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Alexis, Willibald: Iblou. In: Ders.: Gesammelte Novellen. Erster Band. Berlin, 1830, S. 1–100.

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Hohlwege! Noch zuletzt alle Beschwerden des Krieges
ohne seinen Glanz und seine Reize. Der Tornister
zog die Schultern zusammen, und der Regen drang
bis auf die Haut. Wenn mir dann zufällig eine frohe
Stelle aus einem Dichter einfiel, suchte ich mit wah-
rem Jngrimm das Gedächtniß daran zu vertilgen. Jch
konnte mich über Göthe's Lieder ärgern. "Wenn er
nur hier wie ich im Lehm gewatet hätte, würde er
auch nicht so gesungen haben." Es klang mir, obgleich
ich desto lauter lachen mußte, wie ein Spottgedicht
auf mich, wenn ich oben auf trocknen Boden gekom-
men war.

Ein Dorf, dessen kümmerliche Hütten weit zer-
streut in einer bergigten Moorgegend lagen, wurde in
der Gegend von Aubenton endlich unserer Compagnie
zur Cantonnirung angewiesen. Mein stummer Führer
brachte mich zu einer in wilden Hecken versteckten Hütte,
welche eine volle Stunde vom Versammlungsplatze,
und eine halbe Stunde von jeder menschlichen Woh-
nung entfernt lag. "Hier ist Jhr Quartier:" sagte
er in der reinsten französischen Mundart, und verließ
mich so an der Thüre. Jch blickte verwundert der ho-
hen Gestalt des Landmanns nach, dessen Sprache und
Benehmen einen andern Ursprung als aus diesem Dorfe
zu verrathen schien. Erst als ich ihn aus dem Auge
verloren, öffnete ich die Thür. Es war kein einladen-

Hohlwege! Noch zuletzt alle Beſchwerden des Krieges
ohne ſeinen Glanz und ſeine Reize. Der Torniſter
zog die Schultern zuſammen, und der Regen drang
bis auf die Haut. Wenn mir dann zufällig eine frohe
Stelle aus einem Dichter einfiel, ſuchte ich mit wah-
rem Jngrimm das Gedächtniß daran zu vertilgen. Jch
konnte mich über Göthe’s Lieder ärgern. „Wenn er
nur hier wie ich im Lehm gewatet hätte, würde er
auch nicht ſo geſungen haben.“ Es klang mir, obgleich
ich deſto lauter lachen mußte, wie ein Spottgedicht
auf mich, wenn ich oben auf trocknen Boden gekom-
men war.

Ein Dorf, deſſen kümmerliche Hütten weit zer-
ſtreut in einer bergigten Moorgegend lagen, wurde in
der Gegend von Aubenton endlich unſerer Compagnie
zur Cantonnirung angewieſen. Mein ſtummer Führer
brachte mich zu einer in wilden Hecken verſteckten Hütte,
welche eine volle Stunde vom Verſammlungsplatze,
und eine halbe Stunde von jeder menſchlichen Woh-
nung entfernt lag. „Hier iſt Jhr Quartier:“ ſagte
er in der reinſten franzöſiſchen Mundart, und verließ
mich ſo an der Thüre. Jch blickte verwundert der ho-
hen Geſtalt des Landmanns nach, deſſen Sprache und
Benehmen einen andern Urſprung als aus dieſem Dorfe
zu verrathen ſchien. Erſt als ich ihn aus dem Auge
verloren, öffnete ich die Thür. Es war kein einladen-

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[0043] Hohlwege! Noch zuletzt alle Beſchwerden des Krieges ohne ſeinen Glanz und ſeine Reize. Der Torniſter zog die Schultern zuſammen, und der Regen drang bis auf die Haut. Wenn mir dann zufällig eine frohe Stelle aus einem Dichter einfiel, ſuchte ich mit wah- rem Jngrimm das Gedächtniß daran zu vertilgen. Jch konnte mich über Göthe’s Lieder ärgern. „Wenn er nur hier wie ich im Lehm gewatet hätte, würde er auch nicht ſo geſungen haben.“ Es klang mir, obgleich ich deſto lauter lachen mußte, wie ein Spottgedicht auf mich, wenn ich oben auf trocknen Boden gekom- men war. Ein Dorf, deſſen kümmerliche Hütten weit zer- ſtreut in einer bergigten Moorgegend lagen, wurde in der Gegend von Aubenton endlich unſerer Compagnie zur Cantonnirung angewieſen. Mein ſtummer Führer brachte mich zu einer in wilden Hecken verſteckten Hütte, welche eine volle Stunde vom Verſammlungsplatze, und eine halbe Stunde von jeder menſchlichen Woh- nung entfernt lag. „Hier iſt Jhr Quartier:“ ſagte er in der reinſten franzöſiſchen Mundart, und verließ mich ſo an der Thüre. Jch blickte verwundert der ho- hen Geſtalt des Landmanns nach, deſſen Sprache und Benehmen einen andern Urſprung als aus dieſem Dorfe zu verrathen ſchien. Erſt als ich ihn aus dem Auge verloren, öffnete ich die Thür. Es war kein einladen-

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Iblou. In: Ders.: Gesammelte Novellen. Erster Band. Berlin, 1830, S. 1–100, hier S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_iblou_1830/43>, abgerufen am 29.03.2024.