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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Nun Gott Lob und Dank! sagte Siegwart, und
wandte sich zu dem Bauren. Ja, Herr, das war
ein Schrecken, den wir hatten; sagte dieser. Das
ganze Dorf war in Aengsten; habs mein Lebetag
nicht so gesehen, und bin doch schon ein alter Mann.
Alle Leut liefen in die Kirche. Wenns der Lands-
herr wäre, könnts nicht ärger seyn. Aber so 'n
Herrn kriegen wir halt nicht wieder; das sagen
alle Leut, alt und jung; wenn schon der junge Herr
auch ein braver Herr ist. Euer Vater hat 's prae
vor allen, das ist nur gewiß. Wenn ich denk, was
die arme Leut, und Wittwen, und Waisen an ihm
verlohren hätten, d' Augen gehen mir über. 's
ist halt 'ne schöne Sach um 'n braven Mann!
-- und hier wischte sich der ehrliche Bauer die
Augen. --

Siegwart schrieb ein kleines Briefchen an seinen
Vater, und gab dem Bauer sechs Batzen. Der
gutherzige Schwabe wollt' es lang nicht nehmen.
Nein, Herr! sagte er, mit so einer Nachricht wär
ich Euch bis Wien umsonst gelaufen. 's hätt mir
weh gethan, wenn man's einem andern auftragen
hätt. Bin schon zwanzig Jahr 'n Tagwerker in 's
Vaters Haus; darfs nicht nehmen, warlich



Nun Gott Lob und Dank! ſagte Siegwart, und
wandte ſich zu dem Bauren. Ja, Herr, das war
ein Schrecken, den wir hatten; ſagte dieſer. Das
ganze Dorf war in Aengſten; habs mein Lebetag
nicht ſo geſehen, und bin doch ſchon ein alter Mann.
Alle Leut liefen in die Kirche. Wenns der Lands-
herr waͤre, koͤnnts nicht aͤrger ſeyn. Aber ſo ’n
Herrn kriegen wir halt nicht wieder; das ſagen
alle Leut, alt und jung; wenn ſchon der junge Herr
auch ein braver Herr iſt. Euer Vater hat ’s prae
vor allen, das iſt nur gewiß. Wenn ich denk, was
die arme Leut, und Wittwen, und Waiſen an ihm
verlohren haͤtten, d’ Augen gehen mir uͤber. ’s
iſt halt ’ne ſchoͤne Sach um ’n braven Mann!
— und hier wiſchte ſich der ehrliche Bauer die
Augen. —

Siegwart ſchrieb ein kleines Briefchen an ſeinen
Vater, und gab dem Bauer ſechs Batzen. Der
gutherzige Schwabe wollt’ es lang nicht nehmen.
Nein, Herr! ſagte er, mit ſo einer Nachricht waͤr
ich Euch bis Wien umſonſt gelaufen. ’s haͤtt mir
weh gethan, wenn man’s einem andern auftragen
haͤtt. Bin ſchon zwanzig Jahr ’n Tagwerker in ’s
Vaters Haus; darfs nicht nehmen, warlich

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[510/0090] Nun Gott Lob und Dank! ſagte Siegwart, und wandte ſich zu dem Bauren. Ja, Herr, das war ein Schrecken, den wir hatten; ſagte dieſer. Das ganze Dorf war in Aengſten; habs mein Lebetag nicht ſo geſehen, und bin doch ſchon ein alter Mann. Alle Leut liefen in die Kirche. Wenns der Lands- herr waͤre, koͤnnts nicht aͤrger ſeyn. Aber ſo ’n Herrn kriegen wir halt nicht wieder; das ſagen alle Leut, alt und jung; wenn ſchon der junge Herr auch ein braver Herr iſt. Euer Vater hat ’s prae vor allen, das iſt nur gewiß. Wenn ich denk, was die arme Leut, und Wittwen, und Waiſen an ihm verlohren haͤtten, d’ Augen gehen mir uͤber. ’s iſt halt ’ne ſchoͤne Sach um ’n braven Mann! — und hier wiſchte ſich der ehrliche Bauer die Augen. — Siegwart ſchrieb ein kleines Briefchen an ſeinen Vater, und gab dem Bauer ſechs Batzen. Der gutherzige Schwabe wollt’ es lang nicht nehmen. Nein, Herr! ſagte er, mit ſo einer Nachricht waͤr ich Euch bis Wien umſonſt gelaufen. ’s haͤtt mir weh gethan, wenn man’s einem andern auftragen haͤtt. Bin ſchon zwanzig Jahr ’n Tagwerker in ’s Vaters Haus; darfs nicht nehmen, warlich

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 510. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/90>, abgerufen am 21.11.2024.