Frankreich.
Paris, 20 Febr.
Es heißt, Hr. His v. Bezenval, zweiter Botschaftssecretär in London, werde in zwei Tagen als außerordentlicher Commissär über Malta und Alexandrien nach Konstantinopel abreisen.
(Temps.) Hr. Passy erklärte, das Ministerium müsse abtreten, wenn der Gesetzesentwurf über die Dotation verworfen würde. Wir sind ganz der Meinung des Hrn. Finanzministers und können nicht glauben, daß die übrigen Minister nicht derselben Ansicht seyen. Nur der Sieg könnte dem Ministerium das Leben fristen, ohne den von ihm begangenen Fehler zu entschuldigen.
Ein anderes Journal sagt: „Täglich zeigen neue Thatsachen, wie sehr die Meinung der Wähler dem Gesetzesentwurf in Betreff der Dotation des Herzogs von Nemours entgegen ist. Wenn wir gut unterrichtet sind, so hätte eine der Illustrationen der Armee, der Marschall Clauzel, einige Neigung gehabt, für das Gesetz zu stimmen; da sich aber der berühmte Marschall durch sein Mandat verpflichtet hielt, so wollte er seinem persönlichen Gefühle, ohne vorherige Anfrage bei seinen Wählern nicht folgen. Die Antwort war einstimmig; die Ardennesen erklärten, „daß sie sich über eine Frage der Person bei seiner Wahl hätten spalten können, daß sie aber in einer Frage der Grundsätze nicht gespalten seyen; daß das vorliegende Gesetz offenbar mit den Apanagen zusammenhänge, und daß sie sonach hofften, daß sein Votum verneinend ausfallen werde.“
(Commerce.) Das Ministerconseil hat, wenn man einem Journale glauben darf, die Abberufung des Marschalls Valée beschlossen. Wir könnten eine solche Maaßregel nur billigen, jedoch unter der Bedingung, daß man zum Ersatz für den Marschall einen Mann wählte, der dem Lande, der Colonie und der Armee mehr als dem Hofe Garantien darböte.
Paris, 17 Febr. Mit Widerwillen gehen die Deputirten an die Discussion über die Nationalaussteuer des Herzogs von Nemours. Alle Minister waren seit zehn Jahren über ähnliche Anfragen in Verzweiflung, weil sie den Sinn der Wahlcollegien in diesem Betreff kannten, weil sie wußten, daß solche Zumuthungen ein unfehlbares Mittel seyen, um den gemeinen Mann gegen die Dynastie aufzubringen. Nicht nur die Republicaner und Legitimisten, sondern auch die Oppositionen gemäßigterer Art, ja die alten, in der Stille selbst die neuen Minister lassen sich mehr oder minder bitter oder unmuthig darüber aus. Die französische Nation hat längst eine eigene Stellung zum Königthum angenommen: der friedliebende Theil derselben, Bürger und Bauern nimmt die Monarchie an als Garantie der öffentlichen Ruhe, und weil sie durchaus keine republicanischen Gesinnungen noch republicanische Sitten hegen; jedesmal aber wenn man im Namen des Königthums Apanagen, Renten, Aussteuern fordern wird, kann man versichert seyn, daß aus allen Ecken und Enden Frankreichs sich ein gewaltiges Geschrei erhebt; daß die der Monarchie oder auch nur der Dynastie, so wie die den regierenden Ministern feindlichen Coterien und Parteien dieses benutzen werden gegen die Monarchie, die Dynastie, oder das Ministerium, und daß die regierenden Minister keuchen werden unter dieser Bürde. Dazu kommt noch Cormenin, ein persönlicher Feind des Hauses Orleans und der Deputirte Lherbette, welcher nicht weniger bitter ist. Zwar hat er sich nicht der Dynastie feindlich erwiesen, doch legt er stets einen charakteristischen Unwillen bei solchen Anfragen an den Tag. Obwohl die Centren Alles aufbieten werden, um die Discussion, der Skandale wegen, über Hals und Kopf abzufertigen, so sind die Explosionen dieser Skandale doch unvermeidlich. – Neben dieser beängstigenden Frage thut sich noch ein immer schärfer ausgeprägtes Mißverhältniß gegen Rußland kund. Man lebt hier des Glaubens einer hart ausgesprochenen rein persönlichen Abneigung des russischen Cabinets gegen das französische seit der Juliusrevolution; man spricht von den vergeblichen Versuchen französischerseits diese Abneigung zu überwinden, von der immer größeren Spannung zwischen beiden Cabinetten, welche aufs Höchste gestiegen seit der Sendung des Hrn. v. Brunnow. Es herrscht ein allgemeines Vorgefühl im Lande, daß die Russen über kurz oder lang ihre Plane im Betreff des Ostens unumwunden aussprechen werden, und daß die Collision, welche zu einem Weltkriege sich entzünden könnte, nachgerade fast unvermeidlich wird. Man sieht wohl ein, daß die Absicht Frankreich mit England und mit Deutschland zu entzweien eine andere umfassendere Absicht auf den Orient deckt und verschleiert; daß die europäischen Regierungen, so lange es möglich ist, vertuschen werden und sich an irgend einem baufälligen Status quo klammern; aber man fühlt die vorrückende Hand der Vorsehung, welche sichtbar die Collision wider Menschenwillen herbeiführen will, denn nie war der Druck dieser Hand mächtiger wie heute.
Paris, 20 Febr. Die Dotationsfrage hat das ganze Land in Bewegung gebracht. Von allen Seiten laufen Petitionen dagegen ein, und die Blätter sind voll von dieser Sache. Von Cormenins Broschüre sind über 50,000 Exemplare verkauft worden. Gestern erschien als Antwort auf den Bericht des Hrn. Amilhau noch ein Nachtrag dazu, der die ganze Frage noch einmal kurz zusammenfaßt, und eine Masse von neuen Thatsachen und Argumenten liefert. Dieser Nachtrag ward heute im Auszug oder in seiner ganzen Ausdehnung von allen Zeitungen mit Ausnahme des Journal des Debats und der Presse mitgetheilt; denn alle mit Ausnahme der genannten sind gegen den Antrag. Es ist angegeben, daß das Einkommen des Königs zum wenigsten 18 1/2 Millionen und 2 Millionen als Nutznießung aus dem Vermögen des Herzogs von Aumale beträgt. Da nach den gemachten Berechnungen die jährlichen Ausgaben während der verflossenen zehn Jahre 12 Millionen nicht übersteigen würden, so schätzt die Opposition die Ersparnisse, welche im Laufe der verflossenen zehn Jahre gemacht worden sind, auf wenigstens 85 Millionen. Dazu kommen für 100 bis 120 Millionen Privatvermögen an liegendem Eigenthum, und das gegen 50 Millionen betragende Vermögen des Herzogs von Aumale, so wie das außerordentliche Privatvermögen der Madame Adelaide. Von Seite der Minister wollte zwar eine Unzulänglichkeit des Privatvermögens nachgewiesen worden, die Opposition will aber beweisen, daß diese Berechnungen überall der Wahrheit nicht gemäß seyen. Es ist in der That, als ob ein der Regierung und dem Ministerium feindseliger Geist diesen Antrag ersonnen hätte. Ob er in der Kammer durchgehe, ob er durchfalle, jedenfalls wird er in der öffentlichen Meinung unermeßlichen Schaden anrichten. Ja, im Interesse der Regierung selbst möchte man wünschen, daß er verworfen würde. Etwas dergleichen fühlt man im Cabinet, daher große Schwankung in seinem Revier. Die äußerste Linke hat den Tact, bei dem ganzen Streit ruhiger Zuschauer zu bleiben.
Paris, 20 Febr. Für die heutige Sitzung der Deputirtenkammer füllten sich die Galerien schon sehr früh. Sie gewährten einen glänzenden, eleganten Anblick. In den vorbehaltenen Galerien sah man besonders viele Damen. Am Mittag waren alle Gänge im Palais Bourbon überfüllt. Der Saal des pas perdus war voll von Sollicitanten um Billets, welche den allmählich eintreffenden Deputirten den Weg versperrten. Die Galerie für den Staatsrath war so voll wie die für die Pairs bestimmte. In der k. Galerie bemerkt man die Professoren und die Adjutanten der jungen Prinzen. Mehrere auswärtige Gesandte hatten sich eingefunden. Man sah Mlle. Rachel in der Galerie der Quästoren. General Sebastiani sprach gleich nach seinem Eintritt in den Saal mit dem Conseilpräsidenten, und setzte sich dann zwei Plätze von Hrn. Guizot entfernt. Um 1 Uhr begann die Sitzung. Die Tagesordnung war die Erörterung des Gesetzesentwurfs über die Dotation des Herzogs von Nemours. Hr. Mangin d'Oins reichte dem Präsidenten seine durch Gesundheitsumstände motivirte Entlassung ein. Alle Minister waren auf ihren Bänken. Hr. Marchal erhielt zuerst das Wort gegen den Entwurf. Er verzichtete aber darauf bei der allgemeinen Erörterung, und behielt es sich für die Erörterung der Artikel vor. Die HH. Martin, de Givré, Corne, Joly, Tascherau, Dugabé, Durand, Coraly, Aug. Portalis, Delespaul, Calmon und einige andere verzichteten gleichfalls auf das Wort. Hr. Couturier besteigt dann die Tribune, und spricht gegen den Entwurf mitten unter dem Geräusch von Privatgesprächen, wodurch ein großer Theil seiner Rede ganz unvernehmlich wurde. Der Tumult steigt immer mehr, der Präsident läßt vergeblich seine Glocke ertönen. Hr. Moreau (de la Meurthe) sprach einige Worte vom Platz aus. Der Präsident ruft mehrere Mitglieder auf, die zum Sprechen eingeschrieben waren; sie begeben sich des Worts. Hr. Laffitte besteigt die Tribune, geht aber nicht in die Erörterung über die Dotation ein, sondern gibt bloß Erläuterungen in Bezug auf den von ihm an den König bewerkstelligten Verkauf des Forsts von Breuteuil, der von Sachverständigen auf mehr als 9 Millionen geschätzt war, und der im Detail verkauft mehr als 14 Millionen eingetragen haben würde. Er reclamirt gegen die Verleumdungen, welche die Journale bei Gelegenheit dieses Verkaufs verbreitet hätten,
wobei er seinen Briefwechsel mit dem Verwalter der Privatdomäne verlas, und eine Untersuchung durch Sachverständige beantragte. Hr. Amilhau, Berichterstatter der Commission, antwortete Hrn. Laffitte, ohne, wie er sagte, dem ehrenwerthen Mitglied auf irgend eine Weise zu nahe treten zu wollen. Er geht in Details in Bezug auf die von Sachverständigen auf Befehl des Königs einer- und des Hrn. Laffitte andererseits bei dem Verkauf des Forsts angestellten Untersuchungen ein. Hr. Laffitte replicirte mit Darlegung neuer Berechnungen, und sagte, daß nur ein Unredlicher (malhonnête homme) eine Zahlung hätte annehmen können, die den wirklichen Werth des Forsts überstiege. (Genug! genug!) Eine zweite Antwort des Hrn. Amilhau erregte die Ungeduld der Kammer. (Großer Tumult und Unterbrechung.) Der Präsident erklärte, da Hr. Laffitte das Wort wegen eines persönlichen Umstandes verlangt, und Hr. Amilhau geantwortet habe, so könne Niemand mehr über diesen Gegenstand das Wort nehmen. Doch sprach noch Hr. Mauguin inmitten des Geräusches einige Worte. Der Präsident ließ dann über den Schluß der allgemeinen Erörterung, die so gut als gar nicht stattgefunden hatte, abstimmen, und befragte die Kammer, ob sie zur Erörterung der Artikel übergehen wolle. Mehrere Mitglieder beantragten das geheime Scrutin schon über die Vorfrage, ob man überhaupt zur Discussion der einzelnen Artikel schreiten solle. Die Zahl der Votanten betrug 426. Absolute Majorität 214. Weiße Kugeln 200, schwarze 226. Die Kammer geht nicht zur Erörterung der Artikel über, das Gesetz ist sonach verworfen. (Sensation.) Die Sitzung ward um 3 1/2 Uhr aufgehoben, und die nächste Sitzung auf Sonnabend festgesetzt.
Paris, 19 Febr. Es bildet sich in Marseille ein Gesellschaft für Dampfboote nach Westindien; sie sollen die französischen und zugleich die spanischen Colonien bedienen. Der Plan ist gut, und der Staat sollte Alles thun, ihn zu erleichtern, ohne directen Theil daran zu nehmen, er sollte der Compagnie die Werften von Toulon öffnen, um dort zu bauen, ihr Schiffbauholz auf leidliche Bedingungen leihen u. s. w., um wo möglich die Errichtung ähnlicher Unternehmungen in Bordeaux und Havre für die Communicationen mit Nord- und Südamerika hervorzurufen, anstatt selbst, wie es der Plan der Postdirection ist, Dampfbootlinien zu errichten. Man kann aus dem Beispiel der Dampfboote im mittelländischen Meere sehen, daß sie unter der Direction des Staats für Transport von Waaren und Paketen nicht tauglich sind, daher sie sich weder bezahlen, noch dem Handel die Dienste leisten, welche er davon erwarten konnte. Die Erbsünde der französischen Administration ist, Alles thun zu wollen, und wenn sie gegenüber von stupiden und unwissenden Dorfmunicipalitäten einen Vorwand dazu hat, so hat sie wenigstens keinen gegenüber von dem Handelsstand der großen Seestädte. Der größte Theil des französischen Handels mit Amerika besteht in Seide- und Modewaaren, bei welchen der schnelle Transport die Hauptsache ist, aber officielle Postdampfboote sind nicht das beste Mittel dazu, und Lyon wird die gegenwärtige Concurrenz von Spitalfields und Nottingham auf dem Markt von New-York bitter fühlen, bis Havre Handelsdampfboote besitzt, welche es schon jetzt besäße, wenn die sprichwörtliche Unfähigkeit von Rosamel, als Marineminister, ihre Errichtung nicht verhindert hätte.
Deutschland.
München, 22 Febr. Die Kammer der Reichsräthe war unterm 19 d. M. über den von der Kammer der Abgeordneten bereits angenommenen Gesetzesentwurf, „Aufhebung des Gesetzes vom 29 Nivôse XIII, die Erziehung von Söhnen jener Familien, welche sieben Kinder haben, auf Kosten des Staats betreffend,“ in Berathung getreten, und hatte in dieser Sitzung beschlossen, dem bezeichneten Entwurf ihre Zustimmung zu ertheilen. Es ist sohin hierüber Gesammtbeschluß erzielt. In der heutigen Sitzung der Kammer der Abgeordneten wurde das neueingetretene Kammermitglied Aloys Rauch von Haag (Ersatzmann für den verstorbenen Geheimenrath v. Utzschneider) beeidigt; sofort eine Mittheilung des königl. Ministeriums des Innern verlesen, wornach, da der königl. Minister der Finanzen, Hr. v. Wirschinger, wegen fortdauernder Krankheit verhindert sey, zur Vertretung der den Ständen des Reichs gemachten Vorlagen in den Ausschüssen der beiden Kammern zu erscheinen, zu dessen Vertretung der königl. Minister des Innern, Hr. v. Abel, vermöge allerhöchster Entschließung vom 21 d. M. ermächtigt worden sey. Den übrigen Theil der Sitzung füllten einige Vorträge aus, auf die wir bei Gelegenheit der Verhandlungen zurückkommen werden.
Stuttgart, 14 Febr. Die Criminalproceßordnung, welche bei dem nächsten Landtage zur Vorlage kommen soll, wird unser Würtemberg in einem neuen Zweige an die Spitze eines deutschen Fortschritts stellen, indem der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit darin eine Annäherung eingeräumt ist. Der Entwurf setzt nämlich ein Schlußverfahren fest, wobei der Angeklagte persönlich vor den Gerichtshof gestellt werden, der betreffende Referent ungefähr die Stelle eines Staatsanwalts versehen, der Vertheidiger seine Gegenrede halten und dem Publicum der Zutritt offen stehen soll. Man sieht, es ist dieß so ziemlich der Anklageproceß, nur mit dem Unterschiede, daß nicht auch die Zeugenverhöre, welche der Untersuchungsrichter gepflogen, vor der Oeffentlichkeit recapitulirt werden. (Fränk. M.)
Stuttgart, 20 Febr. Wir begehen in diesem Jahre die vierhundertjährige Gedächtnißfeier der Erfindung der Buchdruckerkunst. Daß Würtemberg, in welchem so viel litterarisches Leben herrscht, und insbesondere Stuttgart, der wichtigste Platz Süddeutschlands für Buchdruckerei und Buchhandel, hiebei nicht zurückbleiben, sondern auf eine der Bedeutung der großen Erfindung würdige Weise dieses Fest begehen werde, durfte man wohl mit Recht erwarten. Es hat sich zu diesem Zwecke hier ein Comité aus 27 Mitgliedern gebildet; man bemerkt darunter den Kanzler v. Wächter, Präsidenten der Abgeordneten-Kammer, als Vorstand; Frhrn. v. Cotta und J. F. Steinkopf (Senior der hiesigen Buchdrucker und Buchhändler), diese beiden Stellvertreter des Vorstandes; sodann die HH. Karl Elben, Redacteur des Schwäbischen Merkurs; Heinrich Erhard, Eigenthümer der J. B. Metzler'schen Buchhandlung; Hofprediger und Oberconsistorialrath Dr. Grüneisen; Stadtschultheiß Gutbrod; Oberregierungsrath v. Köstlin; Dr. Wolfgang Menzel; Hofrath Professor v. Reinbeck; Obertribunalrath v. Scheurlen; Rechtsconsulent Dr. Walz; nebst einer Anzahl der thätigsten Buchhändler, Buchdrucker, Factore etc. Das Hauptfest soll in Stuttgart wie in andern deutschen Städten am 24 Junius (Feiertag Johannis) begangen und am darauf folgenden Tage geschlossen werden. Man beabsichtigt für den Hauptfesttag einen großen Festzug mit Musik und Gesang. Diejenigen Städte, in welchen bei uns zuerst Druckereien entstanden, sollen eine ehrenvolle Anerkennung durch ihre Stellung im Zuge, durch Vortragung ihrer Wappen etc. finden, also vor allen die alten Reichsstädte Ulm, sodann Reutlingen, ferner die Universitätsstadt Tübingen, in welcher zuerst in Altwürtemberg gedruckt wurde, die ihr folgenden altwürtembergischen Städte Blaubeuren, Urach etc. Ebenso wird es passend seyn, sich dabei der Männer zu erinnern, welche diese deutsche Erfindung im Mittelalter in Schwaben einheimisch machten, wie Hohenwang in
Ulm, bis herab auf diejenigen, welche in unsern Tagen sich in derselben auszeichneten, wie die Cotta und Andere, Andreas Bauer, den Erfinder der Schnellpressen, unsern noch lebenden Stuttgarter Mitbürger, nicht zu vergessen. Im Zuge sollen, neben den Insignien und Emblemen der Buchdruckerkunst, eine ganz alterthümliche, so wie eine Presse nach neuester Construction geführt und das Bibelbuch, eines der ältesten und das segensreichste der aus der Presse hervorgegangenen Werke, so wie Erzeugnisse der neuesten Zeit getragen werden. Der Zug soll sich durch die Hauptstraßen der Stadt in die Stiftskirche begeben. Nach der Kirche wird auf dem Marktplatze eine Rede und Festmusik folgen. Eine Buchdruckerei, eine Schriftgießerei und eine Buchbinderei werden auf dem Platze arbeiten, und ihre Erzeugnisse unter den Anwesenden als Festgabe vertheilen. Ein einfaches Mittagsmahl vereinigt alle Theilnehmer, welchen zur Unterhaltung für den Nachmittag Musik und Gesang und für den Abend Ball geboten wird. Für den darauf folgenden Tag, Donnerstag 25 Jun. wird eine ländliche Feier beabsichtigt. Die Solitude, einer der schönsten Punkte der Umgegend, ist hiezu ausersehen. Die Liederkränze, eine fröhliche Blüthe der neuern Zeiten, werden gebeten werden, zur Verschönerung des Festes mitzuwirken. (Schw. M.)
Kassel, 18 Febr. (Kass. Z.) In der Sitzung der Stände am 14 d. M. verkündigt der Präsident einen Antrag des Hrn. Abg. Wiedemann, auf Ersuchen an die hohe Staatsregierung, sich für Herstellung des Rechtszustandes im Königreich Hannover bei dem Bundestage zu verwenden. Der Hr. Landtagscommissär fragte den Antragsteller, ob derselbe die s. g. hannover'sche Verfassungsangelegenheit zum Gegenstande habe, und auf des letztern Bejahung den Präsidenten, ob derselbe die Entwickelung und Begründung des Antrags demnächst zuzulassen gedenke. Der Präsident glaubte nicht, ein Mitglied bei der Begründung von Anträgen beschränken zu dürfen. Der Hr. Landtagscommissär: Das Antragsrecht des Deputirten gehe nicht weiter, als das Berathungs- und Antragsrecht der Ständeversammlung. In allen Fällen, wo die Incompetenz der Ständeversammlung in Beziehung auf einen Gegenstand von vornherein vorliege, sey es Recht und Pflicht, jede Verhandlung abzuschneiden. Daß solches hier geschehen müsse, ergebe sich sofort. Die hannover'sche Verfassungsangelegenheit könne, der staatsrechtlichen Betheiligung nach, in zweifachen Beziehungen aufgefaßt werden, einmal als innere Landesangelegenheit von Hannover, und dann als Angelegenheit des deutschen Bundes. In beiden Beziehungen stehe die Sache außer dem Bereiche der Zuständigkeit der Ständeversammlung. In der erstern Beziehung sey sie ausschließlich Angelegenheit Sr. Maj. des Königs von Hannover, und, so weit die hannover'sche Landesverfassung es zuläßt, seiner Unterthanen, bezüglich der Stände. Dem Berufe und dem rechtlichen Interesse unserer Ständeversammlung bleibe sie jederzeit eine durchaus fremde Sache, und es würde eine unstatthafte Ueberschreitung des Wirkungskreises der kurhessischen Landstände seyn, wenn sie sich aneignen wollten, über jene, von vornherein ihrer Competenz entzogene Angelegenheit eine Verhandlung mit der Regierung zu versuchen, oder sie überhaupt in den Kreis ihrer Berathung zu ziehen. Betrachte man die gedachte Angelegenheit als Bundessache, so erscheine sie als eine, unter den deutschen Bundesgliedern als solchen zu verhandelnde Angelegenheit, und sey eben deßhalb der ständischen Berathung und Einwirkung – sey es eine directe oder eine indirecte – auch schlechterdings entzogen. Denn Bundesglieder seyen nur die deutschen souveränen Fürsten und freien Städte (Art. 1 der Bundesacte und Art. 1 der Wiener Schlußacte), nicht die Landstände in den einzelnen deutschen Staaten. Diese haben weder die Eigenschaft deutscher Souveräne, noch nehmen sie Theil an deren Souveränetätsrechten, sie seyen auch keine Mitsouveräne, folglich überall nicht befähigt zu Mitgliedern des deutschen Bundes, oder zur Theilnahme an den Berechtigungen der Bundesglieder, somit nicht befugt, irgendwie bei einer Sache mitzuwirken, bei der den einzelnen Bundesgliedern die Mitwirkung zustehe. Derartiges sey nicht gestattet und dürfe nicht erlaubt werden; denn es gebiete der Art. 57 der Wiener Schlußacte: „Da der deutsche Bund, mit Ausnahme der freien Städte, aus souverainen Fürsten besteht, so muß dem hierdurch gegebenen Grundbegriffe zufolge die gesammte Staatsgewalt in dem Oberhaupte des Staats vereinigt bleiben, und der Souverain kann durch eine landständische Verfassung nur in der Ausübung bestimmter Rechte an die Mitwirkung der Stände gebunden werden.“ Sodann der Artikel 1 des Bundesbeschlusses vom 15 August 1824: „Es soll in allen Bundesstaaten, in welchen landständische Verfassungen bestehen, streng darüber gewacht werden, damit in der Ausübung der den Ständen durch die landständischen Verfassungen zugestandenen Rechte das monarchische Princip unverletzt erhalten werde.“ Ferner der Art. 1 des Bundesgesetzes vom 28 Jun. 1832: „Da nach Art. 57 der Wiener Schlußacte die gesammte Staatsgewalt in dem Oberhaupte des Staats vereinigt bleiben muß, und der Souverän durch eine landständische Verfassung nur in der Ausübung bestimmter Rechte an die Mitwirkung der Stände gebunden werden kann, – so ist auch ein deutscher Souverain, als Mitglied des Bundes, zur Verwerfung einer hiermit im Widerspruch stehenden Petition der Stände nicht nur berechtigt, sondern die Verpflichtung zu dieser Verwerfung geht aus dem Zwecke des Bundes hervor.“ Endlich der Art. 8 der Wiener Schlußacte: „Die einzelnen Bevollmächtigten am Bundestage sind von ihren Committenten (d. h. den deutschen souveränen Fürsten) unbedingt abhängig, und diesen allein wegen getreuer Befolgung der ihnen ertheilten Instructionen, so wie wegen ihrer Geschäftsführung überhaupt unverantwortlich.“ Wenn es daher in der Mitte der Ständeversammlung unternommen werden sollte, über eine Bundessache Anträge zuzulassen, Berathungen zu pflegen und Ansinnen an die Regierung zu beschließen, alsdann würde ein Versuch der Landstände vorliegen, Eigenschaften und Befugnisse zu usurpiren, die ihrem höchsten Landesherrn an und für sich sowohl, als in ihrer Ausübung, ausschließlich beiwohnen, und Thätigkeitsäußerungen und Einmischungen sich zu gestatten, die unter den Gesichtspunkt der Verletzung des monarchischen Princips und der Bundesgesetze fallen. Schließlich wies der Hr. Landtagscommissär noch auf den Eingang unserer Verfassungsurkunde hin, in welchem nur einer landständischen Mitwirkung zu den innern Staatsangelegenheiten von allgemeiner Wichtigkeit erwähnt wird. Er ersuchte hierauf den Hrn. Präsidenten der Ständeversammlung, dem angezeigten Antrage eine weitere Entwicklung und Ausführung zu versagen. – Hr. Wiedemann war der Ueberzeugung, daß sein Antrag das monarchische Princip in keiner Weise beeinträchtige. – Der Hr. Vicepräsident vindicirte den deutschen Bundesstaaten das Recht, sich als Glieder des deutschen Bundes zu betrachten, wünschte jedoch die Ausführung des Hrn. Landtagscommissärs dem Rechtspflegeausschusse überwiesen. – Der Hr. Erbmarschall hielt jede weitere Discussion nach der Erklärung des Hrn. Landtagscommissärs für unzulässig. – Hr. v. Trott ersuchte den Antragsteller seinen Antrag zurückzuziehen, da das Vertrauen in die Regierung gesetzt werden müsse, daß sie handeln würde, wie das Interesse des Landes es erheische. Hr. v. Eschwege 1r ersuchte den Hrn. Wiedemann, den Antrag vorerst fallen zu lassen, die Begründung dem Präsidenten zu übergeben und es dessen Ermessen zu überlassen, ob er auf die Tagesordnung kommen könne. – Hr. Wiedemann, vom Präsidenten hierüber befragt, erklärte sich einverstanden. Vor Vorlesung der Tagesordnung für die nächste Sitzung nahm der Hr. Landtagscommissär das Wort: Es sey ein Bericht des Ausschusses für Prüfung des Rechenschaftsberichts des letzten permanenten Ausschusses über Pos. VI. desselben, wegen der Verordnung vom 2 März v. J., die Tage- und Reisegelder der Mitglieder der Ständeversammlung betreffend, am 3 d. M. erstattet und im Laufe voriger Woche gedruckt vertheilt worden. Dieser Bericht enthalte die Behauptung, daß durch jene Verordnung eine Verfassungsverletzung begangen worden sey, und beantrage, den betreffenden Minister in Anklagestand zu versetzen. Sr. Hoheit Regierung sey es nicht gleichgültig, wenn die nähere Erörterung jener Beschuldigung verzögert werde, und mit der Ehre des angegriffenen Hrn. Ministers sey es nicht verträglich, daß diese Angelegenheit in dieser Versammlung länger unberathen und unwiderlegt bleibe. Er sey deßhalb beauftragt, den
Hrn. Präsidenten zu ersuchen, den erwähnten Bericht baldigst auf die Tagesordnung zu stellen. – Dieses geschah, und die Sitzung wurde geschlossen.
Göttingen, 19 Febr. Die Criminaluntersuchung gegen den Magistrat zu Hannover scheint einen raschen Fortgang zu nehmen. Die auf diese Weise erwachsenden Acten werden später einmal interessante Details für die Verfassungswirren liefern können. So wurde vorgestern auf Requisition der Justizkanzlei in Hannover von der hiesigen Justizkanzlei eine größere Anzahl der Wahlmänner des Fürstenthums Göttingen über die Wahl des Kammercommissarius Lüder, Sohn des Regierungsraths Lüder, welche zu Northeim unter der Direction des Oberamtmanns Lüder vor sich gegangen war, und zu ihrer Zeit zu mehrfachen Rügen Veranlassung gegeben hatte, vernommen. Der Magistrat zu Hannover hat sich nämlich zum Beweise der Wahrheit, daß von Seite des Cabinets oder zu Gunsten desselben mehrfache Wahlumtriebe stattgefunden, auch auf diese Wahl des Göttinger Bauernstandes berufen, welche unter auffallenden Umständen durch eine Mehrheit von nur zwei Stimmen vor sich gegangen war. Auch in der Grafschaft Hohenstein, wo ein Theil der Stände bekanntlich die Wahl des Amtmanns Haus selbst beim hohen Bundestage als nichtig und durch Umtriebe erwirkt angegriffen hat, sollen ähnliche Zeugenverhöre stattgefunden haben. Der hiesige Gutsbesitzer Wehner hat in öffentlichen Blättern eine Erklärung über die gegen ihn im Wege der höheren Polizei erlassene Confinirung abgegeben (s. die gestrige Allg. Zeitung). Jene Polizeimaaßregel, die offenbar in das Gebiet der Criminalstrafen übergreift, hat hier natürlich viel Sensation erregt. Wehner hat übrigens von hiesiger Polizei eine Erlaubnißkarte bekommen, etwa im Umkreise einer Stunde von der Stadt spazieren zu reiten. Die hiesige Justizkanzlei hat bis jetzt auf sein vor etwa acht Tagen übergebenes Gesuch um Rechtsschutz noch nicht erkennen können, doch erwartet man, daß eine definitive Entscheidung und nicht etwa ein Communicativdecret erfolge. – Der königliche Erlaß, die Zusammenberufung der vertagten Ständeversammlung, die Anordnung von Ergänzungswahlen und die modificirte Aufhebung des früher aus solchen Wahlen gefolgerten Präjudices der Anerkennung des Patents vom 7 Dec. 1819 betreffend, hat die öffentliche Meinung der Stadt und Universität nicht umzustimmen vermocht. Man erwartet nach diesem täglich Anordnung der hiesigen Wahlen. Ehe die Stadt dazu schreiten kann, müssen jedoch noch zwei Wahlmänner neu erwählt werden, deren Plätze durch die frühere Wahl des Dr. jur. Wadsack und die neuerliche Wahl des Dr. jur. Breithaupt zu Bürgervorstehern erledigt sind. – Es findet hier gegenwärtig die kleine alljährliche Ausstellung von Kunstwerken hiesiger Maler etc. statt, welche zu der Hannover'schen Kunstausstellung gesendet werden sollen. Interesse erregen ein Portrait der Fr. Agnese Schebest als Norma vom Professor Oesterley und mehrere Lichtbilder von Dr. Karl Himly, welche das einzige in hiesiger Stadt befindliche ächt Daguerre'sche Bild (die Kirche Notre Dame zu Paris darstellend), das daneben aufgehängt ist, an Schärfe der Contouren und Tinten offenbar übertreffen; auf einem derselben zeigen sich sogar verschiedene Farbentöne. Dagegen sind die dargestellten Gegenstände (eine Partie des Universitätsgebäudes und ein Theil des alten Marktes) auch von ungleich geringeren Dimensionen als das auf gleichem Flächeninhalt vollständig gegebene Bild der Notre Dame. – Mehrere Selbstmorde, von denen der eine vor löblicher Polizei, ein anderer in dem zu Vorlesungen eingerichteten Meister'schen Hause stattfanden, haben durch Art und Motive Aufsehen erregt.
Briefe aus Pesth.
(Beschluß.)
Von Fremden ist – da der berühmte Liszt noch erwartet wird – Niemand, der sich bemerkbar machte, in Pesth anwesend, als ein paar englische Missionäre der Methodisten, die jetzt zahlreicher als gewöhnlich in der Welt umherreisen, angeblich um die Juden zu bekehren, in Ermanglung dieser aber auch mit zu leichtgläubigen Christen (die sie eben nach ihrer Weise starkgläubiger machen wollen) fürlieb nehmen, und ferner einer ditto englischen Miß „von der Feder,“ wie Jean Paul sagt, die für ihren Buchhändler reist, und schon seit Monaten an einem dicken Buch über Ungarn laboriren soll, was dann ohne Zweifel ihren Namen berühmter machen wird, als er bis jetzt noch seyn mag. Schon meldete zu diesem Behuf ein hiesiges Blatt (wahrscheinlich aus allernächster Autorität unterrichtet) daß über das vorletzte Werk der gefeierten Schriftstellerin nicht weniger als zwei Duzend englische Journale sich lobpreisend ergossen hätten, ein verständliches Prognostikon für das neue. An zu pedantischer Genauigkeit wird dieses schwerlich leiden, da ich schon in einer frühern Lieferung der reisenden Brittin den hiesigen Blocksberg in die Blocksburg und Ofen in die Stadt Offon verwandelt sehe; aber an drastischen Effecten mag es leicht reicher werden, wenn ich nach der Erzählung einer Dame urtheilen darf, welche mir versicherte, von besagter Miß (die aus Konstantinopel hier anlangte) vernommen zu haben, daß Sultan Mahmud zwei seiner leiblichen Söhne mit eigener Hand erdolcht habe. Oh Dieux! et c'est ainsi qu'on fait l'histoire! Gewiß nur eine ex officio reisende englische Miß kann so unbarmherzig seyn! Ich bin dennoch begierig auf den Inhalt dieses Buches, denn da die Verfasserin auf der einen Seite vom hiesigen Hofe sehr warm protegirt wird, auf der andern aber, wie ich höre, in noch näherem Verkehr mit der Opposition steht, deren Koryphäen sie mit den interessantesten Aufsätzen und Notizen versehen sollen, so ist sie ganz geeignet, die schöne Position des Juste-Milieu anzunehmen, die unparteiisch jedem ertheilt was ihm gebührt, und da sie aus so authentischen Quellen schöpft, so erfährt vielleicht Ungarn endlich definitiv was es hat, und was ihm fehlt – durch eine englische Miß. Wer möchte gegen ein so erfreuliches Resultat mit veralteten Spässen über blue stockings ankämpfen! Schöner finde ich es, und der Deutschen würdig, fremdes Verdienst (besonders englisches) auch in der kleinsten Quantität aufs höchste anzuschlagen. Ich wenigstens dachte immer so, und ich kann versichern, daß ich den König von Otahayti – wenn es noch einen solchen gibt – sehr hoch schätze, aber einen Lond'ner Schneider stets viel höher.
Eine andere Classe Fremder und Einheimischer, die leider sehr zahlreich hier in Pesth zu seyn scheint, ist die bettelnde, welche mir mehr Gulden Conventionsmünze gekostet hat, als mir lieb ist, deren Originalität aber Erwähnung verdient. Alle Augenblicke ließen sich ausländische Grafen und Barone, oder auch hiesige Edle und Nichtedle in „einer wichtigen Angelegenheit“ bei mir melden, die zuletzt immer darauf hinauslief, entweder mir Häuser, Weine, Trauerspiele, Staatsverbesserungsplane, gestickte Tabaksbeutel in den Nationalfarben, oder andere Raritäten, und Gott weiß was sonst noch alles zu offeriren, so wie auch sich selbst zu jeder beliebigen Verwendung und Anstellung, wenn aber alles verbeten ward, gewöhnlich nur, als das Ende vom Liede, um eine vorläufige kleine Unterstützung nachzusuchen. Der possierlichste Auftritt dieser Art begegnete mir mit einem Menschen, der unangemeldet in einem zerrissenen Rocke, wie ein Handwerksbursche gekleidet und halb betrunken, in meine Stube drang, und als ich ärgerlich und ihn etwas barsch anfahrend frug, was er wolle, mit einer unnachahmlichen Freundlichkeit erwiederte: er habe gehört, daß ich einen Gesellschafter suche, und sey gekommen, sich zu diesem Posten anzubieten. Durch Lachen besänftigt, erkundigte ich mich, ob er ein Christ oder ein Jude sey, und als er das letzte bejahte, gab ich ihm sofort die Adresse der englischen Missionäre um sich vorher für Geld und gute Worte bekehren zu lassen. Wer weiß, ob ich dadurch nicht dem armen Teufel zu einem neuen Rock, und dem puritanischen Himmel zu einer gewendeten Seele verholfen habe.
Noch ärger war es mit Briefen des wunderlichsten Inhalts, die für einen Sammler Werth haben würden. Einer schrieb mir, unter dem Siegel des Geheimnisses, daß er immer viel auf die Ehre gehalten, und deßhalb besser zu leben gewünscht als seine Cameraden. Dieß habe er auch mit Erfolg ausgeführt, aber bald sein Vermögen dabei zugesetzt. Es bliebe ihm daher jetzt nichts mehr übrig, um ferner standesmäßig leben zu können, als Dienste bei einem vornehmen Herrn zu nehmen, vorausgesetzt, daß er auf die achtungsvollste Behandlung rechnen dürfe. Vor der Hand, setzte er hinzu, schriebe er mir nur noch incognito, unter einem bloß angenommenen Namen, aber sobald ich, wie er nicht zweifle, sein Anerbieten angenommen, werde er sich mir ohne Rückhalt entdecken, und sogleich in propria persona herbeieilen, um mir fortan sein ganzes Leben zu widmen. Ein Anderer gestand bescheiden, ein durch die unerhörtesten Umstände unterdrücktes litterarisches Genie zu seyn, dem aufzuhelfen ich gewiß die höchste Genugthuung fühlen müßte, einstweilen brauche er indeß nur dringend 40 Gulden, nicht mehr und nicht weniger, die er mich unter beigelegter Adresse einzusenden ersuche – und ein Dritter, dessen wohlriechendes Bilett auf rosenfarbnes Papier, französisch stylisirt, und der Datum in Goldlettern gedruckt war, wollte mir gar nichts vorschreiben, sondern bat mein edles Herz nur: „de le rendre heureux de quelque manière que ce soit.“
Dieß sind die Freuden und Leiden eines Reisenden, mein guter Max, deren Schluß dich zu der Vermuthung bringen wird, daß die Polizei in Ungarn etwas weniger gut bestellt sey, als in Oesterreich, was auch gegründet ist. Indessen liegt auch hier neben dem Uebel das Gute. Das Pesther Volk raucht und prügelt sich zwar ungehindert auf der Straße, dünkt sich aber auch eben deßhalb freier, als jedes andere zu seyn, und der Wahn des Menschen ist ja sein Himmelreich. Was ist wohl jetzt der vorherrschende bei unserm Volk in der Mark? Auf Freiheit macht man dort, glaub' ich, seit der letzten mißlungenen Handwerksburschen-Insurrection keine sonderlichen Ansprüche mehr, aber man bildet sich doch noch immer, wie mir scheint, in hohen und niedern Classen ein, aufgeklärter als alle übrigen Sterblichen zu seyn, und wenn man damit auch von diesen ausgelacht wird, was thut das, so lange man nur das Glück hat, recht felsenfest in seinem eigenen Glauben zu verharren?
Von denjenigen thörichten Einbildungen aber, die unsern eigenen Personen beiwohnen, mein theurer Max, wollen wir hier nicht reden, es ist zu oft ein unerfreuliches Capitel, nur rechne dahin nie die herzlichste und wahrste Anhänglichkeit deines treuen Bruders Sincero.
Pesth, den 1 Januar 1840.
Nachschrift. Da du nie in Ungarn warst, muß ich dir doch, besserer Anschaulichkeit des Vorhergehenden wegen, nachträglich noch einige Worte über das Aeußere der Hauptstadt sagen. Pesth mit Ofen bilden ein ganz zusammengehörendes
und nur durch den Fluß getrenntes Ganze, welches schon von fern einen eben so großartigen als eleganten Anblick gewährt. Die erste dieser Eigenschaften ist Ofen allein zu verdanken, mit seiner gebirgigen, weinreichen, romantischen Umgebung, dem weithin ragenden Blocksberg, gekrönt von der Sternwarte und dem schönen, vom Palatin bewohnten, königlichen Schlosse, von welchem geschmackvoll angelegte Gärten voll hoher Bäume über zahlreiche Terrassen nach der Donau niedersteigen – die zweite den zierlichen Palästen des gegenüber am Saum einer unabsehbaren Plaine sich ausbreitenden Pesth. Den umfassendsten Punkt für die Uebersicht dieses höchst anziehenden und variirten Gemäldes bietet die genannte Sternwarte. Man sollte aber Sr. kais. Hoheit dem für jede Verbesserung so regen Palatin eine Bittschrift überreichen, durch irgend eine nur wenig kostspielige Vorrichtung auf der Kuppel des Observatoriums es dem Beschauer möglich zu machen, eines der schönsten Panoramen des Landes vollständig und auf Einmal überblicken zu können, während jetzt kein Punkt daselbst existirt, von dem man mehr als einen Abschnitt der ganzen Aussicht sehen kann, und ein Theil derselben (noch obendrein der Blick auf die Berge) durch höhere Nebengebäude ganz maskirt ist. Eine sogenannte Laterne auf der Kuppel, oder nur eine Fahnenstange mit heraufführender Treppe und einem kleinen Balcon in der Höhe, würde diesem Bedürfniß abhelfen.
Der größte Theil der stattlichen Gebäude Pesths ist auf Speculation erbaut worden, meistens von Handwerkern oder Kaufleuten, und seit der großen Ueberschwemmung werden noch eine Menge neue aufgeführt, wovon viele auf angefahrene Hügel gestellt sind, was den Straßen allerdings in Zukunft ein sonderbares Ansehen geben muß, und im Grunde doch, so lange nicht umfassendere Anstalten zur Regulirung der Donau ins Leben treten, wenig helfen möchte. In dieser letzten Hinsicht ist leider bis jetzt noch gar nichts geschehen, außer das ganz lächerliche Unternehmen eines aus Sand und Straßenkoth aufgeführten Dammes zwischen Stadt und Vorstadt, mehrere Tausend Schritte von der Donau entfernt, der sich in der Mitte einer breiten Straße hinzieht; ich zerbrach mir lange den Kopf über dessen Zweck, bis ich erfuhr, daß man, die Stadt mit allen ihren Palästen preisgebend, dadurch wenigstens die Vorstadt habe schützen wollen, was übrigens durch eine so mangelhafte Ausführung eben so wenig erreicht werden kann, da der erste Wasserstoß diese leichte Masse gleich wieder durchbrechen würde. Die ganze unglückliche Idee ist ungefähr dieselbe, als wenn man eine Maske, zur Schützung des Gesichts bestimmt, auf dem Rücken befestigen wollte; und jener Damm kann höchstens die Pesther davor bewahren, bei einer neuen Ueberschwemmung nicht von hinten, sondern nur von vorn zu ersaufen. Dazu kommt, daß das Material desselben, welches sich schon bei dem jetzigen anhaltenden Regen zur Hälfte in Brei auflöst, die breite Straße, deren Mitte der lange Kothhaufen einnimmt, fast unpassirbar und sehr ekelhaft macht, während er im Sommer den Staub – eines der größten Uebel der hiesigen Localität – in der ganzen Stadt zur Unerträglichkeit vermehrt.
Eben so scheint man auch damit die Pferde hinten am Wagen anzuspannen, daß man jetzt anfängt die unbedeutenden Zuflüsse der Donau zu reguliren, während man den wahren Feind, den einzig gefährlichen, fortwährend sich selbst überläßt, obwohl Sachverständige allgemein versichern, daß diese Hauptsache, wenn man nur einmal ernstlich und kräftig daran gehen wollte, gar nicht so schwierig zu bewerkstelligen sey. Jeder Menschenfreund muß sich aber lebhaft dafür interessiren, wenn er das ungeheure Unglück schildern hört, was die letzte Ueberschwemmung hier veranlaßte, und eine so schöne mächtig aufstrebende Stadt einem gleichen desastre schutzlos Preis gegeben sieht, sobald es den Elementen beliebt, ihr wieder den Krieg zu erklären.
Vornehme Ungarn ließen bis jetzt noch wenig Paläste in Pesth erbauen, doch habe ich einen dergleichen im Detail besehen, der eines Magnaten mit 50 Quadratmeilen Besitzthum ganz würdig ist, und als eins der ersten Unternehmungen dieser Art, die man überdieß in mancher Hinsicht als ein der Nationalität gebrachtes Opfer betrachten kann, achtungsvoller Berücksichtigung werth ist. Pracht und Geschmack vereinigen sich würdig darin, namentlich ist die Decoration des Bibliotheksaals eine der gelungensten, die ich irgendwo angetroffen habe. Doch bleiben auch einige Dinge zu kritisiren, die ich nicht übergehen will, weil auch du, wie du mir schreibst, eben mit einem Hausbau beschäftigt bist, weßhalb der Gegenstand dich vielleicht mehr, als sonst der Fall seyn würde, interessiren mag. Erstens hat man den Fehler begangen das Corps de logis dieses Gebäudes, welches zwei Flügel hat, nicht so zu placiren, um es entre cour et jardin, mit einer bloßen Grille nach der Straße hin, zu bringen, obgleich der hinlänglichste Platz dazu vorhanden war, und der Anblick des Ganzen dadurch nicht nur imposanter, sondern auch das Haus, vom Straßenlärm entfernt, weit angenehmer zur Bewohnung geworden wäre.
Zweitens mißfiel es mir, daß man im Innern, bei sonst reicher Ausschmückung, die leidigen Papiertapeten zur Bekleidung der Wände gewählt hat – eine industrielle Erfindung dieses papiernen Zeitalters, die nur für das Negligée auf dem Lande, oder für Dienerstuben tauglich ist. Drittens endlich bedauerte ich, daß der Garten, welcher Raum genug zu der anmuthigsten Mannichfaltigkeit im Schatten gäbe, dem nichtssagenden, englischen bowlinggreen zu Liebe (auf dem hier überdieß kein Gras wachsen will), mehr einer embellirten, magern Viehweide im Sonnenbrand, als einem Garten ähnlich sieht. Ich würde vor Allem hier so viel Bäume als möglich pflanzen, und im Sommer dafür sorgen, daß sie alle Morgen mit einer Feuerspritze vom Staube rein gewaschen würden, um nicht wie im Pudermantel dazustehen, was leider in jener Jahreszeit allgemein der Fall hier zu Lande ist, und selbst Anfangs October noch so war, als ich herkam, wie ich bereits andern Ortes gemeldet.
Eine zweite sehr hübsche Anlage hat Se. kais. H. der Palatin auf einer großen ihm zugehörigen Insel der Donau gemacht. Sie erinnert in ihrer etwas veralteten aber grandiosen Manier lebhaft an die Gärten von Brown, und bietet mehr als einen wahrhaft classischen Effect dar. Zwei Sachen fielen mir als neue und glückliche Gedanken besonders auf: ein dicht bepflanzter, sich nur wenig erhebender und von einer lebendigen Hecke umschlossener Weinberg, mitten in einer weit ausgebreiteten frischen Wiese gelegen, und nur mit einer einzigen schlanken Pappelgruppe auf seinem höchsten Punkte geschmückt, wo zugleich ein Rundell nebst Ruhebänken angebracht ist. Der Gärtner erzählte, die Souveräne zur Zeit des Wiener Congresses hätten hier sitzend, und sich der lieblichen, idyllischen Scene erfreuend, die erste Nachricht von der Landung Napoleons in Frankreich erhalten. Dieß ist nun freilich historisch genommen eine offenbare Fiction, aber als eine der freundlichen Insel so wohl anpassende Tradition gefiel sie mir in diesem Augenblick zu gut, um sie der leidigen Kritik zu unterwerfen. Die andere meinen Beifall hervorrufende Idee besteht in der unmittelbaren Anlehnung und Verbindung des modernen Wohngebäudes mit einer malerischen Ruine, welche durch Tapezirung mit rankenden Gewächsen, Bäumen und Schrubs zweckmäßig und sinnreich behandelt ist, eine poetische Contrastverschmelzung,
welche die Phantasie lebhaft anspricht, und dem Erfinder Ehre macht. Es befinden sich außerdem noch verschiedene andere mehr oder weniger pittoreske Ruinen auf dieser Insel, welche einst eine ganze Colonie mehrerer Klöster getragen haben soll. In einer wilden dornigen Buschgegend von üppigem Wachsthum ist man vor kurzem auf den untern, noch gut erhaltenen Theil einer ansehnlichen Kirche gestoßen, der jetzt ganz frei gemacht wird. Man fand auf ihrem Boden und an den Wänden sehr interessante Gräber, und in dem einen sogar einen goldnen alterthümlichen Schmuck mit den französischen Lilien, welcher einer vornehmen Person aus jenem Lande angehört zu haben scheint, daneben das Steinbild eines Ritters, so wie auch einige andere Sculpturen aus der Zeit des Mittelalters nebst einer großen Menge Todtenköpfe und Knochen, die man leider wegwirft, obgleich eine von ihnen nach irländischer Weise aufgerichtete Pyramide in dem alterthümlichen Kirchengemäuer sich vortrefflich ausnehmen würde. Dem mich herumführenden Garteninspector wollte jedoch diese Bemerkung keineswegs einleuchten. Der gute Mann rollt hier das Rad des Sysiphus, denn seit den 20 Jahren, während deren er hier angestellt ist, hat der Eisgang der Donau schon ein Duzendmal die Hälfte der Anlagen verheert, doch ermüdet er nicht in der Erneuung, und in der That sah ich auch jetzt nur noch wenig Spuren des letzten, gewaltigsten Anfalls. Es ist sehr wahrscheinlich, daß aus irgend einem Grunde der Fluß ehemals nicht so verheerend war, denn wie hätten sonst eine solche Menge Klöster hier geblüht, deren Ruinen zeigen, daß ihr Boden fast in gleicher Höhe mit dem jetzigen Wasserspiegel liegt.
Um nun mein langes Postscriptum zu schließen, noch einen guten Rath, lieber Max. Kommst du je nach Pesth, und bist du krank, so wende dich an den Doctor, Hofrath v. Stahli als den geschicktesten, theilnehmendsten Arzt, den gewandtesten Operateur, den Vertrauen einflößendsten Heilkünstler; bist du aber gesund, und hast du weder vom schlechten hiesigen Klima das Fieber bekommen, noch nöthig dir Arme und Beine abnehmen zu lassen, sondern wünschest du bloß einen edlen Ungarn, wie er seyn soll, kennen zu lernen, so frage wieder nach dem Hofrath von Stahli als dem wackern Patrioten, dem liebenswürdigen, genialen Gesellschafter und Lebemann (der sich unter Anderm auf guten Champagner eben so tüchtig als auf alle arcana der Apotheke versteht), dem umfassend gebildeten Gelehrten, und dem an Herzensgüte und Biedersinn schwer zu übertreffenden Liebling der großen und kleinen Welt in Pesth. Hiermit entlasse ich dich, und empfehle dich dem Schutze des Höchsten, ut in litteris.
Zur Statistik des Königreichs Neapel diesseits des Faro.
Florenz, Ende Januar. In der ersten Periode des vergangenen Jahrhunderts, so beginnt Serristori das so eben erschienene Heft seiner Statistik des Königreichs Neapel, folgte Karl III auf die unheilbringende Herrschaft spanischer Vicekönige. Es begrüßten die Neapolitaner diesen Fürsten, wie der Seemann den Hafen nach langer und gefährlicher Fahrt. Zwar legte der Minister Tanucci unter ihm den Grund zu Reformen und neuen Institutionen, doch war diese Regierung von zu kurzer Dauer, als daß Alles, was man sich vorgesetzt hatte und was noth that, ausgeführt werden konnte. Sein Sohn Ferdinand verrieth in den ersten Jahren seiner Herrschaft guten Willen, doch fehlte ihm die nöthige Energie zum Handeln; im Lauf der Zeiten zeigte er sich gleichgültig, und nicht selten widerstrebend.
Im Jahr 1806 ward Neapel von den Franzosen besetzt. Es war eine neue, dem Lande fremde Regierung, die der Revolution ihren Ursprung verdankte, statt des Rechts die Gewalt für sich hatte, und sich dadurch im Stande sah, die verwegensten Reformen ins Leben zu rufen. Durch sie fiel das Lehenswesen, wurden die Klöster aufgehoben – zwei große Wunden des Königreichs heilten auf diese Weise. Die Fessel, welche bis dahin auf der Veräußerlichkeit des Grundeigenthums lastete, hatte den größten Theil der Bevölkerung von der Wohlthat des Besitzes ausgeschlossen, und in Folge dessen zum Elend verdammt. In die unterdrückte Lehen theilten sich die Barone und die Gemeinden, durch diese ward es an die einzelnen Bürger veräußert. Die Besitzungen der Klöster wurden verkauft, um die öffentliche Schuld zu tilgen, ja um das Eigenthum von jeder Fessel zu befreien, wurden die Maggiorate und Fideicommisse abgeschafft. Die ungeheuern Besitzungen der Barone, auf welchen meistens die größten Schulden lasteten, kamen in andere Hände; kaum daß einzelne Namen noch von der ehemaligen Lehensherrschaft Kunde geben; ihre Güter sind längst Eigenthum der Menge geworden.
Mit diesen radicalen Veränderungen gingen nothwendig viele andere Hand in Hand. Die Verschiedenheit der Gerichte und Gesetze, je nach dem verschiedenen Stand der Personen, mußte einer neuen Gerichtsordnung Platz machen, die alle Bürger vor dem Gesetz für gleich erklärte, und allen Sicherheit der Person und des Eigenthums gewährte. Statt der complicirten, willkürlichen und oft tyrannischen Art, die Abgaben zu vertheilen, wurde ein gleichmäßiges System eingeführt, dem das Einkommen der Einzelnen zur Basis diente. Zugleich räumte man die Hindernisse aus dem Wege, welche bis dahin Handel und Verkehr beengt hatten: die Binnenzölle wurden aufgehoben und die Küstenfahrten freigegeben.
Als Ferdinand im Jahr 1815 wieder den angestammten Thron bestieg, fand er die Finanzen besser geordnet, die öffentlichen Einkünfte vermehrt, den größten Theil der Staatsschuld getilgt, die einzelnen Gemeinden im Besitz bedeutender Patrimonien – ein Gerichtswesen, das mit den Forderungen der neuen bürgerlichen Gesellschaft im Einklang stand, dazu größere Betriebsamkeit, Wohlhabenheit und einen größeren Grad von Bildung in der Bevölkerung. Er bestätigte alle Vortheile, welche ihm von der sogenannten militärischen Besetzung überliefert waren – Vortheile, die in der Zeit eines langen Friedens noch ganz andere Resultate hoffen ließen, als man nach den damaligen Umständen sich versprechen konnte. Man ging also auf dem Wege des Fortschritts weiter, und nahm den einzelnen Maaßregeln das Gewaltsame und Willkürliche, das in der Praxis nur zu oft geblieben war. Es kam besonders darauf an, die inländische Industrie zu heben, und um dieß zu erreichen, kam man nach vielem Schwanken im Jahr 1824 zu einem Prohibitivsystem für ausländische Waaren, das noch jetzt in voller Kraft besteht. Alle fremden Producte wurden bei der Einfuhr mit schweren Abgaben belegt, von denen man alle einheimischen bei der Ausfuhr frei erklärte. Auch erließ man, um der inländischen Schifffahrt einen Aufschwung zu geben, für fremde Flaggen außerordentlich drückende Verordnungen. Ueber die Menge von Fabriken, die durch dieß künstliche System hervorgerufen wurden, darf man sich nicht täuschen; es sind mehrentheils fremde Gewächse, die nur mit Hülfe schwerer Zollabgaben ein kümmerliches Leben fristen. Es sind künstliche Schöpfungen, die gewöhnlich stationär werden, und
den Käufern inländische Waaren von geringerer Qualität um theurere Preise liefern.
Vieles, so fährt Serristori fort, bleibt dem Gouvernement noch zu thun übrig, sowohl für die materielle als für die moralische Verbesserung des Volks, welches zu den ungebildetsten von ganz Italien gehört. Als höchst ungünstig muß in dieser Beziehung jede Centralisation der Geschäfte in Neapel angesehen werden; ein Blick auf die Karte zeigt für das Königreich Neapel den ganzen Nachtheil eines solchen Systems. Viel kann dagegen durch Eröffnung eines Freihafens am adriatischen Meer geschehen, doch müßten damit den Individuen aller Nationen, jedes Cultus und jedes Standes, reelle Erleichterungen gewährt werden, wie dieß in Livorno und in neuerer Zeit in Triest und Odessa der Fall war. Für die Hauptstraßen ist viel, weniger für die Provincial- und noch weniger für die Communalstraßen geschehen. So braucht z. B. ein Brief von Palermo nach Neapel im Sommer sieben Tage auf einem Wege von 385 Miglien; es kommen also nur 55 Miglien auf den Tag. Von Otranto nach Neapel ist ein Brief bei einer Entfernung von 282 Miglien fünf Tage unterwegs, während ein Brief von London nach Florenz über Paris, Turin und Genua nur zehn Tage, ja oft nur neun braucht, und 975 Miglien, täglich also 97 1/2 und bisweilen 108 2/9 Miglien macht. Briefe von Wien nach Florenz über Trient und Mantua brauchen auf einem Wege von 497 Miglien sieben Tage.
Eine Quelle bedeutenden Reichthums könnte für das Land eine wohl geordnete Benutzung der Bergwerke werden, woran man bisher noch nicht gedacht hat. Auch ist dieß nur zu erreichen, wenn einige Inländer in fremde Bergwerke gesandt werden. Daß in dem Königreich beider Sicilien Eisen, Kupfer, Blei u. s. w. gewonnen werden kann, bezweifelt Niemand; aber wo sind die Leute, welche wissen, wie jenseits der Berge gegraben und gegossen wird? Daneben wären Sparcassen, Primärschulen, Kinderasyle und solche Anstalten zu errichten, in denen die für Gewerbe und Industrie nöthigen Kenntnisse erlangt werden können und, als eine nicht unbedeutende Quelle menschlichen Elends, das Lotto ganz und gar abzuschaffen.
Es fehlt im Königreich Neapel an einem geometrischen Kataster, nach welchem die Abgaben von Ländereien auf gerechte Weise taxirt werden könnten. Das Areal wird deßhalb verschieden angegeben, zu 24,971 und zu 23,106 neapolitanischen Quadratmeilen. Die Ebene Puliens, il tavoliere genannt, eine der größten von ganz Italien, ist Staatseigenthum; ihre Oberfläche wird zu 74 neapolitanischen Quadratmeilen geschätzt. Vergleicht man zwei Epochen, das Jahr 1548 und 1825, unter einander, so ergibt sich in den Strecken, welche in einem Zeitraum von dreihundert Jahren für den Anbau gewonnen wurden, kein wesentlicher Unterschied. Nach Abzug der Administrationskosten liefert diese Ebene dem Fiscus jährlich 400,000 neapolitanische Ducaten. *) Der neapolitanische Ducaten beträgt etwa 2 Gulden Augs. C. Durch die gänzliche Veräußerung dieses ungeheuren Besitzes wird allein für den Fiscus, für öffentliche und Privat-Interessen gesorgt seyn.
Ueber die Bevölkerung des Königreichs sind die verschiedenartigsten Angaben im Umlauf; man darf sich darüber nicht wundern, da selbst die Berichte der Regierungen in dieser Beziehung von einander abweichen. Ueber die Bevölkerung vor der französischen Herrschaft ist man schlechterdings ohne alle authentische Nachricht, ja selbst von den zehn Jahren, die diese bestand, ist uns nur die Bevölkerung von 1813, und diese auch nicht einmal genau bekannt. Später fehlt wieder das Jahr 1821, vermuthlich weil die damaligen Unruhen Angaben dieser Art unmöglich machten. Nach einer officiellen Mittheilung stand die Bevölkerung in einem Zeitraum von sechs Jahren also:
1820 5,207,373 Seelen,
1822 5,370,463 Seelen,
1823 5,436,433 Seelen,
1824 5,512,379 Seelen,
1825 5,599,802 Seelen,
1826 5,661,624 Seelen
Die Zahl von 6 Millionen ward zum erstenmal im Jahr 1834 erreicht, das eine Bevölkerung von 6,002,022 Seelen zählte; das Jahr 1835 hatte 6,098,385 Seelen, 1836 6,111,642, 1837 6,089,288. Während des Jahres 1838 fiel sie durch die Cholera auf 6,021,284 Individuen. In einem Zeitraum von siebenzehn Jahren nahm sie um 881,915 Köpfe zu, was auf jedes Hundert 16,95 und für das Durchschnittsjahr 51,877 gibt (1820-1837).
Unter den 6,002,022 Individuen des Jahres 1834 waren Unverehelichte männlichen Geschlechts 1,697,909, weiblichen 1,634,465, Verehelichte 2,215,834, Verwittwete männlichen Geschlechts 168,562, weiblichen 285,242, Kinder zu vierzehn Jahren 983,871, zu zwölf 943,760, Erwachsene männlichen Geschlechts 2,001,419, weiblichen 2,072,966, Militärpflichtige von 19-25 Jahren 478,480; Besitzer 993,864, Künstler, Gelehrte und wer sonst den freien Künsten lebt 75,094, Priester 27,144, Mönche 11,680, Nonnen 9773, Landleute 1,824,043, Handwerker und Gesinde 340,672, Fischer und Matrosen 54,110, Arme männlichen Geschlechts 95,859, weiblichen 112,761.
Durch das Concordat von 1818 wurden die 131 Diöcesen, welche nach dem Concordat von 1741 bestanden, auf 109 festgesetzt, von denen jetzt 86 als wirkliche angegeben sind. Als das Minimum jährlicher Einkünfte ward den Bischöfen die Summe von 3000 neapolitanischen Ducaten bestimmt, zugleich wurden die Gesetze der mano morta für aufgehoben erklärt, und den Kirchen somit der Ankauf von liegenden Gründen freigegeben. An Rom sollten jährlich 12,000 Ducaten aus den Einkünften der Bischöfe entrichtet werden. Die Zahl der Klöster, welche im Jahr 1807 und 1809 aufgehoben wurden, belief sich auf 219; das Vermögen, welches dem Staat dadurch zufloß, wird auf 150 Millionen Ducaten geschätzt. Nur die Bettlerorden, denen man keine Pensionen anweisen wollte, und einige Nonnenklöster, die Besitz hatten, ließ man bestehen; letztern nahm man die Güter, und wies ihnen dafür jährlich eine Summe Geldes an. Die Zahl der Klöster, welche seit dem Jahr 1818 neu errichtet wurden, läßt sich nicht genau angeben. Im Ganzen hat das Königreich 20 Erzbisthümer und 66 Bisthümer. Der weltliche und geistliche Clerus zählte im
Jahr 1806 | Priester 47,000, | Mönche 25,000 | Nonnen 26,000. | 1831 | 〃 27,622, | 〃 11,838, | 〃 10,299. | 1834 | 〃 27,144, | 〃 11,680, | 〃 9,773. | 1837 | 〃 26,304, | 〃 11,394, | 〃 9,512. |
Es heißt, daß im Jahr 1799 eine Anzahl von 100,000 Individuen im Dienst der Kirche stand, deren jährliche Einkünfte sich auf 9 Millionen Ducaten belaufen haben sollen. Unirte Griechen befinden sich im Königreich gegen 75,000. Die Auswanderungen dieser albanesischen Griechen begannen schon mit dem Jahr 1453, und dauerten fort bis zu 1738; sie ließen sich besonders in den Abruzzen und in Calabrien nieder, wo sie ihre Nationaltracht und ihre Sprache zum größten Theil beibehielten, und dem Ritus der orientalischen Kirche, mit Anerkennung des Papstes, treu blieben. Ihre Priester können sich verehelichen, doch werden für die kirchlichen Functionen unverehelichte Geistliche vorgezogen. Die Zahl der in der Stadt Neapel ansässigen katholischen Griechen beläuft sich auf 400
Individuen. Im Jahr 1839 lebten im Königreich beider Sicilien 830 Evangelische und 2000 Juden; letztern ist bis auf den heutigen Tag verboten, sich als Gemeinde zu constituiren. Das Edict, welches Karl III im Jahr 1740 zu ihren Gunsten erließ, hatte nur sieben Jahre Bestand; durch Unduldsamkeit der Bevölkerung ward es außer Kraft gesetzt. (Ein zweiter Artikel folgt.)