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Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827.

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"Glaubst Du denn," hob der Graf wieder an,
und machte eine recht bedenkliche Miene, als er
aus des Schwagers dargebotener Dose eine kleine
Priese nahm, "glaubst Du denn, daß sich so ein
junger Herr, der die Welt kennt, an das Verlobt¬
sein kehrt? Doch er kann eine Ausnahme machen,
und ich muß gestehn, das ganze Wesen des jungen
Mannes gefällt mir, er hat so etwas Festes,
und dabei so viel Witz und den ächten
bon ton! --

"Bon ton hin, bon ton her," brummte
Heinrich halb bei sich, "er hat Lebensart, bei
meiner Seele!" -- --

Die guten Männer! Keiner hatte Arges! sie
konnten mit Recht überzeugt sein, Tinas, so wie
Blauensteins Inneres sei ohne Falsch; aber in
beider Herzen, diese unergründliche Tiefe, in der
niemand das Rechte gewahrt, was er eigentlich
sucht, einen durchdringenden Blick zu thun, das
vermogten sie nicht! Der Graf galt für einen
feinen Menschenkenner, und bei Hofe für äußerst
turnirt; aber die eigene, geliebte Tochter hatte
er noch nicht ergründet!

Man hatte sich lange gestritten, ob man den

„Glaubſt Du denn,“ hob der Graf wieder an,
und machte eine recht bedenkliche Miene, als er
aus des Schwagers dargebotener Doſe eine kleine
Prieſe nahm, „glaubſt Du denn, daß ſich ſo ein
junger Herr, der die Welt kennt, an das Verlobt¬
ſein kehrt? Doch er kann eine Ausnahme machen,
und ich muß geſtehn, das ganze Weſen des jungen
Mannes gefaͤllt mir, er hat ſo etwas Feſtes,
und dabei ſo viel Witz und den aͤchten
bon ton! —

„Bon ton hin, bon ton her,“ brummte
Heinrich halb bei ſich, „er hat Lebensart, bei
meiner Seele!“ — —

Die guten Maͤnner! Keiner hatte Arges! ſie
konnten mit Recht uͤberzeugt ſein, Tinas, ſo wie
Blauenſteins Inneres ſei ohne Falſch; aber in
beider Herzen, dieſe unergruͤndliche Tiefe, in der
niemand das Rechte gewahrt, was er eigentlich
ſucht, einen durchdringenden Blick zu thun, das
vermogten ſie nicht! Der Graf galt fuͤr einen
feinen Menſchenkenner, und bei Hofe fuͤr aͤußerſt
turnirt; aber die eigene, geliebte Tochter hatte
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[50/0056] „Glaubſt Du denn,“ hob der Graf wieder an, und machte eine recht bedenkliche Miene, als er aus des Schwagers dargebotener Doſe eine kleine Prieſe nahm, „glaubſt Du denn, daß ſich ſo ein junger Herr, der die Welt kennt, an das Verlobt¬ ſein kehrt? Doch er kann eine Ausnahme machen, und ich muß geſtehn, das ganze Weſen des jungen Mannes gefaͤllt mir, er hat ſo etwas Feſtes, und dabei ſo viel Witz und den aͤchten bon ton! — „Bon ton hin, bon ton her,“ brummte Heinrich halb bei ſich, „er hat Lebensart, bei meiner Seele!“ — — Die guten Maͤnner! Keiner hatte Arges! ſie konnten mit Recht uͤberzeugt ſein, Tinas, ſo wie Blauenſteins Inneres ſei ohne Falſch; aber in beider Herzen, dieſe unergruͤndliche Tiefe, in der niemand das Rechte gewahrt, was er eigentlich ſucht, einen durchdringenden Blick zu thun, das vermogten ſie nicht! Der Graf galt fuͤr einen feinen Menſchenkenner, und bei Hofe fuͤr aͤußerſt turnirt; aber die eigene, geliebte Tochter hatte er noch nicht ergruͤndet! Man hatte ſich lange geſtritten, ob man den

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Zitationshilfe: Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/56>, abgerufen am 18.05.2024.