
ſchwor mich, fuͤr das ganze Leben treu zu halten,
was ich ihr in der heiligſten Stunde ihrer Tage
gelobt.
Wir waren kaum zu uns ſelbſt gekommen,
als mir ein Brief von meiner ehemaligen Wirthin
in B. uͤberbracht wurde, die ich ſchriftlich gebeten,
mir Nachricht zu ertheilen, falls Adelinens Ent¬
fernung aus dem Kloſter irgend ein Aufſehn
mache. Sie berichtete nun unter tauſend Seegens¬
wuͤnſchen, wie die Äbtiſſin uͤber Adelinens
15 *
Verſchwinden ganz außer ſich geweſen, und wie
ferner der alte Commercienrath ganz ploͤtzlich,
von keiner Seele beklagt, an einem Schlagfluſſe
geſtorben ſei. Ich dankte der guten Frau fuͤr
ihre Nachricht, machte ſchnell wegen der Erbſchaft
und des muͤtterlichen Vermoͤgens meiner Frau
die desfalſigen Antraͤge bei der Juſtizbehoͤrde in
B., und reiſ'te hierauf mit Adeline meinem lieben
Freunde nach.
Anfangs September des vergangenen Jahrs
langten wir am Ziele gluͤcklich an. Adeline war
entzuͤckt von der ſchoͤnen Lage meiner Heimath,
wenn ſie gleich ein wenig zuͤrnte, als ich ihr
mein bisheriges Verhaͤltniß zu Tina und den
Grund nannte, weshalb wir nicht in Blumenau
unſern Wohnſitz aufſchluͤgen. An meiner Liebe
ſo wie an Tinas aufrichtiger Einwilligung konnte
ſie indeß nicht zweifeln, denn ich brachte tuͤchtige
Beweiſe, und hatte ihre Verzeihung. Aber man
denke ſich meine Verwunderung, als ich meinen
Reiſegefaͤhrten in deſſen elterlichem Hauſe nicht
antreffe, und erfahre, daß er bereits wieder das
Weite geſucht! Übrigens war der alte, vortreff¬
liche Forſtinſpector, der beilaͤufig geſagt, ein ſtein¬
reicher Mann iſt, von ſeiner hypochondriſchen
Krankheit voͤllig geneſen, und von meinen Ver¬
haͤltniſſen genau unterrichtet, ſo daß er uns bat,
ſein Haus als das unſere anzuſehn. —“
„Ihr verſchmitztes Volk,“ rief Oncle Heinrich
aus. „Aber ich merkte gleich ſo etwas, und ver¬
folgte ſchon im vergangenen Herbſt die Spur. —“
„Es ſei mir erlaubt,“ fiel Staunitz dem Oncle
freundlich in die Rede, und forſchte auf den Ge¬
ſichtern der Anweſenden, ob man ſich gelangweilt
oder nicht, „es ſei mir erlaubt, meinen Bericht
zu beendigen. Ich eilte nicht ohne große Beſorg¬
niß meines Herzens hieher nach Blumenau, ich
lernte unſern Blauenſtein kennen, und zwar in
einer Gemuͤthsverfaſſung, die ihn mir ſehr inte¬
reſſant machte. Ich ſah wie ihn Tina verehrte,
wie er fuͤr ſie brannte und ſich ſelbſt den Mund
verſchloß, mit aller Muͤhe an ſich hielt, nicht in
gluͤhende Liebesworte auszubrechen, denn ich galt
ja noch immer fuͤr Tinas Verlobter. Aber trotz
dieſen guͤnſtigen Verhaͤltniſſen durfte ich mein
Geheimniß noch nicht aufklaͤren, und es ſetzte mich
in eine ſehr große Verlegenheit, als mich der Graf
ganz als ſeinen Schwiegerſohn empfing. Nur
Tina ſah meine Adeline, und mit heimlichen
Lachen bemerkte ich, wie Blauenſtein auf dem
letzten Balle ganz eiferſuͤchtig nach mir hinblickte,
als ich unſerer lieben Wirthin' eine Haarlocke
meines lieben Frauchens brachte, die ich erſt am
Nachmittage empfangen. Ihm die Sache anzu¬
vertraun, waͤre gegen alle Politik geweſen, denn
wer konnte bei ſeiner feurigen Gemuͤthsart fuͤr
ihn ſtehen? —
Eines Tags flog ich hinuͤber zu Freund Kluge,
um zu hoͤren, ob denn mein alter Reiſecumpan
noch immer nicht zuruͤckkehren wollte, und man
denke ſich meine Ueberraſchung, als er mir an
der Hand eines jungen, reizenden Maͤdchens ent¬
gegentritt, die er mir unter Scherz und Lachen
als ſeine kuͤnftige Gemahlin vorſtellt. Ich machte
ihm Vorwuͤrfe, weshalb er gar zu verſchloſſen
und verſchwiegen gegen mich, ſeinen vertrauten
Freund, geweſen, allein er erklaͤrte denn bald die
Sache auf ſeine eigne Weiſe. Der alte Kluge
iſt mit der halben Welt verwandt, und ich muß te
oft von Herzen lachen, wenn mein Begleiter
beinahe in jedem Orte von einiger Bedeutung
mir einen Vetter nannte, den er doch nothwendig
beſuchen muͤſſe. Eines Tags kam er auch von
einer alten Baſe zuruͤck, und zwar ganz im enthu¬
ſiaſtiſchen Feuer, welches niemand anders, als ein
allerliebſtes junges Baͤſchen angefacht hatte.
Ich lachte ihn aus, er machte noch einige Beſuche,
und wir reiſ'ten ab. Daß Amor ihn aber uner¬
bittlich zu ſeinem Sclaven gemacht, hatte ich
nicht vermuthet, und dachte an die Geſchichte
nicht mehr.
Als Kluge die Nachricht von ſeinem Vater
erhielt, ſchnell ſeine Ruͤckreiſe anzutreten, deſſen
hypochondriſches Weſen ihm ſeit Jahren bekannt
war, kam er, wie er meint, mehr zufaͤllig in den
Geburtsort des ſchoͤnen Couſinchens, allein ich
glaube, es iſt dies ſo ein ganz eigener Zufall
geweſen. Er merkt, daß er dem Maͤdchen nicht
gleichguͤltig iſt, daß ſie ſeiner lebhaft und innig
gedacht hat, und er verlobt ſich mit ihr. Mein
Freund liebt das Sonderbare, Auffallende, daher
feine Eile, mit welcher er die liebe Braut ſammt
der alten Baſe holt, und ſeinen Eltern entgegen¬
fuͤhrt. Meine Adeline ſreutefreute ſich der Geſellſchaft
um ſo mehr, da Klugens Braut die liebe Schweſter
Beata, welche mit ihr einen Geburtsort hat,
recht gut kennt. Die Äbtiſſin ſoll, wie man mir
ferner mittheilte, halb unklug geworden ſein,
und das Urſulinerſtift aufgehoben werden, da es
ſchlecht dotirt und mithin in der Lage iſt, daß
man es von Seiten der hohen Geiſtlichkeit eben
nicht beguͤnſtigt. Wir koͤnnen daher bei Gelegen¬
heit dem Beſuche der lieben Beata entgegen
ſehn, ohne welche ich vielleicht nie ſo gluͤcklich
geworden waͤre, als ich es bin. Daß ſie unſeres
Blauenſteins Dank ebenſo verdient, verſteht ſich.
Aber auf jeden Fall moͤgte das allerliebſte Kind
eine gute Parthie fuͤr Vetter Heinrich ſein,
nicht wahr?“
„Was!?“ rief der letztere, „eine ehemalige
Nonne? Gott ſoll mich behuͤten und bewahren!
In dieſem Punkte lobe ich mir die dienſtbereite
Wirthin, deren Kloſterraiſonnement recht eindring¬
lich von Staunitz vorgetragen wurde. Ein Weib,
das aus reiner ſentimentaler Laune in ein Kloſter
zieht, iſt mir zuwider; uͤberhaupt taugen ſolche
Schmachtlampen nicht viel, und koͤnnen meinet¬
wegen bleiben wo ſie ſind. Daher begreife ich
noch nicht, wie ein vernuͤnftiger Menſch vom
ſogenannten Kloſterberufe ſprechen kann!“
„Wie Du doch wunderlich biſt, lieber Oncle!“
ſagte Tina, und in ihrem Auge lag ein Ausdruck
tiefbewegter Empfindung. „Hat man nicht im
Kloſter Zeit, wieder gut zu machen, was man
durch Leichtſinn und Unerfahrenheit verdarb, kann
man hier nicht rein werden von allen Schlacken
des Irdiſchen, und ſein Gemuͤth empor heben zu
dem, der unſer Schickſal waͤgt?“
„Kind,“ erwiederte Heinrich lachend, „das
klingt Alles recht fein, aber es iſt dummes Zeug!
Und am Ende iſt Dir das Kloſter, was Blauen¬
ſtein Dir zeigen oder erweiſen wird, zehnmal lieber,
als ſo ein alter verwetterter Steinhaufen mit
Eulen und alten Weibern angefuͤllt!“ —
Tina verſetzte dem Oncle einen leichten Schlag,
verbarg ihr Erroͤthen an Blauenſteins ſeliger
Bruſt, und fragte Staunitz, ob er zu Ende ſei.
„Allerdings,“ erwiederte dieſer, „meine Leidens-
und Liebesgeſchichte waͤre aus, und jetzt, meine
Theuren, lade ich Sie gegenſeitig ein, mir nach
dem gaſtlichen Hauſe des Forſtinſpectors zu fol¬
gen, und erwarte durchaus keine abſchlaͤgliche
Antwort. Das Wetter iſt heiter und zu einem
Gange in's Freie einladend, wenn es daher
beliebt, ſo gehn wir zu Fuß durch den ſchoͤnen
Forſt!“
Man dankte dem Erzaͤhler fuͤr ſeine Mitthei¬
lungen; Heinrich meinte, ſeine Rechtfertigung
waͤre im Ganzen ſo uͤbel eben nicht, und verdiene
beachtet zu werden. Die Geſellſchaft war auch
ſogleich, von innerer Neugierde getrieben, bereit,
dem ungeduldigen Staunitz zu folgen, der ſo
ſehnlich wuͤnſchte, ſein Frauchen in des Grafen
Haus nun endlich einzufuͤhren.
Blauenſtein durchzog einſtweilen mit ſeiner
angebeteten Albertine den lauſchigen Park. Beide
hatten ſich noch ſo unendlich viel zu ſagen, die
Liebe machte ſie gegenſeitig ſo beredt, und zog ſie
zur Einſamkeit hin, daß ſie die Zeit nutzten und
am Ufer des plaͤtſchernden Sees in ſuͤßer Hin¬
gebung ſich ihrer Liebe freuten. Aber Tina, war
es Adelinens ſonderbares Zuſammentreffen mit
Staunitz, ohne welches ſie ihres Herzens Auser¬
waͤhlten doch nimmer das haͤtte ſein koͤnnen, was
ſie jetzt ihm war, oder war es die Erinnerung
an ihre ungluͤckliche Mutter, die im nahm Raſen¬
huͤgel des freundlichen Gartens den ewigen Schlaf
des Todes ſchlief, Tina brach in ein ſanftes
Weinen aus, und zog den tief geruͤhrten Freund
an ihres Muͤtterchens friſch erbluͤhtes Grab. Eine
zarte blaue Winde hatte ihre rankigen Faͤden um
eine aufgebluͤhte Fruͤhroſe geſchlungen, und lachte
dem Paare anmuthig entgegen.
„Mein Freund, mein einzig geliebter Freund!“
hob Tina an, und ließ ſich an dem einfachen
Denkſteine nieder, „hier ſchwoͤre mir, nur mir
anzugehoͤren, hier, an meines unvergeßlichen Muͤt¬
terchens Grabe! Sieh, hier ſei Dein Ebenbild,
die blaue Winde, die ſich treuliebend um die Roſe
ſchlingt, bis der ſpaͤte Herbſt dem ſuͤßen Leben
ein Ziel ſetzt!“ — Sie vermogte in ihrer Ruͤh¬
rung nicht weiter zu reden, und das liebende
Paar gelobte ſich tief im Innern der keuſchen
Herzen Treue bis zum Tode! —
11.
Aufklaͤrungen.
Nach einer halben Stunde war die Geſellſchaft
im anmuthig gelegenen Forſthauſe angelangt, da
oͤffnete ſich die Thuͤr des naͤchſten Zimmers, und
ein anmuthiges junges Weib flog mit Thraͤnen
der Freude an Staunitz Bruſt, um nach wenig
Augenblicken an Tinas hochſchlagendem Herzen
auszuruhn. „Wahrhaftig,“ ſagte Oncle Heinrich
zu ſich ſelbſt, „Vetter Staunitz hat keinen ſchlechten
Geſchmack, und mein Dollond mag doch ein
wenig getaͤuſcht haben, denn damals ſah das
wunderhuͤbſche, liebliche Kind viel blaͤſſer und
unfreundlicher aus.“
„Hier meine Theuren,“ ſagte Staunitz, und
ergriff die zarte Lilienhand ſeines Frauchens, „hier
iſt meine Adeline!“
Indem trat der alte Forſtinſpector mit ſeiner
Gemahlin aus dem Zimmer, und lud die verehrten
Gaͤſte ein, naͤher zu treten und ein Stuͤndchen
froͤhlich zu verplaudern, was auch nicht ausge¬
ſchlagen wurde. Nach kurzer Zeit geſellte ſich
auch der junge Kluge, Staunitz einſtiger Reiſe¬
gefaͤhrte mit ſeiner Braut zu ihnen, und der
froͤhlichen Scherze und des Austauſches witziger
Neckereien war gar kein Ende. — Auf jeden
Fall ſollte der Graf den folgenden Tag von
Allem unterrichtet werden, ſo daß die reizende
Adeline ihrem geliebten Gatten nach Blumenau
folgen koͤnne; man gab ſich das gegenſeitige
Verſprechen, ſein Moͤglichſtes in der zarten An¬
gelegenheit zu thun, damit keine Art irgend einer
Mißhelligkeit entſtehe, und mit einem feurigen
Kuße keuſcher Gattenliebe eilte Staunitz aus der
Umarmung ſeines Weibes mit der uͤbrigen Ge¬
ſellſchaft in der kuͤhlen Abenddaͤmmerung nach
Blumenau zuruͤck.
Es wurde eine Zeitlang hin und her uͤber¬
legt, wer eigentlich dem Grafen von Staunitz
Verheirathung, von Blauenſteins Liebe zu Tina
ſagen ſollte, ob Staunitz, ob Tina oder Oncle
Heinrich. Der letztere meinte zwar, das werde
ſich ſchon finden, erfahren muͤſſe er es doch, und
dann ſei es im Grunde einerlei, durch wen.
Aber er beſchloß heimlich bei ſich, die Sache
ſelbſt, und zwar noch heute Abend abmachen
zu wollen.
Der Graf war von ſeiner Geſchaͤftsreiſe zu¬
ruͤckgekehrt; Oncle Heinrich ging ſchnurſtracks zu
ihm in's Cabinet, und beide Herren kamen auch
daraus nicht wieder fuͤr den Abend zum Vorſchein.
Der alte Martin wurde von Tina einmal gar
beauftragt, vor dem erwaͤhnten Zimmer vorbei¬
zugehn, ob etwa drinnen heftig geredet wuͤrde,
denn es war ihr ſo bang um's Herz, als ſolle
die kaum emporſteigende Sonne ihres jungen
Liebesgluͤckes wieder hinabſteigen in ein finſteres
Wolkenmeer; und wirklich berichtete der alte
Graukopf, es werde ziemlich laut geſprochen, aber
man koͤnne durchaus kein Wort verſtehn. Die
heimliche Angſt ließ ſie nicht zu ſich ſelbſt kommen;
ſie vermogte bei Tiſch keinen Biſſen zu eſſen, und
die Nacht entſchwand unter tauſend Qualen.
Blauenſtein erging es nicht viel beſſer; er
ſtarrte eine Zeitlang auf Tinas kunſtreiches Ge¬
ſchenk, die zierlich geſtickte Brieftaſche, um die
ſich ein Gewinde von Vergißmeinnicht und Roſen
auf gruͤnem Grunde ſchlang. Gruͤn, dachte
Blauenſtein, iſt die Farbe der Hoffnung, Liebe
und Treue deuten mir die andern ſinnigen
Blumen, und ſo will ich getroſt in die Zukunft
ſehn. —
Am andern Morgen beſchied der alte ergraute
Kammerdiener Blauenſtein zum Grafen. Er ſchrak
unwillkuͤhrlich in einander, und begab ſich voll
banger Erwartung in des letztern Gemach. Der
Graf trat ihm freundlich entgegen, aber doch
lag in ſeinen Zuͤgen ein Ernſt, eine halb unter¬
druͤckte Wehmuth, die er ſich nicht zu erklaͤ¬
ren wußte.
„Entſchuldigen Sie,“ hob der Graf an, und
winkte dem erſchrockenen jungen Manne zum
Niederſitzen, „entſchuldigen Sie, mein junger
Freund, daß ich Sie zu dieſer ungewohnten
Stunde zu mir rufen laſſe. Ich moͤgte gern
wieder gut machen, was ich einſt, wenn auch
unbewußt, verſchuldet, und Sie ſollen mir Auf¬
klaͤrung geben.“
Nach dieſen Worten, deren Sinn Blauenſtein
nicht begriff, nahm der Graf aus einem Secretair
ein reicheingefaßtes Miniaturbild, zeigte es dem
jungen Manne, und dieſer erkannte die Zuͤge
ſeines verklaͤrten Vaters, der hier in ſeiner Jugend
gemalt ſein mußte.
„Iſt dies das Bild Ihres ſeligen Herrn
Vaters?“ fragte der Graf mit feuchtem Blicke.
„Ohne allen Zweifel!“ entgegnete Blauenſtein
„Ich dachte es wohl,“ fuhr der erſtere fort,
„aber ich wollte Gewißheit haben. Ich darf
vorausſetzen, daß Ihnen die Jugendgeſchichte Ihres
Vaters nicht verborgen geblieben iſt. Er liebte
Fraͤulein Marie von Struen, meine nachmalige
Gattin, aber ich wußte davon nichts und warb,
halb ein Spiel meiner Verwandten, halb von
Mariens zauberiſcher Liebenswuͤrdigkeit hingeriſſen,
um ihre Hand in einer Zeit, wo das Band,
welches ſie an Ihren vortrefflichen Vater knuͤpfte,
gewaltſam getrennt war, und ich glaubte ſie
gluͤcklich. Erſt ein Jahr nach unſerer Verhei¬
rathung erhielt ich Licht, und kaum begreife ich,
wie ich hatte ſo verblendet ſein koͤnnen, und ich
habe mir lange, lange die heftigſten Vorwuͤrfe
gemacht, weshalb ich an der Seite dieſes holdſeligen
Engels einen Gedanken an Eiferſucht in mir
aufkommen laſſen konnte. Aber erſt wenige Jahre
vor ihrem Tod: ließ mich meine theure Marie
einen Blick in ihr fruͤheres Leben thun; ſie dankte
mir fuͤr die Geduld, die ich mit ihr gehabt, der
Himmel weiß, wie ſchwach ich war und es wohl
noch bin, und beruͤhrte dann die Sache nicht
wieder. — In ihrem Nachlaſſe fand ich das
Miniaturbild, was Sie ſo eben ſehen, und aus eini¬
gen Papieren Mariens erhellt, das Ihr ſeliger Herr
Vater auch ihr Bild empfangen haben muß. —“
Blauenſtein erinnerte ſich augenblicklich des
lieblichen Bildes, das er im Hauſe ſeines Vaters
gefunden, das mit ſeiner geliebten Albertine eine
ſo taͤuſchende Ähnlichkeit zeigte, und bat den Gra¬
fen, fortzufahren.
„Wie mußte es mich nun uͤberraſchen, als ich
Sie in Friedlingen kennen lernte,“ ſagte der
letztere, „denn jenes Bild und Ihr Geſicht iſt
ganz eins, als ich wenige Stunden nach Ihrer
edlen Retterthat aus Ihrem eignen Munde hoͤrte,
Ihr Name ſei Baron von Blauenſtein. Ich
dachte an die Mittheilungen meiner unvergeßlichen
Marie, aber ich konnte dieſe Saite, nennen Sie
es Schwaͤche, nennen Sie es mit einem ſchlimmern
Namen, in Ihrer Gegenwart damals nicht beruͤh¬
ren, und behielt meine Entdeckung bei mir. —
Geſtern Abend kommt mein Schwager Hein¬
rich, erzaͤhlt mir Staunitz wunderbare Ver¬
heirathung, und entdeckt mir in's Geheim, daß
ſeine Gemahlin hier in der Naͤhe wohne, und nur
des Augenblicks harre, wo ſie mit ihrem Gatten
hieher eilen koͤnne. Mein armes Kind, meine
Tina, that mir unausſprechlich leid, denn ich
glaubte, ſie wuͤrde ein Opfer ihres Grames werden,
und ſagte dies meinem Schwager, da lacht mir
der Menſch, meine Stimmung contraſtirte widrig
hiemit, laut in's Geſicht, und meint, Sie, mein
junger Freund, wuͤrden Staunitz Stelle ſchon
auszufuͤllen wiſſen. Allerdings iſt es mir nicht
entgangen, daß Sie mein Kind auszeichneten, aber
ich ahnete nicht, daß ein ſonderbares Ungefaͤhr
Tinas Verbindung mit Staunitz aufhob.“
Der Graf ergriff nach dieſen Worten das
kleine Bild ſeiner verſtorbenen Gemahlin, trocknete
die darauffallenden Thraͤnen von dem ſpiegelreinen
Glaſe, aus welchem die zauberiſchen Zuͤge der
Verklaͤrten hervorlaͤchelten, und fuhr, nachdem er
ſich wieder erholt, denn es ſchien ein Kampf
ſonderbar geweckter Empfindungen in ihm zu
16
beginnen, zu Blauenſtein gewendet, folgender¬
maßen fort:
„Was ich vorhin nur andeutete, muß ich
Ihnen zu meiner eigenen Rechtfertigung naͤher
auseinander ſetzen, denn Sie ſtehn mir jetzt nahe
wie ein geliebter Sohn. Ich habe mannigfache
Erfahrungen in meinem Leben eingeſammelt, ich
habe die Menſchen, ihr oft ſo verwirrtes, zweck¬
loſes Treiben kennen gelernt, und war ſelbſt zu
einer Zeit ein Spiel ungluͤckſeliger Verhaͤltniſſe,
die ich fuͤr die ſeligſte meines Lebens hielt. —
Der Freiherr von Struen, meiner ſeligen
Marie Vater, war ſtolz und, moͤge es ihm der
Himmel verzeihn, von einer nie zu billigenden
Habſucht erfuͤllt; Geld, Adel und vornehme Ver¬
bindungen waren ſeiner Goͤtzen angebetetſte, ihnen
opferte er Alles, Alles, nur ſich ſelbſt nicht, denn
er war Egoiſt. Die Liebe hatte meine Augen
verblendet, ich — “
„Entſchuldigen Sie meine Unterbrechung;“
fiel Blauenſtein dem Grafen in die Rede, „ich
kenne zwar meines Vaters Verhaͤltniſſe zu dem
von Struenſchen Hauſe, aber ich fand keinen Auf¬
ſchluß daruͤber, wo der Freiherr fruͤher gelebt, wo
er nach ſeinem Zwieſpalt mit unſerm Hofe ſich
hingewendet, und wie Sie, mein vaͤterlich geſinnter
Freund, die holde Marie, Ihre nachmalige Gattin,
kennen gelernt haben. Zuͤrnen Sie mir dieſer
Fragen halber nicht; denn meine Verehrung, die
ich der Verklaͤrten zolle, muß meine Neugierde
rechtfertigen, und zu ſehr regten ſie die letz¬
ten Mittheilungen meines unvergeßlichen Vaters
auf!“ —
„Ich weiß es zu wuͤrdigen,“ fuhr der Graf
mit mildem Ernſte fort, und ſchaute unverwandten
Blickes auf das Miniaturbild, „ich weiß es zu
wuͤrdigen, mein junger Freund, und Sie ſollen
Alles wiſſen. Wie leicht koͤnnten Sie mich fuͤr
herzlos halten, wie leicht koͤnnten Sie vermuthen,
ich habe mit kalter Überlegung das Band zerriſſen,
was die Liebe um meiner Marie, und um Ihres
verklaͤrten Vaters Herz geſchlungen, denn ich
ahnete nicht, daß Marie Ihren Vater je geliebt,
ich kannte ihn nicht einmal dem Namen nach, da
ich mich in der Reſidenz nie lange Zeit aufhielt.
Aber hoͤren Sie mich an, vernehmen Sie meine
Rechtfertigung. Und waͤre jener verklaͤrte Engel,
deſſen Leben ſo oft getruͤbt wurde, ſelbſt gegen¬
waͤrtig, er koͤnnte es nicht anders vorſtellen, als
es geſchehn wird!“
16 *
„Herr Graf,“ ſagte Blauenſtein, als jener ein
wenig in ſeiner Rede ſtill ſtand, „Sie ſind in
einer zu aufgeregten Stimmung, ſchonen Sie
Ihre Kraͤfte! Schon der innige Antheil an dem
Mißgeſchick meines Vaters zeigt mir, das Ihnen
ſeine Verhaͤltniſſe zu Fraͤulein Marie von Struen
unbekannt ſein mußten!“
„Entſchuldigen Sie dieſe innere Aufregung,“
entgegnete der Graf mit Ruhe, „aber ich weiß
nicht, was mich heute ſo innig bewegt und wei¬
biſche Thraͤnen in mein Auge lockt. Hoͤren Sie
mich denn an, ich werde bald zu Ende ſein. —
Ich lernte Marien auf dem Landſitze einer Tante
kennen, in deren Naͤhe Struens Erbguͤter liegen,
welche ſchon damals ſehr uͤberſchuldet waren.
Wer haͤtte dieſen holden Engel ſehn und nicht
augenblicklich lieben koͤnnen! — Ich ſah ſie oft,
beinahe taͤglich; wir unterhielten uns, ich las ihr
vor, meine Hand leitete mit ſicherer Keckheit den
Kahn uͤber den großen, mit Wald begrenzten
Weiher meiner Tante, und Marie folgte mir gern.
Der Freiherr und ſeine Gemahlin mogten bemer¬
ken, was ich fuͤr ihr Kind empfinde, und zeigten
ſich mir jeder Zeit freundlich und zuvorkommend;
aber mein Mund war verſchloſſen, eine namenloſe
Angſt ergriff mein Herz, wenn mir in Mariens
Gegenwart der Gedanke beikam, es ſei eine guͤn¬
ſtige Zeit, ihr meine gluͤhende Liebe zu geſtehn.
Ich gehoͤrte nie zu den eitlen Gecken, welche ſich
bei jeder natuͤrlichen Offenheit und Freundlichkeit
eines jungen, unbefangenen Maͤdchens einbilden,
ſie ſeien geliebt, es beduͤrfe nur der Anfrage, um
ſich am Ziel ihrer Wuͤnſche zu ſehn; aber ich
war vielleicht zu ſehr zuruͤckhaltend, hatte zu
wenig Kenntniß des menſchlichen Herzens, das
ja immer unergruͤndlich bleibt. Oft nahm ich
mir vor, etwas weiter auszuholen, Mariens
eigentliche Empfindungen zu erforſchen, aber ich
fand immer nur die heitere, unbefangene Natuͤr¬
lichkeit ihres ſo unendlich einnehmenden Weſens,
und wußte mir ſelbſt nicht zu rathen. Meine
Tante, welche mit der alten Frau von Struen
ziemlich vertraut war, wuͤnſchte eine Verbindung
zwiſchen Marien und mir von ganzer Seele;
ſie ſah meine Zaghaftigkeit und wollte doch auch
nicht gegen meinen Willen mit Mariens Eltern
von der Sache reden. So verging eine lange
Zeit. — —
Endlich, ich hatte gar keine Ahnung davon,
erhielt ich die Nachricht, daß der Freiherr ſeine
Guͤter verlaſſe und nach der Reſidenz gehe, wo
er auch in Verhaͤltniſſen geſtanden und operirt
hat, die mir niemals bekannt geworden ſind. —
Die Leidenſchaft fuͤr Marie hatte den hoͤchſten
Grad erreicht, ich verzehrte mich ſelbſt, ſchwand,
wie mich meine Verwandten verſicherten, ſichtlich
hin wie ein Schatten, und ſah doch keine freund¬
liche Ausſicht vor mir. Meine Tante ſchlug mir
vor, ſchnell nach der Reſidenz zu reiſen, und beim
Freiherrn von Struen um die Hand ſeiner Tochter
anzuhalten. Es blieb mir im Grunde kein an¬
derer Weg uͤbrig, und voll, theils ſuͤßer, theils
banger Erwartungen, reiſ'te ich mit nichts, als
meiner Liebe beſchaͤftigt, nach der Reſidenz ab.
Der Freiherr empfing mich nebſt ſeiner Gemahlin
unendlich freundlich; ſie mogten beide die Abſicht
meines Beſuches kennen, und erleichterten mir
meinen Antrag, den ich machte. Der Freiherr
ſagte mir, ich ſei ihm als Schwiegerſohn herzlich
willkommen, ich habe mit ſeiner Tochter einen
Glauben, und ſei von ihr geachtet und geliebt. —
Meine Freude kannte keine Grenzen, ich ver¬
langte nach Marien, aber ſie war nicht in der
Reſidenz gegenwaͤrtig, ſondern in N. bei ihrem
Großvater muͤtterlicher Seite, wo ich nach einigen
Monaten hinreiſ'te, indem der Freiherr die Reſi¬
denz wegen einer Unannehmlichkeit am Hofe
meiden mußte. Man ſagte ſpaͤter, er ſei in Un¬
gnade gefallen, doch habe ich das Naͤhere hieruͤber
ebenfalls nie erfahren, da er einige Zeit nach
meiner Verbindung mit Marien ſtarb, und ihm
ſeine Gemahlin kurz darauf folgte.
Marie empfing mich freundlich, aber mit einer
Niedergeſchlagenheit, die ich nur in meiner Ver¬
blendung nicht bemerkte. Sie hielt mich zu ent¬
fernt, als daß ich ihr haͤtte ein Geſtaͤndniß meiner
Liebe thun koͤnnen, und ſo vergingen viele Mo¬
nate. Ich war bald im Hauſe meiner Tante,
bald in N., indem der Freiherr ſeine Guͤter aus
einer Urſache nicht bezog, die ich erſt ſpaͤterhin
erfuhr. Was ich nicht uͤber meine Lippen bringen
konnte, vertraute ich einem Briefe an Marien,
ſie lud mich gleichfalls ſchriftlich zu ſich ein, und
ich verlobte mich mit ihr in Gegenwart ihrer
nun ganz zufriedengeſtellten Eltern.
Ich war von meinem Gluͤcke berauſcht, mit
Freuden bezahlte ich eine ziemlich bedeutende
Summe Schulden, welche den Freiherrn druͤckte,
und war gern bereit, ihm aͤhnliche Dienſte zu
erweiſen. Erlaſſen Sie mir die Eroͤrterung dieſer
Puncte, mein lieber junger Freund, Sie werden
den Zuſammenhang leicht errathen.
Auf einer kleinen Reiſe hatte ich hier Blu¬
menau kennen gelernt; ſeine ſchoͤne Lage beſtach
mich und ich freute mich herzlich, als ich erfuhr,
der Landſitz ſolle verkauft werden. Ich erzaͤhlte
Marien davon; ſie wuͤnſchte ſich immer ein
gewiſſes einſames Leben, und freute ſich meines
neuen Ankaufes, da ſie Blumenau ebenfalls
bereits kannte. Hier feierte ich auch meine Ver¬
maͤhlung, wenn es mir gleich nicht entgehen
konnte, daß Marie nicht ſo heiter war, als ich
erwartet hatte. Im Rauſche meines Gluͤcks war
ich kurzſichtig geworden; die heimlichen Thraͤnen,
welche Marie vergoß, fielen, es konnte mir zuletzt
ihr geheimer Kummer nicht mehr entgehn, wie
gluͤhendes Blei in mein Herz, meine Augen
oͤffneten ſich, und ich war nun vielleicht noch un¬
gluͤcklicher als ſie ſelbſt. Ich beſchwor Marien
bei Allem, was ihr theuer ſei, bei der Ruhe
meines Lebens, ſie moͤge mir geſtehn, was ihr
ſei, was in ihr vorgehe, Beide Eltern waren
kurz vorher geſtorben, ich darf es nicht unberuͤhrt
laſſen, und dieſer Umſtand mogte ihr zartes Herz
tief erſchuͤttern. Anfangs laͤchelte ſie uͤber meine
Beſorgniß, aber dann ſank ſie mir weinend an
die Bruſt, und geſtand mir Alles, wie ſie Ihren
Vater kennen gelernt, wie innig ſie ihn geliebt
habe, daß der alte Freiherr dies Band gewaltſam
getrennt, vielleicht wie ſie meinte, wie ich aber mit
Zuverlaͤſſigkeit annehmen konnte, aus elender Geld¬
ſucht, aus Furcht, ſein Haus moͤge ohne meine Un¬
terſtuͤtzungen in Elend verſinken. Die Religions¬
verſchiedenheit Mariens und ihres Geliebten war
nur Nebenſache geweſen! —
Mariens Herz war in der That merklich er¬
leichtert durch ihre Mittheilung; ſie ſchwebte wie
ein holder Engel des Himmels um mich her,
und machte mich durch meine beiden Kinder zum
gluͤcklichſten Vater. Aber ein heimliches Gift
nagte an der zarten Bluͤthe ihres edlen Lebens,
und ehe noch die kleine Tina ihr achtes Jahr
erreichte, war meine Marie — todt! — — Sie
war nicht fuͤr dieſe Welt, das elende Treiben
dieſer jaͤmmerlichen Menſchen ſtimmte nicht zu der
klaren Reinheit ihres himmliſchen Herzens. —
Erlaſſen Sie mir fuͤr heute die Auseinander¬
ſetzung mancher kleinen Nebenumſtaͤnde, die Sie
vielleicht ſchon von ſelbſt errathen. Ich hoffe, ich
ſtehe in Ihren Augen als kein Schuldiger da;
ich war ſchwach, und des Engels nicht werth,
aber kein Falſch kam in mein Gemuͤth. Sie
wurde mir zu fruͤh genommen, und meine einzige
Freude ſind meine Kinder, die meine letzten Tage
mit Blumen reichlich ſchmuͤcken! Ich weiß
es, Convenienzverbindungen ſind keine Grundpfeiler
eines daurenden Lebensgluͤckes; dem Herzen laſſe
man ſeine Gewaͤhrung, man greife nicht ſtoͤhrend
in die Seligkeit der Liebenden, die ſich gefunden.
Geheime Thraͤnen habe ich geweint, als ich durch
meinen Schwager der Liebe Tinas zu Ihnen
gewiß ſein konnte. Wenn Ihr trefflicher Vater
nicht gluͤcklich ſein konnte, ſo ſollen Sie es werden
durch die Hand meines Kindes, das Ihrer werth
iſt. Mir gilt es gleich, wem Tina einmal die
ſchoͤnſten Tage ihres Lebens dankt; alſo ſein
Sie mir als Sohn herzlich willkommen; nennen
Sie es nicht zudringliche Voreiligkeit, daß ich
eher von Ihrer Liebe ſprach, als Sie es ſelbſt
gethan. Aber ein liebender Vater durchbricht
gern die Schranken einer angenommenen Regel!“
Das hatte Blauenſtein nicht erwartet, er eilte
in die ihm entgegen gebreiteten Arme des edlen
Grafen, und erzaͤhlte, wie es der innigſte Wunſch
ſeines verklaͤrten Vaters geweſen ſei, die holde
Tina als ſeine Tochter einſt an ſein Herz zu
ſchließen, und wie dies ſein hinterlaſſenes Teſtament
erweiſe. Da oͤffnete der Graf eine Seitenthuͤre,
Tina, von braͤutlicher Scham uͤbergoſſen, eilte in
liebreizender Verwirrung an des uͤberſeligen
Blauenſteins Bruſt, um mit ihm vereint den
vaͤterlichen Seegen zu empfangen.
12.
Das Verlobungsfeſt.
Oncle Heinrich war ein großer Freund der
Familienfeſte, und meinte bei ſich, wenn ſich auch
Tinchen mit ihrem Blauenſtein ſchon verlobt
habe, ſo koͤnne dies doch um ſo mehr noch ein¬
mal in optima forma geſchehen, da man der¬
gleichen Feierlichkeiten auf eine unverzeihliche
Weiſe zu vernachlaͤſſigen anfange. „Ich bin zwar
niemals verlobt geweſen,“ ſagte er zu Staunitz
mit dem er uͤber die Arrangements das Naͤhere
beſprechen wollte, „allein es ging zu der Zeit,
wie ich noch jung war, ganz anders her. Da
verſammelte man ſich feierlich im Hauſe der
Braut, der Ringwechſel fand ſtatt, und hinterher
paſſirte auch wohl ein Aufzug, oder ein Taͤnzchen.
Heutzutage ſchaͤmt man ſich beinahe, die edle
Sitte hervorzurufen. Die letzte Verlobung, der
ich beiwohnte, war bei dem Oberlandforſtmeiſter;
da gings bunt her; meiner Seele, iſt da doch
getollt worden! Der Geheimrath Sacken hatte
ſchwer geladen, und wie er dem Paare Gluͤck
wuͤnſchen wollte, rannte er mit dem hintern Theile
ſeines Koͤrpers dem Vater der Braut vor ſeinen
dicken Bauch, wurde von dieſem elaſtiſchen Berge
zuruͤckgeſchleudert, und ſchoß eine Lerche, daß er
an der Erde lag, wie ein Sack! Das gab nun
freilich einen tollen Laͤrm, aber wir ließen uns
nicht ſtoͤhren. — Diesmal, hoffe ich uͤbrigens,
ſoll es nicht auf einen ſolchen Sturz ausgehen,
und ich bin im Grunde froh, daß die Sache
ſo endigte.“
„Wie ſo?“ fragte Staunitz.
„Nun,“ erwiederte Heinrich lachend, „daß
Tinchen bei der Parthie nicht leer ausgeht.
Anfangs dachte ich immer, ſie wuͤrde ohne den
Vetter Staunitz nicht leben koͤnnen, und wie ich
ſo dem Dinge auf die Spur kam, dachte ich
immer bei mir, es waͤre gut, wenn der Menſch
ſein Herz verzehren und ein neues in ſich
werden laſſen koͤnnte, wie der Magen beim
Krebſe. Es ſei mir erlaubt, dies merkwuͤrdige Ereigniß
in der Natur des Krebſes hier naͤher ausein¬
anderzuſetzen. Zur Zeit der Haͤutung oder Mau¬
ſerung die es Inſects, eine angreifende Periode
fuͤr daſſelbe, fuͤhrt es die bekannten halbkug¬
lichen, kalkartigen, ſogenannten Krebsſteine im
Magen, welche ſich von den Nahrungsmitteln
abgeſetzt haben. Der Magen ſelbſt liegt im
Kopfe, nahe bei den Augen, und iſt mit drei
ſcharfen, breiten, dicht aneinanderſtehenden Zaͤh¬
nen verſehn. Nach Abloͤſung der Schale iſt der
Krebs weich und butterartig, jedoch verhaͤrtet
ſich die aͤußere Decke, vermuthlich durch Auf¬
loͤſung der erwaͤhnten Krebsſteine, welche ſich in
eine fluͤſſige Maſſe aufloͤſen. Bei dieſer Haͤu¬
tung erneuern ſich Magen und Gedaͤrme, indem
ſich beide Eingeweide abloͤſen, und ſich neue an
deren Stelle bilden. Der neue jetzt entſtandene
Magen verſchlingt nun zugleich die erwaͤhnten
alten Abgaͤnge als erſte Nahrung. Man kennt
uͤbrigens jetzt mehr als 200 Gattungen der
Krebſe! —
Aber nun geht ja die Sache friſch und
nicht den Krebsgang, daher iſt Alles gut, wie
es der Himmel gefuͤgt hat!“
Staunitz war froh, daß Oncle Heinrich ſeinen
Sermon geendigt hatte, und traf Anſtalten zum
Abholen ſeiner Adeline vom einſamen Forſthauſe;
da meinte aber Emil, die Sache habe noch ein
wenig Zeit, weil ein gehoͤrig geordneter und
geſchmuͤckter Reiter und Wagenzug vor der jungen
Frau erſcheinen muͤſſe, damit ihr Einziehn in die
Burg ſeiner Vaͤter auch freundlich und uͤberraſchend
ſei. Fuͤr den weiblichen Theil hielt ein glaͤnzender
Wagen in Bereitſchaft, die jungen Maͤnner aber
ſollten unter Heinrichs Anfuͤhrung die Wagen zu
Pferde in moͤglichſtem Putz begleiten, und dann
die liebreizende Adeline dem im Schloſſe zuruͤck¬
bleibenden Grafen entgegenbringen. Heinrich
beſtieg auch mit froͤhlichem Eifer ſeine alte Iſa¬
belle, kehrte ſich nicht an ihr unziemliches Quiecken
und Bocken, und ſprengte vor dem Maͤnnerklee¬
blatte her, das ſeinen Platz vor dem glaͤnzenden
graͤflichen Wagen einnahm.
Unter Thraͤnen der edelſten Ruͤhrung und
Freude ſtieg Adeline, von Roſalie, der Braut des
jungen Kluge, und Tina begleitet, waͤhrend ſich
der letztere als vierter Reiter mit zu den Maͤnnern
geſellte, in den feſtlich geſchmuͤckten Wagen. In
der großen Lindenallee vor Blumenau hielt der
Zug an; die auserleſenſte Jugend von den Guͤtern
des Grafen harrten hier mit einem kleinen
Triumphwagen, der mit den lieblichſten Roſen¬
gewinden anmuthig und kunſtreich durchſchlungen
war; auf dem Sitze lag ein weiches Polſter von
rothem Sammt mit reichen Kanten. Tina ſo¬
wohl, als ihre neue Freundin Adeline war hoͤchſt
von der glaͤnzenden, phantaſtiſchen Erſcheinung
uͤberraſcht, denn Bruder Emil und Oncle Heinrich
hatten Alles ganz heimlich in großer Geſchwin¬
digkeit angeordnet, und dieſe Verwunderung ſtieg
noch hoͤher, als die drei Damen genoͤthigt wurden,
in dem Roſenwagen Platz zu nehmen, und ſich
von der geputzten Landjugend nach dem Park
von Blumenau ziehn zu laſſen. Im Bosquet
war in aller Schnelligkeit ein gruͤner Laubtempel
errichtet, ebenfalls mit Roſen und andern Fruͤh¬
lingsbluͤthen durchflochten, und unter einer in der
Mitte der durchſichtigen Decke ſchwebenden Blu¬
menkrone erhob ſich ein einfacher Altar mit der
flackernden Flamme. In der Naͤhe des einen
Blumenpfeilers ſtand der Graf in glaͤnzendem
Hofſtaat mit Kreuz und Orden, und empfing
die Gemahlin ſeines Vetters Staunitz mit
der ihm eigenen zuvorkommenden Freundlichkeit
und Guͤte.
Adeline war faſt keines Wortes maͤchtig; ſie
war ihrer Freundin Albertine in die Arme ge¬
ſunken, als koͤnne ſie dieſe Fuͤlle freudiger Ereig¬
niſſe nicht ertragen. Da faßte der Graf, der
ſeine Faſſung zuerſt wieder gewonnen, ihre zarte
Hand, fuͤhrte ſie Staunitz laͤchelnd entgegen,
und ſagte: „Sein Sie gluͤcklich mit ihm! Ich
hatte gehofft, er werde in wenigen Wochen meines
Kindes Gatte ſein, aber die Maͤchte dort oben,
wo unſer Schickſal beſtimmt wird, wollten es
anders. Jetzt iſt ſie Braut eines jungen Mannes
geworden, deſſen Schuldner ich mich nennen muß,
und ich habe den ſchoͤnen Glauben, daß er meine
Tina gluͤcklich machen wird. Die Wege der
Vorſehung ſind nicht die unſern; das heitere
Liebesgluͤck, auf das meine Marie an der Seite
eines wider ihren Willen gewaͤhlten Mannes ver¬
zichten mußte, mag der Himmel den Verlobten
geben. Sie haben, ein Spiel des freundlichen
Zufalls, in die Naͤhe dieſes Engels gerathen
muͤſſen, lieber Vetter,“ fuhr der Graf fort, ſich
an Staunitz wendend, „um in ſeinen Armen fuͤr
ein Gut entſchaͤdigt zu werden, daß Blauenſtein
Ihnen nahm, ehe er es ſelbſt ſich bewußt war.
Der Geiſt meiner verklaͤrten Marie ſpende Euch,
meine Theuren, ſeinen Seegen!“ — —
Der Graf vermogte nicht weiter zu reden,
die Erinnerung an die zu fruͤh Verlorne war zu
ſtark, als daß er ſich in ſeiner lebhaften Ruͤhrung
haͤtte ermannen koͤnnen, und er beurlaubte ſich
bei den jungen Paaren, indem er ſein einſames
Zimmer aufſuchte.
Die Liebe erheitert das jugendliche Gemuͤth,
wenn ſie auch in jedes fuͤhlende Herz eine ſuͤße,
zarte Wehmuth gießt. Die jungen Paare ge¬
lobten ſich Treue bis zum Tode, und reichten ſich
im Vollgefuͤhl ihres verdienten Gluͤcks die Haͤnde
uͤber der emporlodernden Flamme des Altars, und
aus dem nahen Waldgebuͤſch ſchwebte auf den
Fittigen des friſchen Windes der Fruͤhlingshymnus
der froͤhlichen Äſtebewohner heruͤber.
„Wenn Ihr nicht gluͤcklich werdet,“ ſagte endlich
Oncle Heinrich, indem er heiter und ſorglos die
feierliche Stille unterbrach, „wenn Ihr nicht
gluͤcklich werdet, ſo muß es nicht mit rechten
Dingen zugehn! Solche Ceremonien ſind mir
in meinem Leben noch nicht vorgekommen, und
meine Praxis iſt im Ganzen ſo uͤbel nicht;
allein ich finde dies Alles brav und lobenswerth!
— Doch, ehe ich die Sache wieder vergeſſe, muß
ich ſchnell eine Querfrage thun. Vetter Staunitz
meinte geſtern, wenn ich nicht irre, er habe eine
frohe Nachricht bekommen, die moͤgten wir doch
gern wiſſen, wenn die Sache nicht eine bloße
Windbeutelei iſt. Man darf dem Herrn Vetter
17
nicht recht trauen, und daher rathe ich Ihnen,
meine ſchoͤne Couſine,“ wandte er ſich an die
holdſelige Adeline, „auf den Patron ein wachſames
Auge zu haben!“ —
„Gut, daß Sie mich jetzt daran erinnern!“
erwiederte Staunitz, und ſchlang ſeinen Arm um
den ſchlanken, bluͤhenden Sylphenleib ſeines lie¬
benswuͤrdigen jungen Weibes. „Die angenehme
Nachricht beſteht aber darin. Ich erhielt von B.
einen vielſagenden Brief; die vaͤterliche Erbſchaft,
welche wir fuͤr verloren hielten, iſt glaͤnzend aus¬
gefallen, und hier,“ fuhr er fort, und zog aus
der Taſche mehrere ſauber zuſammengelegte Papiere,
„hier in dieſen Documenten ſteht es ſchwarz auf
Weiß, daß meine theure Adeline außer ihrem
Muttergute noch uͤber eine Tonne Goldes zu
befehlen hat!“ —
„Bringſt Du mir weiter nichts, wie immer
nur Geld und Reichthum, mein Geliebter?“
fragte Adeline mit komiſcher Traurigkeit im Blicke.
„Haſt Du keine andern Nachrichten? — Vor
Allem bewahre mir Deine Liebe, ohne dieſe ſind
Tonnen Goldes eitler Tand, nichts ſagender
Prunk, der nur kalte Herzen zu erfreuen vermag,
die eben ſo hart ſind, als ihr angebetetes Metall!“
„Wohl Dir,“ ſagte Staunitz mit einem zaͤrt¬
lichen Haͤndedrucke, „wenn Du edlere Guͤter kennſt
und beſitzeſt, als den Reichthum! Aber findet
ſich Zufriedenheit, wahres inneres Gluͤck mit
Reichthum vereint, warum ſoll man ſich deſſelben
nicht freun? — Doch ich habe noch etwas zu
berichten; der Curator Deines Vermoͤgens ſendet
mir aus dem Nachlaſſe Deiner ſeligen Mutter
eine Menge Schriften nebſt ihrem Bilde, das
Du Dir immer ſo ſehnlich gewuͤnſcht haſt!“
Adeline dankte mit einem Seelenkuſſe fuͤr
dieſe Nachrichten, und ſchmiegte ſich an des Ge¬
liebten Seite. Die Flamme des Altars flackerte
noch matt auf, als wolle ſie erloͤſchen; „Kinder,“
ſagte daher der ungeduldige Emil, und ſtieß mit
dem Arme einen Blumentopf um, in dem eine
ſchoͤne Wachsblume Asclepias carnosa.
prangte, ſo daß Oncle
Heinrich meinte, er taumle ſchon, ehe man noch
ein Glas des edlen Champagners genoſſen, den
man unmoͤglich laͤnger im Gartenſallon harren
laſſen duͤrfe, „Kinder, die Flamme des Altars
mahnt uns an den Einzug in das Feſtzimmer!“
Auf dieſe Aufforderung fuͤhrte Oncle Heinrich
die geſchmuͤckte Adeline, Blauenſtein ſeine Tina
nach dem erwaͤhnten Gartenſallon, wo ein koͤſt¬
liches Gabelfruͤhſtuͤck, in welchem ein neuer Koch
aus der Reſidenz ſeine Meiſterſchaft erſchoͤpft,
den Eintretenden entgegenduftete, und die drollige
Braut des froͤhlichen Kluge, das reizende Baͤs¬
chen, fuͤhrte den uͤber den Raub, welchen Oncle
Heinrich begangen, ganz uͤberraſchten Staunitz
dem lachenden Emil entgegen. Unter lautem
Jubel waͤhlten die frohen, gluͤcklichen Menſchen
ihre Plaͤtze an der reich geſchmuͤckten Tafel, an
der man keinen uͤbelredenden, ironiſchen Gaſt ge¬
wahrte, wie an der Abendtafel des den freund¬
lichen Leſern oben beſchriebenen Balles.
Als der Graf mit entwoͤlkter Stirn eintrat
und die Anweſenden begruͤßte, da hob Heinrich
ſein Kelchglas hoch empor, und indem er in den
Paukenwirbel und die ſchmetternden Trompeten¬
toͤne der im Nebenzimmer verborgenen Muſik
ein lautes: „Die Verlobten und das edle junge
Paar ſollen leben, hoch!“ hineinrief, — da ſchallte
aus jedem Munde ihm ein froͤhliches Hoch! aus
voller, freudiger Bruſt nach, und in dem feſt¬
lichen Brautjubel entfloh den gluͤcklichen Menſchen
der ſeligſte Tag ihres freudenreichen Lebens!
Punctum.
Denn daß Blauenſtein wenige Wochen nachher
ſeiner holden Tina am Altare die Hand zum
ehelichen Bunde reichte, daß er ſie der getroffenen
Verabredung gemaͤß nach ſeinem ſchoͤnen Stamm¬
ſchloſſe Bohlingen fuͤhrte, wo es ſich leben laſſen
ſoll wie im Paradieſe, daß ferner Emil, Tinas
geliebter Bruder, ernſtlich beſchloſſen hat, irgend
einer der reizenden Leſerinnen ſeine Hand zu
reichen, keineswegs aber der kugelrunden Tochter
des alten Kammerherrn, ſo wie, daß Tante Letty
nach endlicher Verzeihung und erfreulichen Auf¬
klaͤrung wieder in Gnaden in die ſich alljaͤhrlich
auf einige Monate vereinigende Familie aufge¬
nommen iſt, das ſind alles Dinge, die ſich von
ſelbſt verſtehn.
Einige Jahre nach dem, was die freundlichen
Leſer ſo eben erfuhren, gelangte ich auf einer
Geſchaͤftsreiſe in die Naͤhe des reizend gelegenen
Blumenau. Der uͤberaus fette Boden war an
den ſchlechten Wegen ſchuld, welche meinem Rei¬
ſewagen auf aͤhnliche Weiſe ein Rad raubten,
wie dem Brautfahrer Blauenſtein, und ich ſah
mich genoͤthigt, die gaſtfreundliche Guͤte des nahen
Gutsbeſitzers in Anſpruch zu nehmen, den ich
nicht einmal dem Namen nach kannte. Im
Garten, die freundliche Welt Florens zog mich
zunaͤchſt an, kam mir ein kleiner bausbackiger
Junge entgegengehuͤpft, und fragte dann mit
ſeinem Silberſtimmchen: „Willſt Du zum Vater?“
Ich nahm den kleinen Amor an die Hand, und er
zog mich nun auf Kinderart nach der zunaͤchſt
liegenden Laube. Ein junger, bluͤhender Mann, an
der Seite eines engelſchoͤnen Weibes trat mir, auf
die Signale, die mein kleiner Fuͤhrer gab, bewill¬
kommend entgegen, und ich erkannte in dem erſtern
augenblicklich den Baron v. Blauenſtein, der ein
ganzes Jahr mein Studiergenoſſe geweſen.
Der junge, liebenswuͤrdige Mann hatte neben
ſeiner Feinheit, neben ſeinem glaͤnzenden Wiſſen
ſeine Beſcheidenheit, den geraden Charakter bewahrt.
Nach Verlauf einer halben Stunde waren wir
wieder ſo bekannt, ſo innig vertraut und heiter,
wie einſt als academiſche Buͤrger, ſo daß mich
der Baron nebſt ſeiner reizenden jungen Frau
bat, einige Tage in Blumenau zu verweilen, wo
ſie ſelbſt als Gaͤſte eingezogen waren. Wer haͤtte
den trefflichen Menſchen eine ſolche Bitte abſchla¬
gen koͤnnen!
Ich blieb alſo, und zwar drei volle Tage.
Neben ſeiner Tina fuͤhrte mich mein Freund
in ſein fruͤheres Leben zuruͤck; die intereſſante
Art, wie er ſeine jetzige Frau kennen gelernt,
wie er ſo lange Zeit den irregefuͤhrten Anbeter
geſpielt, und endlich an's Ziel ſeiner Wuͤnſche ge¬
kommen war, ferner die Geſchichte ſeines treff¬
lichen Vaters, ſo wie Staunitz Reiſeabentheuer:
Alles dies erregte meine Theilnahme lebhaft, ſo
daß ich nicht umhin konnte, zu aͤußern, die mir
geſchehenen Mittheilungen gaͤben den beſten Stoff
zu einer Erzaͤhlung aus der wirklichen Welt.
Die muntere, lebensfroͤhliche Baronin lachte laut
auf, wenn ſie ſich als Geſchichtsheldin dieſer Art
dachte; allein ſie verweigerte mir nebſt ihrem
Gemahl keineswegs die Erlaubniß, meine belobte
Idee wirklich in Ausfuͤhrung zu bringen.
Am dritten, ſchmerzlichen Tage meiner Ab¬
reiſe kam Staunitz mit ſeiner engelhuͤbſchen Ade¬
line, die holde Exnonne, um das junge Ehepaar
zu entfuͤhren, was dem Grafen, meinem edlen
Wirthe, nicht ſehr gefallen wollte. Der kleine
Albert, Tinas wackeres Soͤhnchen, in dem aͤcht
Blauenſteiniſches Blut rollt, wollte ſich von mir,
ſeinem Freunde, den er ja zuerſt zu dem Eltern¬
paare gefuͤhrt, gar nicht trennen, ſelbſt Staunitz
Dogge, deren ſtarker Ruͤcken den jungen Reiter
oftmals durch den lauſchigen Park tragen mußte,
vermogte ihn nicht zu troͤſten oder zu entſchaͤdigen,
und er ſtreckte mir ſehnſuͤchtig die Haͤnde nach,
als mein Wagen uͤber den Schloßhof davon eilte.
Noch in den Wagen rief mein Freund, ich ſolle
des Romans nicht vergeſſen.
Die Reſultate deſſen, was meine geringe Kunſt
vermogt, ſieht hier der freundliche Leſer vor ſich.
Daß gute, edle Menſchen ein ſchoͤnes Ziel
auf dieſer Welt erreicht, daß ſie neben wahrer
Tugend auch im Überfluſſe reicher Gluͤcksguͤter theil¬
haftig werden, gehoͤrt freilich heutzutage, wo weder
wahre Tugend, noch Kraft und innerer Werth an's
Licht der Welt treten, zu den ſeltenſten Seltenheiten.
An der Seite eines geliebten Weibes, Vater eines
geſunden Kindes, ein reines Herz in der Bruſt,
eine der Vernunft gemaͤße Beſchaͤftigung und dann
nebenbei Herr bluͤhender Guͤter und liebender,
treuer Unterthanen, freilich, auf dieſe Weiſe lebt
es ſich paradieſiſch. Aber wir koͤnnen nicht alle
gleich gebettet ſein, und wer reines Herzens iſt,
die druͤckende Sorge nicht kennt, der lebt in ſeiner
frommen Genuͤgſamkeit uͤberall im Paradieſe,
denn es bedarf zu ſeinem Gluͤcke der goldenen
Schaͤtze nicht!