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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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IX. Das Alter des Menschengeschlechts.
Kälte und milderen Zeichen in sich schließenden Eiszeit eine Dauer
von 160 000 bis 200 000 Jahren und ließ seit ihrem Ende bereits
80 000 Jahre verflossen sein. Angesehene Geologen aus der
quietistischen Schule Lyells, wie Lyell selbst, Cotta, Geikie, Skertchley,
auch Naturphilosophen wie H. Spencer, etc., haben dieser Crollschen
Hypothese mehr oder minder unbedingt zugestimmt; andre wie Car-
penter, Pilar etc., haben sie bekämpft oder zu berichtigen gesucht.
Nach J. H. Schmick (1869 ff.) wäre es nicht sowohl die Excen-
tricität der Erdbahn als vielmehr eine seculäre "Umsetzung der
Meere durch Sonnenanziehung", worauf die wechselnden Verhältnisse
des Wasserstands und Temperaturminimums, und zwar wechselnd in
Perioden von 10500jähriger Länge, beruhen sollen. Wieder anders
K. v. Marschall, der vielmehr einen Wechsel in der Schiefe der
Ekliptik als Ursache der zeitweiligen Vergletscherungsperioden geltend
zu machen sucht, und nochmals anders Oswald Heer, der berühmte
Züricher Botaniker, (1867), der, zurückgehend auf eine früher schon
von dem Mathematiker Poisson aufgestellte Hypothese, die Erde
sammt dem ganzen Sonnensystem abwechselnd wärmere und kältere
Regionen des Weltraums durchlaufen und so die großen Schwan-
kungen des Klima im Laufe geologischer Perioden hervorgebracht
werden läßt. 1) -- Die eine oder andre dieser Theorien mag --
falls sich die Richtigkeit des mathematischen Calculs, worauf sie
fußen, voraussetzen läßt -- vielleicht einleuchtend oder gar bestechend
genannt werden können: zu irgendwelcher Bestimmung menschheits-
geschichtlicher Zeiträume ist keine von ihnen zu gebrauchen. Nimmt
man nach Adhemars Theorie, als einer wissenschaftlich vervollkomm-
neten Reproduction des alten astronomischen Dogmas vom großen
platonischen Jahre, einen Jahreszeitenwechsel in großem Maaßstabe

1) Vgl. die eingehenderen Uebersichten über die hier in Rede stehenden Hypo-
thesen bei S. Günther, Studien zur Geschichte der mathemat. und physikal.
Geographie, H. III, (Halle 1878); auch "Ausland" 1872; Nr. 26--30: "Die
verschiednen Theorien der Eiszeit," sowie meine "Geschichte der Beziehungen etc."
II, 583 ff.

IX. Das Alter des Menſchengeſchlechts.
Kälte und milderen Zeichen in ſich ſchließenden Eiszeit eine Dauer
von 160 000 bis 200 000 Jahren und ließ ſeit ihrem Ende bereits
80 000 Jahre verfloſſen ſein. Angeſehene Geologen aus der
quietiſtiſchen Schule Lyells, wie Lyell ſelbſt, Cotta, Geikie, Skertchley,
auch Naturphiloſophen wie H. Spencer, ꝛc., haben dieſer Crollſchen
Hypotheſe mehr oder minder unbedingt zugeſtimmt; andre wie Car-
penter, Pilar ꝛc., haben ſie bekämpft oder zu berichtigen geſucht.
Nach J. H. Schmick (1869 ff.) wäre es nicht ſowohl die Excen-
tricität der Erdbahn als vielmehr eine ſeculäre „Umſetzung der
Meere durch Sonnenanziehung‟, worauf die wechſelnden Verhältniſſe
des Waſſerſtands und Temperaturminimums, und zwar wechſelnd in
Perioden von 10500jähriger Länge, beruhen ſollen. Wieder anders
K. v. Marſchall, der vielmehr einen Wechſel in der Schiefe der
Ekliptik als Urſache der zeitweiligen Vergletſcherungsperioden geltend
zu machen ſucht, und nochmals anders Oswald Heer, der berühmte
Züricher Botaniker, (1867), der, zurückgehend auf eine früher ſchon
von dem Mathematiker Poiſſon aufgeſtellte Hypotheſe, die Erde
ſammt dem ganzen Sonnenſyſtem abwechſelnd wärmere und kältere
Regionen des Weltraums durchlaufen und ſo die großen Schwan-
kungen des Klima im Laufe geologiſcher Perioden hervorgebracht
werden läßt. 1) — Die eine oder andre dieſer Theorien mag —
falls ſich die Richtigkeit des mathematiſchen Calculs, worauf ſie
fußen, vorausſetzen läßt — vielleicht einleuchtend oder gar beſtechend
genannt werden können: zu irgendwelcher Beſtimmung menſchheits-
geſchichtlicher Zeiträume iſt keine von ihnen zu gebrauchen. Nimmt
man nach Adhémars Theorie, als einer wiſſenſchaftlich vervollkomm-
neten Reproduction des alten aſtronomiſchen Dogmas vom großen
platoniſchen Jahre, einen Jahreszeitenwechſel in großem Maaßſtabe

1) Vgl. die eingehenderen Ueberſichten über die hier in Rede ſtehenden Hypo-
theſen bei S. Günther, Studien zur Geſchichte der mathemat. und phyſikal.
Geographie, H. III, (Halle 1878); auch „Ausland‟ 1872; Nr. 26—30: „Die
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II, 583 ff.
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[301/0311] IX. Das Alter des Menſchengeſchlechts. Kälte und milderen Zeichen in ſich ſchließenden Eiszeit eine Dauer von 160 000 bis 200 000 Jahren und ließ ſeit ihrem Ende bereits 80 000 Jahre verfloſſen ſein. Angeſehene Geologen aus der quietiſtiſchen Schule Lyells, wie Lyell ſelbſt, Cotta, Geikie, Skertchley, auch Naturphiloſophen wie H. Spencer, ꝛc., haben dieſer Crollſchen Hypotheſe mehr oder minder unbedingt zugeſtimmt; andre wie Car- penter, Pilar ꝛc., haben ſie bekämpft oder zu berichtigen geſucht. Nach J. H. Schmick (1869 ff.) wäre es nicht ſowohl die Excen- tricität der Erdbahn als vielmehr eine ſeculäre „Umſetzung der Meere durch Sonnenanziehung‟, worauf die wechſelnden Verhältniſſe des Waſſerſtands und Temperaturminimums, und zwar wechſelnd in Perioden von 10500jähriger Länge, beruhen ſollen. Wieder anders K. v. Marſchall, der vielmehr einen Wechſel in der Schiefe der Ekliptik als Urſache der zeitweiligen Vergletſcherungsperioden geltend zu machen ſucht, und nochmals anders Oswald Heer, der berühmte Züricher Botaniker, (1867), der, zurückgehend auf eine früher ſchon von dem Mathematiker Poiſſon aufgeſtellte Hypotheſe, die Erde ſammt dem ganzen Sonnenſyſtem abwechſelnd wärmere und kältere Regionen des Weltraums durchlaufen und ſo die großen Schwan- kungen des Klima im Laufe geologiſcher Perioden hervorgebracht werden läßt. 1) — Die eine oder andre dieſer Theorien mag — falls ſich die Richtigkeit des mathematiſchen Calculs, worauf ſie fußen, vorausſetzen läßt — vielleicht einleuchtend oder gar beſtechend genannt werden können: zu irgendwelcher Beſtimmung menſchheits- geſchichtlicher Zeiträume iſt keine von ihnen zu gebrauchen. Nimmt man nach Adhémars Theorie, als einer wiſſenſchaftlich vervollkomm- neten Reproduction des alten aſtronomiſchen Dogmas vom großen platoniſchen Jahre, einen Jahreszeitenwechſel in großem Maaßſtabe 1) Vgl. die eingehenderen Ueberſichten über die hier in Rede ſtehenden Hypo- theſen bei S. Günther, Studien zur Geſchichte der mathemat. und phyſikal. Geographie, H. III, (Halle 1878); auch „Ausland‟ 1872; Nr. 26—30: „Die verſchiednen Theorien der Eiszeit,‟ ſowie meine „Geſchichte der Beziehungen ꝛc.‟ II, 583 ff.

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/311>, abgerufen am 03.05.2024.