Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Es sind nun wirklich, fing er an, zweihundert Jahre voll, als der dreißigjährige Krieg angefangen und der Kurfürst Friedrich von der Pfalz die Krone des Königreichs Böhmen auf sein Haupt gesetzt hatte. Der Kaiser aber und der Kurfürst von Bayern, an der Spitze der Katholiken Deutschlands, brachen auf, die Krone wieder zu erobern. Die große, entscheidende Schlacht am weißen Berge bei Prag ward geliefert. Der Kurfürst Friedrich verlor die Schlacht und die Krone. Wetterschnell flog die Botschaft von Mund zu Mund durch Deutschland. Alle katholischen Städte jubelten über den Untergang des armen Friedrich, der seinen Thron nur wenige Monate besessen hatte, und den man deßwegen schlechthin den Winterkönig zu nennen pflegte. Man wußte, daß er in Verkleidung mit geringem Gefolge aus Prag entflohen sei.

Das wußten auch unsere lieben Vorfahren in Herbesheim vor zweihundert Jahren. Sie plauderten damals schon eben so gern von Stadt- und Staatsneuigkeiten, wie wir, ihre würdigen Enkel; sie waren aber damals, ich darf nicht sagen religiöser, wohl religionswilder. Die Freude über Niederlage und Flucht des Winterkönigs war also ungefähr eben so ausgelassen, ja weit stürmischer, als bei uns vor einigen Jahren über Niederlage und Flucht des Kaisers Napoleon.

Drei bildschöne Jungfrauen saßen einst, vom Winterkönig plaudernd, beisammen. Sie waren alle

Es sind nun wirklich, fing er an, zweihundert Jahre voll, als der dreißigjährige Krieg angefangen und der Kurfürst Friedrich von der Pfalz die Krone des Königreichs Böhmen auf sein Haupt gesetzt hatte. Der Kaiser aber und der Kurfürst von Bayern, an der Spitze der Katholiken Deutschlands, brachen auf, die Krone wieder zu erobern. Die große, entscheidende Schlacht am weißen Berge bei Prag ward geliefert. Der Kurfürst Friedrich verlor die Schlacht und die Krone. Wetterschnell flog die Botschaft von Mund zu Mund durch Deutschland. Alle katholischen Städte jubelten über den Untergang des armen Friedrich, der seinen Thron nur wenige Monate besessen hatte, und den man deßwegen schlechthin den Winterkönig zu nennen pflegte. Man wußte, daß er in Verkleidung mit geringem Gefolge aus Prag entflohen sei.

Das wußten auch unsere lieben Vorfahren in Herbesheim vor zweihundert Jahren. Sie plauderten damals schon eben so gern von Stadt- und Staatsneuigkeiten, wie wir, ihre würdigen Enkel; sie waren aber damals, ich darf nicht sagen religiöser, wohl religionswilder. Die Freude über Niederlage und Flucht des Winterkönigs war also ungefähr eben so ausgelassen, ja weit stürmischer, als bei uns vor einigen Jahren über Niederlage und Flucht des Kaisers Napoleon.

Drei bildschöne Jungfrauen saßen einst, vom Winterkönig plaudernd, beisammen. Sie waren alle

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="10">
        <pb facs="#f0062"/>
        <p>Es sind nun wirklich, fing er an, zweihundert Jahre voll, als der dreißigjährige Krieg      angefangen und der Kurfürst Friedrich von der Pfalz die Krone des Königreichs Böhmen auf sein      Haupt gesetzt hatte. Der Kaiser aber und der Kurfürst von Bayern, an der Spitze der Katholiken      Deutschlands, brachen auf, die Krone wieder zu erobern. Die große, entscheidende Schlacht am      weißen Berge bei Prag ward geliefert. Der Kurfürst Friedrich verlor die Schlacht und die Krone.      Wetterschnell flog die Botschaft von Mund zu Mund durch Deutschland. Alle katholischen Städte      jubelten über den Untergang des armen Friedrich, der seinen Thron nur wenige Monate besessen      hatte, und den man deßwegen schlechthin den Winterkönig zu nennen pflegte. Man wußte, daß er in      Verkleidung mit geringem Gefolge aus Prag entflohen sei.</p><lb/>
        <p>Das wußten auch unsere lieben Vorfahren in Herbesheim vor zweihundert Jahren. Sie plauderten      damals schon eben so gern von Stadt- und Staatsneuigkeiten, wie wir, ihre würdigen Enkel; sie      waren aber damals, ich darf nicht sagen religiöser, wohl religionswilder. Die Freude über      Niederlage und Flucht des Winterkönigs war also ungefähr eben so ausgelassen, ja weit      stürmischer, als bei uns vor einigen Jahren über Niederlage und Flucht des Kaisers      Napoleon.</p><lb/>
        <p>Drei bildschöne Jungfrauen saßen einst, vom Winterkönig plaudernd, beisammen. Sie waren alle<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0062] Es sind nun wirklich, fing er an, zweihundert Jahre voll, als der dreißigjährige Krieg angefangen und der Kurfürst Friedrich von der Pfalz die Krone des Königreichs Böhmen auf sein Haupt gesetzt hatte. Der Kaiser aber und der Kurfürst von Bayern, an der Spitze der Katholiken Deutschlands, brachen auf, die Krone wieder zu erobern. Die große, entscheidende Schlacht am weißen Berge bei Prag ward geliefert. Der Kurfürst Friedrich verlor die Schlacht und die Krone. Wetterschnell flog die Botschaft von Mund zu Mund durch Deutschland. Alle katholischen Städte jubelten über den Untergang des armen Friedrich, der seinen Thron nur wenige Monate besessen hatte, und den man deßwegen schlechthin den Winterkönig zu nennen pflegte. Man wußte, daß er in Verkleidung mit geringem Gefolge aus Prag entflohen sei. Das wußten auch unsere lieben Vorfahren in Herbesheim vor zweihundert Jahren. Sie plauderten damals schon eben so gern von Stadt- und Staatsneuigkeiten, wie wir, ihre würdigen Enkel; sie waren aber damals, ich darf nicht sagen religiöser, wohl religionswilder. Die Freude über Niederlage und Flucht des Winterkönigs war also ungefähr eben so ausgelassen, ja weit stürmischer, als bei uns vor einigen Jahren über Niederlage und Flucht des Kaisers Napoleon. Drei bildschöne Jungfrauen saßen einst, vom Winterkönig plaudernd, beisammen. Sie waren alle

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T14:15:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T14:15:44Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/62
Zitationshilfe: Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/62>, abgerufen am 22.11.2024.