von physischer Kraft, hinter den verwegensten Scholastikern des Papstthums nicht zurückgeblieben, ohne sich darum das Fündlein von einem den Protoplasten baldigst wieder entzognen übernatür- lichen Gnadengeschenke gottbildlicher Heiligkeit und Gerechtigkeit mit anzueignen.
Für die Begründung dieses letzteren Lehrstücks als des Speci- fikums der römischen Urstandslehre sind besonders Hugo von St. Victor und der von ihm angeregte, auf seinen Schultern stehende Petrus Lombardus wichtig geworden. Während der Erstere besonders die vollkommene Erkenntniß aller sichtbaren Creaturen sowie auch des Schöpfers und seiner selbst betonte, womit Adam aus Rücksicht auf seine geistigen wie körperlichen Bedürfnisse von Gott ausgestattet worden sei, gefiel die scharfe Dialektik des Letzteren sich namentlich in einer Spaltung und sorgfältigen Unterscheidung des Naturzustands des Neugeschaffenen von der gnadenweise hinzu- geschenkten übernatürlichen Gerechtigkeit und Gottähnlichkeit. Der Lombarde ist Urheber jener Lehrweise, welche die Ertheilung des donum superadditum der paradiesischen Gerechtigkeit an die Seele Adams als eine Art von Ehe zwischen übernatürlichem und natür- lichem Faktor der Urbeschaffenheit unsrer Stammeltern denkt. Er läßt demgemäß, weil ja jede Eheschließung eine beiderseitige Ein- willigung voraussetze, den natürlichen Factor (die pura naturalia) zuerst, schon vor Empfang jenes Gnadengeschenks vorhanden sein. Das Gottesbild war zuerst schon da, die Gottähnlichkeit trat einige Zeit später hinzu.1) Ein Theil der späteren Scholastiker, insbeson- dere die franziskanischen wie Alexander von Hales und Duns Scotus, folgten ihm mit Vorliebe in dieser Annahme eines Er- schaffenseins Adams in puris naturalibus, mit erst nachträglicher Hinzufügung des göttlichen Gnadengeschenks -- worin unleugbar eine gewisse Annäherung an die überhaupt nur puren Naturzustand
1)Hugo v. St. Victor, De sacramentis fidei, I, p. 6, c. 12 ss;Petr. Lomb.,l. II. Sententt., dist. 23. 24.
I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung.
von phyſiſcher Kraft, hinter den verwegenſten Scholaſtikern des Papſtthums nicht zurückgeblieben, ohne ſich darum das Fündlein von einem den Protoplaſten baldigſt wieder entzognen übernatür- lichen Gnadengeſchenke gottbildlicher Heiligkeit und Gerechtigkeit mit anzueignen.
Für die Begründung dieſes letzteren Lehrſtücks als des Speci- fikums der römiſchen Urſtandslehre ſind beſonders Hugo von St. Victor und der von ihm angeregte, auf ſeinen Schultern ſtehende Petrus Lombardus wichtig geworden. Während der Erſtere beſonders die vollkommene Erkenntniß aller ſichtbaren Creaturen ſowie auch des Schöpfers und ſeiner ſelbſt betonte, womit Adam aus Rückſicht auf ſeine geiſtigen wie körperlichen Bedürfniſſe von Gott ausgeſtattet worden ſei, gefiel die ſcharfe Dialektik des Letzteren ſich namentlich in einer Spaltung und ſorgfältigen Unterſcheidung des Naturzuſtands des Neugeſchaffenen von der gnadenweiſe hinzu- geſchenkten übernatürlichen Gerechtigkeit und Gottähnlichkeit. Der Lombarde iſt Urheber jener Lehrweiſe, welche die Ertheilung des donum superadditum der paradieſiſchen Gerechtigkeit an die Seele Adams als eine Art von Ehe zwiſchen übernatürlichem und natür- lichem Faktor der Urbeſchaffenheit unſrer Stammeltern denkt. Er läßt demgemäß, weil ja jede Eheſchließung eine beiderſeitige Ein- willigung vorausſetze, den natürlichen Factor (die pura naturalia) zuerſt, ſchon vor Empfang jenes Gnadengeſchenks vorhanden ſein. Das Gottesbild war zuerſt ſchon da, die Gottähnlichkeit trat einige Zeit ſpäter hinzu.1) Ein Theil der ſpäteren Scholaſtiker, insbeſon- dere die franziskaniſchen wie Alexander von Hales und Duns Scotus, folgten ihm mit Vorliebe in dieſer Annahme eines Er- ſchaffenſeins Adams in puris naturalibus, mit erſt nachträglicher Hinzufügung des göttlichen Gnadengeſchenks — worin unleugbar eine gewiſſe Annäherung an die überhaupt nur puren Naturzuſtand
1)Hugo v. St. Victor, De sacramentis fidei, I, p. 6, c. 12 ss;Petr. Lomb.,l. II. Sententt., dist. 23. 24.
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[16/0026]
I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung.
von phyſiſcher Kraft, hinter den verwegenſten Scholaſtikern des
Papſtthums nicht zurückgeblieben, ohne ſich darum das Fündlein
von einem den Protoplaſten baldigſt wieder entzognen übernatür-
lichen Gnadengeſchenke gottbildlicher Heiligkeit und Gerechtigkeit mit
anzueignen.
Für die Begründung dieſes letzteren Lehrſtücks als des Speci-
fikums der römiſchen Urſtandslehre ſind beſonders Hugo von
St. Victor und der von ihm angeregte, auf ſeinen Schultern
ſtehende Petrus Lombardus wichtig geworden. Während der Erſtere
beſonders die vollkommene Erkenntniß aller ſichtbaren Creaturen
ſowie auch des Schöpfers und ſeiner ſelbſt betonte, womit Adam
aus Rückſicht auf ſeine geiſtigen wie körperlichen Bedürfniſſe von
Gott ausgeſtattet worden ſei, gefiel die ſcharfe Dialektik des Letzteren
ſich namentlich in einer Spaltung und ſorgfältigen Unterſcheidung
des Naturzuſtands des Neugeſchaffenen von der gnadenweiſe hinzu-
geſchenkten übernatürlichen Gerechtigkeit und Gottähnlichkeit. Der
Lombarde iſt Urheber jener Lehrweiſe, welche die Ertheilung des
donum superadditum der paradieſiſchen Gerechtigkeit an die Seele
Adams als eine Art von Ehe zwiſchen übernatürlichem und natür-
lichem Faktor der Urbeſchaffenheit unſrer Stammeltern denkt. Er
läßt demgemäß, weil ja jede Eheſchließung eine beiderſeitige Ein-
willigung vorausſetze, den natürlichen Factor (die pura naturalia)
zuerſt, ſchon vor Empfang jenes Gnadengeſchenks vorhanden ſein.
Das Gottesbild war zuerſt ſchon da, die Gottähnlichkeit trat einige
Zeit ſpäter hinzu. 1) Ein Theil der ſpäteren Scholaſtiker, insbeſon-
dere die franziskaniſchen wie Alexander von Hales und Duns
Scotus, folgten ihm mit Vorliebe in dieſer Annahme eines Er-
ſchaffenſeins Adams in puris naturalibus, mit erſt nachträglicher
Hinzufügung des göttlichen Gnadengeſchenks — worin unleugbar
eine gewiſſe Annäherung an die überhaupt nur puren Naturzuſtand
1) Hugo v. St. Victor, De sacramentis fidei, I, p. 6, c. 12 ss; Petr.
Lomb., l. II. Sententt., dist. 23. 24.
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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/26>, abgerufen am 16.02.2025.
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