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Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Bd. 2 (T. 3/4). Frankfurt (Main), 1700.

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Th. IV. Sect. II. Num. XLVII. Dav. Joris Lebens-Beschreibung.
[Spaltenumbruch] sein geld all war/ nicht alsobald wider was an-
ders da gewesen/ alles ohne eintziges dencken/
oder bitten oder schreiben/ nein/ das wird man
nicht finden. Er hatte wol ehe verlanget und
sagte es auch mit seinen munde vor die boten/ daß
er einmal möchte ohne geld oder brod gewest
seyn/ wie er sich mit Gott in dem ersten aus-
gang und übergebenen opffer seines leibes und
lebens versprochen und gründlich beschlossen
hatte/ weder um leben noch tod/ weder um hun-
ger noch keinerley überfluß/ weder um geld noch
gut/ weder um feuer/ wasser oder schwerdt/ we-
der um hohes noch niedriges/ weder um ver-
achtung/ ehre noch schande den HErrn seinen
Gott zu verlassen. Dis erzehlet er mit lust und
auffsehen auff seine knie in einem engen schreib-
kämmerlein danckte Gott/ und empfieng seine
speise/ die ihm von seiner hauß-frau heimlich
geschicket war/ mit lob und danck/ und hielt sich
erst allein/ verborgen in einem frembden unbe-
kannten hause/ die ihn darnach liebten und
freyheit gaben) wenn des abends das thor ge-
schlossen war) oben in das haus zu gehen; All-
da saß er allezeit in einem engen eckgen oder
winckelgen/ oben hoch auff dem söller unter dem
dache; Man kan nicht wissen/ was ihm da be-
gegnete/ freylich/ freylich manche thränen und
bitterkeit. Denn was er da vornahm/ war
gantz in aller weise wider seine complexion oder
gefühlig wesen. Denn man konte seines glei-
chen mehr nicht wol in solcher stille/ vergnügen/
liebe/ friede/ in singen/ spielen/ freude und aller
fröligkeit ohne gottlosigkeit und schalckheit ver-
gnügter und annehmlicher oder freundlicher
finden/ welches alle/ (die zu der zeit um ihn ge-
wesen oder mit ihm umgangen) bekennen
müssen.

Denn er war allenthalben stille und klein
von gemüth/ recht edel und unschalckhafft/ wie
man das wort braucht/ nicht betrieglich von
hertzen/ nicht neidisch oder bitter/ nicht rachgie-
rig/ hart oder stoltz/ gut zubekennen/ er hatte
eine natur/ die das alles nicht konte vertragen/
angesehen er einen sehr liebreichen und friedsa-
men geist/ voll aller süssigkeit und freundlichkeit
hatte und in seinem erkäntnüß GOtt von her-
tzen liebte und fürchtete. Aber das ist wahr/
er hatte eine liebliche art oder natur/ doch wenn
ich die warheit sagen soll/ nachdem die menschen
zu der zeit waren/ so liebte er gerne/ und konte
keine liebe oder guts beweisen/ ohne wer lieb zu
haben und guts zu thun (wie man den verlieb-
ten beylegt) vertragen konte. Sein hertz konte
ein freundlich gesichte leichtlich zur liebe ziehen/
darüber er manche bittere thränen vergossen
und geflehet hat/ aber gar nicht zur unkeusch-
heit/ und das ist denjenigen/ mit dem er um-
gieng/ wol offenbahr genung gewesen/ denn
mit welcherley gesellschafft er auch umgieng/ so
sahe er sie doch nie unehrbar an oder legte je-
manden was unkeusches vor/ denn er hatte ein
hertze/ daß sich desselben selbst schämete. Jch
wil ihn aber eben nicht so gar sehr rechtfertigen/
sondern vor GOtt recht abmahlen/ wie man
ihn vor Gott befinden soll/ er mag auch noch so
einen heßlichen verachteten schändlichen namen
tragen müssen/ als man wil/ so soll es sich doch
[Spaltenumbruch] in ewigkeit nach der warheit im grunde nicht
anders befinden. Jedennoch ist er auch als ein
ander sünder drein gefallen/ mehr als es ihm ge-
legen gewesen/ in dem er durch die liebe und be-
zeigung der freundlichkeit an ihm bewiesen ü-
berwunden worden/ wie wir das allem fleisch
angebohren sehen und bekennen müssen; Aber
daß er wie ein unzüchtiger hund oder gruntzen-
des schwein darnach ausgangen oder umge-
sehen/ das kan man nimmer mit warheit sa-
gen/ denn es ist/ ich weiß es/ in keines
macht.

Die engel solten in menschlicher gestalt nicht
mehr vermögen als von ihm hierinn durch den
neuen wunderlichen geist der krafft bewiesen ist.
GOtt aber hat ihn eben dadurch auch hierinn
seine kranckheit fühlen und sein unvermögen
befinden lassen; Mich deucht/ er würde sonst
niemanden haben vertragen oder hierinn mit-
leiden mit eintzigen krancken gehabt haben/ es
ist warlich/ warlich also/ daß es GOtt gethan
und ihn also mit kranckheit hat schlagen wol-
len/ ihn dadurch zu züchtigen/ und ihn in oder
mit der furcht des HErren lieblich und ange-
nehm zu machen/ wie denn geschrieben stehet.
Denn von natur war er (es ist wahr) so schwach/
dennoch ward er in der heydnischen erkänntniß
vor eine reine taube (von denen die lange mit
ihm umgangen waren) genennet/ aber er war
auch ein mensch und wol genung davor zu er-
kennen/ daß er einer von der complexion der lie-
be gebohren war/ daß er nicht verbessern konte;
Gleichwol bekam oder trug er den namen (da
andere in der that so herumstreichen giengen)
als wenn er gantz weibisch wäre/ aber es war
drum nicht so/ es war nur reine liebe (wie man
in der welt das sprichwort braucht) und den-
noch war es (bekenn ich) nichts dann fleisch-und
blutige arme krancke natur: Summa der geist/
den er hatte/ verbesserte und erfüllete alle diese
gebrechen/ als man darnach erinnern wird/
was GOtt durch ihn gethan hat und noch
thun soll.

Diß alles auffs kürtzeste durch zugehen/ wä-
re es vor und nach auff mancherley weise zu er-
zehlen/ von was vor complexion er seyn muste/
daß ers sein lebtag mit dem saamen nicht verse-
hen oder übereilet worden weder durch gesich-
te noch durch gehör/ noch durch wort/ noch
durch fleisch/ noch zufälliger oder rechtmässiger
weise/ welches ein gewisses zeichen eines keu-
schen hertzens/ geistes und natur ist/ menschli-
cher weise zu reden. Jst das nicht ein wunder
von einem/ der von solchen liebhabenden hertzen
war? Ja freylich/ ists wol nicht viel gehört;
Ja ich wil euch das sagen/ das niemand den
umgang und die einigkeit (die Gott gegen dem
manne gebraucht) wissen kan. Denn wie ge-
sprächig er auch war/ hat ers doch nie so voll-
kommen können vorbringen/ als die conversa-
tion
gewest ist. Zu dieser zeit ists auch gesche-
hen (nemlich/ da er in grosser vereinigung der
keuschheit mit gestanden) daß er von einigen gebe-
ten worden mit 4. oder 5. brüdern ins land Cle-
ve oder nach Oldenburg zu reisen und mit ihnen
zu gehen um ihrer viele willen die es nöthig hät-

ten/

Th. IV. Sect. II. Num. XLVII. Dav. Joris Lebens-Beſchreibung.
[Spaltenumbruch] ſein geld all war/ nicht alſobald wider was an-
ders da geweſen/ alles ohne eintziges dencken/
oder bitten oder ſchreiben/ nein/ das wird man
nicht finden. Er hatte wol ehe verlanget und
ſagte es auch mit ſeinẽ munde vor die botẽ/ daß
er einmal moͤchte ohne geld oder brod geweſt
ſeyn/ wie er ſich mit Gott in dem erſten aus-
gang und uͤbergebenen opffer ſeines leibes und
lebens verſprochen und gruͤndlich beſchloſſen
hatte/ weder um leben noch tod/ weder um hun-
ger noch keinerley uͤberfluß/ weder um geld noch
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der um hohes noch niedriges/ weder um ver-
achtung/ ehre noch ſchande den HErrn ſeinen
Gott zu verlaſſen. Dis erzehlet er mit luſt und
auffſehen auff ſeine knie in einem engen ſchreib-
kaͤmmerlein danckte Gott/ und empfieng ſeine
ſpeiſe/ die ihm von ſeiner hauß-frau heimlich
geſchicket war/ mit lob und danck/ und hielt ſich
erſt allein/ verborgen in einem frembden unbe-
kannten hauſe/ die ihn darnach liebten und
freyheit gaben) wenn des abends das thor ge-
ſchloſſen war) oben in das haus zu gehen; All-
da ſaß er allezeit in einem engen eckgen oder
winckelgen/ oben hoch auff dem ſoͤller unter dem
dache; Man kan nicht wiſſen/ was ihm da be-
gegnete/ freylich/ freylich manche thraͤnen und
bitterkeit. Denn was er da vornahm/ war
gantz in aller weiſe wider ſeine complexion oder
gefuͤhlig weſen. Denn man konte ſeines glei-
chen mehr nicht wol in ſolcher ſtille/ vergnuͤgen/
liebe/ friede/ in ſingen/ ſpielen/ freude und aller
froͤligkeit ohne gottloſigkeit und ſchalckheit ver-
gnuͤgter und annehmlicher oder freundlicher
finden/ welches alle/ (die zu der zeit um ihn ge-
weſen oder mit ihm umgangen) bekennen
muͤſſen.

Denn er war allenthalben ſtille und klein
von gemuͤth/ recht edel und unſchalckhafft/ wie
man das wort braucht/ nicht betrieglich von
hertzen/ nicht neidiſch oder bitter/ nicht rachgie-
rig/ hart oder ſtoltz/ gut zubekennen/ er hatte
eine natur/ die das alles nicht konte vertragen/
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men geiſt/ voll aller ſuͤſſigkeit und freundlichkeit
hatte und in ſeinem erkaͤntnuͤß GOtt von her-
tzen liebte und fuͤrchtete. Aber das iſt wahr/
er hatte eine liebliche art oder natur/ doch wenn
ich die warheit ſagen ſoll/ nachdem die menſchen
zu der zeit waren/ ſo liebte er gerne/ und konte
keine liebe oder guts beweiſen/ ohne wer lieb zu
haben und guts zu thun (wie man den verlieb-
ten beylegt) vertragen konte. Sein hertz konte
ein freundlich geſichte leichtlich zur liebe ziehen/
daruͤber er manche bittere thraͤnen vergoſſen
und geflehet hat/ aber gar nicht zur unkeuſch-
heit/ und das iſt denjenigen/ mit dem er um-
gieng/ wol offenbahr genung geweſen/ denn
mit welcherley geſellſchafft er auch umgieng/ ſo
ſahe er ſie doch nie unehrbar an oder legte je-
manden was unkeuſches vor/ denn er hatte ein
hertze/ daß ſich deſſelben ſelbſt ſchaͤmete. Jch
wil ihn aber eben nicht ſo gar ſehr rechtfertigen/
ſondern vor GOtt recht abmahlen/ wie man
ihn vor Gott befinden ſoll/ er mag auch noch ſo
einen heßlichen verachteten ſchaͤndlichen namen
tragen muͤſſen/ als man wil/ ſo ſoll es ſich doch
[Spaltenumbruch] in ewigkeit nach der warheit im grunde nicht
anders befinden. Jedennoch iſt er auch als ein
ander ſuͤnder drein gefallen/ mehr als es ihm ge-
legen geweſen/ in dem er durch die liebe und be-
zeigung der freundlichkeit an ihm bewieſen uͤ-
berwunden worden/ wie wir das allem fleiſch
angebohren ſehen und bekennen muͤſſen; Aber
daß er wie ein unzuͤchtiger hund oder gruntzen-
des ſchwein darnach ausgangen oder umge-
ſehen/ das kan man nimmer mit warheit ſa-
gen/ denn es iſt/ ich weiß es/ in keines
macht.

Die engel ſolten in menſchlicher geſtalt nicht
mehr vermoͤgen als von ihm hierinn durch den
neuen wunderlichen geiſt der krafft bewieſen iſt.
GOtt aber hat ihn eben dadurch auch hierinn
ſeine kranckheit fuͤhlen und ſein unvermoͤgen
befinden laſſen; Mich deucht/ er wuͤrde ſonſt
niemanden haben vertragen oder hierinn mit-
leiden mit eintzigen krancken gehabt haben/ es
iſt warlich/ warlich alſo/ daß es GOtt gethan
und ihn alſo mit kranckheit hat ſchlagen wol-
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mit der furcht des HErren lieblich und ange-
nehm zu machen/ wie denn geſchrieben ſtehet.
Deñ von natur war er (es iſt wahr) ſo ſchwach/
dennoch ward er in der heydniſchen erkaͤnntniß
vor eine reine taube (von denen die lange mit
ihm umgangen waren) genennet/ aber er war
auch ein menſch und wol genung davor zu er-
kennen/ daß er einer von der complexion der lie-
be gebohren war/ daß er nicht verbeſſern konte;
Gleichwol bekam oder trug er den namen (da
andere in der that ſo herumſtreichen giengen)
als wenn er gantz weibiſch waͤre/ aber es war
drum nicht ſo/ es war nur reine liebe (wie man
in der welt das ſprichwort braucht) und den-
noch war es (bekenn ich) nichts dann fleiſch-uñ
blutige arme krancke natur: Summa der geiſt/
den er hatte/ verbeſſerte und erfuͤllete alle dieſe
gebrechen/ als man darnach erinnern wird/
was GOtt durch ihn gethan hat und noch
thun ſoll.

Diß alles auffs kuͤrtzeſte durch zugehen/ waͤ-
re es vor und nach auff mancherley weiſe zu er-
zehlen/ von was vor complexion er ſeyn muſte/
daß ers ſein lebtag mit dem ſaamen nicht verſe-
hen oder uͤbereilet worden weder durch geſich-
te noch durch gehoͤr/ noch durch wort/ noch
durch fleiſch/ noch zufaͤlliger oder rechtmaͤſſiger
weiſe/ welches ein gewiſſes zeichen eines keu-
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cher weiſe zu reden. Jſt das nicht ein wunder
von einem/ der von ſolchen liebhabenden hertzen
war? Ja freylich/ iſts wol nicht viel gehoͤrt;
Ja ich wil euch das ſagen/ das niemand den
umgang und die einigkeit (die Gott gegen dem
manne gebraucht) wiſſen kan. Denn wie ge-
ſpraͤchig er auch war/ hat ers doch nie ſo voll-
kommen koͤnnen vorbringen/ als die converſa-
tion
geweſt iſt. Zu dieſer zeit iſts auch geſche-
hen (nemlich/ da er in groſſer vereinigung der
keuſchheit mit geſtandẽ) daß er von einigen gebe-
ten worden mit 4. oder 5. bruͤdern ins land Cle-
ve oder nach Oldenburg zu reiſen uñ mit ihnen
zu gehen um ihrer viele willen die es noͤthig haͤt-

ten/
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[415/0711] Th. IV. Sect. II. Num. XLVII. Dav. Joris Lebens-Beſchreibung. ſein geld all war/ nicht alſobald wider was an- ders da geweſen/ alles ohne eintziges dencken/ oder bitten oder ſchreiben/ nein/ das wird man nicht finden. Er hatte wol ehe verlanget und ſagte es auch mit ſeinẽ munde vor die botẽ/ daß er einmal moͤchte ohne geld oder brod geweſt ſeyn/ wie er ſich mit Gott in dem erſten aus- gang und uͤbergebenen opffer ſeines leibes und lebens verſprochen und gruͤndlich beſchloſſen hatte/ weder um leben noch tod/ weder um hun- ger noch keinerley uͤberfluß/ weder um geld noch gut/ weder um feuer/ waſſer oder ſchwerdt/ we- der um hohes noch niedriges/ weder um ver- achtung/ ehre noch ſchande den HErrn ſeinen Gott zu verlaſſen. Dis erzehlet er mit luſt und auffſehen auff ſeine knie in einem engen ſchreib- kaͤmmerlein danckte Gott/ und empfieng ſeine ſpeiſe/ die ihm von ſeiner hauß-frau heimlich geſchicket war/ mit lob und danck/ und hielt ſich erſt allein/ verborgen in einem frembden unbe- kannten hauſe/ die ihn darnach liebten und freyheit gaben) wenn des abends das thor ge- ſchloſſen war) oben in das haus zu gehen; All- da ſaß er allezeit in einem engen eckgen oder winckelgen/ oben hoch auff dem ſoͤller unter dem dache; Man kan nicht wiſſen/ was ihm da be- gegnete/ freylich/ freylich manche thraͤnen und bitterkeit. Denn was er da vornahm/ war gantz in aller weiſe wider ſeine complexion oder gefuͤhlig weſen. Denn man konte ſeines glei- chen mehr nicht wol in ſolcher ſtille/ vergnuͤgen/ liebe/ friede/ in ſingen/ ſpielen/ freude und aller froͤligkeit ohne gottloſigkeit und ſchalckheit ver- gnuͤgter und annehmlicher oder freundlicher finden/ welches alle/ (die zu der zeit um ihn ge- weſen oder mit ihm umgangen) bekennen muͤſſen. Denn er war allenthalben ſtille und klein von gemuͤth/ recht edel und unſchalckhafft/ wie man das wort braucht/ nicht betrieglich von hertzen/ nicht neidiſch oder bitter/ nicht rachgie- rig/ hart oder ſtoltz/ gut zubekennen/ er hatte eine natur/ die das alles nicht konte vertragen/ angeſehen er einen ſehr liebreichen und friedſa- men geiſt/ voll aller ſuͤſſigkeit und freundlichkeit hatte und in ſeinem erkaͤntnuͤß GOtt von her- tzen liebte und fuͤrchtete. Aber das iſt wahr/ er hatte eine liebliche art oder natur/ doch wenn ich die warheit ſagen ſoll/ nachdem die menſchen zu der zeit waren/ ſo liebte er gerne/ und konte keine liebe oder guts beweiſen/ ohne wer lieb zu haben und guts zu thun (wie man den verlieb- ten beylegt) vertragen konte. Sein hertz konte ein freundlich geſichte leichtlich zur liebe ziehen/ daruͤber er manche bittere thraͤnen vergoſſen und geflehet hat/ aber gar nicht zur unkeuſch- heit/ und das iſt denjenigen/ mit dem er um- gieng/ wol offenbahr genung geweſen/ denn mit welcherley geſellſchafft er auch umgieng/ ſo ſahe er ſie doch nie unehrbar an oder legte je- manden was unkeuſches vor/ denn er hatte ein hertze/ daß ſich deſſelben ſelbſt ſchaͤmete. Jch wil ihn aber eben nicht ſo gar ſehr rechtfertigen/ ſondern vor GOtt recht abmahlen/ wie man ihn vor Gott befinden ſoll/ er mag auch noch ſo einen heßlichen verachteten ſchaͤndlichen namen tragen muͤſſen/ als man wil/ ſo ſoll es ſich doch in ewigkeit nach der warheit im grunde nicht anders befinden. Jedennoch iſt er auch als ein ander ſuͤnder drein gefallen/ mehr als es ihm ge- legen geweſen/ in dem er durch die liebe und be- zeigung der freundlichkeit an ihm bewieſen uͤ- berwunden worden/ wie wir das allem fleiſch angebohren ſehen und bekennen muͤſſen; Aber daß er wie ein unzuͤchtiger hund oder gruntzen- des ſchwein darnach ausgangen oder umge- ſehen/ das kan man nimmer mit warheit ſa- gen/ denn es iſt/ ich weiß es/ in keines macht. Die engel ſolten in menſchlicher geſtalt nicht mehr vermoͤgen als von ihm hierinn durch den neuen wunderlichen geiſt der krafft bewieſen iſt. GOtt aber hat ihn eben dadurch auch hierinn ſeine kranckheit fuͤhlen und ſein unvermoͤgen befinden laſſen; Mich deucht/ er wuͤrde ſonſt niemanden haben vertragen oder hierinn mit- leiden mit eintzigen krancken gehabt haben/ es iſt warlich/ warlich alſo/ daß es GOtt gethan und ihn alſo mit kranckheit hat ſchlagen wol- len/ ihn dadurch zu zuͤchtigen/ und ihn in oder mit der furcht des HErren lieblich und ange- nehm zu machen/ wie denn geſchrieben ſtehet. Deñ von natur war er (es iſt wahr) ſo ſchwach/ dennoch ward er in der heydniſchen erkaͤnntniß vor eine reine taube (von denen die lange mit ihm umgangen waren) genennet/ aber er war auch ein menſch und wol genung davor zu er- kennen/ daß er einer von der complexion der lie- be gebohren war/ daß er nicht verbeſſern konte; Gleichwol bekam oder trug er den namen (da andere in der that ſo herumſtreichen giengen) als wenn er gantz weibiſch waͤre/ aber es war drum nicht ſo/ es war nur reine liebe (wie man in der welt das ſprichwort braucht) und den- noch war es (bekenn ich) nichts dann fleiſch-uñ blutige arme krancke natur: Summa der geiſt/ den er hatte/ verbeſſerte und erfuͤllete alle dieſe gebrechen/ als man darnach erinnern wird/ was GOtt durch ihn gethan hat und noch thun ſoll. Diß alles auffs kuͤrtzeſte durch zugehen/ waͤ- re es vor und nach auff mancherley weiſe zu er- zehlen/ von was vor complexion er ſeyn muſte/ daß ers ſein lebtag mit dem ſaamen nicht verſe- hen oder uͤbereilet worden weder durch geſich- te noch durch gehoͤr/ noch durch wort/ noch durch fleiſch/ noch zufaͤlliger oder rechtmaͤſſiger weiſe/ welches ein gewiſſes zeichen eines keu- ſchen hertzens/ geiſtes und natur iſt/ menſchli- cher weiſe zu reden. Jſt das nicht ein wunder von einem/ der von ſolchen liebhabenden hertzen war? Ja freylich/ iſts wol nicht viel gehoͤrt; Ja ich wil euch das ſagen/ das niemand den umgang und die einigkeit (die Gott gegen dem manne gebraucht) wiſſen kan. Denn wie ge- ſpraͤchig er auch war/ hat ers doch nie ſo voll- kommen koͤnnen vorbringen/ als die converſa- tion geweſt iſt. Zu dieſer zeit iſts auch geſche- hen (nemlich/ da er in groſſer vereinigung der keuſchheit mit geſtandẽ) daß er von einigen gebe- ten worden mit 4. oder 5. bruͤdern ins land Cle- ve oder nach Oldenburg zu reiſen uñ mit ihnen zu gehen um ihrer viele willen die es noͤthig haͤt- ten/

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Zitationshilfe: Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Bd. 2 (T. 3/4). Frankfurt (Main), 1700, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnold_ketzerhistorie02_1700/711>, abgerufen am 23.12.2024.