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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen.
der menschlichen Geschicke genügen diese beiden Gründe eigentlich
vollständig. Sie sind thatsächlich nur Ein Grund; in der dem
christlichen Offenbarungsglauben gewissen Thatsache eines Ausgegan-
genseins aller religiös-sittlichen Entwicklung unsres Geschlechts von
einem schuldlosen Urzustande ist die weitere Thatsache eines nur
allmähligen Herabsinkens einerseits in immer sündigere und andrer-
seits in immer complicirtere, gesellig verwickeltere und culturell fort-
geschrittenere Zustände als schlechthin unausweichliche Consequenz
enthalten. Hieng der Verlust der ursprünglich besessenen unver-
gänglichen Lebensdauer als unmittelbare Folge am Verluste der ur-
sprünglichen Unschuld, und gieng diese Unschuld nicht mit Einem Male
ganz, sondern wie durch einen organischen Proceß nur schrittweise
und allmählig verloren, so kann das Verlorengehen auch der einstigen
Unvergänglichkeit des Lebens nur schrittweise und langsam erfolgt
sein. Gleich der Urreinheit leistete auch die Urkraft der
Menschennatur dem Umsichgreifen des mit dämonischer Gewalt über
sie gekommenen Verderbens zähen Widerstand. Da wenigstens, wo
die ursprüngliche Reinheit und Widerstandskraft gegen die Sünde
vorzugsweise intact blieb, in der Familie der frommen Nachkommen
Seths -- schwerlich auch in den übrigen Geschlechtern, über deren
Lebensdauern der biblische Bericht bedeutsamerweise schweigt und hin-
sichtlich deren deßhalb ein Stehenbleiben bei kürzeren Lebenszielen
wohl gemuthmaßt werden darf1) -- muß das Vermögen des Wider-
stands auch gegen die auflösende Macht des Todes als ein ungemein
kräftiges Generationen hindurch erblich geblieben sein. Das Phänomen
dieses noch nach Jahrhunderten zählenden, eine lange Folge von
Nachkommengeschlechtern nicht etwa bloß begründenden sondern um-
spannenden Lebens der frommen Erzväter will vor Allem unter dem

1) Zu bestimmteren Muthmaaßungen, wie etwa jene oben angeführte von
Fürer, der das gewöhnliche Alter der Menschen in der Makrobierzeit auf 150--
230 Jahre zu bestimmen wagt, gebricht es im Text an den nöthigen Anhalts-
punkten.

VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen.
der menſchlichen Geſchicke genügen dieſe beiden Gründe eigentlich
vollſtändig. Sie ſind thatſächlich nur Ein Grund; in der dem
chriſtlichen Offenbarungsglauben gewiſſen Thatſache eines Ausgegan-
genſeins aller religiös-ſittlichen Entwicklung unſres Geſchlechts von
einem ſchuldloſen Urzuſtande iſt die weitere Thatſache eines nur
allmähligen Herabſinkens einerſeits in immer ſündigere und andrer-
ſeits in immer complicirtere, geſellig verwickeltere und culturell fort-
geſchrittenere Zuſtände als ſchlechthin unausweichliche Conſequenz
enthalten. Hieng der Verluſt der urſprünglich beſeſſenen unver-
gänglichen Lebensdauer als unmittelbare Folge am Verluſte der ur-
ſprünglichen Unſchuld, und gieng dieſe Unſchuld nicht mit Einem Male
ganz, ſondern wie durch einen organiſchen Proceß nur ſchrittweiſe
und allmählig verloren, ſo kann das Verlorengehen auch der einſtigen
Unvergänglichkeit des Lebens nur ſchrittweiſe und langſam erfolgt
ſein. Gleich der Urreinheit leiſtete auch die Urkraft der
Menſchennatur dem Umſichgreifen des mit dämoniſcher Gewalt über
ſie gekommenen Verderbens zähen Widerſtand. Da wenigſtens, wo
die urſprüngliche Reinheit und Widerſtandskraft gegen die Sünde
vorzugsweiſe intact blieb, in der Familie der frommen Nachkommen
Seths — ſchwerlich auch in den übrigen Geſchlechtern, über deren
Lebensdauern der bibliſche Bericht bedeutſamerweiſe ſchweigt und hin-
ſichtlich deren deßhalb ein Stehenbleiben bei kürzeren Lebenszielen
wohl gemuthmaßt werden darf1) — muß das Vermögen des Wider-
ſtands auch gegen die auflöſende Macht des Todes als ein ungemein
kräftiges Generationen hindurch erblich geblieben ſein. Das Phänomen
dieſes noch nach Jahrhunderten zählenden, eine lange Folge von
Nachkommengeſchlechtern nicht etwa bloß begründenden ſondern um-
ſpannenden Lebens der frommen Erzväter will vor Allem unter dem

1) Zu beſtimmteren Muthmaaßungen, wie etwa jene oben angeführte von
Fürer, der das gewöhnliche Alter der Menſchen in der Makrobierzeit auf 150—
230 Jahre zu beſtimmen wagt, gebricht es im Text an den nöthigen Anhalts-
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[285/0295] VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen. der menſchlichen Geſchicke genügen dieſe beiden Gründe eigentlich vollſtändig. Sie ſind thatſächlich nur Ein Grund; in der dem chriſtlichen Offenbarungsglauben gewiſſen Thatſache eines Ausgegan- genſeins aller religiös-ſittlichen Entwicklung unſres Geſchlechts von einem ſchuldloſen Urzuſtande iſt die weitere Thatſache eines nur allmähligen Herabſinkens einerſeits in immer ſündigere und andrer- ſeits in immer complicirtere, geſellig verwickeltere und culturell fort- geſchrittenere Zuſtände als ſchlechthin unausweichliche Conſequenz enthalten. Hieng der Verluſt der urſprünglich beſeſſenen unver- gänglichen Lebensdauer als unmittelbare Folge am Verluſte der ur- ſprünglichen Unſchuld, und gieng dieſe Unſchuld nicht mit Einem Male ganz, ſondern wie durch einen organiſchen Proceß nur ſchrittweiſe und allmählig verloren, ſo kann das Verlorengehen auch der einſtigen Unvergänglichkeit des Lebens nur ſchrittweiſe und langſam erfolgt ſein. Gleich der Urreinheit leiſtete auch die Urkraft der Menſchennatur dem Umſichgreifen des mit dämoniſcher Gewalt über ſie gekommenen Verderbens zähen Widerſtand. Da wenigſtens, wo die urſprüngliche Reinheit und Widerſtandskraft gegen die Sünde vorzugsweiſe intact blieb, in der Familie der frommen Nachkommen Seths — ſchwerlich auch in den übrigen Geſchlechtern, über deren Lebensdauern der bibliſche Bericht bedeutſamerweiſe ſchweigt und hin- ſichtlich deren deßhalb ein Stehenbleiben bei kürzeren Lebenszielen wohl gemuthmaßt werden darf 1) — muß das Vermögen des Wider- ſtands auch gegen die auflöſende Macht des Todes als ein ungemein kräftiges Generationen hindurch erblich geblieben ſein. Das Phänomen dieſes noch nach Jahrhunderten zählenden, eine lange Folge von Nachkommengeſchlechtern nicht etwa bloß begründenden ſondern um- ſpannenden Lebens der frommen Erzväter will vor Allem unter dem 1) Zu beſtimmteren Muthmaaßungen, wie etwa jene oben angeführte von Fürer, der das gewöhnliche Alter der Menſchen in der Makrobierzeit auf 150— 230 Jahre zu beſtimmen wagt, gebricht es im Text an den nöthigen Anhalts- punkten.

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/295>, abgerufen am 22.11.2024.