Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen. dieses Schriftstellers. Als dem Bereiche des diätetischen und ethi-schen Verhaltens der Menschen angehörige lebenverlängernde Um- stände fügt er hauptsächlich drei hinzu. 1) Pflanzenkost statt Fleischkost, wenigstens innerhalb der erzväterlichen Familien; nach 1 Mos. 1, 29; 9, 3 sei es höchst unwahrscheinlich, ja "nicht denkbar, daß die frommen sethitischen Urväter eigenmächtig die Fleischnahrung an sich gerissen hätten;" auch der Wein könne vor der Fluth noch nicht bekannt gewesen sein; "kein Gewürz reizte die Nerven, kein Rausch- trank hetzte die Pulse zu wildem Laufe" etc. 2) Trotz der nach 1 Mos. 3, 17 ff. schon zu thuenden sauren Schweißesarbeit sei doch das auf den Menschen lastende Arbeitsjoch noch ein weit leich- teres gewesen als heute; die "unendliche Einfachheit aller socialen Verhältnisse" bildete den wohlthuendsten Gegensatz zur Gehetztheit, die sich jetzt aller Berufsclassen nach und nach fast mit Nothwendig- keit bemächtigte, und hielt vom menschlichen Organismus noch alle die schädlich aufregenden und aufreibenden Einflüsse unsres modernen Culturlebens fern. 3) Als gewichtigster Erklärungsgrund sei endlich die Frömmigkeit der sethitischen Patriarchen in Betracht zu ziehen, bezeugt zwar "nur in wenigen Anzeichen und aufbewahrten Aeuße- rungen bei Gelegenheit besondrer Lebenserfahrungen, entsprechend dem majestätischen Lapidarstil jener Urzeit", aber durch den Jn- begriff der sie betreffenden Nachrichten doch feststehend "gleich den Felsblöcken der Cyklopenmauern", gipfelnd in dem wunderbaren Tode des der Verwesung entnommenen Henoch, und auf treffende Weise verewigt durch den Ehrennamen "Kinder Gottes", womit diese ganze Erzväterlinie schon geschmückt zu werden pflege. -- Uebrigens seien, meint Fürer im Zusammenhang mit dieser schließ- lichen Betonung der persönlich-individuellen Frömmigkeit als des hauptsächlichsten Erklärungsgrundes, schon für die in Rede stehende Urzeit selbst die enorm hohen Lebensdauern von 770--970 Jahren wohl nur als Ausnahmen zu denken. Die Mehrheit der Ange- hörigen des sethitischen Familienkreises -- von den Kainiten ganz zu geschweigen -- habe sich zu so hohem Alter nicht mehr erhoben, VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen. dieſes Schriftſtellers. Als dem Bereiche des diätetiſchen und ethi-ſchen Verhaltens der Menſchen angehörige lebenverlängernde Um- ſtände fügt er hauptſächlich drei hinzu. 1) Pflanzenkoſt ſtatt Fleiſchkoſt, wenigſtens innerhalb der erzväterlichen Familien; nach 1 Moſ. 1, 29; 9, 3 ſei es höchſt unwahrſcheinlich, ja „nicht denkbar, daß die frommen ſethitiſchen Urväter eigenmächtig die Fleiſchnahrung an ſich geriſſen hätten;‟ auch der Wein könne vor der Fluth noch nicht bekannt geweſen ſein; „kein Gewürz reizte die Nerven, kein Rauſch- trank hetzte die Pulſe zu wildem Laufe‟ ꝛc. 2) Trotz der nach 1 Moſ. 3, 17 ff. ſchon zu thuenden ſauren Schweißesarbeit ſei doch das auf den Menſchen laſtende Arbeitsjoch noch ein weit leich- teres geweſen als heute; die „unendliche Einfachheit aller ſocialen Verhältniſſe‟ bildete den wohlthuendſten Gegenſatz zur Gehetztheit, die ſich jetzt aller Berufsclaſſen nach und nach faſt mit Nothwendig- keit bemächtigte, und hielt vom menſchlichen Organismus noch alle die ſchädlich aufregenden und aufreibenden Einflüſſe unſres modernen Culturlebens fern. 3) Als gewichtigſter Erklärungsgrund ſei endlich die Frömmigkeit der ſethitiſchen Patriarchen in Betracht zu ziehen, bezeugt zwar „nur in wenigen Anzeichen und aufbewahrten Aeuße- rungen bei Gelegenheit beſondrer Lebenserfahrungen, entſprechend dem majeſtätiſchen Lapidarſtil jener Urzeit‟, aber durch den Jn- begriff der ſie betreffenden Nachrichten doch feſtſtehend „gleich den Felsblöcken der Cyklopenmauern‟, gipfelnd in dem wunderbaren Tode des der Verweſung entnommenen Henoch, und auf treffende Weiſe verewigt durch den Ehrennamen „Kinder Gottes‟, womit dieſe ganze Erzväterlinie ſchon geſchmückt zu werden pflege. — Uebrigens ſeien, meint Fürer im Zuſammenhang mit dieſer ſchließ- lichen Betonung der perſönlich-individuellen Frömmigkeit als des hauptſächlichſten Erklärungsgrundes, ſchon für die in Rede ſtehende Urzeit ſelbſt die enorm hohen Lebensdauern von 770—970 Jahren wohl nur als Ausnahmen zu denken. Die Mehrheit der Ange- hörigen des ſethitiſchen Familienkreiſes — von den Kainiten ganz zu geſchweigen — habe ſich zu ſo hohem Alter nicht mehr erhoben, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0281" n="271"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VIII.</hi> Die Langlebigkeit der Patriarchen.</fw><lb/> dieſes Schriftſtellers. Als dem Bereiche des diätetiſchen und ethi-<lb/> ſchen Verhaltens der Menſchen angehörige lebenverlängernde Um-<lb/> ſtände fügt er hauptſächlich drei hinzu. 1) Pflanzenkoſt ſtatt Fleiſchkoſt,<lb/> wenigſtens innerhalb der erzväterlichen Familien; nach 1 Moſ.<lb/> 1, 29; 9, 3 ſei es höchſt unwahrſcheinlich, ja „nicht denkbar, daß<lb/> die frommen ſethitiſchen Urväter eigenmächtig die Fleiſchnahrung an<lb/> ſich geriſſen hätten;‟ auch der Wein könne vor der Fluth noch nicht<lb/> bekannt geweſen ſein; „kein Gewürz reizte die Nerven, kein Rauſch-<lb/> trank hetzte die Pulſe zu wildem Laufe‟ ꝛc. 2) Trotz der nach<lb/> 1 Moſ. 3, 17 ff. ſchon zu thuenden ſauren Schweißesarbeit ſei<lb/> doch das auf den Menſchen laſtende Arbeitsjoch noch ein weit leich-<lb/> teres geweſen als heute; die „unendliche Einfachheit aller ſocialen<lb/> Verhältniſſe‟ bildete den wohlthuendſten Gegenſatz zur Gehetztheit,<lb/> die ſich jetzt aller Berufsclaſſen nach und nach faſt mit Nothwendig-<lb/> keit bemächtigte, und hielt vom menſchlichen Organismus noch alle<lb/> die ſchädlich aufregenden und aufreibenden Einflüſſe unſres modernen<lb/> Culturlebens fern. 3) Als gewichtigſter Erklärungsgrund ſei endlich<lb/> die Frömmigkeit der ſethitiſchen Patriarchen in Betracht zu ziehen,<lb/> bezeugt zwar „nur in wenigen Anzeichen und aufbewahrten Aeuße-<lb/> rungen bei Gelegenheit beſondrer Lebenserfahrungen, entſprechend<lb/> dem majeſtätiſchen Lapidarſtil jener Urzeit‟, aber durch den Jn-<lb/> begriff der ſie betreffenden Nachrichten doch feſtſtehend „gleich den<lb/> Felsblöcken der Cyklopenmauern‟, gipfelnd in dem wunderbaren<lb/> Tode des der Verweſung entnommenen Henoch, und auf treffende<lb/> Weiſe verewigt durch den Ehrennamen „Kinder Gottes‟, womit<lb/> dieſe ganze Erzväterlinie ſchon geſchmückt zu werden pflege. —<lb/> Uebrigens ſeien, meint Fürer im Zuſammenhang mit dieſer ſchließ-<lb/> lichen Betonung der perſönlich-individuellen Frömmigkeit als des<lb/> hauptſächlichſten Erklärungsgrundes, ſchon für die in Rede ſtehende<lb/> Urzeit ſelbſt die enorm hohen Lebensdauern von 770—970 Jahren<lb/> wohl nur als <hi rendition="#g">Ausnahmen</hi> zu denken. Die Mehrheit der Ange-<lb/> hörigen des ſethitiſchen Familienkreiſes — von den Kainiten ganz<lb/> zu geſchweigen — habe ſich zu ſo hohem Alter nicht mehr erhoben,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [271/0281]
VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen.
dieſes Schriftſtellers. Als dem Bereiche des diätetiſchen und ethi-
ſchen Verhaltens der Menſchen angehörige lebenverlängernde Um-
ſtände fügt er hauptſächlich drei hinzu. 1) Pflanzenkoſt ſtatt Fleiſchkoſt,
wenigſtens innerhalb der erzväterlichen Familien; nach 1 Moſ.
1, 29; 9, 3 ſei es höchſt unwahrſcheinlich, ja „nicht denkbar, daß
die frommen ſethitiſchen Urväter eigenmächtig die Fleiſchnahrung an
ſich geriſſen hätten;‟ auch der Wein könne vor der Fluth noch nicht
bekannt geweſen ſein; „kein Gewürz reizte die Nerven, kein Rauſch-
trank hetzte die Pulſe zu wildem Laufe‟ ꝛc. 2) Trotz der nach
1 Moſ. 3, 17 ff. ſchon zu thuenden ſauren Schweißesarbeit ſei
doch das auf den Menſchen laſtende Arbeitsjoch noch ein weit leich-
teres geweſen als heute; die „unendliche Einfachheit aller ſocialen
Verhältniſſe‟ bildete den wohlthuendſten Gegenſatz zur Gehetztheit,
die ſich jetzt aller Berufsclaſſen nach und nach faſt mit Nothwendig-
keit bemächtigte, und hielt vom menſchlichen Organismus noch alle
die ſchädlich aufregenden und aufreibenden Einflüſſe unſres modernen
Culturlebens fern. 3) Als gewichtigſter Erklärungsgrund ſei endlich
die Frömmigkeit der ſethitiſchen Patriarchen in Betracht zu ziehen,
bezeugt zwar „nur in wenigen Anzeichen und aufbewahrten Aeuße-
rungen bei Gelegenheit beſondrer Lebenserfahrungen, entſprechend
dem majeſtätiſchen Lapidarſtil jener Urzeit‟, aber durch den Jn-
begriff der ſie betreffenden Nachrichten doch feſtſtehend „gleich den
Felsblöcken der Cyklopenmauern‟, gipfelnd in dem wunderbaren
Tode des der Verweſung entnommenen Henoch, und auf treffende
Weiſe verewigt durch den Ehrennamen „Kinder Gottes‟, womit
dieſe ganze Erzväterlinie ſchon geſchmückt zu werden pflege. —
Uebrigens ſeien, meint Fürer im Zuſammenhang mit dieſer ſchließ-
lichen Betonung der perſönlich-individuellen Frömmigkeit als des
hauptſächlichſten Erklärungsgrundes, ſchon für die in Rede ſtehende
Urzeit ſelbſt die enorm hohen Lebensdauern von 770—970 Jahren
wohl nur als Ausnahmen zu denken. Die Mehrheit der Ange-
hörigen des ſethitiſchen Familienkreiſes — von den Kainiten ganz
zu geſchweigen — habe ſich zu ſo hohem Alter nicht mehr erhoben,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |