und drang mir bis in das Tiefste meiner Seele; und als sie den zartesten Mollton minutenlang aushielt, anfangs sanft und lieblich intonirt, dann stärker und immer stärker, dann die Octave hinauf ging, noch drei vier Töne höher stieg, und wie aus weiter Ferne den schönen Satz mit einem leise anschwellenden und sich dann in ein liebliches Piano auflösenden Triller schloß, -- da verging mir der Athem, ich konnte nicht länger, die Finger versagten ihren Dienst, ich mußte aufhören. Der Organist erschrak über mein plötzliches Ver¬ stummen, und spielte auf dem Cello meine Parthie aus dem Kopfe. Zum Glück mogte es eben niemand gemerkt haben, bis auf die holdselige Marie, dies war ihr Name, denn sie sah mich mit einem wunderbaren Blicke an, als wolle sie mir damit Muth einflößen, und ich nickte dem Cellospieler zu, zum Zeichen, daß ich fortfahren werde. Ich hatte wirklich nun wahren Muth bekommen, ich führte meinen Bogen keck, alle schwierigen Passagen gelangen auf das Beste, und als ich am Schlusse des herrlichen, seelenvollen Gesanges wie ein verklingendes Echo den letzten Stimmensatz wiederholen mußte, und dann mit einigen energischen Strichen schloß, sagte mir der rauschende Beifall, daß ich meine Sache so gar übel nicht gemacht habe.
und drang mir bis in das Tiefſte meiner Seele; und als ſie den zarteſten Mollton minutenlang aushielt, anfangs ſanft und lieblich intonirt, dann ſtaͤrker und immer ſtaͤrker, dann die Octave hinauf ging, noch drei vier Toͤne hoͤher ſtieg, und wie aus weiter Ferne den ſchoͤnen Satz mit einem leiſe anſchwellenden und ſich dann in ein liebliches Piano aufloͤſenden Triller ſchloß, — da verging mir der Athem, ich konnte nicht laͤnger, die Finger verſagten ihren Dienſt, ich mußte aufhoͤren. Der Organiſt erſchrak uͤber mein ploͤtzliches Ver¬ ſtummen, und ſpielte auf dem Cello meine Parthie aus dem Kopfe. Zum Gluͤck mogte es eben niemand gemerkt haben, bis auf die holdſelige Marie, dies war ihr Name, denn ſie ſah mich mit einem wunderbaren Blicke an, als wolle ſie mir damit Muth einfloͤßen, und ich nickte dem Celloſpieler zu, zum Zeichen, daß ich fortfahren werde. Ich hatte wirklich nun wahren Muth bekommen, ich fuͤhrte meinen Bogen keck, alle ſchwierigen Paſſagen gelangen auf das Beſte, und als ich am Schluſſe des herrlichen, ſeelenvollen Geſanges wie ein verklingendes Echo den letzten Stimmenſatz wiederholen mußte, und dann mit einigen energiſchen Strichen ſchloß, ſagte mir der rauſchende Beifall, daß ich meine Sache ſo gar uͤbel nicht gemacht habe.
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und drang mir bis in das Tiefſte meiner Seele;
und als ſie den zarteſten Mollton minutenlang
aushielt, anfangs ſanft und lieblich intonirt, dann
ſtaͤrker und immer ſtaͤrker, dann die Octave hinauf
ging, noch drei vier Toͤne hoͤher ſtieg, und wie
aus weiter Ferne den ſchoͤnen Satz mit einem
leiſe anſchwellenden und ſich dann in ein liebliches
Piano aufloͤſenden Triller ſchloß, — da verging
mir der Athem, ich konnte nicht laͤnger, die Finger
verſagten ihren Dienſt, ich mußte aufhoͤren.
Der Organiſt erſchrak uͤber mein ploͤtzliches Ver¬
ſtummen, und ſpielte auf dem Cello meine Parthie
aus dem Kopfe. Zum Gluͤck mogte es eben
niemand gemerkt haben, bis auf die holdſelige
Marie, dies war ihr Name, denn ſie ſah mich
mit einem wunderbaren Blicke an, als wolle ſie
mir damit Muth einfloͤßen, und ich nickte dem
Celloſpieler zu, zum Zeichen, daß ich fortfahren
werde. Ich hatte wirklich nun wahren Muth
bekommen, ich fuͤhrte meinen Bogen keck, alle
ſchwierigen Paſſagen gelangen auf das Beſte,
und als ich am Schluſſe des herrlichen, ſeelenvollen
Geſanges wie ein verklingendes Echo den letzten
Stimmenſatz wiederholen mußte, und dann mit
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Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/134>, abgerufen am 05.12.2024.
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