Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

IX. Das Alter des Menschengeschlechts.
kleine Bild einer lediglich während vier Jahrtausenden mit einiger
Sicherheit bekannten Geschichte. Was immer man versuchen möge,
um diese Spanne Zeit in das Dahinrollen der Ewigkeitszeiträume
unsres Sonnensystemlaufs bestimmt anzugliedern, es kann nur hypo-
thetische Resultate ergeben. Schon die babylonischen Weltjahre und
die Sothisperioden der Aegypter waren derartige hypothetische Be-
rechnungsversuche, denen es eben nur in noch höherem Grade an
sichrer astronomischer Basis gebrach als jenen neueren Berechnungs-
weisen. Wenn nur wenigstens die bekannten Daten der Geschichte
der genannten Völker sich zuverlässig mit den Ausgangspunkten
solcher Epochen der älteren astronomischen Zeitrechnungskunst ver-
knüpfen ließen, damit man so eine ungefähre Antwort darauf
gewönne, seit wann astronomisch zu beobachten und zu rechnen ange-
fangen worden, oder wie weit etwa wissenschaftliche Zeitbeobachtung
der Menschheit zurückreicht! Allein auch auf diesem Punkte bleibt
doch Alles höchst ungewiß. Woher sonst die oben berührten starken
Differenzen der heutigen ägyptischen Chronologen überhaupt? woher
der geringe Glaube, den Lauth und v. Pessl mit ihren auf die
Sothisjahre 138 n. Chr. und 1323 v. Chr. als feste Ausgangs-
punkte gestützten Versuchen zum Nachweise noch mehrerer früherer
Sothisperioden von 1461jähriger Länge als historisch scharf um-
rissener Zeiträume der altägyptischen Geschichte bei ihren Fachgenossen
bisher gefunden haben? Warum differiren auch gerade diese beiden
Chronologen unter sich, sofern das zweite Sothisjahr vor 1323,
also 4245 v. Chr., nach Lauth der Regierungszeit des Menes, nach
v. Pessl aber der eines mythischen Vorgängers des Menes, namens
Ubienthis oder Bytis entsprechen soll? 1) Festen chronologischen Boden
hat man bei diesen Annahmen, je weiter sie rückwärts in die vor-
christlichen Jahrtausende hinein greifen, desto weniger unter seinen

1) Vgl. einerseits J. Lauths "Aegyptische Chronologie", Straßburg 1877,
andrerseits H. v. Pessls Schrift: "Das chronologische System Manetho's,"
Leipzig, 1878.

IX. Das Alter des Menſchengeſchlechts.
kleine Bild einer lediglich während vier Jahrtauſenden mit einiger
Sicherheit bekannten Geſchichte. Was immer man verſuchen möge,
um dieſe Spanne Zeit in das Dahinrollen der Ewigkeitszeiträume
unſres Sonnenſyſtemlaufs beſtimmt anzugliedern, es kann nur hypo-
thetiſche Reſultate ergeben. Schon die babyloniſchen Weltjahre und
die Sothisperioden der Aegypter waren derartige hypothetiſche Be-
rechnungsverſuche, denen es eben nur in noch höherem Grade an
ſichrer aſtronomiſcher Baſis gebrach als jenen neueren Berechnungs-
weiſen. Wenn nur wenigſtens die bekannten Daten der Geſchichte
der genannten Völker ſich zuverläſſig mit den Ausgangspunkten
ſolcher Epochen der älteren aſtronomiſchen Zeitrechnungskunſt ver-
knüpfen ließen, damit man ſo eine ungefähre Antwort darauf
gewönne, ſeit wann aſtronomiſch zu beobachten und zu rechnen ange-
fangen worden, oder wie weit etwa wiſſenſchaftliche Zeitbeobachtung
der Menſchheit zurückreicht! Allein auch auf dieſem Punkte bleibt
doch Alles höchſt ungewiß. Woher ſonſt die oben berührten ſtarken
Differenzen der heutigen ägyptiſchen Chronologen überhaupt? woher
der geringe Glaube, den Lauth und v. Peſſl mit ihren auf die
Sothisjahre 138 n. Chr. und 1323 v. Chr. als feſte Ausgangs-
punkte geſtützten Verſuchen zum Nachweiſe noch mehrerer früherer
Sothisperioden von 1461jähriger Länge als hiſtoriſch ſcharf um-
riſſener Zeiträume der altägyptiſchen Geſchichte bei ihren Fachgenoſſen
bisher gefunden haben? Warum differiren auch gerade dieſe beiden
Chronologen unter ſich, ſofern das zweite Sothisjahr vor 1323,
alſo 4245 v. Chr., nach Lauth der Regierungszeit des Menes, nach
v. Peſſl aber der eines mythiſchen Vorgängers des Menes, namens
Ubienthis oder Bytis entſprechen ſoll? 1) Feſten chronologiſchen Boden
hat man bei dieſen Annahmen, je weiter ſie rückwärts in die vor-
chriſtlichen Jahrtauſende hinein greifen, deſto weniger unter ſeinen

1) Vgl. einerſeits J. Lauths „Aegyptiſche Chronologie‟, Straßburg 1877,
andrerſeits H. v. Peſſls Schrift: „Das chronologiſche Syſtem Manetho’s,‟
Leipzig, 1878.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0313" n="303"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">IX.</hi> Das Alter des Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechts.</fw><lb/>
kleine Bild einer lediglich während vier Jahrtau&#x017F;enden mit einiger<lb/>
Sicherheit bekannten Ge&#x017F;chichte. Was immer man ver&#x017F;uchen möge,<lb/>
um die&#x017F;e Spanne Zeit in das Dahinrollen der Ewigkeitszeiträume<lb/>
un&#x017F;res Sonnen&#x017F;y&#x017F;temlaufs be&#x017F;timmt anzugliedern, es kann nur hypo-<lb/>
theti&#x017F;che Re&#x017F;ultate ergeben. Schon die babyloni&#x017F;chen Weltjahre und<lb/>
die Sothisperioden der Aegypter waren derartige hypotheti&#x017F;che Be-<lb/>
rechnungsver&#x017F;uche, denen es eben nur in noch höherem Grade an<lb/>
&#x017F;ichrer a&#x017F;tronomi&#x017F;cher Ba&#x017F;is gebrach als jenen neueren Berechnungs-<lb/>
wei&#x017F;en. Wenn nur wenig&#x017F;tens die bekannten Daten der Ge&#x017F;chichte<lb/>
der genannten Völker &#x017F;ich zuverlä&#x017F;&#x017F;ig mit den Ausgangspunkten<lb/>
&#x017F;olcher Epochen der älteren a&#x017F;tronomi&#x017F;chen Zeitrechnungskun&#x017F;t ver-<lb/>
knüpfen ließen, damit man &#x017F;o eine ungefähre Antwort darauf<lb/>
gewönne, &#x017F;eit wann a&#x017F;tronomi&#x017F;ch zu beobachten und zu rechnen ange-<lb/>
fangen worden, oder wie weit etwa wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche Zeitbeobachtung<lb/>
der Men&#x017F;chheit zurückreicht! Allein auch auf die&#x017F;em Punkte bleibt<lb/>
doch Alles höch&#x017F;t ungewiß. Woher &#x017F;on&#x017F;t die oben berührten &#x017F;tarken<lb/>
Differenzen der heutigen ägypti&#x017F;chen Chronologen überhaupt? woher<lb/>
der geringe Glaube, den Lauth und v. Pe&#x017F;&#x017F;l mit ihren auf die<lb/>
Sothisjahre 138 n. Chr. und 1323 v. Chr. als fe&#x017F;te Ausgangs-<lb/>
punkte ge&#x017F;tützten Ver&#x017F;uchen zum Nachwei&#x017F;e noch mehrerer früherer<lb/>
Sothisperioden von 1461jähriger Länge als hi&#x017F;tori&#x017F;ch &#x017F;charf um-<lb/>
ri&#x017F;&#x017F;ener Zeiträume der altägypti&#x017F;chen Ge&#x017F;chichte bei ihren Fachgeno&#x017F;&#x017F;en<lb/>
bisher gefunden haben? Warum differiren auch gerade die&#x017F;e beiden<lb/>
Chronologen unter &#x017F;ich, &#x017F;ofern das zweite Sothisjahr vor 1323,<lb/>
al&#x017F;o 4245 v. Chr., nach Lauth der Regierungszeit des Menes, nach<lb/>
v. Pe&#x017F;&#x017F;l aber der eines mythi&#x017F;chen Vorgängers des Menes, namens<lb/>
Ubienthis oder Bytis ent&#x017F;prechen &#x017F;oll? <note place="foot" n="1)">Vgl. einer&#x017F;eits J. <hi rendition="#g">Lauths</hi> &#x201E;Aegypti&#x017F;che Chronologie&#x201F;, Straßburg 1877,<lb/>
andrer&#x017F;eits H. v. <hi rendition="#g">Pe&#x017F;&#x017F;ls</hi> Schrift: &#x201E;Das chronologi&#x017F;che Sy&#x017F;tem Manetho&#x2019;s,&#x201F;<lb/>
Leipzig, 1878.</note> Fe&#x017F;ten chronologi&#x017F;chen Boden<lb/>
hat man bei die&#x017F;en Annahmen, je weiter &#x017F;ie rückwärts in die vor-<lb/>
chri&#x017F;tlichen Jahrtau&#x017F;ende hinein greifen, de&#x017F;to weniger unter &#x017F;einen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[303/0313] IX. Das Alter des Menſchengeſchlechts. kleine Bild einer lediglich während vier Jahrtauſenden mit einiger Sicherheit bekannten Geſchichte. Was immer man verſuchen möge, um dieſe Spanne Zeit in das Dahinrollen der Ewigkeitszeiträume unſres Sonnenſyſtemlaufs beſtimmt anzugliedern, es kann nur hypo- thetiſche Reſultate ergeben. Schon die babyloniſchen Weltjahre und die Sothisperioden der Aegypter waren derartige hypothetiſche Be- rechnungsverſuche, denen es eben nur in noch höherem Grade an ſichrer aſtronomiſcher Baſis gebrach als jenen neueren Berechnungs- weiſen. Wenn nur wenigſtens die bekannten Daten der Geſchichte der genannten Völker ſich zuverläſſig mit den Ausgangspunkten ſolcher Epochen der älteren aſtronomiſchen Zeitrechnungskunſt ver- knüpfen ließen, damit man ſo eine ungefähre Antwort darauf gewönne, ſeit wann aſtronomiſch zu beobachten und zu rechnen ange- fangen worden, oder wie weit etwa wiſſenſchaftliche Zeitbeobachtung der Menſchheit zurückreicht! Allein auch auf dieſem Punkte bleibt doch Alles höchſt ungewiß. Woher ſonſt die oben berührten ſtarken Differenzen der heutigen ägyptiſchen Chronologen überhaupt? woher der geringe Glaube, den Lauth und v. Peſſl mit ihren auf die Sothisjahre 138 n. Chr. und 1323 v. Chr. als feſte Ausgangs- punkte geſtützten Verſuchen zum Nachweiſe noch mehrerer früherer Sothisperioden von 1461jähriger Länge als hiſtoriſch ſcharf um- riſſener Zeiträume der altägyptiſchen Geſchichte bei ihren Fachgenoſſen bisher gefunden haben? Warum differiren auch gerade dieſe beiden Chronologen unter ſich, ſofern das zweite Sothisjahr vor 1323, alſo 4245 v. Chr., nach Lauth der Regierungszeit des Menes, nach v. Peſſl aber der eines mythiſchen Vorgängers des Menes, namens Ubienthis oder Bytis entſprechen ſoll? 1) Feſten chronologiſchen Boden hat man bei dieſen Annahmen, je weiter ſie rückwärts in die vor- chriſtlichen Jahrtauſende hinein greifen, deſto weniger unter ſeinen 1) Vgl. einerſeits J. Lauths „Aegyptiſche Chronologie‟, Straßburg 1877, andrerſeits H. v. Peſſls Schrift: „Das chronologiſche Syſtem Manetho’s,‟ Leipzig, 1878.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/313
Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/313>, abgerufen am 03.05.2024.