meinem Verhalten Rechenschaft geben und ei- ner Belohnung fähig seyn soll.
Was folget ferner aus jenem Begriffe von der Tugend? Es folget daraus, daß die Tu- gend ein unzertrennliches Ganzes, daß sie ei- gentlich nur Eine, daß man entweder ganz, oder gar nicht tugendhaft ist; daß die Tugend ihren Sitz im Herzen haben, daß sie sich auf unsre Gesinnungen und Neigungen und Absichten eben sowohl als auf unsre Handlungen erstre- cken, daß sie nicht auf gewisse Zeiten und Oer- ter, nicht auf die Stunden der Andacht und des Gottesdienstes eingeschränkt, daß sie unsre beständige Begleiterinn und Führerinn seyn muß.
Noch ein Beyspiel. Was folget wohl dar- aus, wenn mein Geist unsterblich ist, wenn er nach dem Tode des Körpers fortdauert, fort- lebet, fortwirket? wenn sein künftiger Zustand Fortsetzung des gegenwärtigen ist? Er wird sich hier seiner Bestimmung, seiner Vollkom- menheit genähert, oder von derselben entfernt haben; und dieß wird ihm dort Freude oder Qual verursachen. Er wird viele seiner ehema- ligen Vorstellungen behalten; und die werden ihm angenehm oder unangenehm, tröstlich oder
pein-
Wie muß man nachdenken?
meinem Verhalten Rechenſchaft geben und ei- ner Belohnung fähig ſeyn ſoll.
Was folget ferner aus jenem Begriffe von der Tugend? Es folget daraus, daß die Tu- gend ein unzertrennliches Ganzes, daß ſie ei- gentlich nur Eine, daß man entweder ganz, oder gar nicht tugendhaft iſt; daß die Tugend ihren Sitz im Herzen haben, daß ſie ſich auf unſre Geſinnungen und Neigungen und Abſichten eben ſowohl als auf unſre Handlungen erſtre- cken, daß ſie nicht auf gewiſſe Zeiten und Oer- ter, nicht auf die Stunden der Andacht und des Gottesdienſtes eingeſchränkt, daß ſie unſre beſtändige Begleiterinn und Führerinn ſeyn muß.
Noch ein Beyſpiel. Was folget wohl dar- aus, wenn mein Geiſt unſterblich iſt, wenn er nach dem Tode des Körpers fortdauert, fort- lebet, fortwirket? wenn ſein künftiger Zuſtand Fortſetzung des gegenwärtigen iſt? Er wird ſich hier ſeiner Beſtimmung, ſeiner Vollkom- menheit genähert, oder von derſelben entfernt haben; und dieß wird ihm dort Freude oder Qual verurſachen. Er wird viele ſeiner ehema- ligen Vorſtellungen behalten; und die werden ihm angenehm oder unangenehm, tröſtlich oder
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Wie muß man nachdenken?
meinem Verhalten Rechenſchaft geben und ei-
ner Belohnung fähig ſeyn ſoll.
Was folget ferner aus jenem Begriffe von
der Tugend? Es folget daraus, daß die Tu-
gend ein unzertrennliches Ganzes, daß ſie ei-
gentlich nur Eine, daß man entweder ganz, oder
gar nicht tugendhaft iſt; daß die Tugend ihren
Sitz im Herzen haben, daß ſie ſich auf unſre
Geſinnungen und Neigungen und Abſichten
eben ſowohl als auf unſre Handlungen erſtre-
cken, daß ſie nicht auf gewiſſe Zeiten und Oer-
ter, nicht auf die Stunden der Andacht und
des Gottesdienſtes eingeſchränkt, daß ſie unſre
beſtändige Begleiterinn und Führerinn ſeyn
muß.
Noch ein Beyſpiel. Was folget wohl dar-
aus, wenn mein Geiſt unſterblich iſt, wenn
er nach dem Tode des Körpers fortdauert, fort-
lebet, fortwirket? wenn ſein künftiger Zuſtand
Fortſetzung des gegenwärtigen iſt? Er wird
ſich hier ſeiner Beſtimmung, ſeiner Vollkom-
menheit genähert, oder von derſelben entfernt
haben; und dieß wird ihm dort Freude oder
Qual verurſachen. Er wird viele ſeiner ehema-
ligen Vorſtellungen behalten; und die werden
ihm angenehm oder unangenehm, tröſtlich oder
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Zollikofer, Georg Joachim: Andachtsübungen und Gebete zum Privatgebrauche für nachdenkende und gutgesinnte Christen. Leipzig, 1785, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zollikofer_andachtsuebungen01_1785/37>, abgerufen am 23.07.2024.
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