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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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VII. Der Ursitz des Menschengeschlechts.
nehmenden Zerklüftung und Zerspaltung hat, was ohne die Ein-
wirkung dieses zerrüttenden Factors in Gestalt harmonischer Unter-
schiede ähnlich den Zweigen eines wohlgewachsenen Baumes oder den
Gliedmaaßen eines wohlgebauten Leibes hervorgetreten sein würde,
zu schroffen Gegensätzen gesteigert, welche eine Zurückführung auf
die gemeinsame Ur- und Grundwurzel in vielen Fällen erschweren,
in manchen fast unmöglich machen. Nur so kommt es, daß die
Linguistik die oft zwischen notorisch racenverwandten Stämmen
klaffenden Sprachdifferenzen vielfach nicht auszugleichen vermag, daß
der Schädelforschung hundertfältige Schwierigkeiten ähnlicher Art sich
entgegenstellen, daß die vergleichende Religionswissenschaft, die Archäo-
logie, die Völkerpsychologie immer wieder neuen Räthseln begegnen,
auf Grund deren die Menschheit sich in Atome zu zersplittern droht.
Die Sprachforschung für sich allein vermag diese den Menschheits-
körper dermalen zerspaltenden Risse und Klüfte nicht auszufüllen,
die vergleichende Anatomie für sich allein ebensowenig, die Völker-
psychologie und Religionsforschung für sich allein ebenso wenig.
Aber müssen, können, dürfen denn diese Wissenschaften jede abstract
für sich und losgetrennt von den übrigen operiren? Steht irgend
einer von ihnen, sofern sie auf ihre Hilfsmittel allein und aus-
schließlich angewiesen ist, ein Recht zu entscheidenden Urtheilssprüchen
in einer so complicirten Frage wie die nach dem Ursprung unsres
seit Jahrtausenden über diese Erde ausgebreiteten Geschlechts zu?
Sahen wir nicht vielmehr schon im vorigen Abschnitte an einer
Reihe lehrreicher Beispiele, wie sofort wenn die erforderliche Wechsel-
wirkung eintritt, die scheinbare Verbindungslosigkeit der Racen oder
Stämme untereinander durch Gegeninstanzen widerlegt zu werden
beginnt, wie die Klüfte, welche das einseitige Zuwerkegehen nur
Einer jener Wissenschaften aufzeigt, überbrückt und ausgefüllt werden?
Eine Reihe uralter Opfergebräuche, Fastensitten und sonstiger
Kasteiungsweisen, dazu die Beschneidung, die Tätowirung, die Cou-
vade, vielerlei weitverbreitete Formen des Aberglaubens, zahlreiche
bei weit voneinander entlegenen Völkern übereinstimmende Kunst-

VII. Der Urſitz des Menſchengeſchlechts.
nehmenden Zerklüftung und Zerſpaltung hat, was ohne die Ein-
wirkung dieſes zerrüttenden Factors in Geſtalt harmoniſcher Unter-
ſchiede ähnlich den Zweigen eines wohlgewachſenen Baumes oder den
Gliedmaaßen eines wohlgebauten Leibes hervorgetreten ſein würde,
zu ſchroffen Gegenſätzen geſteigert, welche eine Zurückführung auf
die gemeinſame Ur- und Grundwurzel in vielen Fällen erſchweren,
in manchen faſt unmöglich machen. Nur ſo kommt es, daß die
Linguiſtik die oft zwiſchen notoriſch racenverwandten Stämmen
klaffenden Sprachdifferenzen vielfach nicht auszugleichen vermag, daß
der Schädelforſchung hundertfältige Schwierigkeiten ähnlicher Art ſich
entgegenſtellen, daß die vergleichende Religionswiſſenſchaft, die Archäo-
logie, die Völkerpſychologie immer wieder neuen Räthſeln begegnen,
auf Grund deren die Menſchheit ſich in Atome zu zerſplittern droht.
Die Sprachforſchung für ſich allein vermag dieſe den Menſchheits-
körper dermalen zerſpaltenden Riſſe und Klüfte nicht auszufüllen,
die vergleichende Anatomie für ſich allein ebenſowenig, die Völker-
pſychologie und Religionsforſchung für ſich allein ebenſo wenig.
Aber müſſen, können, dürfen denn dieſe Wiſſenſchaften jede abſtract
für ſich und losgetrennt von den übrigen operiren? Steht irgend
einer von ihnen, ſofern ſie auf ihre Hilfsmittel allein und aus-
ſchließlich angewieſen iſt, ein Recht zu entſcheidenden Urtheilsſprüchen
in einer ſo complicirten Frage wie die nach dem Urſprung unſres
ſeit Jahrtauſenden über dieſe Erde ausgebreiteten Geſchlechts zu?
Sahen wir nicht vielmehr ſchon im vorigen Abſchnitte an einer
Reihe lehrreicher Beiſpiele, wie ſofort wenn die erforderliche Wechſel-
wirkung eintritt, die ſcheinbare Verbindungsloſigkeit der Racen oder
Stämme untereinander durch Gegeninſtanzen widerlegt zu werden
beginnt, wie die Klüfte, welche das einſeitige Zuwerkegehen nur
Einer jener Wiſſenſchaften aufzeigt, überbrückt und ausgefüllt werden?
Eine Reihe uralter Opfergebräuche, Faſtenſitten und ſonſtiger
Kaſteiungsweiſen, dazu die Beſchneidung, die Tätowirung, die Cou-
vade, vielerlei weitverbreitete Formen des Aberglaubens, zahlreiche
bei weit voneinander entlegenen Völkern übereinſtimmende Kunſt-

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[240/0250] VII. Der Urſitz des Menſchengeſchlechts. nehmenden Zerklüftung und Zerſpaltung hat, was ohne die Ein- wirkung dieſes zerrüttenden Factors in Geſtalt harmoniſcher Unter- ſchiede ähnlich den Zweigen eines wohlgewachſenen Baumes oder den Gliedmaaßen eines wohlgebauten Leibes hervorgetreten ſein würde, zu ſchroffen Gegenſätzen geſteigert, welche eine Zurückführung auf die gemeinſame Ur- und Grundwurzel in vielen Fällen erſchweren, in manchen faſt unmöglich machen. Nur ſo kommt es, daß die Linguiſtik die oft zwiſchen notoriſch racenverwandten Stämmen klaffenden Sprachdifferenzen vielfach nicht auszugleichen vermag, daß der Schädelforſchung hundertfältige Schwierigkeiten ähnlicher Art ſich entgegenſtellen, daß die vergleichende Religionswiſſenſchaft, die Archäo- logie, die Völkerpſychologie immer wieder neuen Räthſeln begegnen, auf Grund deren die Menſchheit ſich in Atome zu zerſplittern droht. Die Sprachforſchung für ſich allein vermag dieſe den Menſchheits- körper dermalen zerſpaltenden Riſſe und Klüfte nicht auszufüllen, die vergleichende Anatomie für ſich allein ebenſowenig, die Völker- pſychologie und Religionsforſchung für ſich allein ebenſo wenig. Aber müſſen, können, dürfen denn dieſe Wiſſenſchaften jede abſtract für ſich und losgetrennt von den übrigen operiren? Steht irgend einer von ihnen, ſofern ſie auf ihre Hilfsmittel allein und aus- ſchließlich angewieſen iſt, ein Recht zu entſcheidenden Urtheilsſprüchen in einer ſo complicirten Frage wie die nach dem Urſprung unſres ſeit Jahrtauſenden über dieſe Erde ausgebreiteten Geſchlechts zu? Sahen wir nicht vielmehr ſchon im vorigen Abſchnitte an einer Reihe lehrreicher Beiſpiele, wie ſofort wenn die erforderliche Wechſel- wirkung eintritt, die ſcheinbare Verbindungsloſigkeit der Racen oder Stämme untereinander durch Gegeninſtanzen widerlegt zu werden beginnt, wie die Klüfte, welche das einſeitige Zuwerkegehen nur Einer jener Wiſſenſchaften aufzeigt, überbrückt und ausgefüllt werden? Eine Reihe uralter Opfergebräuche, Faſtenſitten und ſonſtiger Kaſteiungsweiſen, dazu die Beſchneidung, die Tätowirung, die Cou- vade, vielerlei weitverbreitete Formen des Aberglaubens, zahlreiche bei weit voneinander entlegenen Völkern übereinſtimmende Kunſt-

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/250>, abgerufen am 03.05.2024.