Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Bd. 2 (T. 3/4). Frankfurt (Main), 1700.Th. IV. Sect. I. Num. XI. Jodoci von Lodenstein gehaltene rede. [Spaltenumbruch]
um sage ich/ ein Reformirter Christ ohnegeist/ ist ein Atheist. II. Die zweyte ur- sach/ daß es bey dem leib ohne geist geblieben/ ist diese/ daß der teuffel bey gelegenheit/ daß man alles durch den geist wolte und solte thun/ ein ander übel mit der geist- treiberey erwecket. Da kamen die geist- treiber/ ein Johannes von Leyden/ ein Knippertolling und andere/ an den tag; Es lautete alles von einem innerlichen licht/ und von dem funcken/ den man müsse anblasen und erwecken/ und demselben folgen/ es möch- te mit der Schrifft überein kommen oder nicht! Da nun die Reformirte auch an- fiengen zu sprechen von dem geist/ da musten sie geist-treiber heissen/ da gieng man gegen sie an/ gleich wie es noch geschicht. Ja was sag ich? Die Reformirten sollen geist-treiber seyn/ Röm. 8. v. 14. Gal. 5. v. 18. Dann alles was sie thun/ soll durch den geist geschehen. III. Die dritte ursach/ daß kein geist/ sondern ein stillstand erfolget/ ist/ daß man die buchstabliche erkäntniß oder erkantniß der buchstabe/ an statt des geistes annimmt/ und die davon was wissen zu sprechen für wahre Christen und glieder/ und für wahre GOttes-gelehrten und Theologos hält/ die den geist hätten: Aber ach leider/ der buchstaben tödtet sie/ ob sie schon mey- nen/ daß sie leben; Dann ich schwöre euch vor GOtt/ daß diß das geistliche leben nicht ist. Ach es wird meistens den weisen und verständigen verborgen/ und den geringen kindern offenba- ret/ Matth. 11. v. 25. 26. Glaubt mir/ die buchstaben-erkäntniß ist der geist nicht. Die gelehrtesten seynd gemeiniglich die verkehrtesten; Darum gebt acht auff euch selbsten/ und be- trügt euch nicht/ wie ihrer viel gethan haben. IV. Die vierte ursach/ daß ein stillstand und kein geist erfolget/ ist/ dieweil man angefan- gen leichtsinnig von dem geistlichen leben zu ur- theilen/ und jemand vor einen guten Chri- sten achtet/ wann er kein trunckenbold/ kein hurer/ kein flucher oder schwörer ist. Man hält keinen menschen für böß/ wann er das nicht mit vielen bösen thaten erweiset/ und urtheilet viele hundert für gute Christen/ da man doch nicht ein einiges kennzeichen des lebens mercket. Sehet/ welche eine verkehrte sach ist das! Dieses laufft gantz richtig wider unsere lehr/ welche lehrt/ daß wir alle von natur böß und verderbt seyn; Deme nach kan ich ehender das böse/ als das gute schliessen/ und von einem menschen/ in dem ich weder| gutes noch böses sehe/ urtheilen/ daß er böse sey. Doch man muß/ sprichstu/ nach der liebe urtheilen. Aber ich antworte/ daß dieses hier nicht zu paß komme. Das liebes-urtheil kommt als dann zu passe/ wann man ein feindseliges hertz gegen einen andern tragen/ und rachgierig seyn wolte/ aber nicht/ wann ich jemanden heylen und genesen ma- chen solte/ da wollen die stinckende wunden nicht zugedeckt und beschönt seyn. V. Die fünffte ursach/ daß es bey dem leib geblieben/ ist/ daß die fürsteher selbsten mit der zeit eben so ein verkehrt urtheil gefället/ und alle solche (da sie nemlich kein öffentliches böse gesehen/ ob sie auch schonkein gutes gesehen) zu gliedern ge- macht und angenommen. Dann das war ge- mächlich/ und dem interesse nicht zu wider. Sie sehen/ daß die leute gantz weltlich seynd in ihren [Spaltenumbruch] häusern und kleidern; sie sehen/ daß sie geitzig seind/ und gewinn-süchtig; oder/ daß sie böse maximen und principia oder gründe haben; oder daß sie leben in hader und zanck; würden sie bestrafft/ so würden sie zornig/ und flögen einem ins an- gesicht/ etc. Aber du wirst sagen; dieses sey nur eine vorbeygehende böse that/ ob man darum ei- nen menschen verurtheilen solte? Wie nun? Jst welt-und geld-gesinntheit eine vorbeyge- hende that? und so ein mensch zanckt/ welches geschicht/ weil er keine gelegenheit mehr darzu hat/ solte ich darum urtheilen/ daß er gut sey? und so ein mensch in allem die welt zeiget/ solte ich wol urtheilen/ daß das geistliche leben in ihm sey/ und ihm die gnade versiegeln? Damit wer- den die seelen der menschen verdorben. Dann sie gedencken/ wann das wahr wäre/ daß die welt-gesinntheit eine solche sünde wäre/ als der Prediger sagt/ so würde er ihnen das Sacra- ment nicht reichen/ es müste demnach so arg nicht seyn. Jch weiß wol/ daß man dieses will schmücken und bedecken: Man spricht/ es ge- schehe unter condition und bedingung/ daß man es ihnen reiche. Aber es wäre viel von dieser bedingung zu sagen. Man gibts ihnen auff diese bedingung/ wann du inwendig bist/ wie du auswendig scheinest; nun aber scheint mir der mensch nicht gut/ dann ich sehe ja kein gutes/ und dergestalt böß/ wie soll ichs ihm dann reichen? VI. Die sechste ursach ist/ daß man sich betrogen mit der einbildung ei- genen vermögens; wir haben gemeint/ wir könten etwas/ und dachten nicht/ daß wir todt wären in sünden und missethaten/ gantz unkräff- tig/ uns lebendig zu machen. O wann ihr durch diese predigt dahin gelangetet/ daß ihr sä- het/ wie ihr todten-beine wäret/ so hätte ich be- reits viel damit von GOtt erhalten. Wolt ihr nun sagen/ was sollen wir dann Babel
Th. IV. Sect. I. Num. XI. Jodoci von Lodenſtein gehaltene rede. [Spaltenumbruch]
um ſage ich/ ein Reformirter Chriſt ohnegeiſt/ iſt ein Atheiſt. II. Die zweyte ur- ſach/ daß es bey dem leib ohne geiſt geblieben/ iſt dieſe/ daß der teuffel bey gelegenheit/ daß man alles durch den geiſt wolte und ſolte thun/ ein ander uͤbel mit der geiſt- treiberey erwecket. Da kamen die geiſt- treiber/ ein Johannes von Leyden/ ein Knippertolling und andere/ an den tag; Es lautete alles von einem innerlichen licht/ und von dem funcken/ den man muͤſſe anblaſen und erwecken/ und demſelben folgen/ es moͤch- te mit der Schrifft uͤberein kommen oder nicht! Da nun die Reformirte auch an- fiengen zu ſprechen von dem geiſt/ da muſten ſie geiſt-treiber heiſſen/ da gieng man gegen ſie an/ gleich wie es noch geſchicht. Ja was ſag ich? Die Reformirten ſollen geiſt-treiber ſeyn/ Roͤm. 8. v. 14. Gal. 5. v. 18. Dann alles was ſie thun/ ſoll durch den geiſt geſchehen. III. Die dritte urſach/ daß kein geiſt/ ſondeꝛn ein ſtillſtand erfolget/ iſt/ daß man die buchſtabliche erkaͤntniß oder erkantniß der buchſtabē/ an ſtatt des geiſtes annim̃t/ und die davon was wiſſen zu ſprechen fuͤr wahre Chriſten und glieder/ und fuͤr wahre GOttes-gelehrten und Theologos haͤlt/ die den geiſt haͤtten: Aber ach leider/ der buchſtaben toͤdtet ſie/ ob ſie ſchon mey- nen/ daß ſie leben; Dann ich ſchwoͤre euch vor GOtt/ daß diß das geiſtliche leben nicht iſt. Ach es wird meiſtens den weiſen und verſtaͤndigen verborgen/ und den geringen kindern offenba- ret/ Matth. 11. v. 25. 26. Glaubt mir/ die buchſtaben-erkaͤntniß iſt der geiſt nicht. Die gelehrteſten ſeynd gemeiniglich die veꝛkehꝛteſten; Darum gebt acht auff euch ſelbſten/ und be- truͤgt euch nicht/ wie ihrer viel gethan haben. IV. Die vierte urſach/ daß ein ſtillſtand und kein geiſt erfolget/ iſt/ dieweil man angefan- gen leichtſinnig von dem geiſtlichen leben zu ur- theilen/ und jemand vor einen guten Chri- ſten achtet/ wann er kein trunckenbold/ kein hurer/ kein flucher oder ſchwoͤrer iſt. Man haͤlt keinen menſchen fuͤr boͤß/ wann er das nicht mit vielen boͤſen thaten erweiſet/ und urtheilet viele hundert fuͤr gute Chriſten/ da man doch nicht ein einiges keñzeichen des lebens mercket. Sehet/ welche eine verkehrte ſach iſt das! Dieſes laufft gantz richtig wider unſere lehr/ welche lehrt/ daß wir alle von natur boͤß und verderbt ſeyn; Deme nach kan ich ehender das boͤſe/ als das gute ſchlieſſen/ und von einem menſchen/ in dem ich weder| gutes noch boͤſes ſehe/ urtheilen/ daß er boͤſe ſey. Doch man muß/ ſprichſtu/ nach der liebe urtheilen. Aber ich antworte/ daß dieſes hier nicht zu paß komme. Das liebes-urtheil kommt als dann zu paſſe/ wann man ein feindſeliges hertz gegen einen andern tragen/ und rachgierig ſeyn wolte/ aber nicht/ wañ ich jemanden heylen und geneſen ma- chen ſolte/ da wollen die ſtinckende wunden nicht zugedeckt und beſchoͤnt ſeyn. V. Die fuͤnffte urſach/ daß es bey dem leib geblieben/ iſt/ daß die fuͤrſteher ſelbſten mit der zeit eben ſo ein verkehrt urtheil gefaͤllet/ und alle ſolche (da ſie nemlich kein oͤffentliches boͤſe geſehen/ ob ſie auch ſchonkein gutes geſehen) zu gliedern ge- macht und angenommen. Dañ das war ge- maͤchlich/ und dem intereſſe nicht zu wider. Sie ſehen/ daß die leute gantz weltlich ſeynd in ihren [Spaltenumbruch] haͤuſeꝛn uñ kleideꝛn; ſie ſehen/ daß ſie geitzig ſeind/ und gewiñ-ſuͤchtig; oder/ daß ſie boͤſe maximen und principia oder gruͤnde haben; oder daß ſie leben in hader und zanck; wuͤrden ſie beſtrafft/ ſo wuͤrden ſie zornig/ und floͤgen einem ins an- geſicht/ ꝛc. Aber du wirſt ſagen; dieſes ſey nur eine vorbeygehende boͤſe that/ ob man darum ei- nen menſchen verurtheilen ſolte? Wie nun? Jſt welt-und geld-geſinntheit eine vorbeyge- hende that? und ſo ein menſch zanckt/ welches geſchicht/ weil er keine gelegenheit mehr darzu hat/ ſolte ich darum urtheilen/ daß er gut ſey? und ſo ein menſch in allem die welt zeiget/ ſolte ich wol urtheilen/ daß das geiſtliche leben in ihm ſey/ und ihm die gnade verſiegeln? Damit wer- den die ſeelen der menſchen verdorben. Dann ſie gedencken/ wann das wahr waͤre/ daß die welt-geſinntheit eine ſolche ſuͤnde waͤre/ als der Prediger ſagt/ ſo wuͤrde er ihnen das Sacra- ment nicht reichen/ es muͤſte demnach ſo arg nicht ſeyn. Jch weiß wol/ daß man dieſes will ſchmuͤcken und bedecken: Man ſpricht/ es ge- ſchehe unter condition und bedingung/ daß man es ihnen reiche. Aber es waͤre viel von dieſer bedingung zu ſagen. Man gibts ihnen auff dieſe bedingung/ wann du inwendig biſt/ wie du auswendig ſcheineſt; nun aber ſcheint mir der menſch nicht gut/ dann ich ſehe ja kein gutes/ und dergeſtalt boͤß/ wie ſoll ichs ihm dann reichen? VI. Die ſechſte urſach iſt/ daß man ſich betrogen mit der einbildung ei- genen vermoͤgens; wir haben gemeint/ wir koͤnten etwas/ und dachten nicht/ daß wir todt waͤren in ſuͤnden und miſſethaten/ gantz unkraͤff- tig/ uns lebendig zu machen. O wann ihr durch dieſe predigt dahin gelangetet/ daß ihr ſaͤ- het/ wie ihr todten-beine waͤret/ ſo haͤtte ich be- reits viel damit von GOtt erhalten. Wolt ihr nun ſagen/ was ſollen wir dann Babel
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Th. IV. Sect. I. Num. XI. Jodoci von Lodenſtein gehaltene rede.
um ſage ich/ ein Reformirter Chriſt ohne
geiſt/ iſt ein Atheiſt. II. Die zweyte ur-
ſach/ daß es bey dem leib ohne geiſt geblieben/
iſt dieſe/ daß der teuffel bey gelegenheit/
daß man alles durch den geiſt wolte und
ſolte thun/ ein ander uͤbel mit der geiſt-
treiberey erwecket. Da kamen die geiſt-
treiber/ ein Johannes von Leyden/ ein
Knippertolling und andere/ an den tag;
Es lautete alles von einem innerlichen licht/ und
von dem funcken/ den man muͤſſe anblaſen und
erwecken/ und demſelben folgen/ es moͤch-
te mit der Schrifft uͤberein kommen
oder nicht! Da nun die Reformirte auch an-
fiengen zu ſprechen von dem geiſt/ da muſten ſie
geiſt-treiber heiſſen/ da gieng man gegen ſie
an/ gleich wie es noch geſchicht. Ja was ſag ich?
Die Reformirten ſollen geiſt-treiber ſeyn/
Roͤm. 8. v. 14. Gal. 5. v. 18. Dann alles was
ſie thun/ ſoll durch den geiſt geſchehen. III. Die
dritte urſach/ daß kein geiſt/ ſondeꝛn ein ſtillſtand
erfolget/ iſt/ daß man die buchſtabliche
erkaͤntniß oder erkantniß der buchſtabē/
an ſtatt des geiſtes annim̃t/ und die davon
was wiſſen zu ſprechen fuͤr wahre Chriſten und
glieder/ und fuͤr wahre GOttes-gelehrten und
Theologos haͤlt/ die den geiſt haͤtten: Aber ach
leider/ der buchſtaben toͤdtet ſie/ ob ſie ſchon mey-
nen/ daß ſie leben; Dann ich ſchwoͤre euch vor
GOtt/ daß diß das geiſtliche leben nicht iſt. Ach
es wird meiſtens den weiſen und verſtaͤndigen
verborgen/ und den geringen kindern offenba-
ret/ Matth. 11. v. 25. 26. Glaubt mir/ die
buchſtaben-erkaͤntniß iſt der geiſt nicht. Die
gelehrteſten ſeynd gemeiniglich die veꝛkehꝛteſten;
Darum gebt acht auff euch ſelbſten/ und be-
truͤgt euch nicht/ wie ihrer viel gethan haben.
IV. Die vierte urſach/ daß ein ſtillſtand und
kein geiſt erfolget/ iſt/ dieweil man angefan-
gen leichtſinnig von dem geiſtlichen leben zu ur-
theilen/ und jemand vor einen guten Chri-
ſten achtet/ wann er kein trunckenbold/
kein hurer/ kein flucher oder ſchwoͤrer iſt.
Man haͤlt keinen menſchen fuͤr boͤß/ wann er
das nicht mit vielen boͤſen thaten erweiſet/ und
urtheilet viele hundert fuͤr gute Chriſten/ da
man doch nicht ein einiges keñzeichen des lebens
mercket. Sehet/ welche eine verkehrte ſach iſt
das! Dieſes laufft gantz richtig wider unſere
lehr/ welche lehrt/ daß wir alle von natur boͤß
und verderbt ſeyn; Deme nach kan ich ehender
das boͤſe/ als das gute ſchlieſſen/ und von einem
menſchen/ in dem ich weder| gutes noch boͤſes
ſehe/ urtheilen/ daß er boͤſe ſey. Doch man muß/
ſprichſtu/ nach der liebe urtheilen. Aber ich
antworte/ daß dieſes hier nicht zu paß komme.
Das liebes-urtheil kommt als dann zu paſſe/
wann man ein feindſeliges hertz gegen einen
andern tragen/ und rachgierig ſeyn wolte/ aber
nicht/ wañ ich jemanden heylen und geneſen ma-
chen ſolte/ da wollen die ſtinckende wunden nicht
zugedeckt und beſchoͤnt ſeyn. V. Die fuͤnffte
urſach/ daß es bey dem leib geblieben/ iſt/ daß
die fuͤrſteher ſelbſten mit der zeit eben ſo ein
verkehrt urtheil gefaͤllet/ und alle ſolche (da
ſie nemlich kein oͤffentliches boͤſe geſehen/ ob ſie
auch ſchonkein gutes geſehen) zu gliedern ge-
macht und angenommen. Dañ das war ge-
maͤchlich/ und dem intereſſe nicht zu wider. Sie
ſehen/ daß die leute gantz weltlich ſeynd in ihren
haͤuſeꝛn uñ kleideꝛn; ſie ſehen/ daß ſie geitzig ſeind/
und gewiñ-ſuͤchtig; oder/ daß ſie boͤſe maximen
und principia oder gruͤnde haben; oder daß ſie
leben in hader und zanck; wuͤrden ſie beſtrafft/
ſo wuͤrden ſie zornig/ und floͤgen einem ins an-
geſicht/ ꝛc. Aber du wirſt ſagen; dieſes ſey nur
eine vorbeygehende boͤſe that/ ob man darum ei-
nen menſchen verurtheilen ſolte? Wie nun?
Jſt welt-und geld-geſinntheit eine vorbeyge-
hende that? und ſo ein menſch zanckt/ welches
geſchicht/ weil er keine gelegenheit mehr darzu
hat/ ſolte ich darum urtheilen/ daß er gut ſey?
und ſo ein menſch in allem die welt zeiget/ ſolte
ich wol urtheilen/ daß das geiſtliche leben in ihm
ſey/ und ihm die gnade verſiegeln? Damit wer-
den die ſeelen der menſchen verdorben. Dann
ſie gedencken/ wann das wahr waͤre/ daß die
welt-geſinntheit eine ſolche ſuͤnde waͤre/ als der
Prediger ſagt/ ſo wuͤrde er ihnen das Sacra-
ment nicht reichen/ es muͤſte demnach ſo arg
nicht ſeyn. Jch weiß wol/ daß man dieſes will
ſchmuͤcken und bedecken: Man ſpricht/ es ge-
ſchehe unter condition und bedingung/
daß man es ihnen reiche. Aber es waͤre viel von
dieſer bedingung zu ſagen. Man gibts ihnen
auff dieſe bedingung/ wann du inwendig biſt/
wie du auswendig ſcheineſt; nun aber ſcheint
mir der menſch nicht gut/ dann ich ſehe ja kein
gutes/ und dergeſtalt boͤß/ wie ſoll ichs ihm
dann reichen? VI. Die ſechſte urſach iſt/ daß
man ſich betrogen mit der einbildung ei-
genen vermoͤgens; wir haben gemeint/ wir
koͤnten etwas/ und dachten nicht/ daß wir todt
waͤren in ſuͤnden und miſſethaten/ gantz unkraͤff-
tig/ uns lebendig zu machen. O wann ihr
durch dieſe predigt dahin gelangetet/ daß ihr ſaͤ-
het/ wie ihr todten-beine waͤret/ ſo haͤtte ich be-
reits viel damit von GOtt erhalten.
Wolt ihr nun ſagen/ was ſollen wir dann
thun? Hingehen und verzweiffeln? Nein/ zu
dem ende hab ich es nicht geſagt/ ſondern
(a) daß ihr GOtt moͤchtet die ehre geben alles
des guten/ das ihr habt/ und noch bekommen
werdet. (b) Daß ihr euch in demuth nieder-
werffet/ und harret/ biß es dem HErꝛn gefaͤllet
zu kommen; gleichwie hier/ da war ein leib/
aber der geiſt muſte erwartet werden. Ach wir
haben zu viel weſens und wirckens mit unſern
eignen kraͤfften/ biß wir uns endlich zu todt ge-
wuͤhlet/ und was haben wir dann außgerichtet?
Sehet/ wohin uns JEſus weiſet in dem Evan-
gelio/ iſts nicht dahin/ daß der menſch ſehe/ daß
er nichts vermoͤge? Ach/ daß ihr blind waͤ-
ret/ aber nun ſagt ihr/ ihr ſeyd ſehend/
Joh. 9. Selig ſeynd/ die da hungert und
duͤrſtet/ ſelig ſeynd/ die geiſtlich arm/
oder arm im geiſt/ ſeynd/ Matth. 5. Aber
nun ſeynd wir/ als jener Sohn/ der da ſagte:
Vater/ ich will hingehen/ und wiſſen nicht/
daß wir todt ſeynd. Kaͤmen wir nur dahin/
daß wir ſaͤhen/ wie wir todte ſeynd! Koͤnte ichs
dahin bringen/ daß ihr ſaͤhet/ wie ihr waͤret
arm/ elend/ nacket/ blind und bloß/ und daß
wir dann mit einer ſtimm zuſammen rieffen/ als
dorten jener blinde/ Luc. 18. v. 38. O JEſu/
du Sohn Davids/ erbarme dich unſer!
Komm und eyle zu dieſer blinden welt/ und gib
uns das geſicht; gewiß/ GOtt wuͤrde kommen
und uns ſehend machen. O daß doch der tag
einmal da waͤre/ den GOtt beſtimmet hat/ daß
Babel
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Zitationshilfe: | Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Bd. 2 (T. 3/4). Frankfurt (Main), 1700, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnold_ketzerhistorie02_1700/412>, abgerufen am 03.07.2024. |