Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.I. Der Urstand nach kirchlicher Ueberlieferung. des Menschen vor dem Falle annehmende pelagianische Lehrweiseenthalten war. Das auch in sonstiger Hinsicht den Rückfall in Pelagianismus ängstlicher meidende Haupt der dominikanischen Scho- lastik schloß sich dieser Lehrweise nicht an. Nach Thomas Aquin, dem erst jüngst wieder der römischen Kirche von ihrem Oberhaupte als Muster und Meister aller ächten Philosophie Gepriesenen, gieng kein Zustand purer Natürlichkeit der Ertheilung des übernatürlichen Geschenks der Gottähnlichkeit voraus; diese erfolgte vielmehr gleich im Momente der Erschaffung Adams, sodaß dieser von Anfang an sich im Besitze jener besonderen göttlichen Gnadenhilfe zum Guten befand, die ihm dann durch den Fall wieder verloren ging. Von der geistigen Ausrüstung des Menschen in diesem ursprünglichen Vollkommenheitszustande, insbesondere vom Umfange seines Wissens, redet der Aquinate in überschwenglichen Ausdrücken. Adam besaß nicht nur eine virtuelle oder principielle Erkenntniß der ganzen sichtbaren Creaturenwelt, soweit dieselbe menschlichem Erkenntnißvermögen zu- gänzlich ist: auch von den übernatürlichen Geheimnissen der Offen- barung hatte er Kunde. Das Mysterium der Trinität, angedeutet in den Stellen 1 Mose 1, 26; 3, 22, war ihm bereits erschlossen; daß er auch vom Mysterium der Menschwerdung Gottes eine, wenn nicht schauende doch glaubende und hoffende Erkenntniß hatte, zeigt der Ruf, in welchen er beim Anblick seiner Lebensgefährtin Eva ausbrach -- deren Bildung aus seiner Ribbe ja auf Christum und die Kirche weissagend hinwies. Nur Zukünftiges von zufälliger Art (futura contingentia) blieb seiner Kenntniß entzogen, deßgleichen das Jnwendige des Menschen, sowie solche äußerliche Einzelheiten des sinnlichen Bereichs, wie beispielsweise die Zahl der Steinchen auf dem Grunde eines Flusses u. dgl. m.1) -- Mit dieser Dar- stellung des Wissens Adams als eines fast schrankenlosen bahnte Thomas der späteren Scholastik den Weg zu den wunderlichsten 1) Thomas, Summ. theol. P. I, qu. 94, a. 3 sq.; cfr. qu. 92, a. 2--4. Zöckler, Urstand. 2
I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung. des Menſchen vor dem Falle annehmende pelagianiſche Lehrweiſeenthalten war. Das auch in ſonſtiger Hinſicht den Rückfall in Pelagianismus ängſtlicher meidende Haupt der dominikaniſchen Scho- laſtik ſchloß ſich dieſer Lehrweiſe nicht an. Nach Thomas Aquin, dem erſt jüngſt wieder der römiſchen Kirche von ihrem Oberhaupte als Muſter und Meiſter aller ächten Philoſophie Geprieſenen, gieng kein Zuſtand purer Natürlichkeit der Ertheilung des übernatürlichen Geſchenks der Gottähnlichkeit voraus; dieſe erfolgte vielmehr gleich im Momente der Erſchaffung Adams, ſodaß dieſer von Anfang an ſich im Beſitze jener beſonderen göttlichen Gnadenhilfe zum Guten befand, die ihm dann durch den Fall wieder verloren ging. Von der geiſtigen Ausrüſtung des Menſchen in dieſem urſprünglichen Vollkommenheitszuſtande, insbeſondere vom Umfange ſeines Wiſſens, redet der Aquinate in überſchwenglichen Ausdrücken. Adam beſaß nicht nur eine virtuelle oder principielle Erkenntniß der ganzen ſichtbaren Creaturenwelt, ſoweit dieſelbe menſchlichem Erkenntnißvermögen zu- gänzlich iſt: auch von den übernatürlichen Geheimniſſen der Offen- barung hatte er Kunde. Das Myſterium der Trinität, angedeutet in den Stellen 1 Moſe 1, 26; 3, 22, war ihm bereits erſchloſſen; daß er auch vom Myſterium der Menſchwerdung Gottes eine, wenn nicht ſchauende doch glaubende und hoffende Erkenntniß hatte, zeigt der Ruf, in welchen er beim Anblick ſeiner Lebensgefährtin Eva ausbrach — deren Bildung aus ſeiner Ribbe ja auf Chriſtum und die Kirche weiſſagend hinwies. Nur Zukünftiges von zufälliger Art (futura contingentia) blieb ſeiner Kenntniß entzogen, deßgleichen das Jnwendige des Menſchen, ſowie ſolche äußerliche Einzelheiten des ſinnlichen Bereichs, wie beiſpielsweiſe die Zahl der Steinchen auf dem Grunde eines Fluſſes u. dgl. m.1) — Mit dieſer Dar- ſtellung des Wiſſens Adams als eines faſt ſchrankenloſen bahnte Thomas der ſpäteren Scholaſtik den Weg zu den wunderlichſten 1) Thomas, Summ. theol. P. I, qu. 94, a. 3 sq.; cfr. qu. 92, a. 2—4. Zöckler, Urſtand. 2
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I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung.
des Menſchen vor dem Falle annehmende pelagianiſche Lehrweiſe
enthalten war. Das auch in ſonſtiger Hinſicht den Rückfall in
Pelagianismus ängſtlicher meidende Haupt der dominikaniſchen Scho-
laſtik ſchloß ſich dieſer Lehrweiſe nicht an. Nach Thomas Aquin,
dem erſt jüngſt wieder der römiſchen Kirche von ihrem Oberhaupte
als Muſter und Meiſter aller ächten Philoſophie Geprieſenen, gieng
kein Zuſtand purer Natürlichkeit der Ertheilung des übernatürlichen
Geſchenks der Gottähnlichkeit voraus; dieſe erfolgte vielmehr gleich
im Momente der Erſchaffung Adams, ſodaß dieſer von Anfang an
ſich im Beſitze jener beſonderen göttlichen Gnadenhilfe zum Guten
befand, die ihm dann durch den Fall wieder verloren ging. Von
der geiſtigen Ausrüſtung des Menſchen in dieſem urſprünglichen
Vollkommenheitszuſtande, insbeſondere vom Umfange ſeines Wiſſens,
redet der Aquinate in überſchwenglichen Ausdrücken. Adam beſaß nicht
nur eine virtuelle oder principielle Erkenntniß der ganzen ſichtbaren
Creaturenwelt, ſoweit dieſelbe menſchlichem Erkenntnißvermögen zu-
gänzlich iſt: auch von den übernatürlichen Geheimniſſen der Offen-
barung hatte er Kunde. Das Myſterium der Trinität, angedeutet
in den Stellen 1 Moſe 1, 26; 3, 22, war ihm bereits erſchloſſen;
daß er auch vom Myſterium der Menſchwerdung Gottes eine, wenn
nicht ſchauende doch glaubende und hoffende Erkenntniß hatte, zeigt
der Ruf, in welchen er beim Anblick ſeiner Lebensgefährtin Eva
ausbrach — deren Bildung aus ſeiner Ribbe ja auf Chriſtum und
die Kirche weiſſagend hinwies. Nur Zukünftiges von zufälliger Art
(futura contingentia) blieb ſeiner Kenntniß entzogen, deßgleichen
das Jnwendige des Menſchen, ſowie ſolche äußerliche Einzelheiten
des ſinnlichen Bereichs, wie beiſpielsweiſe die Zahl der Steinchen
auf dem Grunde eines Fluſſes u. dgl. m. 1) — Mit dieſer Dar-
ſtellung des Wiſſens Adams als eines faſt ſchrankenloſen bahnte
Thomas der ſpäteren Scholaſtik den Weg zu den wunderlichſten
1) Thomas, Summ. theol. P. I, qu. 94, a. 3 sq.; cfr. qu. 92, a.
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