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Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827.

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Ich legte schnell die Geige bei Seite, und
trat schüchtern dem engelschönen Mädchen näher.
"Sie müssen mir zürnen, mein Fräulein," begann
ich mit bebender Stimme, "die Begleitung Ihres
meisterhaften Gesanges wurde einem unerfahrnen
Stümper zu Theil, wenn ich gleich gestehn muß,
daß mich nichts, als Ihr hinreißender Vortrag
aus den Noten herausbrachte. Darf ich auf
Ihre Vergebung rechnen?"

Mariens Gesicht überflog ein leises Erröthen,
sie hob ihr klares Seelenauge zu mir empor, und
sagte lächlend: "Es bedarf der Vergebung nicht;
und wenn ich dem, was Sie zuletzt sagten, trauen
darf, so wäre jeder Tadel von meiner Seite ein
Vergehen, denn Ihre Verirrung bliebe dann
immer eine Lobrede meines unvollkommnen Ge¬
sanges!"

Eine so freundliche und fein verbindliche
Wendung hatte ich nicht erwartet; ich ergriff
die runde, weiche Flaumenhand der lieblichen
Sängerin, die sie mir willig überließ, und zog
sie an meine brennenden Lippen. Da kam ihr
Vater herbei, er sah mich mit einem stolzen Blicke
an, und ich trat zu dem nicht fern stehenden Le¬
gationsrath. Er fragte mich hundertmal in einem

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Ich legte ſchnell die Geige bei Seite, und
trat ſchuͤchtern dem engelſchoͤnen Maͤdchen naͤher.
„Sie muͤſſen mir zuͤrnen, mein Fraͤulein,“ begann
ich mit bebender Stimme, „die Begleitung Ihres
meiſterhaften Geſanges wurde einem unerfahrnen
Stuͤmper zu Theil, wenn ich gleich geſtehn muß,
daß mich nichts, als Ihr hinreißender Vortrag
aus den Noten herausbrachte. Darf ich auf
Ihre Vergebung rechnen?“

Mariens Geſicht uͤberflog ein leiſes Erroͤthen,
ſie hob ihr klares Seelenauge zu mir empor, und
ſagte laͤchlend: „Es bedarf der Vergebung nicht;
und wenn ich dem, was Sie zuletzt ſagten, trauen
darf, ſo waͤre jeder Tadel von meiner Seite ein
Vergehen, denn Ihre Verirrung bliebe dann
immer eine Lobrede meines unvollkommnen Ge¬
ſanges!“

Eine ſo freundliche und fein verbindliche
Wendung hatte ich nicht erwartet; ich ergriff
die runde, weiche Flaumenhand der lieblichen
Saͤngerin, die ſie mir willig uͤberließ, und zog
ſie an meine brennenden Lippen. Da kam ihr
Vater herbei, er ſah mich mit einem ſtolzen Blicke
an, und ich trat zu dem nicht fern ſtehenden Le¬
gationsrath. Er fragte mich hundertmal in einem

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[129/0135] Ich legte ſchnell die Geige bei Seite, und trat ſchuͤchtern dem engelſchoͤnen Maͤdchen naͤher. „Sie muͤſſen mir zuͤrnen, mein Fraͤulein,“ begann ich mit bebender Stimme, „die Begleitung Ihres meiſterhaften Geſanges wurde einem unerfahrnen Stuͤmper zu Theil, wenn ich gleich geſtehn muß, daß mich nichts, als Ihr hinreißender Vortrag aus den Noten herausbrachte. Darf ich auf Ihre Vergebung rechnen?“ Mariens Geſicht uͤberflog ein leiſes Erroͤthen, ſie hob ihr klares Seelenauge zu mir empor, und ſagte laͤchlend: „Es bedarf der Vergebung nicht; und wenn ich dem, was Sie zuletzt ſagten, trauen darf, ſo waͤre jeder Tadel von meiner Seite ein Vergehen, denn Ihre Verirrung bliebe dann immer eine Lobrede meines unvollkommnen Ge¬ ſanges!“ Eine ſo freundliche und fein verbindliche Wendung hatte ich nicht erwartet; ich ergriff die runde, weiche Flaumenhand der lieblichen Saͤngerin, die ſie mir willig uͤberließ, und zog ſie an meine brennenden Lippen. Da kam ihr Vater herbei, er ſah mich mit einem ſtolzen Blicke an, und ich trat zu dem nicht fern ſtehenden Le¬ gationsrath. Er fragte mich hundertmal in einem 9

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Zitationshilfe: Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/135>, abgerufen am 18.05.2024.