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[Zschokke, Heinrich]: Geister und Geisterseher oder Leben und frühes Ende eines Nekromantisten. Küstrin, 1789.

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Wilhelm Walter.
Art seinem Winke gehorchen, seine Befehle
vollführen, daß er, geschärften Blikkes, sogar
die Geschichten der Zukunft aus dem Buche
des ewigen Schicksals lesen kann. -- Dies
gab Walters Fantasie den Stos, gab Sporn
und Fittige seinem schmachtenden Geiste; er
hing ganz mit seiner Seele an den lieblichen
Schimären, und fand sich dann glüklich.

Seine Notdurft zu haben, muste er für sei-
ne reichern Mitstudierenden Kollegien schrei-
ben oder Noten; er lebte immer einsam, ent-
sagte allem Vergnügen des akademischen Le-
bens; hatte nur einige Freunde und auch von
diesen ward er nur äusserst selten besucht.
Sich also beständig selbst überlassen, gieng
seine ehmalige frohe Stimmung, welche er
noch aus den Kinderiahren mit her gebracht
hatte, zur stillen Schwermuth über; wenn
sein Geist abgemattet war vom ununterbroch-
nen Studieren, sezte er sich hin, vergrub er
sich in sich selbst, beweinte er sein Schiksal
und die trüben Aussichten in die Zukunft,
welche düster sich vor ihm hinlagerte, vergrös-

serte
A 5

Wilhelm Walter.
Art ſeinem Winke gehorchen, ſeine Befehle
vollfuͤhren, daß er, geſchaͤrften Blikkes, ſogar
die Geſchichten der Zukunft aus dem Buche
des ewigen Schickſals leſen kann. — Dies
gab Walters Fantaſie den Stos, gab Sporn
und Fittige ſeinem ſchmachtenden Geiſte; er
hing ganz mit ſeiner Seele an den lieblichen
Schimaͤren, und fand ſich dann gluͤklich.

Seine Notdurft zu haben, muſte er fuͤr ſei-
ne reichern Mitſtudierenden Kollegien ſchrei-
ben oder Noten; er lebte immer einſam, ent-
ſagte allem Vergnuͤgen des akademiſchen Le-
bens; hatte nur einige Freunde und auch von
dieſen ward er nur aͤuſſerſt ſelten beſucht.
Sich alſo beſtaͤndig ſelbſt uͤberlaſſen, gieng
ſeine ehmalige frohe Stimmung, welche er
noch aus den Kinderiahren mit her gebracht
hatte, zur ſtillen Schwermuth uͤber; wenn
ſein Geiſt abgemattet war vom ununterbroch-
nen Studieren, ſezte er ſich hin, vergrub er
ſich in ſich ſelbſt, beweinte er ſein Schikſal
und die truͤben Ausſichten in die Zukunft,
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[9/0012] Wilhelm Walter. Art ſeinem Winke gehorchen, ſeine Befehle vollfuͤhren, daß er, geſchaͤrften Blikkes, ſogar die Geſchichten der Zukunft aus dem Buche des ewigen Schickſals leſen kann. — Dies gab Walters Fantaſie den Stos, gab Sporn und Fittige ſeinem ſchmachtenden Geiſte; er hing ganz mit ſeiner Seele an den lieblichen Schimaͤren, und fand ſich dann gluͤklich. Seine Notdurft zu haben, muſte er fuͤr ſei- ne reichern Mitſtudierenden Kollegien ſchrei- ben oder Noten; er lebte immer einſam, ent- ſagte allem Vergnuͤgen des akademiſchen Le- bens; hatte nur einige Freunde und auch von dieſen ward er nur aͤuſſerſt ſelten beſucht. Sich alſo beſtaͤndig ſelbſt uͤberlaſſen, gieng ſeine ehmalige frohe Stimmung, welche er noch aus den Kinderiahren mit her gebracht hatte, zur ſtillen Schwermuth uͤber; wenn ſein Geiſt abgemattet war vom ununterbroch- nen Studieren, ſezte er ſich hin, vergrub er ſich in ſich ſelbſt, beweinte er ſein Schikſal und die truͤben Ausſichten in die Zukunft, welche duͤſter ſich vor ihm hinlagerte, vergroͤſ- ſerte A 5

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Zitationshilfe: [Zschokke, Heinrich]: Geister und Geisterseher oder Leben und frühes Ende eines Nekromantisten. Küstrin, 1789, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_geister_1789/12>, abgerufen am 19.04.2024.