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Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Bd. 2 (T. 3/4). Frankfurt (Main), 1700.

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Th. IV. Sect. II. Num. XI. Jodoci von Lodenstein gehaltene rede.
[Spaltenumbruch] ihr nun auch lauffet auff GOttes wegen/ dann
es heisset: Wann du mein hertz tröstest/
so lauffe ich den weg deiner gebotten/

Psal. 119. v. 32. Wo bleibt aber das? sehet ihr
dann nicht/ daß ihr ein hertz/ und kein hertz
habt. Dann wo ist die liebe zu JEsu? dörfft
ihr wol einen weißpfenning fur ihn geben? und
seinethalben die gunst eines menschen entbären?

(G) Zum siebenden; Es ist kein fühlen und
empfindung widriger dingen in unsern Chri-
sten. Bringt einen todten menschen in die kält/
in die lufft/ er wird nichts davon wissen/ aber
setzet einen lebendigen dahin/ er wird den frost
mercken/ den gestanck riechen/ und eineckel ha-
ben an dem/ was seiner natur zuwider ist. Nun
spricht der H. Geist/ daß ein lebendiger mensch
prüfe/ welches da sey der gute/ der wol-
gefällige und der vollkommene GOttes
wille/
Rom 12. v. 2. daß er prüfe was un-
ter unterschiedenen dingen das beste sey/

Rom. 2. v. 18. Phil. 1. v. 10. Aber da weiß man
nichts von! (a) Die sünde/ die das verderben
der seelen ist/ fühlt man nicht; man bildet sich
ein/ daß alle der streit des geistes gehe und sehe
auff die ewige verdammnüß/ aber dieses ist ein
betrug/ dann all unser streit muß gehen und sehen
auff den punct von der sünde. (b) Man gehet
so gemeinsam mit allerley menschen um; man
wird ein compagnon und geselle eines jeden.
Man heurathet wol gar solche/ die GOtt nicht
fürchten/ und die einer fremden Religion seynd.
Die Obrigkeiten lassen auch die abgötterey un-
gehindert paßiren. So sehet ihr ja wol/ daß
die menschen todt seynd.

(H) Zum achten; Man findet ein leben un-
ter den menschen/ das dem leben/ so aus GOtt
ist/ gerad zuwider laufft. Ein jeder lebet sich
und vor sich; etliche leben dem pracht/ das sie-
het man an ihren kleidern; andere leben ihrem
profitgen. Summa/ es ist eine verkehrte ge-
stalt da!

(I) Zum neunten; So ist der tod auch aus
dem erschrecklichen gestanck/ der unter uns ist/
zu erkennen. Das leben ist schon eine geraume
zeit weg/ dahero fangen wir an zu stincken durch
allerley ärgerliche thaten. Welch ein unrath
und überfluß/ welch ein sauffen/ prassen/ und
stinckende unkeuschheit/ und übel-riechende un-
gerechtigkeit ist unter uns? was für garstige
worte und faule reden steigen aus dem offenen
grab und munde der gottlosen? Jhr werdet mir
zwar sagen: gleichwol gibts noch lebendige un-
ter uns! Jch antworte

(a) Das kan uns nichts helffen/ die wir
todtseynd.

(b) Ja die lebendige/ die mit den todten
umgehen/ werden selbst dardurch beynah so
todt als die todten. Dann

(a) Sie werden da durch so kalt/ als die kal-
te todten selbst. Wir seynd so kalt in der liebe
GOttes und des nächsten/ als wie die/ die mit-
ten zwischen todten leichnahmen liegen.

(b) Sie werden gehindert in ihrem lauff;
überall stossen sie sich an den todten/ die aller or-
ten im weg liegen/ das ist an den scandalen und
ärgernüssen.

(g) Sie werden kranck von dem gestanck/
und mit weggerissen durch die im schwang ge-
hende ärgernüssen. Durch alle die eitele leute
[Spaltenumbruch] wird man eitel. Ja sie werden so kranck/ daß/
wann kein geistlich leben erfolgt/ der tod ihnen
träuet. Sehet/ so stehets unter den Christen!
wolt ihr sagen/ es seyen noch unter uns keine
todten-gebeine/ gleichwie im Pabstthum/ son-
dern es sey noch ein leib. Jch antworte/ wie
ein Pfaff einsmals sagte: Last dieses töpf-
fen so lang zum feuer kommen als das
unsere/ es wird gewiß eben so bald mürb
und faul seyn.
Ja wir seynd schon todt/ wir
werden wol bald von einander fallen/ dann
an der lehr wird es auch bald fehlen!
Und
wisset ihr nicht/ daß das Antichristenthum
auch ist in den sitten?
oder meint ihr/ daß
solches weniger unter uns ist/ als im Pabst-
thum? Ach nein? Es ist wol wahr/ die Leh-
rer wollen es beysammen erhalten/ aber es
wird umsonst seyn; das gute fleisch wird
sich zuletzt separiren (ich spreche nicht von einer
unziemenden absonderung) und das übrige
wird dürr und trucken werden/ und von einan-
der fallen. Aber woher kommt dieses doch?
Antwort: (1) es ist die oeconomie des weisen
und heiligen GOttes. Es hat ihm noch nicht
beliebt/ geist und leben zu geben. Dieses wird
geschehen nach GOttes wohlgefallen. Der
Engel fliegt allbereit mitten durch den
himmel/ mit dem ewigen Evangelio/
und spricht/ fürchtet GOtt/ und gebet
ihm die ehre/
Apoc. 14. v. 6. 7. (2) Es
seynd hierzu auch noch andere ursachen vor-
handen: I. Daß die fleischliche menschen
die
reformation übel gefast/ und allein
genommen haben vor eine
reformation in
der lehr/
gleichwie man es noch also versteht;
wo von zwar ein leib/ aber kein geist kommt/
da doch eine reformation in den sitten/ und
durch den geist/ geschehen muß. Dann wo
der geist nicht ist/ verfällt man von dem einen zu
dem andern. JEsus muß durch seinen geist die
kirche regieren. Dannenhero/ als die kirche
den geist verlohren/ und dieselbe von einander
fallen wolte/ da setzte man einen Pabst der kir-
chen vor/ sie zu regieren/ da kamen Aebte/ Prä-
laten/ Bischöffe etc. Und als die menschen
den geist verlohren/ wordurch man seinen beruff
geistlich thut/ da ersonne man klöster/ um da-
selbst einen beruff zu haben/ das hertz himmlisch
zu halten. Ja als die menschen den geist ver-
lohren/ da wurden sie in dem gebet sehr distra-
hi
rt und verirrt/ darum erdachte und machte
man bilder/ und einen mann/ am creutz han-
gend/ um den menschen in andacht zu halten.
Nun solte durch die reformation eine ersetzung
des geistes GOttes geschehen seyn. Man sag-
te wohl; Es darff keines Pabsts in der kirch/
sondern allein der Lehrer; man hat nicht nö-
thig ins kloster zu gehen/ man kan GOtt auch
sonst in seinem beruff dienen; man braucht
der bilder nicht/ sondern daß man GOtt im
geist und in der wahrheit diene. Biß daher
lautete es allwol/ und war recht begriffen/ aber
damit waren wir noch nicht reformirt; der
geist solte gekommen seyn/ und regieren anstatt
des Pabsts/ dann alle ordnung ohne geist
ist, lauter unordnung.
Man sprach/ es ist
unnöthig zu beichten den menschen/ sondern al-
lein GOtt; wann aber der mensch GOttes
geist nicht hat/ so thut er auch dieses nicht/ und
läst eine krust über sein gewissen wachsen; dar-

um
A. K. H. Vierter Theil. P 2

Th. IV. Sect. II. Num. XI. Jodoci von Lodenſtein gehaltene rede.
[Spaltenumbruch] ihr nun auch lauffet auff GOttes wegen/ dann
es heiſſet: Wann du mein hertz troͤſteſt/
ſo lauffe ich den weg deiner gebotten/

Pſal. 119. v. 32. Wo bleibt aber das? ſehet ihr
dann nicht/ daß ihr ein hertz/ und kein hertz
habt. Dann wo iſt die liebe zu JEſu? doͤrfft
ihr wol einen weißpfenning fur ihn geben? und
ſeinethalben die gunſt eines menſchen entbaͤren?

(G) Zum ſiebenden; Es iſt kein fuͤhlen und
empfindung widriger dingen in unſern Chri-
ſten. Bringt einen todten menſchen in die kaͤlt/
in die lufft/ er wird nichts davon wiſſen/ aber
ſetzet einen lebendigen dahin/ er wird den froſt
mercken/ den geſtanck riechen/ und eineckel ha-
ben an dem/ was ſeiner natur zuwider iſt. Nun
ſpricht der H. Geiſt/ daß ein lebendiger menſch
pruͤfe/ welches da ſey der gute/ der wol-
gefaͤllige und der vollkommene GOttes
wille/
Rom 12. v. 2. daß er pruͤfe was un-
ter unterſchiedenen dingen das beſte ſey/

Rom. 2. v. 18. Phil. 1. v. 10. Aber da weiß man
nichts von! (a) Die ſuͤnde/ die das verderben
der ſeelen iſt/ fuͤhlt man nicht; man bildet ſich
ein/ daß alle der ſtreit des geiſtes gehe und ſehe
auff die ewige verdammnuͤß/ aber dieſes iſt ein
betrug/ dann all unſer ſtreit muß gehen und ſehen
auff den punct von der ſuͤnde. (b) Man gehet
ſo gemeinſam mit allerley menſchen um; man
wird ein compagnon und geſelle eines jeden.
Man heurathet wol gar ſolche/ die GOtt nicht
fuͤrchten/ und die einer fremden Religion ſeynd.
Die Obrigkeiten laſſen auch die abgoͤtterey un-
gehindert paßiren. So ſehet ihr ja wol/ daß
die menſchen todt ſeynd.

(H) Zum achten; Man findet ein leben un-
ter den menſchen/ das dem leben/ ſo aus GOtt
iſt/ gerad zuwider laufft. Ein jeder lebet ſich
und vor ſich; etliche leben dem pracht/ das ſie-
het man an ihren kleidern; andere leben ihrem
profitgen. Summa/ es iſt eine verkehrte ge-
ſtalt da!

(I) Zum neunten; So iſt der tod auch aus
dem erſchrecklichen geſtanck/ der unter uns iſt/
zu erkennen. Das leben iſt ſchon eine geraume
zeit weg/ dahero fangen wir an zu ſtincken durch
allerley aͤrgerliche thaten. Welch ein unrath
und uͤberfluß/ welch ein ſauffen/ praſſen/ und
ſtinckende unkeuſchheit/ und uͤbel-riechende un-
gerechtigkeit iſt unter uns? was fuͤr garſtige
worte und faule reden ſteigen aus dem offenen
grab und munde der gottloſen? Jhr werdet mir
zwar ſagen: gleichwol gibts noch lebendige un-
ter uns! Jch antworte

(a) Das kan uns nichts helffen/ die wir
todtſeynd.

(b) Ja die lebendige/ die mit den todten
umgehen/ werden ſelbſt dardurch beynah ſo
todt als die todten. Dann

(α) Sie werden da durch ſo kalt/ als die kal-
te todten ſelbſt. Wir ſeynd ſo kalt in der liebe
GOttes und des naͤchſten/ als wie die/ die mit-
ten zwiſchen todten leichnahmen liegen.

(β) Sie werden gehindert in ihrem lauff;
uͤberall ſtoſſen ſie ſich an den todten/ die aller or-
ten im weg liegen/ das iſt an den ſcandalen und
aͤrgernuͤſſen.

(γ) Sie werden kranck von dem geſtanck/
und mit weggeriſſen durch die im ſchwang ge-
hende aͤrgernuͤſſen. Durch alle die eitele leute
[Spaltenumbruch] wird man eitel. Ja ſie werden ſo kranck/ daß/
wann kein geiſtlich leben erfolgt/ der tod ihnen
traͤuet. Sehet/ ſo ſtehets unter den Chriſten!
wolt ihr ſagen/ es ſeyen noch unter uns keine
todten-gebeine/ gleichwie im Pabſtthum/ ſon-
dern es ſey noch ein leib. Jch antworte/ wie
ein Pfaff einsmals ſagte: Laſt dieſes toͤpf-
fen ſo lang zum feuer kommen als das
unſere/ es wird gewiß eben ſo bald muͤrb
und faul ſeyn.
Ja wir ſeynd ſchon todt/ wir
werden wol bald von einander fallen/ dann
an der lehr wird es auch bald fehlen!
Und
wiſſet ihr nicht/ daß das Antichriſtenthum
auch iſt in den ſitten?
oder meint ihr/ daß
ſolches weniger unter uns iſt/ als im Pabſt-
thum? Ach nein? Es iſt wol wahr/ die Leh-
rer wollen es beyſammen erhalten/ aber es
wird umſonſt ſeyn; das gute fleiſch wird
ſich zuletzt ſepariren (ich ſpreche nicht von einer
unziemenden abſonderung) und das uͤbrige
wird duͤrꝛ und trucken werden/ und von einan-
der fallen. Aber woher kommt dieſes doch?
Antwort: (1) es iſt die œconomie des weiſen
und heiligen GOttes. Es hat ihm noch nicht
beliebt/ geiſt und leben zu geben. Dieſes wird
geſchehen nach GOttes wohlgefallen. Der
Engel fliegt allbereit mitten durch den
himmel/ mit dem ewigen Evangelio/
und ſpricht/ fuͤrchtet GOtt/ und gebet
ihm die ehre/
Apoc. 14. v. 6. 7. (2) Es
ſeynd hierzu auch noch andere urſachen vor-
handen: I. Daß die fleiſchliche menſchen
die
reformation uͤbel gefaſt/ und allein
genommen haben vor eine
reformation in
der lehr/
gleichwie man es noch alſo verſteht;
wo von zwar ein leib/ aber kein geiſt kommt/
da doch eine reformation in den ſitten/ und
durch den geiſt/ geſchehen muß. Dann wo
der geiſt nicht iſt/ verfaͤllt man von dem einen zu
dem andern. JEſus muß durch ſeinen geiſt die
kirche regieren. Dannenhero/ als die kirche
den geiſt verlohren/ und dieſelbe von einander
fallen wolte/ da ſetzte man einen Pabſt der kir-
chen vor/ ſie zu regieren/ da kamen Aebte/ Praͤ-
laten/ Biſchoͤffe ꝛc. Und als die menſchen
den geiſt verlohren/ wordurch man ſeinen beruff
geiſtlich thut/ da erſonne man kloͤſter/ um da-
ſelbſt einen beruff zu haben/ das hertz himmliſch
zu halten. Ja als die menſchen den geiſt ver-
lohren/ da wurden ſie in dem gebet ſehr diſtra-
hi
rt und verirꝛt/ darum erdachte und machte
man bilder/ und einen mann/ am creutz han-
gend/ um den menſchen in andacht zu halten.
Nun ſolte durch die reformation eine erſetzung
des geiſtes GOttes geſchehen ſeyn. Man ſag-
te wohl; Es darff keines Pabſts in der kirch/
ſondern allein der Lehrer; man hat nicht noͤ-
thig ins kloſter zu gehen/ man kan GOtt auch
ſonſt in ſeinem beruff dienen; man braucht
der bilder nicht/ ſondern daß man GOtt im
geiſt und in der wahrheit diene. Biß daher
lautete es allwol/ und war recht begriffen/ aber
damit waren wir noch nicht reformirt; der
geiſt ſolte gekommen ſeyn/ und regieren anſtatt
des Pabſts/ dann alle ordnung ohne geiſt
iſt, lauter unordnung.
Man ſprach/ es iſt
unnoͤthig zu beichten den menſchen/ ſondern al-
lein GOtt; wann aber der menſch GOttes
geiſt nicht hat/ ſo thut er auch dieſes nicht/ und
laͤſt eine kruſt uͤber ſein gewiſſen wachſen; dar-

um
A. K. H. Vierter Theil. P 2
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[115/0411] Th. IV. Sect. II. Num. XI. Jodoci von Lodenſtein gehaltene rede. ihr nun auch lauffet auff GOttes wegen/ dann es heiſſet: Wann du mein hertz troͤſteſt/ ſo lauffe ich den weg deiner gebotten/ Pſal. 119. v. 32. Wo bleibt aber das? ſehet ihr dann nicht/ daß ihr ein hertz/ und kein hertz habt. Dann wo iſt die liebe zu JEſu? doͤrfft ihr wol einen weißpfenning fur ihn geben? und ſeinethalben die gunſt eines menſchen entbaͤren? (G) Zum ſiebenden; Es iſt kein fuͤhlen und empfindung widriger dingen in unſern Chri- ſten. Bringt einen todten menſchen in die kaͤlt/ in die lufft/ er wird nichts davon wiſſen/ aber ſetzet einen lebendigen dahin/ er wird den froſt mercken/ den geſtanck riechen/ und eineckel ha- ben an dem/ was ſeiner natur zuwider iſt. Nun ſpricht der H. Geiſt/ daß ein lebendiger menſch pruͤfe/ welches da ſey der gute/ der wol- gefaͤllige und der vollkommene GOttes wille/ Rom 12. v. 2. daß er pruͤfe was un- ter unterſchiedenen dingen das beſte ſey/ Rom. 2. v. 18. Phil. 1. v. 10. Aber da weiß man nichts von! (a) Die ſuͤnde/ die das verderben der ſeelen iſt/ fuͤhlt man nicht; man bildet ſich ein/ daß alle der ſtreit des geiſtes gehe und ſehe auff die ewige verdammnuͤß/ aber dieſes iſt ein betrug/ dann all unſer ſtreit muß gehen und ſehen auff den punct von der ſuͤnde. (b) Man gehet ſo gemeinſam mit allerley menſchen um; man wird ein compagnon und geſelle eines jeden. Man heurathet wol gar ſolche/ die GOtt nicht fuͤrchten/ und die einer fremden Religion ſeynd. Die Obrigkeiten laſſen auch die abgoͤtterey un- gehindert paßiren. So ſehet ihr ja wol/ daß die menſchen todt ſeynd. (H) Zum achten; Man findet ein leben un- ter den menſchen/ das dem leben/ ſo aus GOtt iſt/ gerad zuwider laufft. Ein jeder lebet ſich und vor ſich; etliche leben dem pracht/ das ſie- het man an ihren kleidern; andere leben ihrem profitgen. Summa/ es iſt eine verkehrte ge- ſtalt da! (I) Zum neunten; So iſt der tod auch aus dem erſchrecklichen geſtanck/ der unter uns iſt/ zu erkennen. Das leben iſt ſchon eine geraume zeit weg/ dahero fangen wir an zu ſtincken durch allerley aͤrgerliche thaten. Welch ein unrath und uͤberfluß/ welch ein ſauffen/ praſſen/ und ſtinckende unkeuſchheit/ und uͤbel-riechende un- gerechtigkeit iſt unter uns? was fuͤr garſtige worte und faule reden ſteigen aus dem offenen grab und munde der gottloſen? Jhr werdet mir zwar ſagen: gleichwol gibts noch lebendige un- ter uns! Jch antworte (a) Das kan uns nichts helffen/ die wir todtſeynd. (b) Ja die lebendige/ die mit den todten umgehen/ werden ſelbſt dardurch beynah ſo todt als die todten. Dann (α) Sie werden da durch ſo kalt/ als die kal- te todten ſelbſt. Wir ſeynd ſo kalt in der liebe GOttes und des naͤchſten/ als wie die/ die mit- ten zwiſchen todten leichnahmen liegen. (β) Sie werden gehindert in ihrem lauff; uͤberall ſtoſſen ſie ſich an den todten/ die aller or- ten im weg liegen/ das iſt an den ſcandalen und aͤrgernuͤſſen. (γ) Sie werden kranck von dem geſtanck/ und mit weggeriſſen durch die im ſchwang ge- hende aͤrgernuͤſſen. Durch alle die eitele leute wird man eitel. Ja ſie werden ſo kranck/ daß/ wann kein geiſtlich leben erfolgt/ der tod ihnen traͤuet. Sehet/ ſo ſtehets unter den Chriſten! wolt ihr ſagen/ es ſeyen noch unter uns keine todten-gebeine/ gleichwie im Pabſtthum/ ſon- dern es ſey noch ein leib. Jch antworte/ wie ein Pfaff einsmals ſagte: Laſt dieſes toͤpf- fen ſo lang zum feuer kommen als das unſere/ es wird gewiß eben ſo bald muͤrb und faul ſeyn. Ja wir ſeynd ſchon todt/ wir werden wol bald von einander fallen/ dann an der lehr wird es auch bald fehlen! Und wiſſet ihr nicht/ daß das Antichriſtenthum auch iſt in den ſitten? oder meint ihr/ daß ſolches weniger unter uns iſt/ als im Pabſt- thum? Ach nein? Es iſt wol wahr/ die Leh- rer wollen es beyſammen erhalten/ aber es wird umſonſt ſeyn; das gute fleiſch wird ſich zuletzt ſepariren (ich ſpreche nicht von einer unziemenden abſonderung) und das uͤbrige wird duͤrꝛ und trucken werden/ und von einan- der fallen. Aber woher kommt dieſes doch? Antwort: (1) es iſt die œconomie des weiſen und heiligen GOttes. Es hat ihm noch nicht beliebt/ geiſt und leben zu geben. Dieſes wird geſchehen nach GOttes wohlgefallen. Der Engel fliegt allbereit mitten durch den himmel/ mit dem ewigen Evangelio/ und ſpricht/ fuͤrchtet GOtt/ und gebet ihm die ehre/ Apoc. 14. v. 6. 7. (2) Es ſeynd hierzu auch noch andere urſachen vor- handen: I. Daß die fleiſchliche menſchen die reformation uͤbel gefaſt/ und allein genommen haben vor eine reformation in der lehr/ gleichwie man es noch alſo verſteht; wo von zwar ein leib/ aber kein geiſt kommt/ da doch eine reformation in den ſitten/ und durch den geiſt/ geſchehen muß. Dann wo der geiſt nicht iſt/ verfaͤllt man von dem einen zu dem andern. JEſus muß durch ſeinen geiſt die kirche regieren. Dannenhero/ als die kirche den geiſt verlohren/ und dieſelbe von einander fallen wolte/ da ſetzte man einen Pabſt der kir- chen vor/ ſie zu regieren/ da kamen Aebte/ Praͤ- laten/ Biſchoͤffe ꝛc. Und als die menſchen den geiſt verlohren/ wordurch man ſeinen beruff geiſtlich thut/ da erſonne man kloͤſter/ um da- ſelbſt einen beruff zu haben/ das hertz himmliſch zu halten. Ja als die menſchen den geiſt ver- lohren/ da wurden ſie in dem gebet ſehr diſtra- hirt und verirꝛt/ darum erdachte und machte man bilder/ und einen mann/ am creutz han- gend/ um den menſchen in andacht zu halten. Nun ſolte durch die reformation eine erſetzung des geiſtes GOttes geſchehen ſeyn. Man ſag- te wohl; Es darff keines Pabſts in der kirch/ ſondern allein der Lehrer; man hat nicht noͤ- thig ins kloſter zu gehen/ man kan GOtt auch ſonſt in ſeinem beruff dienen; man braucht der bilder nicht/ ſondern daß man GOtt im geiſt und in der wahrheit diene. Biß daher lautete es allwol/ und war recht begriffen/ aber damit waren wir noch nicht reformirt; der geiſt ſolte gekommen ſeyn/ und regieren anſtatt des Pabſts/ dann alle ordnung ohne geiſt iſt, lauter unordnung. Man ſprach/ es iſt unnoͤthig zu beichten den menſchen/ ſondern al- lein GOtt; wann aber der menſch GOttes geiſt nicht hat/ ſo thut er auch dieſes nicht/ und laͤſt eine kruſt uͤber ſein gewiſſen wachſen; dar- um A. K. H. Vierter Theil. P 2

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Zitationshilfe: Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Bd. 2 (T. 3/4). Frankfurt (Main), 1700, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnold_ketzerhistorie02_1700/411>, abgerufen am 22.12.2024.