Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 56. Augsburg, 25. Februar 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
Briefe aus Pesth.

(Beschluß.)

Von Fremden ist - da der berühmte Liszt noch erwartet wird - Niemand, der sich bemerkbar machte, in Pesth anwesend, als ein paar englische Missionäre der Methodisten, die jetzt zahlreicher als gewöhnlich in der Welt umherreisen, angeblich um die Juden zu bekehren, in Ermanglung dieser aber auch mit zu leichtgläubigen Christen (die sie eben nach ihrer Weise starkgläubiger machen wollen) fürlieb nehmen, und ferner einer ditto englischen Miß "von der Feder," wie Jean Paul sagt, die für ihren Buchhändler reist, und schon seit Monaten an einem dicken Buch über Ungarn laboriren soll, was dann ohne Zweifel ihren Namen berühmter machen wird, als er bis jetzt noch seyn mag. Schon meldete zu diesem Behuf ein hiesiges Blatt (wahrscheinlich aus allernächster Autorität unterrichtet) daß über das vorletzte Werk der gefeierten Schriftstellerin nicht weniger als zwei Duzend englische Journale sich lobpreisend ergossen hätten, ein verständliches Prognostikon für das neue. An zu pedantischer Genauigkeit wird dieses schwerlich leiden, da ich schon in einer frühern Lieferung der reisenden Brittin den hiesigen Blocksberg in die Blocksburg und Ofen in die Stadt Offon verwandelt sehe; aber an drastischen Effecten mag es leicht reicher werden, wenn ich nach der Erzählung einer Dame urtheilen darf, welche mir versicherte, von besagter Miß (die aus Konstantinopel hier anlangte) vernommen zu haben, daß Sultan Mahmud zwei seiner leiblichen Söhne mit eigener Hand erdolcht habe. Oh Dieux! et c'est ainsi qu'on fait l'histoire! Gewiß nur eine ex officio reisende englische Miß kann so unbarmherzig seyn! Ich bin dennoch begierig auf den Inhalt dieses Buches, denn da die Verfasserin auf der einen Seite vom hiesigen Hofe sehr warm protegirt wird, auf der andern aber, wie ich höre, in noch näherem Verkehr mit der Opposition steht, deren Koryphäen sie mit den interessantesten Aufsätzen und Notizen versehen sollen, so ist sie ganz geeignet, die schöne Position des Juste-Milieu anzunehmen, die unparteiisch jedem ertheilt was ihm gebührt, und da sie aus so authentischen Quellen schöpft, so erfährt vielleicht Ungarn endlich definitiv was es hat, und was ihm fehlt - durch eine englische Miß. Wer möchte gegen ein so erfreuliches Resultat mit veralteten Spässen über blue stockings ankämpfen! Schöner finde ich es, und der Deutschen würdig, fremdes Verdienst (besonders englisches) auch in der kleinsten Quantität aufs höchste anzuschlagen. Ich wenigstens dachte immer so, und ich kann versichern, daß ich den König von Otahayti - wenn es noch einen solchen gibt - sehr hoch schätze, aber einen Lond'ner Schneider stets viel höher.

Eine andere Classe Fremder und Einheimischer, die leider sehr zahlreich hier in Pesth zu seyn scheint, ist die bettelnde, welche mir mehr Gulden Conventionsmünze gekostet hat, als mir lieb ist, deren Originalität aber Erwähnung verdient. Alle Augenblicke ließen sich ausländische Grafen und Barone, oder auch hiesige Edle und Nichtedle in "einer wichtigen Angelegenheit" bei mir melden, die zuletzt immer darauf hinauslief, entweder mir Häuser, Weine, Trauerspiele, Staatsverbesserungsplane, gestickte Tabaksbeutel in den Nationalfarben, oder andere Raritäten, und Gott weiß was sonst noch alles zu offeriren, so wie auch sich selbst zu jeder beliebigen Verwendung und Anstellung, wenn aber alles verbeten ward, gewöhnlich nur, als das Ende vom Liede, um eine vorläufige kleine Unterstützung nachzusuchen. Der possierlichste Auftritt dieser Art begegnete mir mit einem Menschen, der unangemeldet in einem zerrissenen Rocke, wie ein Handwerksbursche gekleidet und halb betrunken, in meine Stube drang, und als ich ärgerlich und ihn etwas barsch anfahrend frug, was er wolle, mit einer unnachahmlichen Freundlichkeit erwiederte: er habe gehört, daß ich einen Gesellschafter suche, und sey gekommen, sich zu diesem Posten anzubieten. Durch Lachen besänftigt, erkundigte ich mich, ob er ein Christ oder ein Jude sey, und als er das letzte bejahte, gab ich ihm sofort die Adresse der englischen Missionäre um sich vorher für Geld und gute Worte bekehren zu lassen. Wer weiß, ob ich dadurch nicht dem armen Teufel zu einem neuen Rock, und dem puritanischen Himmel zu einer gewendeten Seele verholfen habe.

Noch ärger war es mit Briefen des wunderlichsten Inhalts, die für einen Sammler Werth haben würden. Einer schrieb mir, unter dem Siegel des Geheimnisses, daß er immer viel auf die Ehre gehalten, und deßhalb besser zu leben gewünscht als seine Cameraden. Dieß habe er auch mit Erfolg ausgeführt, aber bald sein Vermögen dabei zugesetzt. Es bliebe ihm daher jetzt nichts mehr übrig, um ferner standesmäßig leben zu können, als Dienste bei einem vornehmen Herrn zu nehmen, vorausgesetzt, daß er auf die achtungsvollste Behandlung rechnen dürfe. Vor der Hand, setzte er hinzu, schriebe er mir nur noch incognito, unter einem bloß angenommenen Namen, aber sobald ich, wie er nicht zweifle, sein Anerbieten angenommen, werde er sich mir ohne Rückhalt entdecken, und sogleich in propria persona herbeieilen, um mir fortan sein ganzes Leben zu widmen. Ein Anderer gestand bescheiden, ein durch die unerhörtesten Umstände unterdrücktes litterarisches Genie zu seyn, dem aufzuhelfen ich gewiß die höchste Genugthuung fühlen müßte, einstweilen brauche er indeß nur dringend 40 Gulden, nicht mehr und nicht weniger, die er mich unter beigelegter Adresse einzusenden ersuche - und ein Dritter, dessen wohlriechendes Bilett auf rosenfarbnes Papier, französisch stylisirt, und der Datum in Goldlettern gedruckt war, wollte mir gar nichts vorschreiben, sondern bat mein edles Herz nur: "de le rendre heureux de quelque maniere que ce soit."

Dieß sind die Freuden und Leiden eines Reisenden, mein guter Max, deren Schluß dich zu der Vermuthung bringen wird, daß die Polizei in Ungarn etwas weniger gut bestellt sey, als in Oesterreich, was auch gegründet ist. Indessen liegt auch hier neben dem Uebel das Gute. Das Pesther Volk raucht und prügelt sich zwar ungehindert auf der Straße, dünkt sich aber auch eben deßhalb freier, als jedes andere zu seyn, und der Wahn des Menschen ist ja sein Himmelreich. Was ist wohl jetzt der vorherrschende bei unserm Volk in der Mark? Auf Freiheit macht man dort, glaub' ich, seit der letzten mißlungenen Handwerksburschen-Insurrection keine sonderlichen Ansprüche mehr, aber man bildet sich doch noch immer, wie mir scheint, in hohen und niedern Classen ein, aufgeklärter als alle übrigen Sterblichen zu seyn, und wenn man damit auch von diesen ausgelacht wird, was thut das, so lange man nur das Glück hat, recht felsenfest in seinem eigenen Glauben zu verharren?

Von denjenigen thörichten Einbildungen aber, die unsern eigenen Personen beiwohnen, mein theurer Max, wollen wir hier nicht reden, es ist zu oft ein unerfreuliches Capitel, nur rechne dahin nie die herzlichste und wahrste Anhänglichkeit deines treuen Bruders Sincero.

Pesth, den 1 Januar 1840.

Nachschrift. Da du nie in Ungarn warst, muß ich dir doch, besserer Anschaulichkeit des Vorhergehenden wegen, nachträglich noch einige Worte über das Aeußere der Hauptstadt sagen. Pesth mit Ofen bilden ein ganz zusammengehörendes

Briefe aus Pesth.

(Beschluß.)

Von Fremden ist – da der berühmte Liszt noch erwartet wird – Niemand, der sich bemerkbar machte, in Pesth anwesend, als ein paar englische Missionäre der Methodisten, die jetzt zahlreicher als gewöhnlich in der Welt umherreisen, angeblich um die Juden zu bekehren, in Ermanglung dieser aber auch mit zu leichtgläubigen Christen (die sie eben nach ihrer Weise starkgläubiger machen wollen) fürlieb nehmen, und ferner einer ditto englischen Miß „von der Feder,“ wie Jean Paul sagt, die für ihren Buchhändler reist, und schon seit Monaten an einem dicken Buch über Ungarn laboriren soll, was dann ohne Zweifel ihren Namen berühmter machen wird, als er bis jetzt noch seyn mag. Schon meldete zu diesem Behuf ein hiesiges Blatt (wahrscheinlich aus allernächster Autorität unterrichtet) daß über das vorletzte Werk der gefeierten Schriftstellerin nicht weniger als zwei Duzend englische Journale sich lobpreisend ergossen hätten, ein verständliches Prognostikon für das neue. An zu pedantischer Genauigkeit wird dieses schwerlich leiden, da ich schon in einer frühern Lieferung der reisenden Brittin den hiesigen Blocksberg in die Blocksburg und Ofen in die Stadt Offon verwandelt sehe; aber an drastischen Effecten mag es leicht reicher werden, wenn ich nach der Erzählung einer Dame urtheilen darf, welche mir versicherte, von besagter Miß (die aus Konstantinopel hier anlangte) vernommen zu haben, daß Sultan Mahmud zwei seiner leiblichen Söhne mit eigener Hand erdolcht habe. Oh Dieux! et c'est ainsi qu'on fait l'histoire! Gewiß nur eine ex officio reisende englische Miß kann so unbarmherzig seyn! Ich bin dennoch begierig auf den Inhalt dieses Buches, denn da die Verfasserin auf der einen Seite vom hiesigen Hofe sehr warm protegirt wird, auf der andern aber, wie ich höre, in noch näherem Verkehr mit der Opposition steht, deren Koryphäen sie mit den interessantesten Aufsätzen und Notizen versehen sollen, so ist sie ganz geeignet, die schöne Position des Juste-Milieu anzunehmen, die unparteiisch jedem ertheilt was ihm gebührt, und da sie aus so authentischen Quellen schöpft, so erfährt vielleicht Ungarn endlich definitiv was es hat, und was ihm fehlt – durch eine englische Miß. Wer möchte gegen ein so erfreuliches Resultat mit veralteten Spässen über blue stockings ankämpfen! Schöner finde ich es, und der Deutschen würdig, fremdes Verdienst (besonders englisches) auch in der kleinsten Quantität aufs höchste anzuschlagen. Ich wenigstens dachte immer so, und ich kann versichern, daß ich den König von Otahayti – wenn es noch einen solchen gibt – sehr hoch schätze, aber einen Lond'ner Schneider stets viel höher.

Eine andere Classe Fremder und Einheimischer, die leider sehr zahlreich hier in Pesth zu seyn scheint, ist die bettelnde, welche mir mehr Gulden Conventionsmünze gekostet hat, als mir lieb ist, deren Originalität aber Erwähnung verdient. Alle Augenblicke ließen sich ausländische Grafen und Barone, oder auch hiesige Edle und Nichtedle in „einer wichtigen Angelegenheit“ bei mir melden, die zuletzt immer darauf hinauslief, entweder mir Häuser, Weine, Trauerspiele, Staatsverbesserungsplane, gestickte Tabaksbeutel in den Nationalfarben, oder andere Raritäten, und Gott weiß was sonst noch alles zu offeriren, so wie auch sich selbst zu jeder beliebigen Verwendung und Anstellung, wenn aber alles verbeten ward, gewöhnlich nur, als das Ende vom Liede, um eine vorläufige kleine Unterstützung nachzusuchen. Der possierlichste Auftritt dieser Art begegnete mir mit einem Menschen, der unangemeldet in einem zerrissenen Rocke, wie ein Handwerksbursche gekleidet und halb betrunken, in meine Stube drang, und als ich ärgerlich und ihn etwas barsch anfahrend frug, was er wolle, mit einer unnachahmlichen Freundlichkeit erwiederte: er habe gehört, daß ich einen Gesellschafter suche, und sey gekommen, sich zu diesem Posten anzubieten. Durch Lachen besänftigt, erkundigte ich mich, ob er ein Christ oder ein Jude sey, und als er das letzte bejahte, gab ich ihm sofort die Adresse der englischen Missionäre um sich vorher für Geld und gute Worte bekehren zu lassen. Wer weiß, ob ich dadurch nicht dem armen Teufel zu einem neuen Rock, und dem puritanischen Himmel zu einer gewendeten Seele verholfen habe.

Noch ärger war es mit Briefen des wunderlichsten Inhalts, die für einen Sammler Werth haben würden. Einer schrieb mir, unter dem Siegel des Geheimnisses, daß er immer viel auf die Ehre gehalten, und deßhalb besser zu leben gewünscht als seine Cameraden. Dieß habe er auch mit Erfolg ausgeführt, aber bald sein Vermögen dabei zugesetzt. Es bliebe ihm daher jetzt nichts mehr übrig, um ferner standesmäßig leben zu können, als Dienste bei einem vornehmen Herrn zu nehmen, vorausgesetzt, daß er auf die achtungsvollste Behandlung rechnen dürfe. Vor der Hand, setzte er hinzu, schriebe er mir nur noch incognito, unter einem bloß angenommenen Namen, aber sobald ich, wie er nicht zweifle, sein Anerbieten angenommen, werde er sich mir ohne Rückhalt entdecken, und sogleich in propria persona herbeieilen, um mir fortan sein ganzes Leben zu widmen. Ein Anderer gestand bescheiden, ein durch die unerhörtesten Umstände unterdrücktes litterarisches Genie zu seyn, dem aufzuhelfen ich gewiß die höchste Genugthuung fühlen müßte, einstweilen brauche er indeß nur dringend 40 Gulden, nicht mehr und nicht weniger, die er mich unter beigelegter Adresse einzusenden ersuche – und ein Dritter, dessen wohlriechendes Bilett auf rosenfarbnes Papier, französisch stylisirt, und der Datum in Goldlettern gedruckt war, wollte mir gar nichts vorschreiben, sondern bat mein edles Herz nur: „de le rendre heureux de quelque manière que ce soit.“

Dieß sind die Freuden und Leiden eines Reisenden, mein guter Max, deren Schluß dich zu der Vermuthung bringen wird, daß die Polizei in Ungarn etwas weniger gut bestellt sey, als in Oesterreich, was auch gegründet ist. Indessen liegt auch hier neben dem Uebel das Gute. Das Pesther Volk raucht und prügelt sich zwar ungehindert auf der Straße, dünkt sich aber auch eben deßhalb freier, als jedes andere zu seyn, und der Wahn des Menschen ist ja sein Himmelreich. Was ist wohl jetzt der vorherrschende bei unserm Volk in der Mark? Auf Freiheit macht man dort, glaub' ich, seit der letzten mißlungenen Handwerksburschen-Insurrection keine sonderlichen Ansprüche mehr, aber man bildet sich doch noch immer, wie mir scheint, in hohen und niedern Classen ein, aufgeklärter als alle übrigen Sterblichen zu seyn, und wenn man damit auch von diesen ausgelacht wird, was thut das, so lange man nur das Glück hat, recht felsenfest in seinem eigenen Glauben zu verharren?

Von denjenigen thörichten Einbildungen aber, die unsern eigenen Personen beiwohnen, mein theurer Max, wollen wir hier nicht reden, es ist zu oft ein unerfreuliches Capitel, nur rechne dahin nie die herzlichste und wahrste Anhänglichkeit deines treuen Bruders Sincero.

Pesth, den 1 Januar 1840.

Nachschrift. Da du nie in Ungarn warst, muß ich dir doch, besserer Anschaulichkeit des Vorhergehenden wegen, nachträglich noch einige Worte über das Aeußere der Hauptstadt sagen. Pesth mit Ofen bilden ein ganz zusammengehörendes

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="jArticle" n="2">
          <pb facs="#f0010" n="0442"/>
        </div>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Briefe aus Pesth</hi>.</hi> </head><lb/>
        <p>(Beschluß.)</p><lb/>
        <p>Von Fremden ist &#x2013; da der berühmte Liszt noch erwartet wird &#x2013; Niemand, der sich bemerkbar machte, in Pesth anwesend, als ein paar englische Missionäre der Methodisten, die jetzt zahlreicher als gewöhnlich in der Welt umherreisen, angeblich um die Juden zu bekehren, in Ermanglung dieser aber auch mit zu leichtgläubigen Christen (die sie eben nach <hi rendition="#g">ihrer</hi> Weise starkgläubiger machen wollen) fürlieb nehmen, und ferner einer ditto englischen Miß &#x201E;von der Feder,&#x201C; wie Jean Paul sagt, die für ihren Buchhändler reist, und schon seit Monaten an einem dicken Buch über Ungarn laboriren soll, was dann ohne Zweifel ihren Namen berühmter machen wird, als er bis jetzt noch seyn mag. Schon meldete zu diesem Behuf ein hiesiges Blatt (wahrscheinlich aus allernächster Autorität unterrichtet) daß über das vorletzte Werk der gefeierten Schriftstellerin nicht weniger als zwei Duzend englische Journale sich lobpreisend ergossen hätten, ein verständliches Prognostikon für das neue. An zu pedantischer Genauigkeit wird dieses schwerlich leiden, da ich schon in einer frühern Lieferung der reisenden Brittin den hiesigen Blocksberg in die Blocksburg und Ofen in die Stadt Offon verwandelt sehe; aber an drastischen Effecten mag es leicht reicher werden, wenn ich nach der Erzählung einer Dame urtheilen darf, welche mir versicherte, von besagter Miß (die aus Konstantinopel hier anlangte) vernommen zu haben, daß Sultan Mahmud zwei seiner leiblichen Söhne mit eigener Hand erdolcht habe. Oh Dieux! et c'est ainsi qu'on fait l'histoire! Gewiß nur eine ex officio reisende englische Miß kann so unbarmherzig seyn! Ich bin dennoch begierig auf den Inhalt dieses Buches, denn da die Verfasserin auf der einen Seite vom hiesigen Hofe sehr warm protegirt wird, auf der andern aber, wie ich höre, in noch näherem Verkehr mit der Opposition steht, deren Koryphäen sie mit den interessantesten Aufsätzen und Notizen versehen sollen, so ist sie ganz geeignet, die schöne Position des Juste-Milieu anzunehmen, die unparteiisch jedem ertheilt was ihm gebührt, und da sie aus so authentischen Quellen schöpft, so erfährt vielleicht Ungarn <hi rendition="#g">endlich</hi> definitiv was es hat, und was ihm fehlt &#x2013; durch eine englische Miß. Wer möchte gegen ein so erfreuliches Resultat mit veralteten Spässen über blue stockings ankämpfen! Schöner finde ich es, und der Deutschen würdig, fremdes Verdienst (besonders englisches) auch in der kleinsten Quantität aufs höchste anzuschlagen. Ich wenigstens dachte immer so, und ich kann versichern, daß ich den König von Otahayti &#x2013; wenn es noch einen solchen gibt &#x2013; sehr hoch schätze, aber einen Lond'ner Schneider stets viel höher.</p><lb/>
        <p>Eine andere Classe Fremder und Einheimischer, die leider sehr zahlreich hier in Pesth zu seyn scheint, ist die bettelnde, welche mir mehr Gulden Conventionsmünze gekostet hat, als mir lieb ist, deren Originalität aber Erwähnung verdient. Alle Augenblicke ließen sich ausländische Grafen und Barone, oder auch hiesige Edle und Nichtedle in &#x201E;einer wichtigen Angelegenheit&#x201C; bei mir melden, die zuletzt immer darauf hinauslief, entweder mir Häuser, Weine, Trauerspiele, Staatsverbesserungsplane, gestickte Tabaksbeutel in den Nationalfarben, oder andere Raritäten, und Gott weiß was sonst noch alles zu offeriren, so wie auch sich selbst zu jeder beliebigen Verwendung und Anstellung, wenn aber alles verbeten ward, gewöhnlich nur, als das Ende vom Liede, um eine vorläufige kleine Unterstützung nachzusuchen. Der possierlichste Auftritt dieser Art begegnete mir mit einem Menschen, der unangemeldet in einem zerrissenen Rocke, wie ein Handwerksbursche gekleidet und halb betrunken, in meine Stube drang, und als ich ärgerlich und ihn etwas barsch anfahrend frug, was er wolle, mit einer unnachahmlichen Freundlichkeit erwiederte: er habe gehört, daß ich einen <hi rendition="#g">Gesellschafter</hi> suche, und sey gekommen, sich zu diesem Posten anzubieten. Durch Lachen besänftigt, erkundigte ich mich, ob er ein Christ oder ein Jude sey, und als er das letzte bejahte, gab ich ihm sofort die Adresse der englischen Missionäre um sich vorher für Geld und gute Worte bekehren zu lassen. Wer weiß, ob ich dadurch nicht dem armen Teufel zu einem neuen Rock, und dem puritanischen Himmel zu einer gewendeten Seele verholfen habe.</p><lb/>
        <p>Noch ärger war es mit Briefen des wunderlichsten Inhalts, die für einen Sammler Werth haben würden. Einer schrieb mir, unter dem Siegel des Geheimnisses, daß er immer viel auf <hi rendition="#g">die Ehre</hi> gehalten, und deßhalb besser zu leben gewünscht als seine Cameraden. Dieß habe er auch mit Erfolg ausgeführt, aber bald sein Vermögen dabei zugesetzt. Es bliebe ihm daher jetzt nichts mehr übrig, um ferner standesmäßig leben zu können, als Dienste bei einem vornehmen Herrn zu nehmen, vorausgesetzt, daß er auf die achtungsvollste Behandlung rechnen dürfe. Vor der Hand, setzte er hinzu, schriebe er mir nur noch incognito, unter einem bloß angenommenen Namen, aber sobald ich, wie er nicht zweifle, sein Anerbieten angenommen, werde er sich mir ohne Rückhalt entdecken, und sogleich in propria persona herbeieilen, um mir fortan sein ganzes Leben zu widmen. Ein Anderer gestand bescheiden, ein durch die unerhörtesten Umstände unterdrücktes litterarisches Genie zu seyn, dem aufzuhelfen ich gewiß die höchste Genugthuung fühlen müßte, einstweilen brauche er indeß nur dringend 40 Gulden, nicht mehr und nicht weniger, die er mich unter beigelegter Adresse einzusenden ersuche &#x2013; und ein Dritter, dessen wohlriechendes Bilett auf rosenfarbnes Papier, französisch stylisirt, und der Datum in Goldlettern gedruckt war, wollte mir gar nichts vorschreiben, sondern bat mein edles Herz nur: &#x201E;de le rendre heureux de quelque manière que ce soit.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Dieß sind die Freuden und Leiden eines Reisenden, mein guter Max, deren Schluß dich zu der Vermuthung bringen wird, daß die Polizei in Ungarn etwas weniger gut bestellt sey, als in Oesterreich, was auch gegründet ist. Indessen liegt auch hier neben dem Uebel das Gute. Das Pesther Volk raucht und prügelt sich zwar ungehindert auf der Straße, dünkt sich aber auch eben deßhalb freier, als jedes andere zu seyn, und der Wahn des Menschen ist ja sein Himmelreich. Was ist wohl jetzt der vorherrschende bei unserm Volk in der Mark? Auf Freiheit macht man dort, glaub' ich, seit der letzten mißlungenen Handwerksburschen-Insurrection keine sonderlichen Ansprüche mehr, aber man bildet sich doch noch immer, wie mir scheint, in hohen und niedern Classen ein, aufgeklärter als alle übrigen Sterblichen zu seyn, und wenn man damit auch von diesen ausgelacht wird, was thut das, so lange man nur das Glück hat, recht felsenfest in seinem eigenen Glauben zu verharren?</p><lb/>
        <p>Von denjenigen thörichten Einbildungen aber, die unsern eigenen Personen beiwohnen, mein theurer Max, wollen wir hier nicht reden, es ist zu oft ein unerfreuliches Capitel, nur rechne dahin nie die herzlichste und wahrste Anhänglichkeit deines treuen Bruders Sincero.</p><lb/>
        <p>Pesth, den 1 Januar 1840.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Nachschrift</hi>. Da du nie in Ungarn warst, muß ich dir doch, besserer Anschaulichkeit des Vorhergehenden wegen, nachträglich noch einige Worte über das Aeußere der Hauptstadt sagen. Pesth mit Ofen bilden ein ganz zusammengehörendes<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0442/0010] Briefe aus Pesth. (Beschluß.) Von Fremden ist – da der berühmte Liszt noch erwartet wird – Niemand, der sich bemerkbar machte, in Pesth anwesend, als ein paar englische Missionäre der Methodisten, die jetzt zahlreicher als gewöhnlich in der Welt umherreisen, angeblich um die Juden zu bekehren, in Ermanglung dieser aber auch mit zu leichtgläubigen Christen (die sie eben nach ihrer Weise starkgläubiger machen wollen) fürlieb nehmen, und ferner einer ditto englischen Miß „von der Feder,“ wie Jean Paul sagt, die für ihren Buchhändler reist, und schon seit Monaten an einem dicken Buch über Ungarn laboriren soll, was dann ohne Zweifel ihren Namen berühmter machen wird, als er bis jetzt noch seyn mag. Schon meldete zu diesem Behuf ein hiesiges Blatt (wahrscheinlich aus allernächster Autorität unterrichtet) daß über das vorletzte Werk der gefeierten Schriftstellerin nicht weniger als zwei Duzend englische Journale sich lobpreisend ergossen hätten, ein verständliches Prognostikon für das neue. An zu pedantischer Genauigkeit wird dieses schwerlich leiden, da ich schon in einer frühern Lieferung der reisenden Brittin den hiesigen Blocksberg in die Blocksburg und Ofen in die Stadt Offon verwandelt sehe; aber an drastischen Effecten mag es leicht reicher werden, wenn ich nach der Erzählung einer Dame urtheilen darf, welche mir versicherte, von besagter Miß (die aus Konstantinopel hier anlangte) vernommen zu haben, daß Sultan Mahmud zwei seiner leiblichen Söhne mit eigener Hand erdolcht habe. Oh Dieux! et c'est ainsi qu'on fait l'histoire! Gewiß nur eine ex officio reisende englische Miß kann so unbarmherzig seyn! Ich bin dennoch begierig auf den Inhalt dieses Buches, denn da die Verfasserin auf der einen Seite vom hiesigen Hofe sehr warm protegirt wird, auf der andern aber, wie ich höre, in noch näherem Verkehr mit der Opposition steht, deren Koryphäen sie mit den interessantesten Aufsätzen und Notizen versehen sollen, so ist sie ganz geeignet, die schöne Position des Juste-Milieu anzunehmen, die unparteiisch jedem ertheilt was ihm gebührt, und da sie aus so authentischen Quellen schöpft, so erfährt vielleicht Ungarn endlich definitiv was es hat, und was ihm fehlt – durch eine englische Miß. Wer möchte gegen ein so erfreuliches Resultat mit veralteten Spässen über blue stockings ankämpfen! Schöner finde ich es, und der Deutschen würdig, fremdes Verdienst (besonders englisches) auch in der kleinsten Quantität aufs höchste anzuschlagen. Ich wenigstens dachte immer so, und ich kann versichern, daß ich den König von Otahayti – wenn es noch einen solchen gibt – sehr hoch schätze, aber einen Lond'ner Schneider stets viel höher. Eine andere Classe Fremder und Einheimischer, die leider sehr zahlreich hier in Pesth zu seyn scheint, ist die bettelnde, welche mir mehr Gulden Conventionsmünze gekostet hat, als mir lieb ist, deren Originalität aber Erwähnung verdient. Alle Augenblicke ließen sich ausländische Grafen und Barone, oder auch hiesige Edle und Nichtedle in „einer wichtigen Angelegenheit“ bei mir melden, die zuletzt immer darauf hinauslief, entweder mir Häuser, Weine, Trauerspiele, Staatsverbesserungsplane, gestickte Tabaksbeutel in den Nationalfarben, oder andere Raritäten, und Gott weiß was sonst noch alles zu offeriren, so wie auch sich selbst zu jeder beliebigen Verwendung und Anstellung, wenn aber alles verbeten ward, gewöhnlich nur, als das Ende vom Liede, um eine vorläufige kleine Unterstützung nachzusuchen. Der possierlichste Auftritt dieser Art begegnete mir mit einem Menschen, der unangemeldet in einem zerrissenen Rocke, wie ein Handwerksbursche gekleidet und halb betrunken, in meine Stube drang, und als ich ärgerlich und ihn etwas barsch anfahrend frug, was er wolle, mit einer unnachahmlichen Freundlichkeit erwiederte: er habe gehört, daß ich einen Gesellschafter suche, und sey gekommen, sich zu diesem Posten anzubieten. Durch Lachen besänftigt, erkundigte ich mich, ob er ein Christ oder ein Jude sey, und als er das letzte bejahte, gab ich ihm sofort die Adresse der englischen Missionäre um sich vorher für Geld und gute Worte bekehren zu lassen. Wer weiß, ob ich dadurch nicht dem armen Teufel zu einem neuen Rock, und dem puritanischen Himmel zu einer gewendeten Seele verholfen habe. Noch ärger war es mit Briefen des wunderlichsten Inhalts, die für einen Sammler Werth haben würden. Einer schrieb mir, unter dem Siegel des Geheimnisses, daß er immer viel auf die Ehre gehalten, und deßhalb besser zu leben gewünscht als seine Cameraden. Dieß habe er auch mit Erfolg ausgeführt, aber bald sein Vermögen dabei zugesetzt. Es bliebe ihm daher jetzt nichts mehr übrig, um ferner standesmäßig leben zu können, als Dienste bei einem vornehmen Herrn zu nehmen, vorausgesetzt, daß er auf die achtungsvollste Behandlung rechnen dürfe. Vor der Hand, setzte er hinzu, schriebe er mir nur noch incognito, unter einem bloß angenommenen Namen, aber sobald ich, wie er nicht zweifle, sein Anerbieten angenommen, werde er sich mir ohne Rückhalt entdecken, und sogleich in propria persona herbeieilen, um mir fortan sein ganzes Leben zu widmen. Ein Anderer gestand bescheiden, ein durch die unerhörtesten Umstände unterdrücktes litterarisches Genie zu seyn, dem aufzuhelfen ich gewiß die höchste Genugthuung fühlen müßte, einstweilen brauche er indeß nur dringend 40 Gulden, nicht mehr und nicht weniger, die er mich unter beigelegter Adresse einzusenden ersuche – und ein Dritter, dessen wohlriechendes Bilett auf rosenfarbnes Papier, französisch stylisirt, und der Datum in Goldlettern gedruckt war, wollte mir gar nichts vorschreiben, sondern bat mein edles Herz nur: „de le rendre heureux de quelque manière que ce soit.“ Dieß sind die Freuden und Leiden eines Reisenden, mein guter Max, deren Schluß dich zu der Vermuthung bringen wird, daß die Polizei in Ungarn etwas weniger gut bestellt sey, als in Oesterreich, was auch gegründet ist. Indessen liegt auch hier neben dem Uebel das Gute. Das Pesther Volk raucht und prügelt sich zwar ungehindert auf der Straße, dünkt sich aber auch eben deßhalb freier, als jedes andere zu seyn, und der Wahn des Menschen ist ja sein Himmelreich. Was ist wohl jetzt der vorherrschende bei unserm Volk in der Mark? Auf Freiheit macht man dort, glaub' ich, seit der letzten mißlungenen Handwerksburschen-Insurrection keine sonderlichen Ansprüche mehr, aber man bildet sich doch noch immer, wie mir scheint, in hohen und niedern Classen ein, aufgeklärter als alle übrigen Sterblichen zu seyn, und wenn man damit auch von diesen ausgelacht wird, was thut das, so lange man nur das Glück hat, recht felsenfest in seinem eigenen Glauben zu verharren? Von denjenigen thörichten Einbildungen aber, die unsern eigenen Personen beiwohnen, mein theurer Max, wollen wir hier nicht reden, es ist zu oft ein unerfreuliches Capitel, nur rechne dahin nie die herzlichste und wahrste Anhänglichkeit deines treuen Bruders Sincero. Pesth, den 1 Januar 1840. Nachschrift. Da du nie in Ungarn warst, muß ich dir doch, besserer Anschaulichkeit des Vorhergehenden wegen, nachträglich noch einige Worte über das Aeußere der Hauptstadt sagen. Pesth mit Ofen bilden ein ganz zusammengehörendes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_056_18400225
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_056_18400225/10
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 56. Augsburg, 25. Februar 1840, S. 0442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_056_18400225/10>, abgerufen am 27.04.2024.