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[Zschokke, Heinrich]: Geister und Geisterseher oder Leben und frühes Ende eines Nekromantisten. Küstrin, 1789.

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Wilhelm Walter.
gewann, sezte er sich hin auf den Boden,
wo er nicht all zu sumpfigt war, den Zu-
sammenhang seiner Begebenheiten pragma-
tisch durchzudenken, ob er nicht irgend eine
Grundursach seiner traurigen Metamorfose
hervorklauben könnte. Keine Thräne rann
nun mehr, er ward, bei allem Unglük, still,
wie es einem Weltweisen anstehet, denn --
er konnte nicht mehr weinen.

Er blieb den ganzen Tag allein; man
schien von ihm und seinem Auffenthalt in der
Welt nichts zu wissen; alles war weit um
ihn her tod und schweigend, daß er fast ver-
zweifelte. Die Nacht trat herein, mit ihr
erschien ein leiser Schlaf und der ehrliche Ge-
fangene benuzte denselben, um sich einiger-
maassen des tristen Aufenthalts und seines
nagenden Hungers vergessen zu machen.

Es war kaum Morgen, als er von ei-
nem fürchterlichen Kerl aus dem Schlaf ge-
wekt wurde, der ihm Brod und eine Flasche
Bier zum Frühstük brachte, dann ihn nach
genossner Malzeit mit sich hinaus auf einen

ge-

Wilhelm Walter.
gewann, ſezte er ſich hin auf den Boden,
wo er nicht all zu ſumpfigt war, den Zu-
ſammenhang ſeiner Begebenheiten pragma-
tiſch durchzudenken, ob er nicht irgend eine
Grundurſach ſeiner traurigen Metamorfoſe
hervorklauben koͤnnte. Keine Thraͤne rann
nun mehr, er ward, bei allem Ungluͤk, ſtill,
wie es einem Weltweiſen anſtehet, denn —
er konnte nicht mehr weinen.

Er blieb den ganzen Tag allein; man
ſchien von ihm und ſeinem Auffenthalt in der
Welt nichts zu wiſſen; alles war weit um
ihn her tod und ſchweigend, daß er faſt ver-
zweifelte. Die Nacht trat herein, mit ihr
erſchien ein leiſer Schlaf und der ehrliche Ge-
fangene benuzte denſelben, um ſich einiger-
maaſſen des triſten Aufenthalts und ſeines
nagenden Hungers vergeſſen zu machen.

Es war kaum Morgen, als er von ei-
nem fuͤrchterlichen Kerl aus dem Schlaf ge-
wekt wurde, der ihm Brod und eine Flaſche
Bier zum Fruͤhſtuͤk brachte, dann ihn nach
genoſſner Malzeit mit ſich hinaus auf einen

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[74/0077] Wilhelm Walter. gewann, ſezte er ſich hin auf den Boden, wo er nicht all zu ſumpfigt war, den Zu- ſammenhang ſeiner Begebenheiten pragma- tiſch durchzudenken, ob er nicht irgend eine Grundurſach ſeiner traurigen Metamorfoſe hervorklauben koͤnnte. Keine Thraͤne rann nun mehr, er ward, bei allem Ungluͤk, ſtill, wie es einem Weltweiſen anſtehet, denn — er konnte nicht mehr weinen. Er blieb den ganzen Tag allein; man ſchien von ihm und ſeinem Auffenthalt in der Welt nichts zu wiſſen; alles war weit um ihn her tod und ſchweigend, daß er faſt ver- zweifelte. Die Nacht trat herein, mit ihr erſchien ein leiſer Schlaf und der ehrliche Ge- fangene benuzte denſelben, um ſich einiger- maaſſen des triſten Aufenthalts und ſeines nagenden Hungers vergeſſen zu machen. Es war kaum Morgen, als er von ei- nem fuͤrchterlichen Kerl aus dem Schlaf ge- wekt wurde, der ihm Brod und eine Flaſche Bier zum Fruͤhſtuͤk brachte, dann ihn nach genoſſner Malzeit mit ſich hinaus auf einen ge-

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Zitationshilfe: [Zschokke, Heinrich]: Geister und Geisterseher oder Leben und frühes Ende eines Nekromantisten. Küstrin, 1789, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_geister_1789/77>, abgerufen am 07.05.2024.