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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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nicht! -- Siegwart aber ließ nicht nach, bis
er's nahm.

Er warf sich nun auf seine Knie, dankte Gott;
schrieb etliche Worte an Kronhelm, daß sein Vater
noch lebe; und lief dann in seiner Freude auf P.
Philipps Zimmer, der an seiner Freude herzlichen
Antheil nahm. Therese schrieb ihm acht Tage dar-
auf wieder, daß ihr Vater sich täglich mehr beßre,
und schon eine halbe Stunde in den Garten habe
gehn können. Siegwart war nun wieder wie neu-
gebohren, und nahm aufs neu an allem Antheil,
was um ihn vorgieng. Einmal gieng er mit
Grünbach in seinen Garten; Sophie war auch da,
um sich bey der schönen Witterung etwas zu erho-
len, weil sie schon etliche Wochen sich zu Haus auf-
gehalten hatte. Sie erschrack, als sie unsern Sieg-
wart erölickte. Er erschrack auch, denn das schöne
blühende Mädchen sah blaß und eingefallen aus.
Jn ihren Augen saß eine tiefe schweigende Schwer-
muth. -- Jch werd Jhnen noch zuvor kommen,
sagte sie; auf Michaelis geh ich schon ins Kloster.
Werden Sie wohl auch zuweilen noch an mich den-
ken? Jch werd es oft thun. -- Jch warlich auch,
sagte Siegwart. Der guten Seelen sind doch so
wenig. Ja, ich werd oft an die Stunden denken,



nicht! — Siegwart aber ließ nicht nach, bis
er’s nahm.

Er warf ſich nun auf ſeine Knie, dankte Gott;
ſchrieb etliche Worte an Kronhelm, daß ſein Vater
noch lebe; und lief dann in ſeiner Freude auf P.
Philipps Zimmer, der an ſeiner Freude herzlichen
Antheil nahm. Thereſe ſchrieb ihm acht Tage dar-
auf wieder, daß ihr Vater ſich taͤglich mehr beßre,
und ſchon eine halbe Stunde in den Garten habe
gehn koͤnnen. Siegwart war nun wieder wie neu-
gebohren, und nahm aufs neu an allem Antheil,
was um ihn vorgieng. Einmal gieng er mit
Gruͤnbach in ſeinen Garten; Sophie war auch da,
um ſich bey der ſchoͤnen Witterung etwas zu erho-
len, weil ſie ſchon etliche Wochen ſich zu Haus auf-
gehalten hatte. Sie erſchrack, als ſie unſern Sieg-
wart eroͤlickte. Er erſchrack auch, denn das ſchoͤne
bluͤhende Maͤdchen ſah blaß und eingefallen aus.
Jn ihren Augen ſaß eine tiefe ſchweigende Schwer-
muth. — Jch werd Jhnen noch zuvor kommen,
ſagte ſie; auf Michaelis geh ich ſchon ins Kloſter.
Werden Sie wohl auch zuweilen noch an mich den-
ken? Jch werd es oft thun. — Jch warlich auch,
ſagte Siegwart. Der guten Seelen ſind doch ſo
wenig. Ja, ich werd oft an die Stunden denken,

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[511/0091] nicht! — Siegwart aber ließ nicht nach, bis er’s nahm. Er warf ſich nun auf ſeine Knie, dankte Gott; ſchrieb etliche Worte an Kronhelm, daß ſein Vater noch lebe; und lief dann in ſeiner Freude auf P. Philipps Zimmer, der an ſeiner Freude herzlichen Antheil nahm. Thereſe ſchrieb ihm acht Tage dar- auf wieder, daß ihr Vater ſich taͤglich mehr beßre, und ſchon eine halbe Stunde in den Garten habe gehn koͤnnen. Siegwart war nun wieder wie neu- gebohren, und nahm aufs neu an allem Antheil, was um ihn vorgieng. Einmal gieng er mit Gruͤnbach in ſeinen Garten; Sophie war auch da, um ſich bey der ſchoͤnen Witterung etwas zu erho- len, weil ſie ſchon etliche Wochen ſich zu Haus auf- gehalten hatte. Sie erſchrack, als ſie unſern Sieg- wart eroͤlickte. Er erſchrack auch, denn das ſchoͤne bluͤhende Maͤdchen ſah blaß und eingefallen aus. Jn ihren Augen ſaß eine tiefe ſchweigende Schwer- muth. — Jch werd Jhnen noch zuvor kommen, ſagte ſie; auf Michaelis geh ich ſchon ins Kloſter. Werden Sie wohl auch zuweilen noch an mich den- ken? Jch werd es oft thun. — Jch warlich auch, ſagte Siegwart. Der guten Seelen ſind doch ſo wenig. Ja, ich werd oft an die Stunden denken,

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/91>, abgerufen am 26.04.2024.