Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

und drang mir bis in das Tiefste meiner Seele;
und als sie den zartesten Mollton minutenlang
aushielt, anfangs sanft und lieblich intonirt, dann
stärker und immer stärker, dann die Octave hinauf
ging, noch drei vier Töne höher stieg, und wie
aus weiter Ferne den schönen Satz mit einem
leise anschwellenden und sich dann in ein liebliches
Piano auflösenden Triller schloß, -- da verging
mir der Athem, ich konnte nicht länger, die Finger
versagten ihren Dienst, ich mußte aufhören.
Der Organist erschrak über mein plötzliches Ver¬
stummen, und spielte auf dem Cello meine Parthie
aus dem Kopfe. Zum Glück mogte es eben
niemand gemerkt haben, bis auf die holdselige
Marie, dies war ihr Name, denn sie sah mich
mit einem wunderbaren Blicke an, als wolle sie
mir damit Muth einflößen, und ich nickte dem
Cellospieler zu, zum Zeichen, daß ich fortfahren
werde. Ich hatte wirklich nun wahren Muth
bekommen, ich führte meinen Bogen keck, alle
schwierigen Passagen gelangen auf das Beste,
und als ich am Schlusse des herrlichen, seelenvollen
Gesanges wie ein verklingendes Echo den letzten
Stimmensatz wiederholen mußte, und dann mit
einigen energischen Strichen schloß, sagte mir der
rauschende Beifall, daß ich meine Sache so gar
übel nicht gemacht habe.

und drang mir bis in das Tiefſte meiner Seele;
und als ſie den zarteſten Mollton minutenlang
aushielt, anfangs ſanft und lieblich intonirt, dann
ſtaͤrker und immer ſtaͤrker, dann die Octave hinauf
ging, noch drei vier Toͤne hoͤher ſtieg, und wie
aus weiter Ferne den ſchoͤnen Satz mit einem
leiſe anſchwellenden und ſich dann in ein liebliches
Piano aufloͤſenden Triller ſchloß, — da verging
mir der Athem, ich konnte nicht laͤnger, die Finger
verſagten ihren Dienſt, ich mußte aufhoͤren.
Der Organiſt erſchrak uͤber mein ploͤtzliches Ver¬
ſtummen, und ſpielte auf dem Cello meine Parthie
aus dem Kopfe. Zum Gluͤck mogte es eben
niemand gemerkt haben, bis auf die holdſelige
Marie, dies war ihr Name, denn ſie ſah mich
mit einem wunderbaren Blicke an, als wolle ſie
mir damit Muth einfloͤßen, und ich nickte dem
Celloſpieler zu, zum Zeichen, daß ich fortfahren
werde. Ich hatte wirklich nun wahren Muth
bekommen, ich fuͤhrte meinen Bogen keck, alle
ſchwierigen Paſſagen gelangen auf das Beſte,
und als ich am Schluſſe des herrlichen, ſeelenvollen
Geſanges wie ein verklingendes Echo den letzten
Stimmenſatz wiederholen mußte, und dann mit
einigen energiſchen Strichen ſchloß, ſagte mir der
rauſchende Beifall, daß ich meine Sache ſo gar
uͤbel nicht gemacht habe.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0134" n="128"/>
und drang mir bis in das Tief&#x017F;te meiner Seele;<lb/>
und als &#x017F;ie den zarte&#x017F;ten Mollton minutenlang<lb/>
aushielt, anfangs &#x017F;anft und lieblich intonirt, dann<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;rker und immer &#x017F;ta&#x0364;rker, dann die Octave hinauf<lb/>
ging, noch drei vier To&#x0364;ne ho&#x0364;her &#x017F;tieg, und wie<lb/>
aus weiter Ferne den &#x017F;cho&#x0364;nen Satz mit einem<lb/>
lei&#x017F;e an&#x017F;chwellenden und &#x017F;ich dann in ein liebliches<lb/>
Piano auflo&#x0364;&#x017F;enden Triller &#x017F;chloß, &#x2014; da verging<lb/>
mir der Athem, ich konnte nicht la&#x0364;nger, die Finger<lb/>
ver&#x017F;agten ihren Dien&#x017F;t, ich mußte aufho&#x0364;ren.<lb/>
Der Organi&#x017F;t er&#x017F;chrak u&#x0364;ber mein plo&#x0364;tzliches Ver¬<lb/>
&#x017F;tummen, und &#x017F;pielte auf dem Cello meine Parthie<lb/>
aus dem Kopfe. Zum Glu&#x0364;ck mogte es eben<lb/>
niemand gemerkt haben, bis auf die hold&#x017F;elige<lb/>
Marie, dies war ihr Name, denn &#x017F;ie &#x017F;ah mich<lb/>
mit einem wunderbaren Blicke an, als wolle &#x017F;ie<lb/>
mir damit Muth einflo&#x0364;ßen, und ich nickte dem<lb/>
Cello&#x017F;pieler zu, zum Zeichen, daß ich fortfahren<lb/>
werde. Ich hatte wirklich nun wahren Muth<lb/>
bekommen, ich fu&#x0364;hrte meinen Bogen keck, alle<lb/>
&#x017F;chwierigen Pa&#x017F;&#x017F;agen gelangen auf das Be&#x017F;te,<lb/>
und als ich am Schlu&#x017F;&#x017F;e des herrlichen, &#x017F;eelenvollen<lb/>
Ge&#x017F;anges wie ein verklingendes Echo den letzten<lb/>
Stimmen&#x017F;atz wiederholen mußte, und dann mit<lb/>
einigen energi&#x017F;chen Strichen &#x017F;chloß, &#x017F;agte mir der<lb/>
rau&#x017F;chende Beifall, daß ich meine Sache &#x017F;o gar<lb/>
u&#x0364;bel nicht gemacht habe.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[128/0134] und drang mir bis in das Tiefſte meiner Seele; und als ſie den zarteſten Mollton minutenlang aushielt, anfangs ſanft und lieblich intonirt, dann ſtaͤrker und immer ſtaͤrker, dann die Octave hinauf ging, noch drei vier Toͤne hoͤher ſtieg, und wie aus weiter Ferne den ſchoͤnen Satz mit einem leiſe anſchwellenden und ſich dann in ein liebliches Piano aufloͤſenden Triller ſchloß, — da verging mir der Athem, ich konnte nicht laͤnger, die Finger verſagten ihren Dienſt, ich mußte aufhoͤren. Der Organiſt erſchrak uͤber mein ploͤtzliches Ver¬ ſtummen, und ſpielte auf dem Cello meine Parthie aus dem Kopfe. Zum Gluͤck mogte es eben niemand gemerkt haben, bis auf die holdſelige Marie, dies war ihr Name, denn ſie ſah mich mit einem wunderbaren Blicke an, als wolle ſie mir damit Muth einfloͤßen, und ich nickte dem Celloſpieler zu, zum Zeichen, daß ich fortfahren werde. Ich hatte wirklich nun wahren Muth bekommen, ich fuͤhrte meinen Bogen keck, alle ſchwierigen Paſſagen gelangen auf das Beſte, und als ich am Schluſſe des herrlichen, ſeelenvollen Geſanges wie ein verklingendes Echo den letzten Stimmenſatz wiederholen mußte, und dann mit einigen energiſchen Strichen ſchloß, ſagte mir der rauſchende Beifall, daß ich meine Sache ſo gar uͤbel nicht gemacht habe.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/134
Zitationshilfe: Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/134>, abgerufen am 05.12.2024.