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Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Bd. 2 (T. 3/4). Frankfurt (Main), 1700.

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Th. IV. Sect. II. Num. XLVII. Dav. Joris Lebens-Beschreibung.
[Spaltenumbruch]

Nach diesem ist der gute mann David auff
ein schiff kommen/ und sich wenige tage
allda auffgehalten auff dem wasser/ denn
die erde war ihm zu enge gemacht. Und
als er darauff war/ hat er die zeitung be-
kommen/ daß die Brüder zu Utrecht alle-
samt gefangen wären genommen/ dazu auch
seine frau. War nun einer betrübt so war
ers/ fürwahr von hertzen überauß sehr.
Tratt deswegen aus dem schiff (der schif-
fer ist sint dem gestorben (und gieng nach ei-
ner stadt/ genannt Deventer, und bedachte
sich/ wo er sich am besten niederlassen solte)
damit er ferner beschreiben möchte den himm-
lischen strohm/ der über ihn kommen war/
wie man im wunderbuch sehen und hören
mag/ von einem ungelehrten mann so grosser
und tieffer verstand allein auß seinem einfal-
tigen geiste dargethan. Zur stelle nahm er
einen/ der mit ihm zu fusse gieng (die ande-
re ließ er in der Herberge) genannt Jorjaen,
welcher ihn verhoffete zu einer person zu brin-
gen/ darüber sie sich elendiglich nacht und tag
müte und matt zu fusse giengen/ und doch
nicht) da sie darkamen/ und sich gantz zum
krippel gegangen) wol empfangen worden/
wie der/ der ihn so weit gebracht/ wol besser
verhofft hatte. Es hielt hart/ daß sie die per-
sohn gar ins hauß nehmen wolte/ wiewol sie
allda zu seyn eben nicht verlangten/ und das
hauß nicht wol gelegen war/ sonst hätten sie
es endlich wol gethan/ als nemlich David Jor.
und Jorjan bekandtschafft bey einer mahlzeit
mit diesem Edelmann (der den David unbe-
kandt/ auch der ort/ wo er wohnhafft/ un-
bewust) gemacht hatten. Da reiseten sie
wiederumb nach dem ort/ von dannen sie
kommen waren/ und unterwegen war der gute
mann so bekümmert und gedrungen/ daß er
immer wolte von dem rollwagen/ darauff sie
sassen/ springen/ und war auch einmal würck-
lich im springen/ daß er nach Utrecht gehen
und sich allda umb seines weibs und über-
bliebenen kinder stellen wolte/ sich in ihre hän-
de zu geben/ so sie seine frau wolten loß las-
sen/ aber der bey ihm war/ bat ihn mit vielen
worten deßwegen/ daß ers nicht thun
wolte.

Es sahe auch der David unterwegens in
dieser seiner bekümmernüs viel seltsame gesich-
te/ welche ihm zu einer gewaltigen versuchung
stunden/ da er die grosse gewalt und unrecht
einsahe/ das an ihm und den seinen außge-
übet ward/ insonderheit/ wenn er auff seine
arme verlorne zerstreute kinder gen dachte/ wie
man sagte/ (als auch geschehen war) daß/ als
die mutter gefangen war/ ihr töchtergen (wel-
ches ihr junges kleines kindlein auff dem halß
habend) verlassen muste/ und das kind mit dem
jungen kindgen von seiner gefangenen mut-
ter scheiden/ und in einer frembden stadt war/
da sahe man bittere traurigkeit/ als man ge-
dencken kan/ denn es muste allein reissen mit
blutfrembden leuten/ und kam mit dem jun-
gen kindlein nach der stadt Delfft mit bangen
weinenden hertzen/ allwo es wenig auffsicht
[Spaltenumbruch] (wenn eine gethan hätte) wurden gehabt ha-
ben. Dis sahe der gute mann ihr vatter alles
wohl ein/ so daß er sich deswegen beynahe fast
gewagt/ damit die mutter möchte wieder zu
ihren kindern kommen. Sie fragten sie sehr
scharff nach ihrem manne/ welchen sie wolten/
daß sie ihn angesagt hätte/ wo er wäre.

Sie hatte gut sagen/ daß sies nicht wüste/
denn es war wahr. Die frommen helden/
die darunter waren/ die riethen ihrs auffs be-
ste/ so sie desto eher könte loß kommen zu ihren
kindern/ aber es wolte sich so nicht schicken.
Denn der Procureur oder Anwald vom
Haag (meister Reiner) war so bitter und nei-
disch auff sie samt Jan Sondersyl daß er sie
und die brüder die zu Delfft und Harlem um-
bracht wurden/ so schändlich beschuldigte/
als hätten sie die stadte wollen einnehmen;
Jan Sondersyl sagte/ er hätte ihre confession
noch bey sich. Die frau bat urlaub von den
guten herren und schultheiß zu Utrecht/ ob sie
frey reden und sich verantworten dürffte/ und
sie gaben ihr consens dazu/ in den namen/
daß sie so erzürnet und eyffrig wurde über die
grobe stoltze lügen/ daß sie ihn beynahe auff
seine backen geschlagen hätte/ und beschamte
ihn öffentlich/ und drang auff ihn/ daß ers
beweisen solte/ oder er wäre ein bösewicht
und falscher zeuge genennet werden/ und be-
zeigte sich trefflich wol und redete von den brü-
dern nichts als tugend/ ehre treu und alle
frömmigkeit/ die sie an ihnen gesehen hätte.
Sie wolten ihr kurtz um an leib und leben/ weil
sie mit dem volcke gewest/ damit umgangen
und gestanden/ gegessen und getruncken/ und
sie auch gehaust und gehofft hätte. Sie
sprach auch/ sie hätte nicht nöthig zu wissen/
was vor leute es wären/ damit ihr mann
zu schaffen hätte/ sie wäre nicht schuldig
(wenn sie eine ehrliche frau seyn wolte) ih-
ren mann zu beschuldigen oder umzubringen/
weil sie insonderheit und niemand besser wü-
ste/ daß er den HErrn fürchte und die warheit
Christi liebete/ allen menschen suchte guts zu
thun/ und die seligkeit/ die ihm von Gott ge-
offenbaret wäre/ nicht zu verbergen/ wie sie
denn ein wenig von der sache wuste/ und
in was vor einen zustande und vornehmen es
ihm ankommen/ zeuge/ und viel gutes sagen
wolte wenn es nicht schon offenbar und be-
kannt wäre/ darüber sie des todes sterben wolte.

Der Suffragan oder Weihbischoff wolte
sie durchauß gepeiniget haben/ und hatte
einen tag bestimmt/ daß er sie vors ge-
richte ziehen wolte/ aber es ward ihm
nicht zugelassen/ dann er legte sich die-
selbe woche und starb. Desgleichen der Pro-
cureur
oder Anwalt (meister Reiner) dach-
te auch scharff über sie zu kommen/ und es ihr
so zu richten/ daß sie nicht entkommen solte/
redete auch sehr schändlich und unehrlich
von der fraue/ daß es auch das gerich-
te nicht einmal eingieng/ aber er kam

nicht
Th. IV. Sect. II. Num. XLVII. Dav. Joris Lebens-Beſchreibung.
[Spaltenumbruch]

Nach dieſem iſt der gute mann David auff
ein ſchiff kommen/ und ſich wenige tage
allda auffgehalten auff dem waſſer/ denn
die erde war ihm zu enge gemacht. Und
als er darauff war/ hat er die zeitung be-
kommen/ daß die Bruͤder zu Utrecht alle-
ſamt gefangen waͤren genommen/ dazu auch
ſeine frau. War nun einer betruͤbt ſo war
ers/ fuͤrwahr von hertzen uͤberauß ſehr.
Tratt deswegen aus dem ſchiff (der ſchif-
fer iſt ſint dem geſtorben (und gieng nach ei-
ner ſtadt/ genannt Deventer, und bedachte
ſich/ wo er ſich am beſten niederlaſſen ſolte)
damit er ferner beſchreiben moͤchte den himm-
liſchen ſtrohm/ der uͤber ihn kommen war/
wie man im wunderbuch ſehen und hoͤren
mag/ von einem ungelehrten mann ſo groſſer
und tieffer verſtand allein auß ſeinem einfal-
tigen geiſte dargethan. Zur ſtelle nahm er
einen/ der mit ihm zu fuſſe gieng (die ande-
re ließ er in der Herberge) genannt Jorjaen,
welcher ihn verhoffete zu einer perſon zu brin-
gen/ daruͤber ſie ſich elendiglich nacht und tag
muͤte und matt zu fuſſe giengen/ und doch
nicht) da ſie darkamen/ und ſich gantz zum
krippel gegangen) wol empfangen worden/
wie der/ der ihn ſo weit gebracht/ wol beſſer
verhofft hatte. Es hielt hart/ daß ſie die per-
ſohn gar ins hauß nehmen wolte/ wiewol ſie
allda zu ſeyn eben nicht verlangten/ und das
hauß nicht wol gelegen war/ ſonſt haͤtten ſie
es endlich wol gethan/ als nemlich David Jor.
und Jorjan bekandtſchafft bey einer mahlzeit
mit dieſem Edelmann (der den David unbe-
kandt/ auch der ort/ wo er wohnhafft/ un-
bewuſt) gemacht hatten. Da reiſeten ſie
wiederumb nach dem ort/ von dannen ſie
kommen waren/ und unterwegen war der gute
mann ſo bekuͤmmert und gedrungen/ daß er
immer wolte von dem rollwagen/ darauff ſie
ſaſſen/ ſpringen/ und war auch einmal wuͤrck-
lich im ſpringen/ daß er nach Utrecht gehen
und ſich allda umb ſeines weibs und uͤber-
bliebenen kinder ſtellen wolte/ ſich in ihre haͤn-
de zu geben/ ſo ſie ſeine frau wolten loß laſ-
ſen/ aber der bey ihm war/ bat ihn mit vielen
worten deßwegen/ daß ers nicht thun
wolte.

Es ſahe auch der David unterwegens in
dieſer ſeiner bekuͤmmernuͤs viel ſeltſame geſich-
te/ welche ihm zu einer gewaltigen verſuchung
ſtunden/ da er die groſſe gewalt und unrecht
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uͤbet ward/ inſonderheit/ wenn er auff ſeine
arme verlorne zerſtreute kinder gen dachte/ wie
man ſagte/ (als auch geſchehen war) daß/ als
die mutter gefangen war/ ihr toͤchtergen (wel-
ches ihr junges kleines kindlein auff dem halß
habend) verlaſſen muſte/ und das kind mit dem
jungen kindgen von ſeiner gefangenen mut-
ter ſcheiden/ und in einer frembden ſtadt war/
da ſahe man bittere traurigkeit/ als man ge-
dencken kan/ denn es muſte allein reiſſen mit
blutfrembden leuten/ und kam mit dem jun-
gen kindlein nach der ſtadt Delfft mit bangen
weinenden hertzen/ allwo es wenig auffſicht
[Spaltenumbruch] (wenn eine gethan haͤtte) wurden gehabt ha-
ben. Dis ſahe der gute mann ihr vatter alles
wohl ein/ ſo daß er ſich deswegen beynahe faſt
gewagt/ damit die mutter moͤchte wieder zu
ihren kindern kommen. Sie fragten ſie ſehr
ſcharff nach ihrem manne/ welchen ſie wolten/
daß ſie ihn angeſagt haͤtte/ wo er waͤre.

Sie hatte gut ſagen/ daß ſies nicht wuͤſte/
denn es war wahr. Die frommen helden/
die darunter waren/ die riethen ihrs auffs be-
ſte/ ſo ſie deſto eher koͤnte loß kommen zu ihren
kindern/ aber es wolte ſich ſo nicht ſchicken.
Denn der Procureur oder Anwald vom
Haag (meiſter Reiner) war ſo bitter und nei-
diſch auff ſie ſamt Jan Sonderſyl daß er ſie
und die bruͤder die zu Delfft und Harlem um-
bracht wurden/ ſo ſchaͤndlich beſchuldigte/
als haͤtten ſie die ſtadte wollen einnehmen;
Jan Sonderſyl ſagte/ er haͤtte ihre confeſſion
noch bey ſich. Die frau bat urlaub von den
guten herren und ſchultheiß zu Utrecht/ ob ſie
frey reden und ſich verantworten duͤrffte/ und
ſie gaben ihr conſens dazu/ in den namen/
daß ſie ſo erzuͤrnet und eyffrig wurde uͤber die
grobe ſtoltze luͤgen/ daß ſie ihn beynahe auff
ſeine backen geſchlagen haͤtte/ und beſchamte
ihn oͤffentlich/ und drang auff ihn/ daß ers
beweiſen ſolte/ oder er waͤre ein boͤſewicht
und falſcher zeuge genennet werden/ und be-
zeigte ſich trefflich wol und redete von den bruͤ-
dern nichts als tugend/ ehre treu und alle
froͤmmigkeit/ die ſie an ihnen geſehen haͤtte.
Sie wolten ihr kurtz um an leib uñ leben/ weil
ſie mit dem volcke geweſt/ damit umgangen
und geſtanden/ gegeſſen und getruncken/ und
ſie auch gehauſt und gehofft haͤtte. Sie
ſprach auch/ ſie haͤtte nicht noͤthig zu wiſſen/
was vor leute es waͤren/ damit ihr mann
zu ſchaffen haͤtte/ ſie waͤre nicht ſchuldig
(wenn ſie eine ehrliche frau ſeyn wolte) ih-
ren mann zu beſchuldigen oder umzubringen/
weil ſie inſonderheit und niemand beſſer wuͤ-
ſte/ daß er den HErrn fuͤrchte und die warheit
Chriſti liebete/ allen menſchen ſuchte guts zu
thun/ und die ſeligkeit/ die ihm von Gott ge-
offenbaret waͤre/ nicht zu verbergen/ wie ſie
denn ein wenig von der ſache wuſte/ und
in was vor einen zuſtande und vornehmen es
ihm ankommen/ zeuge/ und viel gutes ſagen
wolte wenn es nicht ſchon offenbar und be-
kannt waͤre/ daruͤber ſie des todes ſterbẽ wolte.

Der Suffragan oder Weihbiſchoff wolte
ſie durchauß gepeiniget haben/ und hatte
einen tag beſtimmt/ daß er ſie vors ge-
richte ziehen wolte/ aber es ward ihm
nicht zugelaſſen/ dann er legte ſich die-
ſelbe woche und ſtarb. Desgleichen der Pro-
cureur
oder Anwalt (meiſter Reiner) dach-
te auch ſcharff uͤber ſie zu kommen/ und es ihr
ſo zu richten/ daß ſie nicht entkommen ſolte/
redete auch ſehr ſchaͤndlich und unehrlich
von der fraue/ daß es auch das gerich-
te nicht einmal eingieng/ aber er kam

nicht
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[430/0726] Th. IV. Sect. II. Num. XLVII. Dav. Joris Lebens-Beſchreibung. Nach dieſem iſt der gute mann David auff ein ſchiff kommen/ und ſich wenige tage allda auffgehalten auff dem waſſer/ denn die erde war ihm zu enge gemacht. Und als er darauff war/ hat er die zeitung be- kommen/ daß die Bruͤder zu Utrecht alle- ſamt gefangen waͤren genommen/ dazu auch ſeine frau. War nun einer betruͤbt ſo war ers/ fuͤrwahr von hertzen uͤberauß ſehr. Tratt deswegen aus dem ſchiff (der ſchif- fer iſt ſint dem geſtorben (und gieng nach ei- ner ſtadt/ genannt Deventer, und bedachte ſich/ wo er ſich am beſten niederlaſſen ſolte) damit er ferner beſchreiben moͤchte den himm- liſchen ſtrohm/ der uͤber ihn kommen war/ wie man im wunderbuch ſehen und hoͤren mag/ von einem ungelehrten mann ſo groſſer und tieffer verſtand allein auß ſeinem einfal- tigen geiſte dargethan. Zur ſtelle nahm er einen/ der mit ihm zu fuſſe gieng (die ande- re ließ er in der Herberge) genannt Jorjaen, welcher ihn verhoffete zu einer perſon zu brin- gen/ daruͤber ſie ſich elendiglich nacht und tag muͤte und matt zu fuſſe giengen/ und doch nicht) da ſie darkamen/ und ſich gantz zum krippel gegangen) wol empfangen worden/ wie der/ der ihn ſo weit gebracht/ wol beſſer verhofft hatte. Es hielt hart/ daß ſie die per- ſohn gar ins hauß nehmen wolte/ wiewol ſie allda zu ſeyn eben nicht verlangten/ und das hauß nicht wol gelegen war/ ſonſt haͤtten ſie es endlich wol gethan/ als nemlich David Jor. und Jorjan bekandtſchafft bey einer mahlzeit mit dieſem Edelmann (der den David unbe- kandt/ auch der ort/ wo er wohnhafft/ un- bewuſt) gemacht hatten. Da reiſeten ſie wiederumb nach dem ort/ von dannen ſie kommen waren/ und unterwegen war der gute mann ſo bekuͤmmert und gedrungen/ daß er immer wolte von dem rollwagen/ darauff ſie ſaſſen/ ſpringen/ und war auch einmal wuͤrck- lich im ſpringen/ daß er nach Utrecht gehen und ſich allda umb ſeines weibs und uͤber- bliebenen kinder ſtellen wolte/ ſich in ihre haͤn- de zu geben/ ſo ſie ſeine frau wolten loß laſ- ſen/ aber der bey ihm war/ bat ihn mit vielen worten deßwegen/ daß ers nicht thun wolte. Es ſahe auch der David unterwegens in dieſer ſeiner bekuͤmmernuͤs viel ſeltſame geſich- te/ welche ihm zu einer gewaltigen verſuchung ſtunden/ da er die groſſe gewalt und unrecht einſahe/ das an ihm und den ſeinen außge- uͤbet ward/ inſonderheit/ wenn er auff ſeine arme verlorne zerſtreute kinder gen dachte/ wie man ſagte/ (als auch geſchehen war) daß/ als die mutter gefangen war/ ihr toͤchtergen (wel- ches ihr junges kleines kindlein auff dem halß habend) verlaſſen muſte/ und das kind mit dem jungen kindgen von ſeiner gefangenen mut- ter ſcheiden/ und in einer frembden ſtadt war/ da ſahe man bittere traurigkeit/ als man ge- dencken kan/ denn es muſte allein reiſſen mit blutfrembden leuten/ und kam mit dem jun- gen kindlein nach der ſtadt Delfft mit bangen weinenden hertzen/ allwo es wenig auffſicht (wenn eine gethan haͤtte) wurden gehabt ha- ben. Dis ſahe der gute mann ihr vatter alles wohl ein/ ſo daß er ſich deswegen beynahe faſt gewagt/ damit die mutter moͤchte wieder zu ihren kindern kommen. Sie fragten ſie ſehr ſcharff nach ihrem manne/ welchen ſie wolten/ daß ſie ihn angeſagt haͤtte/ wo er waͤre. Sie hatte gut ſagen/ daß ſies nicht wuͤſte/ denn es war wahr. Die frommen helden/ die darunter waren/ die riethen ihrs auffs be- ſte/ ſo ſie deſto eher koͤnte loß kommen zu ihren kindern/ aber es wolte ſich ſo nicht ſchicken. Denn der Procureur oder Anwald vom Haag (meiſter Reiner) war ſo bitter und nei- diſch auff ſie ſamt Jan Sonderſyl daß er ſie und die bruͤder die zu Delfft und Harlem um- bracht wurden/ ſo ſchaͤndlich beſchuldigte/ als haͤtten ſie die ſtadte wollen einnehmen; Jan Sonderſyl ſagte/ er haͤtte ihre confeſſion noch bey ſich. Die frau bat urlaub von den guten herren und ſchultheiß zu Utrecht/ ob ſie frey reden und ſich verantworten duͤrffte/ und ſie gaben ihr conſens dazu/ in den namen/ daß ſie ſo erzuͤrnet und eyffrig wurde uͤber die grobe ſtoltze luͤgen/ daß ſie ihn beynahe auff ſeine backen geſchlagen haͤtte/ und beſchamte ihn oͤffentlich/ und drang auff ihn/ daß ers beweiſen ſolte/ oder er waͤre ein boͤſewicht und falſcher zeuge genennet werden/ und be- zeigte ſich trefflich wol und redete von den bruͤ- dern nichts als tugend/ ehre treu und alle froͤmmigkeit/ die ſie an ihnen geſehen haͤtte. Sie wolten ihr kurtz um an leib uñ leben/ weil ſie mit dem volcke geweſt/ damit umgangen und geſtanden/ gegeſſen und getruncken/ und ſie auch gehauſt und gehofft haͤtte. Sie ſprach auch/ ſie haͤtte nicht noͤthig zu wiſſen/ was vor leute es waͤren/ damit ihr mann zu ſchaffen haͤtte/ ſie waͤre nicht ſchuldig (wenn ſie eine ehrliche frau ſeyn wolte) ih- ren mann zu beſchuldigen oder umzubringen/ weil ſie inſonderheit und niemand beſſer wuͤ- ſte/ daß er den HErrn fuͤrchte und die warheit Chriſti liebete/ allen menſchen ſuchte guts zu thun/ und die ſeligkeit/ die ihm von Gott ge- offenbaret waͤre/ nicht zu verbergen/ wie ſie denn ein wenig von der ſache wuſte/ und in was vor einen zuſtande und vornehmen es ihm ankommen/ zeuge/ und viel gutes ſagen wolte wenn es nicht ſchon offenbar und be- kannt waͤre/ daruͤber ſie des todes ſterbẽ wolte. Der Suffragan oder Weihbiſchoff wolte ſie durchauß gepeiniget haben/ und hatte einen tag beſtimmt/ daß er ſie vors ge- richte ziehen wolte/ aber es ward ihm nicht zugelaſſen/ dann er legte ſich die- ſelbe woche und ſtarb. Desgleichen der Pro- cureur oder Anwalt (meiſter Reiner) dach- te auch ſcharff uͤber ſie zu kommen/ und es ihr ſo zu richten/ daß ſie nicht entkommen ſolte/ redete auch ſehr ſchaͤndlich und unehrlich von der fraue/ daß es auch das gerich- te nicht einmal eingieng/ aber er kam nicht

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Zitationshilfe: Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Bd. 2 (T. 3/4). Frankfurt (Main), 1700, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnold_ketzerhistorie02_1700/726>, abgerufen am 22.12.2024.